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Kapitel 1

Es gab nichts Schöneres für mich, als auf meinem kleinen Balkon zu stehen und bei einer Tasse Cappuccino den Sonnenaufgang über Florenz zu beobachten. Der Duomo zeichnete sich dunkel und zugleich magisch vom orange feurigen Morgenhimmel ab. Das war einer der wenigen Augenblicke des Tages, an denen ich mich fast schon ehrfürchtig und ein klein wenig verletzlich fühlte. Ein Kontrast zu meinen Alltag, der zu 90% aus meiner Arbeit bestand. Mit 17 war ich zu den Carabinieri gegangen. Der alte Polizeichef hatte sich damals über mich amüsiert. Ein Mädchen. Gerade mal 1,57 klein. Dünn. Mit einem Zopf bis zum Hintern geflochten. Vom ersten Tag an musste ich kämpfen.

Der Zopf mit den langen Haaren war mittlerweile einem flotten Bob gewichen. Ich war nun 32. Viel musste ich aushalten. Doch hatte ich es inzwischen weit gebracht. Kapitalverbrechen waren meine Spezialität. Ich hatte so manchen Mafioso überführt. Auch wenn ich nicht groß war, krochen schon 3-Zentner-Burschen vor mir zu Kreuze. Ich konnte Teakwondo, Krav Maga und Kung Fu. Und auch mit der Pistole hatte ich noch nie mein Ziel verfehlt. Giovanni, mein Vorgesetzter, wusste sehr zu schätzen, was er an mir hatte. Ich war immer einsatzbereit und gab mindestens 110%. Dafür hatte ich bei den Ermittlungen freie Hand. Die Arbeit war mein Leben und mein Leben war die Arbeit. Außer dem Streuner Geppetto, der mich gelegentlich nach Katzenfutter anbettelte, hatte ich niemanden, der es mit mir lange aushielt. Ab und zu gönnte ich mir ein kleines Abenteuer, das jedoch nie länger als eine Nacht dauerte. Von Gefühlen hatte ich mich isoliert. Sonst hätte ich es wohl auch beruflich nie so weit gebracht. Das letzte Mal geheult hatte ich bei der Beerdigung meiner Mutter. Da war ich zwölf.

 

Kapitel 2

„Adriano Rossi. Auch wenn er nicht so aussieht, er ist einer der gefährlichsten Männer von Florenz. Wir bringen ihn und seine Leute mit dreizehn Morden der Mafia in Verbindung. Außerdem gibt es Anhaltspunkte für versuchte Steuerhinterziehung. Wir haben allerdings noch keine verwertbaren Beweise. Wenn das jemand hinbekommt, dann du. Du hast mein vollstes Vertrauen“, hatte Giovanni mit ernstem Ton zu mir gemeint.

Die Akte von Adriano Rossi las sich wie ein Thriller. Eine blutige Spur aus Korruption und Gewalt, die sich seit Jahren durch ganz Florenz zog. Ich saß auf meiner Ledercouch in meinem kleinen Altstadtapartment. Um mich türmten sich Papiere, Fotos und Berichte. Adriano war 41 und betrieb seit Jahren die kleine Osteria Bianchi, welche der Geldwäsche zu dienen schien. Nachweisen konnte man Rossi jedoch bisher nichts. Er hatte außerdem den Ruf eines Gigolos. In jungen Jahren war er verheiratet. Doch vor knapp vierzehn Jahren fand man seine Frau leblos auf der Piazza della Signora in ihrem eigenen Blut liegen. Ohne das Bewusstsein wieder zu erlangen, starb sie kurze Zeit später im Ospedale. Man vermutete einen Racheakt konkurrierender Banden. Der Täter konnte nie gefasst werden.

Kapitel 3

Ich postierte mich unauffällig mit meinem Wagen vor der Osteria Bianchi und observierte Rossis Lokalität. Minutiös schrieb ich jede Beobachtung in mein Notizbuch. Wer ging ein, wer aus. Ein paar Mafiagrößen hatte ich bereits ausgemacht. Ich kannte mich gut aus in der Szene. Mit meinem Kaffeebecher saß ich hinter den getönten Scheiben und überwachte alles. Nur Adriano hatte ich bisher noch nicht entdeckt.

Es dauerte vier durchgemachte Nächte, bis ich ihn mit meinem Fernglas durch die große Fensterscheibe der Osteria erkennen konnte. Er war groß und kräftig, jedoch keinesfalls dick. Er trug einen Ledermantel, eine Designerjeans und ein weißes Hemd. Sein schwarzes Haar hatte er mit Pomade zurück gekämmt. Ich konnte gut nachvollziehen, warum ihm die Frauen zu Füßen lagen. Er hatte etwas durch und durch verwegenes an sich.

 

Kapitel 4

Es wurde langsam Zeit in die Offensive zu gehen. Zurückhaltung war nicht gerade meine Art. Ich zog das merlotrote Kleid aus dem Schrank. Tiefer Ausschnitt, nicht nur was das Dekolleté betraf. Gekonnt trug ich den Mascara auf meine Wimpern auf, zog mir die halterlosen Seidenstrümpfe über die Beine und schlüpfte in meine schwarzen Pumps. Obwohl ich katholisch war, war mir schon lange nichts mehr heilig. Meine unkonventionellen Ermittlungsmethoden waren es schließlich, die mich immer zum Erfolg geführt hatten.

In der Abenddämmerung stand ich schließlich vor der Osteria. Einen Pelz hatte ich mir noch um den Hals gelegt, die Zigarette in der Hand, die Sonnenbrille auf der Nase. Ich stieß den Rauch aus meinen Lungen und drückte den Glimmstängel auf dem Kopfsteinpflaster aus. Erhobenen Hauptes betrat ich das Etablissement, das auf Außenstehende kein Aufsehen machte. Das Ambiente war rustikal, aber gemütlich. Nichts deutete darauf hin, dass hier das Who is Who des Kapitalverbrechens verkehrte.

„Ein Tisch für eine Person, bitte“, instruierte ich den Kellner, der mich zu einem kleinen Holztisch führte. Er zündete eine Kerze an.

„Einmal die Breschettone Diavolo und einen viertel Liter Montepulciano“, bestellte ich selbstbewusst. Ich spürte auf einmal in mir wieder diesen Kick, den ich so gut kannte und auch ein Stück weit brauchte. Aufmerksam beobachtete ich das Treiben um mich. In der Ecke neben der Theke spielte ein kleiner, rundlicher Mann dezent auf dem Klavier. Ich genoss dabei mein Abendessen.

Kaum hatte ich den letzten Bissen hinuntergeschluckt, stand auch schon der Kellner vor mir, der mich vorhin an meinen Tisch begleitet hatte.

„Signora, Signore Rossi würde Sie gerne noch auf ein Glas Grappa einladen. Möchten Sie mir bitte folgen?“, bat er mich äußerst freundlich. Rossi hatte offensichtlich angebissen. Unauffällig ging ich hinter dem Kellner her in ein Hinterzimmer der Osteria. Zuvorkommend wurde mir die knarrende Holztür geöffnet, die wohl schon das ein oder andere Jahrhundert hinter sich hatte.

„Guten Abend, Signora. Wie darf ich Sie nennen?“, fragte Rossi mich direkt und mit angenehmer Stimme.

„Maria.“

„Nennen Sie mich doch…“

„Adriano“, unterbrach ich ihn forsch.

„Sie sind taff. Ich liebe taffe Frauen. Dazu auch noch bildschön. Aber wieso ist eine so bildschöne Frau an einem Abend, wie diesem, alleine unterwegs?“

Während er das sagte, schenkte er bereits zwei Gläser ein. Als Rossi nun so vor mir stand, wirkte er noch größer auf mich, als ich gedacht hätte. Er reichte mir meinen Grappa.

„Bevor wir anstoßen, sollten Sie allerdings diese Sonnenbrille abnehmen. Sie steht Ihnen zwar außergewöhnlich gut, aber ich würde Ihnen gerne in die Augen schauen, wenn ich Ihnen zuproste.“

Während er das sagte, kam er mir ganz nah und nahm behutsam meine Brille vom Gesicht. Seine stahlblauen Augen starrten mich an, als könne er in meinem Gesicht lesen. Er holte sein Glas und stieß mit mir an.

„Cin Cin.“

Dieser Grappa war wirklich ein Genuss.

„Möchten Sie tanzen?“, fragte Rossi plötzlich.

„Gerne.“

Ich lächelte ihn an und er lächelte zurück. Hätte ich nicht seine Polizeiakte gelesen, er wäre mir durchaus sympathisch gewesen. Er nahm mich an der Hand und führte mich in den Gastraum.

„Alfredo! Tango!“

Der kleine Mann am Klavier wechselte sofort die Musik. Adriano fixierte mich mit seinem Blick. Kurz tanzten wir mit Abstand zum mitreißenden Takt, ähnlich einem Balztanz. Dann zog er mich zu sich her und legte seine rechte Hand um meine Taille. Obwohl ich fast zwei Köpfe kleiner war als er, war es ein Tanz auf Augenhöhe. Ich spürte eine Pistole an seiner Seite, aber sowas brachte mich nicht aus der Ruhe. Ich nahm seinen Körpergeruch wahr, der ganz und gar nicht abstoßend war. Er führte mich mit fester Hand über die kleine Tanzfläche der Osteria. Die Gäste schauten uns fasziniert zu. Wir tanzten zwar nur ein Lied zusammen, aber es kam mir in diesem Augenblick vor, wie eine ganze Nacht.

„Sie sind eine fabelhafte Tangotänzerin. Ich hoffe, ich kann Sie bald wieder hier begrüßen“, flüsterte er mit seiner angenehm dunklen Stimme in mein Ohr, so dass ich Gänsehaut bekam.

„Gerne“, flüsterte ich zurück.

Unsere Blicke trafen sich nochmals aus nächster Nähe. Seine Augen hatten fast schon eine hypnotische Wirkung auf mich.

Kapitel 5

Giovanni hatte mich in sein Büro beordert.

„Setz dich“, bot er mir einen Bürostuhl vor seinem wurmstichigen Eichenholzschreibtisch an.

„Ich stehe lieber“, sagte ich forsch, wie es gerne meine Art war.

Er schmunzelte. Er kannte mich nur zu gut.

„Du hast bisher sehr gute Arbeit geleistet im Fall Rossi. Ich frage lieber nicht, wie du an all die Informationen gekommen bist.“

Ja, er kannte mich wirklich nur zu gut.

„Dank deiner hervorragenden Leistung können wir Rossi wohl bald in Haft nehmen“, führte er weiter aus.

Ich musste schlucken. Noch nie hatte ich ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ein Ganove auf Grund meiner Ermittlungen verhaftet worden war. Doch in diesem Augenblick bekam ich zum ersten Mal leichte Skrupel. Reiß dich zusammen, Maria. Er ist ein Verbrecher. Er hat es verdient.

 

Kapitel 6

Ich wusste, es würde unser letzter Abend werden. Adriano bewohnte eine großzügige Altstadtwohnung mit Blick auf den Palazzo Vecchio. Er stand mit einer Schüssel grüner Oliven und einer Flasche Rotwein vor mir. Nackt. Während ich lediglich mit einem dünnen weißen Laken meinen Körper bedeckte und in seinem Bett lag. Er schenkte ein und reichte mir mein Glas. Ich richtete mich auf. Das Laken rutschte hinunter und entblößte meinen Oberkörper.

„Auf einen unvergesslichen Abend“, meinte er und stieß mit mir an.

Ich erwiderte nichts. Ein beklemmendes Gefühl stieg in mir auf.

„Was ist mit dir?“, fragte er mit besorgtem Unterton und ich wusste, dass ich mich auf sehr dünnem Eis bewegte. Dieser Mann war ein Verbrecher, versuchte ich mir einzureden. Doch ich hatte längst meine professionelle, emotionskalte Art abgelegt. Er streichelte mir über den Rücken. Ich bekam Gänsehaut. Nachdem er unsere Gläser auf den niedrigen Glastisch neben dem Bett abgestellt hatte, begann er mich am Hals zu küssen, was mir meine restlichen, klaren Gedanken vertrieb. Sanft drückte er mich auf die Matratze, während er sich über mich beugte.

„Heute ist es also soweit?“, fragte er gelassen und blickte mir mit seinen stahlblauen Augen ins Gesicht. Wenn diese Augen nur nicht gewesen wären. Hätte es etwas geändert?

„Was meinst du?“, wollte ich mit Unschuldsmiene wissen.

Mit seiner sanften Zunge berührte er meine Brustknospe. Dann umfasste er mit leichtem Druck meine Handgelenke. Mit einem Mal war ich ihm völlig ausgeliefert und handlungsunfähig, doch ich hatte keine Angst.

„Tu nicht so unschuldig. Ich wusste vom ersten Moment, als ich dir ins Gesicht geblickt habe, dass du die Frau sein wirst, die mich ins Verderben schicken wird.“

Er ließ mich wieder los und rollte sich neben mich.

„Du weißt alles?“

Er nickte.

„Aber jede Sekunde mit dir war es wert.“

Langsam näherten sich seine Lippen den meinen und er küsste mich, als würde es kein Morgen geben.

Auf einmal hörte ich, wie die Tür eingeschlagen wurde. Innerhalb von Sekunden waren wir umstellt von der Sondereinheit, die ihre Gewehre auf uns richtete. In Handschellen und ohne, dass er sich gewehrt hätte, führten sie Adriano ab. Ich zog mir das Laken wieder über die Schultern.

„Alles klar?“, fragte Giovanni mich.

„Alles klar“, antwortete ich apathisch.

Und das erste Mal seit fast zwanzig Jahren lief mir eine Träne über die Wange.

 

Impressum

Texte: Coco Eberhardt
Cover: Coco Eberhardt
Lektorat: Coco Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 20.01.2021

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Die Gesellschaft ist bereit, dem Verbrecher zu verzeihen, nicht aber dem Träumer - Oscar Wild

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