Cover

Vorwort

Hallo erstmal an alle, die hier reinschauen :)

Ich freue mich, dass ihr meine Geschichte lest. Dies ist mein erster Ausflug im Genre Fantasy, umso mehr bin ich gespannt, was ihr dazu sagt.

Egal ob Kritik oder Lob, ich bin sehr an eurer Meinung interessiert, denn nur so kann ich mich immer verbessern. Also, wenn euch etwas auffällt, wenn etwas unlogisch ist oder vorher anders beschrieben wurde, dann scheut euch nicht mir das mitzuteilen ;)

1. Kapitel

 

Der Schweiß rann Haleys Stirn hinab, tropfte auf den Stoff, den sie in Händen hielt. Die Luft in dem kleinen Dachgeschoss war stickig und machte das Atmen schwer. Behändig führte sie eine Nadel durch das Leinen, setzte Stich für Stich, um das Kleid heute noch fertig zu stellen. Sie versuchte die schmerzenden Blasen an ihren Händen zu ignorieren, die der raue Stoff Tag für Tag hervorrief. So wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte.

»Wie weit bist du, Haley?«, rief ihre Mutter am Absatz der Treppe.

»Bald fertig. Nur noch ein oder zwei Stunden.« 

Sie erhöhte ein wenig das Tempo, denn sie wusste, wie sehr die Kundin darauf wartete. Es machte sie stolz, dass sie mittlerweile in der Lage war, ein aufwändiges Kleid in weniger als zwei Tagen fertigzustellen. Das brachte viel Geld, denn so kamen immer mehr Kunden in das Geschäft ihrer Mutter.

Ein Knarzen ließ sie in der Arbeit innehalten und aufschauen. Sie riss die Augen auf, als sie erkannte, wer sich in die Werkstatt geschlichen hatte. 

»Was machst du hier?«, flüsterte sie und legte das Kleid beiseite, um ihm entgegen zu eilen.

»Dich besuchen, was sonst?« Ein freudiges Lachen drang über Keiths Lippen und er zog sie in seine Arme.

»Du sollst dich doch nicht einfach hier reinschleichen. Außerdem muss ich noch arbeiten.« Haley schürzte die Lippen und stemmte ihre Hände gegen Keiths Brust, aber er war stark und das interessierte ihn nur wenig. Stattdessen drückte er ihr einen Kuss auf den Mund. Haley versteifte sich und ließ es geschehen, bis er sie nach einem kurzen Augenblick wieder freigab. 

»Deine Mutter hat nichts dagegen, das weißt du doch. Sie ist froh, wenn ich dich bald heirate.«

Ihr Blick glitt an ihm vorbei, denn sie glaubte ihm kein Wort. Ihre Mutter hatte sehr wohl etwas dagegen, dass er hier einfach so auftauchte und sie von der Arbeit abhielt.

»Ja, ich auch, aber du musst jetzt gehen. Ich habe noch zu tun.« Sie wollte ihn wegschieben, aber er blieb stehen, nahm ihre Hände in seine und küsste ihre Fingerspitzen. 

»Schon bald musst du nicht mehr diese Arbeit hier machen. Wenn du erstmal meine Frau bist, dann kannst du dich ganz dem Haushalt widmen«, sagte er und lächelte dabei versonnen.

Ihr Herz zog sich krampfartig zusammen und hinterließ eine Leere, die sie seit kurzem an allem zweifeln ließ.

Er schien ihre Emotionen, an ihrem Gesicht ablesen zu können, denn seine Augenbrauen wanderten nach oben. »Was ist denn los?«

»Es ist alles in Ordnung, Keith. Ich habe nur wirklich noch jede Menge zu tun«, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln.

Seine Schultern sanken nach unten und das Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. »Gut, dann will ich dich nicht weiter stören.« 

Er gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn, ehe er sich umdrehte und die Treppen nach unten verschwand.

Haley sah ihm nach, während sie ihre Finger knetete. Seit Tagen schon, haderte sie mit sich selbst. Sollte sie Keith von ihren Zweifeln erzählen? 

Vor einer Woche tauchten diese plötzlich mit einer Heftigkeit auf, die sie nur schwer ignorieren konnte. Sie hatte ein Paar beim innigen Küssen an einem See erwischt. Das Feuer, das in den Augen der beiden gebrannt hatte, hatte sie erstarren lassen. Es war ein Druck auf ihrer Brust entstanden, der sie ständig begleitete. War das, was zwischen ihr und Keith war, etwa nicht echt? War es überhaupt Liebe? Er behandelte sie gut, keine Frage und sie konnten sich auch sehr gut unterhalten. Aber es gab kein Lachen, kein Kichern zwischen ihnen. Auch existierte nicht so ein Feuer in ihren Augen, wie jenes, dass sie bei dem Paar gesehen hatte.

Mit einem Kopfschütteln drängte sie diese Gedanken wieder in die hinterste Ecke ihres Verstandes. Es war besser, wenn sie sich nicht so den Kopf darüber zerbrach.

 

Haley war völlig erschöpft, als sie Abends am Herdfeuer stand und in der Gemüsesuppe rührte. Der würzige Duft veranlasste ihren Magen zu einem lauten Knurren. Sie hatte kaum Zeit gehabt, etwas zu essen. »Wie war heute dein Tag, Ava?«, fragte sie ihre kleine Schwester, die am Tisch saß und konzentriert auf einem Stück Pergament malte. Avas Wangen waren leicht gerötet und einige braune Strähnen hatten sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst, die ihr störend im Gesicht hingen. Mit einem leichten Schnauben schob sie diese hinter ihre Ohren, ehe sie Haley ansah, die braunen Augen leuchtend vor Begeisterung. »Wir hatten heute Kräuterkunde. Das war wirklich interessant.«

»Das freut mich.« Ein Lächeln schlich sich auf Haleys sanfte Züge und sie reichte ihr eine Schale mit den dampfenden Suppe. 

Haley setzte sich zu ihr an den alten Tisch, nahm sich einen Schöpfer mit der Suppe und goss sich diese in eine Schale aus altem Porzellan. 

»Wo ist David?«, fragte Ava schmatzend, während sie mit ihren Beinen zappelte und den Kerzenständer auf dem Tisch hin und her schob.

Haleys Blick wanderte zur Haustür, die im dunklen Flur nur schemenhaft zu erkennen war. Es war ungewöhnlich, dass David sich verspätete. Ihr großer Bruder war der pünktlichste Mensch, den sie kannte.

»Er wird sicher gleich kommen«, sagte sie, um Ava, aber auch sich selbst zu beruhigen. 

Sie wandte sich ihrer Schwester wieder zu, nahm ihr den Leuchter ab und bedachte sie mit einem mahnenden Blick. 

»Aber er ist doch sonst schon immer da?« Avas Augen musterten das dunkle Küchenfenster, als könne sie ihn dort erspähen, aber die Scheibe spiegelte lediglich das sanfte Licht der Kerzen wider.

Haley seufzte. Ein ungutes Gefühl beschlich sie und bescherte ihr eine Gänsehaut. Ihre Stirn war in tiefe Falten gelegt, als ein ungewöhnliches Flackern der Kerzen sie zusammenzucken ließ. Für den Bruchteil einer Sekunde war alles dunkel, ehe die Flammen wieder auf ihren Dochten erschienen, als wäre nichts gewesen.

Selbst Ava hatte in ihrer Bewegung innegehalten und fixierte die Kerzen, während ihr Löffel über der Suppe schwebte.

»Was war das?« Ihre Stimme zitterte leicht und sie ließ ihren Arm sinken, ehe ihre braunen Augen die Haleys suchten. 

Und dann spürte sie es. Eine dunkle Präsenz, so finster, wie die Nacht selbst. Sie kroch durch die Ritzen, unsichtbar und grausam. Unstet wanderte Haleys Blick durch den Raum, aber sie erkannte nichts. Alles war still und friedlich wie sonst auch.

Plötzlich durchschnitt ein Schrei die Stille. Ihr Blick schnellte zum Küchenfenster. Eine blutige Hand donnerte auf das Glas und ließ Haley erschrocken zurückstolpern. 

»Mach die Kerzen aus«, zischte sie und Ava reagierte sofort.

Dunkelheit umfing sie plötzlich, getränkt vom Wimmern ihrer Schwester. Haley beugte sie sich über die Spülschüssel, um einen besseren Blick nach draußen zu erhaschen. 

Ihr stockte der Atem, als sie die Straße erblickte, die hier und da von Fackeln erhellt wurde. Dunkle Schatten huschten umher, die keine feste Form zu haben schienen. Menschen rannten mit vor Schreck geweiteten Augen umher, während das Blut in Strömen ihre Gliedmaßen heruntertropfte. Immer mehr Schreie wurden laut, die Haley eine Gänsehaut bescherten.

Plötzlich wurde die Haustür aufgerissen. David hechtete mit einem Satz in den Flur, ehe er nach einer Drehung die Tür in seine Angeln pfefferte. Schweratmend lehnte er am Holz, hinter dem man die verzweifelten Rufe der Dorfbewohner hören konnte. 

Haley starrte ihren Bruder mit offenem Mund an, die grünen Augen weit aufgerissen. Sein beigefarbenes Leinenhemd war schmutzig vor Schlamm und frischem Blut. 

»Oh Gott«, flüsterte sie und stürzte auf ihn zu.

Er sank zu Boden, während er sich die Seite hielt und die Augen fest zusammendrückte.

»David? Was ist mit dir? Was ist da los?« Sie kniete sich neben ihn und zwang ihn zu ihr aufzusehen, indem sie seinen Kopf mit beiden Händen nach oben drückte. Heiß glühte seine Haut unter ihren kalten Fingern.

Langsam öffnete er die Augen und auch sein Atem beruhigte sich soweit, dass er sprechen konnte. »Ich bin … nur leicht Verletzt.« Ihre Augen flogen zu seiner Seite, die er sich hielt. Blutrot färbte sich dort das Hemd. Sofort zog sie an seinem Arm, aber er hielt sie ab. »Hales … da draußen… die Menschen…. sie werden überfallen, verwundet…«

»Von wem?«

»Ich weiß es nicht. Es… es… sind dunkle Schatten, Schemen… ich habe so etwas noch nie gesehen.« Seine dunkelgrünen Iriden spiegelten blanke Panik wieder, die nun auch von Haley Besitz ergriff. Ihre Brust wurde eng, ihre Hände schweißnass. 

»HALEEEEY«, schrie Ava plötzlich und Haley fuhr herum. 

Eine Schattengestalt umklammerte ihre kleine Schwester. Dunkle Arme, die weder fest noch flüssig waren, schlangen sich um Avas Kehle und drückten ihr die Luft ab. Sie zappelte wild, versuchte sich zu wehren, aber es war vergebens.

Noch bevor David reagieren konnte, war Haley bereits auf den Beinen, preschte nach vorne. Sie schnappte sich ein Messer von der Anrichte und stürmte auf das Ungetüm zu. 

Es gab ein Fauchen von sich, das sich wie das Schaben von Metall auf Stein anhörte.

»Lass sie los!«, schrie Haley und attackierte den dunklen Schemen, den sie kaum mit den Augen erfassen konnte. Es war mehr eine Ahnung, die sie anleitete, ihr einflüsterte, wo das Ding war. Der erste Hieb ging daneben, aber der zweite saß. Die Klinge fuhr durch das halb feste, halb flüssige Wesen hindurch, hinterließ ein klaffendes Loch in dem gallertartigen Gewebe. Mit einem weiteren Fauchen ließ es Ava los, die sofort hinter ihr Schutz suchte.

Haley stand bereit, das Messer erhoben, dem Monster gegenüber. Ihre Hände zitternden, während das Adrenalin durch ihre Adern peitschte. 

»Was willst du?«, rief sie, das kurze Zögern des Schattens ausnutzend. 

Ein Lachen, so kalt wie die Schattentundra im hohen Norden, durchfuhr die Stille, die sich für einen Moment ausgebreitet hatte. 

»Wir sind die Dunklen, die Schatten, Euer aller Alptraum und wir werden Euch alle vernichten.« Die Stimme des Wesens war ein dunkles Grollen, welches sie bis ins Innerste erschütterte. 

Plötzlich schrie David auf und Haley wirbelte herum. Die Haustür war nach außen weggerissen worden und drei dieser Schattenwesen zogen an Davids Armen, schleiften ihn heraus. Avas kleine Hände klammerten sich an ihr Leinenkleid. Was sollte sie tun? Gelähmt stand sie da, starrte auf Davids Füße, die langsam aus ihrem Blickfeld verschwanden. Die Panik, die wie das tosende Meer durch ihren Körper peitschte, hatte sie außer Gefecht gesetzt. 

Dann waren, wie aus dem Nichts, vier weitere Monster hinter ihnen. Ihre kalten Schattenhände wollten nach Ava greifen, aber Haley stolperte zurück, zog ihre Schwester in die Arme. Sie kniete sich nieder, schützte das unschuldige Kinderleben vor den Angreifern. Nun war es zu Ende, schoss es ihr durch den Kopf. Ein endgültiger Gedanke und sie betete, dass es nur schnell gehen möge. Haley schloss die Augen und atmete tief durch. 

Plötzlich wurde ihr warm. Ihr Herz begann zu stolpern und durch ihre geschlossenen Lider nahm sie ein helles Licht war. Sie riss die Augen auf und erkannte, dass sie das Licht aussandte. Was war hier los? Doch sie hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Die Schattenwesen fauchten, schoben sich blitzschnell auf sie zu. Haley hatte keine Ahnung, woher das Wissen kam, dass plötzlich ihren Verstand flutete, aber das war auch völlig egal. Sie wusste, wie sie die Schatten in die Flucht schlagen konnte. Sie presste Ava an ihre Brust und schloss erneut ihre Lider.

Heiß zog das Leuchten durch ihren Körper. Fast hatte sie das Gefühl, als brenne sie von innen. Es frass sich von ihrer Brust, bis in die äußersten Hautzellen. Kalter Schweiß rann ihre Stirn herab und ihr blieb die Luft zum Atmen weg. Dann, plötzlich, brach es aus ihr heraus. Glühend heiß und so hell wie die Sonne. Haley schrie auf, krümmte sich vor Schmerzen zusammen, bevor die Schwärze sie in die Bewusstlosigkeit zog.

2. Kapitel

 

Janos stand am Fenster, das zum Palastgarten hinausführte. Die Sonne sank langsam dem Horizont entgegen und überzog alles mit einem goldenen Schimmer, während der Wind den Geruch von frischem Gras und blühenden Büschen zu ihm herauf trug.

Er überblickte die Stadt, die sich an die Schlossmauern anschmiegte, das Leben, das dort unten pulsierte, wie ein schlagendes Herz. Normalerweise löste dieser Anblick ein Gefühl von Frieden in ihm aus, Freude und auch Stolz. 

Heute allerdings, warfen schwere Angriffe ihre Schatten weit voraus und der König sorgte sich um seine Untertanen. Niemand konnte ihm bisher sagen, was in den Dörfern vor sich ging und seine Soldaten waren noch nicht in die betroffenen Gebiete gelangt.

Seine rechte Hand schloss sich fester um das Bündel Pergament, das von den Angriffen berichtete. So lange herrschte Frieden unter den Völkern und nun das. Innerhalb von zwei Tagen waren mehrere Laufburschen am Hof eingetroffen und alle berichteten das Gleiche. Ihre Dörfer wurden von Schatten, schemenhaften Wesen, überfallen. Junge Männer wurden verschleppt, während Frauen und Kinder reihenweise ihr Leben lassen mussten. 

Schritte hallten unvermittelt durch den langen Gang, die seine Gedanken unterbrachen. 

Fios bog um eine Ecke und eilte auf ihn zu. Als er bei ihm angekommen war, sank er in die Knie, ehe er sich rasch wieder erhob. Er trug ein weißes Trainingshemd und leichte Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Das Gesicht seines Beraters und guten Freundes zeugte von der Anspannung, die alle in den letzten Tagen ergriffen hatte. Die blauen Augen waren verengt und einige Strähnen seines schwarzen Haares, hatten sich aus seinem Zopf gelöst. 

»Mein König, ich habe eben einen neuen Bericht über Angriffe erhalten, aber diesmal ist etwas sehr ungewöhnlich daran.«

Janos wandte sich ihm nun ganz zu. »Was meinst du?« 

Den Ton, den Fios anschlug, gefiel ihm ganz und gar nicht. 

»Es ist ein Bericht aus dem Norden, aus einem Dorf Namens Dorwald. Dort gab es auch Angriffe und der Bürgermeister behauptet eine Junge Frau wäre daran Schuld. Ein Experiment mit schwarzer Magie wäre schief gelaufen und als sie das bemerkte, hätte sie das halbe Dorf in die Luft gesprengt.«

 »Schwarze Magie? Ein Dorf in die Luft gesprengt?« Der König runzelte nachdenklich die Stirn, während sein Blick wieder aus dem Fenster glitt. 

»Was hältst du davon?«, fragte Fios auf sein Schweigen hin.

»Erstens niemand ist in der Lage eine solche Menge an schwarzer Magie aufzuwenden, damit Wesen aus dem Schattenreich das ganze Land überfallen. Und zweitens, dort leben nur Menschen. Wie kommt der Bürgermeister darauf?«

Kurz raschelte das Pergament, als sein Berater es weiter aufrollte. »Sie hätte ein gleißendes Licht ausgesendet, das dem Licht von Magiern ähnelt.«

»Ein Mensch sendet Licht aus? Was steht im Geburtenregister über sie?« 

»Ihr Name ist Haley Fullight. Vater unbekannt, Mutter menschlich. Eine Yvride vielleicht?«

»Das wäre möglich. Aber dennoch wäre sie nicht in der Lage so viel Magie aufzuwenden.« Janos schüttelte den Kopf. Das ergab alles keinen Sinn. 

»Wie haben diese Schattenwesen darauf reagiert?«

Fios Augen glitten über die Zeilen, bis er den Kopf hob und mit den Schultern zuckte. »Darüber ist leider nichts vermerkt. Nur, dass die Wesen nach der Explosion verschwunden waren.«

Janos runzelte die Stirn, während er sich über den Bartschatten fuhr.

»Das klingt alles höchst seltsam. Es wäre wohl besser, wir gehen dem auf den Grund.« Er konnte es nicht näher definieren, aber etwas sagte ihm, dass es sogar von höchster Wichtigkeit war, diese Frau näher in Augenschein zu nehmen. Vielleicht gab es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen den Schattenwesen und ihr.

»Lass sie herholen, Fios.«

Dieser nickte nach kurzem zögern, ehe er salutierte und auf dem Absatz kehrt machte, um den Befehl auszuführen.

Der König sah ihm nach, bis er um eine Ecke verschwunden war, dann lehnte er sich an die Balustrade und ließ abermals seinen Blick über die Landschaft streifen. Die Sonne war bereits verschwunden und der rosafarbene Himmel kündigte die kommende Nacht an. Seine Gedanken begannen zu kreisen, über eine längst vergessene Geschichte, die ihm seine Mutter immer als Kind erzählt hatte – das Spiel zwischen Licht und Dunkelheit. Konnte das sein? Konnte eine Legende, ein Märchen tatsächlich wahr sein?

Er zog ein goldenes Amulett unter seinem Hemd hervor und strich mit dem Daumen über die glatte Oberfläche. Kurz flackerte der weiße Stein in der Mitte auf und er hoffte, dass sein Bruder der Nachricht folgen würde.

3. Kapitel

 

Seit zwei Tagen war Haley bereits unterwegs. Eingesperrt in einen kleinen Käfig, als wäre sie ein wildes Tier. Der Strick, mit dem sie gefesselt war, hatte die Haut an ihren Handgelenken aufgescheuert und mit jeder Bewegung durchfuhr sie ein stechender Schmerz. 

Schaukelnd bahnte sich die Kutsche einen Weg durch die Dunkelheit der Nacht. Nur die kleine Laterne an der Seite des Bocks spendete flackernd etwas Licht. Immer wieder warf der Kutscher beunruhigte Blicke nach hinten, als erwartete er, Haley würde ihn jeden Moment angreifen. 

Die letzten Tage waren der reinste Alptraum. Als sie zu sich kam, befand sie sich gefesselt und geknebelt in diesem Käfig, der mitten im Dorf stand. Alles um sie herum lag in Trümmern und die Dorfbewohner bespuckten sie, wenn sie an ihr vorbeiliefen. 

Es hatte Stunden gedauert, bis ihr endlich einer erklärt hatte, was geschehen war. Sie hatte die Schatten zwar verjagt, aber dabei das Dorf in Schutt und Asche gelegt. Sie gaben ihr die Schuld an dem Überfall, beschimpften sie als Hexe, die mit schwarzer Magie ihr Unwesen trieb. 

Noch immer versuchte sie zu verstehen, was passiert war. Immer wieder betrachtete sie ihre Arme, als könne sie darauf die Antwort finden. Woher war diese Kraft in ihrem Inneren gekommen? Und wieso hatte sie das Dorf vernichtet? Das war nie ihre Absicht gewesen, sie wollte doch nur Ava vor diesen Monstern beschützen. Ava… ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, als sie an ihre Schwester dachte. Weinend war sie Nachts an ihren Käfig gekommen und hatte sie angefleht heraus zu kommen. Das hatte ihr das Herz gebrochen. Ihre Mutter war verletzt und konnte kaum gehen, David war spurlos verschwunden und sie wurde in die Hauptstadt gebracht, denn der König persönlich wollte sie sehen.

Sie hatte stundenlang nach Keith verlangt, aber niemand gab ihr eine Antwort. Sie wusste nicht, ob er noch lebte oder genau wie David verschwunden war.

Ein schweres Seufzen floh über ihre rissigen Lippen. Sie umschlang ihre Beine mit den Armen, um sich vor der Kälte zu schützen, nicht mal eine Decke hatte man ihr gegönnt. So saß sie hier, in ihrem alten, dreckigen Leinenkleid und musste ausharren.

Wieder seufzte sie leise, was ihr ein Räuspern des Kutschers einbrachte. »Wer mit diesen Dingern unter einem Hut steckt, hat sich nich zu beschweren«, brummte er in seinen Vollbart, der bereits mit grauen Schleiern durchzogen war. Er schlug den Kragen seines Umhangs höher, als wolle er sich so gegen Haleys Blicke schützen.

Sie wandte sich ab, drehte ihm den Rücken zu, damit sie den Hass in seinen kleinen Augen nicht mehr sehen musste. Sie war es nicht gewöhnt so behandelt zu werden. Alle mochten sie und ihre Familie und genauso hatten sie sich gefreut, als ihre Verlobung mit dem Sohn des Bürgermeisters bekannt gegeben wurde. Aber nun… der Abscheu in den Gesichtern der Dorfbewohner verfolgte sie bis tief in ihre Träume.

Ihr Hals schnürte sich zu und sie holte tief Luft, um die aufsteigenden Tränen niederzukämpfen. 

Sie wischte sich mit einem fleckigen Ärmel über das Gesicht, ehe sie gen Himmel sah. Die Sterne leuchteten hell und zogen eine Spur aus Staub durch das dunkelblaue Himmelszelt und zum ersten Mal in ihrem Leben betete sie zu den Göttern. Bat sie darum, dass es ihrer Mutter, David, Ava und Keith gut ging und das sich alles in Wohlgefallen auflösen würde.

 

Irgendwann war sie weggedämmert und wurde erst durch einen kräftigen Ruck wieder geweckt. Erschrocken richtete sie sich auf und sah sich um. Die Kutsche hatte angehalten und sie befanden sich in einem Hinterhof, umgeben von hohen Steinmauern, die überall weiß glitzerten. 

Hinter ihr lag der Palast Zallons. Sie erkannte ihn sofort, aber keine Erzählung wurde dem gerecht, was sie nun erblickte. 

Die Fassade bestand aus weißem, glatten Marmor, der hier und da leicht schimmerte. Goldene Elemente zierten die Wand, die weit in den Himmel hinauf ragte und in einem hohen Turm endete. Die Spitze des Turmes leuchtete Golden im Schein der aufgehenden Sonne.

Langsam drehte sie sich wieder nach vorn. 

Der Kutscher stand vor zwei Wachmännern und gestikulierte wild, ehe einer der beiden nickte und durch eine kleine Tür, direkt hinter ihnen, verschwand. Der andere warf ihr durch sein hochgeklapptes Visier seines Helmes einen seltsamen Blick zu, denn sie nicht recht deuten konnte. 

Haley seufzte und lehnte sich an die Gitterstäbe. Eigentlich war es ihr momentan egal, wohin sie kam oder was mit ihr geschah. Hauptsache man nahm ihr endlich diese Fesseln ab und sie konnte wieder aufstehen, sich bewegen. Ihre Beine fühlten sich mittlerweile taub und völlig steif an.

 

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, in der der Kutscher pfeifend seine runden im Hof drehte und vom Wachmann nicht aus den Augen gelassen wurde. Die Sonne schien bereits über die Mauer hinweg und wärmte Haleys kalte Glieder. Säße sie nicht in einem Käfig, mit ungewisser Zukunft, hätte sie die wärmenden Strahlen genießen können.

Plötzlich wurde die kleine Tür wieder geöffnet und der Kutscher hielt in der Bewegung inne. 

Eine wunderschöne, junge Frau kam auf den Hof. Ihre langen, weißen Haare, welche offen über ihren Rücken fielen, wehten in einem sanften Windhauch. In einer eleganten Bewegung strich sie eine Strähne hinter ihr Ohr, während sie der Wache ein Lächeln schenkte. 

Goldene Augen saßen in einem schmalen Gesicht, welches durch die hohen Wangenknochen einen aristokratischen Ausdruck bekam. Ihre Haut war weiß, fast durchsichtig umspannte sie den großen, schlanken Körper der Unbekannten. Sie trug ein enganliegendes Kleid aus edler blauer Seide, das im Sonnenlicht sanft schimmerte. So etwas schönes hatte Haley noch nie gesehen. Das musste eine Luvéna sein, eine andere Erklärung hatte sie nicht für diese unwirkliche Erscheinung der Frau.

Als ihr Blick aus goldenen Augen auf Haley zu liegen kam, weiteten sich diese für den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Das war typisch für die Luvén, den Lichtwesen, wie Haley aus den Erzählungen der Ältesten wusste. Keine Rasse hatte sich so unter Kontrolle, wirkte kühl und stets distanziert.

»Lasst sie frei«, sprach diese an den Kutscher gewandt, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. 

Der alte Mann räusperte sich, kratzte sich verlegen am Kopf. »My Lady, bei allem Respekt. Wisst Ihr nicht wer das ist?«

Kurz huschte ihr Blick nun doch zu dem Kutscher, bevor sie wieder Haley fixierte. 

»Natürlich weiß ich das. Wieso denkt Ihr bin ich hier?« Ihre Stimme rutschte ein Stück nach unten, während sie unmerklich das Kinn anhob. 

Als dieser sich noch immer nicht rührte und stattdessen nervös seine Hände knetete, zogen sich ihre silbernen Augenbrauen missbilligend zusammen. »Ich glaube, ich habe mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Lasst sie frei!« Ihre Worte duldeten keinen Widerspruch mehr, das schien selbst dem alten Mann nun endlich klar zu werden und er eilte auf Haley zu. 

Umständlich bestieg er die Ladefläche, während er in den Taschen seines Umhangs nach dem Schlüssel zu suchen schien. Klingelnd beförderte er sie zum Vorschein und näherte sich dem Schloss. Seine kleinen Knopfaugen huschten immer wieder über Haleys Gestalt, während er mit zitternden Händen versuchte den kleinen Schlüssel in das Schloss zu stecken.

Ungeduldig sah sie dem Alten zu, spürte dabei das Kribbeln in ihren Gliedmaßen, die Freude, dass sie endlich aus diesem Käfig rausdurfte. Als das Schloss aufschnappte, betrachtete der Kutscher sie ein letztes Mal. Seine Mundwinkeln hingen nach unten, während er angewidert die Nase rümpfte. »Du kleine Ratte, hoffentlich bekommst du deine gerechte Strafe für das Unheil, das du über uns gebracht hast«, flüsterte er so leise, das nur Haley ihn hören konnte, bevor er vor ihr auf den Boden spukte. 

Haley starrte den alten Mann entsetzt an, bevor sie ihre Unterlippe zwischen die Zähne zog. Die Ungerechtigkeit brannte heiß in ihren Eingeweiden und sie schmeckte bittere Galle auf der Zunge. 

Langsam rappelte sie sich auf und krabbelte zu den offenen Gitterstäben. Der alte Mann hatte sich wieder abgewandt und saß bereits auf seinem Bock. Haley schob den Käfig auf, trat nach draußen und konnte sich endlich wieder aufrichten. Auf einen Wink der Unbekannten Frau hin, eilte eine Wache herbei und befreite Haley von den Fesseln, ehe sie von der Kutsche sprang. 

Sie rieb sich die schmerzenden Handgelenke und konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln der Erleichterung auf ihren Lippen ausbreitete. Es tat gut sich auszustrecken, kein Seil mehr um die Hände zu haben, das die Haut immer mehr abrieb. 

Die Pferde wieherten laut, als der Kutscher ihnen peitschend die Sporen gab, um so schnell wie möglich von dannen zu kommen. Die Kutsche preschte durch das kleine Tor, das soeben aufging, nach draußen und verschwand in einen angrenzenden Wald.

Haley wandte ihren Blick wieder nach vorn, als die Unbekannte direkt vor ihr stehen blieb und ihr ein freundliches Lächeln schenkte. »Willkommen in Mágheim, Haley Fullight. Mein Name ist Nuala von Sarin, eine Beraterin des Königs. Ich habe die Aufgabe mich um Euch zu kümmern, solange Ihr hier seid.«

Haley machte einen leichten Knicks, bevor sie das Haupt niederschlug. Sie hatte schon viel von der Luvéntochter gehört. Unzählige Sagen und Legenden rankten sich um ihre Gestalt, die sich die Menschen mit Ehrfurcht erzählten.

Als sie den Blick wieder hob, hafteten die Augen der Luvéna an ihrem dreckigen, zerschlissenen Kleid. »Wir sollten Euch vielleicht erst einmal baden und Euch etwas anständiges zum Anziehen besorgen. Wie lange wart Ihr dort eingesperrt?«

Haley atmete tief ein und unterdrückte ein Schaudern. Die letzten Tage hatte ihr zugesetzt, sowohl körperlich, als auch geistig.

»Ein paar Tage«, erklärte sie mit krächzender Stimme. 

Nuala schüttelte den Kopf, ehe sie nach ihrer Hand griff und sie mit sich zog. »Das wird dem König ganz und gar nicht gefallen. Seid sicher, dass dies für Euren Bürgermeister und seine Wachen Konsequenzen haben wird.«

 

Nuala führte Haley durch unzählige Gänge des Palastes. Sie war sich sicher, sich hier zu verlaufen, wenn sie alleine wäre. 

Der Boden war ebenfalls aus hellem Marmor, auch wenn dieser einen leichten grau Stich hatte. Die Wände hingegen waren weiß und hier und da mit den gleichen goldenen Ornamenten geschmückt, wie die Fassade. Durch die großen Fenster schien die Sonne ungehindert hinein und Haley konnte einen Blick auf die Stadt hinter dem Palast erhaschen.

Sie war beeindruckt, noch nie hatte sie etwas so schönes und edles gesehen und gleichzeitig wurde ihr ihre Herkunft mehr als bewusst. Sie gehörte nicht hierher. Dieser Ort war für Blaublütige reserviert.

Ihre trüben Gedanken wurden unterbrochen, als Nuala vor einer schlichten, weißen Tür stehen blieb. »Hier ist Eure Unterkunft für die Zeit, die Ihr hier seid.« Sie holte einen silbernen Schlüssel aus ihrem Gewand und reichte ihn Haley. »Ein Badezimmer ist dort auch und Kleidung lasse ich Euch bringen. Wenn Ihr noch irgendetwas benötigt, lasst es mich wissen.«

Haley nahm den Schlüssel entgegen und nickte unschlüssig. »Vielen Dank.«

Nuala lächelte leicht, ihre Hand auf Haleys Arm legend. »Macht Euch frisch, danach bekommt Ihr etwas zu essen und gegen Abend erwartet Euch der König.«

Sie drückte ihren Arm leicht, bevor sie sich umdrehte und mit einem Rascheln ihres Kleides, den Gang entlang eilte, wahrscheinlich um dem König Bericht zu erstatten. 

Haley stand unschlüssig vor der Tür und starrte den Schlüssel an. Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe, bis sich ein metallischer Geschmack auf ihrer Zunge ausbreitete. Was würde sie hier erwarten? War sie noch immer eine Gefangene? Ihr Blick huschte die Gänge rechts und links entlang, aber niemand schien sie zu bewachen. Konnte sie einfach gehen, wenn sie wollte? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Aber eigentlich tat das sowieso nichts zur Sache, denn wo sollte sie schon hin? Ihr Zuhause gab es nicht mehr, geschweige denn, dass die Bewohner zulassen würden, dass sie je wieder einen Fuss in ihr Dorf setzen würde. Selbst Keith würde da nicht viel ausrichten können, wenn er denn noch lebte.

Vielleicht, aber nur vielleicht erwartete sie hier eine bessere Zukunft und vielleicht hatte der König Antworten auf ihre unzähligen Fragen.

 

Schließlich gab sie sich einen Ruck und sperrte das Zimmer auf. Vorsichtig drückte sie die Tür auf und trat langsam ein.

Ein offener Raum breitete sich vor ihr aus, mit Wänden, die die Farbe von hellem Flieder hatten. Einem Bett, das so groß und weich aussah, dass Haley sofort hinging und über die flauschige, weiße Decke streichen musste. Zwar hatte sie Zuhause auch ein Bett, aber es besaß nur eine einfache Strohmatratze, die kein Vergleich war, mit dieser hier. 

Durch ein hohes Bogenfenster, am Ende des Raumes fielen Sonnenstrahlen herein, die eine Sitzecke, bestehend aus einem kleinen Tisch und zwei lavendelfarbenen Ohrensesseln, in sanftes Licht tauchte.

Mit großen Augen ging sie auf das Fenster zu und entdeckte einen herrlichen Garten, der sich darunter ausbreitete. Kleine Wege, welche von bunten Büschen und Obstbäumen gesäumt wurden, schlängelten sich entlang und verschwanden zu beiden Seiten hinter dem Palast. Vorsichtig öffnete sie das Fenster und sog die warme, süße Luft tief in ihre Lungen. Für einen Moment gönnte sie sich diese Ruhe, bevor ihre Gedanken wieder die Arbeit aufnahmen und sie daran erinnerten, weswegen sie hier war.

Mit einem Seufzen wandte sie sich wieder ab und ging auf die Tür zu, hinter der sie das Bad vermutete. Sie freute sich, den Schmutz der letzten Tage endlich abwaschen zu können und aus diesem stinkenden Kleid herauszukommen. 

 

Das Bad wirkte wahre Wunder. Vom Schmutz befreit, fühlte sich sogleich auch ihre Seele leichter, als hätte sie die letzten Tage mit abgewaschen. In ein großes Tuch gewickelt, ging sie wieder in ihr Zimmer und bliebt erstaunt stehen, als ihr Blick auf das Bett fiel. Eine Auswahl an verschiedenen Kleidern lag dort, in den strahlendsten Farben und den schönsten Materialien. 

Ein Zettel lag oben auf, den sie zur Hand nahm.

 

»Liebste Lady Fullight, ich wollte Euch nicht bei eurem Bad stören. Hier ist eine Auswahl an Kleidern, die Euch passen könnten. Bitte seht sie als Geschenk des Königs an. Sie gehören Euch. Gezeichnet: Nuala.«

 

Haley schluckte schwer, als sie den Zettel sinken ließ. Ganz vorsichtig, aus Angst, etwas an dem edlen Stoff zu zerstören, strich sie über ein Kleid, das ihr sofort ins Auge gesprungen war. Es war in einem dunklen Grün gehalten und aus edelster Seide gefertigt. Selbst in der Schneiderei, hatte sie nie solch hochwertige Stoffe verarbeiten können. Niemand in Dorwald hatte soviel Gold, um sich dies leisten zu können. Sie konnte nicht glauben, welch Luxus ihr hier zuteil wurde. Es gab mit Sicherheit einen Haken. Vielleicht waren dies ihre letzten Stunden und sie wurde deshalb so verwöhnt.

Mit einem unangenehmen Drücken in der Magengegend schlüpfte sie in diesen grünen Traum. Seidig schmiegte sich der Stoff an ihre Haut und umschmeichelte ihre Kurven. Sie zog die Schnürung, die aus goldfarbenen Garn bestand, vorne fest und tatsächlich passte es wie angegossen. Es warf keine Falten, wo keine sollten, war aber auch nicht zu eng. 

Sie kam nicht umhin sich staunend in einem hohen Spiegel zu betrachten, der sich neben der Kleidertruhe befand. Sie sah so ungewohnt aus und wenn man über die Schatten unter ihren Augen hinwegsah, dachte man fast sie gehörte hierher. Aber so schön es auch war, fühlte es sich an wie eine Verkleidung. Das war nicht sie, die ihr da entgegen blickte. 

Seufzend wandte sie sich ab, tat sich doch ein bodenloses Loch auf, wenn sie genauer darüber nachdachte, wer sie eigentlich war. Sie ließ sich auf einen der Ohrensessel nieder und flocht ihre Haare zu einem lockeren Zopf, das lenkte sie wenigstens etwas ab. 

 

Es hatte nicht lange gedauert, ehe ein Diener an Haleys Zimmer erschienen war und ihr etwas zu essen gebracht hatte. Nachdem sie gestärkt war, holte der Diener Nuala, die sie nun endlich zum König bringen wollte.

»Ihr seht bezaubernd aus«, sagte die Luvéna und nickte ihr anerkennend zu. 

Haley konnte nicht verhindern, dass ihre Wangen rot anliefen.

»Vielen Dank für die edlen Kleider«, meinte sie und versuchte die aufkeimende Unsicherheit aus ihrer Stimme zu verbannen. 

»Nichts zu danken. Ihr seid so etwas nicht gewohnt?« Nualas Stimme klang völlig neutral. Es lag keine Missbilligung darin, wie Haley es erwartet hatte. Sie schien es einfach nur zu interessieren.

»Nein, ich bevorzuge eher… sagen wir praktische Kleidung.« Sie wollte einer so edlen Frau gegenüber nicht zugeben, dass sie sich schlicht keine solchen Stoffe leisten konnte. Dafür schämte sie sich viel zu sehr.

Nuala nickte leicht. »Ich verstehe.«

Schweigen breitete sich über sie aus, das Haley an ihrer Lippe kauen ließ. So hatte ihr Kopf nichts, um sich abzulenken. Ständig kreisten die gleichen Fragen durch ihren Verstand und trieben sie schier in den Wahnsinn. Was würde nun passieren? Wusste der König was mit ihr los war? Wurde sie womöglich bestraft? Panik wallte auf und jagte durch ihren Körper, ließ ihr Herz unruhig schlagen. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang sie sich zur Ruhe.

Der Weg zog sich unendlich in die Länge. Sie bogen an unzähligen Ecken ab und Haley hatte schon bald die Orientierung verloren. Sie starrte nur noch geradeaus und hoffte bald da zu sein.

Endlich hielten sie vor einer schweren Flügeltür, die von zwei bewaffneten Männern bewacht wurde. Sie zuckten nicht einmal mit der Wimper, als Nuala einfach auf die Tür zutrat und einen Flügel aufschob. Leicht schwang die aufwendig geschmückte Tür nach innen auf und offenbarte einen gewaltigen Saal – den Thronsaal, wie Haley feststellte, als sie hinter Nuala eintrat. 

Direkt vor ihr, am Ende des Raumes, der nach oben hin in einer gewaltigen gläsernen Kuppel endete, stand ein riesiger Thron. Es war mehr ein überdimensionaler Stuhl, der reichlich mit goldenen Elementen verziert war. Er stand etwas erhöht, damit der König jederzeit auf andere herabsehen konnte.

Auf ihm saß ein Mann, geschätzt nur wenige Jahre älter als sie. Er zog sie mit seiner Ausstrahlung sofort in den Bann. Seine schwarzen Haare hatte er sorgsam zu einem Zopf im Nacken gebunden. Silbergraue Augen mit den unverkennbaren goldenen Ring um die Iris, den ihn als Magier kennzeichneten, blickten gütig auf Haley herab, während sich ein warmes Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. Eine markante Narbe zog sich über seine rechte Gesichtshälfte und verlieh ihm einen rauen Ausdruck. Er trug ein weißes Hemd über dem er eine rote, bodenlange Tunika geworfen hatte, die von einem breiten Gürtel zusammengehalten wurde. Seine Füße steckten in schweren Stiefeln und eine schwarze Lederhose schmückten seine kräftigen Beine. 

Haley schluckte, er hatte wahrlich etwas königliches an sich, das sie gar nicht näher beschreiben konnte. Die Frauen mussten ihm scharenweise zu Füßen liegen.

»Lady Fullight, wie schön Euch zu sehen.« Er breitete die Arme aus und kam die wenigen Stufen herunter. Sofort sank sie auf die Knie und senkte den Kopf, als ihr wieder einfiel, wie sie sich zu verhalten hatte, aber ein warmes Lachen ließ sie wieder aufsehen.

»Bitte erhebt Euch.«

Langsam erhob sie sich wieder und strich ihr Kleid glatt.

»Ich bin Janos von Coros«, stellte er sich vor und deutete eine Verbeugung an. »Ich freue mich, Euch kennenzulernen.«

»Ganz meinerseits.« Haley musste sich räuspern, ehe ihr ihre Stimme wieder gehorchte. Trotz seiner warmen Art, war sie noch immer nervös.

»Ich denke, wir ziehen uns in den Beratungsraum zurück. Hier ist alles etwas unpersönlich.« Janos sah sich um und verzog für den Bruchteil einer Sekunde den Mund, ehe er wieder auf sie herab lächelte. »Bitte folgt mir.«

Dann wandte er sich um und ging auf eine Tür, am anderen Ende der Halle zu. Sie wirkte unscheinbar, fast hätte Haley sie übersehen, wenn sie nicht auf einen Fingerzeig von Janos hin aufgesprungen wäre.

Das war nicht das erste Mal, dass sie Magie sah, aber es beeindruckte sie, als sie die blau-leuchtenden Partikel erblickte, die durch die Luft flirrten und schließlich verglühten.

 

Als sie den Raum betraten, wurde sie abermals überrascht. Er wirkte weniger festlich, eher gemütlich und war für lange Stunden und hartnäckige Verhandlungen ausgelegt. Ein großer Tisch stand in der Mitte, um den unterschiedliche Stühle standen. Von harten Holzstühlen, bis hin zu weichen Sesseln, war alles da. In der Ecke zu ihrer Rechten befand sich ein großzügiger Kamin, der nun still und erloschen dar lag. Am Ende des Raumes befand sich eine große Fensterfront, die auf die Stadt hinaus zeigte. Hausdach an Hausdach reihte sich hinter der Palastmauer aneinander.

Janos zog einen Stuhl hervor und bedeutete Haley sich zu setzen. Langsam ließ sie sich darauf nieder, während Janos sich ihr gegenüber setzte. Sofort kam ein Diener herbei und brachte ein Tablett mit dampfenden Tee. 

Der Duft nach Minze erfüllte die Luft und Haley warf einen sehnsüchtigen Blick auf die silberne Kanne. Als hätte der Diener dies bemerkt, begann er den Tee in zwei Becher zu gießen. Nachdem der König seinen entgegengenommen hatte, bekam auch Haley eine Tasse des warmen Getränks. 

Ihre Finger schlossen sich um das heiße Porzellan und die Wärme entspannte sie ein wenig. 

»So, nun kommen wir zu meinem Anliegen, Lady Fullight«, sagte Janos und die Ernsthaftigkeit seiner Züge, ließen ihn plötzlich um Jahre älter aussehen. 

»Erzählt mir von Euch und jener Nacht. Und ich möchte alles wissen, jedes Detail und sei es noch so unwichtig. Versteht Ihr?«

Haley nickte leicht, ehe sie sich räusperte. Ihr Blick konnte dem Janos nicht standhalten, zu forschend waren seine silbergrauen Iriden und so starrte sie stattdessen auf die Tasse in ihren Händen. 

»Ich habe das nicht mit Absicht getan. Ich wollte doch nicht mein eigenes Dorf zerstören. Ganz abgesehen davon, bin doch nur ein Mensch und besitze keinen Funken Magie«, meinte Haley und als sie aufsah, erkannte sie ein kleines Lächeln auf Janos Lippen.

»Die Bürger Eures Dorfes sind Unwissend, Lady Fullight. Jedem Magier ist Bewusst, dass diese Angriffe kein schief gelaufenes Experiment in schwarzer Magie waren. Viel zu groß, wäre die benötigte Energie gewesen, um so etwas zu erreichen. Mich interessiert vielmehr, was bei dieser Explosion vorgegangen ist.«

Sie schluckte leicht. Die Erleichterung, die sich kurz in ihrem Inneren ausgebreitet hatte, zog sich sofort wieder zurück. Stattdessen ließ sie ein tiefes Loch in ihrem Herzen zurück.

»Ich weiß es nicht«, gab sie zu und senkte erneut den Blick. 

»Da war dieses Leuchten in mir und diese Schmerzen… Irgendwie hatte ich gewusst, dass ich damit diese Monster verjagen kann. Aber ich wollte das Dorf nicht zerstören. Bitte glaubt mir.« Verzweiflung griff mit eisernen Klauen nach ihr und ließ ihre Kehle eng werden.

Zwischen den Brauen des Königs bildete sich eine Steile Falte.

»Gebt mir Eure Hände.« Auffordernd legte er seine auf den Tisch. Haley zögerte, was Janos Lachen ließ. 

»Keine Angst. Ich möchte nur sehen und fühlen, was Ihr gesehen und gefühlt habt. Mit einer Berührung ist mir das möglich.«

Haley hatte schon von solchen mentalen Fähigkeiten gehört, dennoch bereitete es ihr ein mulmiges Gefühl. Was würde er sehen? Aber schließlich hatte sie nichts zu verbergen und legte ihre Hände in seine. Sofort verschwamm ihre Sicht, nur um sich kurz darauf wieder zu klären. Sie stand im Dunkeln in ihrem Haus, während eine blutige Hand an das Glas donnerte...

Als Janos genug gesehen hatte, löste er den Griff und katapultierte Haley wieder in das Hier und Jetzt. Sie atmete schwer, während ihr Herz wild trommelte. Sie hatte weit mehr gesehen, als das, an das sie sich erinnern konnte. Sie hatte gesehen, wie alles um sie herum explodierte, wie die Schatten sich verzerrten und dann verschwanden. Hatte gesehen, wie ihr Körper geleuchtet hatte, als wäre sie ein Stück Kohle. Und dann diese Schmerzen, diese unerträglichen Schmerzen.

Tränen liefen ihre Wangen herunter und sie zitterte stark. Was war da nur passiert?

Janos fuhr sich mit einer Hand über den Bartschatten. Selbst er schien mitgenommen, denn er war blass und Schweiß stand auf seiner Stirn. 

»Das ist alles sehr interessant. Wie ich gesehen habe, ist Euch dieses Leuchten zum ersten Mal passiert, richtig?«

Sie nickte nur, denn sie traute ihrer Stimme noch nicht. Noch immer kämpfte sie damit, sich wieder zu beruhigen.

»Gut gut, dann werden wir herausfinden, was das war. Da ihr die Schatten damit verjagt habt, könnte das der entscheidende Hinweis sein. Seid unbesorgt. Ich werde meinen Bruder zu Rate ziehen, er ist Experte in solchen Dingen. Wenn es einer herausfinden kann, dann er.«

Langsam kehrte die Farbe wieder in seine Züge zurück und das Lächeln, das er zeigte, beruhigte sie. Sie wurde nicht bestraft, denn er hatte gesehen, dass es nicht ihre Absicht war.

»Als erstes möchte ich Euch zu den Heilern schicken«, meinte er und erhob sich. »Sie untersuchen Euch und können so vielleicht schon erste Erkenntnisse zu Tage fördern.«

4. Kapitel

 Es war bereits Dunkel, als Asmir den Hof seines Bruders erreichte. Erschöpft übergab er seinen schwarzen Hengst Aris an die Stallburschen, nicht ohne ihm noch einmal zärtlich durch die Mähne zu streichen. Dann wandte er sich ab und eilte im Laufschritt in den Palast.
»Asmir, warte!«, rief Nada, seine engste Vertraute, und lief ihm nach. Die Absätze ihrer Schuhe klakerten laut auf dem hellen Marmorboden und bohrten sich direkt in seinen Kopf. Mit einem Seufzen drückte er auf seine Nasenwurzel, als könne er so den Schmerz etwas lindern, der sich vor einigen Tagen in seinem Schädel ausgebreitet hatte.
»Was finden Frauen nur an diesen furchtbaren Schuhen?«, murmelte er, als Nada zu ihm aufgeschlossen hatte.
Mit einem Grinsen sah sie an sich herab, hob den roten, wallenden Rock, damit sie ihre Schuhe betrachten konnte. »Sie sehen schön aus.«
»Damit hört dich jeder meilenweit entfernt, da ist die Schönheit völlig irrelevant.«
»Ich gehe gerade weder Jagen, noch stehe ich auf einem Schlachtfeld. Also ist die Schönheit dieser Schuhe absolut relevant.« Amüsiert zwinkerte sie ihm zu, ehe sie sich bei ihm unterhakte.
Er konnte das Zucken seiner Mundwinkel nur schwer unterdrücken. Genau das mochte er an ihrer Art. Egal wie griesgrämig er gerade war, sie ließ sich nicht im geringsten davon anstecken. »Wenn du meinst…«
»Ja, das meine ich. Wie oft soll-« Nada wurde in ihrem Redeschwall unterbrochen, als sie um eine Ecke bogen und Nuala plötzlich vor ihnen stand.
Sie schenkte ihnen ein kühles Lächeln, ehe sie ihr Haupt leicht neigte. »Eure Hoheit, welch seltener Anblick in diesen Fluren.«
Asmirs Augen verengten sich. Nuala hielt sich mit ihrer Meinung über sein Fehlen am Hofe nicht zurück. Nie hatte sie es verstanden, dass Asmir sich zurückgezogen, den Posten als engsten Berater des Königs verlassen hatte. Ihrer Meinung nach gehörte er, als Mitglied der königlichen Familie an den Hof, völlig egal welche Umstände ihn gezwungen hatten, sich zurückzuziehen.
»Wie Ihr wisst, komme ich, wenn mein Bruder meine Hilfe benötigt.« Ein Lächeln, perfektioniert seid Kindesbeinen an, breitete sich auf seinen Lippen aus. Er hasste es, wenn er sich genötigt fühlte, sich zu rechtfertigen.
Nada schien seine gereizte Stimmung bemerkt zu haben und zog leicht an seinem Arm.
Asmir unterdrückte ein genervtes Schnauben, stattdessen senkte er leicht das Haupt. »Wir müssen nun weiter, Janos erwartet mich.«
»Ich hoffe für Euch, ihr gebt Euch Mühe.«
»Das lasst nur meine Sorge sein, Luvéntochter.« So langsam war er am Ende seiner Geduld und biss sich auf die Zähne, damit er nicht ausfällig wurde.
Nuala hingegen hatte noch nicht genug und reckte das Kinn in die Höhe. Sie musste immer das letzte Wort haben.
»Es ist unser aller Sorge, was in Zallon momentan passiert.« Dann nickte sie ihnen zu und rauschte an ihnen vorbei.
Er ließ die Schultern sinken und schüttelte den Kopf.
»Ich kann sie nicht ausstehen«, flüsterte Nada und brachte ihn damit zum Schmunzeln. Ihm ging es genauso.
»Luvén sind einfach so, leider. Ich habe den Zorn des ganzen Volkes auf mich gezogen, als ich gegangen bin. Ihrer Meinung nach bin ich ein Hochverräter.«
»Ach, die haben doch keine Ahnung. Nicht jeder muss sein eigenes Leben für das seines Volkes opfern.« Nada verdrehte die Augen, während sie weiter den Flur entlang gingen.
»Sie ist nur frustriert, das ist alles.«
Vielleicht hatte sie recht, dachte Asmir. Niemand war so selbstlos wie die Luvén. Sie verstanden einfach nicht, dass er gute Gründe gehabt hatte, den Hof seines Bruders zu verlassen.

Vor den Türen des Beratungszimmers verabschiedete sich Nada, um sich etwas zu essen zu besorgen. Sie wusste, dass Janos lieber alleine mit ihm sprach, wenn es um etwas wichtiges ging.
Kaum hatte er den Raum betreten, eilte Janos auf ihn zu, um ihn in eine Umarmung zu ziehen. »Kleiner Bruder, endlich sehe ich dich wieder. Wie lange ist es schon her?«
Asmir verspannte sich sofort unter Janos Armen, war ihm seit jeher körperliche Berührung, wie diese, mehr als unangenehm. »Ich habe dich nie von meinem Schloss ferngehalten.«
Janos packte ihn an den Schultern und drückte ihn weg, wie er es immer machte, um ihn genau zu mustern. Weiß der Himmel, wieso er sich diese Geste angewöhnt hatte. Als wäre Asmir ein kleiner Junge, der seit der letzten Begegnung in die Höhe geschossen war.
»Ich weiß, aber du weißt auch, dass ich hier nicht weg kann. Du musst öfter kommen, ich bitte dich darum. Du fehlst an meiner Seite.«
Ein trauriger Ausdruck huschte über die Miene seines großen Bruders, aber Janos wusste genauso gut wie er, dass es seine Gründe hatte.
»Hörst du jemals auf, mir das zu sagen?«
»Nein, denn erst, wenn du wieder an meiner Seite bist, hörst du auf mir zu fehlen. Du bist mein Bruder, mein bester Freund.«
Asmir seufzte leicht und wandte sich ab, ging zu einem der Sessel, um sich darauf niederzulassen. Er konnte den Vorwurf in den Augen seines Bruders nicht mehr ertragen. Genau das, war einer der Gründe weshalb er so selten zu Besuch war. Janos sehnte sich zu sehr nach den alten Zeiten, aber diese gab es nicht mehr. Es würde sie auch nie mehr geben. Da änderte auch sein Flehen nichts. »Immerhin bin ich hier, nachdem du mich gebeten hast, persönlich mit mir zu sprechen.«
Janos seufzte ebenfalls, ehe er einzusehen schien, das eine weitere Diskussion über dieses Thema nichts brachte.
»Dafür danke ich dir.« Er ließ sich ihm gegenüber sinken, während sein Blick stetig auf ihm lag, seine Brauen forschend zusammengezogen.
»Sicher hast du von den Überfällen auf Dörfer und kleinere Städte bereits gehört, richtig?«
Asmir nickte leicht. Nichts anderes wurde in den Straßen zurzeit diskutiert. Die wildesten Gerüchte waren ihm auf den Weg hierher begegnet.
»Eine Frau aus dem Norden berichtete mir, dass diese Wesen sich die Dunklen nennen.«
»Die Dunklen? Noch nie gehört. Du?«
Janos schüttelte den Kopf. »Nein. Auch die Gelehrten wissen zur Zeit nicht, wer oder was diese Dunklen sind.«
»Hast du mich deswegen hergeholt? Herauszufinden, wer oder was sie sind?«
»Nein, ich habe eine andere Aufgabe für dich.« Ein schmales Lächeln breitete sich auf Janos Lippen aus und Asmir war sofort klar, das er etwas im Schilde führte.
»Jene Frau hat die Schatten in die Flucht geschlagen, mit einem strahlenden, farblosen Leuchten, das aus ihr selbst gekommen ist. Sie kann es nicht erklären und hat es auch nicht bewusst gesteuert.«
»Ist sie eine Magerin?«, fragte Asmir nach und beugte sich interessiert nach vorne.
»Nein, höchsten eine Yvride. Ihre Mutter ist menschlich, aber über ihren Vater ist nichts bekannt. Ich bitte dich herauszufinden, was es mit diesem Leuchten und mit ihr auf sich hat.«
Asmir schnaubte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Ein Mischling? Niemals. Mischlinge haben keinen Zugang zur Magie. Vielleicht war es nur Zufall oder sie hat mit irgendetwas experimentiert? Sie wäre nicht die erste, die sich selbst in die Luft jagt.«
Janos Brauen verzogen sich zu einem schmalen Strich. »Nein, das glaube ich nicht. Außerdem gibt es immer wieder Ausnahmen, Asmir. Zumal noch nicht sicher ist, ob sie überhaupt eine ist. Ich dachte eigentlich, dass ich damit deine Neugier wecken kann. Jede Abweichung der Norm hat dich zu früheren Zeiten immer brennend interessiert.«
Asmir krempelte den Ärmel seines Hemdes hoch, ehe er den Arm nach seinem Bruder ausstreckte. »Zeig es mir erst einmal, dann sehen wir weiter.«
Mit einem wissenden Lächeln ergriff Janos seine Hand und zeigte ihm die Erlebnisse und Gefühle dieser jungen Frau. Asmir war erstaunt, was er erblickte. Noch nie zuvor hatte er so etwas gesehen und tatsächlich, hatte sie die Schatten verjagt, vielleicht sogar vernichtet, aber dazu war ihre Sicht zu unklar und ihr Bewusstsein schon zu weit entfernt, um etwas genaues zu erkennen, als das Leuchten sich wieder legte. Aber nichtsdestotrotz hatte ihr Unterbewusstsein eine Menge Informationen gespeichert. Das sah er nicht oft.
Als Janos losließ, lehnte sich Asmir in seinen Stuhl wieder zurück und bettete seine Arme auf den Lehnen seines Sessels, während er mit den Zähnen knirschte. Er hasste es, wenn Janos recht hatte.
»Womöglich könnte dies in der Tat interessant sein.«
»Also siehst du sie dir an?« Er sah den Hoffnungsschimmer in den Augen seines großen Bruders und konnte nur schwer nein sagen.
Er nickte leicht. Einen Blick war es aufjedenfall wert.

Als Asmir die aufwendig dekorierte Tür seiner alten Gemächer aufstieß, stockte er kurz, als er sah, wer in seiner Sitzecke saß.
»Was machst du hier? Du hast dein eigenes Zimmer.«
Nada saß auf einem seiner Sessel und blätterte in einem Buch. Sie trug ein frisches Kleid in einem dunklen Braun, das im Kerzenschein leicht glitzerte. Ihre langen blonden Haare waren feucht und fielen offen über ihren Rücken. Als sie aufsah, erkannte er wie so oft die Schönheit in seiner engsten Vertrauten und doch war da keinerlei Leidenschaft in ihm. Sie war von Anfang an mehr wie eine Schwester für ihn, als ein Objekt seiner Begierde. Aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass das Interesse an Frauen seit damals vollständig verschwunden war.
»Oh nein, du denkst schon wieder viel zu viel nach. Das sehe ich an deinem Blick, Asmir.« Nada legte das Buch beiseite, während sie ihn ansah, als hätte er irgendetwas verbrochen.
»Ich habe dich gefragt, was du hier machst?«, grollte er, ihre Feststellung ignorierend. Sie kannte ihn einfach viel zu gut.
»Ich dachte mir, du könnest vielleicht etwas Gesellschaft gebrauchen.«
Asmir schnaubte leicht, ehe sich ein schiefes Grinsen in seine Miene schob. »Du bist nur neugierig, das ist alles.«
Eine leichte Röte überzog Nadas Wangen, als sie das Kinn entschlossen nach oben reckte. »Mag sein. Also, erzählst du es mir?«
Er seufzte leicht, während er den Kopf schüttelte. Dann ging er auf den zweiten Sessel zu und ließ sich darauf sinken.
»Janos möchte, dass ich mir eine junge Frau ansehe. Sie hat diese Schattenwesen in die Flucht geschlagen.«
»Lass mich raten, du hältst nicht viel davon.« Es war eine Feststellung von ihr, keine Frage.
»Ich weiß es nicht. Womöglich. Was er mir gezeigt hat, war mehr als ungewöhnlich, aber… sie ist ein Mensch, vielleicht eine Yvride. Sie dürfte das eigentlich nicht können.«
»Klingt interessant. Schaust du sie dir an?« Eine ihrer Augenbrauen wanderte nach oben.
»Das wird ein erstes Gespräch mit ihr zeigen.«
»Vielleicht ist sie ja endlich mal eine Frau, die dein Herz erwärmen kann«, meinte sie und grinste.
Asmir verdrehte die Augen.
»Du redest Unsinn. Außerdem ist sie ein Mensch und vielleicht eine Yvride. Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja, das tue ich. Und du könntest deine Vorurteile mal ablegen. Wir leben nicht mehr im dunklen Zeitalter, wo sich die Völker nicht vermischen durften. Ich denke, ein bisschen Liebe würde dir ganz gut tun.«
»Ich habe keine Vorurteile. Du weißt, dass ich kein körperliches Interesse mehr an Frauen habe. Und an dieses unsägliche Konzept Liebe, habe ich noch nie geglaubt.«
»Vielleicht solltest du dich einfach mal öffnen und abwarten, was passiert?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, während sie ihn anstierte.
»Das sagt die richtige«, schnaubte er und fragte sich, wie das Gespräch eine solche Wendung hatte nehmen können. Er ballte die Hände zu Fäusten. »Du selbst bist verschlossen und öffnest dich niemanden oder habe ich den neuen Mann an deiner Seite einfach nur übersehen?«
Für den Bruchteil einer Sekunde flackerte Betroffenheit in ihren blauen Augen auf, ehe sie ihr Kinn in die Höhe reckte, wie immer, wenn sie der Wahrheit nicht ins Auge sehen wollte. »Das geht dich nichts an. Ich habe meine Gründe.«
»Ach und die wären?«
»Zwing mich nicht das auszusprechen, Asmir.« Ihre Wangenknochen stachen hervor, während sie, um Ruhe beherrscht, ihre Lippen zu einem schmalen Strich presste.
»Was sind denn deine Gründe? Los, sag es!« Seine Nägel bohrten sich in seine Handfläche, während sie sich gegenseitig mit Blicken maßen. Sie verletzten sich gegenseitig, nur um der Düsternis in den eigenen Seelen zu entkommen.
»Wegen dir!«, schrie sie und sprang abrupt auf. »Du weißt ganz genau, dass ich nur wegen dir keinen Mann habe und wohl bis zu meinem Ende auch keinen mehr haben werde. Völlig egal, ob ich mich öffne oder nicht. Jeder glaubt, wir hätten eine Affäre. Ich sehe doch, wie sie mich alle ansehen, als wäre ich nur die ehrlose Hure eines Prinzen.« Tränen glitzerten in ihren Augen und ließen den dunkelblauen Ring um ihre Iris verschwimmen, aber Asmir ließ das kalt.
»Mach dich nicht lächerlich. Wie oft habe ich gesehen, dass du ehrbare Männer eiskalt stehen lässt, wenn sie dir schöne Augen machen. Nicht umsonst kamen diese Gerüchte auf, Nada.«
»Du bist unausstehlich heute«, zischte sie ihm entgegen, ehe sie mit erhobenen Kinn, aus seinem Zimmer rauschte.
Er schüttelte den Kopf, während er die Augen schloss. Was war nur heute mit ihm los? Schon lange hatten sie keinen solchen Streit mehr. Mit der Zeit hatte er gelernt sich zu beherrschen und nicht immer sofort herauszuplatzen, wenn er sich angegriffen fühlte.
Mit einem Seufzen vertrieb er die düsteren Gedanken, würden sie sich ja doch nur im Kreis drehen und stand entschlossen auf. Er könnte seinen wachen Verstand auch für bessere Dinge verwenden, zum Beispiel sich bei den Heilern erkundigen, was diese herausgefunden hatten.

Mit schnellen Schritten lief er die Gänge entlang, Richtung Heiltrakt. Es war bereits spät und der Palast lag wie ausgestorben vor ihm. Nur das Stapfen seiner schweren Stiefel hallte durch die kahlen Flure. Fackeln erhellten ihm den Weg und zauberten zuckende Schatten an die Wände.
Erst als er bei den Heilern ankam, hörte man aufgeregtes Murmeln durch die geschlossene Tür. Ohne anzuklopfen trat der Prinz ein und hielt mitten in der Bewegung inne, als sein Blick in den Raum fiel. Eine Braue schoss fragend nach oben. Eine Traube Heiler hatte sich um eine Pritsche versammelt und versperrten ihm die Sicht. Ihre Gesichter wirkten hitzig erregt, während sie eifrig miteinander diskutierten. Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen.
Langsam verschränkte er die Arme und versuchte den Gesprächen zu folgen, aber sie redeten viel zu durcheinander. Als sich sein bohrender Kopfschmerz wieder meldete, räusperte er sich schließlich laut. Schlagartig verstummten die Heiler und sahen erschrocken auf.
Ein Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. »Störe ich?«
Sofort löste sich einer der Heiler, ein hochgewachsener Mann mit grauen Haaren, und ging vor ihm in die Knie. »Eure Hoheit, bitte entschuldigt. Wir haben Euch nicht gehört und heute auch nicht mehr erwartet.«
Asmirs Blick huschte kurz zu dem älteren Mann, ehe er sich wieder auf die Traube konzentrierte, die noch immer die Liege vor seinen Augen verbarg. »Was habt Ihr da?«
Wie auf ein lautloses Kommando wichen die restlichen Heiler auf die Seite und gaben ihr Geheimnis preis – auf der Pritsche lag jene Frau. Nun, da er sie richtig sah, bemerkte er ihre unglaubliche Schönheit. Sein Herz geriert für eine Sekunde aus dem Takt und er musste sich zusammenreißen, um sich nichts anmerken zu lassen.
Die junge Frau starrte stur an die Decke und wünschte sich wahrscheinlich, nicht wie ein Ausstellungsstück angegafft zu werden. Wie gut er das nachvollziehen konnte.
Langsam schob er sich in ihr Sichtfeld. Als sie nicht umhin kam ihn zu bemerken, weiteten sich ihre Augen für einen kurzen Moment. Welch außergewöhnliches Grün, dachte er sich und beugte sich ein wenig vor.
»Mein Name ist Asmir von Coros, ich bin der Bruder des Königs. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Ihr die Frau seid, die eine unglückliche Begegnung mit den unbekannten Schattenwesen hatte?«
Ihre Brauen zogen sich störrisch zusammen, als sie ihn fixierte. Sie versuchte sich aufzusetzen, wurde aber von einem Riemen daran gehindert.
»Unglückliche Begegnung ist wohl etwas untertrieben.«
Interessiert registrierte er das aufmüpfige Funkeln in ihren Augen. »Wie ist Euer Name?«
»Haley Fullight. Könnte mich vielleicht endlich mal einer losmachen?« Sie stemmte sich gegen die Riemen, während sie die Heiler mit einem tödlichen Blick bedachte. Asmir konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel leicht in die Höhe zuckten. Ihre kratzbürstige Art amüsierte ihn. Er nickte den Heilern zu, und der ältere Mann von eben, machte sich sofort daran die Fesseln zu lösen.
»Endlich«, stöhnte sie erleichtert auf, als sie sich wieder aufsetzen konnte.
»Lasst uns allein«, herrschte Asmir die Heiler an, die Haley noch immer wie eine seltene Blume anstarrten. Ihm gefiel das nicht, wusste er zu gut, wie es sich anfühlte. Auch er hatte eine Zeit hinter sich, in der er angestarrt wurde, als wäre er ein schiefgegangenes Experiment.
Sofort kam Bewegung in die Traube und sie konnten plötzlich nicht schnell genug den Raum verlassen.
Als die Tür hinter dem letzten ins Schloss fiel, legte er sein Augenmerk wieder auf die Frau vor ihm. Sie war mittlerweile aufgestanden und lief kleine Runden auf und ab. Erst als sie seine Beobachtungen bemerkte, hielt sie inne. Plötzlich, als fiele ihr eben etwas ein, holte sie zischend Luft und machte einen tiefen Knicks. »Entschuldigt bitte, Eure Hoheit.«
Ein tiefes Lachen entschlüpfte seiner Kehle, das sich ganz ungewohnt in seinen Ohren anhörte. Wann hatte er das letzte Mal gelacht? Es musste schon lange her sein. »Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Das war eine Ausnahmesituation.«
Langsam erhob sie sich wieder und lächelte leicht, auch wenn es ihre Augen nicht erreichte. »Danke.«
Asmir fiel auf, dass ihre Wangenknochen zu weit aus ihrem herzförmigen Gesicht herausstachen. Auch unter ihren grünen Augen lagen dunkle Schatten, die sie müde und erschöpft wirken ließen.
»Berichtet mir von dieser Kraft«, forderte er sie auf und ließ sich auf einem der Hocker sinken, während seine Augen auch ihre restliche Gestalt genauer betrachteten. Sie hatte eine wahrlich ansprechende Figur. Zwar war sie um einiges kleiner als er, aber sie hatte weibliche Rundungen, die an den richtigen Stellen saßen.
Haley verschränkte ihre Arme vor der Brust, während sie ihn ebenso interessiert musterte. Dabei war ihr der Unmut jedoch deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ich habe das nun schon hundert mal erzählt, wie oft soll ich das noch erzählen?«
»Solange, bis wir wissen, was das für eine Kraft in Euch ist«, antwortete er ruhig und beugte sich nach vorne, um die Ellbogen auf die Knie aufzustützen. Sein Kinn bettete er auf der rechten Hand, während er die junge Frau abwarten betrachtete. Eigentlich wusste er schon alles, aber er wollte wissen, ob sie die Wahrheit sprach.
Sie seufzte leicht, ehe sie sich wieder auf die Pritsche niederließ und schließlich zu erzählen begann.

Mit monotoner Stimme ratterte sie ihre Geschichte herunter, als würde sie einen auswendig gelernten Text aufsagen. Nur die kleinen Veränderungen in ihrer Mimik verrieten Asmir, dass sie diese Ereignisse alles andere als kalt gelassen hatten. Als sie schließlich geendet hatte, starrte sie auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß knetete.
Immerhin hatte sie ihm die Wahrheit gesagt.
»Wie Ihr sicherlich wisst, bat mich mein Bruder darum, herauszufinden was das für eine Macht in Euch ist«, meinte er und richtete sich wieder auf.
Haley nickte zögerlich und hob wieder ihren Blick. Dort lag plötzlich keine Aufmüpfigkeit mehr, sondern pure Angst. Die Angst, dass etwas mit ihr nicht stimmte und niemand konnte diese Angst so gut nachvollziehen, wie Asmir.
»Könnt Ihr versuchen diese Kraft heraufzubeschwören?« Zwar wusste er, aus ihrer Erinnerung, welch Qual das gewesen sein musste, aber darauf konnte er nun keine Rücksicht nehmen.
Sie biss sich auf ihre volle Unterlippe, während für einen kurzen Moment die Erinnerung an jenen Schmerz durch ihr Gesicht zuckte. »Ich weiß es nicht...«
»Dann probiert es doch bitte«, forderte er sie mit einem Wink seiner Hand auf.
Zögerlich schloss sie die Augen und verfiel in eine starke Konzentration, wie er an ihrer gerunzelten Stirn erkannte. Er studierte ihre Miene, die plötzlich einen abwesenden Ausdruck zeigte, als würde etwas Fremdes in ihr die Kontrolle übernehmen. Und dann sah er es – sie begann zu leuchten. Aus der Mitte ihrer Brust, bis über ihren ganzen Körper zog sich dieses strahlende Licht. Es sandte soviel Wärme aus, das es sein Innerstes in Aufregung versetzte.
Asmir schirmte seine Augen gegen das grelle Licht ab, damit er sie weiterhin beobachten konnte. Wenn er sich nicht täuschte, bildeten sich leichte Risse auf ihrer Haut. Konnte das sein? Als die Kraft immer weiter anschwoll, wurde ihm die Dimension dessen erst richtig bewusst. Sie war gewaltig. Ein Knacken erklang und mit Schrecken sah er, wie ihr Körper auseinander zu reißen drohte.
Er schnellte vor und riss an ihrem Arm. Er sandte Magie in ihre Zellen und wie auf ein Kommando verklang das Licht zu einem Glühen, bis es schließlich völlig verschwand.
Als sie die Augen aufriss und keuchend nach Luft schnappte, sah er das Entsetzen in ihrem blassen Gesicht. »Da war es wieder, oder?« Ihre Augen schimmerten feucht und ein goldener Ring hatte sich um ihre Iriden gebildet.
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, gestand er und starrte fasziniert auf ihre Gestalt. Das musste wahrlich eine gewaltige Macht sein, ohne Frage. Aber woher kam sie?
»Was habt Ihr gefühlt?«
Ihr Blick wanderte zu seiner Hand, mit der er noch immer ihren Arm umklammert hielt. Schnell ließ er los und sie zog sie instinktiv an ihre Brust. »Schmerzen, starke schmerzen in meinem Körper. An mehr kann ich mich nicht erinnern.« Ihre Stimme klang schwach und brüchig und fast kam so etwas wie Mitleid in ihm auf.
Er seufzte leicht. Sein Entschluss stand fest. Nun, da er es selbst gesehen und gespürt hatte, wollte er ihr Geheimnis unbedingt ergründen. »Ich werde mich dem annehmen. Wir werden dazu Mágheim allerdings verlassen. Hier sind mir zu viele Leute. Und ihr dürft auf keinen Fall diese Macht einsetzen, bevor ich es Euch nicht erlaube. Habt Ihr das verstanden?«
Hoffnung keimte in ihrem zarten Gesicht auf, wie eine Blume, die die ersten Sonnenstrahlen erhascht. »Natürlich. Ihr meint, ihr könnt herausfinden was mir fehlt?«
»Das habe ich nicht gesagt, aber ich gebe mir Mühe.«
»Vielen Dank«, meinte sie und schenkte ihm ein Lächeln, das sein Herz erneut Stolpern ließ. Was war nur mit ihm los? Hoffentlich hatte er sich nichts eingefangen.

5. Kapitel

 

Die Nacht verging viel zu schnell für Haleys Geschmack, vorallem in Anbetracht der Tatsache, dass sie bis weit nach Mitternacht in dem Bett gelegen hatte und stumm vor sich hin gestarrt hatte. Das Heraufbeschwören dieser Kraft, hatte erneut tiefe Wunden in ihre Seele geschnitten. Sie fühlte sich, als wäre sie verflucht, als wolle diese Kraft sie einfach nur zerstören. Sie hatte sie nicht einmal bewusst gesteuert. Es war, als hätte sie die Führung übernommen, als Haley es zugelassen hatte.

Aber das war bei weitem nicht das einzige, dass sie so aus der Fassung gebracht hatte. Es war ebenso der Bruder des Königs.

Sein schmales Gesicht, das dem Janos so ähnlich sah und doch ganz anders war, hatte sich in ihre Netzhaut gebrannt; unter sanft geschwungenen Augenbrauen, lagen silbergraue Augen mit einem silbernen Ring um die Iris. Sie schienen so tief, wie der unendliche Ozean. Die lange, gerade Nase wurde von hohen Wangenknochen flankiert und endete in einem überaus sinnlichen Mund. Seine Statur war kräftig, aber nicht so, dass es übertrieben wirkte. Und seine schwarzen Haare, die er sorgsam zurückgekämmt hatte, glänzten in einem faszinierenden Farbenspiel.

Er war ein atemberaubender Mann, mit der Ausstrahlung eines gefährlichen Raubtiers und doch fühlte sich angezogen, wie eine Motte vom Licht. Dieses Gefühl war ihr so fremd und so ganz anders, als es bei Keith gewesen war.

Sie stöhnte laut auf. Nun dachte sie schon wieder darüber nach. »Reiß dich zusammen Hales, du hast wahrlich andere Probleme. Abgesehen davon, bist du Keith versprochen«, murmelte sie sich selbst zu und verbannte das Gesicht des Prinzen in die hintersten Winkel ihres Verstandes.

Resigniert betrachtete sie ihr Spiegelbild. Die Ringe unter ihren Augen waren noch dunkler und tiefer geworden, während ihr Teint fast die Farbe eines Bettlakens angenommen hatte. Das konnte selbst das Lila des Leinenkleides nicht verstecken.

Nie hätte sie gedacht, dass sie sich je nach ihrem eigenen Strohbett sehnen würde. Aber das Heimweh flackerte heiß in ihrem Herzen und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihre Familie zurück.

Ein Klopfen unterbrach sie in ihren Gedanken und ließ sie aufschauen. »Ja bitte?«

Langsam schob sich die Tür auf und ein blonder Haarschopf erschien in dem schmalen Spalt. »Seid Ihr Haley Fullight?«

Haley nickte leicht und musterte das freundliche Gesicht der jungen Frau, die nun ganz das Zimmer betrat. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem langen Zopf geflochten, der auf ihrer rechten Schulter lag. Sie trug ein einfaches und dennoch edles Kleid in einem hellen Braunton.

»Mein Name ist Nada von Dartón«, sagte sie lächelnd und neigte kurz das Haupt.

»Ich komme im Auftrag von Asmir. Wir brechen bald auf und ich soll Euch holen.«

»Natürlich.« Haley wirbelte herum. Sie hatte bereits in den frühen Morgenstunden die Nachricht erhalten, sie würde heute mit Asmir auf sein Schloss reisen. Nuala hatte ihr vorsorglich noch einige Kleider geschickt, damit sie auch genügend zum Anziehen hatte, solange sie dort verweilen würde. Mit Bedauern hatte sie allerdings festgestellt, dass nichts dabei war, das ihr bequem genug für eine Reise erschien. Sie wollte aber auch nicht die Nerven der Luvéna strapazieren und danach fragen, deshalb beließ sie es einfach dabei. Sicher kam sie noch irgendwie an bequemere Kleidung.

Neben ihr stand ein riesiger Koffer, den sie nun zweifelnd betrachtete. Nie und nimmer würde sie dieses Monstrum heben können.

»Gibt es Probleme?« Nada war herangetreten und betrachtete neugierig den Koffer.

»Naja, ich weiß nicht wie ich das Ding tragen soll. Leer wiegt das Teil schon viel zu viel für mich, aber mit den Kleidern...«

Nada begann zu Lachen. Glockenhell schallte es durch das kleine Zimmer.

»Das müsst Ihr doch nicht selbst tragen. Die Diener werden es zu Asmirs Schloss bringen. Glaubt mir, wenn Asmir wüsste, was Ihr alles als Gepäck habt, er würde ausflippen. Schon seit Jahren handhabe ich es so, dass ich eine Kutsche mit all den schönen Sachen, die ich mir kaufe, nachschicken lasse. So kann ich mit Asmir reisen, ohne das er etwas von dem ganzen Zeug weiß.« Sie zwinkerte Haley verstohlen zu, während sich ein breites Grinsen auf den roten Lippen ausgebreitet hatte.

Sofort war Haley diese junge Frau sympathisch. Wie sie wohl zu Asmir stand? Sie spürte einen Stich in der Brust, den sie mit einem Kopfschütteln abtat.

Sie packte Haley an der Hand und zog sie sanft, aber bestimmt aus dem Zimmer.

»Wir sollten los, er mag es nicht besonders zu warten und seine Laune ist seit gestern nicht die Beste.« Sie schnaubte leicht und schüttelte den Kopf.

Als sie auf den Hof traten, musste Haley ihre Augen vor der Sonne schützen, so hell erschien ihr das Tageslicht. Als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, erkannte sie den Hinterhof auf dem sie gestern morgen erst angekommen war.

Drei Pferde standen, fertig gesattelt, in der Mitte und wurden von zwei Stallburschen an den Zügeln gehalten. Nada ging auf ein braunes Pferd zu, dem sie liebevoll durch die Mähne strich, bevor sie sich suchend umsah. »Da beeilt man sich einmal und dann kommt der Herr selbst zu spät.«

»Wer ist zu spät?«, dröhnte Asmirs tiefe Stimme hinter Haley und sie richtete sich automatisch ein Stück auf, während ihr Herz für einen kurzen Moment die Tätigkeit einstellte.

Als er an ihr vorbei ging, grüßte er sie nicht. Nicht einen Blick hatte er für sie übrig. Stur ging er auf das schwarze Pferd zu, nahm es dem Stallburschen ab und stieg auf. Mit freudiger Erregung begann der Hengst sofort zu tänzeln und Asmir beruhigte ihn mit einem sanften Brummton.

Erst dann fiel sein Blick auf Haley. »Ich hoffe Ihr könnt reiten, sonst habt Ihr ein Problem.« Sein Ton war an Kälte nicht zu unterbieten und Haley blinzelte fassungslos. Was war denn nun los?

»Spreche ich in fremden Zungen? Oder warum steht Ihr noch immer da und starrt?«

Sie presste ihre Lippen fest zusammen, um sich ein ärgerliches Schnauben zu verkneifen. Entschlossen stapfte sie auf das dritte Pferd zu, ein wunderschöner Schimmel, der aufgeregt mit den Nüstern blähte, als sie näher kam. »Natürlich kann ich reiten. Ich bin nicht auf den Kopf gefallen«, murmelte sie, gerade noch laut genug, dass Asmir es hören konnte.

Nada kicherte leise, während diese sich auf den Rücken ihres Pferdes schwang und Asmirs silberne Augen sich zu Schlitzen verengten.

Mit erhobenen Haupt schwang sich Haley schließlich in den Sattel und tat einfach so, als wäre nichts gewesen. Prinz hin oder her, den letzten Rest Stolz wollte sie sich bewahren.

Mit einem Grollen lenkte er sein Pferd durch das Tor, Nada und Haley folgten ihm. Nach einigen Metern schloss Nada zu Asmir auf und begann ein leises Gespräch. Haley betrachtete die beiden, während sie sich ein Stück zurückfallen ließ und fragte sich einmal mehr, wie sie zueinander standen. Seine Frau konnte sie nicht sein, denn sie trug einen anderen Namen, als er. War sie seine Geliebte?

Irgendwo in ihrem Inneren versetzte ihr dieser Gedanke einen leichten Stich, den sie mit einem Augenrollen abtat. Drehte sie nun völlig durch? Um nicht weiter diesen sinnlosen Gedanken nachzuhängen, betrachtete sie die Landschaft durch die sie ritten. Von hier aus, führte die Palastmauer sofort in einen dichten Wald.

Das Sonnenlicht fiel funkelnd durch das Blätterdach, während sie in einem gemächlichen Tempo einem ausgetretenen Pfad folgten. Unweigerlich dachte Haley an ihre Familie. Wie es ihrer Mutter und Ava ging? Und David? Lebte er überhaupt noch? Sofort zog sich ihre Brust schmerzhaft zusammen. Die Sorge um ihren Bruder hatte sie in aller Aufregung fast verdrängt, aber nun, da ihr Kopf nichts zu tun hatte, spülten die Gedanken unaufhörlich nach vorne und machten ihr das Herz schwer.

So trotteten sie den restlichen Tag entlang. Nada war irgendwann verstummt und ritt mit Gewittermiene neben Asmir her. Langsam näherte sich die Sonne dem Horizont und tauchte alles in ein goldenes Licht.

An einem kleinen Bach hielt Asmir plötzlich an und sprang von seinem Pferd. »Wir bleiben über Nacht hier. Bei Sonnenaufgang geht es sofort weiter.«

Nada verzog angewidert das Gesicht. »Können wir nicht in die nächste Stadt reiten? Sie ist doch nicht mehr weit?«

»Nein, es ist zu riskant bei Nacht zu reiten. Wären wir früher los geritten, hätten wir es noch geschafft.« Damit wandte er sich ab und band seinen Hengst an einen Baum. Nada sprang nun auch ab, während sie genervt mit den Augen rollte.

Haley tat es ihnen gleich. Ihr behagte der Gedanke unter freien Himmel zu schlafen auch nicht besonders, aber es war immer noch besser, als sich den Gefahren der Nacht auszuliefern.

Sie führte den Schimmel Namens Franco, wie sie auf einen Blick auf die Tränse feststellte, an den Baum und band ihn ebenfalls fest. Als sie sich aufrichtete, fiel ihr Blick auf Nada, die neben ihr stand und die Hände vor der Brust verschränkt hatte. »Keine Ahnung, was heute in ihn gefahren ist. So war er schon lange nicht mehr«, flüsterte sie und schüttelte dabei den Kopf.

»Wir gehen Feuerholz sammeln«, rief sie dann an Asmir gewandt zu und schnappte sich Haley, um sie fortzuziehen.

Nur zu gerne ließ sie sich das gefallen, Hauptsache weg von diesem Griesgram.

Zusammen durchstöberten sie ein kleines Waldstück in der Nähe.

»Darf ich Euch etwas fragen?«, erkundigte sich Haley, während ihr Blick auf dem trockenen Boden haftete, um nach geeignetem Holz zu suchen.

»Natürlich, fragt nur.«

»Wie steht Ihr zu Asmir?«

Nada hielt in der Bewegung inne und starrte Haley aus zusammengekniffenen Augen an. »Ihr denkt ich wäre seine Geliebte, richtig?«

Haley zuckte mit den Schultern, sah ihr aber offen in die Augen. »Seid Ihr es denn?«

Die junge Frau stieß ein Schnauben aus, das halb in ein Lachen überging. Die bittere Note darin, konnte sie nicht ganz verstecken. »Um aller Götter Willen, nein. Das würde ich nicht aushalten. Zwar denkt alle Welt ich wäre es, aber es ist nicht so. Er ist mehr wie ein Bruder für mich.«

Haley nickte, das würde eine innige Beziehung erklären. Immerhin hatte sie selbst eine zu ihrem Bruder.

»Habt Ihr sonst noch Fragen?« Nada begann wieder Holz einzusammeln, während sie Haley immer wieder beobachtete.

Ihr brannten da noch so einige unter den Nägeln, aber sie wollte nicht unhöflich sein. Sie konnte sie auch nach und nach stellen, wenn sie die beiden näher kennenlernte. Also schüttelte sie den Kopf. »Momentan nicht. Aber danke für Eure Offenheit.«

Nada winkte mit einem Lächeln ab. »Ach, das ist doch nichts, wofür Ihr Euch bedanken müsst. Es ist nicht Jeder ein solch verschlossener Eisklotz wie Asmir.«

Tatsächlich zauberte das endlich mal wieder ein Lächeln auf Haleys Gesicht und Nada riss die Augen gespielt auf. »Bei den Göttern, Ihr könnt ja Lächeln.«

Das entlockte ihr sogar ein richtiges Lachen, ehe sie wieder ernst wurde. »Ich hatte die letzten Tage nur wenig zu Lachen.«

»Asmir erzählte bereits von Eurer Gefangennahme. Barbarisch, nur weil sie keine Ahnung von Magie haben.« Mitgefühl schwang in ihrer Stimme und zeigte sich in ihrer Miene.

»Sie hatten Angst, das ist alles. Ich hätte an ihrer Stelle nicht anders reagiert. Ich weiß doch selbst nicht, was mir fehlt und das macht auch mir Angst«, meinte Haley und schluckte den Kloß im Hals herunter.

»Ich weiß, wie Ihr Euch fühlt«, murmelte Nada und trat an Haley heran.

»Seid ihr endlich so weit?«, rief Asmir vom Ufer des Baches her. Was Nada ein erneutes Schnauben entlockte.

»Am liebsten würde ich ihm eine Ohrfeige verpassen, vielleicht wird er dann wieder normal«, grummelte sie zu Haley gewandt, ehe sie Richtung Ufer nickte. »Wir sollten zurückgehen.«

Die Nacht brach schnell und kalt herein. Die drei hatten sich um ein Feuer gescharrt, das ihnen Wärme schenkte, wenn auch nicht genug, dass Haley die Kälte nicht spürte. Wohlweislich hatte sie sich einen Umhang eingepackt, in den sie sich nun einkuschelte, während sie an einem Baumstamm lehnte. Nada saß neben ihr und schlief bereits tief und fest.

Asmir hatte sich murrend bereit erklärt die erste Wache zu übernehmen. Er hatte sie eindringlich gewarnt, sich nicht vom Feuer zu entfernen. Haley wollte sich gar nicht Vorstellen was in dieser Gegend für Wesen lauerten. Unwillkürlich kam ihr der Angriff der Schattenwesen wieder in den Sinn und sie schlug den Kragen ihres Mantels höher, als könne sie sich so vor ihren Erinnerungen schützen.

Ihr Blick wanderte über das Feuer hinweg zu Asmir. Er saß auf der anderen Seite ihres Platzes und sah gen Himmel. Seine Züge erhaben und elegant. Wieder spürte sie diese Anziehungskraft. Als wäre er die Sonne und sie ein umherirrender Planet, der unmittelbar in seine Umlaufbahn gezogen wurde. Keiths Gesicht tauchte vor ihrem geistigen Auge auf und einmal mehr fragte sie sich, ob sie sich die Gefühle für ihn nur eingebildet hatte.

Ihr Blick glitt über Asmirs Gesicht. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt, während der Schein der Flammen in seinen Augen unruhig tanzte. Etwas schien ihn zu bedrücken. Haley spürte eine Welle des Mitgefühls durch ihre Adern rollen und wollte sich erheben, als ein Knacken ihre Aufmerksamkeit ablenkte.

Sie drehte sich um und sah ein kleines Licht am Waldrand auf und ab hüpfen. Fast wirkte es wie eine Laterne. Ihre Augen verengten sich, in der Hoffnung so mehr zu erkennen. Umrisse schälten sich aus der Nacht, im Schein des Lichts. Sie kamen ihr wage bekannt vor.

Langsam, aber stetig näherte es sich. Ihr Blick schoss zu Asmir, er schien nichts davon zu bemerken. Er starrte in das Feuer, während seine schlanken Finger über die Klinge eines Schwertes fuhren.

Als sie sich wieder umdrehte, war das Licht plötzlich verschwunden. Suchend wanderten ihre Augen umher, aber alles lag dunkel und still da. Bis sie plötzlich ein Flüstern hörte. Leise und kaum wahrzunehmen. Sie spitzte die Ohren und schloss die Augen.

»Haley, bist du das?«, wisperte die Stimme, die ihr erschreckend bekannt vorkam. Sofort riss sie die Augen auf, da war es wieder dieses Licht und nun erkannte sie die Umrisse. Es waren die, ihres Bruders. Geschockt hielt sie den Atem an. Konnte das wirklich sein?

»Haley, hilf mir«, flüsterte er wieder und es war die Stimme von David, da war sie sich sicher. Unmerklich richtete sie sich auf. Prüfend blickte sie zu Asmir, der noch immer nichts zu bemerken schien.

»Du musst kommen und mir helfen. Bitte. Haley.« Eindringlich klang die Stimme in ihren Ohren und schnürte ihr die Kehle zu. Sie musste ihm helfen. Plötzlich war nur noch dieser Gedanke vorherrschend, verdrängte alles andere. Langsam, bedächtig kein Geräusch zu machen, robbte sie um den Baum, damit Asmir sie nicht sehen konnte. Dann erhob sie sich und lief auf das Licht zu.

Kurz bevor sie es erreichte, erlosch es wieder und sie war umgeben von völliger Dunkelheit. Sie drehte sich um und sah das Licht des Feuers in der Ferne. War sie so weit gelaufen? Panik begann mit eisigen Fingern nach ihr zu greifen. »David? Wo bist du?«, flüsterte sie in die Dunkelheit hinein und wagte kaum zu atmen.

Plötzlich spürte sie einen schweren Atem in ihrem Nacken und gefror sofort zu Eis. Feucht und warm strich die Luft über ihre Haut und ließ ihre Haare zu Berge stehen. Mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass sie einen schrecklichen Fehler begangen hatte – sie war in eine Falle getappt.

Sie versuchte im Blickwinkel zu erahnen, was sich an sie herangeschlichen hatte. Zwei große bernsteinfarbene Augen leuchteten hell in der Schwärze der Nacht, schoben sich näher an sie heran. Sie erhellten eine riesige Schnauze mit einer feuchten Nase, die an ihr schnüffelte.

Zischend sog sie die Luft ein. Ein riesiger Wolf stand neben ihr. Und riesig war noch untertrieben, stellte sie fest, als sie ihren Kopf ein wenig drehte. Er hatte die Ausmaße eines ausgewachsenen Pferdes, mit Pranken, die nur einen kleinen Hieb benötigten um sie umzubringen.

Ein Zittern ging durch ihren Körper, während das Adrenalin durch ihre Adern peitschte. Ihr Herz trommelte wild in ihrer Brust und sie wägte ihre Chancen ab. Kämpfen oder Fliehen? Ihr innerer Konflikt dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, aber dies war genug Zeit für den Wolf.

Er riss Haley abrupt zu Boden. Schmerzhaft donnerte sie mit dem Rücken auf den harten, trockenen Boden. Die Pranken drückten die Luft aus ihrer Lunge.

Das Maul weit aufgerissen, war er bereit seine Zähne in ihr Fleisch zu bohren. Haley starrte in die dunkle Kehle, überlegte fieberhaft nach einer Verteidigung, als ihr bewusst wurde, dass sie keine hatte. Sie wusste nicht wie man richtig kämpft. Die Schwertkämpfe mit ihrem Bruder, waren nichts als Spiele. Wie konnte sie nur so töricht sein?

Plötzlich erstarrte der Wolf, ehe er in die Luft gerissen wurde und nur wenige Meter neben ihr mit einem ohrenbetäubenden Jaulen landete.

Haley wandte den Kopf und erkannte Asmir, der neben ihr stand, das Schwert erhoben. Ein blaues Glühen ging von seinen Händen aus, das sich um seine Finger und die Klinge schlang wie zarter Rauch. Sein Gesicht war voller Wut verzerrt, während sein Kiefer angestrengt mahlte.

»Verschwinde«, fauchte Asmir dem Wolf entgegen, der sich bereits wieder aufgerappelt hatte und das braune Fell schüttelte. Knurrend baute er sich vor den beiden auf, fletschte die Zähne und Geifer tropfte aus seinem riesigen Maul.

Er machte einen Schritt nach vorne. Sofort verstärkte der Magier seinen Tritt. Seine Finger begannen stärker zu Leuchten und der Rauch verdichtete sich.

»Ich warne dich. Komm noch einen Schritt näher und das wird dein Ende sein.« Asmirs Stimme war nur noch ein dunkles Grollen, aber der Wolf schien das nur mäßig zu beeindrucken. Er riss sein Maul auf und knurrte so laut, dass es in Haleys Körper widerhallte. Wie konnte sie nur so dumm sein? Langsam stand sie auf, wich nach hinten aus, denn sie wollte einfach nur noch weg.

Wieder tat der Wolf einen Schritt nach vorne. Diesmal reagierte Asmir sofort, sprang auf den Wolf zu und verpasste ihm eine Schnittwunde am Hinterlauf. Jaulend schnappte das Tier nach ihm, verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Als der Magier abermals das Schwert erhob, floh der Wolf mit einem lauten Fiepen in die schützende Dunkelheit.

Der blaue Staub verflog langsam, während Asmir wachsam die Umgebung absuchte. Mit dem Schnippen seines Fingers entzündete er eine kleine Kugel, die hell leuchtend auf seiner Hand schwebte.

Ihr Herz raste noch immer und als ihr Blick in Asmirs Augen fiel, war sie sich nicht sicher ob die Gefahr schon vorüber war. Seine Brauen waren zu Strichen verzogen, während sein Kieferknochen herausstach, als er auf die Zähne biss. Schnaubend kam er auf sie zu, packte sie am Arm und riss sie in die Höhe. »Was bitte ist an, entfernt Euch nicht vom Feuer, nicht zu verstehen?«

Haley schluckte hart. »Es... es tut mir leid, aber...« Sie konnte nicht weitersprechen, zu zittrig war ihre Stimme, zu lächerlich kamen ihr selbst, ihre Ausrede vor. Stattdessen biss sie sich auf die Unterlippe. Sie schämte sich entsetzlich.

»Bitte, sagt mir nicht, dass Ihr auf den Trick der Flüsterwölfe hereingefallen seid?« Er stöhnte auf und stieß sie von sich. »Hat man Euch nicht beigebracht auf Euren Verstand zu hören?«

»Ich wusste nicht, dass es hier welche gibt«, rief sie ihm trotzig entgegen und befreite sich aus seinem Griff.

»Ihr hättet trotzdem auf Euren Verstand hören sollen und mich davon in Kenntnis setzen, dass Euch etwas ungewöhnliches aufgefallen ist.«

»Entschuldigt bitte, dass das Verschwinden meines Bruders nicht spurlos an mir vorübergeht«, schrie sie ihn nun an, die Hände zu Fäusten geballt.

Aber er schüttelte nur den Kopf, wandte sich ab und stapfte Richtung Lager.

 

6. Kapitel

 

Ein so törichtes Wesen, das sich nicht mal selbst verteidigen kann, sollte diese Macht inne haben? Asmir schnaubte, wenn er es nicht selbst gesehen hätte, hielte er es für absolut lächerlich. Einen Moment hatte er die Fau aus den Augen gelassen und sie hatte nichts besseres zu tun, als dem Ruf eines Flüsterwolfes zu folgen. Wenn er es nicht rechtzeitig bemerkt hätte, wäre sie nun tot. Nichts war von ihrer Kraft zu sehen, als der Wolf sie angefallen hatte. 

Seine Finger glitten an seine Schläfe und massierten die pochenden Stellen. 

Das schlimmste an diesem Vorfall allerdings, war diese Angst, die ihn schlagartig überfallen hatte, als er ihr Verschwinden bemerkt hatte. Angst, dass er keine Gelegenheit mehr haben würde, sich diese Frau genauer anzusehen.

Er schüttelte den Kopf, er musste sich tatsächlich etwas eingefangen haben. Anders konnte er sich diesen Aufruhr in seinem Inneren nicht erklären.

 

Der nächste Morgen brachte dichten Nebel. Feucht und kalt zog er über das weite Gras und verdunkelte die aufgehende Sonne. Sie beeilten sich aufzubrechen, denn nur wenn sie durchritten, würden sie vor der Dämmerung am Schloss ankommen.

Asmir bildete die Spitze, während Nada und Haley hinter ihm ritten. Er hörte sie leise tuscheln, während Nadas Blick sich beinah in seinen Rücken brannte. Sie verstand sein rüdes Verhalten nicht und wenn er ehrlich war, wusste er es selbst nicht so genau. Er hatte die letzten beiden Nächte schlecht geschlafen. Dunkle Alpträume hatten ihn geplagt, wie schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Und dazu schwebte ständig diese Frau in seinen Gedanken umher. Das zerrte an seinen Nerven.  

»Hey Prinzessin.« Nada lenkte ihr Pferd an seine Seite und zwinkerte ihm zu. »Was ist mit dir los?« 

Sie legte ihren Kopf ein wenig schief, während sie ihn forschend musterte.

»Zunächst einmal, hör auf mich Prinzessin zu nennen, ich weiß durchaus, dass ich ein wenig überreagiert habe-«

»Ein wenig?«

»Ja, ein wenig.« Mit zusammengezogenen Brauen fixierte er seine Vertraute. »Jedes Kind kennt die Flüsterwölfe und weiß, das man Nachts Lichtern und Stimmen nicht trauen kann.«

»Du weißt aber nicht, was sie ihr zugeflüstert haben. Das Arme Ding ist völlig traumatisiert. Du weißt doch selbst am besten, wie es ist, wenn sich plötzlich alles ändert. Wenn man nicht mehr weiß, wer man selbst ist. Hab ein wenig Verständnis.«

Nadas Hengst schnaubte leicht, als sie die Pferde über einen kleinen Bach trieben. Langsam lichtete sich der Nebel und der strahlende Sonnenschein kam hervor, der sie angenehm wärmte.

»Dafür kann ich kein Verständnis aufbringen.«

»Das wirst du müssen, wenn du ihr Vertrauen gewinnen willst.« Nada bedachte ihn mit hochgezogenen Brauen und nickte nach hinten. Asmir drehte sich leicht und betrachtete Haley für einen Moment aus den Augenwinkeln. Mit zusammengesunkenen Schultern saß sie auf ihrem Pferd und gähnte. Die dunklen Schatten unter ihren Augen schienen noch tiefer geworden zu sein, während nun auch ihre Haut blass schimmerte. Als sie seinen Blick bemerkte, verhärtete sich der Zug um ihre Mundwinkel.

Nada hatte Recht. Er sah es in ihren Gesichtszügen, verschlossen und wütend. Auf ihn, sich selbst und den Rest der Welt. 

Er seufzte leicht, ehe er seinen Fokus wieder auf den Weg vor sich richtete. Sie hatten mittlerweile den Coros-Fluss erreicht. Blühendes Leben herrschte an dessen Ufern, die von zahlreichen Bäumen und Sträuchern gesäumt wurden. Das Zwitschern der Vögel erklang laut über ihren Köpfen. Finken, Spatzen und andere kleine Vögel saßen dort in den Kronen der Bäume und versuchten sich mit ihrem Singsang gegenseitig zu überbieten. 

»Wahrscheinlich hast du Recht«, murmelte Asmir leise und doch hörte ihn Nada klar und deutlich.

»Natürlich hab ich das. Gewinne ihr Vertrauen, entschuldige dich und sie wird mit dir zusammenarbeiten.« Sie lächelte sanft und stupste ihn am Arm an, ehe sie wieder ernst wurde. »Ich weiß, dass dir das nicht leicht fällt. Sie scheint dich zu reizen. Aber versuch dich einfach auf deine Aufgabe zu konzentrieren.«

»Was willst du damit sagen, sie scheint mich zu reizen?« Asmir fühlte plötzlich einen Druck auf seiner Brust, den er nicht genauer bestimmen konnte. Langsam rieb er über die Stelle, als könne er ihn so vertreiben, auch wenn er wusste, dass es nichts brachte.

Nada lächelte wieder, dieses mitfühlende Lächeln, das ihm stets so gut tat.

»Ich sehe es dir an. Du findest sie anziehend, aber du hast dem ja abgeschworen. Allerdings musst du deswegen deine Launen nicht an uns auslassen. Wir können nichts dafür.«

Asmir presste seine Lippen zusammen. Hatte sie womöglich recht und er fand sie anziehend? Seit damals hatte er jede Begierde in sich erstickt. Das Risiko, dass sich eine Frau in ihn verlieben könnte und damit alles zerstören würde, war einfach zu groß. 

Das war alles schon so lange her, dass ihm das Gefühl eine Frau körperlich anziehend zu finden, fremd geworden war. 

Aber niemand konnte etwas für sein unruhiges Inneres. Haley schon gleich gar nicht.

»Du hast Recht.« Ein schiefes Grinsen teilte seine Lippen und ließ Nada empor wachsen. 

»Ich weiß«, meinte sie und lachte leicht. Dann gab sie ihrem Pferd einen leichten Tritt und ritt voraus. Das war wohl das Zeichen, dass er sich eben jetzt bei Haley entschuldigen sollte und nicht erst später. 

Mit einem Grinsen schüttelte er den Kopf, ehe er seinen Hengst neben Haleys lenkte. 

Als sie aufschaute, verengten sich ihre Augen. 

Asmir räusperte sich leicht, da er sich plötzlich reichlich unbeholfen vorkam. Selten waren ihm unbedachte Worte entschlüpft oder gar Taten, die er in seinen Augen hätte entschuldigen müssen.

»Es tut mir leid. Es war nicht angebracht, Euch wegen der Wölfe so anzufahren und bloßzustellen.«

Haley blinzelte einige Male, ehe sie reagierte. »Danke. Das bedeutet mir viel.«

Er neigte den Kopf leicht, ehe er wieder nach vorne sah.

»Kann ich Euch etwas bezüglich Eurer Familie fragen? Vielleicht gibt mir das einen Hinweis auf Eure Fähigkeit.«

Ein Schatten huschte über ihre Züge, ehe sie leicht seufzte und dann nickte. »Natürlich.«

»Was wisst Ihr über Euren Vater?« Aufmerksam beobachtete er sie. Jedes Detail konnte ihm einen Hinweis geben, ob sie ihm eine Lüge erzählte oder die Wahrheit.

»Nichts. Meine Mutter schweigt bis heute beharrlich, wer oder was mein Vater war.« Ihr Griff um den Zügel verstärkte sich unmerklich und sie spannte sich leicht an.

»Ist es Euch unangenehm darüber zu sprechen?«

»Natürlich. Es ist ein Thema, das in meiner Familie immer tot geschwiegen wurde, obwohl ich immer wissen wollte, wer er war«, gab sie zu, den Blick stur nach vorne gerichtet.

»Warum wollte niemand mit Euch darüber sprechen?« Asmir wusste nicht warum er nachhakte. Er hatte die Antwort erhalten, die er sich bereits gedacht hatte und doch interessierte es ihn mehr zu erfahren.

»Mein Ziehvater hatte mich bis zu seinen Tod gehasst. Immerhin war ich der lebende Beweis für den Ehebruch meiner Mutter.« 

»Das klingt nach einer wahrlich angenehmen Kindheit.«

Aber Haley schüttelte den Kopf, ehe sie ihm endlich in die Augen blickte. »Nein, so schlimm war es nicht. Er ignorierte mich die meiste Zeit, aber meine Mutter war immer für mich da.«

Er schluckte, als er das Funkeln in ihren Augen sah und dachte unweigerlich an seine eigene Mutter. Er war noch ein Kind, als sie gestorben war und das hatte ihn nachhaltig geprägt.

Mit Mühe versuchte er die aufkeimende Angst von damals wieder in seine Schranken zu weisen. Was machte diese Frau nur mit ihm?

»Ich danke Euch, für Eure Offenheit.«

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.07.2017

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /