Ich hatte ein wenig Kopfschmerzen, als ich erwachte. Mit meinen Händen fasste ich mir an die Schläfen und massierte sie. Dann blickte ich mich um. Wo war ich? Wände, Decken und Boden bestanden aus alten Holzbalken. Die Vorhänge, aus blauem Stoff mit buntem folkloristischem Blumenmuster, waren zugezogen, doch bahnte sich die Sonne durch ein paar Ritzen ihren Weg in den abgedunkelten Raum. Ich lag in einem altertümlichen Bettgestell mit einer dicken Daunendecke. Daneben stand auf einem Holzkasten, der mit Schnitzereien verziert war, ein Glas mit Wasser. Hastig griff ich danach und trank. Mein Durst war unendlich. Ich hockte mich im Bett aufrecht hin. Was war bloß mit mir los? Wieder massierte ich mir die Schläfen, dann schlug ich die Bettdecke auf. Ich blickte an meinem Körper hinab und strich mir mit meinen Fingern über meine muskulöse Brust und meinen Bauch. Ich trug lediglich eine Unterhose und konnte mir das Ganze immer noch nicht so richtig erklären. Vorsichtig stand ich auf und durchschritt den Raum, bevor ich die Tür öffnete und in einem kleinen Wohnraum stand, der rustikal und gleichzeitig gemütlich wirkte. Ich ging zu dem Fensterchen neben der Kochnische und schaute hinaus. Die Sonne strahlte von einem blauen Himmel, der mit wenigen Schäfchenwolken behangen war. Wilde weite Wiesen eröffneten sich mir, die lediglich von den umliegenden Bergen eingerahmt wurden. Tannen wippten in der Ferne sanft im Sommerwind. Und wieder fragte ich mich, wo ich hier war und was ich hier machte? Ich konnte mich nicht erinnern. Mein Magen grummelte und signalisierte mir, dass ich Hunger hatte. Ich schaute mich weiter um. Auf der kleinen Anrichte lag ein halber Laib Brot. Gierig griff ich danach und biss davon ab. Es schmeckte ungewohnt sauer, war jedoch sehr schmackhaft. Gerade hatte ich mich auf einen der beiden Holzstühle gesetzt, als plötzlich die Tür aufging. Ich hörte auf zu kauen und starrte stattdessen in zwei wunderschöne braungrüne Augen, die mich mit der gleichen Neugier musterten wie ich sie. Die junge Frau vor mir schätzte ich auf mein Alter. Sie trug ein schwarzes Kopftuch, unter dem ihr dunkles Haar hervorspitzelte. Das Kleid, das sie anhatte, war weiß und mit fremdwirkenden bunten Mustern verziert. Sie wirkte irgendwie geheimnisvoll und faszinierend. Dann begann sie aufgeregt zu sprechen und ich verstand kein Wort. Und zum ersten Mal, seit ich erwacht war, fragte ich mich, wer war ich eigentlich?
Sie hieß Bredica, wenn ich sie richtig verstanden hatte. Die Kommunikation zwischen uns war schwierig, doch mit Händen und Füßen konnten wir uns über das Notwendigste verständigen. Ich fand sie irgendwie sympathisch und konnte gar nicht so genau sagen, warum, denn ich wusste eigentlich nichts über sie. Ich hatte auch noch immer keine Antworten auf meine Fragen erhalten. Meine Kopfschmerzen waren zwischenzeitlich verschwunden und über den Ort, an dem ich nun schon seit Tagen ohne Erinnerung festhing, hatte ich mittlerweile herausgefunden, dass er fernab jeglicher Zivilisation auf einem Hochplateau in irgendeinem Gebirge vermutlich in Osteuropa lag. Hier standen ein paar einfache Holzhütten, doch Bredica schien die einzige Bewohnerin dieser Einöde zu sein. Wie war ich hierhergekommen? Vermisste mich denn gar niemand? Was hatte mich in diese abgelegene Gegend geführt? Wer war ich?
Bredica hatte mir aus einer alten Holztruhe eine einfache Hose mit Hosenträgern und ein Hemd gegeben. Ich half ihr, die Schafe und Ziegen zu versorgen, die um die Hütte weideten. Hühner pikten fleißig Würmer aus der Erde und versorgten uns regelmäßig mit Eiern, aus denen Bredica einfache, aber schmackhafte Gerichte auf einem Holzofen zauberte. Es war angenehm sommerlich warm. Nachts kühlte es ab. Ab und zu streiften wir durch die Wälder auf der Suche nach Pilzen. Ich hatte keine Ahnung von Pilzen und vertraute ihrem Wissen darüber. Was blieb mir auch anderes übrig. Obwohl es hier keinen Luxus gab, fehlte es mir an nichts. Ich hatte diesen Ort bereits in mein Herz geschlossen, wenngleich ich mir immer noch nicht erklären konnte, wie ich hierhergekommen war.
Wir waren gerade mitten im Wald, als recht überraschend ein Sommergewitter über uns hereinbrach. Die Hütte war noch zu weit weg, um uns dort in Sicherheit bringen zu können. Der Regen prasselte auf uns nieder und Bredica redete unaufhörlich auf mich ein und ich verstand weiterhin kein Wort. Als ich ihr in ihre weit geöffneten Augen sah, spürte ich, dass sie, die eigentlich immer einen recht unerschrockenen Eindruck auf mich gemacht hatte, Angst hatte.
„Du brauchst dich nicht zu fürchten“, redete ich auf sie ein und umfasste sie an den Schultern.
Ich wusste, dass sie mich nicht verstand, aber meine Worte wirkten trotzdem beruhigend auf sie. Ihre Stimme wurde immer leiser. Plötzlich flirrte ein lautes Donnergrollen durch das Hochtal, welches durch den Widerhall der Berge noch verstärkt wurde. Ohne Vorwarnung drückte sie sich ganz nah an meine Brust und ich umschlag sie reflexartig mit meinen Armen. Vorsichtig blickte sie mir in die Augen und ehe ich es so richtig begriff, berührten sich zart unsere Lippen.
Als sich das Wetter endlich beruhigt hatte, rannten wir wie zwei Teenager über die Wiese zurück. Ich nahm sie an der Hand und sie lachte glücklich darüber, obwohl wir beide patschnass waren. Kaum hatten wir die Hütte betreten, begannen wir erneut uns leidenschaftlich zu küssen, dabei löste ich behutsam das Tuch von ihrem Kopf und schob ihr das nasse Kleid ganz langsam nach oben, während sie mich von meiner Hose und meinem Hemd befreite und meinen Körper mit ihren Händen erkundete. Ich schloss meine Augen und genoss ihre Berührungen, dabei streichelte ich ihr sanft über den Rücken, bevor ich mich daran machte, die Spitzen ihrer Brüste zu ertasten. Sie keuchte leise, was meine Lust ebenfalls weiter befeuerte. Während sie mich ins Schlafzimmer bugsierte, hörte sie nicht auf, mich zu küssen. Wenig später lagen wir rhythmisch vereint auf dem Bett und jegliche Gedanken über die Zukunft und wie das hier alles weitergehen würde, waren wie weggeblasen. Ich genoss den Augenblick, bis wir schließlich angenehm erschöpft und aneinander gekuschelt in den Schlaf gefunden hatten.
Die nächsten Tage schwebte ich zusammen mit Bredica im siebten Himmel, obwohl meine Erinnerung noch immer nicht zurückgekehrt war. Ich fragte mich, ob ich das überhaupt noch wollte. Ich fühlte mich so glücklich, frei und unbeschwert an diesem Ort und mit dieser Frau, sodass ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass es jemals enden würde.
Es war morgens und wir lagen noch zusammen im Bett. Die Sonne spitzelte durch die zugezogenen Vorhänge. Es versprach ein schöner Tag zu werden, als ich plötzlich aus der Ferne fremde Stimmen vernahm, was Bredica in helle Aufregung versetzte. Schnell befreite sie sich aus dem Bett und zog sich in Windeseile an, dabei deutete sie mir, dass ich mich ebenfalls anziehen sollte. Nervös tat ich es ihr gleich und wusste nicht so recht, was jetzt passieren würde. Es dauerte auch nicht lange, da standen ganz selbstverständlich ein paar Leute in der Hütte. Ich vermutete, dass es sich um Bredicas Eltern, ihre Großmutter und ihre Geschwister handelte, die mich mit kritischem Blick begutachteten. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen oder machen sollte. Dafür sprudelten aus Bredica unentwegt Worte, von denen ich immer noch keine Silbe verstand. Sie fuchtelte ganz aufgeregt mit den Händen und mich hätte zu sehr interessiert, was sie ihrer Familie erzählte. Ich vermutete, dass es um mich ging. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit und die Unbeschwertheit der letzten Tage war mit einem Mal verschwunden.
„Mein Name ist Mihail. Ich bin Bredicas Vater“, stellte sich der Mann vor und ich war äußerst verwundert, dass ich ihn verstehen konnte, wenngleich er mit leichtem Akzent sprach. „Sie wissen, was passiert ist?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Wieso kann ich Sie verstehen?“, wollte ich verwundert wissen. „Was mache ich hier? Wer bin ich?“
Für einen kurzen Augenblick herrschte absolute Stille zwischen uns. Dann begann Michail zu erzählen.
„Ich habe mal ein paar Jahre in ihrem Land gearbeitet“, erklärte er mit Ruhe in der Stimme. „Bredica ist schon vor vier Wochen hier auf die Hütte gezogen. Wir mussten noch in der Stadt bleiben und konnten erst jetzt heraufkommen. Der Weg hinunter ist beschwerlich und sehr lange. Man geht ihn nicht leichtfertig, weswegen meine Tochter abgewartet hat, bis wir kommen. Sie hat sie gefunden. Ein ganzes Stück weit entfernt von hier. Sie waren bewusstlos.“
Er machte eine Pause und suchte nach Worten.
„Sie sind der Kampfpilot, dessen Flugzeug vor einigen Tagen hier in den Bergen abgestürzt ist. Die Medien haben darüber berichtet. Alle dachten, Sie sind bei dem Absturz ums Leben gekommen.“
In dem Moment, als er das sagte, kehrte ganz langsam meine verdrängte Erinnerung zurück. Meine Maschine war außer Kontrolle geraten, alle Instrumente spielten verrückt. Ich hatte Panik. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war, wie ich den Schleudersitz betätigt hatte.
„Danke“, meinte ich apathisch zu dem Mann und musste mich auf einen Stuhl setzten, weil mir auf einmal völlig schwindelig wurde.
Bredicas Familie beherbergte mich noch eine Nacht in ihrer Hütte in den Bergen, sodass ich mich von meinem Schock ein bisschen erholen konnte. Am nächsten Morgen begleitete mich ihr Vater zurück in die Zivilisation. Mit einer flüchtigen Umarmung hatte Bredica sich von mir verabschiedet und leise etwas in mein Ohr geflüstert. Ich wusste nicht was, doch am Klang ihrer Stimme konnte ich erkennen, dass es etwas Schönes gewesen sein musste.
Mihail hatte nichts beschönigt, als er gemeint hatte, dass der Weg hinunter beschwerlich und lange sei. Erst gegen Abend waren wir angekommen und ich war völlig fertig. Immer wieder hatte ich während des Abstiegs an die schönen Tage mit Bredica denken müssen. Dass es nun vorbei war, machte mich melancholisch. Andererseits war ich froh, dass ich meine Erinnerung wieder erlangt hatte.
Meine Kameraden freuten sich, dass ich nahezu unverletzt den Absturz meiner Maschine überlebt hatte. Außerdem wurde im ganzen Land darüber in den Medien berichtet. Recht bald hatte ich mich wieder in meinem normalen Leben eingefunden. Doch in so mancher lauen Sommernacht musste ich bis heute immer wieder an die schöne Zeit mit Bredica zurückdenken.
Texte: C. Eberhardt
Bildmaterialien: C. Eberhardt
Cover: C. Eberhardt
Lektorat: C. Eberhardt
Korrektorat: C. Eberhardt
Übersetzung: C. Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 06.08.2023
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Die, die am Boden sind, träumen vom Fliegen. Die, die zu den Sternen schauen, fliegen schon! (Unbekannt)