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Before Heaven

Er sah mich an. Ich wusste, dass er mich ansah, weil ich seinen brennenden Blick auf meinem Rücken spürte und er wie heiße Lava einen elektrischen Schock in mir auslöste.

Schluckend atmete ich durch und drehte meinen Kopf leicht in seine Richtung. Da – er starrte mich an.

Peinlich berührt, da ich kein Mensch bin, der gut flirten konnte, lenkte ich meine Aufmerksamkeit meinem Frappucino zu, als Kate fröhlich winkend auf mich zusteuerte.

„Lucy! Da bist du ja!", rief sie laut und praktisch jeder Mensch in Starbucks riss seinen Kopf herum und stierte auf das enthusiastisch, wirkende Mädchen.

„Kate.", rief ich erleichtert, erhob mich zögerlich und versuchte die starren Blicke zu ignorieren, sie einfach auszublenden, damit ich nicht weiter darüber nachdenken musste. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen.

Kate trug eine enge Röhrenjeans, die ihre schlanken, langen Beine gekonnt in Szene setzte. Ihre weiße Bluse ließ einen tiefen Blick in ihren Ausschnitt frei und auch, wenn sie viel Haut zeigte, wirkte sie keineswegs billig. Eine goldene Kette zierte ihr Dekolleté, während einige blonde, lockige Strähnchen ihr Gesicht umfingen.

Sie umarmte mich fest, um sich dann elegant auf ihrem Stuhl niederzulassen, die weiße Michael Kors Handtasche in ihrer rechten Hand, der Cappuccino in ihrer linken Hand. Wenn ich Kate betrachtete, wurde mir klar, wie schäbig ich in meinen Jeans, meinem T-Shirt und meinen braunen, langweiligen Haaren rüberkommen musste.

Seufzend trank ich einen Schluck und schaute dann freundlich in ihr wunderschönes Gesicht.

„Wartest du schon lange?", fragte Kate mit glockenheller Stimme und ich schüttelte den Kopf.

„Nein. Ein paar Minuten vielleicht."

„Der süße Typ hat mir seine Handynummer gegeben!", fiel sie direkt mit der ersten Neuigkeit ins Haus, doch dafür bewunderte ich sie so. Egal was passierte, Kate war immer direkt. Zwar hatte diese Eigenschaft nicht nur positive Aspekte, aber sie war auf jeden Fall besser, als immer den Mund zu halten und nicht mit der Sprache rauszudrücken.

„Meinst du den Starbucks Verkäufer?", erwiderte ich ungläubig und zog meine dunklen Augenbrauen in die Höhe.

„Genau! Der süße, schwarzhaarige!", gab sie grinsend von sich, drehte sich um und zeigte mit dem Finger auf einen jungen, muskulösen Typen, der auch in seiner grünen Schürze eine gute Figur abgab. Seine strahlendweißen Zähne schienen die ganze Zeit aus seinem Gesicht herauszuspringen und seine kurzen, schwarzen Haare stellten einen krassen Kontrast zu seiner gebräunten Haut dar.

„Hm, naja.", murmelte ich skeptisch. „Nicht mein Typ."

Kate drehte sich wieder um und verdrehte gekonnt ihre Augen. Auch dabei sah sie keineswegs arrogant aus, sondern einfach wie...Kate.

„Besser so. Dann brauche ich mir keine Sorgen zu machen.", zwinkerte sie mir zu und damit war das Thema beendet.

Eine Gruppe von Jugendlichen erhob sich lautstark und trampelte aus dem Café, in die warme, sonnige Abendluft von Los Angeles. Langsam leerte sich Starbucks, doch grade wenn der Lautstärkepegel ein wenig heruntergefahren war, ging die Schiebetür auf und neue Leute betraten das Café.

Ich hasste solche Menschenmassen, aber Kate hatte mich extra eingeladen, um mir irgendetwas Wichtiges mitzuteilen. Also wollte ich es schnell hinter mich bringen.

„Also Kate, was ist so wichtig, dass du mir nicht am Telefon sagen konntest?", fragte ich schnell, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf einen anderen Typen im Geschäft lenken konnte.

Naserümpfend verzog sie ihr Gesicht und zu keiner großen Überraschung sah sie auch dabei wunderschön aus. Kate hatte etwas an sich, dass Jungs dazu veranlasste, sich nach ihr umzudrehen und ihre Nummer auf ihren Kaffeebecher zu schreiben, bevor sie auch nur den Mund aufmachte. Ganz im Kontrast zu mir.

„Lucy, ich habe eine Antwort vom College in Florida.", begann sie sich zu erklären und mein Blick glitt zu dem Mann, der mich vor wenigen Minuten noch angestarrt hatte. Er rauschte an uns vorbei, sein Mantel hing über seinem Arm, als er durch die Schiebetür trat und kurz darauf verschwunden war. Ein Mantel? Im Sommer?

„...was sagst du dazu, Lucy?", vollendete Kate ihre Erklärung. Erschrocken riss ich meinen Kopf herum und starrte sie an.

„Hast du mir überhaupt zugehört?", meinte sie leicht beleidigt, um dann prüfend ihre Arme vor der Brust zu verschränken.

„Sorry, ich habe...ich war kurz abgelenkt – was meinst du? Florida?", antwortete ich schnell, damit meine entschuldigende Miene ihren vorurteilshaften Blick verschwinden ließ.

Seufzend nickte Kate.

„Ja. Ich habe eine Zusage, aber keine Ahnung, ob ich wirklich nach Florida möchte."

„Aber da wolltest du doch schon immer hin?"

Stirnrunzelnd trank ich den letzten Schluck meines Frappucinos aus.

„Ja, klar, aber ich war jetzt knapp ein Jahr in Europa unterwegs, ich bin erst seit wenigen Monaten wieder in L.A. Soll ich wirklich schon wieder so weit wegziehen?"

„Florida ist dein Traum, Kate. Erinnerst du dich? Du redest darüber, seitdem wir 15 Jahre alt sind. Wieso stellst du das jetzt in Frage?", redete ich mich in Rage. Verdammt, was war plötzlich los mit mir? Seit wann war ich so direkt?

Verblüfft zog Kate ihre Augenbrauen in die Höhe und fing dann an zu lachen.

„Wieso lachst du?", sagte ich leise, doch mir wurde plötzlich klar, wie surreal eine direkte, selbstbewusste Lucy doch war.

„Wow, Lucy. Alles in Ordnung bei dir?", feixte Kate gütlich, trank einen Schluck von ihrem Cappuccino und holte ihr rosafarbenes I-Phone aus der Tasche.

Abgelenkt senkte ich meinen Kopf und schaute mich interessiert um. Pärchen, die Händchen hielten und sich verliebt ansahen, junge Studenten, die auf ihren MacBooks tippten, Frauen, die ein Buch lasen und dann gab es mich. Die unsichtbare Lucy.

Als ich aus dem Fenster starrte, erschrak ich plötzlich. Der Mann, der eben das Café verlassen hatte, stand vor Starbucks, angelehnt an meinen roten Mini. Seine grau-melierten Haare schimmerten im Schein der Sonne, seine dunkle, reflektierende Sonnenbrille hatte bestimmt 100 Euro gekostet und seine selbstbewusste Haltung bereitete mir Angst.

„Lucy, meine Güte, wieso bist du heute so abweisend?", riss Kate mich aus meiner Starre und entdeckte mein bleiches Gesicht. „Lucy?"

Besorgt folgte sie meinem Blick, der immer noch auf dem älteren Typen haftete. Er musste bestimmt Mitte vierzig sein.

„Wer ist das denn? Kennst du den?", meinte Kate irritiert, da meine männlichen Kontakte sich ausschließlich auf meinen besten und langjährigen, schwulen Freund Toby bezogen.

„Keine Ahnung.", murmelte ich leise. Mittlerweile jagte mir der Typ Angst ein. Er sah aus, wie irgendein Türsteher von einer Bar. Zwar nicht so breit, aber seine Haltung strahlte Bedrohung aus. Nein, Macht. Sie strahlte Macht aus.

„Und was machte der Typ dann an deinem Auto?"

„Ich kenne den nicht, Kate!", rief ich gereizt. Ich hasste es. Wieso trat ich überhaupt noch vor die Tür?

„Der sieht gut aus.", bemerkte sie beiläufig, um sich dann wieder ihrem Handy zuzuwenden.

„Was?"

Meine Stimme zitterte leicht. Diese Situation überforderte mich.

„Ja, findest du nicht?"

Wieso sollte er gut aussehen? War das das Einzige, was sie bemerkte? Spürte sie nicht die Bedrohung, die von ihm ausging? Machte er ihr etwa keine Angst?

„Lucy, ich muss los, Tom möchte mich noch treffen, er ist die Woche noch in Los Angeles – sehen wir uns am Wochenende bei Marie?", redete sie geschäftig, während sie ihr Handy wieder wegpackte und sich elegant erhob. „Ich wollte mit dir zuerst über Florida sprechen. Du weißt schon, weil wir zusammen diesen Traum hatten."

Betreten nickte ich.

Eigentlich war unser Plan einfach gewesen. Highschool Abschluss, Arbeiten fürs College, nach Florida ziehen. Die Stadt, in der Enrique Iglesias wohnte. Unser beider Lieblingssänger. Wir wollten studieren, Geld verdienen, weg aus Los Angeles. Bis meine Mutter erkrankte.

Über mich muss man nur ein paar Dinge wissen – ich bin 19 Jahre alt, Einzelkind, lebe bei meiner alleinerziehenden Mutter, da mein Vater uns verlassen hat, als ich 4 Jahre alt war. Meine Mutter ist vor zwei Jahren an Krebs erkrankt, arbeitsunfähig und mittlerweile bettlägerig. Ich arbeite vierzig Stunden in der Woche in einem Restaurant, um die Krankenhauskosten zu bezahlen. Der Traum vom College ist erstmal auf Eis gelegt.

„Klar, Kate. Danke.", antwortete ich mit belegter Stimme, erhob mich ungeschickt und umarmte sie kurz. Als sie aus dem Café trat, rauschte sie an dem mysteriösen Typen vorbei, lächelte ihn an und winkte mir durch das riesige Fenster zu. Kurz darauf fuhr sie in ihrem Mercedes von dannen.

Und dafür sollte ich nun aus dem Haus treten? Das hätte Kate doch auch mit mir am Telefon besprechen können?

Kurz glitt mein Blick wieder zu meinem roten Mini. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass der Typ endlich verschwunden war.

Gott sei Dank! Ich umklammerte krampfhaft meinen Kaffeebecher, stand auf und warf ihn ungeschickt in den Mülleimer. Natürlich traf ich ihn nicht, sodass ich mich bücken musste, um ihn aufzuheben und peinlich berührt in den Müll zu werfen.

Wie ich es doch hasste.

Nervös trat ich durch die quietschende Schiebetür. Die brennende Sonne knallte in mein Gesicht und ich kniff reflexartig meine Augen zusammen. Meine Sonnenbrille lag natürlich im Auto.

Seufzend fischte ich meinen Schlüssel aus meiner Hosentasche, um meinen Mini aufzuschließen. Mein liebes Auto. Das einzige, was ich mir je im Leben geleistet habe. Natürlich gehörte der Wagen nicht mir, er war geleast.

Grade als ich in mein Auto steigen wollte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Ruckartig drehte ich mich um, den Türgriff meines Wagens fest umklammert.

Da stand er. Der Mann. Schluckend starrte ich ihn an.

„Kann ich ihnen helfen?", fragte ich mit zittriger Stimme. Auch wenn ich versuchte, sie fest und selbstbewusst klingen zu lassen, konnte ich nichts gegen meinen nervösen Unterton tun.

„Brust raus, Kinn in die Höhe, Lucy.", hörte ich meine Mutter in Gedanken rufen. Brust raus, Kinn in die Höhe. Ich gehorchte.

Bei genauerer Betrachtung, sah der Mann noch unheimlicher aus. Seine Augen konnte ich nicht erkennen, da die Sonnenbrille nur mein eigenes Bild widerspiegelte. Er war circa 1,80 Meter groß, breit, modern gekleidet. Er trug ein weißes Hemd und eine schneeweiße Hose. Aber das markanteste an ihm, war der stoppelige drei Tage Bart, der sein Gesicht auf eine interessante Art und Weise zur Schau stellte. Dieser Typ hatte Stil. Perfekt für Kate.

„Sie haben ihr Handy verloren.", antwortete der Mann mit australischem Akzent. Seine dunkle, raue Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Er streckte seine Hand aus und hielt mir mein Smartphone hin. Mit weitaufgerissenen Augen, vollkommen erstarrt in meiner Bewegung, stierte ich auf seine Hand.

„Miss?", fragte der Mann und legte seinen Kopf leicht schräg. Reiß dich zusammen, Lucy! Verflucht!

„D-danke.", stotterte ich leise, während ich mir eine imaginäre Ohrfeige verpasste.

Nickend nahm ich das Handy entgegen und berührte für einen kurzen Moment seine warme Hand. Ein Schlag durchzuckte mich. Ich konnte noch nicht einordnen, ob er sich gut anfühlte oder schmerzte.

Rasch hob ich wieder meinen Kopf. Auf den dritten Blick sah er doch älter aus, als Mitte vierzig. Er nahm seine Sonnenbrille ab. Zum Vorschein kamen eisblaue, klare Augen. So klar wie der Himmel über LA.

„Jason.", lächelte er mich freundlich an. Auch wenn er sich anscheinend bemühte höflich zu wirken, strahlte er immer noch eine gewisse Bedrohung aus, die ich mir nicht wirklich erklären konnte.

Irritiert schüttelte ich meinen Kopf und verzog mein Gesicht. Was, Jason?

„Mein Name ist Jason.", wiederholte er sich stirnrunzelnd und seine Stirnfalten prägten sich stark in sein sonnengebräuntes Gesicht ein.

„Ja. Okay, Danke, Jason.", murmelte ich als Antwort. Ich wollte hier weg. Was wollte der Typ von mir?

„Und du?",

„Lucy.", stieß ich prompt hervor. Verdammt, wieso sagte ich einem Fremden meinen Namen?

„Schöner Name, Lucy."

Seine strahlendweißen Zähne blitzten auf und unweigerlich musste ich schlucken. Die Situation bereitete mir immer mehr Angst. Zuerst beobachtete mich der Typ im Café – mich, obwohl ich niemals angestarrt werde. Nie. Ich war unsichtbar. Niemand interessierte sich für mich. Wieso ausgerechnet ich? Und jetzt, gab er mir mein Handy wieder. Moment mal – wie hatte ich es überhaupt verlieren können?

„Kennen wir uns?", schoss es aus meinem Mund heraus. Ich entwickelte mich ja zu einer richtigen Smalltalk Bombe.

„Nein.", antwortete er ruhig und ich verdrehte reflexartig meine Augen. Und was sollte das Theater dann? Ich hatte wirklich keinen Nerv für diese Spielchen.

Seine blauen Augen hafteten in meinem Gesicht und sein Blick schien mich zu durchbohren, so intensiv sah er mich an. Es schaute so aus, als ob er nach etwas suchte, aber es verwirrte mich nur zunehmend.

„Möchtest du etwas essen gehen?", räusperte er sich kurze Zeit später, während ich innerlich ausatmete. Essen? Jetzt? Du? Waren wir jetzt schon beim ‚du'?

„Ich kenne Sie nicht.", entgegnete ich zurückhaltend, um dann teilnahmslos mit den Schultern zu zucken. Nein, ich wollte nicht mit ihm essen gehen.

„Dann lernen wir uns kennen."

„Nein, danke."

„Doch."

Erschrocken riss ich meinen Kopf hoch. Doch? Sag mal, was hatte der Typ für ein Problem?

„Lass uns etwas essen gehen.", setzte er nochmal nach, diesmal versuchte er seine Stimme zu kontrollieren.

„Ich habe keinen Hunger.", beendete ich unser Gespräch und drehte mich zu meinem Wagen um. Mit zitternden Händen schloss ich meine Autotür auf. Als ich mich wieder zu ihm wandte, erschrak ich.

Er war wie erstarrt. In seinem Gesicht schienen die unterschiedlichsten Gefühle zu explodieren, doch am meisten erschreckte mich seine frustrierte Mimik. Die Augen leicht zusammengekniffen, den Mund zu einem dünnen Strich gezogen und seine Haltung leicht aggressiv.

„Wieso funktioniert das nicht? Was bist du für ein Mädchen?", murmelte er, fast schon verzweifelt.

„Was?", gab ich bloß von mir. Einsteigen und wegfahren war keine gute Idee, da er vor meinem Auto stand und ich ihn sonst umfahren würde.

„Du darfst nicht ins Auto steigen.", rief er frustriert und kopfschüttelnd wich ich einige Schritte zurück, um mich hinter meiner Autotür zu verstecken.

„Nein, Sie müssen erst wegtreten."

War doch klar, dass ich ihn nicht umfahren würde.

„Bitte steige nicht in das Auto.", sagte er leise, fast schon zu leise, um ihn wirklich verstehen zu können.

„Wieso das denn nicht?", fragte ich irritiert, während meine Hände sich an der Tür festkrallten. Ich wollte hier weg. Sofort.

Er schwieg.

„Bitte, Lucy."

In seinem Blick spiegelte sich pure Verzweiflung wieder. Was wollte der Mann denn nur von mir?

„Du bist ein wunderbares Mädchen.", sagte er mit fester Stimme und trat einen Schritt auf mich zu. Doch die Autotür gab mir Deckung. War er vielleicht ein Perverser? Wollte er mich kidnappen? Vergewaltigen? Umbringen? Wieso dachte er, ich wäre wunderbar?

Gott, was war ich nur für ein naives Ding! Wieso fuhr ich nicht einfach davon? Doch irgendetwas an ihm ließ mich erstarren. Ich kämpfte dagegen an, ich wollte hier weg, doch gleichzeitig spürte ich eine Angst in mir emporkriechen, die mir den Atem raubte. Sie war plötzlich so intensiv, dass ich zu zittern begann. Ein unglaublich großer Druck schlug auf meine Brust und ließ mich hustend nach Luft schnappen.

Der Mann fixierte mich mit seinen eisblauen Augen. Es schien, als würde jeder Schmerz von ihm ausgehen, er sollte aufhören mich anzustarren. Sofort!

„Steig nicht in den Wagen, Lucy.", sprach er, aber seine Lippen bewegten sich nicht. Verwirrt verzog ich mein Gesicht, doch eine neue Welle der Angst machte sich in mir breit. Ich hustete, schloss meine Augen und versuchte krampfhaft Luft zu holen.

Seine Worte hallten in meinem Kopf wider, immer und immer wieder.

Plötzlich hörte der Schmerz auf. So schnell, wie er gekommen war, verschwand er. Keuchend wollte ich dem Mann in die Augen schauen, ihn anschreien, doch er war nicht mehr da. Er war verschwunden.

Panisch schaute ich mich um, drehte mich um meine eigene Achse, umkreiste meinen Wagen, blickte den Gehweg hoch und runter. Keine Menschenseele, kein unheimlicher Mann. Einfach niemand schien da zu sein. Lediglich in Starbucks war die Hölle los.

Zitternd stieg ich in mein Auto und verriegelte die Türen. Ich schloss meine Augen, um die Dinge zu verarbeiten, die ich eben gesehen hatte. Wurde ich nun verrückt? Was passierte hier mit mir? Was sollte das? Hatte ich mir diesen Jason nur eingebildet?

In LA waren es bestimmt über dreißig Grad, doch ich fror. Wieso war mir auf einmal so kalt? Schluckend steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss, startete den Wagen und fuhr auf die Straße. Ich schaltete das Radio an und lauschte einem Lied von Eric Clapton. Tears in Heaven.

 

„I must be strong, and carry on
Cause I know I don't belong
Here in Heaven."

 

Ich liebte dieses Lied.

Je weiter ich mich von Starbucks entfernte, desto mehr beruhigte ich mich. Bis zu mir nach Hause waren es ungefähr 15 Meilen. Ich versuchte vehement die Tatsache zu ignorieren, dass ich anscheinend wirklich an Halluzinationen litt.

Ich hielt an einer Ampel an und summte mit dem Lied mit, dass einen großen Teil zu meiner Beruhigung beitrug. Musik war mein Leben, die einzige, kostenlose Ruhe Oase in meinem chaotischen und stressigen Leben.

Tief ein und ausatmend, starrte ich auf die Ampel und wartete darauf, dass sie grün wurde.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, sprang sie endlich auf das grüne, freundliche Männchen. Ich trat aufs Gas und überquerte die Kreuzung.

Ein plötzliches, lautes Hupen, ein lauter Knall, Funken sprühten, mein Airbag flog in mein Gesicht und ich schlug mit dem Kopf gegen die Lehne meines Sitzes. Etwas Heißes, Klebriges lief meine Schläfe herunter, über meine Wange, tropfte auf mein T-Shirt. Blut. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, er war taub, alles kribbelte. Mein Kopf funktionierte, aber meine Glieder wollten nicht mehr gehorchen. Ich dachte an meine Mutter. Wer sollte sie pflegen? Wie konnte sie die Kosten bezahlen? Wer würde ihr Frühstück machen? Sie waschen? Sie an ihre Medikamente erinnern?

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich ein schwaches Licht, nein, es war kein wirkliches Licht, es war ein Schimmer. Er blendete mich kurzzeitig und vor meinen Augen tauchte das Gesicht aus. Jasons Gesicht.

„Du solltest nicht ins Auto steigen, Lucy.", rief er streng. Fast hätte ich gelacht. Doch das hier war nicht zum Lachen. Es war ernst. Ich hatte einen Unfall. Ich spürte meinen Körper nicht. Blut tropfte aus einer Kopfwunde und floss in mein Ohr. Ein dröhnendes Piepen, das ich erst jetzt bemerkte, schien in meinem Gehörgang zu explodieren. Es wurde immer lauter. Schriller.

Und dann, wurde ich aus dem Sitz geschleudert.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.09.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke, fürs Lesen!

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