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1. Die Flucht

Es war mal wieder so ein düsterer grauer Tag in Ratzelshausen. Rudi Ratte ärgerte jede Ratte die ihm über den Weg lief. Er biss sie, oder nahm ihnen ihr Futter weg, er pöbelte junge Rattenmädchen an, und raufte wo er nur konnte mit deren Brüdern.

Durch dieses Niederdruckwetter stank es auch noch erbärmlich in und aus der Kanalisation. 

Familie Rattinger bzw. der gesamte Clan wollte hier nicht länger leben. Jeden Tag war etwas Anderes, und man war sich einig, dass man endlich einmal ein Leben in Luxus führen zu will, und nicht unter so schlechten und Teils brutalen Bedingungen wie hier.

 

Das Oberhaupt Opa Ratlovsky Rattinger gab wegen Altersschwäche die Führung an seinen Sohn Ratro weiter. Nun liegt es an ihm den Rattenclan gut übers Meer zu bringen. Jeder erwachsenen Ratte war natürlich bewusst, dass es ein sehr gefährliches und gewagtes Abenteuer werden wird. Aber nichts und niemand konnte sie mehr von ihrem Vorhaben abbringen.

 

Still und heimlich trafen sich alle am nächsten Morgen um 5 Uhr am Hafen ein.

Dort lag die Radnetkor, ein kleiner Raddampfer, der erst im Vorjahr eine Veränderung vom Fracht- auf den Personenverkehr erfahren durfte. Sie war in der ganzen Stadt Ratzelshausen als Flüchtlings- und Einwanderungsschiff bekannt, und hatte unten am Hafen ihren Ankerplatz. So zeitig in der Früh ist nur die Belegschaft der Radnetkor an Bord. Deshalb konnte sich der Rattingerclan nicht nur unbemerkt sondern auch gefahrlos auf den Dampfer schleichen.

 

Nicht alle Ratten von ihnen waren schnell oder beweglich. Nicht nur auf die Großeltern musste man achten, sondern auch auf die etwas rundlicheren Ratten, denen bald die Luft ausging. So wurden sie in die Mitte genommen, damit sie nicht verloren gingen. Die Kleinsten wurden von ihren Müttern am Rücken getragen.

 

Im letzten Winkel ganz unten entdeckte Ratro mit seinem ältesten Sohn Ratefsky ein schönes, warmes und trockenes Plätzchen für alle. Hier roch es nach Getreide, nach Erdäpfel, Linsen, und vielen anderen guten Sachen. Diese befanden sich zum größten Teil in Säcken, was für die Nager natürlich kein Hindernis darstellt.

Ratringo, der kleinste und rundlichste der Geschwister schrie plötzlich vor Freude: Wir sind im Schlaraffenland! Überall nur Essen! Schaut doch!

Die Großeltern nickten etwas müde und geschwächt, die Erwachsenen lächelten alle zufrieden aber ermahnten doch leiser zu sein. Die Kinder waren zwar nicht mehr ganz so laut, jedoch hüpften und tobten sie weiter vor Freude herum.

 

„Jetzt beruhigt euch doch wieder, und sucht euch lieber einen Schlafplatz.“, ermahnte sie Mutter Ratuschka genervt. Onkeln, Tanten und deren Kinder sowie die Rattingers, suchten sich ein passendes Versteck wie sie meinten, und sie nisteten sich gemütlich ein. Die Männer hielten abwechselnd Wache, da man ja nicht wusste was noch geschehen würde. Da die Aufregung in den letzten Tagen sehr groß und sie übermüdet waren, schliefen sie danach sofort ein.

 

Plötzlich gab es, also dieses plötzlich dauerte danach 4 Stunden, einen lauten Krach und ein Gepolter. Lärmende Menschen waren zu hören und ein hektisch klingender Mann mit einer weißen Schürze kam immer näher. Jetzt waren alle hell wach, und wie es den Anschein hatte, mussten sie mal wieder um ihr Leben rennen.

So, dem brutalen aber gut riechenden Mann mit der weißen Schürze waren sie vorerst entkommen, aber in Sicherheit waren sie noch lange nicht. Sie stellten mit Entsetzen fest, dass sie schon auf hoher See waren, und der Schürzenmann der Koch ist. Ständig hatte er ein Messer in der Hand und fuchtelte damit herum.

Ratringo meinte überwitzig: „Wenn er mit den Karotten fertig ist, sind die Streifen, die in den Kübel fallen, richtig mundgerecht geschnitten.“ Kaum hatte er das gesagt, macht er sich auch schon auf den Weg Richtung Kübel. Opa Ratlovsky war für seine Kopfstücke bekannt. Das ging ratzfatz bei ihm, und schon lag Ratringo mit der Nase am Boden. Jeder der es sah, musste kichern. Und natürlich wurde es weiter erzählt. Dann half ihm Opa hoch und meinte kopfschüttelnd: „Möchtest du im Suppentopf landen?“

Nun riss Ratringo seine großen Kulleraugen sehr weit auf, schluckt kurz und meinte kleinlaut: „Nein Opa.“

Wir setzen uns hinter diesen großen Bottich und warten bis er mit den Abfällen vorbei gehen wird. Wenn wir erst einmal ausspioniert haben wo er diese hinbringt, haben wir auch eine Futterquelle.

Jedoch ist das leichter gesagt als getan. Denn wenn der Koch erst einmal begonnen hatte, hörte er auch so schnell nicht wieder auf.

 

Den jüngsten Ratten knurrt der Magen und Geduld gehört natürlich noch nicht zu ihren Stärken.

Ratringo hatte einfach keine Lust länger zu warten und folgt seinem knurrenden Bauch sowie seiner vorzüglichen Nase.

Zum Glück gingen ihm einige andere Ratten nach, damit er nicht wieder in ein Schlamassel gerät. Und es war gut, denn als er den Krümeln am Boden folgte, stand er auf einmal vor einem Jungen, der ein Brot aß.

Als dieser Ratringo erblickte murmelte er mit vollem Mund: „Eine Mauf, da ift eine Mauf.“ Seine Mutter drehte sich zum ihm um und tadelte ihn, dass er doch erst hinunter schlucken soll bevor er etwas sagt. Nachdem endlich sein Mund leer war, zupfte er am Ärmel seiner Mutter und sagte es noch einmal: „Da ist eine Maus Mama!“

Sie schaute in die Richtung, in der er zeigte und kreischte auf, sodass sich alle zu ihnen umdrehten. Sie zappelte von einem Fuß auf den Anderen ständig hin und her als würde das helfen. Dieses unnatürliche Gehopse brachte ihr den Namen „zappel Else“ ein.

Ratringo, dem sofort klar wurde, dass er gemeint war versuchte zu fliehen. Doch leider stolperte er vor Aufregung über die Schnürsenkel eines anderen Jungen und fiel hin. Ein Mann der daneben stand reagierte zu seinem Leidwesen blitzschnell und griff nach der kleinen Ratte. In hohem Bogen warf er sie in Richtung Meer. Zum Glück knallte Ratringo am Handlauf dagegen und fiel zu Boden. Sein „Gefolge“ schleppte ihn von den Menschen weg. Schön langsam erholte sich der Rattenjunge, aber ihm brummte gewaltig der Schädel. In der Zwischenzeit wurde seine Familie verständigt. Gemeinsam ging man wieder zu den Schlafplätzen. Während Ratringo dieses schreckliche Erlebnis hatte, besorgten die Anderen Futter. Nach dem Essen bekam er natürlich eine Moralpredigt, die sich gewaschen hatte, aber um ehrlich zu sein, die hatte er sich aber auch verdient. Glücklich dass er noch da war aber dennoch schadenfroh, lachten ihn seine Schwestern aus. Sie kicherten um die Wette und meinten: „So was kann auch nur dir passieren.“ Doch leider hatten sie damit Unrecht. Ständig war irgendeinem von ihnen der Koch im Nacken. Und so manche Ratte landete in dessen Kochtopf oder in der Pfanne.

 

Am nächsten Tag kam auch noch ein starkes Unwetter mit einem Sturm auf, dass der Dampfer nur so wackelte und alle mussten hinein bzw. nach unten. Es war ein Gedränge auf engstem Raum. Der Rattinger Clan lebte ständig mit sehr großer Angst entdeckt zu werden. Die Oma meinte sehr schwach: „Ich bin froh, wenn das einmal eine Ende hat, aber ich glaub nicht, dass ich es noch erleben werde.“

Opa streichelte sie sanft, nickte mit dem Kopf und flüsterte ihr ins Ohr: „Doch du wirst meine Liebe. Ich lasse gar nichts Anderes zu.“

 

Die weiblichen Ratten mit den Kindern versuchten zu schlafen, die Männchen hielten Wache und wechselten sich ab. Nach zwei Tagen ließ der Sturm endlich nach. Es stank fürchterlich unter Deck. Und zu allem Übel gab es auch noch Kranke an Bord. Niemand war wirklich sicher, und so manche Ratte fragte sich, ob auswandern wirklich so eine gute Entscheidung war.

 

Oh Schreck, die Kleinsten Ratten huschten plötzlich nach oben, und die Eltern sofort hinter her. Doch es kam wie es kommen musste. Der Boden war so klitschig und nass, dass sie keinen Halt unter ihren kleinen Beinchen bekamen. Durch ihr Tempo flutschten und schleuderten sie am Boden entlang über die Brüstung. Welche Tragödie, die Eltern setzten alles auf eine Karte, denn sie wollten ihre Kleinen unbedingt erwischen. Statt sie retten zu können, sausten sie den Kleinen ins offene Meer hinterher.

Es gab keinen Halt, kein entrinnen. Ratefsky und Opa Ratlovsky konnten nur geschockt und entsetzt zusehen. Voll Trauer und mit hängendem Kopf gingen sie zurück zu den Anderen um ihnen von dem tragischen Geschehen zu berichteten.

Da sie der Verlust ihrer lieben Familienmitglieder sehr stark getroffen hat, aßen sie in den nächsten beiden Tagen nichts.

Großvater Ratlovsky sorgte sich um seine Frau und fand deshalb als Erster die Sprache wieder. Ratefsky, du bist der Erstgeborene, du musst die Stelle deines Vaters einnehmen und den Clan, bzw. was davon noch über ist, anführen.

 

Es ist eine große Verantwortung die nun auf Ratefskys Schultern lastet. Er ist sich nicht sicher, ob er das schaffen kann, aber er will sein Bestes geben und es zumindest versuchen.

Die Schifffahrt dauerte noch eine ganze Woche. Es ist und war die härteste Zeit an die sich die Geschwister heute erinnern können. Denn sie haben auch noch Tanten und Onkeln mit all den Cousinen und Cousins verloren. Niemand von ihnen hätte das je gedacht. Endlich war das Festland in Sicht, aber  das Gewusel sowie die Aufregung gingen wieder von vorne los.

2. Die Ankunft

Endlich nach all der Schunkelei, den Unwettern, dem Gestank, den Kranken, den vielen Verlusten, und der Angst doch nicht zu überleben, legte das Schiff mit Familie Rattinger an Bord im Hafen von Neiw an.

Sie waren alle erschöpft und sehr müde, aber dennoch konnten sie es kaum erwarten endlich an Land gehen zu können. Jedoch auch diesmal zeigte es sich, dass es nicht so einfach geht, wie man sich es gewünscht hätte.

 

Diese Menschen, ein einziger wilder und rücksichtsloser Haufen. Haben eh nur zwei Beine, und da rennen die kreuz und quer als wär der Koch hinter ihnen her. Jetzt wo die Aufregung vorbei war, und man das Schiff endlich verlassen kann, haben die Menschen wieder eine Hektik, dass die Hälfte reichen würde, dachte Oma Ratnoschka zornig.

„Nun heißt es Ruhe bewahren und eng zusammen bleiben“, sagte Ratefsky besorgt.

 

Da es am Boden zu gefährlich für sie war, gingen sie über Seile, Balken und auf der Unterseite der Handläufe bis sie endlich den Hafenboden unter ihren Beinen hatten.

Da es auch noch zu allem Übel regnete, fanden sie ganz in der Nähe in einer Bushaltestelle unter einer Bank Schutz, Hier konnten sie sich ungestört beratschlagen und dem Wetter vorübergehend zumindest entfliehen.

 

Sie haben beschlossen in die andere Richtung zu gehen als diese Menschen. Alles nur nicht mit der Masse mitlaufen, denn die Gefahr zertreten zu werden ist viel zu groß.

Trotz des dicken Fells war Familie Rattinger vom Regen total durchnässt.

Sie entdeckten nach vielen Gassen und Straßen endlich im Haus Kuchalplatz 7 ein Kellerabteil, das von hinten bis vorne mit leeren Kartonagen gefüllt war. Da bei einem Kellerabteil ein Fenster ohne Scheibe war, konnten sie unbeschwert in den Keller klettern. Hungrig und erschöpft von der langen Reise wollten sie erst einmal dort zur Ruhe kommen. Einfach nur trocken werden und endlich ausgiebig schlafen. Erst danach wird zusammen überlegt wie es weitergehen soll.

 

Ratten leben normal in großen Gruppen. Jedoch am Schiff haben sie sehr viele Verluste beklagen müssen. Ihre Mutter Ratuschka, den Vater Ratro sowie alle Tanten, Onkeln und deren Kinder. Jetzt sind nur noch die Oma, der Opa und die Enkelkinder aus einer Familie zusammen. Jede der Ratten hat selbstverständlich auch einen Vornamen.

 

So heißen die Jungs:

Ratefsky ist der Älteste, und der Jüngste heißt Ratringo.

 

Deren Schwestern hören auf die Namen:

Ratinska, Ratruska, Ratluba, Ratraika, Ratbara.

 

Und dann

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: E. Maria K.
Bildmaterialien: E. Maria K.
Cover: E. Maria K.
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2022
ISBN: 978-3-7554-2294-5

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