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Brigitte und ich

Endlich hatte ich mal wieder Zeit, mich mit meiner Freundin Brigitte zu treffen. Meine Freundin war eine echt tolle Frau. Und eine noch tollere Mom. Sie war mittlerweile 39 Jahre alt, schaute aber keinen Tag älter aus als 30. Und das trotz fünf Kinder.

Abgehetzt traf ich am neu eröffneten In-Café ein. Durch das große Fenster sah ich sie bereits auf einem gemütlich wirkenden, azurblauen Plüschsofa sitzen und an dem davor stehenden Eiche-Natur-Tisch, in einer Zeitschrift blättern. Ganz entspannt, wie es halt ihre Art war. Vor ihr stand ein Glas mit Gurke-Ingwer-Wasser.

Ich dagegen war bereits jetzt schon durchgeschwitzt und zehn Minuten zu spät dran, weil ich mal wieder die Parkplatzsuche völlig unterschätzt hatte und auch schon zu Hause nichts rund gelaufen war. Meine Tochter Mia war heute Morgen schon wieder ein totales Pubertier, während ihr kleinerer Bruder Fyn eher ein Murmeltier gewesen war. Sprich, er kam mal wieder nicht in die Puschen. Für das Highlight des Morgens sorgte dann noch Katze Tinkerbell, die mir, während ich Butterbrote für die Kids schmierte, eine halb verdaute Maus vor meine Füße auf das Parkett gekotzt hatte. In diesem Moment war mein einziger Lichtblick das Treffen mit Brigitte im Café.

Ich hatte einen Bärenhunger, da ich wegen der morgendlichen Ereignisse noch nicht zu einem Frühstück gekommen war. Zur Krönung dieses Morgens hatte nämlich auch noch Mia ihren Schulbus verpasst und ich musste sie zur Schule fahren. Da ich schon mal in der Stadt war, beschloss ich auch gleich einkaufen zu gehen. Aber was stand noch mal alles auf dem Einkaufszettel, der zu Hause auf dem Fenstersims in der Küche lag? Die Hälfte hatte ich dann doch noch irgendwie zusammen bekommen. Allerdings hatte ich natürlich das Nutella, Grundnahrungsmittel Nummer 1 für meine Familie, vergessen.

Etwas derangiert betrat ich schließlich das Café, das Brigitte für unser heutiges Treffen gewählt hatte. Mit ihrer gecrinkelten weißen Bluse und der lindgrünen Paperbaghose sah sie echt umwerfend aus. Ihr Haar saß perfekt und sie hatte ein dezentes Tagesmakeup aufgelegt. Dabei fiel mir ein, dass ich auch mal wieder meinen Haaransatz nachfärben sollte. Für Makeup hatte ich heute noch keinen Nerv gehabt.

„Du siehst heute wieder klasse aus“, begrüßte ich sie mit einer kurzen Umarmung.

„Danke“, nahm sie mein Kompliment an, „die Klamotten hab ich neulich in so einer kleinen Boutique für fair gehandelte Bio-Öko-Kleidung geshoppt. Da musst du unbedingt auch mal hin.“

Mein Blick fiel kurz auf meine Lidl-Jeans, dann ließ ich mich halb erschöpft ihr gegenüber auf den Stuhl plumpsen. Kaum, dass ich saß, stand auch schon der Kellner vor mir.

„Was darf ich Ihnen bringen?“

„Einmal das große Sekt-Frühstück für zwei, einen doppelten Latte-Macchiato mit Schuss und ein weiches Frühstücksei.“

Ja, danach wäre mir nach dem bisherigen Tagesverlauf gewesen. Aber mit jeder Schwangerschaft hatte ich ein paar Pfund zugelegt, die auch irgendwie nicht mehr gehen wollten. Nicht so bei Brigitte. Sie war trotz ihrer fünf Kinder rank und schlank wie ehe und je. Aber sie ging ja auch jeden Morgen um 5 Uhr schon eine Runde joggen, weil sie für den Altstadtmarathon trainierte. Diese Energie, die hätte ich auch gern. 5 Uhr aufstehen! Daran war nicht zu denken bei mir. Obwohl ich abends um 9 Uhr schon auf dem Sofa vor dem Fernseher einschlief, war es jeden Morgen um 6 Uhr ein erneuter Kampf mit dem Wecker und dem inneren Schweinhund. Schlaftrunken wankte ich dann erst mal in die Küche, um den Kinds ihr Nutellabrot zu schmieren und ihren Kakao in die Mikrowelle zu hauen. Brigitte hatte immer total tolle Frühstücksideen. Over-Night-Oat mit Chiasamen und Mangopüree oder ein Amarant-Sojajoghurt-Biohaferflocken-Müsli.

„Ich bekomme das kleine Vital-Frühstück mit einer Tasse Entschlackungskräutertee“, teilte ich schließlich dem Kellner meine Bestellung mit.

„Und? Wie geht’s dir?“, fragte mich Brigitte dann.

Ausführlich schilderte ich ihr meine morgendliche Odyssee. Außerdem lief im Büro auch nicht gerade alles rund. Ich hatte eine Teilzeitstelle als Kauffrau für Bürokommunikation, während Brigitte Teilhaberin einer Rechtsanwaltskanzlei war. Schon mit 27 hatte sie ihre Doktorarbeit geschrieben. Damals war sie gerade mit dem dritten Kind schwanger. Doch ihre Kinder merken gar nicht, dass ihre Mom Vollzeit arbeitet. Mittags, wenn die Kids von der Schule kommen, hatte Brigitte immer ein leckeres Mittagsmenü gezaubert. Sie kaufte ausschließlich im Biomarkt das Gemüse und kochte überwiegend vegetarisch, teilweise sogar vegan. Quinoa-Kürbis-Auflauf. Zucchini-Spagetti. Und abends, wenn die Kinder im Bett waren, arbeite sie noch in ihrem Homeoffice ein paar Fälle ab. Wahnsinn, diese Frau! Mia und Fyn brauchte ich mit Gemüse gar nicht kommen. Sie schätzten Nudeln mit Ketchup dafür umso mehr. Was machte ich bloß falsch?

„Ich glaube, du hast einen Mental Load“, meinte Brigitte mit erstem Blick zu mir, als ich ihr mein Herz ausgeschüttet hatte.

„Was bitte?“, fragte ich nach, gerade als mir der Kellner mein Vital-Frühstück servierte. Ein Schüsselchen Obst und eine Scheibe Knäckebrot mit Margarine.

„Ein Zustand der Erschöpfung und Überforderung, der mit der Organisation von Haushalt und Familie zu tun hat“, erklärte es mir Brigitte.

„Aha“, nickte ich ihr zu.

Sie wusste einfach alles.

„Und du hast das nicht?“, fragte ich sie schließlich.

„Ne, ich hab das alles über eine „Mental-Load“-Map in Excel organisiert. Kein Problem“, meinte sie mit ihrer lockeren und immer freundlichen Art.

„Vielleicht probier ich das auch mal“, meinte ich hoffnungsvoll zu ihr, während ich in dem Obstschälchen stocherte und immer noch Hunger hatte.

„Und wie geht´s Bernd so?“, fragte ich nach Brigitte Ehemann.

Bernd war ein Traummann. Tagsüber arbeitete er in der Kanzlei, in der auch Brigitte arbeitete und abends widmete er sich mit voller Hingabe den Kindern und half Brigitte mit dem Haushalt. Er konnte super kochen, machte die Wäsche und brachte jede Woche Blumen mit. Zudem war er ein guter Liebhaber, wie Brigitte schon öfter vorgeschwärmt hatte. Mein Stefan war diesbezüglich ganz anders. Unser romantischer Höhepunkt war der, abends gemeinsam vor der Glotze einzuschlafen. Was hatte Brigitte doch bloß für ein Glück.

„Bernd geht´s gut. Er trainiert gerade für den Stand-Up-Paddeling-Wettbewerb und neulich hat er mir einen Sonnenblumenstrauß mitgebracht, den er auf einem Bio-Selbstpflückfeld gepflückt hat. In den Herbstferien machen wir mit den Kids eine Segelboottour durch den Schärengarten. Vorher gibt´s aber noch eine Halloween-Party für die Kids. In einer Zeitschrift hab ich a erst ein paar coole Bastelideen gesehen mit Ballons. Pusten ist nämlich das neue Schnitzen“, grinste sie mich an.

Wenn Pusten das neue Schnitzen war, war Blasen wohl das neue Hobeln, dacht ich sarkastisch bei mir und winkte den Kellner herbei, um zu zahlen.

Mit einer herzlichen Umarmung verabschiedete ich mich von Brigitte.

Als ich zum Auto kam, hatte ich natürlich glatt ein Knöllchen in der Windschutzscheibe stecken, weil ich überzogen hatte. Das wäre Brigitte wohl nie passiert. Als ich den Motor startete, hatte ich auf einmal eine riesengroße Lust auf einen BigMac, einen Piccolo und eine Zigarette, wie eigentlich immer, wenn ich mit meiner Freundin den Vormittag mal wieder im Café verbracht hatte. Ach Brigitte, wäre ich bloß, wie du…

Impressum

Texte: Coco Eberhardt
Cover: Coco Eberhardt
Lektorat: Coco Eberhardt
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Hidden-Potential-Moms die keine Brigitte sind...

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