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Wilde Jagd

 

»Im Füchtorfer Moor haben sie eine Moorleiche gefunden!«

Den ganzen Sommer über hatten Archäologen in dem als Naturschutzgebiet ausgewiesenen Niederungsmoor eine alte germanische Kultstätte ausgegraben, aber mit so einem spektakulären Fund hatte niemand gerechnet, und das zum Ende der Grabungskampagne. Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch den Ort und war auch das Thema bei den Schülern der örtlichen Gesamtschule.

Sara drückte die Ohrstöpsel tiefer in ihre Ohren, während sie sich mit dem Strom der anderen zu ihrem Klassenraum treiben ließ. Die Klänge ihrer Lieblingsband sperrten das dumme Gequatsche der Schüler aus, die sich gegenseitig mit grausigen Details zu übertreffen suchten: Der Mann sei hingerichtet worden, man habe ihn aufgehängt und dann ins Moor gelegt, die Zunge hinge ihm wie ein Lappen aus dem Mund, es handele sich um ein Menschenopfer und so weiter. Wenn sie doch endlich aufhören würden, bevor jemand merkte, wie sehr sie das alles ängstigte! Schon als kleines Kind hatte sie sich vor Mumien und Skeletten gegraust, und auch jetzt noch ließen die Erzählungen über den schaurigen Fund ihrer Fantasie die Zügel schießen.

In der großen Pause stellte sich Sara zu Tim, Marc, Kai und Micha unter die stattliche Eiche. Nach einem bislang goldenen Oktober war es plötzlich kalt geworden. Ein schneidender Wind fegte gelbe und braune Blätter von den Bäumen. Zitternd wickelte sie den Parka enger um ihren Leib. Eine Eichel landete neben ihren Füßen, und sie kickte sie weg. Misstrauisch musterte sie ihre Freunde. Die vier Jungs waren so zappelig – was heckten sie aus?

»Heut ist Halloween …«

Marcs lauernder Unterton ließ Sara nichts Gutes ahnen. »Und?«

Tim schlug ihr auf die Schulter, als sei sie einer seiner Kumpel. »Na, ist doch klar, Alter. Im Ort ist bestimmt nix los, also gehen wir heut Nacht uns die Moorleiche anschauen. Schön gruselig.«

Nachts ins Moor? Die spinnen doch!, schoss es Sara durch den Kopf, obwohl sie es besser wusste. Denen war es bitterernst. Schreckensbilder krochen in ihr hoch. »Die wird sicher bewacht.«

»Eben nicht!« Wie immer, wenn Kai aufgeregt war, kiekste seine Stimme. Heute überschlug sie sich geradezu. »Mein Alter macht doch auf Grabungshelfer bei denen, deshalb weiß ich, dass sie nur eine Plane drübergelegt haben. Wer sollte auch ’ne Moorleiche klauen?«

Mist! Sara kroch noch tiefer in die zu weite Jacke. Das Kapuzenband hing ihr jetzt genau unter der Nase. »Ich weiß nicht … Geht mal lieber allein. Das Moor ist gefährlich, und wenn ihr bei der Ausgrabung was kaputt macht …!«

»Mi-mi-mi, du Mädchen!«

Sara knuffte Kai härter, als dass er es noch freundschaftlich auffassen konnte. »Stimmt auffallend.« Sie schoss einen Seitenblick auf Micha ab. Wie stand er dazu?

Der stieß sich lässig vom Stamm ab und baute sich vor Sara auf. »Kneifen gilt nicht. Wenn du dazugehören willst, so richtig, musst du mitkommen.«

Wie immer, wenn er in ihrer Nähe war, prickelte Saras Haut. Micha war toll! Er war schon sechzehn, also ein Jahr älter als die anderen – kleben geblieben, wie er immer gleichgültig sagte  , größer und – hm, ja – männlicher als der Rest der Bande. Er war überhaupt der tollste Junge, den Sara kannte, und ihr »Okay« schien direkt von ihren weichen Knien aus wie eine Blase ihren Bauch hinaufzusteigen und über ihre Zunge zu rollen.

Anerkennung blitzte in seinen blauen Augen auf. »Klasse. Ich wusste, auf dich kann man zählen.«

Kai verdrehte die Augen. »Als ob!«

Zu Saras Freude beachtete Micha ihn gar nicht. »Wir treffen uns heute Abend um zehn mit den Fahrrädern am Unkemännerbrunnen.« Das war der übliche Treffpunkt in Füchtorf, direkt auf dem Kirchplatz.

Es klingelte, und die Schüler strömten zurück ins Schulgebäude. Sara war froh, dem eisigen Wind zu entkommen, der nicht gerade Lust darauf machte, sich die Nacht im Freien um die Ohren zu schlagen. Und was würde Tante Hilde dazu sagen? Ach richtig, die würde ja mit ihren Hexen abhängen. Innerlich stöhnte sie. Dieser Wicca-Kram war oberpeinlich! Aber die Tante war sonst

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Kathrin Brückmann, Rigaer Str. 102, 10247 Berlin
Bildmaterialien: Kathrin Brückmann
Lektorat: Edith Parzefall
Tag der Veröffentlichung: 15.10.2015
ISBN: 978-3-7396-1826-5

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