In meinem Arm hielt ich den letzten Gegenstand von mir, den ich aus unserem gemeinsamen Haus tragen würde. Eine Monstera im Topf. Vor der Tür wartete bereits der mit meinen Habseligkeiten gefüllte Umzugstransporter. Ich stellte die Pflanze kurz ab. Schaut einen kurzen Augenblick in seine Augen. Diese braunen Augen, die immer noch diese Wärme ausstrahlten, die mich schon damals, als wir uns im Studentenwohnheim zum ersten Mal begegnet waren, sofort in ihren Bann gezogen hatten und auch heute noch ihre Wirkung auf mich hatten.
Er war nie der Lauteste gewesen. Stets besonnen. Einfühlsam. Eigenschaften, die ich an ihm stets geschätzt hatte. Auf gewisse Art hatten wir uns immer gut ergänzt und ich könnte auch nicht behaupten, dass dies nicht mehr der Fall war. Ich mochte ihn immer noch. Doch konnte wir beide nicht so weiter machen.
„Wie konnte er dir das nur antun?“, hatte eine gute Freundin zu mir gemeint.
„So was tut man doch nicht“, meinte die alte Bäckersfrau zu mir als ich damals eigentlich nur Frühstückssemmeln kaufen wollte.
Ich hatte das Gefühl, jeder zeigte mit dem Finger auf uns als es öffentlich wurde. Ein Spießrutenlaufen. Vor allem, wenn man in einem so kleinen Nest wohnte wie wir, wo jeder jeden kennt.
Wir hatten uns auch beruflich perfekt ergänzt. Waren verschieden und doch eine Einheit. Angesehene Leute, wenn man so sagen wollte. Zogen unsere drei Kinder gemeinsam auf. Zusammen durch Freud und Leid, so wie wir es uns am Tag unserer Hochzeit geschworen hatten. Nach über dreißig Jahren Ehe waren die Kinder längst aus dem Haus. Hatten teilweise bereits selbst Familie.
Wie lange hatte er es wohl schon gespürt? Ich wusste es nicht. Hätte ich es sehen müssen? Die Anzeichen waren ja irgendwie schon immer da. Aber was man nicht sehen will, das sieht man eben auch nicht. Und das galt wohl für uns beide. Geändert hätte es wohl sowieso nichts. Es war so, wie es nun mal war. Und ich hätte mein bisheriges Leben auch nicht missen wollen. Wir sind an uns gewachsen. Sind der, der wir nun sind, auch durch uns geworden.
Ich wusste, die letzten Jahre waren schwierig für ihn gewesen. Aber auch für mich war die ganze Situation nicht einfach und hatte ihre Spuren hinterlassen. Es war okay, dass wir nun getrennte Wege gehen würden, doch ein endgültiges Ende schmerzte auch immer, egal wie berechtigt es war.
Mit Wehmut musste ich in diesem Augenblick an all das gemeinsam Erlebte zurückdenken. Wie ein Zeitraffer lief die Bilder vor meinem inneren Auge ab. Zuletzt auch die, als er mir unter Tränen alles gestanden hatte. Ich wusste selbst nicht, wie ich damit umgehen sollte. Es traf mich wie ein Schlag und ich stellte auf einmal alles infrage. Wer war dieser Mann? Erst jetzt hatte ich die Zerrissenheit spüren können, die wohl all die Jahre schon an ihm genagt hatte.
Ich umarmte ihn noch ein letztes Mal zum Abschied und beiden hatten wir dabei Tränen in den Augen. Wir waren uns einig, dass wir diesen Weg nicht mehr gemeinsam gehen konnte. Dass er sein Leben als Frau nun selbst bestreiten musste.
Texte: Coco Eberhardt
Lektorat: Coco Eberhardt
Korrektorat: Coco Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 31.12.2021
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ein Wunsch ändert nichts. Ein Entschluss ändert alles. (Unbekannt)