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Das schwarze Klavier

Haben Dinge eine Seele? Ich lag auf dem Sofa und betrachtete das schwarze Klavier, das an der Wand stand. Vor meinem inneren Auge sah ich Hedda davor sitzen und darauf spielen. Wie gerne hatte ich immer hier gelegen und ihr dabei zugehört. Ich war zwar überhaupt nicht musikalisch, doch Heddas gefühlvolle Art auf dem Klavier zu spielen, machte sogar mich auf gewisse Art sensibel dafür. Derweil hätte uns das Klavier zu Beginn unseres Zusammenseins beinahe wieder auseinandergebracht.

 

*

 

Ich war damals bereits Ende zwanzig und hatte gerade meinen ersten richtigen Job in einem kleinen Lektorat in Dublin angenommen. Also hatte ich beschlossen, dass es an der Zeit war, meine Studentenbude aufzugeben und in eine etwas größere Wohnung zu ziehen.

 

Grundschullehrerin sucht ruhigen, kultivierten Mieter

für eine circa 58 m² große Wohnung im 1. OG.

 

Diese Annonce hatte mich sofort angesprochen. Und als mir Hedda dann schließlich die knallrote Holztüre des verwunschen wirkenden Vorstadthäuschens öffnete, war für mich die Entscheidung bereits gefallen. Ihre kurzen Locken hatten in etwa den gleichen Farbton wie die Haustüre und ihr Lächeln nahm mir jede Angst. Eigentlich war ich mehr Bücherwurm als Menschenfreund. Zerstreuter Professor, nannten mich meine Kommilitonen an der Uni oft. Intelligent und belesen, aber doch irgendwie nicht fähig, alleine mit dem Leben fertig zu werden. Da konnte es doch nicht verkehrt sein, mit einer Grundschullehrerin im Hause zu wohnen, die mit beiden Beinen im Leben zu stehen schien.

Ich arbeitete viel von zu Hause aus und saß oft bis in die Nacht hinein an meinem Schreibtisch. Fast jeden Abend spielte Hedda in der Wohnung unter mir auf ihrem Klavier. Ich musste mir bald selbst eingestehen, dass ich die Hellhörigkeit des Hauses bei meinem Einzug völlig unterschätzt hatte. Außerdem schien der in der Annonce geforderte Wunsch nach einer ruhigen Person offensichtlich nur für mich zu gelten, nicht jedoch für meine Vermieterin.

Leichter Ärger stieg in mir auf. Ich musste diese Arbeit unbedingt bis morgen früh fertig bekommen, doch dank Heddas Klavierspiel konnte ich mich nicht so recht konzentrieren. Ich brauchte Ruhe. Absolute Ruhe. Doch sie hörte einfach nicht auf. Schließlich fasste ich den Entschluss, meinem mittlerweile zur Wut angewachsenen Ärger Luft zu machen. Ich stieg die knarzende Holztreppe zu ihrer Wohnung hinab und klopfte. Angesichts ihres Klavierspiels schien sie dies aber nicht gehört zu haben. Also klopfte ich noch lauter an ihre Tür und hatte mir dabei schon die Worte zurechtgelegt, die ich ihr an den Kopf werfen wollte, um meinen Unmut kund zu tun. Mein erneutes, impulsiveres Klopfen hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Plötzlich verstummte nämlich das Klavier und Schritte näherten sich der Tür.

„Oh. Mr. Murphy. Ich hoffe, mein Klavierspiel ist Ihnen nicht zu laut“, meinte sie etwas überrascht mich zu sehen und blickte mich dabei mit ihren algengrünen Augen an.

Ihre Sommersprossen waren mir bis dahin gar nie so richtig aufgefallen, denn außer den üblichen Begrüßungsformalitäten hatten wir bis dahin nicht viel Worte miteinander gewechselt. Ich konnte nicht sagen, warum, aber auf einmal war meine Wut wie verraucht.

„Also… Ähm…“, stotterte ich verlegen herum, „ich muss diese Arbeit bis morgen fertig bekommen.“

„Wollen Sie nicht hereinkommen? Sie sehen so aus, als könnten Sie eine Pause gebrauchen.“

Und ehe ich mich versah, war ich schon bei ihr in der Wohnung. Gemütlich hatte sie es hier. Sie schenkte mir ein Glas Rotwein ein und ich setzte mich auf das Sofa, während sie sich wieder an das schwarze Klavier setzte und begann, die Mondscheinsonate von Beethoven zu spielen. Die Hingabe, mit der sie das Instrument zum Klingen brachte, faszinierte mich irgendwie, obwohl ich mit Musik bis dahin nicht viel am Hut gehabt hatte. Als sie sich kurz danach mit ihrem Weinglas zu mir setzte, merkte ich, wie mein Herz höherschlug. Ich war zwar im Umgang mit Frauen nicht gänzlich unerfahren, doch musste ich mir selbst eingestehen, dass ich bisher für keine andere Frau ähnlich empfunden hatte wie für Hedda. Es war nicht so, dass wir in dieser Nacht sofort zueinandergefunden hatten. Es war höchstens der Beginn einer zarten Liebe. Viele Nächte, lange Gespräche und so manches Glas Rotwein war dafür nötig, unsere Beziehung zu vertiefen, immer begleitet vom Klang des Klaviers. Als wir uns dann zum ersten Mal küssten, war sie mir bereits so vertraut wie die Heimat meiner Kindheit.

Mir hätte es genügt, so wie es war zwischen uns. Doch als sie mir nach wenigen Jahren unserer Zweisamkeit eröffnete, dass sie ein Kind erwarte, plagten mich vorwiegend Zweifel und Ängste. Würde ich ein guter Vater werden? Meist hatte ich ja schon genug mit mir selbst zu tun. Doch Hedda wusste mich zu beruhigen. Und als ich Colin dann nach der Geburt das erste Mal in meinem Arm hielt, waren es Tränen des Glücks, die mir über die Wangen liefen. Er war mittlerweile 16 Jahre alt und seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.

Das mit dem Heiraten hatten wir beide nie geschafft. Warum, wusste ich eigentlich auch nicht so genau. Obwohl wir eine Familie waren, klebte mein Name noch immer auf dem oberen Klingelschild und ihrer darunter.

 

*

 

„Es hat geklingelt, Dad“, riss Colin mich aus meinen Gedanken und ich blickte wieder wehmütig zu dem schwarzen Klavier.

Eine Familie aus Bray wollte es für ihren Sohn kaufen und mitnehmen.

Vor einem Jahr hatte Hedda noch darauf gespielt. Doch ich hatte es ihr damals bereits angemerkt, wie es immer schwerer für sie wurde. Seit Hedda nicht mehr da war, hatte das Klavier für mich nur noch den Wert eines Denkmals, das mich jeden Tag, den es nicht gespielt wurde, traurig machte.

Aber als ich nun die leuchtenden Augen des Jungen aus Bray beim Anblick des schwarzen Klaviers sah, da wusste ich, auch Hedda hätte es so gewollt. Denn das, was Hedda und mich verbunden hatte, war nicht etwa das schwarze Klavier, sondern etwas das viel tiefer war.

 

Impressum

Texte: Coco Eberhardt
Lektorat: Coco Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2021

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
"Eine falsche Note zu spielen ist unwichtig, aber ohne Leidenschaft zu spielen ist unverzeihlich!" - Ludwig van Beethoven

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