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Mit dem Wohnmobil um die Welt

„Ihr Wohnmobil ist endlich da. Sie können es heute Nachmittag abholen“, sagte der nette Verkäufer mit seiner angenehmen Stimme am anderen Ende der Telefonleitung zu mir.

„Oh. Danke. Wir freuen uns“, antwortete ich ihm freundlich.

Das musste ich unbedingt Wolfgang erzählen. Wo sich Wolfgang doch so darauf gefreut hatte. Mit einem Wohnmobil um die Welt. Oder zumindest durch Europa. Das war unser lang gehegter Traum. Unabhängig. Frei. Auf diesen Moment hatten wir lange gewartet.

Wir waren noch jung, als wir zum ersten Mal davon träumten. Das war, glaube ich, 1974. Als Moni und Micha, unsere damals besten Freunde spontan beschlossen hatten, mit einem bunt bemalten T1 ein Jahr lang durch die Gegend zu reisen. Bis nach Indien wollten die beiden damit.

„Ich finde die Idee klasse“, schwärmte ich Wolfgang vor.

„Ach, die sind eh in zwei Wochen wieder da“, beschwichtigte Wolfgang meine Euphorie lächelnd. „Oder meinst du, so eine ungeplante Aktion geht lange gut? Irgendwann fahren wir auch mit einem Wohnmobil um die Welt. Aber nicht so kopf- und ziellos wie die beiden.“

Wolfgang sollte recht behalten. Letztendlich waren es nur zehn Tage geworden bis Moni und Micha wieder zu Hause waren. Bereits am Bodensee hatten sie einen riesigen Krach miteinander bekommen und sich hinterher sogar getrennt. Trotzdem schwebte der Gedanke an ein solches Abenteuer weiter im Hinterkopf.

Doch irgendwie kam uns dann einfach das Leben dazwischen, unseren Traum in die Tat umzusetzen. Das Haus, das abbezahlt werden musste. Die Kinder, die eine vernünftige Schul- und Berufsbildung bekommen sollten. Die Firma, die ihren Anteil einforderte. Doch aufgegeben hatten wir die Idee mit dem Wohnmobil nie.

Mittlerweile war das Haus abbezahlt. Die Kinder erwachsen. Wolfgang und ich im Ruhestand. Es sprach also nichts mehr dagegen. Wir konnten es uns ohne schlechtes Gewissen leisten. Also hatten wir schließlich bei einem Händler einen Termin ausgemacht. Hatten ganz genau geplant, wie unser Wohnmobil ausgestattet sein sollte. Es sollte einfach alles perfekt sein. Gut durchdacht. Der nette Verkäufer hatte uns bestens beraten. Eine Sonderanfertigung zum Spezialpreis. Extra für uns. Ein bisschen mussten wir uns allerdings noch gedulden, bis es fertig sein würde. Die Vorfreude war groß. Wolfgang hatte sich sofort daran gemacht, die Reiseroute zu planen. Rom. Marseille. Barcelona.

Langsam lief ich den Hausflur entlang zu seinem Zimmer. Lächelnd setzte ich mich neben ihn.

„Das Wohnmobil ist da“, sagte ich mit ruhiger Stimme zu ihm und streichelte ihm dabei liebevoll über den Arm. „Ich werde heute Nachmittag zum Händler fahren und es abholen.“

Ein Lächeln huschte für den Bruchteil einer Sekunde über sein Gesicht. Seine Augen wurden etwas feucht. Er lag auf seinem Pflegebett, das vom Sanitätshaus kürzlich aufgestellt worden war. Vor wenigen Wochen hatte er einen Schlaganfall erlitten. Er konnte noch immer nicht richtig sprechen, nicht laufen. Seine linke Körperhälfte war gelähmt. Ob er sich jemals wieder richtig davon erholen würde, stand in den Sternen.

Irgendwann fahren wir auch mit einem Wohnmobil um die Welt.

Seine Worte von damals kamen mir wieder in den Sinn. Irgendwann. Ja, irgendwann. Doch irgendwann war es zu spät dafür.

 

Impressum

Texte: Coco Eberhardt
Lektorat: Coco Eberhardt
Korrektorat: Coco Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 15.11.2021

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Das Leben ist zu kurz für irgendwann... (Unbekannt)

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