Es heißt jeder von uns hat eine gute und eine schlechte Seite. Schwarz und weiß.Schatten und Licht. Und die Gesetze unserer Gesellschaft helfen uns dabei aufder Seite des Lichts zu bleiben, zu den Guten zu gehören.
Aber was wenn da nichts Gutes in dir ist? Nicht nur eine Einbildung oder die Gedanken eines kranken Kopfes. Nein, es ist mehr eine dunkle Gewissheit. Das Wissen, dass du anders bist. Du versuchst es zurückzuhalten, hältst Distanz zu anderen um die Kontrollenicht zu verlieren. Weil du dir selbst nicht traust. Und dann wenn du, so wiejetzt, wieder einmal vor dem Spiegel stehst, fragst du dich -
„Danny?!“, erfüllt die Stimme meiner Mutter den Flur, gefolgt vom Knarzen derTür, die sich einen Spalt öffnet und meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. „Ja?“
„Warum reagierst du nicht, wenn ich dich rufe?“
„Ich hab dich nicht gehört.“Sie senkt einen Moment den Kopf und schließt die Augen, atmet tief ein. „Ich muss jetzt zur Schicht.“, erklärt sie, als sie mir wieder in die Augen sieht.
Ich nicke. „Okay.“
Doch sie scheint damit nicht zufrieden zu sein. „Nicht einfach nur nicken und okay sagen, Danny. Du denkst an deinen Termin?“
Sie sieht mich mit ihren blauen Augen an, ihre blonden Haare nach hintengekämmt und zu einem Zopf zusammen gebunden. Den Großteil meines Aussehens habe ich von ihr.
Blond und blauäugig. Nicht besonders einfallsreich von Mutter Natur. Adolf Hitler hätte das aber mitSicherheit gefallen, strebte er doch nach einer arischen Spezies mitblauäugigen Müttern und blondhaarigen Kindern. Nichts desto trotz, hätte ich raten müssen, dann hätte ich, ihrem Gesichtsausdruckzu urteilen, auf Ratlosigkeit getippt. Vielleicht auch auf ein bisschen Verzweiflung und Traurigkeit. So genau kann ich das nicht deuten. Nur so viel: Ihrscheint es wichtig zu sein, dass ich ernst meine was ich sage. „Ja, mach ich.“
„Du weißt wie wichtig das für dich ist.“, betont sie abermals.
Ich nicke erneut, versuche möglichst ruhig zu bleiben. „Ja, Mom.“
Sie liebt mich, keine Frage. Das bezweifelte ich auch nicht. Wäre dem nicht so,sie hätte mich schon längst aufgegeben. Und ich liebe sie auch. Irgendwo. Soweit ich dazu fähig bin.
Denn genau das ist der Knackpunkt - Ich habe keine Gefühle.
Ich weiß was richtig und was falsch ist. Ich verstehe warum etwas falsch ist.Ehrlich. Dennoch hindert mich das manchmal nicht daran Dinge zu denken und zu tun,die andere abschrecken oder ihnen sogar Angst einjagen. Mir geht es da selbst nicht anders.
Deshalb bin ich jetzt in psychotherapeutischerBehandlung. Um das „Monster“ in mir, wie ich es nenne, im Zaum zu halten.
Ich habe mich oft selbst gefragt woher ich das habe. Aber eine Antwort daraufhabe ich bislang nicht finden können. Ich vermute mal, dass ich es von meinemVater habe. Wäre nur logisch. Warum sonst sollte jeder aus meiner Familie dasThema umgehen?
Ich kenne meinen Vater nicht. Er sei bei einem Unfall gestorben als ich nochklein war. Zu klein um mich an ihn erinnern zu können. Alles was es von ihmgibt ist ein Foto. Das Hochzeitsbild meiner Eltern, von dem sich meine Mutternicht trennen kann. Ansonsten spricht sie nie von ihm. Auch der Rest meinerFamilie meidet das Thema.
Meine Mom gibt sich alle Mühe. Dennoch hat sie es nicht immer leicht mit mir.Das weiß ich. Trotzdem macht mich das noch immer wütend. Alles nur wegen Michael Harris – einem Typen, der mich schon seit der zweitenKlasse auf dem Kieker hat. Wegen dem saß ich dann beim Direx, meine Mom nebenmir, und musste mir anhören, dass die Schule solche Verhaltensweisen nicht dulde.
Tja, und seitdem muss ich zum Psychodoc. Würde es nach mir gehen, dann würde ich Michael noch immer gerne mit einem Baseballschläger den Schädel einschlagen. Einfach nur um zu sehen wie dasaussieht und zu spüren wie sich das anfühlt. Schon allein bei der Vorstellungan ein solches Szenario kribbelt und pulsiert es in mir.
Dennoch weiß ich, dass es falsch war Michael damit zu drohen ihn umzubringen. Nur manchmal lassen sich diese Bilder in meinem Kopf nicht so einfachabstellen. Vor allem, wenn ich wütend bin.
Ein Gutes hat es aber ein Soziopath zu sein. Man hat meistens seine Ruhe, auch wenn sich meine Mom etwas anderes für mich wünschen würde. Das ganz normaleLeben eines 16-Jährigen. Mit Freunden und dem ganzen. Wobei, so ganz allein binich nicht.
Mel ist nicht nur eine Klassenkameradin, die zufällig in meinerNachbarschaft wohnt. Vielmehr ist sie… eine Freundin, würde ich mal behaupten. Meine beste und auch einzige Freundin.
Denn im Gegensatz zu den meisten anderen hält sie mich nicht für einen Spinner.
„Ich mache mich dann jetzt auf den Weg.“
„Okay, Mom.“, nicke ich, sehe wie ihre Augen mich noch ein paar Sekunden mustern, bevor sich die Tür hinter ihr schließt und sie die Wohnung verlässt.
„Scheiße!“, höre ich Mel neben mir aufschreien und sehe wie sie sich die Hand vor die Augen hält, als der Typ mit der Kettensäge einen nach dem anderen niedermetzelt. Blut spritzt. Das Opfer schreit ein letztes Mal auf, ein Kopf rollt in Großaufnahme über den Boden. Einfach nur geil. „Echt, mir wird das zu viel.“, sagt Mel plötzlich, woraufhin ich sie verwundert ansehe, als sie nach der Fernbedienung greift und den Flatscreen ausknipst. Ihre Hände zittern. Ich muss grinsen. „Das ist doch nur ein Film.“„Ja, aber ein verdammt realer.“, meint sie. „Manchmal frage ich mich echt wie du dir so ´n Zeug reinziehen kannst.“Ich muss noch immer grinsen, als ich an das Gemetzel von dem Film denke.Auch wenn der Kettensägentyp nur ein Schauspieler in einem Kostüm ist und das Blut künstlich, sah das alles schon verdammt real aus. „Lass uns ein bisschen raus gehen.“, höre ich sie sagen.„Warum?“„Draußen scheint die Sonne.“Meine Stirn legt sich in Falten.„Ich brauch jetzt was Schönes.“, erklärt sie und steht auf, sieht mich mit ihren grünen Augen an. „Und dir könnte das auch nicht schaden. Komm schon.“Wortlos richte ich mich auf und trabe ihr hinterher. Ich hätte schon noch gerne gesehen wie es weiter geht…Die Sonne scheint, flutet grell meine Augen als wir das Haus verlassen und die Straße entlang laufen. Uniontown ist keine wirklich große Stadt und mit etwas mehr als 10.000 Einwohnern eigentlich recht übersichtlich. Es passiert auch nicht viel. Meine Mom ist hier schon aufgewachsen. Sie hat dieses Nest also nie verlassen. Ich allerdings möchte hier lieber heute weg als morgen. Vor allem seit meinem Ausbruch betrachten mich die Leute mit anderen Augen. Sie sehen ein Monster. Und das lassen sie mich auch spüren. Vor allem die, die mit den Harris´ befreundet sind. Überhaupt ist die Familie Harris hier so etwas wie ein Statussymbol. Michaels Vater ist ein angesehener Richter mit viel Kohle. Deshalb sehen viele auch gerne darüber hinweg was für ein Arsch sein Sohn ist. Michael ist alles was ich nicht bin. Gut im Sport, beliebt... Das typische Klischee eines amerikanischen Highschoolschülers. Und deshalb findet er es auch okay auf Schwächeren herumzuhacken und die zu schikanieren. Ich habe mir das auch schon oft gefallen lassen. Mich jedes Mal zusammengerissen. Doch an dem Tag, als Michael mich wieder einmal dumm angemacht hat, war es eben einmal zu viel.„Sag mal, was liest du da?“, hörte ich seine Stimme neben mir, als ich, wie immer, wenn wir zwischen den Stunden Pause hatten, auf einer der Treppen saß, die die einzelnen Stockwerke des weiß-gräulichen Kastens, der sich Highschool nennt, mit einander verbanden. Seine braunen Augen waren auf mich gerichtet. Auf seinen Lippen ein selbstgefälliges Lächeln, im Schlepptau Ray Thomson und John Mayer. Sein Jasagendes Gefolge. Er wird wieder einen dummen Spruch ablassen, um sich groß vorzukommen. Kein Grund auszurasten, redete ich auf mich ein.„Warum antwortest du nicht, Anderson?“, machte Michael weiter. „Hat´s dir die Sprache verschlagen?“Ich reagierte nicht, versuchte weiter in meinem Buch zu lesen, als er sich zu mir herunter beugte und es mir aus der Hand riss. „Hey!“, schrie ich und richtete mich auf. Ich hätte ihn sofort an Ort und Stelle in Stücke reißen können. „Kannst also doch sprechen.“, lächelte Michael und sah auf den Titel meines Buches. „Was ist denn das für ein kranker Scheiß?“„Gib das wieder her! Sofort!“, brüllte ich. Doch er hörte nicht auf mich, machte unbehelligt weiter, während es in mir nur so brodelte. Ich sagte mir noch, dass ich mich beruhigen sollte und dass er es nicht wert war. Ganz besonders weil ich wieder einmal diese Gedanken hatte. Aber sein dämliches Grinsen und das Gelächter der anderen war in dem Moment einfach zu viel. Ich erinnere mich, wie mein Buch zu Boden fiel und Michael nach hinten taumelte. Sein Körper prallte gegen die Wand, erzeugte einen Knall, als ich meine Gedanken in die Realität umsetzte und ihn würgte. Erst als ich gewaltsam zurück gezogen wurde, stoppte ich.Michael keuchte, hustete und sah mich an. Ängstlich. Die Pupillen geweitet. Fassungslos.Genauso wie der ganze Rest der Leute, die sich um uns herum versammelt hatten und tuschelten.Und dann fand ich mich im Büro des Direx wieder und sah in die Augen meiner Mom, die nicht glauben konnte was ich getan hatte.„Was ist nur in dich gefahren?!“, schrie sie mich an, als wir dann irgendwann im Auto saßen. „Sieh mich an!“, forderte sie.„Warum hast du das getan?“, wollte sie wissen als ich ihr dann in die Augen sah. Doch ich presste nur meine Lippen auf einander. „Danny, bitte rede mit mir. Warum hast du das getan?“Ich atmete scharf. „Ich weiß nicht. Er hat es einfach übertrieben-“ „Das ist aber noch lange kein Grund…“, unterbrach sie mich, hielt einen Moment inne und wandte sich von mir ab. Den ganzen Nachhauseweg sprach sie kein Wort mit mir, blickte nur starr durch die Windschutzscheibe. Ein normaler Mensch hätte wahrscheinlich ein schlechtes Gewissen gehabt. Ich jedoch fühlte nichts. Selbst als ich, wie Mom es von mir verlangte, darüber nachdachte, empfand ich nichts dabei. Das Einzige das ich bereue ist, dass ich vor den ganzen anderen ausgerastet bin. Das war nicht besonders klug gewesen. Auch dass ich meine Gedanken offen ausgesprochen habe...„Er hat es nicht anders verdient.“, sagte ich, als ich letztens bei meinem Psychotherapeuten Dr. Swanson saß.„Warum hat Michael es deiner Ansicht nach nicht anders verdient?“Ich zuckte mit den Schultern, verschränkte meine Arme vor der Brust und sah auf die weiße Wand vor mir. „Er hat es einfach übertrieben. Wenn man andere schlecht behandelt, dann muss man sich nicht wundern, wenn einer irgendwann mal austickt. Das ist wie mit dem Kassierer, der Tag für Tag dasitzt und immer von ein und demselben, miesgelaunten Kunden angeschrien wird. Das geht viele Jahre gut. Der Kunde hat seinen persönlichen Blitzableiter, während der Kassierer immer lächelt und freundlich ist, sich aber vorstellt, wie er dem Typ eine Knarre vors Gesicht hält und ihm das Hirn wegpustet. Und eines Tages, der Kunde brüllt mal wieder, steht der Kassierer halt auf und drückt ab.“ Die Einzige, die mich so nimmt wie ich bin ist Melanie Brooks, oder kurz Mel, die Tochter unseres Nachbarn.Ich verstehe nicht warum sie sich mit mir abgibt. Vor allem weil unsere Freundschaft eine ziemlich einseitige Geschichte ist. Aber aus irgendeinem Grund scheint sie mich zu mögen. Wir haben es uns gerade auf dem Sportgelände unserer Schule bequem gemacht, sitzen auf einer der Bänke der großen Zuschauertribüne, als mein Blick auf Michael fällt. Unsere Blicke kreuzen sich. Und sofort spüre ich wie mein Herz sich beschleunigt.Ruhig bleiben, rede ich auf mich ein, als Michael seinen Blick von mir abwendet und sich den Ansagen seines Couches fügt. Football. Eines der sinnlosesten Spiele überhaupt, wie ich finde. Ich verstehe einfach nicht was die Menschen daran finden anderen dabei zuzusehen wie sie einem Stück Leder hinterher rennen und sich deshalb auf dem Boden wälzen. Doch Mel scheint, anders als ich, ziemlich fasziniert von dem Treiben der Spieler zu sein. Wie gesagt, ich verstehe nicht was sich Mel von der Freundschaft mit mir verspricht. Meine Mom hat immer versucht mir ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Und das selbst als sie das erste Mal sah wozu ich fähig war. Tante Olive – die ältere Schwester meiner Mutter – kam eines Morgens mit diesem kleinen, jaulenden Etwas an. Ein Geschenk, das mir eine Freude bereiten sollte. Ein Freund und Spielgefährte. Doch das Tier entlockte mir keine Regung. Deshalb ließ ich es links liegen.Damals war ich vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Genau kann ich das nicht mehr sagen. Eines Tages, das Tier und ich waren allein im Wohnzimmer, schaute es mich an. Die Ohren hingen schlapp herunter, die Knopfaugen blickten zu mir auf und es wedelte mit dem Schwanz. Wahrscheinlich wollte es gestreichelt werden. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und es kam auf mich zu, stellte seine Vorderpfoten auf meine Beine um mir entgegen zu kommen, hechelte und wedelte mit dem kleinen Schwanz. „Danny, was machst du da?!", hörte ich meine Mom wenig später auf mich einschreien und sah wie sie Lucy aus meinen Händen riss. Das Tier jaulte, vergrub sich in ihren Armen, während sie mich ansah als hätte ich was Schlimmes getan. Und so war es auch. „Lucy ist ein Lebewesen!", schrie sie auf mich ein, gefolgt von einigen weiteren Sätzen. „Sieh mich an, Danny!", forderte sie mich auf. Doch ich hörte nicht auf sie. Sie versuchte es noch einmal und noch einmal, bis ich tat was sie sagte. „Weißt du eigentlich was du getan hast?", wollte sie wissen, doch ich starrte sie nur an. „Lucy hätte sterben können. Ist dir das klar?"Ich hörte sie atmen, sah wie sie sich durch die Haare fuhr. „Geh auf dein Zimmer."„Aber, Mom."„Geh auf dein Zimmer, Danny!" Also folgte ich und tat was sie von mir wollte. Von meinem Zimmer aus konnte ich hören wie sie und Tante Olive mit einander stritten. Tante Olive hätte Lucy am liebsten sofort mitgenommen. Sie meinte, dass es ein Fehler gewesen sei mir das Tier zu überlassen und dass ich kein Gewissen hätte. „Hast du gesehen wie er dich angesehen hat?! Vollkommen teilnahmslos! Das ist doch nicht normal!"Wenig später erklärte mir Mom, dass Tiere Gefühle haben und dass sie Schmerz empfinden. Genauso wie wir Menschen. „Lucy ist auf dich angewiesen. Sie braucht Liebe und jemanden, der sich um sie kümmert. Verstehst du das?"Ich nickte. Und ich verstand auch. Lucy ist letztes Jahr gestorben. Es war ein Unfall gewesen.Ich hab sie also nicht umgebracht. Echt nicht.Sie wollte über die Straße rennen, als ein Auto angerast kam und sie überfahren hat. Es war ein trauriger Tag. Mom nahm Lucys Tod sehr mit. Der Hund liegt seitdem in unserem Garten vergraben mit einem kleinen Holzkreuz davor. Mom hatte darauf bestanden, dass wir so eine Art Bestattung für sie abhielten. Was ich aus dem Ganzen gelernt habe ist, dass ich mich kontrollieren muss. Das hatte bisher auch funktioniert. Meistens zumindest. Eben bis auf meinen Ausraster. Seitdem betrachten mich alle, als wäre ich ein potentieller Serienmörder.Und um ehrlich zu sein, manchmal frage ich mich selbst ob da nicht vielleicht was dran ist.
Hier dann Kapitel 2 :)Vielen Dank an Peanut für ihr Review. Ich werde es so schnell wie möglich noch beantworten. Und danke für die neuen Favos. Hab mich sehr darüber gefreut :).__________________________________________________________________________Fast schon mein ganzes Leben lang fühlt es sich an als müsste ich alle um mich herum davon überzeugen, dass ich kein schlechter Mensch bin. Tante Olive zum Beispiel. Ich weiß was sie über mich denkt. Sie denkt ich sei nicht normal. Und irgendwie ist es ja auch so.Ich weiß wie ich mich in bestimmten Situationen zu verhalten habe. Ich habe mir das angeeignet. Es gelernt, wenn man so will. Ich habe gelernt wie ich mich verhalten muss. Deshalb ist so gut wie alles was ich nach außen hin zeige eine Maske. Eine gespielte Fassade, wenn man so will.Manchmal frage ich mich selbst was davon mein wahres Ich ist. Ich habe auch nicht wirklich ein Gewissen, kann mir aber vorstellen wie es sein muss eins zu haben. Schlechte Taten bringen schlechte Gefühle. Logisch. Dennoch, ich fühle das einfach nicht. Es ist eigentlich jeden Tag so, dass ich mich in meinem Kopf fühle als würde ich in einer anderen Welt leben. Abgesehen davon verstehe ich vieles nicht.Menschen machen manchmal so fiese Sachen und das obwohl sie genau wissen, dass das was sie tun falsch ist und einem anderen Schaden zufügt. Nur im Gegensatz zu mir haben die ein Gewissen.Die wissen also nicht nur, dass das was sie tun falsch ist, die fühlen das auch. Michael Harris ist da das beste Beispiel. Er hat ein Gewissen und behandelt andere trotzdem als wären die nichts weiter als ein Stück Scheiße. Und ich soll mich wegen meinem Ausraster schlecht fühlen?Wo ist da die Fairness? Echt mal.Mom wollte, dass ich darüber nachdenke was ich getan habe. Also habe ich nachgedacht. „Du hast wirklich Glück, dass Michaels Vater dich nicht angezeigt hat.", hatte sie zu mir gesagt und mich mit diesem Blick angesehen. Ich weiß nicht wie ich den beschreiben soll. Ich kenne diesen Blick schon mein ganzes Leben. Jedes Mal, wenn sie mich so ansieht, dann komme ich mir vor wie ein Monster. Mel hatte sich schon längst von mir verabschiedet, während ich noch eine Weile auf der Tribüne sitzen geblieben bin. Aber irgendwann bin ich dann auch aufgestanden und etwas in den Wald gegangen. Fast niemand weiß was davon. Aber manchmal ziehe ich mich hierhin zurück. Denn ich mag die Natur, aber vor allem die Ruhe. Wenn keiner um mich ist und ich alleine bin. Dann fühle ich mich frei und muss mich nicht verstellen. Nur leider gibt es nicht viele dieser Momente…Als ich irgendwann später Zuhause ankomme und die Küche betrete, begegnet mir sofort ein wütender Blick. „Wo warst du?“, will Mom von mir wissen und verschränkt die Arme vor der Brust.So viel zum Thema Ruhe. „Ich war noch mit Mel unterwegs.“, sage ich. Aber sie glaubt mir nicht. „Ich habe vorhin mit ihrem Vater gesprochen. Sie ist bereits seit über zwei Stunden wieder Zuhause. Also, wo warst du?!“„Ich bin noch etwas durch die Gegend gelaufen.“„Wir hatten vereinbart, dass du unter der Woche spätestens um acht Zuhause bist.“„Ich weiß, aber es ist doch nur…“ Meine Augen wandern zu der weißen, runden Uhr an der Wand hinter ihr. „´Ne Stunde, die ich zu spät bin. Außerdem ist es draußen noch hell und-“„Ja, eine Stunde, in der ich nicht wusste wo du bist, geschweige denn was du machst… Wir hatten eine klare Vereinbarung, Danny. Und ich erwarte, dass du dich daran hältst.“, unterbricht sie mich. Ich bin nur eine Stunde zu spät. Eine einzige Stunde. Das kann doch mal passieren!„Außerdem, warum lügst du mich an?“„Ich lüge nicht.“„Du sagtest, du wärst mit Mel unterwegs gewesen.“„Ja, war ich auch. Wir sind zum Sportplatz gegangen, dann hat sie sich irgendwann von mir verabschiedet.“„Und wo warst du danach?“„Nirgendwo bestimmtes. Wie gesagt, ich bin durch die Gegend gelaufen. Und dabei hab ich halt die Zeit vergessen.“, erkläre ich.„Wir haben Regeln, Danny. Ich muss mich auf dich verlassen können.“, sagt sie und sieht mich eindringlich an.Ich nicke. „Ja, Mom.“„Es ist wichtig, dass du dich daran hältst. Ich will mir keine Sorgen um dich machen müssen.“Ja, verdammt!, hallt es durch meinen Kopf, während sich mein Herzschlag beschleunigt und mein Innerstes anspannt. Denn mir wäre jetzt echt danach sie zu packen und gegen die Küchenablage zu knallen, sie anzuschreien und ihr zu sagen, dass sie mich mal kreuzweise am Arsch lecken kann! Denn sie macht sich keine Sorgen, dass mir was passieren könnte, sie macht sich Sorgen, dass ich Scheiße baue! Verlogen ist das, sonst nichts!Aber so will ich nicht sein. Echt nicht. Deshalb schlucke ich meine Wut runter und sage: „Tut mir leid. Kommt nicht wieder vor.“Mom nickt. „Gut.“ Dann dreht sie sich um und holt zwei Teller aus dem weißen Schrank, der an der Wand neben dem Herd hängt und drückt sie mir in die Hände. „Stellst du die bitte auf den Tisch. Es gibt gleich Essen.“Als ich am nächsten Morgen aufwache, dringt Sonnenschein durch die Schlitze des Rollladens an dem Fenster mit dem weißen Rahmen.Noch zwei Minuten bis mein Wecker klingeln wird und mich daran erinnert, dass es Zeit ist in die Schule zu gehen. Genervt atme ich auf und starre an die Decke. Ich hab keinen Bock. Es langweilt mich. Das Einzige, das Spannung verspricht ist der heutige Biologieunterricht in der fünften Stunde. Mäuse sezieren. Der Wecker klingelt, dröhnt laut in meinen Ohren.Instinktiv schalte ich ihn aus und bleibe noch eine Weile liegen. „Danny?“, klopft es an meine Tür und lässt mich meine Augen aufreißen.Ich drehe meinen Kopf, sehe auf das weiße Holz.Es klopft ein weiteres Mal. „Danny?“„Ja?“„Du musst aufstehen. Du musst zur Schule.“, höre ich meine Mom sagen.„Komme gleich.“„Dann beeil dich. Nicht, dass du noch den Bus verpasst.“„Ja.“, rufe ich und atme genervt auf, bevor ich mich aufrichte und ins Bad trabe.Nachdem ich noch schnell ein Brötchen mit Erdnussbutter und ein Glas O-Saft, das Mom mir auf den Tisch im Esszimmer gestellt hat, verdrückt habe, greife ich nach meinem Rucksack und öffne die Tür. Mel wartet bereits auf mich und begrüßt mich, so wie jeden Morgen, mit einem Lächeln. „Hey.“„Hey.“, sage ich und laufe gemeinsam mit ihr die Straße in Richtung Bushaltestelle entlang. „Gab´s gestern eigentlich noch Ärger?“, will Mel wissen, woraufhin ich sie fragend ansehe. „Wieso?“„Deine Mom hat gestern bei uns angerufen und nach dir gefragt.“„Ja, hab ich auch mitbekommen.“„Und?“„Sie war sauer, weil ich zu spät gekommen bin.“„Warst du wieder im Wald?“ Mels grüne Augen sehen mich an. „Ja.“, sage ich, woraufhin sie verstehend nickt.Eine Weile laufen wir schweigend neben einander her, etwas das mir durchaus gefällt, bis sie wieder meint über irgendwas reden zu müssen. „Hast du das heute Nacht auch wieder gehört?“„Was?“„Den Hund von dem Typ neben euch. Der hat wieder die ganze Nacht gejault.“, sagt sie und sieht mich an. Ich nicke. „Doch.“ Wegen dem habe ich die halbe Nacht kein Auge zugemacht. Echt nervig.„Das arme Tier. Echt, der hört sich so an als würde er misshandelt werden.“„Kann sein.“„Interessiert dich das denn kein bisschen?“, meint Mel und klingt etwas empört.„Doch, schon.“, sage ich und erwidere ihren Blick. „Vielleicht wird der Arme wirklich misshandelt. Der Typ ist sowieso ziemlich gruselig. Außerdem hab ich den noch nie mit dem Hund Gassi gehen sehen.“„Ich auch nicht.“„Das ist doch wirklich seltsam. Findest du nicht?“„Doch schon.“, meine ich und sehe einen Moment hinter mich auf das Haus des Nachbarn neben uns. Wie gesagt, ich verstehe nicht was Mel sich von der Freundschaft mit mir verspricht. Vor zwei Jahren, als sie ihren Geburtstag hatte feiern wollen, hatte sie die halbe Klasse eingeladen.Um es kurz zu machen - es ist niemand gekommen. Und ich hatte auch nicht wirklich Bock dazu. Überhaupt erscheinen mir diese Riten sinnlos. Ich verstehe einfach nicht warum die Menschen so einen Aufstand darum machen, dass sie geboren wurden. Ist ja nicht so, dass man dafür irgendwas tun oder leisten muss. Jedenfalls, es war niemand gekommen. „Warum kann mich keiner leiden?", hatte Mel wissen wollen und mich mit ihren grünen Augen angesehen. Weil ich zuerst nicht wusste was ich sagen sollte, zuckte ich nur mit den Schultern. „Ich hatte mich echt gefreut.", hatte sie noch hinzugefügt und dann betrübt in die Gegend geschaut. Es machte sie fertig und sie fühlte sich allein. So viel verstand ich.Also tat ich wovon ich dachte, dass das einen Menschen normalerweise aufheiterte und begann sie zu kitzeln. „Hör auf damit.", lachte sie und begann sich zu wehren. Aber ich machte weiter.So lange bis sie sich auf dem braunen Ledersofa im Wohnzimmer vor Lachen krümmte. „Okay, es reicht. Es reicht."Einen Moment hörte ich auf und sah sie an. „Die sind es nicht wert." - Das meinte ich auch so. Ehrlich.Mel nickte, schien aber nicht wirklich überzeugt, als sie sich eine Strähne ihrer hellbraunen, glatten Haare hinters Ohr klemmte und ihre Augen wieder diesen Ausdruck bekamen.Deshalb nahm ich eine der Luftschlangen auf dem Tisch und wickelte sie damit ein und alberte mit ihr rum. So lange bis die Traurigkeit aus ihren Augen verschwand.„Danke dass du gekommen bist und für mich da warst.", meinte Mel später am Abend und lächelte. „Du bist echt ein guter Freund.“Die Wahrheit ist, hätte meine Mom mir nicht gesagt, dass ich ihr ein Geschenk besorgen und zu ihrer Party gehen sollte, wäre ich Zuhause geblieben. Aber für Mel schien das was ich getan oder nicht getan habe wirklich was zu bedeuten.Deshalb lächelte ich und sagte: „Kein Ding." Und dann umarmte sie mich.Es ist drei Uhr morgens als ich aufwache und wieder diese Geräusche höre. Genervt drehe ich mich mit dem Rücken zum Fenster und drücke mir mein Kissen auf den Kopf. Ich will schlafen, verfickt nochmal!Die Geräusche sind durch das Kissen auf meinen Ohren zwar gedämpft, werden aber auch nicht besser. Resigniert drehe ich mich auf den Rücken und sehe aus dem Fenster. Vollmond. Ob das Tier deshalb so brüllt?Das einzig Spannende war heute echt das Sezieren dieser Maus gewesen. Eine aus meiner Klasse hatte einen halben Aufstand geschoben, dass sie das keinesfalls tun würde. Ihre Prinzipien würden entschieden dagegen sprechen. Mal ehrlich, die Dinger waren sowieso schon tot. Ich hätte ja lieber was Größeres seziert. War schon verdammt cool so mit Skalpell und Handschuhen zu hantieren und das Teil aufzuschneiden und auseinander zu nehmen. Wieder höre ich es jaulen, blicke von Neuem aus dem Fenster. Weil ich sowieso nicht mehr schlafen kann, schlage ich die Decke zur Seite und stehe auf, trabe die Treppe runter und gehe über die Hintertür nach draußen.Desto näher ich dem Garten des Nachbarn komme, desto lauter werden die Geräusche. Kann das Tier nicht endlich Ruhe geben, hallt es durch meinen Kopf als ich mich auf die Zehenspritzen stelle und mich mit meinen Händen an dem großen Holzzaun festhalte um einen Blick auf die andere Seite werfen zu können.Ich sehe den Hund, höre ihn schreien. Das Tier sieht echt gequält aus. Es humpelt sogar, wie ich bei genauerem Hinsehen feststellen kann. Einen Moment überlege ich, blicke nach links zu der Tür des Nachbarn. Das Licht brennt. Aber der Typ ist nirgends zu sehen. Ich will gerade über den Zaun steigen, als ich höre wie sich die Balkontür des Nachbarn öffnet. Schnell weiche ich zurück und verstecke mich in der Dunkelheit.Ich höre schnelle, wütende Schritte, sehe wie der Typ - ein Mann Anfang 40, normale Statur, tätowierte Unterarme und Dreitagebart – auf das Tier zugeht. Es weicht instinktiv zurück und legt die Ohren an. „Langsam reicht´s mir mit dir! Halt endlich deine verdammte Fresse, du Scheißvieh!", höre ich den Kerl zischen.Das Tier verkriecht sich in der Ecke des Gartens und winselt, als ich einen Gegenstand sehe. Es will noch ein weiteres Stück zurück weichen, als der Kerl plötzlich ausholt und auf es einschlägt. Ein Schrei ertönt, verstummt aber schon in der nächsten Sekunde wieder.Als ich dieses Szenario beobachte, möchte ich dem Typ einfach nur den Hammer aus der Hand reißen und in die Fresse rammen.Einen Moment schließe ich meine Augen und atme tief durch, versuche dieses Pulsieren in mir zu kontrollieren. Als ich meine Augen wieder öffne und über den Zaun luge ist der Typ bereits wieder in seinem Haus verschwunden. Das Licht brennt, scheint durch die gläserne Tür und es herrscht Ruhe. Das Tier jault nicht mehr, liegt reglos im Gras. Daneben der blutverschmierte Hammer.Instinktiv klettere ich über den Zaun, versuche möglichst leise zu sein, während mein Herz mit aller Gewalt gegen meinen Brustkorb hämmert. Ich spüre noch immer diese Wut. Deutlich und klar. Besonders als ich wieder zu der beleuchteten Hintertür des Nachbarn blicke. Mein Blick fällt auf den Hammer vor mir. Intuitiv hebe ich ihn auf, betrachte wie er in meiner Hand liegt. Spüre wie er sich anfühlt.Am liebsten würde ich die Glastür zertrümmern und mit dem Nachbarn dasselbe machen was er mit dem Hund gemacht hat.Er hätte es verdient, keine Frage. Aber es wäre falsch. Deshalb drehe ich mich um und knie mich zu dem Tier, taste nach seinem Herzschlag und horche nach seinem Atem. Das Herz schlägt. Schwach, aber es schlägt. Es atmet auch noch. Ein gutes Zeichen. Es muss also nur zu einem Arzt, denke ich, bevor ich es aufhebe, noch einmal zu der beleuchteten Glastür blicke und es schließlich mitnehme. Ich komme gerade in unserem Garten an, als meine Mom im Türrahmen steht und erschrocken die Hand vor den Mund schlägt. „Oh mein Gott, Danny, was hast du getan?!"
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2013
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