Gut im Schlussmachen war ich noch nie. Oder besser gesagt, ich war bisher noch nie in die Verlegenheit gekommen, Schluss zu machen. Bis jetzt war es immer ich gewesen, die abserviert worden war. Doch diesmal war es anders gekommen.
Nach fast zwei Jahren hatte ich die Reißleine gezogen. Ich war gerade 23 und Bernd Mitte 30. Ob es der Altersunterschied war? Nein. Es war auch sonst nichts. Aber er war es einfach nicht. Ganz einfach. Umso schlimmer war die Trennung.
Ich glaube, es wäre einfacher gewesen, sich zu trennen, wenn er mich so richtig hintergangen hätte. Wenn zwischen uns die Fetzen geflogen wären. Wenn er mich in den Wahnsinn getrieben hätte. Aber nichts davon traf bei Bernd zu, weswegen wir auch Freunde bleiben wollten. Aber irgendwie funktionierte das nicht so richtig.
Jedes Mal, wenn wir uns trafen, sah ich immer noch diese Hoffnung in seinen Augen. Er hatte mich noch nicht aufgegeben. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich musste ihm noch einmal das Herz brechen. Einen endgültigen Schlussstrich ziehen. Aus. Vorbei. Aber bei dem Gedanken daran hatte ich ein verdammt schlechtes Gewissen. So ganz sicher, ob ich das wirklich hinbekommen würde, war ich mir nämlich selbst nicht.
Doch dann kam alles irgendwie anders. Mitten in diesem Gefühlschaos schlug meine Freundin Elli bei mir auf. Sie arbeitete für einen Busreiseveranstalter. Es war ein Donnerstag.
„Hättest du Lust auf Schottland?“, fragte sie mich beiläufig.
„Wie meinst du?“, wollte ich von ihr wissen.
„Ein Kunde hat kurzfristig abgesagt. Wären zehn Tage. Busrundreise. Mit der Fähre. Samstag geht´s los“, zählte sie mir die Reisedetails auf.
„Diesen Samstag?“
„Ja.“
„Okay“, hörte ich mich zu meiner eigenen Überraschung sagen.
Hatte ich mich gerade wirklich für eine Schottlandrundreise angemeldet? In zwei Tagen? Was war bloß los mit mir? Doch tief in mir wusste ich genau, warum ich das getan hatte. Ich musste hier weg. Raus aus diesem Gefühlskarussell. Mir klar werden, was richtig war. Und wieso also nicht nach Schottland? Es war zwar bisher keines meiner Wunschreiseziele, aber was machte das schon. Hauptsache weg. Weg von Bernd.
Freitag Abend hatte ich Bernd von meinem Spontanurlaub erzählt. Er war nicht begeistert, doch das war mir in diesem Moment egal. Ich musste das jetzt durchziehen.
***
Allein und mit gepackten Koffern stand ich schließlich Samstag früh am Busbahnhof und wartete auf den Bus nach Schottland. In diesem Moment kam ich zum ersten Mal zum Nachdenken. Was tat ich hier eigentlich? Ich würde zehn Tage mit geschätzt dreißig Wildfremden in ein Land fahren, von dem ich lediglich wusste, dass die Männer Röcke trugen und Whisky tranken. War ich eigentlich völlig verrückt geworden? Zumal ich weder im Alleinsein noch im Bekanntschaftenschließen gut war. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich mit einem Male.
Der einfahrende Bus durchbrach meine Gedanken. Routiniert verstaute der Busfahrer meinen Koffer im Transportraum und ich stieg fast schon ehrfürchtig ein. Viele Plätze waren schon besetzt. Mein Blick schweifte suchend durch die fremden Gesichter, als ich ihn entdeckte. Dunkles Haar und selbstgefälliger Blick. Mein Ex. Nein, nicht Bernd. Hannes.
Die Sache zwischen uns war zwar schon eine Weile her, doch in diesem Moment hätte ich am liebsten sofort Reißaus genommen. Zehn Tage Schottland mit dem Ex, um Abstand vom Ex zu bekommen? Ich fragte mich, was mir das Schicksal damit sagen wollte.
Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war einen Platz zu suchen, der möglichst weit entfernt von Hannes war. Panisch ließ ich mich auf eine Zweisitzerbank im hinteren Teil des Busses nieder. Das sollte reichen, um meinen Ex nicht im Sichtfeld zu haben.
Hannes hatte mich damals kurz und schmerzlos abserviert, nachdem er schon eine Neue am Start hatte. Der Schmerz saß auch nach all der Zeit noch tief in mir.
Gefangen in meinen Gedanken an damals, standen plötzlich zwei junge Frauen vor mir.
„Wir würden gerne zusammen sitzen. Würde es dir was ausmachen, dort vor zu gehen?“, fragte eine der beiden und schaute mich mit Hundeblick an.
Sie zeigte auf eine Sitzbank, etliche Reihen weiter vorne, wo noch ein Platz neben einer Fremden frei war. Alle anderen Plätze waren mittlerweile belegt. Sollte ich mich mit den beiden jetzt anlegen? Das würde wohl keinen guten Eindruck machen. Ich musst schließlich die nächsten zehn Tage mit all diesen Leuten hier irgendwie überstehen.
„Klar“, hörte ich mich resigniert sagen.
Wortlos packte ich mein Handgepäck und zog weiter vor zu dem freien Sitz, der noch neben einer etwas korpulenteren Mittzwanzigerin frei war. Zu meinem Pech saß ich nun genau hinter Hannes.
„Hi“, grinste er etwas verlegen zu mir.
Ich antwortete mit einem Brummen.
Nein, so hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Am liebsten wäre ich sofort wieder ausgestiegen. Aber diese verdammte Reise hatte mich fast 1.000 Euro gekostet, was ich mir eigentlich kaum leisten konnte. Also würde ich das jetzt auch durchziehen. Stumm saß ich neben meiner neuen Sitznachbarin. Mir war in diesem Moment schlichtweg zum Heulen, was ich allerdings nicht konnte. Schon allein deswegen, weil Hannes vor mir saß und ich mir vor ihm keine Blöße geben wollte. Und so blickte ich wehmütig und mit einem fetten Kloß im Hals aus dem Fenster und sah die schmucklose Autobahnlandschaft an mir vorbei ziehen. Ich fühlte mich einsam. Alleine.
Nach zwei Stunden wortloser Fahrt hielten wir an einem Rastplatz an. Einige rauchten, was ich in diesem Moment am liebsten auch getan hätte, obwohl ich eigentlich eine militante Nichtraucherin war. Aber so hätte ich wenigstens etwas gehabt, an das ich mich in meiner Einsamkeit hätte klammern können.
Überall standen Grüppchen, die sich zu kennen schienen. Und ich als Alien mittendrin. Nein, das war mit Sicherheit nicht der Traumurlaub, den ich mir erhofft hatte.
Unsicher stand ich auf diesem Rastplatz, als plötzlich ein Typ, der etwa in meinem Alter war, vor mir auftauchte. Blaue Augen. Eine Frisur, als wäre er gerade erst aufgestanden. Lächelnd blickte er zu mir.
„Bierchen?“, fragte er mich, als hätte er meine Einsamkeit gespürt.
Obwohl es definitiv nicht die richtige Zeit war für ein Bier, nickte ich schüchtern und folgte ihm zu einer Holzbank, wo bereits ein paar Jungs saßen. Mathematik-Studenten. Ich bekam eine Flasche in die Hand gedrückt und wir prosteten uns kurz zu. In diesem Moment fühlte ich mich ein kleines Stück weniger einsam.
„Andi“, stellte sich mir Typ nun endlich vor.
***
Das Ganze war jetzt fast zwanzig Jahre her. Ich saß am Wohnzimmertisch, vor mir ein Glas Scotch, den ich immer mit drei Tropfen Wasser mischte. Im Radio lief „Waterloo Sunset“. Schmunzelnd musste ich zurückdenken an diesen völlig verrückten Trip. Und an die Gefühle von damals. Und das, was danach noch alles geschah…
Die durchzechte Nacht auf der Fähre nach Hull. Glasgow, eine wirklich hässliche Stadt, die aber auf ihre Art auch wieder einen Charme hatte. Die Fahrt durch die Highlands, als im Bus immer und immer wieder das Lied „Waterloo Sunset“ lief, bei dem ich bis heute noch diese karge, schottische Berglandschaft vor meinem inneren Auge auftauchte. Ich spürte noch immer den Wind und den Regen auf meiner Haut, als ich an den Klippen der Isle of Skye stand und diese wilde, unbändige Landschaft in mich aufnahm. Das familiäre B&B, in dem wir dort übernachtet hatten. Die Mystik, die von Loch Lomond fast noch mehr ausging als von Loch Ness. Der Schwips nach der Whisky-Verkostung in Edradour. Und als dieser Dudelsackspieler in diesem Pub in Edinburgh auftauchte und den ganzen Laden unterhielt. Wie Andi und seine Kommilitonen an diesem stürmischen Tag in den Atlantik sprangen, während ich mit meiner Winterjacke bekleidet ihnen dabei zusah und mich köstlich amüsierte.
Als ich von dieser Reise zurückkam, war ich irgendwie verändert. Die Ängste und Zweifel, die ich zu Beginn gehabt hatte, waren im Laufe der zehn Tage völlig verflogen. Ich hatte gelernt, Hannes loszulassen. Und auch unter die Sache mit Bernd hatte ich kurz danach einen endgültigen Schlussstrich gezogen. Ich wusste, dass es das Beste war. Ich fühlte mich so frei wie schon lange nicht mehr und war endlich reif für Neues...
Ja, an all das musste ich nun zurückdenken, als ich mit meinem Glas Whisky in der Hand auf der Couch saß. Ich lehnte mich entspannt zurück und die Erinnerung daran machte mich immer noch glücklich.
„Slàinte Mhath, Andi.“
Zufrieden lächelnd stießen wir miteinander an.
Texte: Coco Eberhardt
Cover: Coco Eberhardt
Lektorat: Coco Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 10.11.2020
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Slàinte Mhath!