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Rabe, Fuchs und Hyäne

 

 

 

Harald Hossfeld

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hyäne entführt Sven

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rabe, Fuchs und Hyäne

 

 

„Was willst du?“

„Ich habe gehört, du suchst eine Räbin.“

„Willst du mich verkackeiern? Du bist eine Elster. Ich such eine Räbin.

„Eine Räbin. Nie gehört. Was soll das denn sein?“

Na so was wie ein Rabe, aber eine Frau, denk ich halt.“

„Und du glaubst das? Hast du schon einmal einen Kräher gesehen? Oder einen Elsterer?“

„Es gibt schließlich die Ente und den Enterich, den Hund und die Hündin, den Wolf und die Wölfin, die Katze und den Kater, das Pferd und die Stute …“

„Du meinst: den Hengst und die Stute.“

„Das Schaf und den Bock.“

„Ja aber nicht die Schaf oder die Schäfin so wie die Kuh und den Ochsen.“

„Ja, aber das Rind so wie den Mann, die Frau und das Kind.“

„Ja, aber die Maus und den Mäuserich.“

„Und die Laus und den Läuserich, oder?“

„Den Läuserich kenn ich nicht, aber die Ratte und den Rätter.“

„Nein, das ist ein Retter so wie der Vetter und die Vetterin.“

„Nein, das ist die Nichte.“

„Ich bin jetzt ganz durch einander. Jetzt weiß ich immer noch nicht, wo meine Räbin ist. Wie soll ich Kleine haben ohne Räbin? Sag mir, wie? Wo soll ich sie suchen?“

„Vielleicht meinst du ja Rubin; deine Stimme ist nicht so ganz klar, jedenfalls nicht so wie meine; und Rubine sind so schön und glänzen wie deine Federn.“

„Vielleicht hast du ja recht; aber warum kommt keine Rubin hier vorbei geflogen?“

„Eine Rubin? Es heißt ein Rubin. Und Flügel haben die auch keine, aber sie sind so schön rot; ich bin verrückt nach Rubinen, aber die sind so schwer zu finden.“

„Eine Räbin finden, ist noch viel schwerer, glaub ich.“

„Versuch's doch mal in Amerika. Ich hab schon viel davon gehört.“

„Amerika? Wo ist das denn?“

„Na hör doch mal: hinter dem Meer natürlich. Flieg einfach zum Meer; das erkennst du am Salz in der Luft, und da ist viel Wasser, das du aber nicht trinken darfst, sonst kriegst du noch mehr Durst.“

„Was erzählst du doch für Geschichten! Und ich soll die glauben?“

„Versuch's doch mal.“

„Wo lang muss ich fliegen?“

„Den Fluss entlang: der fließt zum Meer.“

„Dank dir schön, Elsterin. Hahahaha, war nur ein Scherz.“

„Tschüss und guck mal nach Rubinen.“

Den Fluss entlang? In welche Richtung denn? Raben kratzen sich oft am Kopf, wenn sie nicht weiter wissen. Dann pflückte er ein Blatt flog zum Fluss und ließ es hinein fallen: es schwamm. Und bestimmt in Richtung Meer. Also los.

Raben sind keine Zugvögel; sie fliegen mal zum Feld oder in die Stadt, aber immer wieder zurück zum Nest im hohen Baum. Eigentlich wie die Krähen. Aber wenn sie sich nun einmal in den Kopf gesetzt haben, dass sie mit Krähen nichts zu tun haben wollen, weil die ja auch kleiner sind und sowieso nicht so schön wie ein Rabe, dann suchen sie eben zu Recht eine Räbin, von der sie annehmen dürfen, sie sei genau so, wie sie sein soll.

Und wie soll sie sein?

Ach ja, darüber hatte er ja gar nicht nach gedacht! War auch nicht nötig: er brauchte doch bloß in den ziemlich ruhig fließenden Fluss zu schauen; und was sah er da? Die perfekte Räbin. Er war also ziemlich sicher, dass es ihr nicht anders erging: sie wartete darauf, dass er sie fände.

Anfangs flog er ziemlich schnell, weil er das Gelände kannte. Aber irgend wann beschlich ihn das Gefühl, dass er die Heimat hinter sich gelassen hatte und nun wohl bald am Meer sein müsse. Die Luft roch immer noch ein wenig nach Jauche und Rauch, von Salz keine Spur. Hätte er doch der Elsterin gesagt, sie solle mit kommen, dann hätte er sich doch ein wenig unterhalten können; und überhaupt die Elsterin schien doch eine ziemlich patente Frau, die viel mehr wusste als er. Außerdem war Weiß als Farbe ja auch nicht so schlecht: die Hauptsache war, dass sie auch schwarz war, aber nicht nur schwarz wie die Krähe, die zudem so eine schreckliche Stimme hatte, während die Elsterin schon fast singen konnte. Raben können zwar nicht singen, aber sie hören gern dem Gesang von Vögeln zu, weil sie sich einbilden, sie seien sehr musikalisch, weswegen die Frage der Stimme für sie sehr wichtig ist. Krächzen kam nicht in Frage.

„FÜCHSLEIN, krächzte der Rabe und ging in den Sturzflug:

"Wo willst denn du hin?“

„Das könnt ich dich fragen! Du treibst dich doch sonst nur da hinten bei den Häusern und den Feldern rum.“

„Heutzutage muss man flexibel sein, hab ich gehört.“

„Flexibel? Was ist das denn?“

„So genau kann ich dir das auch nicht sagen; so was wie flexi-wexi halt.“

„Flexi-wexi? Kannst du auch richtig sprechen?“

„Na ja, heute hier, morgen dort, immer ziehn wir fort, bis wir finden, was wir suchn, so nen richtgen Apfelkuchen.“

„Igittigitt.“

„Lass mich raten: einen saftigen Entenbraten. Bist du auf Entenjagd?“

„Hältst du mich für dumm?“

„Ich? Dich? Nie im Leben; ich weiß doch: du bist das schlaueste Füchslein, das ich kenne.“

„Du brauchst mir gar nicht erst zu schmeicheln: ich weiß doch, was du willst.“

„Ich? Will? Aber Füchslein! Wenn du so schlecht von mir denkst, bloß weil ich schwarz bin und du rot, dann kann ich auch nicht dein Freund sein.“

„Du und Freund! Weißt du überhaupt, was ein Freund ist?“

„Aber Füchslein, wenn du so schlau bist, dann verrat's mir doch.“

„Ein Freund bescheißt nicht, zum Beispiel, und ein Freund frisst einem nicht alles weg, und ein Freund klaut nicht, so, jetzt weißt du's.“

„Sag mal, du meinst doch nicht etwa, dass ich bescheiße oder dir was weg fresse oder gar dir was klaue? Hast du das gemeint? Kannst du so was von mir überhaupt denken? Dann bist du wirklich nicht mein Freund, leb wohl.“

Und der Rabe flog los, nicht ohne ein wenig den Hals zu drehen, so dass er sehen konnte, was der Fuchs machen würde. Der Fuchs schien froh, dass er den Raben los war, und schlich weiter seinen Weg. Da er mehr mit der Nase als mit den Augen seine Fährte suchte, verlor er bald den Raben aus dem Blick, was der Rabe zu seiner Freude bemerkte. Wenn der Rabe jetzt einen großen Bogen flog, dann könnte er bald hinter dem Fuchs sein, ohne dass dieser etwas bemerkte, und er würde bald dahinter kommen, was der Fuchs plante. Denn dass er etwas vor hatte, das hatte der Rabe natürlich längst gemerkt.

Richtig! Als er den Bogen geflogen war, sah er den roten Punkt durch das Gras schleichen, denn Raben haben Adleraugen. Er segelte vor sich hin, ohne dem Fuchs zu nahe zu kommen, denn der schlaue Räuber sollte ja nicht merken, dass ein schlauerer Räuber hinter ihm her war. Hatte er es sich doch gedacht! Natürlich war der Fuchs auf Entenjagd.

Enten, denkt man, sind dumm, weil sie immer so schnatt-ern ohne eine Pause zum Nachdenken; aber, wenn man mal genau hin guckt, da sieht man, wie wachsam ihre Augen jeder Bewegung folgen, sowohl auf dem Wasser als auch an Land, und besonders an Land, weil von dort die größte Gefahr droht, denn an Land haben die Enten mehr Feinde als im Wasser: die Menschen, die Autos und die Füchse. Sieht eine Ente etwas: schwuppdiewupp fliegt sie ins Wasser. An Land ist ihr Anlauf viel kürzer: zwei, drei Watschelschritte, und schon hebt sie ab, wild mit den Flügeln klatschend und laut schnatternd, damit die Küken schon mal vor schwimmen, weiter weg vom gefährlichen Ufer.

Füchse, denkt man, sind schlau, weil sie so schleichen und weil sie dich angucken wie ein Hund; und jeder weiß, dass Hunde die schönsten Augen überhaupt haben; denn sie gucken dich an wie ein Freund. Ist ein Fuchs aber auf der Jagd, wird er unvorsichtig, sobald er glaubt, nahe genug an der Beute zu sein. Da sieht er nichts mehr und hört nichts mehr; und jeder könnte ihn jetzt schnappen, gerade wo er sich die Beute schnappen will.

Normalerweise mögen Füchse kein Wasser; weswegen sie viel lieber Gänse jagen als Enten, weil die natürlich langsamer und größer und schwerer sind; die können nicht so schnell in die Luft verschwinden wie die Enten ins Wasser. Und selbst wenn sie es schaffen, in die Luft zu kommen: mit einem großen Sprung kann man sie immer noch schnappen. Aber mit einem großen Sprung eine Ente schnappen, heißt ins Wasser plumpsen; und dann muss ein Fuchs schwimmen, und Füchse schwimmen nun mal gar nicht gern. Die kleinen Beinchen zappeln wie wild, aber selbst die kleinsten Küken können noch schneller schwimmen als so ein Fuchs.

Füchse gehen also auf Entenjagd nur in der größten Not.

Da hinten bei den Feldern gab es Gänse; da waren natürlich auch Schweine und Kühe, aber was soll ein Füchslein mit Schweinen, die den ganzen Tag ein gesperrt sind, und Kühen anfangen? Nein, die Gänse, die lagen ihm in der Nase Tag und Nacht, denn sein Fuchsbau war nicht so weit weg, mehr am Rande des Waldes als im Wald, der so groß nun auch wieder nicht war, dass es sich gelohnt hätte, in der Mitte des Waldes den Bau zu graben, weil dort niemand hin käme. Richtig verstecken konnte das Füchslein seine unterirdische Burg ohnehin nicht: also lieber gleich, wie es die Förster machen, wenn sie einen Hochsitz am Rand bauen. Da kann man Alles im Auge oder in der Nase haben.

Das Schöne an den Gänsen war, dass sie völlig los gelöst mal hier hin, mal da hin watschelten, mal hier was pickten, mal da; immer schön vor der Nase des Fuchses, der sich in aller Ruhe eine aussuchen konnte; na ja in aller Ruhe, das sagt man so dahin. Aber wenn einem eine Gans auf der Nase herum tanzt, ist es doch mit der Ruhe vorbei: da fängt man ja doch ein bisschen an zu zittern vor Anspannung, denn man ist ja sozusagen dauernd auf dem Sprung, nur dass es eben nicht nur eine Gans war, sondern noch eine und noch eine und dann gleich zwei: da muss man doch ständig denken „nein, lieber die andere“; und wenn man immer lieber die andere hätte, hat man eigentlich gar keine; und der Hunger wächst, das Zittern wird schneller, der Speichel tropft aus dem halb offenen Maul, die Nüstern schimmern schon ganz rot vor Blähung, das Herz pocht, dass man fürchten muss, die dumme Gans lacht sich kaputt über den aufgeregten Fuchs und schnattert es weiter, so dass am Ende alle Gänse einen Riesenspaß haben, während der arme Fuchs in seinem Kopf hin und her hetzt wie der Hase bei seinem berühmten Rennen gegen den Igel.

Das Schöne war also für die Gänse sehr schön, aber für das Füchslein ganz schön schlimm, so dass es zunächst ganz froh war, als die Gänse einen Zaun aus Maschen-draht kriegten und von da an ihm nicht mehr auf der Nase herum tanzen konnten. Dass das Füchslein nun aber kein Gänslein mehr fangen konnte, merkte es erst, als die Nase an den Draht stieß und leider eine wenig blutete. Eine blutige Nase ist natürlich kein guter Ratgeber, denn seitdem versuchte das Füchslein ständig wieder, an ein Gänslein zu kommen, bis die Nase so geschwollen war, dass es nichts mehr riechen konnte. Da besann es sich auf eine Pflanze, die seine Oma ihm immer auf die Nase geklebt hatte, wenn es wieder einmal auf die Schnauze gefallen war, und suchte die Pflanze im Wald und klebte sie mit Spucke fest; und bald tat sie nicht mehr so sehr weh. Während die Pflanze auf der Nase klebte, konnte das Füchslein natürlich nicht dauernd rum hopsen, sondern musste ruhig liegen bleiben; und, komisch-erweise, wo es so da lag, kamen die Gedanken von ganz allein, es musste gar nicht erst sagen: "denk".

Das ist wie beim Essen: wenn die Mama sagt: "iss", isst man erst recht nicht, aber wenn man gar nicht ans Essen denkt, isst man, ohne es zu merken, was natürlich nebenbei auch noch den Vorteil hat, dass man stark wird.

Das Füchslein allerdings dachte doch über das Essen nach, denn es hatte keine Mama mehr, die ihm den Gänsebraten vor das Pfötlein legte. Schwach wie es inzwischen war, würde es Alles essen, auch Müll; es hatte nämlich gesehen, wie Vögel im Müll rum wühlen und sich Leckerbissen aus dem Eimer holten, weil die Menschen ja Alles weg schmeißen.

Als die Nase endlich wieder riechen konnte, machte sich das Füchslein also auf , Müll zu suchen, und keineswegs Enten, wie der Rabe dachte. Da das Füchslein aber überzeugt war, dass der Rabe auch Müll suchte, wollte es ihm natürlich sein Geheimnis nicht verraten. Und wo sucht man Müll? Am Fluss etwa? Natürlich nicht. Aber das Füchslein sagte sich: Menschen wohnen immer am Fluss, also auf zum Fluss und dann so lange schleichen, bis es stinkt, dann ist man in der Stadt. Da gibt es Müll.

Der schlaue Rabe, der nicht ganz so schlau war, wie er dachte, wunderte sich, dass das Füchslein immer weiter schlich, ohne auf Enten zu achten. Als er merkte, dass er sich wohl getäuscht hatte, flog er wieder schneller, holte den Fuchs ein und setzte sich auf dessen Rücken.

"Hau ab."

"Füchslein, nu hör mir doch mal zu."

"Rutsch mir den Buckel runter."

"Wenn ich rutsche, dann kratz ich dich, das will ich nicht."

"Dann flieg los."

"Wenn ich los flieg, brauch ich einen Halt, dann kratz ich dich auch, das will ich nicht."

"Du hast mich beim Landen schon gekratzt."

"Das wollt ich nicht, es tut mir Leid."

"Was bist du heute feinfühlig! Ein richtiger gentleman."

"Du nimmst mich auf den Arm."

"Ich hab keine Arme, das solltest du wissen."

"Du willst mich nicht verstehen."

"Ich brauch dich nicht."

"Ich seh doch, was mit dir los ist."

"Ach ja?"

"Du hast Hunger."

"Ach ja?"

"Du willst in die Stadt."

"Ach ja?"

"Du suchst Müll."

"Ach ja?"

"Hör endlich auf mit deinem blöden "Ach ja."

"Ach ja?"

"Du sollst aufhören: du gehst mir auf die Nerven."

"Ach ja? Und du mir! Lass mich in Ruhe."

"Ich mach dir einen Vorschlag aus Freundschaft: ich bin ein Rabe. Wenn ich in der Stadt herum fliege, fällt das nicht auf. Aber du glaubst doch selber nicht, dass die Menschen einen Fuchs in der Stadt rum laufen lassen! Die denken doch sofort, du hast die Tollwut, und knallen dich ab, überleg doch mal."

Das Füchslein blieb stehen, der Rabe stieg ab. Das Füchslein gab sich geschlagen:

"Ok, du fliegst vor, ich warte hier; du frisst dich voll, ich warte hier; du kannst dann nicht mehr fliegen, ich warte hier; und was hab ich davon?"

"Ich ess nur einen kleine Happen, dann bring ich dir den Rest."

"Im Schnabel!"

"Ja wie denn sonst?"

"Wie groß ist dein Schnabel? Und wie groß ist mein Hunger?"

"Gut, dann komm mit."

"Ich dachte, die Menschen knallen mich ab."

"Siehste?"

"Ich komm mit bis zu den Fabriken."

"Da stinkt's."

"Ich kleb mir ein Blatt auf die Nase."

Und so zogen sie los zu den Fabriken.

Wie ein Welpe flog der zapplige Rabe immer vor, kam dann wieder zurück, kreiste ein paar Mal um den Fuchs und schwupp, war er wieder davon.

"Dddaa vvvorrne ..."

"Ja?"

"Dddda vvvorne sitzt Einer."

"Tolle Nachricht!"

"Er hält so ein Ding mit den Händen."

"So'n Ding! Aha."

"Du weißt schon: so'n langes Rohr, mit zwei Händen."

"Mit zwei Händen hält er ein Rohr fest?"

"Das hat aber so'n Griff, du weißt schon. Der Mann ist grün."

"Ach, ein Jäger! Hat er einen Hut auf?"

"Natürlich."

"Mit ner Feder dran?"

"Feder? Nee."

"Dann ist es auch kein Jäger."

"Aber das Rohr!"

"Du meinst: ein Gewehr?"

"Was denn sonst? Du kannst ja schon mal vorsichtig dich ran schleichen. Ich geb hier acht, dass dir nichts passiert."

"Und wenn es "peng" macht, fliegst du schnell zu mir!"

"Nein, natürlich nicht, da flieg ich weg. Ich bin doch nicht meschugge."

"Eben."

"Du denkst doch nicht, dass ich ...."

"Ach wo! Nie im Leben! Ein Rabe ist doch kein Angstrabe, sondern ein mutiger Rabenadler, der mit seinen scharfen Krallen dem gefährlichen Grünen das Gewehr entreißt und so seinen Freund schützt. Flieg du ruhig vor, ich passe hier auf, dass dir nichts geschieht."

"Wir könnten ja zusammen aufpassen."

"Wie kommen wir dann zu den Fabriken?"

"Vielleicht schläft der Grüne ein, dann können wir ihm das Gewehr weg schnappen, in den Fluss werfen, und wir könnten in seiner Tasche nach schauen, ob er nicht was zu essen hat."

"Gute Idee! Hat nur nen kleinen Haken."

"Wieso?"

"Mein Magen knurrt. Ich hab einen anderen Vorschlag."

"Echt?"

"Aber das ist ein Geheimnis."

"Hör mal! Wenn ein Vorschlag ein Geheimnis ist, ist es auch kein Vorschlag: du musst mir den Vorschlag vor schlagen, verstehst du? Dann erst ist das ein Vorschlag."

"Ach so! Tja dann; du musst aber mit deinem Ohr ganz nahe an meinen Mund kommen, sonst könnte der Grüne meinen Vorschlag auch hören; und dann wäre es vorbei mit meiner tollen Idee."

"Nein."

"Was, nein?"

"Du würdest das machen?"

"Natürlich, du bist doch mein Freund."

"Und du sagst mir, was ein Freund ist! Ein schöner Freund! Ich werde von jetzt an nur noch ganz oben in Bäumen schlafen."

"Du denkst doch nicht, dass ich ....?"

"Nein, nein! Ich sag das doch nur wegen des Grünen und des Gewehrs, weißt du. Das hat nichts damit zu tun, dass du ein Fuchs bist, absolut nichts! Füchse essen vielleicht Raben, aber du doch nicht! Ich bin dann schon mal weg, tschüss."

Weg war er. Der Fuchs schlich in einem großen Bogen um den Jäger ohne Feder herum, ließ ihn natürlich nicht aus den Augen, aber, da er ihn immer nur von hinten sah, gelang es ihm nicht, das Gewehr richtig zu sehen, weil der Mann oben auf der Uferböschung saß, was ihm etwas merkwürdig vor kam, weil Jäger normalerweise eher das Gewehr hoch halten. Seine Nase sagte ihm: hier riecht es eher nach Fisch als nach Fleisch, und da der Fuchs sich nicht viel aus Fischen machte, obwohl seine Mama ihm immer gesagt hatte, wie gesund Fische seien, dachte er: kannst ja mal gucken, ob der Jäger nicht ein Vesperbrot oder so was bei sich hat.

Füchse können schleichen, nicht so gut wie Katzen oder Indianer, aber immerhin so gut, dass der Grüne sich sehr erschrak, als ihn der Fuchs mit der Schnauze an stieß, was natürlich sehr unvorsichtig war; jedoch, was soll man machen, wenn man hungrig ist und der andere nur ins Wasser starrt?

"Stehen bleiben, oder ich ....."

Der Grüne riss das Gewehr hoch, sprang auf, zielte und ....

"Fuchs?! Wie gut, dass du hier bist! Ich hab auf dich gewartet; ich dachte schon, ich hätt dich verpasst und du seist bereits in der Stadt, wo ich dich nie finden würde. Erkennst du mich denn nicht? Ich bin doch Sven, der Sven vom Bauernhof mit den Gänsen: du wolltest dir doch ne Gans fangen und hast dir die Nase wund gestoßen am Zaun, weil du das Loch nicht gefunden hast, du Dummkopf. Ich hatte dir extra ein Loch mit der Zange gemacht; und rat mal, wer das Loch gefunden hat."

"Dein Vater?"

"Schlauer Fuchs."

"Nu rat mal, was ich machen darf, weil ich so brav war?"

"Mich erschießen?"

"Beim Raten bist du viel besser als beim Löcherfinden."

"Die Gänse waren mir in der Nase. Vergiss nicht: hier sind keine Gänse, nur Fische; da kann ich besser denken. Trotzdem, dein Gesicht hab ich nie gesehen."

"Aber ich, deins! Guck mal durch."

Sven hielt dem Fuchs sein Fernglas hin. Der Sven kam so riesig auf den Fuchs gesprungen, dass der vor Schreck weg rannte. Sven lachte sich kaputt.

"Du dummer Fuchs! Und was mach ich jetzt mit dir? Wenn ich dich nicht erschieße, brauch ich gar nicht erst nach Hause zu kommen: dein Fell soll im Jagdzimmer hängen, hat mein Vater gesagt. Du verstehst? Zur Abschreckung, damit ich nicht noch mal auf so dumme Gedanken komme. Eine Gans mehr oder weniger, hab ich gedacht. Aber bei den Gänsen versteht mein Vater keinen Spaß. Gänse, davon müssen wir leben, sagt er. Du kannst auch was Anderes fressen, sagt er, Mäuse zum Beispiel."

"Igitt! Bin ich eine Katze?"

"Willst du einen Fisch, frisch gefangen?"

"Igitt! Bin ich ein Bär?"

"Aber unser Hund hat auch Fische gefressen; ich dachte, du bist so ne Art Cousin."

"Waren die Fische roh?"

"Natürlich nicht; die waren gebraten: die Reste von unserem Essen, verstehst du?"

"Dann brat den Fisch."

Also machte Sven ein Feuer und briet den Fisch. Zuerst wollte der Fuchs immer noch nicht, aber der Hunger war größer als die Nase, und er aß den ganzen Fisch.

"Braver Fuchs! Und jetzt? Jetzt muss ich dich erschießen! Wir können ja die Augen zu machen, wenn ich ab drücke."

"Wenn du die Augen zu machst, kannst du nicht zielen. Dann triffst du mich vielleicht gar nicht richtig, und dann musst du mich zum Tierarzt bringen. Bist du mit dem Auto hier?"

"Fuchs!"

"Ich heiße Wolfram."

"Ich wusste nicht, dass Füchse einen Namen haben."

"Füchse nicht, ich, schon."

"Wieso das denn?"

"Als Baby sah ich aus wie ein Wolf; und mein Papa wollte nicht glauben, dass ich ein Fuchs bin. Er war sehr wütend. Dauernd hat er geschrien. Jedes Mal, wenn er mich sah, fing er an zu schreien. Aber dann, du weißt ja, Babys ändern sich, wurde langsam ein Fuchs aus mir, mein Papa hat sich beruhigt und hat mich Wolfram getauft."

"Also gut, Wolfram, dann mach wenigstens du die Augen zu, damit ich gut zielen kann und dich richtig ins Herz treffe."

"Warte noch einen Moment, bitte. Mein Bauch ist so voll: ich glaub, ich muss auf's Klo."

"Du willst doch nicht etwa ab hauen? Wenn du ab haust, schieß ich, ist das klar?"

"Und wenn ich nicht ab haue, schießt du auch, ist das klar? Egal, was ich mache, du gewinnst."

"Hör mal! Ich hab dir ein Loch gemacht, damit du eine von unseren Gänsen klauen kannst; und jetzt sagst du mir: ich gewinne! Was hab ich denn davon, dass du eine Gans klaust? Und was hab ich davon, dass ich dir das Loch geschnitten hab? Mein Vater ist sauer, und ich muss dich erschießen. Das hab ich davon."

"Dann erschieß mich doch nicht."

"Und wir gehen zusammen zu meinem Vater, und du hängst dich freiwillig an die Wand im Jagdzimmer, damit jeder sehen kann: ich habe meine erste Beute erlegt!"

"Mir hat das Loch jedenfalls nichts gebracht!"

"Und ich werde nie wieder einem dummen Fuchs helfen, das kannst du mir glauben."

"Kannst du nicht sagen: der Rabe habe das Loch gebissen?"

"Welcher Rabe?"

"Der eben hier war."

"Ach,der! Der sollte doch auf Raven aufpassen."

"Der? Und Aufpassen? War das ein Witz?"

"Nee, wieso?"

"Du bist ein toller Tierkenner. Woher hast du denn das Gewehr?"

"Weihnachtsgeschenk."

"Weihnacht? Was ist das?"

"Da gibt's Geschenke."

"Wo ist das?"

"Überall."

"Hier auch?"

"Sonst hätt ich ja wohl kein Gewehr."

"Wieso ein Gewehr?"

"Hab ich mir gewünscht."

"Ich wünsch mir eine Gans."

"Weihnachten gibt es nur für Menschen."

"Dann wünsch du mir eine Gans. Du bist ein Mensch, oder nicht?"

"Ich kann nur mir etwas wünschen."

"Bei wem gibst du deine Wünsche ab?"

"Bei meinem Vater natürlich."

"Dein Vater hat so viele Gänse."

"Die hat er nicht: die sind für nächste Weihnachten."

"Und Weihnachten schenkt er jedem eine Gans, nur mir nicht."

"Er schenkt sie doch nicht, er verkauft sie."

"Aber das Gewehr hat er dir geschenkt."

"Ja, aber zuerst hat er es gekauft."

"Das Gewehr hat er gekauft, und die Gänse verkauft er? Verkauft er die Gänse nur, damit er dir ein Gewehr kaufen kann?"

"Nicht nur ein Gewehr, er kauft auch einen neuen Traktor."

"Wie viele Gänse muss er verkaufen für einen neuen Traktor und ein Gewehr?"

"Tausend."

"Sind hinter dem Zaun tausend Gänse?"

"Ich hab sie nicht gezählt. Vielleicht mein Vater."

"Aber wie kann man Gänse zählen? Die rennen doch alle durch einander, dass einem ganz wild wird."

"Er zählt nicht die Gänse: er zählt die Küken, die er in den Käfig tut."

"Und die Küken sind alle schon bestellt für Weihnachten. Deshalb ist er so böse, wenn ich mir eine Gans hole. Dann kriegen die Leute,die eine bestellt haben, keine Gans. Die sind dann sauer auf deinen Vater und bestellen ihre Gans bei einem anderen Bauern?"

"So ungefähr."

"Verstehe. Blöd von mir! Ich bring Alles durch einander. Ich bin da irgend wie falsch, Erschieß mich: ich mach die Augen zu."

"Du bist an allem schuld."

"Sag ich doch."

"Du doch nicht."

Er schmiss sein Fernglas in den Fluss und das Gewehr hinterher.

"Sag mal: spinnst du? Die Geschenke deines Vaters!"

"Deine Augen hätt ich nie gesehen, wenn ich nicht da durch geguckt hätt, komm, lass uns gehen."

"Und dein Vater?"

"Wenn er mich nur zum Bestrafen braucht, braucht er mich gar nicht."

"Er hat dir die da geschenkt, die da unter gehen."

"Wenn ich gesagt hätt: schenk mir einen Fuchs!

Was hätt er denn da gemacht?"

"Aber warum soll er dir einen Fuchs schenken? Füchse kann man doch nicht kaufen."

"Eben, lass uns gehen."

"Ich versteh dich nicht."

Natürlich war der Rabe nicht weit weg geflogen, sondern hatte sich auf einen hohen Baum gesetzt und Alles mit angesehen: heil froh war er, als er das Gewehr in den Fluss fallen sah. Was er nicht verstand: warum musste auch das Ding mit den Gläsern verschwinden, er hätte zu gern mal da durch geguckt!

"Wo bleibt ihr denn?"

Typisch Rabe, immer die Große Fresse, dachte der Fuchs.

"Guten Tag, hast du auch einen Namen wie der Fuchs?"

"Natürlich, schließlich bin ich nicht irgend ein Rabe. Ich heiße Ralf Rabauke Rabe, aber alle nennen mich einfach Ra."

"Ra?"

"Ra, was ist denn mit "Ra"?

"Ein bisschen kurz, das ist alles."

""Sven", ist das viel länger?"

"Ich heiß ja auch noch Meinhold Joachim. Solltest du nicht bei Raven sein?“

"Wohin willst du denn so eilig?"

"Ich glaub, da vorne ist was passiert."

"Was heißt: du glaubst?"

"Na, ich hab halt auf euch gewartet. Sonst hättet ihr mir wieder vorgeworfen, ich wolle Alles für mich alleine haben."

"Sehr feinfühlig von dir, Ra."

"Nun, ich weiß eben, was sich gehört. Gute Erziehung nennt man so was."

"Ra?"

"Ja?"

"Lass dein Geschwätz, ok?"

"Ok."

Etwas gedämpft, flog der Rabe nun hinter den beiden her, die es nach da vorne zog.

"Wo denn, da vorne?"

"Noch ein bisschen weiter halt."

"Warum fliegst du nicht vor und zeigst uns die Stelle?"

"Ich will euch doch nicht .."

"Ra!"

"Iss schon gut: ich flieg."

Was war das? Da bewegte sich etwas im Wasser, aber es kam nicht von der Stelle. Das Wasser war leider sehr trüb, noch trüber als sonst, weil es geregnet hatte. Oder war da auch ein wenig Blut?Es blieb ihnen wohl nichts Anderes übrig, als in das Wasser zu steigen, um nach zu sehen. Wer kam wohl dafür in Frage? Der Rabe? Der Fuchs?

Der arme Sven! Das hatte er nun davon! Jetzt ließ er sich schon von einem Raben und einem Fuchs herum bossen, die noch nicht einmal Befehle geben brauchten: sie sahen ihn einfach an mit ihren glänzenden Augen, und ihm blieb keine Wahl! Fair war das nicht. Wieso ging er nicht einfach wieder heim und sagte seinem Vater: Papa, ich weiß, ich hab Scheiß gebaut, aber sei mir nicht bös, du darfst mich sogar schlagen, wenn du willst, ist mir immer noch lieber, als den Deppen zu spielen, bloß weil der Fuchs und der Rabe immer schlauer sind?

Kaum stand er da, in der Unterbüx, bereit, vorsichtig in die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 11.04.2013
ISBN: 978-3-7309-2126-5

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