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Meeting mit Mr. Miller

Seit Wochen arbeitete ich nun schon von meinem Homeoffice aus. Eigentlich empfand ich die Tage, an denen ich nicht ins Büro musste, immer als recht angenehm. Doch es war ein großer Unterschied, ob man von hier aus arbeiten durfte oder musste.

Meine fünf Quadratmeter Arbeitsplatz zu Hause hatte ich mir gemütlich, aber doch funktional eingerichtet. Der alte Holzschreibtisch stammte noch von meiner Oma, daneben stand ein modernes weißes Regal, das mit bunten Ordnern vollgestellt war. Der Fotodruck von Edinburgh an der Wand gab dem kleinen Raum etwas Tiefe. Vor mir stand mein Laptop, dessen weißblaues Licht das Zimmer zusätzlich zu meiner grünen Schreibtischlampe erleuchtete.

Geistesabwesend blickte ich aus dem Fenster auf die Straße vor meiner Wohnung, während ich in meinen Händen eine Tasse dampfenden Tee hielt. In zwanzig Minuten hatte ich ein Meeting mit Mr. Miller. Obwohl es schon nach Mittag war, trug ich immer noch mein Spitzennegligé, meinen Seidenkimono und meine dicken selbstgestrickten Wollsocken. Homeoffice hatte durchaus seine Annehmlichkeiten…

Wegen meines Termins hatte ich keinen Stress, denn unsere Konferenz würde in meinem kleinen Arbeitszimmer stattfinden. Online. Per Videoschalte. Gemütlich begab ich mich ins Badezimmer, das nur zwei Türen weiter lag, um mich herzurichten.

Ich hängte den Kimono an den Haken an der Wand. Geräuschlos ließ ich mein Nachthemd zu Boden gleiten. Nackt betrachtete ich mich im Spiegel. Den Körper einer 20-Jährigen hatte ich nicht mehr. Die Geburt meiner Tochter Sophie hatte leichte Blessuren hinterlassen. Aber Alles in Allem fühlte ich mich mit meinen 34 Jahren noch durchaus attraktiv. Vorsichtig umfasste ich mit den Händen meine Brüste und warf meinem Spiegelbild einen lasziven Blick zu. Seit der Trennung von Moritz hatte diesen Körper niemand mehr nackt gesehen, außer mir natürlich. Ich hatte zwar ein paar Dates mit einem Arbeitskollegen, aber bevor es ernst wurde, löste sich das Ganze bereits wieder in Wohlgefallen auf. Ich musste eingestehen, dass ich mich nach all der Zeit schon irgendwie mal wieder nach körperlicher Nähe sehnte. Richtig bewusst war mir das erst geworden, seit ich hier einsam in meinem Homeoffice vor mich hinarbeiten musste.

Ein Blick auf die Uhr meines Smartphones verriet mir, dass ich mich langsam für mein Meeting mit Mr. Miller stylen sollte. Obwohl ich Vertriebsleiterin einer Handelskette für Reizwäsche und Dessous war, wollte ich ihm nicht halbnackt vor die Linse treten. Als wäre es ein echtes Treffen, zog ich meine Seidenstrumpfhose und mein schwarzes Etuikleid an. Auf die High Heels verzichtete ich. Die würde er auf seinem Monitor zum Glück eh nicht sehen. Kurz fuhr ich mit der Bürste durch mein braunes kurzes Haar.

Über Mr. Miller wusste ich bisher nicht viel. Beruflich war es das erste Mal, dass wir zu tun hatten. Er war für den Einkauf bei einem großen New Yorker Wäschegeschäft zuständig, das Filialen im ganzen Land unterhielt. Mein Job bestand darin, ihn von unserer neuen Produktlinie 'Nina Sue' zu überzeugen. Eine Auswahl der Dessous hing auf einer Stange in meinem Homeoffice. Von meiner Präsentation würde ein Deal im oberen fünfstelligen Bereich abhängen. Wie gut, dass Sophie heute bei Moritz war. Die Doppelbelastung mit Homeschooling und Homeoffice war eh schon schwierig genug. Aber heute brauchte ich einen freien Kopf.

Ich zog mir gerade den Eyeliner nach, als ich plötzlich das Klingeln meines erwarteten Anrufs vernahm. Ein Blick auf die Uhr. Wow. Mr. Miller war wohl überpünktlich. So viel konnte ich jetzt schon sagen. Eilig spurtete ich vom Badezimmer in mein kleines Büro.

'Miller' prangte es auf meinem Bildschirm. Hastig nahm ich den Videoanruf an.

„Hello, Mr. Miller. Nice to meet you. How are you?“, begrüßte ich den bisher Unbekannten virtuell.

„Hallo“, grüßte er mich mit einem freundlichen Lächeln zurück, „ähm. Sie können gerne Deutsch mit mir reden.“

Braune Knopfaugen blickten mir vom Bildschirm aus entgegen. Mr. Miller war geschätzt ein wenig jünger als ich, sein schwarzes Haar hatte er businesslike frisiert und seine Gesichtszüge muteten etwas asiatisch an. Der oberste Knopf seines Hemds war geöffnet. Er trug keine Krawatte. Und ich musste zugeben, dass ich von seiner virtuellen Anwesenheit wie elektrisiert war.

Cool down. Mahnte ich mich im Geiste.

„Gerne würde ich Ihnen ein paar der neusten Dessous von 'Nina Sue' präsentieren, Mr. Miller“, fiel ich direkt mit der Tür ins Haus. Mit dieser Strategie war ich noch nie schlecht gefahren.

„Sie wollen mir Dessous von 'Nina Sue' präsentieren?“, wiederholte er meine Worte mit einem Augenzwinkern. Wollte Mr. Miller etwa mit mir flirten?

„Ja, gerne“, antwortete ich und versuchte dabei locker zu wirken, „wie wäre es Ihnen denn am liebsten?“

Schnell griff ich zur Stange und holte das mit Spitzen besetzte Wäschestück in bordeauxrot und hielt es ihm lächelnd in die Kamera.

„Hier das Model 'Honey Moon' “, grinste ich kokett zu ihm, was er prompt erwiderte.

Dieser Typ war knuffig, aber irgendwie ein bisschen unprofessionell, was mich allerdings nicht weiter störte. Er atmete tief ein.

„Chic“, kommentierte er kurz, aber freundlich, „ich glaube, das würde an Ihnen ausgezeichnet aussehen, Frau Brandt.“

„Meinen Sie?“, fragte ich schmachtend in die Kamera.

Ein Kribbeln durchfuhr meine Magengegend.

„Möchten Sie, dass ich es anziehe?“

Mein Gott, was plapperte ich da auf einmal bloß vor mich hin. Mein Mund schien ein Eigenleben zu führen.

„Wäre das nicht zu viel verlangt?“, meinte er mit flirtendem Unterton.

„Für Sie würde ich es gern anziehen“, zwinkerte ich ihm zu und dieser Gedanke schien ihm ebenfalls sehr zu gefallen.

Kurz nach dem ich das gesagt hatte, verschwand ich mit den Dessous im Badezimmer. Ich wusste, dass es hier um einen Großauftrag ging, aber das spielte in diesem Moment keine Rolle für mich. Langsam öffnete ich den Reißverschluss meines Kleides und ließ es zu Boden gleiten. In Windeseile ersetzte ich meine Unterwäsche gegen die Dessous von 'Nina Sue'. Kurz betrachtete ich mich im Spiegel und gefiel mir ziemlich gut.

Selbstbewusst ging ich zurück zu meiner Videokonferenz mit Mr. Miller. Schade, dass er in New York war und ich hier in Berlin.

„Sie sind zauberhaft, Frau Brandt“, hauchte Mr. Miller in die Kamera und in seiner Stimme lag eine leichte Erregung.

„Danke.“

„Weswegen ich allerdings eigentlich angerufen habe…“

„Wie meinen Sie?“, fragte ich unsicher nach.

„Es geht um den Klarinette-Unterricht Ihrer Tochter.“

Wie kam er nun darauf? Was hatte meine Tochter damit zu tun?

„Entschuldigen Sie, ich dachte, Sie wüssten wer ich bin. Mein Name ist Jonas Miller. Ich bin der Musiklehrer von Sophie. Moritz meinte, ich könnte Sie so am besten erreichen…“

„Sie sind was? Sie sind nicht Mr. Miller aus New York?“, fragte ich verlegen und begriff langsam, welchem Irrtum ich hier aufgesessen war. Dieser Mr. Miller war ein anderer Mr. Miller.

„Nein, aber ich könnte in zehn Minuten bei Ihnen sein… Dann könnten wir das persönlich besprechen. Aber nur wenn Sie wollen...“

Und ob ich wollte. Jedoch ploppte genau in diesem Moment wieder ein Videoanruf auf meinem Laptop auf. 'Miller' stand dort.

„Wie wäre es in einer Stunde?“, fragte ich Jonas mit einem Augenzwinkern, bevor ich seinen Anruf beendete, mir schnell eine Weste überwarf und dem „richtigen“ Mr. Miller virtuellen Zutritt in mein kleines Büro verschaffte.

Impressum

Texte: Coco Eberhardt
Lektorat: Coco Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Sätze wie "Der Verkehr heute Morgen war fürchterlich" bekommen im Homeoffice eine ganz neue Bedeutung.

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