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Erster Teil

Es ist vor einigen Jahren so viel – und so viel Deprimierendes – zum Thema „Grenzen des Wachstums“, die Zukunft der Menschheit und so weiter geschrieben und gesagt worden, dass die Leute die Nase voll davon bekommen haben. Niemand wollte mehr derartige Bücher und Artikel lesen, deshalb erschienen keine mehr. Und weil nichts mehr erschien, hat man heute das Gefühl, es sei alles gar nicht so schlimm, wie man früher gemeint hat.
Aber dieses Gefühl täuscht. Die Generation unserer Eltern – diejenigen, die kurz nach dem Krieg geboren sind, sich zur Musik von David Bowie, Pink Floyd und Abba verliebt haben und von Papst Paul VI. am Geschlechtsverkehr gehindert wurden – hat das goldene Zeitalter der Menschheit erlebt. Ihre Lebensqualität war höher, als sie es je war und je wieder sein wird. Wir dagegen, Freunde, erleben schon das Ende dieser Ära.
Die Ursache des Abstiegs ist dieselbe wie die Ursache des Aufstiegs: die Industrialisierung. Technische Erfindungen haben zu Verbesserungen der Lebensbedingungen geführt, die einem Menschen vergangener Jahrhunderte wie reine Zauberei vorkommen müssen. Aber die Erfindungen allein waren es nicht, die diese Veränderungen bewirkt haben; sie wären wirkungslos geblieben ohne ihre Nutzung auf breiter Basis – ein Auto für jedermann, Telefon und Farbfernseher in jedes Haus. Es war die Industrialisierung, die diese Verbreitung möglich gemacht hat. Antibiotika müssen industriell hergestellt werden, damit sie jederzeit und überall zur Verfügung stehen. Die Methoden der modernen Landwirtschaft haben so gut wie nichts mehr denen des letzten Jahrhunderts gemeinsam. Maschinen, Kunstdünger und Pestizide haben die Erträge so gesteigert, dass heute schon Überproduktion bekämpft wird.
Die medizinischen Fortschritte haben dazu geführt, dass die Säuglingssterblichkeit gesunken und die Lebenserwartung gestiegen ist, was eins rasantes Bevölkerungswachstum zur Folge hatte. Bis jetzt konnten die höheren Erträge der Landwirtschaft damit einigermaßen Schritt halten; der Hunger in der Welt ist in erster Linie ein Verteilungs-, nicht ein Produktionsproblem. Aber die Landwirtschaft stößt allmählich an räumliche Grenzen, zudem gehen durch Verödung überall auf der Welt landwirtschaftlich nutzbare Flächen für immer verloren. Auch die Industrie gelangt an Grenzen, nämlich die der vorhandenen Rohstoffvorräte und die der Erträglichkeit der Umweltbelastung.
Davon merken wir kam etwas, werdet Ihr sagen. Die Dinge des täglichen Bedarfs sind reichlich vorhanden, manche davon werden eher billiger als teurer. Die oft prophezeite katastrophale Verschmutzung von Luft und Wasser ist ausgeblieben. Irgendwie scheint man es also doch im Griff zu haben, oder?
Aber man stelle sich einmal vor, man könne über Nacht die ganze Welt auf den Lebensstandard bringen, wie wir ihn hier in Italien oder in anderen Industrienationen gewohnt sind. Eine Milliarde Auto fahrende Chinesen, eine Milliarde Inder in Reihenhäuschen mit Gartengrill und so fort. Was das bedeuten würde, ist leicht auszurechnen. In den unterentwickelten Ländern leben rund viermal so viel Menschen wie in den Industriestaaten. Ein Bürger der Industriestaaten belastet die Umwelt und die Rohstoffvorräte der Erde rund zehn- bis zwanzigmal mehr als ein Bewohner der Dritten Welt. Es würde also bedeuten, die Belastung der Erde, die ja jetzt schon hoch ist, noch einmal etwa zu verzehnfachen! Das wäre der Kollaps.
Mit anderen Worten: Die Grenzen sind bereits erreicht. Denn wenn das Leben, das wir führen, nicht für alle Menschen möglich ist, heißt das nicht anderes, als dass wir uns mehr vom Kuchen genommen haben, als uns zusteht. Wir merken nur kaum etwas von den beschriebenen Problemen, weil es uns gelungen ist, sie in weit entfernte Länder zu verlagern. Italien verbraucht längst mehr Rohstoffe, als es besitzt, und das gilt für ganz Europa. Unser ständiges wirtschaftliches Wachstum ist nur möglich, weil wir den Ländern der Dritten Welt ihre Rohstoffe billig entreißen. Dafür schicken wir ihnen unseren Müll wieder zurück.
Und wir sind anscheinend immer noch nicht zufrieden. Obwohl die Bevölkerung Italiens kaum noch zunimmt, ist alles Sinnen und Trachten auf weiteres wirtschaftliches Wachstum gerichtet. Alles muss immer größer, immer mehr und immer aufwändiger werden. Es scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, „Genug!“ zu sagen und sich zufrieden zu geben mit dem, was man erreicht hat. Aber wohin soll das denn führen, dieses ständige wirtschaftliche Wachstum, das den Regierungen wichtiger ist als alles andere? Man jammert, wenn es nur zwei Prozent sind. Einmal angenommen, es wären fünf Prozent. Magere fünf Prozent man rechne das einmal hoch, wenn man in Mathematik einigermaßen aufgepasst hat. Das heißt nämlich Verdoppelung nach sechzehn Jahren – doppelt so hoher Rohstoffverbrauch, doppelt so große Umweltbelastung und so weiter. Über die Jahre führt auch ein prozentual geringes Wachstum zu einer gigantischeren Aufblähung, als wir uns vorstellen können.
Aber natürlich können solche Entwicklungen nicht für immer so weitergehen. Wenn vor zehn Jahren eine Familie im Schnitt ein Auto hatte und heute im Schnitt drei, dann heißt das nicht, dass irgendwann jede Familie hundert Autos haben wird. Alle diese Bereiche – Rohstoffreserven, Umweltbelastung, Gesundheit, Fortpflanzung, Lebensstandard, Klima und so weiter – sind in vielfacher Weise miteinander verbunden. Änderungen in einem Bereich wirken sich auf andere Bereiche aus. Und was in solchen vernetzten Systemen passieren kann, ist dass sie nach einer langen Zeit der Belastung plötzlich kollabieren, weil in einem Bereich etwas zusammenbricht, das auch die anderen Bereiche zusammenbrechen lässt, eine Art Domino – Effekt. In kleinem Maßstab kennt man das von Seen in Nordeuropa, die lange Zeit die Einleitung von Schadstoffen scheinbar unbeeinflusst überstanden haben, um plötzlich >umzukippen<, und die heute toten Gewässer ohne Pflanzen oder Fische sind. Etwas Ähnliches könnte dem großen Ökosystem Erde auch passieren, und vielleicht werden sich in 65 Millionen Jahren intelligente Insekten darüber wundern, wieso wir genauso plötzlich ausgestorben sind wie vor uns die Dinosaurier.
Das sind eine Menge Probleme auf einmal, und auf den ersten Blick sieht es ziemlich beschissen für uns aus. Aber ich werde zeigen, dass hinter allem nur ein simpler Konstruktionsfehler unserer Zivilisation steckt, an dem wir selber schuld sind – und den wir deshalb auch selber wieder aus der Welt schaffen können. Also begeht nicht voreilig Selbstmord, sondern lest die nächste Ausgabe des >Ritirata>!




Zweiter Teil


Im ersten Teil haben wir herausgefunden, dass nicht die Technik oder die Wissenschaft schuld sind an der Misere der Welt, sondern die Industrialisierung, sprich, die Wirtschaft Und obwohl unser Lebensstandard den jedes mittelalterlichen Potentaten locker in den Schatten stellt, haben wir alle nur eines im Kopf: Wachstum! Immer mehr und mehr Wirtschaftswachstum die Vorräte der Erde noch schneller aufbrauchen, die Müllhalden immer höher auftürmen.
Aber warum eigentlich? Das ist die Hauptfrage: Warum rackern sich denn eigentlich alle ab wie blöde?
Normalerweise sagt man darauf, dass wir Menschen eben gierig sind und nie genug bekommen können. Eine Antwort, die den Vorzug hat, einfach, und den Nachteil, falsch zu sein. Denn schaut euch doch um, mit wie wenig die meisten zufrieden sind. Fette Pommes, Bier und Fußball – damit sind viele schon glücklich. Es mag ein paar Gierhälse geben, aber die Mehrzahl der Leute ist mit so wenig zufrieden, dass es einem grausen kann.
Nein, guckt genauer hin. Falls ihr noch mit euren Eltern redet, redet mit ihnen. Sie werden euch erzählen, dass sie sich deshalb so ins Zeug legen, weil sie es müssen. Weil egal wie man sich abrackert, man das Gefühl hat, nie hinterherzukommen mit allem, was man zu zahlen hat. Selbst wenn das Einkommen steigt, die Ausgaben steigen noch stärker, die Preise die Steuern, die Gebühren alles. Wie Alice im Wunderland muss man so schnell rennen, wie man kann, nur um da zu bleiben wo man ist.
Und das Freunde, Römer, Landsleute, liegt an einem dummen, kleinen Konstruktionsfehler unseres Wirtschaftssystems. Eine Lappalie eigentlich, aber vergesst nicht – diese Lappalie ist dabei, unseren Planeten zu zerstören. Kleine Ursache, große Wirkung.
Dass irgendetwas nicht stimmt, dass der Fehler im System liegt, das Gefühl plagt die Menschen schon lange. Man hat den Fehler zuerst im Geld selbst gesucht. Junge, was ist auf Geld schon geschimpft worden. Keine Religion und kein Moralapostel, der es nicht verflucht hat – aber im Klingelbeutel haben sie es doch immer gern genommen. Trotzdem, Freunde, am Geld liegt es nicht. Wir könnten das jetzt lang und breit diskutieren, wenn de Platz und eure Leselust dazu reichen würde; da beides nicht der Fall ist, hier nur das Endresultat: Geld an sich ist eine tolle Erfindung, und es ist unschuldig.
Der nächste Verdächtige waren immer die Zinsen. Wie ihr euch aus dem Mathematikunterricht erinnert, ist die Zinsrechnung nicht einfach und führt mitunter überraschenden Ergebnissen, weil sich das Ganze über den Zinseszins, also den Zins auf die Zinsen, rasch in unanschauliche Dimensionen potenziert. Den meisten Menschen sind Zinsen von daher eher unheimlich, aber im Grunde sind die Zusammenhänge einfach. Wenn einer einem anderen Geld leiht, will er was davon haben, und eine gute Lösung ist, dass ihm der andere sozusagen Miete zahlt für das geliehene Geld, wie man Miete zahlt für einen Leihwagen. Und die Miete für Geld heißt Zins. Klar, wenn sich einer weil borgt, kann ihn das ordentlich ins Schwitzen bringen, wenn er sich das vorher nicht gut überlegt. Und einer, der viel Geld hat, mehr als er bracht, der kann gut verleihen und eine Menge Miete beziehungsweise Zins dafür kassieren, womöglich so viel, dass er außer Geldverleihen überhaupt nichts anderes mehr tun muss.
Das war unserem meist eher nicht so schlauen Vorfahren ein Dorn im Auge – vielleicht waren sie auch einfach nur neidisch-, jedenfalls war das Verbot, Zinsen zu nehmen, immer wieder ein Thema in der Geschichte. Weil die Juden es durften und die christliche Kirche es verbot, gab es allerlei hässliche Massaker, und, o seltsame Eintracht, auch in den Statuten der Faschisten nahm das Verbot des Zinsnehmens einen prominenten Platz ein, begründet damit, dass ein arbeitsloses Einkommen unmoralisch und verwerflich sei.
Trotzdem sind selbst in Zeiten kirchlicher Zinsverbote immer Zinsen gezahlt worden, weil es immer die Notwendigkeit gab, sich Geld zu leihen. Für manche Dinge braucht man einfach einen ganzen Batzen Geld auf einmal, damit man sie überhaupt tun kann.
Es wäre zum Beispiel Unsinn, sein ganzes Leben lang zu sparen, um sich erst mit achtzig ein Haus zu bauen. Besser, man baut es früher und spart sozusagen nachträglich, selbst wenn es dadurch mehr kostet. Oder jemand, der sic selbstständig machen will, als Handwerker etwa: Er braucht seine Maschinen und Werkzeuge von Beginn an, damit er überhaupt arbeiten und Geld verdienen kann, also ist es sinnvoll, er leiht sich das nötige Geld und zahlt es in Raten zurück. Wollte man das verbieten, müsste er arm bleiben.
Trotzdem wird es schon warm. Im Geflecht von Geld und Zinsen liegt der Konstruktionsfehler verborgen. Wir kommen gleich dazu.
Zunächst möchte ich euch in Erinnerung rufen, dass im normalen Leben das Geld ein Kreislauf ist. Ihr kauft euch beim Laden um die Ecke eine Cola. Euer Geld wandert in die Kasse, und der Inhaber des Ladens zahlt damit die Rechnung der Getränkefirma. Die Getränkefirma kauft einen neuen Computer und zahlt ihn, unter anderem, mit dem Geld, das einst in eurer Tasche war. Euer Vater arbeitet bei dieser Computerfirma, die ihm von dem eingenommenen Geld sein Gehalt zahlt, von dem er wiederum euer Taschengeld herausrückt. Und so weiter.
Ihr habt sicher schon einmal das berühmte Spiel MONOPOLY gespielt. Am Anfang ist man knapp bei Kasse, wandert unbeschwert über den Spielplan und überlegt sorgfältig, welche Straßen man sich leisten kann zu kaufen. Gegen Ende baut man Häuser und Hotels in Masse, kassiert atemberaubende Mieten und schwimmt im Geld. Nun die Preisfrage: Wo ist all dieses Geld eigentlich hergekommen? Schaut genau hin. Abgesehen von ein paar kleineren Beträgen, die von Ereigniskarten stammen, ist alles Geld dadurch ins Spiel gelangt, dass immer wieder jemand über „Via!“, das Startfeld also gezogen ist und jedes Mal die berühmten 20 000 Lire eingezogen hat.
Und nun überlegt mal, wie das im wirklichen Leben zugeht. Auch da gibt es ja eine bestimmte Menge Geld, die in Umlauf ist, und diese Menge kann nicht immer gleich bleiben. Die Wirtschaft wächst, wie besessen sogar, also bracht sie auch mehr Geld. Woher kommt es? Natürlich ist es keim Problem, Geldscheine zu drucken – darum geht es nicht. Die Frage ist: Wie kommen sie ins Spiel? Ich habe noch nie einen Brief von der Zentralbank bekommen, in dem etwas in der Art stand: „Auch dieses Jahr ist es wider notwendig geworden, die im Umlauf befindliche Geldmenge zu vergrößern. Jeder Bürger erhält deswegen fünfhunderttausend Lire ausbezahlt, siehe beiliegende Geldscheine.“ Ich wette, ihr auch nicht, und auch sonst niemand.
Aber wie funktioniert es dann? Wie kommt neues Geld ins Spiel? Und sagt jetzt nicht, das interessiert euch nicht. Es sollte euch interessieren. Denn hier versteckt sich der Konstruktionsfehler.
Das, was ich jetzt erkläre, lernt man nicht in der Schule. Wir wissen alle, dass man in der Schule ohnehin nichts lernt, was man im Leben brauchen könnte, deshalb nehmt es als Gütesiegel. Wer skeptisch ist, kann die Zusammenhänge in Büchern über Wirtschaft und Finanzwesen nachlesen; das Stichwort heißt >Geldschöpfung<.
Angenommen, die oben erwähnte Getränkefirma will eine neue Abfüllanlage bauen. Sie nimmt dazu einen Kredit bei ihrer Bank auf. Normalerweise verleiht die Bank das Geld aus den Einlagen, die Sparer bei ihr deponiert haben, aber angenommen, sie ist gerade ein bisschen knapp, weil viele Kredite laufen. In dem Fall wendet sie sich an die Zentralbank. Die Zentralbank darf Kredite vergeben, ohne dass sie dazu Einlagen bräuchte. Sie kann sie sozusagen aus dem Nichts erschaffen und auf diese Weise neues Geld ins Spiel bringen. Hier kann jede Bank zusätzliches Geld bekommen, natürlich ebenfalls in Form eines Darlehens, also gegen Sicherheiten und zu einem feststehenden Zinssatz, dem so genannten Diskontsatz. Der steht jeden Tag im Wirtschaftsteil der Zeitung, schaut einmal nach. Festgelegt wird er von der Zentralbank selbst, und zwar nach folgendem Prinzip: Wenn die Zentralbank glaubt, dass mehr Kredite aufgenommen werden, als der Wirtschaft gut tut, erhöht sie den Diskontsatz, wodurch Kredite teurer und entsprechend weniger interessant werden. Umgekehrt kann sie durch Senken des Diskontsatzes Kredite billiger machen und damit attraktiver für Investitionen. Der Diskontsatz ist also eine Art Steuerungsinstrument für die Wirtschaft.
Klingt gut, oder? Dabei ist es der größte Blödsinn. Millionen von Bankkaufleuten lernen das und finden es großartig, aber wenn man einmal genauer darüber nachdenkt, entdeckt man, dass genau hier der Konstruktionsfehler sitzt.
Überlegen wir, was passiert. Die Zentralbank gewährt einen Kredit aus dem Nichts in Höhe von, sagen wir, hundert Millionen Lire. Der Diskontsatz betrage zum Beispiel drei Prozent. Das heißt, zurückzuzahlen sind (bei einer angenommenen Laufzeit von einem Jahr, die wir für alle Beispiele einmal unterstellen wollen, der Einfachheit halber) hundertunddrei Millionen Lire.
Aber woher sollen diese zusätzlichen drei Millionen Lire kommen? Es gibt sie ja gar nicht! Und es gibt auch keine Möglichkeit, zusätzlich drei Millionen Lire herbeizuschaffen, denn nur die Zentralbank darf Geld erzeugen, und dafür will sie wiederum Zinsen haben und so fort! Was für ein Blödsinn!
Ja, natürlich ist noch mehr Geld im Unlauf, und aus diesem Geld werden die Zinsen in der Praxis auch bezahlt – aber mit dem Ergebnis, dass das Geld eben anderswo fehlt. Und wo Geld fehlt, muss man wieder Kredite aufnehmen, in der Hoffnung, diese später abzuzahlen. Das Finanzwesen ist ein großes System, in dem sich vieles verteilt, ausgleicht, erst mit Verzögerung wirksam wird, aber eines passiert nicht: Es geht nichts verloren, nicht eine einzige müde Lira. Es läuft im Endeffekt darauf hinaus, dass – irgendwann und um hundert Ecken herum – ein weiterer Kredit bei der Zentralbank aufgenommen wird, um die Zinsen für den ersten zu bezahlen.
Wäre die Wirtschaft ein Mensch, wir würden sagen: Er ist süchtig. Die Zentralbank hat ihn angefixt.
Es geht auch anders. Ihr erinnert euch an das Jubiläumsfest an unserer Schule letztes Jahr. Jeder von uns bekam einen roten Plastikchip als Gutschein für ein Stück Pizza, einen blauen Chip als Gutschein für eine Cola und einen grünen Chip als Gutschein für ein Eis. Für die Dauer des Festes waren diese Chips Geld. Ich habe meinen grünen Chip gegen eine roten eingetauscht, weil ich kein Eis mag. Einen habe ich gesehen, der alle Chips gegen blaue getauscht hat, weil er durstig war. Alles hat prima funktioniert, jeder hat mehr oder weniger bekommen, was er wollte. Und als das Fest vorbei war, hat unser Rektor die Chips weggeworfen, weil die Pizzen gegessen, Cola getrunken und vom Eis auch nichts mehr übrig war.
Stellt euch vor, die Firma, die diese Chips herstellt, hätte sie ihm nicht einfach verkauft, sondern gesagt: Hier haben Sie tausend rote Chips – aber wir wollen dafür tausendunddreißig rote Chips wiederhaben. So dumm, dass er nicht gemerkt hätte, dass das Blödsinn ist, ist nicht einmal unser Rektor.
Nein, was wir auf diesem Fest erlebt haben, ohne uns dessen bewusst zu sein, war ein Geldsystem, wie es sein sollte. Das Geld kam im Gleichgewicht zu den vorhandenen Gütern ins Spiel, und als die verbraucht waren, verschwand es wieder. Es war nur zu dem einen Zweck da, zu dem Geld ursprünglich erfunden wurde: den Tausch verschiedener Güter zu vereinfachen. Auf diese Weise konnte jeder nach der Party ruhig nach Hause gehen. Es war nicht nötig Chips nachzujagen, die überhaupt nicht existierten.
Bringen wir es auf den Punkt: Dadurch, dass die Zentralbank Zinsen auf neu geschaffenes Geld verlangt, entstehen mehr Schulden, als es Geld gibt. Das ist der Fehler im System.
Von da an geht es nämlich weiter wie im Schwarze-Peter-Spiel, nur dass mit jeder Runde mehr schwarze Peter im Spiel kommen. Jeder muss versuchen, seine schwarzen Peter loszuwerden, und das wird umso schwerer, je mehr es davon gibt. Man muss schneller werden, noch härter arbeiten, muss die anderen überflügeln, kann keine Rücksicht mehr nehmen, muss das Letzte aus sich herausholen. Alles beschleunigt sich, ohne Hoffnung auf Entkommen. Die Spirale dreht sich immer weiter und weiter.
Ist es nicht das, was wir beobachten? Die Wirtschaft wächst, aber – o Mirakel, o Wunder – überall muss immer stärker gespart werden, die Arbeitsplätze werden knapp, jeder muss härter arbeiten, hat weniger Zeit für sich und seine Familie, die Steuern steigen, jeder hat das Gefühl, dass alles schlechter und schlimmer wird, und das, obwohl dich alle daran arbeiten, dass es immer besser werden soll. Es wird nicht besser. Je mehr wir uns anstrengen, desto mehr Schulden erstehen, nicht zurückzahlbar, unzerstörbar. Je mehr wir versuchen, der Misere zu entkommen, desto schlimmer machen wir sie. Der einzige Ausweg ist, jemand anderen zu finden, der die Zeche zahlt – jemanden weit weg, oder gleich die Natur. Holzen wir halt diesen Regenwald auch noch ab, das bringt Geld, damit kann ich meine Schulden loswerden. Bringen wir noch ein Produkt auf den Markt, das im Grunde niemand braucht, reden wir den Leuten ein, dass sie es doch brauchen, und sei es nur, um >in< zu sein, und lasst es uns so bauen, dass bald kaputtgeht, sodass wir mehr davon verkaufen. Lasst uns den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen, mit allen Mitteln, damit wenigstens wir unsere Schulden bezahlen können. Vergraben wir den Giftmüll einfach, wir können es uns nicht leisten, für seine Entsorgung zu zahlen. Jeder ist sich selbst der Nächste, jeder kämpft für sich allein.
Das Heimtückische daran ist, das Schulden etwas so Privates sind, etwas Geheimes. Die meisten Leute behalten ihre Schulden für sich wie ein Zeichen persönlichen Versagens. Sie würden eher zugeben, sexuell abartig veranlagt zu sein, ehe sie zugeben, verschuldet zu sein. Offiziell hat niemand Schulden, nach außen hin sind alle happy. Man hat keine finanziellen Probleme, so wenig wie man sich im viktorianischen Zeitalter hätte anmerken lassen, dass man Geschlechtsorgane besaß.
Was tun? Wirtschaft dient dazu, uns das zu verschaffen, was wir zum Leben brauchen. Das funktioniert nicht ohne Geld, es ist sozusagen das Blut der Wirtschaft. Doch dieses Blut ist krank. Es bewirkt, dass die Wirtschaft ins Absurde wächst und dabei unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wäre die Wirtschat dein Lebewesen, man würde sagen, sie hat eine Art Leukämie. Deshalb bleibt ohne eine Gesundung des Geldwesens alles, was wir zur Rettung der Erde tun könnten, letztlich wirkungslos. Der Konstruktionsfehler muss behoben werden.

Impressum

Texte: Dieses Buch ist im Bastei Lübbe Verlag erschienen ISBN 3-404-15040-6
Tag der Veröffentlichung: 13.05.2010

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