Wie hatte das alles angefangen mit ihm? Es war schon eine ganze Weile her. Sie arbeitet damals am Empfang der Autokonzernzentrale. Sie war jung und sie war hübsch. Das war ihr bewusst. Jeden Morgen, wenn er an ihr vorbei lief, grüßte er sie lächelnd mit einem „Guten Morgen“. Das hatte ihr irgendwie imponiert. Die meisten hetzten einfach an ihr vorbei, ohne sie wahrzunehmen.
Er war über zehn Jahr älter als sie. Ein Mann mit Erfahrung. Einer, der wusste, was er wollte. Sie war eher etwas schüchtern.
Eines Abends hatte sie mal wieder Überstunden machen müssen. Im Bürotower war es ruhig geworden und draußen bereits Nacht. Die Lichter der Stadt leuchteten durch die riesige Fensterfront der großzügigen modernen Eingangshalle aus Stahl, Beton und Glas, als er plötzlich vor ihr stand.
„Hättest du Lust, mit mir Essen zu gehen?“, fragte er selbstbewusst. Und die Art, wie er diese Frage gestellt hatte, duldete keine Ablehnung. Das war ihr klar.
Bei einer Flasche Dom Pérignon und einem Teller Austern war es leicht, sich zu verlieben. Er verwöhnte sie und zeigte ihr eine ganz neue Welt. Eine Welt wie aus den Hochglanzmagazinen, die sie immer so gerne gelesen hatte. Ein Jetset-Livestyle. Ehe sie sich umgeschaut hatte, lebte sie mit ihm in seiner überdimensionierten Penthousewohnung.
Die Wochenenden verbrachte sie mit ihm zusammen auf dem Golfplatz, wo sich die Crème de la Crème des Geldadels traf, um sich darüber auszutauschen, was man alles erlebt hatte und mit wem man sich getroffen hatte. Sie saß meistens ruhig daneben. Was hatte eine wie sie da schon mitzureden?
Am Sonntag gingen sie immer mit seinen Eltern zum Brunchen. Exquisit! Mit Beluga Kaviar, Carpaccio vom Kobe-Rind und Kona-Kaffee. Er war Einzelkind. Seine Mutter war zwar immer freundlich zu ihr, doch sie spürte es immer, dass sie nicht das war, was sie sich für ihren Sohn vorgestellt hatte. Eine einfache Empfangsdame eben.
Er hatte ihr Kleider gekauft. Teuer. Von namhaften Designern.
„Du siehst fantastisch damit aus“, hatte er sie bewundert. Ja, es sah tatsächlich fantastisch an ihr aus. Und doch fühlte es sich für sie an wie eine Verkleidung. Aber sie spielte das Spiel mit.
Ihr fehlte es an nichts. Ski fahren in St. Moritz, Segeln in der Karibik, Cabrio-Spritztour übers Wochenende in ein Chalet am Gardasee. Ihre Mutter hätte sich so ein Leben für sie gewünscht. Mit einem Teilzeitjob beim Discounter und abends putzen, hatte sie sich und ihre Tochter über Wasser gehalten. Es war wie im Märchen. Vom Aschenputtel zur Prinzessin.
Als sie ihm von dieser alten, frustrierten Kollegin erzählte, die sie immer triezte, meinte er, sie solle den Job an den Nagel hängen. Sie müsse doch nicht arbeiten, wo er doch so gut verdiente. Früher oder später könne er sich auch vorstellen, einen Stammhalter zu haben. Also kündigte sie. Doch das war auch nicht die Lösung.
Schnell war ihr langweilig. Wohnung putzen musste sie nicht. Dafür gab es eine Putzfrau. Kochen war auch nicht nötig, obwohl seine Küche, die fast 100.000 € gekostet hatte, keine Wünsche offen ließ und gern von ihm angepriesen wurde. Man ging meistens zum Essen oder ließ sich etwas kommen. Selbst wenn er seine Freunde in seine Wohnung einlud. Einmal hatte sie zum Nachtisch Pannacotta gemacht.
„Fast so gut wie bei Luigi“, hatte er gesagt und sie wusste sofort, wie er es gemeint hatte.
Die Langeweile gewann mehr und mehr die Überhand über ihr Leben, in dem es eigentlich an nichts fehlte. Und dieses ständige Gefühl, weniger Wert zu sein. Was war ihr Wert? Sie lebte ein Leben im goldenen Käfig, das ihr von Tag zu Tag sinnloser vorkam. Für ihn war sie nur ein Accessoire. Ein Anhängsel, das man irgendwie brauchte. Wie ein Auto mit Sonderausstattung oder einen Designeranzug. Wollte sie das wirklich sein? War sie nicht viel mehr als das?
Er saß gerade auf dem Sofa und wische mit seinem Zeigefinger auf dem I-Pad hin und her.
„Ich geh“, sagte sie knapp, aber bestimmt.
„Wohin?“, fragte er, ohne vom Bildschirm aufzuschauen.
„Ich mache die Flatter“, meinte sie ruhig.
Dann ging sie zur Haustür, wo bereits ihr gepackter Koffer stand. Es war nicht viel, was sie aus diesem Leben mitnahm.
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2020
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Widmung:
Für meine Hausarbeit, die heute mal wieder warten musste...