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Anfang

 

Crushing Crystals

Band 1

 

Splitter der Vergangenheit

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Fantasy

JESSICA R. SKYES

Prolog

 

Die kühle Klinge seines Schwertes blitzte auf. Wie in Zeitlupe sah ich sie auf mich zukommen.
Ich wusste, ich müsste mich wehren, dürfte nicht zulassen, getroffen zu werden, doch noch immer taumelte ich vom zuvor erfolgreich abgewehrten Schlag zurück. Es gab keine Chance. Die Schwere seines Schlages hatte es mir unmöglich gemacht, nun auch noch mit seiner Schnelligkeit mitzuhalten.
Taubheit breitete sich in meinem Körper aus, als mich das Schwert langsam durchbohrte.
War es das? Mein Ende?
Mein Kopf war wie leer gefegt, als ich auf das dunkelrote Blut sah, welches meinen Körper hinunterlief.
Sein Stich hatte eine unerträgliche Kälte hinterlassen. Ein Gefühl von  Verrat, zerstörter Hoffnung. Diese Verletzung war weit mehr als nur körperlich. Nie hätte ich gedacht, dass es soweit kommen würde.
Ich blickte in seine eisig, ausdruckslosen Augen.
Bis zum letzten Augenblick hatte ich gehofft, es würde alles wieder so werden wie damals. Aber nichts würde jemals wieder so sein.
Wir waren es, die verloren.
Mein Blick schweifte über das Feld, alles wirkte so langsam.
Der Tag meines Todes sollte nicht dieser sein und auch von keinem anderen hier. Ich wusste, es war für mich wahrscheinlich zu spät, doch vielleicht nicht für sie.
Wir waren so töricht gewesen, hatten nicht erwartet, dass es so viele von ihnen gab und vorallem nicht, dass sie so stark waren.
"Rückzug!", schrie ich mit letzter Kraft und wusste, sie waren mir einig. Sie alle waren kurz vorm Ende ihrer Kräfte.
Mein Blick fiel ein letztes mal zurück auf ihn. Sein Schlag hatte getroffen und er wusste genau, mehr war nicht nötig, das konnte ich in seinem Gesicht ablesen. In dem selben Gesicht, in dem ich einst Wärme sah. In dem Gesicht, das mir jetzt nichts weiter als Verachtung entgegen brachte.
Ich sterbe... seinetwegen...

-Zeit Unbekannt-

 

Kapitel Eins - Perthecia

 

Wütenden Schrittes stapfte ich durch den Wald. Ihre Worte aus einem vorherigen Gespräch hallten mir durch den Kopf. Sie verfolgten mich wie Schatten im hintersten Teil meines Verstandes. Es waren die üblichen Dinge, die sie sagten, wenn ich das Wort Wächter auch nur in dem Mund nahm. Als würde es jeder von ihnen lieben, mich am Boden zu sehen - meine Träume gänzlich platzen zu lassen.
Dabei hätte alles anders laufen sollen! Heute sollte sich mein Leben für immer ändern. Ich sollte nicht länger das kleine Kind sein, das alle immer nur belächelten. Das Kind, welches sie für viel zu schwach hielten.
Heute hätten sie mich endlich ernst nehmen sollen!
Ich wusste, das war, was ich tun wollte - was das Beste für mich war. Und das war ein Teil hiervon zu sein. Ich hatte all meine Ressourcen darin investiert zu trainieren und zu lernen. Denn ihnen war mein Alter egal gewesen. Ob mit zwölf oder mit neunzehn, immer wurde ich beiseitegeschoben und wie ein Kind behandelt.

"Du bist nicht stark genug"
"Du kannst ja nicht mal kämpfen"
"So gewinnst du keinen Krieg"
Jedesmal dieselbe Leier, dieselben einseitigen Ansichten.
Hier ging es nicht um Gewalt oder Krieg. Hier ging es um Verteidigung und Hilfe.
Wir waren es, die das Leben der Menschen besser machen und mit gutem Beispiel vorangehen sollten.

Krieg verhindern und die Welt zu einem besseren Ort machen. Das war es, was Goran Pertuos, der Gründer der Perthecia wollte.
Viele waren seinem Beispiel vor hunderten Jahren gefolgt. Und auch heute noch, kamen die Menschen freiwillig.
Wir waren überall und ein Teil davon zu sein war nicht schwer. Meine Eltern, meine Geschwister und auch der Rest der Familie hatte sich ebenfalls dazu entschieden. Jeder trug seinen Teil dazu bei, zur Gesellschaft zu gehören. Ihr zu helfen.
Vielleicht waren meine Schwestern damit zufrieden, Schreibtischarbeit zu übernehmen, doch ich wollte lieber ein Wächter sein. Den Menschen aktiv helfen.
Aber dafür erntete ich jedes mal aufs Neue nichts weiter als Gelächter.

Ich bin nicht dafür gemacht.
Ich stockte, blieb kurz stehen und seufzte. Anstelle von Wut, die eben noch wie ein Feuer in mir gebrannt hatte, zeigte sich nun der Schmerz und warme, löschende Tränen liefen über mein Gesicht. Vorsichtig lehnte ich mich gegen einen breiten Laubbaum und sank zu Boden.
Sie hatten mir nicht mal eine Chance gegeben...

Ich war direkt zu Tyrius Hokamm geschritten. Einer der Elter.
Die Elter, waren so etwas wie Anführer. Sie waren keine alleinigen Herrscher. Mehr eine Gruppe, die zusammen Entscheidungen traf, sich berieten und uns in unsere Rollen halfen. Sie sollten das Ziel Goran Pertuos' verfolgen.
Mit meinem sechzehnten Lebensjahr bot ich ihnen meine Hilfe an. Sie kannten meinen Traum und ich wusste, ich war nicht das, was sie erwarteten, wenn sie an einen Wächter dachten. Ich war nicht die Größte, nicht die Stärkste - im Gegenteil. Aber eins war ich und das war eine Kämpfernatur. Nicht im gewalttätigen Sinne, ich wusste eher, wie man überlebte und das beste aus einer Situation machte.

Mein Leben startete nämlich nicht wie das der meisten Kinder. Meine Eltern hatten viel um mich gebangt. Ich war das Kind, das fast gestorben wäre, noch bevor es hätte geboren werden sollen. Ich betrat diese Welt schwach und nicht lebensfähig. Ein winziges Wesen, selbst zu kraftlos zum Weinen.  Die Heiler kämpften genau wie ich, um mein Leben und ich überlebte.
Auch wenn meine Kindheit nicht war, wie die der anderen Kinder, wurde aus mir eine junge Frau, die bereit war, Teil von etwas Großem zu sein.
Doch meine Zierlichkeit und der damit verbundene Ruf stellten sich mir seit Jahren in den Weg.
Für alle war ich das kleine, kranke Mädchen. Eine Porzellanpuppe, die zerbrach, würde man sie nur anfassen.
Sie ließen mich im Schrank verstauben. Dort, wo ich lag, damit sie sicher sein konnten, dass nichts passierte.

Das war mein Schicksal seit zweiundzwanzig Jahren.
Nie hatte ich etwas anderes zu spüren bekommen und trotzdem traf es mich jedes Mal aufs Neue mit der Wucht eines Hammers.

Ich wusste nicht einmal, warum ich eine andere Antwort erwartet hatte, als die, die ich schon mit sechzehn bekommen hatte.
Büroarbeit, das war es, was ich hätte tun sollen. Nicht ein mal Strategien und Vorgehensweisen planen.
Einfach nur dasitzen und Dinge durchsehen, die jeder Zehnjährige hätte prüfen können. In mir steckte so viel mehr.
Doch hatte ich sie nicht überzeugen können, mich als Wächter zu nehmen oder wenigstens zu trainieren. Deshalb stürzte ich mich in die Alchemie und Kräuterkunde. Aber auch dies war ihnen nicht wirklich recht gewesen.
Allerdings folgte ich ihren Worten nicht. Ich kam vielleicht nicht ganz drum herum, mich vom Büro fernzuhalten, doch mochten mich zwei der Alchemisten so sehr, dass ich viel Zeit damit verbringen durfte, von ihnen zu lernen. Und wenn ich dies nicht tat, las ich und trainierte. Wobei das Training meines Körpers immer die meiste Zeit beanspruchte, denn es war auch das, was mir am schwersten fiel.

Erneut seufzte ich.
Ich hatte so viele Fortschritte gemacht. Und auch wenn die Elter mich als intelligent und wissbegierig bezeichneten, so nahm mich doch niemand ernst. Weder sie noch irgendjemand sonst.
Grob wischte ich mir mit den Händen über das Gesicht. Meine Augen brannten und mein Kopf pochte. Wild schüttelte ich den Kopf, als könnte ich alles von mir abschütteln. Genauso wie ein Hund das Wasser von seinem Fell vertreiben konnte.
"Verdammt!", fluchte ich laut und stand wieder auf.
"Solche dummen Idioten!", grummelte ich. Doch mein Ärger über diese Situation war plötzlich vergessen, als ein Schrei gellend durch den Wald schallte.

Hastig wandte ich den Kopf in alle Richtungen, konnte jedoch nichts anderes finden als die üblichen hellen Gewächse.
Als ein weiterer Schrei ertönte, wandte ich mich in die Richtung aus der ich annahm, dass dieser Ton gekommen sein musste. Und ich sollte recht behalten. Wie in Trance lief ich leise um die Bäume und wich den raschelnden Sträucher tänzelnd aus. Schon bald vernahm ich aufgebrachte Stimmen, die mich weiter leiteten und meine Schritte immer mehr beschleunigen ließen.

 

 

Schleichend suchte ich mir ein Versteck hinter ein paar grünen Büschen. Auf einer kleinen Lichtung standen zwei große Männer mit seltsamer Bekleidung, fast wie eine Art Uniform, welche ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie zeichnete ein dunkles Grün, gemischt mit Braun und gehörte zu keiner mir bekannten Gruppe oder einem Volk.
Vor ihnen kniete eine weinende Frau auf dem Boden, neben ihr ein Korb aus dem allerlei Lebensmittel gefallen waren.

"Du hattest deine Chance!", brummte der größere der beiden.
Das Weinen der Frau wurde heftiger.
Der zweite lies einen Dolch in seinen Händen kreisen, von dem Blut abzuperlen schien. Ich zuckte zusammen. Hat er die Frau verletzt?
Schoss es mir noch in den Kopf, doch dann sah ich zwei Meter entfernt von ihr ein Kind am Boden liegen. Unter seinem reglosen Körper breitete sich eine blutige Lache aus.
Mein Hals schnürte sich zusammen.
"Keine Sorge, du wirst ihr bald folgen." Mit diesen Worten packte der Große die Frau am Kragen, hob sie nach oben und betrachtete sie, während er ihren Körper abwechselnd  leicht nach links und nach rechts wiegen ließ.
"So ein hübsches Ding", lachte er dreckig und strich dabei über ihr blondes Haar und ihre tränennasse Wange.
Mist mist mist...
Ich musste etwas tun - mir was einfallen lassen, bevor es zu spät war.

Das Zittern meines Körpers wurde stärker.
Ich war mir sicher, mit einem könnte ich es aufnehmen. Aber zwei, plus ein Dolch, der noch mehr Gefahren mit sich brachte... Das war nicht wie im Training, es war keine Übung, bei der wir Stopp rufen konnten. Dies hier war echt.
Was würde ein Wächter tun?

Erneut musterte ich die beiden. Meine Entscheidung musste schnell fallen - ein guter Plan war nötig, aber dafür gab es keine Zeit.
"Lasst sie sofort los! Ansonsten...", schrie ich und konnte den Satz nicht einmal beenden, denn ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Aber vielleicht würde ich sie genug Ablenken, damit die Frau rennen konnte. Nein... Sie war zu aufgelöst, sie würde sich nicht bewegen.
Ihre Blicke wanderten zu mir und sie lachten. Verdammt...
"Ansonsten was?", fragte der eine mit gespielt trauriger Miene, als würde er gleich weinen.
Wieder einmal nicht ernst genommen zu werden, entfachte solch eine Wut in mir und ich sah rot. Ich hatte sie gewarnt...
Mit all meinem Mut stürmte ich, aus dem Busch, auf den kleineren der beiden zu, um ihn zu entwaffnen.
Zu meinem Glück hatte er das nicht erwartet, die beiden Mistkerle waren erneut zu sehr auf die arme Frau fixiert gewesen. Sie hatten mich nie und nimmer als Bedrohung eingestuft.
Ich schlug gegen seinen Arm, wodurch er abrupt loslassen musste und schnappte mir den Dolch.
Kurz war er verwirrt, doch versuchte er sofort mit der anderen Hand nach dem Dolch zu greifen, weshalb ich ihn, noch im selben Schwung, in das nächste Gebüsch warf.
Soweit so gut. Wollte ich mich noch loben, da kassierte ich den ersten Schlag. Schmerzerfüllt stöhnte ich auf und taumelte einige Schritte zurück.
"Kleines Miststück!", fluchte er.
Der Große lies wütend die Frau los und noch bevor sie zu boden fiel, trat er mit aller Kraft gegen sie, sodass sie ein ganzes Stück von dem Geschehnis weg rollte.
Sie verstummte.
Scheiße...
Ich sah ihr besorgt hinterher.
Das hatte ich nicht erwartet.

Er kratzte sich am Bart und verschränkte die Arme.
"Lässt du dir das von einem kleinen Gör gefallen?", zog er seinen Kameraden auf. Wie auf Kommando änderte der kleinere mit Glatze seine Haltung und ich wusste, jetzt würde er ernst machen. Auch ich versuchte mich in Verteidigungsstellung zu bringen und hob die Fäuste. Doch beide lachten nur. Genervt schlug er mit der rechten Faust nach mir, doch wich ich gekonnt aus. Gleich danach seine Linke, und auch dieser Schlag verfehlte.
Sein Gesicht begann regelrecht rot zu leuchten und die ersten Schweißperlen sammelten sich an seiner Stirn. Zwei weitere Schläge folgten und mit jeder ausweichenden Bewegung meinerseits, wurde der stechende Schmerz in meinem Brustkorb schlimmer.
Sein erster Schlag saß immernoch tief und ich musste bald fast nach Luft ringen.

Glatzkopf wirkte ungeduldig und änderte, zu meinem Überraschen, seine Taktik.
Er stürzte sich auf mich, warf mich um und drückte mich mit seinem ganzen Gewicht zu Boden.
Ich landete direkt mit meinem Steißbein auf einer Wurzel und Tränen sammelten sich in meinen Augen.
Leidvoll verzog ich mein Gesicht.
Binnen Sekunden stand er auf und packte mich. Mit Leichtigkeit hatte er mich hochgehoben, als würde ich nichts weiter wiegen, als ein Stoffpüppchen.
Ich klammerte mich an das erste was ich zu fassen bekam - Eine Art Verzierung an seinem Ärmel. Es riss, als er mich einige Meter weit, auf die harte Erde warf und ich bis zu einem Dornenbusch rollte.

Alles drehte sich. Mein Körper konnte sich nicht entscheiden, ob er sich Taub anfühlen sollte, oder ob jeder Knochen einzeln schmerzte. Eine schreckliche Übelkeit hatte mich zusätzlich eingenommen, gegen die ich ankämpfen musste.
Jeder Versuch mich selbst aufzuheben scheiterte erbärmlich. Meine Arme gaben einfach nach.
Reiß dich zusammen, du musst stark sein!
Ich kniff die Augen einige male heftig zusammen, bis meine Sicht langsam klarer wurde. Im Busch funkelte etwas zwischen den grün bis dunkel violetten Blättern. Es war der Dolch gewesen, den ich dem Kleinen weggenommen hatte.
Das ist deine einzige Chance!

Glatzkopf lachte abermals wild und auch der Typ mit dem Bart stimmte ein, bewegte sich aber keinen Zentimeter.
"Das kommt davon, wenn man eine zu große Klappe hat!"
Mit zielgerichteten Schritten ging der Kleinere auf mich zu.
Ich nahm meine letzte Kraft zusammen und robbte mich vor ins Gebüsch.
"Oh, sie versucht zu fliehen", die Stimme des Großen klang affektiert.
"Ich glaube, ich nehme sie mir mit." Ein laszives Lächeln machte sich auf Glatzkopfs Mundwinkeln breit.

Die Dornen wirkten wie tausend kleine Nadelstiche und schnitten in meine nackte Haut an den Armen und am Hals, doch ich musste es ignorieren, wenn ich überleben wollte oder gar, um schlimmeres zu vermeiden.

Gerade als ich den Dolch mit den Fingerspitzen berührte, krallte Glatzkopf sich mein Bein und zog mich mit festem Ruck zurück.
Ungehobelt packte er meine Schultern und wollte mich mit dem Gesicht zu sich drehen. Das war meine Gelegenheit.
Mit einem Schwung rammte ich ihm die Klinge in den Bauch. Er schrie wütend auf.
Ich hielt den Griff noch immer fest umklammert und zog den Dolch zurück. Aggressiv richtete er sich auf, hielt eine Hand auf seine Wunde und trat erneut auf die Stelle an meinen Rippen, die er zuvor schon ein mal getroffen hatte. Ich keuchte und der Dolch fiel aus meiner Hand.
Um mich herum begann alles zu verblassen. Es war als würde ein Horn in meinen Ohren dröhnen und ich konnte kaum noch meine Augen offen halten, bis die Dunkelheit letztendlich alles eingenommen hatte.

 

 

 

Wie ein leises Summen in der Ferne schwankend, mal näher, mal weiter weg, konnte ich etwas hören.
Hier war es warm. Eine angenehme Wärme, wie ein prasselndes Lagerfeuer in einer späten Vaesru*nacht. So friedlich und geborgen. Alles war gut.
Langsam kehrte meine Erinnerung zurück. Bruchstückhafte Bildfetzen, einzelne Worte, kleine Details bevor ich das Bewusstsein verloren hatte, schossen mir durch den Kopf. Doch diesmal waren sie anders. Ich sah nicht die zwei unbekannten Männer dort stehen, es war diesmal ein vertrauter Anblick und doch konnte ich ihn nicht einordnen. Er war greifbar nah und doch bekam ich ihn nicht zu fassen.
Ich hatte gekämpft und war verletzt worden. Warum spürte ich nichts davon?
Das Summen wurde lauter - nicht nur das, es wurde auch klarer. Worte formten sich in meinen Gedanken.
Jemand unterhielt sich neben mir.

"Das wird schon wieder...", die Stimme klang beruhigend und freundlich.
"Es hätte gar nicht erst passieren dürfen!", eine weitere weibliche Stimme wirkte aufgebracht.
Sie sorgte dafür, dass sich plötzlich alles anders anfühlte. Weniger friedlich, dafür schmerzhafter. Ich spürte ein Stechen in meinen Rippen und verzog das Gesicht.
Nein...
Abrupt schlug ich die Augen auf.
Verwirrt starrten mich meine Mutter und ein Heiler an, doch hielt ich ihrem Blick nicht stand und sah zur Seite.
Das hier war ein Krankenzimmer.
Die Männer hatten mich nicht mitgenommen oder gar umgebracht. Stattdessen musste mich jemand gefunden haben, der es mit ihnen hatte aufnehmen können.

"Ery!" Sorgenvoll ließ meine Mutter sich auf der Bettkante nieder und auch der Heiler machte einige Schritte in Richtung meines Bettes.
"Endlich bist du wach." Ich blickte etwas benommen in seine dunklen Augen. Es war Tharan Beifass, einer der besten Heiler unserer Stadt.
Er kannte mich und ich ihn, das war nicht unsere erste Begegnung und nach der Zehnten hatte ich aufgehört zu zählen.
Ein freundliches Lächeln umspielte seine Züge.
"Möchtest du etwas trinken?" Meine Mutter wirkte hektisch und hielt mir ein Glas, voll mit Wasser, direkt vor die Nase. Vorsichtig nahm ich einen Schluck, doch als die kühle Flüssigkeit meine Kehle hinunter lief, hinterließ sie ein fürchterliches Brennen und ich würgte . Ausgelaugt wand ich mich ab.

"Ich möchte dich nicht überanstrengen, Erytheia", begann Tharan sanft, "Du hast eine angebrochene Rippe, einige Prellungen, Schnitte und eine Gehirnerschütterung. Du hast also viel einstecken müssen."
Er senkte sein Klemmbrett, als würde ihm der nächste Teil schwerfallen. "Kannst du sprechen und uns erzählen, was passiert ist?"
Gute Frage. Konnte ich sprechen? Allein ein simpler Schluck Wasser hatte mich in die Knie gezwungen und auch das Atmen war nicht ohne. Mein schmerzender Körper machte mir zu schaffen. Am liebsten hätte ich den Kopf im Kissen vergraben und geweint, aber das war nicht stark. Das war nicht das, was ein Wächter tun würde.
"D-die F-ffrau..." Oh Götter, dieser Schmerz. Mehr als diese zwei Worte kamen nicht aus meinem Mund, aber ich musste wissen, wie es ihr ging. Für sie hatte ich all das getan.
Beschwichtigend hob Tharan die Hände. "Ihr geht es den Umständen entsprechend. Sie hat ebenfalls einige schwere Verletzungen und ist noch nicht aufgewacht. Aber sowohl die Elter, als auch ich, würden gerne wissen, was passiert ist. Als man dich fand, lag ein Dolch mit unbekannten Gravierungen neben dir und deine Hand hielt ein Wappen umschlossen. Ebenfalls von unbekannter Herkunft", erklärte er und ich war gleichzeitig verwundert und beruhigt.
Die Frau lebte und die Männer waren geflohen. Ohne Dolch und ohne ihre Spuren zu verwischen. Profis waren das offensichtlich nicht. Das Blut an der Waffe könnte sich als hilfreich erweisen. Auch wenn er nirgendwo registriert war, hatten wir somit einen Ausgangspunkt für die Suche. Ein einfacher Blut Zauber könnte reichen.

"D-der Dol-ch... Dd..as Blut", stotterte ich mit aller größter Mühe.
Tharan wusste sofort, was ich meinte. Er verstand mich fast immer.
"Das Blut ist vom Angreifer oder?"
Ich nickte stumm und er öffnete die Zimmertür einen Spalt, um eine Schwester zu ihm zu rufen. Binnen Sekunden kam sie angerannt und er flüsterte ihr etwas zu. Die genauen Worte konnte ich nicht verstehen, doch es würde sich zweifelsfrei darum drehen, sofort das Blut vom Dolch sicherzustellen und zu untersuchen.
Kaum war er fertig, gehörte Tharans volle Aufmerksamkeit wieder mir.
"Mach langsam Ery." Wie ich es liebte, wie er meinen Namen aussprach. Seine Stimme war immer sanft und angenehm zu hören.
"Ich weiß, du bist eine Kämpferin, aber übernimm dich bitte nicht.", er klang ehrlich besorgt. Und meine Mutter, die nicht von meiner Seite gewichen war, stimmte ihm augenblicklich zu, es ruhig anzugehen.
Mir war klar, warum sie ihm das meiste Reden überlassen hatte. Sie wusste ganz genau, ich würde nicht so viel protestieren, wie bei ihr. Das lag jedoch daran, dass er schlicht die besseren Argumente hatte. Was er sagte, war nicht zufällig. Es war nicht einfach nur gegen mich. Er war ehrlich, aber auch unterstützend. Einfühlsam, aber auch realistisch.
In seinen Augen war ich nicht das kleine, schwache Mädchen. Ich war die starke Kämpferin, die all das überleben konnte, was ihr das Leben an Hindernissen vor die Füße legte.

"Du ruhst dich erst mal aus, die Elter wollen dich ebenfalls sprechen, zu dem Vorfall, aber ich werde sie vorerst abwimmeln, mach dir da keine Sorgen. Bis auf deine Familie und zwei Krankenschwestern, die sich um dich kümmern werden, weiß niemand sonst, dass du hier bist.
Du bist stark, dir wird es bald besser gehen." Wieder bedachte er mich mit seinem warmen Lächeln und eine helle Locke fiel ihm ins Gesicht. Ich war stolz auf mich. Ich hatte es mit zwei großen Kerlen aufgenommen und trotz aller Widersprüche überlebt. Wie gerne hätte ich ihnen davon erzählt. Und zur gleichen Zeit wollte ich schweigen. Es war mit Sicherheit nicht das Klügste gewesen, was ich je getan hatte. Immerhin lag ich hier in einem Krankenhaus. Was würden sie nur dazu sagen, wenn sie wüssten, wieso. Ich konnte das Kopfschütteln meines Vaters und der Elter jetzt schon bildlich sehen.

Mein Hals schmerzte und ich war so unfassbar müde, dass ich nichts lieber wollte als schlafen.
"Wir sollten ihr noch etwas Schmerzmittel geben.", forderte meine Mutter in einem ruhigen Ton.
Tharan war dem nicht abgeneigt, sicher hielt er es auch für nötig und auch ich würde nichts dagegen haben. Ein Tropf war an meiner Hand befestigt, durch den das Mittel langsam in meinen Körper landete. Das wohlige Gefühl kam zurück, welches ich noch vor dem Aufwachen hatte und ich entspannte mich.
Erst jetzt hatte ich gemerkt, wie verkrampft ich doch gewesen war.
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Mit jedem vorbeiziehenden Tag wurde alles besser. Tharan hatte sein Wort gehalten und die Elter vertröstet. Wenn er nicht sagte, dass es mir gut genug ging für ein Gespräch, waren sie machtlos.
Meine Fähigkeiten zu sprechen waren zurückgekehrt. Sie waren sogar gut genug, um alles zu erzählen, was ich auch tat. Wenn erst mal auch nur Tharan.
Es sollte ein Probelauf sein, um mit den Elter zu sprechen und nichts wichtiges auszulassen.
Nervös hatte ich auf der Bettkante gesessen, und wusste nicht ganz so recht, wie ich anfangen sollte, da hatte Tharan soetwas  gesagt wie: "Ich weiß, dass das eine schwierige Erfahrung für dich war. Aber bitte sei dir bewusst, dass du immer mit mir reden kannst, egal was ist. Ich werde nichts von dem was du tust oder getan hast jemals verurteilen. Und wenn du dich doch noch nicht bereit fühlst, dann ist das auch in Ordnung. Lass dir Zeit."
Und das war es, was mir letztendlich die Kraft gegeben hatte, ihm jedes Detail zu erzählen.
Natürlich hatte er so reagiert, wie ich es von ihm erwartet hatte. Gelassen, an manchen Stellen auch ergriffen und immer verständnisvoll und ehrlich.
Auch meine Familie kam zu Besuch. Sie hatten mich mit ihren Fragen überrannt, doch ich schwieg zunächst. Eine Person war schon genug, die bescheid wusste. Mehr brauchte es nicht vor dem Gespräch mit den Elter.

 

*Vaesru = Ein Jahreszeiten Abschnitt ähnlich unseres Sommers

Kapitel Zwei - Misstrauen

Misstrauisch blickte ich in den Spiegel und musterte mich selbst.
Meine Haut war noch blasser gewesen, als je zuvor und ein großer Kratzer zog sich über meine Wange.
Die Farbe in meinen Augen war nur noch ein fahles Grau. Auch meine Rot Braunen Haare sahen aus wie eine einzige Katastrophe, doch jeder versuch sie zu bändigen scheiterte.
Ich seufzte und band sie nervös zu einem Zopf hoch. Nicht meine beste Arbeit, aber das müsste reichen.
Auch hatte ich mich heute für lange und bequeme Kleidung entschieden. Man sollte nicht sehen, was passiert war, aber ich wollte auch nicht bei jeder Bewegung noch mehr Schmerzen haben, wenn der Stoff auf meine Verletzungen drückte.

Die Klinke der Tür klickte, überrascht drehte ich mich um und sah meinen Vater im Anhang mit Tharan eintreten.
"Bist du fertig?", fragte er selbst etwas aufgeregt. Ich nickte und konnte meine Sorge nicht herunterspielen. Tyrius Hokamm hatte mich nie sehr ernst genommen, noch war er überzeugt davon, dass ich irgendetwas anderes konnte als lesen. Wieso sollte es diesmal anders sein?
Geschweige denn, der Rest der Elter, die ihm nie zu widersprechen schienen.
"Das wird schon gut gehen.", versuchte Tharan mich zu beruhigen. Und wäre meine Aufregung nicht zu groß gewesen, hätte ich ihm sicherlich dafür gedankt.
"Lass uns gehen."
Tief atmete ich durch, bevor wir uns zum Gebäude der Elter begaben.

Das Krankenhaus lag relativ Zentral in unserer Stadt, sowie auch der Ort, an dem die Elter auf uns warteten.
Ein großer Park trennte die beiden Orte. Er war die genaue Mitte. Um ihn herum fand man alles wichtige. Und in ihm selbst, gab es oft Feste.
Die frische Luft, in meinen Atemwegen, tat mir gut und hätte mich fast, mich besser fühlen lassen, wären hier nicht viel zu viele Kinder schreiend umher gerannt.

Tharan wurde viel gegrüßt, jeder freute sich ihn zu sehen. Nur wenige hatten mich erkannt. Jedoch war ich es gewohnt in den Schatten zu wandeln, denn wenn ich doch ein mal aufgefallen war, dann alles andere als positiv. Die Menschen hatten ihre Vorurteile und besonders Kinder konnten da grausam sein.

Vor den Toren des Ratshauses stoppten wir. Es war nicht verschlossen gewesen, das war es aber auch fast nie.
Ich sah zu den beiden rüber und auch ihr Blick ruhte auf mir.
Ich konnte jedoch nicht ganz aus ihren Gesichtern lesen, was sie wohl dachten.
"Beifass, Lapidras", rief eine Stimme.
Einer der Elter kam auf uns zugelaufen. Er öffnete das Tor, als wollte er uns willkommen heißen und schüttelte sowohl die Hand von meinem Vater, als auch die von Tharan.
Er lächelte die beiden an, dann sah er zu mir herüber und deutete eine Verbeugung an.
"Und du musst die junge Erytheia sein, Carnos Tochter. Ich bin Juvier Zagarmos. Du kannst mich nur Juvier nennen.", stellte er sich höflich vor.
Ich hatte ihn schon öfter gesehen, aber mir nie wirklich seinen Namen gemerkt. Er war eines der neueren Mitglieder der Elter, hatte kühles hellbraunes Haar, welches bereits dabei war zu ergrauen und ein viereckiges Gesicht mit kleinen Fältchen an den Augen, die ihn freundlich aussehen ließen.
"Freut mich sie kennenzulernen.", log ich höflich. Normalerweise hätte es mich sicher gefreut einen der Elter kennenzulernen, um meine Chancen auf den Posten eines Wächters zu stärken, jedoch heute... Heute spielten meine Gedanken verrückt. Die Aufregung vor dem anstehenden Gespräch war dafür verantwortlich gewesen.
Sein Lächeln wurde breiter. "Sehr gut erzogen, hast du sie." Juvier nickte meinem Vater bedeutungsvoll zu, der mich wiederum voller Stolz betrachtete. "Danke, wir haben uns die beste Mühe gegeben."
Ich musste ein rollen mit den Augen unterdrücken.
"Der Rest der Elter wird sicherlich warten", stellte Tharan fest, obwohl es eher wie eine Aufforderung klang. Er wusste, ich würde mit jeder Sekunde, die wir hier länger standen, nur nervöser werden.
"Du hast recht, folgt mir bitte. Ich habe die Aufgabe euch in den Saal zu führen." Juvier zeigte in Richtung der Eingangstür, während er schon dabei war zu ihr zu laufen.

Wir schritten die Treppen empor, bis hoch in den zweiten Stock. Unterwegs hatte ich eine kurze Pause gebraucht, meine Rippen schmerzten immernoch. Tharan reichte mir eine grünliche Tablette und befahl mir langsamer zu machen. Auch bat er Juvier um ein Glas Wasser, welches mir eine nette Dame brachte, die hier wohl arbeiten musste.
Die Wirkung zeigte sich natürlich nicht gleich und auch das Atmen war wirklich anstrengend. Ich seufzte innerlich, bei dem Gedanken, dass sowas bis zu 6 Wochen dauern konnte, bevor es geheilt war. Ich konnte nur hoffen, dass es mit jedem weiteren Tag besser sein würde.
Ruhig nahm ich ein paar weitere, tiefe Atemzüge. "Ery...", begann mein Vater stark besorgt. "Ich wusste das war zu früh, du bist nicht..."
"Mir geht es gut. Ich schaff das", schnitt ich ihm sofort das Wort ab. Niemals wollte ich seine Worte hören, die nun folgen würden. Um jeden Preis musste ich es unterbinden.
Angespannt löste ich mich aus meiner vor Schmerz gekrümmten Position und richtete mich auf.
Du bist stark Ery, du kannst das. Du musst nur den Willen dazu haben.
Zielstrebig trat ich an ihnen vorbei, um unseren Weg fortzusetzen. "Aber...", begann mein Vater erneut, doch diesmal war es Tharan, der ihn unterbrach. "Los komm schon alter Mann.", neckte er ihn lachend und legte einen Arm auf seine Schulter, bevor er mir nach ging.
Juvier hatte mich eilig überholt.
"Wir sind gleich da.", beteuerte er.

Nach einigen Metern standen wir vor einer großen grauen Tür mit weiß bis goldenen Ornamenten. Mit einem leisen knarren schwang sie auf. Ich hatte nicht ein mal Zeit gehabt, abermals über die ganze Sache nachzudenken.
Wir blickten in den Raum, mit ca. 15 Leuten, die uns erwartungsvoll entgegen sahen. Juvier nickte ihnen zu und betrat als erstes den Raum, dicht gefolgt von uns dreien.
"Ah, da sind unsere Gäste ja endlich.", unterbrach Elter Hokamm die Stille.
"Sieht aus als wären wir damit vollzählig.", fügte Thomandruf Fazz hinzu. Hokamm nickte und zeigte auf einige leere Plätze auf der rechten Seite.
Der Tisch in diesem Raum war fast wie ein Kreis angeordnet. Er hatte vorne bei der Tür jedoch eine Öffnung. In der Mitte war ein Podium und genug Platz um viele weitere Menschen dort hinein zu stellen.
Direkt gegenüber des Eingangs fand Tyrius Hokamm seinen Platz, man hatte ihn also beim betreten des Raumes direkt sehen müssen.
Er war ein älterer Herr, hellgraues Haar und kantiges Gesicht.
Zu seiner Rechten saß Thomandruf Fazz und einige Plätze weiter war ein freier Stuhl, der wohl Juvier gehören musste.

"Willkommen, setzt euch zunächst ein Mal, bevor wir fortfahren."
Zögerlich begab ich mich zu den leeren Stühlen, denn ich wusste, jeder ihrer Blicke ruhte gerade auf mir. Tharan zog mir den Stuhl in der Mitte nach hinten, sodass ich genau zwischen ihm und meinen Vater Platz nahm. Vermutlich deshalb, weil mich so beide unterstützen konnten. Ich dankte ihm mit einem schwachen Lächeln.
Zur Linken von Elter Hokamm erhob sich ein älterer Herr.
"Vielen Dank für euer Kommen ihr Drei." Auf seinem Namensschild, welches sich vor ihm auf dem Tisch befand, konnte ich seinen Namen lesen. Gwot Pulao, er war ein weiteres bekanntes Gesicht der Elter.
Nun wand er sich der ganzen Runde zu und legte seine fahle Stirn in Falten. "Wie ihr alle wisst, sind wir heute hier, um die Ereignisse des 27. Aphes* zu besprechen. Und um herauszufinden, welche Bedrohung jetzt, unseren Frieden zu stören versucht." Er machte eine kurze Pause und setzte sich.
Mein Kopf musste für einen Moment ausgesetzt haben, denn ich hatte fast nicht mitbekommen, wie folgende Worte durch den Raum hallten:
"Herr Brunn, würden sie uns bitte mitteilen, was sie an jenem Tag sahen."
Erleichtert atmete ich aus - ich musste nicht als erstes sprechen. Doch so ganz wollte mein Körper dies noch nicht begreifen, denn meine Brust fühlte sich immernoch wie zugeschnürrt an.
Herr Brunn richtete sich auf und räusperte.
Sein blonder Oberlippenbart verdeckte die Hälfte seiner Lippen, doch ich war mir sicher, dass seine Mundwinkel nach unten zeigten.
An seinem Arm befand sich ein Abzeichen, es war das eines Wächters. Er war ebenfalls dort gewesen?
"Natürlich. Mein Partner, Carsom und ich, waren gerade in Richtung Faridae, aus Quarteth kommend, unterwegs, als wir auf einer Lichtung im Wald Schreckliches sahen. Ein.. ein junges Mädchen lag auf dem Boden, sie hatte diverse Stich und Schnittverletzungen. Leider war sie bereits verstorben, als wir eintrafen.
Einige Meter weiter, waren am Boden verstreut, Nahrungsmittel und Vorräte. Nicht weit davon fanden wir die Mutter der Kleinen, ebenfalls schwer verletzt, aber sie lebte. Dort musste eine schreckliche Auseinandersetzung stattgefunden haben. Carsom sah etwas abseits des ganzen, dann noch ein weiteres Mädchen liegen, auch verletzt, doch am Leben. Bei ihr fanden wir einen Dolch und ein Abzeichen, einer uns unbekannten Gruppe. Natürlich forderten wir gleich Verstärkung an. Es waren Fußspuren dort, vermutlich von Männern, aber wir und die anderen zwei Teams konnten nichts finden. Auch der Schutztrupp nicht."
Ich erstarrte, als ich realisierte, dass es für das kleine Mädchen zu spät gewesen war. Eine Mutter hatte ihr Kind verloren und ich wollte mir den Schmerz nicht ein mal vorstellen müssen.
"Die Kollegen vom Schutztrupp, haben auch nach weiteren Beweisen gesucht. Bis auf das Messer, dem Fetzen vom Wappen und den Schuhabdrücken gab es nichts. Allerdings befand sich Blut an der Waffe, welches von keinem der Opfer stammt.", fügte ein weiterer Wächter hinzu.
Hokamm nickte angespannt.
"Bei dem jungen Opfer, handelt es sich um Myra Dallfyor, legen wir bitte eine kurze Schweigeminute für sie ein." Er faltete seine Hände, als wollte er beten und senkte den Kopf nach unten. Der Rest im Raum tat es ihm gleich. Nur ich hatte nur meinen Kopf gesenkt. Meine Hände hatten schon die ganze Zeit nervös auf meinen Beinen gelegen und ich hätte es nicht, vor Aufregung, geschafft sie überhaupt 10 cm anzuheben.
Die Stille war alles andere als angenehm. In mir brannte es.. ich fühlte mich, als hätte ich versagt. Wäre ich doch nur früher dort gewesen... Meine Gedanken spielten verrückt. Doch nach einer Minute erklang Hokamms Stimme erneut.
"Das zweite Opfer, ist Adalay Dallfyor, die Mutter der Verstorbenen. Sie selbst befindet sich aktuell im Krankenhaus und ist leider noch nicht aufgewacht. Wir sollten sie in unseren Gebeten an die Götter mit einschließen." Erneut machte er eine Pause und bewegte seinen Kopf in meine Richtung. Sein ernster Blick ruhte auf mir und ich fühlte mich klein. Es war die ganze Zeit schwer gewesen den Gesprächen zu folgen, denn meine Gedanken wollten schreien. Wie sollte ich gleich nur in der Lage sein zu sprechen?
"Erytheia Lapidras, du bist das dritte Opfer und unsere einzige Zeugin, die uns sagen kann, was passiert ist."

Ob sie enttäuscht sein würden, wenn sie nun erfahren, dass ich ihnen doch nicht alles sagen konnte? Ich selbst war erst später in eine Situation geplatzt, die schon lange davor begonnen haben musste.

 

Angespannt schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter und nickte leicht. Die Blicke des ganzen Raumes lagen auf mir und erdrückten mich.
"Es wäre nett, wenn du uns sagen könntest, was du erlebt hast.", fügte Pulao mit sanfter Stimme hinzu, "Es ist sehr wichtig für uns alle."
Ich sah ihm entgegen und wollte sprechen, doch es war als würde mein Mund, die Buchstaben in meinem Kopf nicht zu tatsächlichen Worten formen können.
Ahhhhhhh... verdammt Erytheia. Tadelte ich mich selbst.
Plötzlich legte Tharan seine große Hand auf meine, als wollte er mir zeigen, dass er als Unterstützung da war. Ich zuckte kurz zusammen - das hatte ich wirklich nicht erwartet. Auch wenn es unter dem Tisch keiner sehen konnte, überraschte mich diese Geste.
Seine Hand war warm und beruhigend und dennoch war ich fast wie erstarrt.
Zögerlich bewegte ich meinen Kopf leicht zur Seite, und sah ihn nur aus dem Augenwinkel. Ich wusste jeder hier in diesem Raum sah mich an, nur er nicht, er sah den Elter entgegen. Innerlich atmete ich durch.
"Ich war im Wald....", begann ich letztendlich, viel zu leise. Die Bilder dieses Ereignisses konnte ich vor meinem inneren Auge sehen.
Etwas nervös versuchte ich, mich zu beruhigen, ich musste lauter sprechen. Auch wenn der Raum nicht der größte war, konnte ich hier nicht nur flüstern. Ich musste selbstsicher wirken, ihnen genau erzählen, was ich gesehen hatte, sie mussten die Täter, des kleinen Mädchens finden können.
"Als plötzlich ein Schrei ertönte. Ich folgte ihm ohne zu zögern und sah auf einer Lichtung zwei große Männer und eine weinende Frau.
Ich glaube sie weinte wegen Myra. Sie lag bereits am Boden.... Da war sehr viel Blut.", ich machte eine kurze Pause. Dieser Gedanke erschütterte mich immernoch bis ins Mark.
Tyrius Hokamm starrte mich durchdringlich an, hatte aber keine Miene verzogen.
"Der kleinere von beiden, hatte den Dolch und die Männer drohten der Frau, das war der Moment, in dem ich dazwischen ging."
Hokamms Blick wurde mit einem mal steinhart. Misstrauen zeichnete sein Gesicht, als würde er mir nicht glauben... Oder war ich einfach nur paranoid?
Tharan drückte meine Hand etwas fester. Ich wusste genau, was er gerade gerne sagen wollte. Er war definitiv nicht Hokamms größter Fan, aber verachtete ihn auch nicht. Tharan war immer sehr besonnen. Er sah die Dinge nie nur von einer Seite, hatte aber trotzdem eine Meinung zu vielen Dingen, die stets gut durchdacht war.
Vieles an Tyrius Hokamm nervte mich und dass er mich nie ernst nahm schien nicht nur mich zu verärgern.

Von da an hatte ich ihnen die ganze Geschichte im Detail erzählt. Von meinem Kampf mit dem Mann, bis letztendlich alles schwarz wurde.
Mein Vater war geschockt gewesen, er hatte bei jedem dritten Wort etwas sagen wollen, doch verkniff es sich - fürs erste.

"[...] ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum sie uns am Leben gelassen haben.", beendete ich unbedacht meine Erzählung. Völlig fassungslos tauschten alle miteinander Blicke aus und es hätte sicherlich viel Getuschel gegeben, wären die Leute hier nicht zu respektvoll gewesen.
Auch mein Vater sah mit weit aufgerissenen Augen immer wieder zwischen mir, den Elter und Tharan hin und her. Sicherlich war er darüber verwirrt, dass Tharan als einziger ganz neutral blieb. Immerhin kannte er die Geschichte schon. Er war der erste Mensch gewesen, dem ich sie anvertraut hatte. Denn ich hatte es mir von der Seele reden müssen und das konnte ich nur bei ihm.
Alle anderen hier im Raum, mussten die Geschichte erst mal verarbeiten - unter zwei Kriterien. Sie mussten abwägen, ob sie mir überhaupt glaubten, denn sie hatten nur ein Bild von mir vor Augen und das war ein kleines schwaches Mädchen - wie hätte sich die kleine Ery nur mit großen bösen Männern anlegen sollen?
Und wenn sie mir glaubten, war es solch ein grausamer Vorfall, der hätte, jeden von ihnen treffen können.
Ich seufzte. "Mehr weiß ich leider nicht. Ich weiß weder, warum die Männer taten, was sie getan haben, noch woher sie kamen.", war ich ehrlich.
"Du kannst uns also genau sagen, wie die beiden Männer aussahen?", fragte Elter Hokamm nach. Es fühlte sich an wie eine Trickfrage. Er wollte mehr bezwecken, als nur herauszufinden, wie die Männer aussahen, er testete mich, weil er zu der Gruppe gehörte, die mich nicht als stark und mutig genug sahen. Womöglich würde er das nie tun, aber wenn er es jetzt nicht tat, würde er vielleicht viele der Bürger in Gefahr bringen.
Vielleicht war Tyrius Hokamm oft voreingenommen, etwas arrogant und misstrauisch, aber er war nicht dumm. Ihm lag die Sicherheit der Menschen hier genauso am Herzen, wie allen anderen, in diesem Raum.
Erneut nickte ich.
"Ja.", sagte ich nun selbstsicher.
Elter Hokamm lehnte sich zurück, in seinem Kopf ratterte es.
"Elter Maxtras, wird dir später einen Zettel geben, bitte fülle ihn genau aus, mit jedem kleinen Detail, an dass du dich erinnerst. Auch steht er dir für Fragen bei.", seine Stimme klang fast schon ruhig. Für einen Moment hätte ich dem ganzen beinahe getraut und wäre erleichtert gewesen, doch....
"Doch! Habe ich noch einige andere Fragen an dich, wie bestimmt viele von uns.", er wirkte ernst und wurde etwas lauter.
"Du sagtest, das Abzeichen stammt von der Uniform des fremden Angreifers?"
Warum hinterfragte er das nur?
"Ja, tut es." Im gleichen Rhythmus atmete ich langsam ein und aus. Ich wollte ernst, vertrauen-erweckend, sicher und vorallem stark wirken. Dafür musste ich ruhig bleiben und meine Angst und Nervosität nicht zeigen.
"Denkst du also es ist ein relevantes Abzeichen? Oder lass mich die Frage anders stellen. Konntest du es auf der Uniform des anderen Mannes ebenfalls sehen?"
Fragend senkte ich die Augenbrauen, wollte er wirklich nur wissen, ob uns das Abzeichen mehr verraten würde oder war das wieder eines dieser Spielchen?
Was jedoch noch wichtiger war, hatten beide das selbe Abzeichen?
"Was Elter Hokamm sagen möchte ist, dieses Abzeichen könnte von unschätzbarem Wert sein, sollte es zu einer bestimmten Gruppe identifizierbar sein. Handelt es sich jedoch nur um umgängliche Dekoration, wird es uns nicht von Nutzen sein.", ertönte eine weitere kratzige Stimme. Sie gehörte zu einer Dame, die ebenfalls seit vielen Jahren Teil der Elter war. Elora Yala - sie war gute 75 Jahre alt. Ihr graues Haar hatte sie unbekümmert nach hinten gekämmt. Hätte ich nicht gewusst, dass sie ein Elter war, hätte ich sie für eine süße Omi gehalten. Doch sie war viel mehr als das, sie war klug und wusste mit Worten umzugehen. Yala hatte schon oft einschreiten müssen, wenn Elter Hokamm, mal wieder etwas über die Strenge schlug.
Er respektierte sie voll und ganz, vielleicht sogar mehr als das, er mochte sie schon fast.
Intensiv dachte ich nach und tauchte in die Bilder ein, die sich in meinem Kopf abspielten.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass beide es hatten. Es wirkte nicht wie Verzierung."
Ich war mir sicher es würde ihnen weiterhelfen - dass es von Bedeutung war. Genau wie der Dolch.
"Auch den Dolch halte ich für sehr wichtig, nicht nur wegen seiner Herkunft, sondern auch wegen des Blutes des Täters", erklärte ich und wollte ihnen und ihren Fragen zuvorkommen. Ich fühlte mich schlecht, wenn sie mir so viele Fragen stellten. Die Ereignisse waren schon schlimm genug gewesen, aber alles noch ein mal und abermals in's kleinste Detail zu zerlegen, war grausam.
Ein helles Lachen ertönte.
"Das Symbol und der Dolch also.", Yala hielt eine kurze Pause, "Kindchen, du hast großen Mut bewiesen. Du bist eingeschritten, obwohl du in der Unterzahl warst. Viele Leute würden das naiv oder dumm nennen, aber ich nenne es beeindruckend, wie du das Leben eines anderen über deines gestellt hast. Das würde nicht jeder tun. Deine Eltern können stolz auf dich sein."
Fast gleichzeitig mit meinem Vater antwortete ich: "Danke."
Das war das erste, was er in der Versammlung gesagt hatte und ich war erstaunt darüber, wie gut er sich unter Kontrolle hatte, doch gleichzeitig machte es mir Sorgen, denn ich wusste genau, spätestens wenn wir unter vier Augen waren, würde alles aus ihm herausplatzen und ich konnte mir eine Standpauke anhören, darüber wie ich so fahrlässig mit meinem Leben gespielt hatte. Dass ich es besser hätte wissen müssen. Und blah blah blah.

Mein Körper begann wieder zu zittern und ich seufzte innerlich. Vielleicht hatten sie recht... Vielleicht übertrieb Elora Yala und ich war alles, nur nicht selbstlos. Hatte ich das alles wirklich nur für die anderen gemacht oder war es, weil ich mir selbst etwas beweisen wollte? Gut überlegt, war diese Aktion definitiv nicht, aber ich hatte auch keine Zeit gehabt.

Es folgten viele weitere Fragen, die sich nicht nur an mich wanden. Auch wurde der Suchtrupp angesprochen. Einige hatten auch angezweifelt, ob ich tatsächlich die Kraft gehabt hätte, jemanden mit einem Dolch zu erstechen.
Es ist ein Dolch ihr Idioten, der ist scharf und spitz und tut weh!
War der erste Gedanke zu diesen Anschuldigungen gewesen. Auch Elter Yala hatte etwas ähnliches gesagt.
Bei anderen hitzigen Diskussionen, waren sich alle beteiligten sogar fast ins Wort gefallen. Doch in diesem Raum herrschten andere Regeln, als draußen.
Dieser Raum war zum besprechen von Dingen mit enormer Wichtigkeit gewesen. Jeder hielt sich im Interesse der Gemeinschaft zurück und dachte lieber gleich drei mal darüber nach, was er sagte.
Hier drinnen musste auch ich, mehr Respekt gegenüber Elter Hokamm zeigen, als allgemein angebracht war. Außerhalb dieser Wände hatte ich ihm schon öfter mein Missfallen, an seinen Entscheidungen kund getan. Vielleicht war das auch ein Grund für sein Verhalten.

Neben Befragungen an den Schutztrupp, wollten sie auch Tharans Einschätzung wissen, ob die Verletzungen sich mit der Geschichte decken.
Juvier hatte ausdrücklich gesagt, dass sie das alles nicht taten, weil sie mir automatisch misstrauten, sondern einfach, um ein volles Bild der Situation zu bekommen. Dennoch fühlte sich das alles ganz anders an. Ich wusste genau, für Tyrius Hokamm zählte das nicht. Aber auch Tharan hatte mich bereits auf soetwas vorbereitet.

"Erytheia, du bist Teil unseres Büroteams, für Verwaltung und Korrektur, stimmt doch? Wo hast du gelernt, zu kämpfen?" Das war eine Frage, vor der es mich am meisten gegraust hatte.
Vieles hatte ich mir selbst beigebracht oder während der Arbeitszeit nachgelesen, wenn ich nicht gerade die Wächter oder die Hüter beim Schutztrupp beobachtet hatte. Wenige vorbeiziehende hatten mir auch ein paar Handgriffe gezeigt.
Aber vieles davon konnte ich wohl kaum sagen. 'Gute Gene'... War das eine passende Antwort? Mein Vater selbst war Architekt, Kampfkunst gehörte da nicht dazu.
Meine Mutter hingegen hatte auch Büroarbeiten gemacht, allerdings wesentlich anspruchsvollere als ich selbst. Sie war sogar tatsächlich wichtig für unsere Gemeinschaft.
Nur mein Großvater, der Vater meiner Mutter war ein Hüter gewesen. Wir hatten nicht viel Zeit miteinander, und definitiv nicht genug, damit er mir das alles hätte beibringen können.
Viele Jahre war ich damit beschäftigt mich zu erholen und auf den gleichen Stand zu kommen, wie andere in meinem Alter. Ich war immer sehr schwach gewesen, aber auch sehr schnell und durch meinen zierlichen Körperbau wendig.

Als wäre es erst gestern gewesen, erinnerte ich mich daran, wie meine Schwester und ich spielten, als gerade mein Opa Ronhard den Raum betrat.
Voller Tatendrang hatte ich ihm verkündet, dass ich eines Tages ein Wächter sein wollte.
Freude strahlend hatte er mich angesehen und gesagt:"Wenn du ein Wächter wirst, dann ist dein Opa aber ganz stolz auf dich."
Und diese Worte hatten mich tief berührt. Noch tiefer als ich damals hätte ahnen können, denn ich dachte heute noch oft an sie. Er war auch jemand, der an mich glaubte, selbst wenn er nicht perfekt gewesen war und viele Fehler hatte, war er ein toller Großvater gewesen und wir hatten ihn viel zu früh verloren.

"Ich hatte nicht vor gehabt zu kämpfen, Elter Hokamm und wäre ich wie ein Profi gewesen im Kämpfen, dann hätten wir die Täter nicht suchen müssen. Alles was ich anwand, gehörte zu meinem natürlichen Grundwissen.", war die Antwort gewesen, die ich ihm letztendlich gegeben hatte. "Wenn man die Menschen genau ansieht und beobachtet, sieht man oft, was sie tun werden oder wollen. - Wozu sie in der Lage sind."
Natürlich hatte auch diese Antwort Elora Yala zum Lächeln gebracht. Tyrius Hokamm hatte auch meine Anspielung verstanden. Wenn er nur genau hinsehen würde, würde er mich ein Wächter sein lassen.

 

 

Nach zwei geschlagenen Stunden, war die Versammlung endlich fertig gewesen. Für alle, nur nicht für mich. Elora hatte uns ebenfalls mitgeteilt, dass das Blut des Täters vom Dolch, schon in Prüfung einiger Zauberer war, die fleißig ihre Blutzauber testeten. Tharan hatte ihnen bescheid gesagt.
Natürlich gab es bis jetzt keine Übereinstimmungen, aber deshalb war es noch wichtiger, dass Elter Maxtras und ich eine genaue Beschreibung anfertigten.
Frau Yala hatte uns dazu in einen separaten Raum führen lassen.

Maxtras schmale Finger glitten über das Papier.
"So?", fragte er konzentriert und fügte ein paar letzte Striche hinzu.
Angestrengt musterte ich die Zeichnung.
"Nein nicht ganz, sein Bart war etwas mehr abgerundet." Mit meinem Daumen und Zeigefinger ahmte ich einen Bart in meinem Gesicht nach.
Prüfend sah er vom Blatt auf und überlegte einen Moment.
Spontan griff ich nach dem Stift in seiner rechten Hand, den er mir ohne Protest überließ, während er mir vorsichtig das Blatt rüber schob.
Earric Maxtras war ein gnadenlos begabter Künstler gewesen. Sein Talent und Verstand hatte ihn, mit seinen jungen Jahren, schnell zum Titel eines Elters aufsteigend lassen.
Vielleicht war ich nicht annähernd so begabt wie er, doch war mein künstlerisches Talent nicht zu verachten.

Sanft radierte ich seine zuletzt gezeichneten Bleistiftlinien weg und pustete die zurückgelassenen Gummireste hinfort.
Mit sanften Strichen korrigierte ich sein Meisterwerk. Der Stift in meiner Hand hatte etwas gezittert. Meine Kraft war nach all dieser Anstrengungen dem Nullpunkt entgegen gefallen.
"Zeichnen scheint wohl auch eine deiner Stärken zu sein.", stellte er fest.
Ein dezentes Lächeln formte sich auf meinen Lippen. "Hattest du nicht erwartet?", entgegnete ich spontan und er lachte kurz auf.
"Ich hab gehört, du bist in der Verwaltung. Aber natürlich hast du sicherlich auch Hobbies und andere Talente. Zeichnen ist wohl eines davon."
Vorsichtig nahm er mir den Stift ab und diesmal reichte ich ihm sein Blatt zurück und ließ die Arme senken.
Etwas wehmütig starrte ich die dunkle Eichholzplatte des Tisches an.
"Die meisten Menschen trauen mir nicht viel zu, dabei habe ich weitaus mehr Talente, als sie denken." Meine Augen verfolgten den Weg der dünnen Musterungen.
Elter Maxtras seufzte hörbar.
"Ich habe schon mitbekommen, wie viele und auch der Rat der Elter dir gegenüberstehen. Doch viele kennen dich nicht einmal...", er machte eine kurze Pause und richtete seine Brille. Sein dünnes Gesicht wirkte angespannt. Über seine Worte überrascht, hatte ich den Kopf gehoben.
"Die meisten kennen nur die Geschichte, des kranken Mädchens. Keinen Namen - sie wissen nicht ein mal wer du jetzt wirklich bist. Vielleicht haben sie dich gesehen, aber nie wirklich angeschaut."
Mein Herz pochte wild.
"Ich weiß, ich weiß, es ist nicht das selbe, doch, hatte man früher in mir nichts weiter, als einen Träumer gesehen. Du musst wissen, ich arbeitete ebenfalls in der Verwaltung, doch damals zeichnete ich sehr viel, zu jeder Minute. Ich tauchte in meine Bilder ein und war wie weggeweht.
Meine Familie sah das eher als Zeitverschwendung und Ablenkung, aber...
Aber alles hat auch eine gute Seite. Meine Kunst hat mich in den Rat der Elter gebracht und meine kreativen Fähigkeiten ausbauen lassen. Und deine Krankheit hat dich stark gemacht. Du überkommst mehr, als die meisten Menschen. Vielleicht wirst du irgendwann das sein können, was du möchtest. Dieser Vorfall hat gezeigt, was in dir steckt. Alles was du brauchst ist eine Chance. Ich habe auch eine bekommen, dank Elter Thomandruf.", er wirkte gedankenversunken, als würde er einen Text aufsagen, doch fühlte er sich in keinster Weise gestellt oder unehrlich an.
Ich war sprachlos, nicht etwa über die Tatsache, dass wenn mich jemand kannte, es nur meine Kindheitsgeschichte war, nein. Ich war überrascht zu hören, dass es noch jemanden in den Reihen der Elter gab, der es nicht tat, der mich nicht auf diese Geschichte reduzierte.

Ich Blickte zurück auf das Bild und der Anblick auf seine viel zu realistische Zeichnung, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Die Freude in meinem Ausdruck verschwand und ich konnte meinen geschockten Blick nicht davon abwenden. Es war als würde der Typ vom Überfall genau vor mir stehen und unschöne Bilder stiegen mir erneut in den Kopf.
Ich konnte und wollte heute auch nicht mehr. Vielleicht waren die Bedenken meines Vaters richtig gewesen.

Ich schüttelte den Kopf, um mich von den Gedanken zu befreien. Elter Maxtras bemerkte mein Unbehagen sofort und auch woher es kam. Er legte die Zeichnung zu den anderen Unterlagen in seine Mappe.
"Das war ganz schön viel für dich heute.", sagte er verständnisvoll.
Ich blieb still.

Ein starkes Klopfen löste mich aus meinen Gedanken. Earric blickte als erster zur Tür und entgegnete dem Klopfen mit einem gezielten: "Herein."
Mit einem Schwung öffnete sich die weiß lackierte Holztür und Thomandruf Fazz betrat den Raum. Er war ein älterer Herr mit dunkelgrauem Haar und dunklem Bart, der über die Hälfte seines Gesichts zu bedecken schien.
Earrics Miene erhellte sich.
"Earric, Erytheia. Tut mir leid für die Störung.", entschuldigte sich Elter Fazz augenblicklich.
"Alles gut", beruhigte Maxtras ihn, "wir sind gerade fertig geworden."
Elter Fazz nickte zufrieden. "Mein Timing scheint perfekt zu sein. Ich hatte mich eben noch einmal mit Elter Hokamm unterhalten", er räusperte sich kurz und wand sich mir zu.
"Auch ich möchte dir, noch einmal meinen Dank aussprechen. Elter Hokamm kann so ein alter Griesgram sein."
Elter Maxtras lachte laut. Auch ich musste etwas schmunzeln.
"Danke.", entgegnete ich etwas schüchtern.
Dieser ganze Tag hatte es bis jetzt nicht leicht gemacht, mich zu entscheiden, wie ich meine eigene Tat einschätzen sollte. Ich war im Zwiespalt, eine ewige Diskussion mit mir selbst, in meinem Kopf, die alles was passiert war, immer wieder Revue passieren ließ.
Elter Fazz nickte zufrieden und wand sich zurück zu Elter Maxtras.
"Wenn du kurz Zeit hättest Earric, es gibt einige Dinge, die ich gerne mit dir besprechen würde."
"Natürlich. Erytheia, du bist entlassen, ruh dich noch etwas aus und erhole dich gut." Er stand auf, nahm seine Sachen und machte eine bedeutsame Geste in Richtung Tür, als würde er einem kleinen Vögelchen, die Käfigtür öffnen, um ihm die Freiheit zu schenken.
"Einen schönen Tag euch noch.", entgegnete ich müde und ergriff flatternd die Flucht.
Herr Fazz hatte mir dabei die Tür aufgehalten.
Mit einem sanften klicken schloss sie sich hinter mir und ich befand mich auf dem selben kahlen weiß gehaltenen Flur wie zuvor.

Ich seufzte und verharrte einen Moment auf der Stelle.
Nur für einen kurzen Moment wollte ich die Stille aufsaugen, ehe ich einen Fuß vor den anderen setzte.
Verwundert erblickte ich dabei Tharan und Elter Hokamm am anderen Ende des Flures. Ich war wohl mitten in ein Gespräch geplatzt.
"...ist stärker als sie glauben.", beendete Tharan seinen Satz, als er mich plötzlich bemerkte. Er lächelte, während Elter Hokamms Miene ernst blieb.
"Ery, du bist fertig?", fragte er sanft.
Ich nickte und er wand sich noch ein mal Elter Hokamm zu.
"Ich werde sie zurück zum Krankenhaus bringen, unser Gespräch werden wir bald fortsetzen.", versicherte er.
Wieder lächelte er mich an. "Komm, Ery."

Tharan ergriff meinen Arm und ich zuckte unweigerlich kurz zusammen.
Das kühle Metall seines Rings bitzelte auf meiner Haut.
Er trug ihn immer, erst recht nach seiner erfolgreich abgeschlossen Heilerausbildung. Dieser Ring war ein fester Bestandteil von ihm.

Er und ich gingen eilig in das Erdgeschoss. Als hätte er für einen Moment meinen Zustand vergessen, doch musste ich sagen, dass Treppen herunter zu laufen wesentlich einfacher war, als hinauf. Allein der Gedanke daran gehen zu können machte es ertragbar und die Kombination mit den Schmerzmitteln, die er mir vor der Versammlung gegeben hatte, hatte mich tatsächlich keinen Schmerz, von meinen Verletzungen spüren lassen.

"Ich hoffe der Tag war nicht zu anstrengend.", begann er vorsichtig.
"Ich hatte sie extra gebeten, es nicht zu übertreiben!" Er seufzte entnervt.
Sicherlich hatte der Rat es nicht übertrieben, aber von einem sanften Einstieg, nach so langer Zeit im Krankenhaus, war der heutige Tag weit entfernt gewesen.
"Ich bin einfach froh, wenn ich mich endlich hinlegen kann.", war ich ehrlich. Besorgt sah Tharan zu mir rüber, seine dunklen Augen funkelten. Nervös wich ich seinem Blick aus und sah auf die große Eingangstür, durch die wir ganz am Anfang gekommen waren. Wir liefen schnurstracks auf sie zu.
"Mach dir keine Sorgen.", murmelte ich schon fast viel zu leise.
"Ich möchte einfach nur, dass es dir gut geht, Ery."
Du tust so viel dafür, dass es mir gut geht, wollte ich laut sagen. Denn es stimmte, er war nicht nur mein Heiler, neben den physischen Beschwerden, war er auch immer bei dem psychischen sofort zur Stelle und stellte eine große Motivation in meinem Leben dar.
Aber ich konnte nichts weiter als still in mich hinein zu lächeln.

An der Tür angekommen, ließ er mich genauso abrupt los, wie er meinen Arm ergriffen hatte. Mit seinem rechten Arm schob er die Tür auf und ich ging vor.
Draußen hatte ich nicht erwartet meine Familie vorzufinden. Mein Vater, meine Mutter und meine Geschwister sahen mir vorwurfsvoll und gleichzeitig besorgt entgegen.
Mein Vater musste ihnen alles erzählt haben.
Ich schluckte schwer und wollte Tharan fast schon böse anschauen. Er hätte mich ruhig vorwarnen können.
Entschuldigend blickte er zurück und zuckte mit den Achseln. "Ich wusste nicht," begann er seinen Satz, doch wurde er augenblicklich unterbrochen.
"Erytheia!"
Ich nahm die ersten Stufen in ihre Richtung und alle vier kamen sie eilig mir entgegen. Mir wurde schlecht, mein Herz begann regelrecht zu rasen. Das würde eine Standpauke geben, nein mehr als das. Ein ganzes Konzert an Anschuldigungen, Belehrungen, Sorgen und Fragen.
Sie alle sprachen wild durcheinander.
"Was hast du dir nur dabei gedacht?", fragte meine Mutter aufgebracht, ihre Augenbrauen bebten schon fast.
"Stimmt es, dass du alleine gegen einen 1,90 Typen gekämpft hast? Das kann nicht wahr sein! Du bist doch viel zu schwach.", Illyria wirkte abfällig.
Natürlich müssen sie übertreiben.
"Junge Dame, wir müssen unbedingt darüber sprechen, wie du nur auf so einen gefährlichen Unsinn kommst!", grummelte mein Vater.
"Du musst uns alles erzählen!", forderte Alarya vehement.
Hastig sah ich zwischen ihnen hin und her, meinen Mund leicht geöffnet um etwas zu sagen, doch zu wem, wann und wie?
"Erytheia" - "Eryyytheiia" - "Ery." - "Erytheia!"
Ich hätte schreien können, alles um mich herum drehte sich. Keinem ihrer Worte konnte ich mehr folgen. Sie waren wie ein aufgebrachter Mob.

"Yssra, Carno, es tut mir leid" Tharans starke Hände legten sich auf meine Schultern und zogen mich etwas nach hinten in seine Richtung. "Ich weiß, ihr habt viele Fragen und Anliegen an Erytheia, auch du Alarya und Illyria", er nickte ihnen verständnisvoll zu. "...aber Sie muss medizinisch versorgt werden. Wir haben einen strikten Plan, den wir keinesfalls, nicht einhalten wollen. Yssra, dir müsste er ja bekannt sein." Freundlich lächelte er meiner Mutter zu und ich verstand seine Taktik. Sie war stets besorgt und ihr war es sehr wichtig, dass ich immer die beste und auch zeitnahe Versorgung bekam. Sie würde lieber eine Woche lang nichts essen, als es zu riskieren, dass ich nicht rechtzeitig meine Medikamente bekam.
"Du hast recht.", sie überlegte nicht lang. Damit war einer zufriedengestellt und auch wenn es der Rest meiner Familie nicht war, so würde es keiner wagen meiner Mutter in die Quere zu kommen.
Mein Schwindel wurde besser. Tharan hatte mich wieder ein mal gerettet.
"Es war ein sehr anstrengender und aufregender Tag, gönnen wir Erytheia ein bisschen Ruhe und bringen sie schnell zum Krankenhaus zurück. Alles weitere kann die Tage geklärt werden."
"Na gut.", stimmten Alarya und mein Vater fast gleichzeitig zu und Illyria nickte nur.

Tharan schob mich weiter damit das Gespräch endgültig beendet war und wir heute doch noch endlich im Krankenhaus ankommen würden.
Meine Familie war wortlos mitgegangen.
Tharan lies nach einigen Sekunden locker und legte nur noch eine Hand auf meinen Rücken.
Doch meine Anspannung verschwand nicht. Mir war es unangenehm, wenn er so etwas vor ihnen machte. Ich war auch froh gewesen, dass er kurz vor der Tür wieder auf Abstand gegangen war. Keiner musste das sehen.
Aufgewühlt sah ich zu meinen Schwestern.
Alarya und Illyria waren beide meine jüngeren Geschwister gewesen und dennoch hatten sie mich in Sachen Größe weit überholt. Während Illyria, die Zweitälteste, stattliche 1,80 groß war, einen ganz normalen Körperbau hatte und mit ihren kühlen Aschbraunen Haaren nach meiner Mutter kam, war Alarya, die jüngste nur 1,71 groß und sehr kurvig gebaut - sie hatte ihre Rundungen an den richtigen Stellen und das schöne Haselnussbraun meines Vaters.
Von mir selbst sollte ich nicht einmal anfangen. Ich war gerade mal 1,60 groß und mein zierlicher Körperbau lies jeden denken, ich sei das Nesthäkchen. Und nicht die Erwachsene fast 23 Jährige Erytheia.

Tharan ging nun einige Schritte weg von mir zu meinem Vater, der alles andere als glücklich drein schaute. Ich war erleichtert. Nicht etwa weil mich seine Nähe generell störte, im Gegenteil, sie beruhigte mich viele Male. Das Problem war eher, Illyria schwärmte oft von Tharan, auch wenn er mit seinen 35 Jahren 14 Jahre älter als sie war. Sie und viele andere Frauen schien das allerdings nie zu stören und ein bisschen konnte ich es verstehen. Er war nicht nur groß und gutaussehend, sondern auch, charmant, liebevoll und hatte einen tollen Charakter.
Er hatte mich begleitet, seit dem er ungefähr 13 Jahre alt gewesen war und auch trotz seiner Lehre und später auch Arbeit, fand er immer Zeit mich zu unterstützen.

"Na, wann ist die Hochzeit?" Alarya grinste schelmisch. Ohne meinen Kopf zu bewegen hatte ich mich umgesehen, stark hoffend, dass das keiner mitbekommen hatte.
Diese Leier wieder, ich hatte heute wirklich keinen Nerv dafür. In mir brannten viel zu stark ihre Worte von eben. War ich dumm und naiv gewesen? Sie hatten das nicht das erste Mal gesagt, doch immer war ich mir fast zu 100% sicher gewesen, dass sie falsch lagen. Aber diesmal?
"Ich weiß, dass du mich gehört hast.", sie schmollte und ich seufzte.
"Kannst du, heute nicht bitte einfach einen Gang zurück schalten?", bat ich sie ausgelaugt. Sie war ein wirklich anstrengender Mensch, sehr aufgedreht, und einem immer mit Fragen löchernd und Provokationen ärgernd.
"Ich mein ja nur.", wollte sie sich rechtfertigen. "Wenn du schon nicht über deinen Vorfall mit uns reden willst, dann eben das."
Darüber gab es nichts zu sagen.
"Ich möchte heute einfach gar nichts mehr sagen.", entgegnete ich stumpf und blieb stehen.
"Alles okay Ery?", wurde ich noch im selben Moment gefragt. Ich nickte und zwang mich zu einem Lächeln. "Ich brauche nur eine ganz kleine Pause." Theoretisch war dies nicht gelogen, ich war völlig aus der Puste, doch tat ich das viel eher, damit sich alle neu formierten und Alarya nicht mehr neben mir laufen würde.

 

*Vierter Monat des Koràk'enischen Kalenders

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.08.2022

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