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Auf Vorderdeck hielt ich Ausschau. Die Schreie der Möwen, irgendwo ein Akkordeon, lachende Kinder und küssende junge Leute nahm ich nur verschwommen wahr. Wann kommt denn die Insel endlich in Sicht?

Da ist sie! Begeistert knuffte ich meiner Freundin Steffi in die Seite. „Autsch“, schreit sie, „bist du denn verrückt geworden?“ – „Ja“, jubele ich, verrückt vor Freude“, und zeige nach vorne, „da ist sie, das ist meine Insel!“

Steffi ließ sich nicht von meiner Begeisterung anstecken. „Denk dran, erst Koffer ins Apparte- ment, dann auspacken, dann – vielleicht – einen ersten Rundgang…“

„Papperlapapp,“ unterbrach ich sie, „für die Koffer gibt es Elektrokarren. Wenn das Gepäck verladen ist, haben wir alle Zeit der Welt, uns erst einmal umzusehen.“

„Und wenn die Koffer vor uns da sind?“

Ich lachte. "Du Döskopp, dann werden die eben in Empfang genommen und für uns verwahrt, bis wir da sind. Die stehen dann bestimmt schon in unserem Appartement!“

Steffi, die immer etwas grün aussah, gab sich geschlagen. Sie setzte sich wieder auf eine Bank und schloss die Augen. „Mir ist so schlecht!“, jammerte sie.

„Tatsächlich.“ Jetzt erst bemerkte ich, wie tapfer Steffi mich bisher mit ihrer Seekrankheit verschont hatte. „Wolltest du dich lieber erst einmal hinlegen?“ Die Aussicht, bald wieder auf der Insel zu sein, machte mich großzügig.

„Ja, wenn es dir nicht zuviel ausmacht?“

Ich schüttelte den Kopf. „Du“, sagte ich, es ist nicht weit vom Anleger. Mit den Koffern belas- ten wir uns trotzdem nicht, dann sind wir auch schneller da. Dir geht es bestimmt bald besser.“

So war es dann auch. Bereits beim Ausbooten konnte Steffi wieder aufatmen. Dabei schaukelt das Börteboot noch viel mehr als unser Schiff. Aber eben anders. Und sowie sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, kehrte auch ihre Abenteuerlust zurück.

„Was kann man denn hier überhaupt unterneh- men? Die Insel ist doch so klein?“

„Jede Menge“, behauptete ich. „Da wäre z. B. der obligatorische Inselrundgang, die Bunker- führung, ein Besuch im Aquarium, eine Boots- fahrt um die Insel, zum Baden auf die Düne, Konzerte in der Kirche, Führung zum Vogelfelsen, Biologische Anstalt und…“

„Stopp“, rief Steffi energisch, „für das alles sind wir nicht lange genug hier!“

„Siehst du“, zwinkerte ich ihr zu, „wir werden noch mal wiederkommen müssen.“

„Mal sehen.“ Steffi, die ich mehr oder weniger zu dieser Reise gezwungen hatte, war nicht so leicht zu überzeugen.

Mittlerweile legte der Dampfer auf der Reede an. Wir holten unser Gepäck, stiegen ins Börteboot und fuhren zur Insel rüber. Die Elektrokarren warteten schon. Schnell waren die Koffer verladen und Steffi und ich auf dem Weg zu unserem Appartement, das sich nur wenige Meter entfernt in einem Haus am Nord-Ost- Hafen befand.

Die Unterkunft war Klasse. Zum Schlafen teilten wir uns ein Zimmer. Dafür hatten wir eine bequeme Wohnküche mit allem, was wir benötigten. Steffi legte sich eine Weile hin und kurierte ihre Übelkeit. Ich empfing die Koffer und kochte uns einen Kaffee. Bei dem Duft erwach- ten auch Steffis Lebensgeister wieder. Sie sah jetzt wesentlich besser aus und konnte endlich auch wieder lachen.

„Wollen wir auf Pirsch?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nee, erst wenn die Tagestouristen wieder abgereist sind. Aber weißt du was? Wir könnten zur Düne rüber fahren. Da kann man schwimmen gehen.“

„Ist das Wasser wenigstens schön warm? Ich liebe es nicht, wenn es zu kalt ist.“ Steffi bibberte schon im Voraus. Ich lachte. „Nein, das Wasser hat höchstens 17 Grad. Es ist herrlich, aber kalt! Du wirst es trotzdem lieben!“

Keine Rede mehr davon, erst die Koffer auszu- packen. Wir schnappten uns unser Schwimm- zeug und stoben los, kämpften uns durch die Besuchermenge und saßen kurze Zeit später wieder in einem Boot, der Dünenfähre.

Das Wasser war herrlich. Und ja, Steffi liebte es auch. Wir gingen am Nordstrand ins Wasser. „Schau mal“, sagte Steffi andächtig, „da sind ja Seehunde!“

„Das sind Kegelrobben“, erwiderte ich. „Wenn wir dort schwimmen, dann spielen die um uns herum“.


Tatsächlich kamen die zutraulichen Tiere uns ziemlich nahe. Steffi war begeistert. Zum ersten Mal übrigens, seit wir zu unserer Reise aufgebrochen waren. „Dass es so etwas gibt“, staunte sie.

„Ja, erwiderte ich. „Willst du immer noch lieber nach Mallorca?“ Dafür erntete ich einen Wasser- schwall mitten ins Gesicht. Prustend und schnaubend jagte ich Steffi durch das Wasser. Die Robben ergriffen die Flucht.

Abends saßen wir in einer kleinen Bar mit Fischernetzen an den Decken und Knotentafeln und allerlei Schiffsgedöns an den Wänden. Steffi hatte ein ganz heißes rotes Gesicht. Das kam vom Eiergrog. Sie war nachdenklich. „Warum bist du nicht auf der Insel geblieben?“ fragte sie mich.

Ich seufzte. „Das ging nicht. Ich hatte hier keine Perspektive. Aber weißt du was? Ich sehne mich immer noch zurück.“

„Es ist gut, dass wir jetzt hier sind.“, sagte sie. „Es beginnt mir zu gefallen. Und morgen fängst du an, mir alles zu zeigen, okay?“

„Okay“, sagte ich und lächelte ihr zu.

Das Frühstück am nächsten Morgen nahmen wir in einem Restaurant am Falm ein. Ich genoss es, in der noch kühlen Morgensonne draußen zu sitzen und über das Meer zu blicken. Steffi war auch vom Zauber dieser Insel gepackt worden, das konnte ich ihr deutlich ansehen. Es war so schön!

Gleich anschließend machten wir uns auf den Weg um die Insel herum. „Es gibt hier sogar Schrebergärten“, staunte Steffi.

Ich lächelte nur. „Schau mal“, sagte ich, „dort drüben sind wir gestern geschwommen.“ Steffi blickte auch hinüber zur Düne. „Ist das schön hier“, sagte sie, „und diese Ruhe!“

Es waren nur wenige Menschen unterwegs. Laut waren nur die Möwen. Dem widersprach Steffi. Kein Wunder, denn noch waren wir nicht am Vogelfelsen.

Als wir auf Höhe der langen Anna waren, konn- ten wir das Meer unten gegen die Felsen bran- den hören. Wir konnten uns gar nicht satt sehen und satt hören. Mein Herz brannte vor Liebe zu dieser Insel. Ich war so froh, dass ich das alles endlich mal mit jemandem teilen konnte.

Bevor wir wieder ins Unterland gingen, kauften wir erst einmal ein. Im Restaurant frühstücken, das konnten wir uns nicht jeden Tag leisten. Dann holten wir unser Schwimmzeug aus dem Appartement und flohen von der Hauptinsel, bevor die ersten Dampfer ankamen.

So machten wir es dann auch an den anderen Tagen. Wenn das letzte Schiff die Reede wieder verlassen hatte, kehrten auch wir auf die Hauptinsel zurück.



Jeden Tag besuchten wir die Seehunde im Becken der Biologischen Anstalt. Wir lachten über das Seemannsgarn bei der Rundfahrt um die Insel. Beim „Abend bei Kirchens“ staunte Steffi, dass man in der katholischen Kirche sein Bier auf der Orgelempore trinken durfte. Sie als Lehrerin war besonders interessiert an der Schule. So kleine Klassen, so ideale Bedingungen, das wünschte sie sich auch.

Wir spazierten überall herum, auf der Düne, Südhafen, im Nord-Ost-Land und im Oberland. Steffi wunderte sich, dass man hier doch so viele Wege zurücklegen kann.

Dass das Lied der Deutschen auf dieser Insel gedichtet wurde, erfuhr Steffi hier zum ersten Mal. Bei einem Konzert der Karkfinken erlebte sie, dass es auch noch andere schöne Lieder gab. Am Ende sangen wir beide lauthalts mit: „Kleine Möwe, flieg nach Helgoland“.

Und an einem dieser Tage, wir konnten unser Glück kaum fassen, erlebten wir sogar einen richtigen Sturm, bei dem die Wellen hart auf- schlagen und die schäumende Gischt meter- weit durch die Luft getrieben wird. Am Ende hatte auch Steffi ihr Herz an diese Insel verloren.

„Morgen müssen wir wieder abreisen“, jam- merte sie.

Ich nickte trübsinnig. Ein letztes Mal noch saßen wir beim Eiergrog in der Kneipe. „Ich mag auch nicht weg“, murmelte ich in mein Glas.

Wir hatten unsere Koffer gepackt. Steffi musste sich auf der Düne von jeder einzelnen Robbe verabschieden. Die schauten sie mit ihren großen Kulleraugen an, als ob sie alles genau verstünden.

„Morgen müssen wir wieder abreisen“, sin- nierte ich. „Und übermorgen reisen wir wieder an.“

Steffi lachte. „Das geht doch nicht.“

„Aber schön wäre es doch, oder?“ Ich schaute sie erwartungsvoll an. „Was hältst du davon, wenn wir das noch einmal zusammen mach- en?“

„Ich bin dabei!“, sagte Steffi entschieden. „Gib mir Fünf!“

Und ich klatschte ein in ihre erhobene Hand. Es war besiegelt.

Am nächsten Tag, nachmittags, standen wir am Heck des Dampfers und schauten zu, wie die Insel langsam im Dunst verschwand. „Auf Wiedersehen, Helgoland“, sagte Steffi.

„Auf Wiedersehen, meine Insel“, sagte ich.

Wir sahen uns an. Ich erkannte in Steffis Augen das sehnsüchtige Leuchten, das auch in meinen Augen brannte. Wir nickten uns zu, verschwör- erisch. Wir würden wiederkommen. Auf jeden Fall!

Impressum

Texte: Copyrights: Text: Astrid Borower Titelbild: Alexander Hauk/PIXELIO Kegelrobbe: Beate Spreen/PIXELIO Lange Anna: Ingelotte/PIXELIO Eiergrog: Wolfgang Weber/PIXELIO Abreisebild: Sven L./PIXELIO
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2010

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