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Eskapismus

"Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2020… Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt eine Eskapistin in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat."

 

Um zu überleben bediente sich der Mensch von jeher im Wesentlichen drei Hauptstrategien:

 

Kampf.

Erstarren.

Flucht.

 

Insbesondere Letzteres ist bis heute immer noch tief verwurzelt im menschlichen (Unter-)Bewusstsein. Aber vor was flüchten, wo es doch heutzutage so gut wie keine Fressfeinde mehr gibt? Doch die Gefahr lauert direkt um uns. Sie umgibt uns 24 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Dabei handelt es sich um nichts geringeres, als die Realität, welche sich erbarmungslos durch unser Leben frisst und so manchen in die Flucht schlägt.

Derweilen geht es uns so gut, wie keiner Generation davor. Trotzdem hat sich eine regelrechte Eskapismusindustrie entwickelt. Spielkonsolenhersteller haben keine Absatzprobleme. Auch das Geschäft mit Tablets und smarten Phones und TVs boomt. Kaum einer, der sich diesem Trend entziehen kann oder gar will. Wer sich nicht mit Alkohol und Drogen berauscht, tut es mit Netflix & Co. Jeden Cent ist uns dieser Spaß wert. Wie dem Junkie der Schuss.

Eskapismus ist keine Erfindung der Moderne. Vor der Welt geflüchtet ist der Mensch schon immer gern. Sei es durch Rausch, Meditation oder Tagträumerei. Wer tagelang darbend in der kalten Höhle verbringen musste, hat sich sicherlich in so mancher phantastischen Vorstellung das erlegte Mammut herbeigesehnt. Ist Eskapismus somit nichts anderes, als das Stillen von unerreichbaren Sehnsüchten? Die Krankheit des schmerzlichen Verlangens?

Am liebsten würde ich mich unter den Flügeln eine singenden Rotkehlchens verstecken, nur damit der Wecker nicht um sechs Uhr klingelt. Nun tut er´s doch, ich stehe auf, reibe mir den Schlaf aus den Augen und schneide mich prompt beim Rasieren.

So zumindest besingt es der „Daydream Believer“ im gleichnamigen Hit der Monkees. Doch mal ehrlich, was ist so verlockend sich unter den Flügeln eines singenden Rotkehlchens zu verstecken? Flügel geben Geborgenheit. Eine Geborgenheit, die im (Arbeits-)Alltag vielleicht fehlt? Letztendlich geht es also um Kompensation. Aber was kompensieren in einer Welt, die quasi keinen Wünsche offen lässt?

Die Ursachen für den Hang zur Realitätsflucht müssen also in uns selbst zu finden sein. Der Mensch ist ein soziales Lebewesen, geleitet von Emotionen. Trotz allen technischen Fortschritts sind wir jedoch im Umgang mit Gefühlen teilweise noch im Neandertal beheimatet. Doch wir haben gelernt dieses Defizit mit Hilfsmitteln auszugleichen. Der Rausch des Alkohols nimmt uns Angst oder auch Trauer. 300 Facebook-Freunde suggerieren, dass man nicht einsam ist. Und die Liebesschmonzette im Fernsehen gaukelt uns die große Liebe vor, nach der wir uns im wahren Leben sehnen. Im Glücksspiel suchen wir eben dieses Glück, das bisher ausgeblieben ist. Und im MMORPG sind wir der starke Held, der wir IRL niemals sein werden, weil wir nicht mal ansatzweise mit uns selbst klar kommen.

Es tut nicht gut, wenn du nur deinen Träumen nachhängst und vergisst zu leben.

Dieser Rat stammt von keinem geringeren als Albus Dumbledore, der zwar eine echte Berühmtheit ist, allerdings paradoxerweise nicht in der Realität, sondern in der Welt der Magier und Zauberer. Die Flucht vieler Leser in den mystischen Epos von Harry Potter, verhalf der damals auf Sozialhilfe angewiesenen J.K. Rowling immerhin zu einem Vermögen von geschätzt 1 Milliarde. Und das in realen Dollars.

Letztendlich wage ich zu behaupten, dass wir alle Eskapisten sind. Mancher mehr, mancher weniger. Mancher bewusst, mancher unbewusst. Keiner kann dem Eskapismus entfliehen. Nicht mal der realistischste Realist, der sich viellleicht beim Freeletics die Gedanken aus dem Gehirn pusten lässt.

Auch wenn die Weltflucht eher einen negativen Touch hat, so sehe ich sie doch auch als wichtiges Instrument zum emotionalen Überleben in einer zunehmend technokratisch ausgerichteten Welt. Aber wie bei allem, besteht auch beim Eskapismus die Kunst dabei, sich nicht darin zu verlieren.

Und damit bliebe mir abschließend nur noch eines zu sagen:

Scotty, beam mich hoch.

Impressum

Texte: Coco Eberhardt
Lektorat: Coco Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
„Jeder braucht schliesslich was, um seine Nerven zu beruhigen... -Ich lasse Steinchen springen!“ - Amelie Poulain

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