Gregor stieg aus dem Bus aus und wendete sich nach rechts, um noch schnell im Supermarkt einzukaufen. Er kam gerade aus der Schule und hatte großen Hunger. Ein wenig beneidete er seine Freunde darum, dass bei ihnen zu Hause fertiges Essen auf sie wartete, aber das war wohl einfach der Preis, den er dafür bezahlen musste, dass seine Eltern beide einen Vollzeitjob ausübten. Darüber in Gedanken verloren, ging er die bunt gepflasterte Straße weiter bis zum Haus der Familie Riedermann, ein schönes Fachwerkhaus, bei dem gerade erst die Fassade frisch gestrichen wurde, und das ihn nun hellgrün anstrahlte. Hinter diesem lindfarbenen Blickfang bog links ab und stand direkt auf dem Parkplatz der einzigen Kaufhalle im ganzen Ort. Insgesamt war der Weg schön und ruhig gewesen, so wie immer. Die Sonne brannte jedoch regelrecht vom Himmel. Alle Farben schienen eine Spur zu grell und jedes Fenster auf seinem Weg blendete ihn.
Der Gymnasiast begann zu überlegen, was er eigentlich kaufen wollte. „Was soll ich mir am besten kaufen? Ich bin total hungrig, also sollte es möglichst schnell gehen, aber Fertigessen schmeckt nicht.“, murmelte Gregor vor sich, „Am besten ich such schnell eine einfache Beilage zu Nudeln, das schmeckt immer gut und geht schnell.“ Er begann aufzuzählen, was er kaufen wollte: „Penne, passierte Tomaten, gemischtes Hackfleisch..., Oh was ist denn das jetzt?“ Er hatte soeben den Eingangsbereich de Supermarkts betreten, als er ein Piepen bemerkte, das aus seinem Rucksack drang. Sein Handy, noch so ein altes Teil, das aussah wie ein enger Verwandter eines Bordsteins, konnte es nicht sein, denn das war in seiner Hosentasche. Er nahm den Rucksack von seinem leicht verschwitzten Rücken und begann hektisch darin zu wühlen. In dem mittleren Fach wurde er fündig und entdeckte den Auslöser für dieses nervtötende Geräusch. Ihm wurde schlagartig übel. Es war der neue Pieper, den er von der Freiwilligen Feuerwehr bekommen hatte, und das Piepen bedeutete, dass er zum Gerätehaus musste. EIn Feuerwehreinsatz stand an. Heute sollte also der Tag sein, an dem er seinen ersten Einsatz hatte. Ihm lief ein eiskalter Schauer über den Rücken und er begann zu zittern. „Letzte Woche bin ich doch erst mit der Grundausbildung zum Feuerwehrmann fertig geworden und jetzt schon mein erster richtiger Einsatz:“, dachte er bei sich.
Angst stieg langsam in ihm hoch. Er war doch gerade erst siebzehn und vom Ausbildungsstand her so weit, dass er zu einem richtigen Einsatz mitfahren durfte. Doch davor hatte er Angst. Er wollte nichts falsch machen und sich nicht vor seinen Kameraden blamieren. Ganz davon abgesehen, dass ein Einsatz auch immer ein gewisses Risiko für alle Beteiligten darstellte. Pllötzlich fiel ihm ein, dass er hier immer noch herum stand und Zeit vertrödelte. Wie elektrisiert begann er zur Feuerwache zu rennen, seinen offenen Rucksack noch in der Hand. Gregor lief, als wäre ein Rudel Wölfe hinter ihm her. Keuchend und schnaufend vor Erschöpfung kam er am Gerätehaus innerhalb weniger Minuten an, da er in einem relativ kleinen Dorf lebte. Das Tor des Gebäudes war bereits geöffnet und das neue Feuerwehrauto stand mit laufendem Motor davor. Es strahle wie ein roter Feuerball durch das gleißende Sonnenlicht. Einige Feuerwehrmänner waren bereits fertig umgezogen hinter dem Fahrzeug angetreten. „Na los Greg, beeil dich! Zieh dich um und tritt an!“ rief ihm einer seiner Kameraden zu. Gregor stürmte durch die große Fahrzeughalle in den Umkleideraum, stieß dabei fast mit Peter zusammen, der in die entgegen gesetzte Richtung lief, warf den Rucksack in seinen Spint und zog schnell die Uniform über seine Straßenkleidung. Dann lief er wieder raus und trat hinter Markus. Der Gruppenführer besah sich die Gruppe und sagte: „Also Kameraden, es handelt sich um einen Mittelbrand im Nachbarort. Die Kameraden haben dort bereits mit dem Einsatz begonnen, wir sind zur Unterstützung da und wegen der Ausbreitungsgefahr des Brands alarmiert worden. Aufsitzen!“ Auf dieses Kommando reagierten alle sofort, es war eines der Signalworte, auf das jeder Feuwehrmann zu reagieren lernt. Gregor lief um das Fahrzeug herum und nahm in Fahrtrichtung auf dem Platz des Schlauchtruppmannes platz. Die Türen wurden geschlossen, das Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet und los ging die Fahrt. „Und Greg, bist du aufgeregt? Ist doch dein erster richtiger Einsatz oder?“, fragte Markus, sein Truppführer. Gregor zögerte einen Moment und gestand dann: „Ja, das ist mein erster Einsatz und mir geht ziemlich die Muffe.“ Die anderen lachten kameradschaftlich und versicherten ihm, dass er keine Angst zu haben brauchte und dass es ihnen bei ihren ersten Einsätzen nicht anders ergangen sei. Markus flüsterte ihm vertraulich ins Ohr: „Mach dir keine sorgen Kleiner, ich pass schon auf dich auf. Außerdem verlegen wir voraussichtlich nur die Schlauchleitungen für die anderen, falls wir überhaupt etwas zu tun haben.“ Dies beruhigte Gregor und er atmete für einen Moment erleichtert auf.
Bereits einige Minuten später waren sie am Einsatzort angekommen. Sie stiegen ab und traten hinter dem Fahrzeug an. Der Gruppenführer erklärte ihnen kurz, sie sollten hier warten, während er sich mit dem Einsatzleiter besprach. Gregor versuchte sich einen Eindruck von der Situation zu machen, dafür betrachtete er aufmerksam das in Brand geratene Gebäude. Ihm wurde dabei angst und bange. Es war eine alte Scheune, ganz aus Holz gebaut. Sogar das Dach war mit Holzschindeln gedeckt. Ihm wurde klar, dass er mit Sicherheit etwas zu tun bekommen würde, und dass die Einstufung als „Mittelbrand“ grenzwertig war. Er hoffte inständig, dass er bei dem ersten Einsatz in seinem Leben nicht gleich selbst zum Löschen in das Gebäude gehen müsste. Obwohl Gregor Feuerwehrmann war, hatte er nicht nur gebührenden Respekt vor der Kraft des Feuers, sondern fürchtete dessen zerstörerische und lebensfeindliche Kraft. So wie es für ihn in diesem Moment aussah, würde diese Holzhütte bis auf die Fundamente abbrennen. Die Hitze war bereits jetzt höllisch. Der bisher einzige Hoffnungsfunke war, dass die Scheune noch nicht lichterloh in Flammen stand. Sie rauchte und qualmte und Gregor konnte durch zwei Fenster an der Seite des Gebäudes Flammen zucken sehen. Der Anblick zog ihn in seinen Bann. Er hatte zwar Angst vor der Auswirkung der Flammen, aber ihr Spiel faszinierte ihn. Sie bewegten sich schnell, zuckten und flackerten auf, und glichen dabei beinahe rotem Herbstlaub, das vom Wind während eines Sturms zum tanzen gezwungen wurde. Es schien als würden sie sich willenlos einer Melodie hingeben, die niemand sonst zu vernehmen schien. Dies war wie der Wiener Opernball, auf dem die Lohen Tango und Flamenco tanzten.
Dieser Anblick fesselte den jungen Feuerwehrmann so sehr, dass er beinahe nicht mitbekam, wie der Gruppenführer zurückkam und Anweisungen verkündete. Markus holte ihn in die Realität zurück. „Komm los, träum nicht, wir müssen schnell die Schlauchleitung verlegen. Dort hinten am Teich steht gleich unsere Maschine, dort ist der Verteiler. Siehst du es? Gut. Jetzt hol dir einen B-Schlauch und folge mir.“ Gregor tat wie ihm geheißen und rannte mit dem schweren Schlauch unter dem Arm Markus hinterher. Dieser war bereits an der Tragkraftspritze angekommen und rollte den ersten Schlauch aus. Greg wusste, was er zu tun hatte. Er schätzte die richtige Entfernung ab und rollte seinen Schlauch Richtung Verteiler aus. Das eine Ende drückte er Markus, der ihm entgegen gerannt kam in die Hand und das andere Ende packte er und rannte zum Verteiler. Dort kuppelte er schnell den schlauch an. „Mensch, das lief ja super, gut gemacht kleiner Mann.“, lobte ihn Markus, er bereits neben ihm stand, „Aber jetzt nicht nachlassen, wir verlegen gleich die Leitung für den Wassertrupp.“
Als sie damit fertig waren, und die beiden Trupps bereits in der Scheune zum Löschen waren, kam eine Durchsage über Funk. Gregor konnte sie nicht verstehen, aber als Markus das Funkgerät wieder in die Brusttasche steckte, sagte dieser nur: „Wir gehen rein. Die anderen haben dort hinten eine Leitung für uns vorbereitet. Atemschutz angezogen und rein ins warme!“ Er lachte. Gregor, bisher vor lauter Adrenalin nicht in der Lage war zu Denken, merkte, wie in ihm ein Anflug von Panik hochkam. „Manno-mann, und das bei meinem ersten Einsatz. Hoffentlich geht alles gut.“, schoss es ihm durch den Kopf. Sie liefen zurück zum Fahrzeug, rüsteten sich entsprechend aus und bezogen Posten an vorderster Front. Gregor war schweißnass, zum einen war es immerhin die Mittagszeit an einem warmen Sommertag, dann hatte er zwei dicke Schichten isolierender Feuerwehreinsatzkleidung über seiner normalen Kleidung an und jetzt sollte er auch noch in ein brennendes Gebäude gehen, dass die gleiche Temperatur wie ein Stahlwerk zu haben schien. Im Gebäude wurde ihnen durch Handzeichen gezeigt, wo genau sie sich aufstellen sollten. Zu Gregors Erleichterung standen sie nicht weit vom offenen Scheunentor entfernt. Hier sollten sie vor allem zur Abkühlung des Gebäudes beitragen. Sie forderten „Wasser Marsch!“ und ein paar Augenblicke später füllte sich der schwere Schlauch mit Wasser. Markus drehte das Strahlrohr auf und Gregor bemühte sich so gut es ging den Schlauch zu halten. Der Wasserdruck war größer als bei der letzten Übung, also fuhr die Maschine volle Kraft, folgerte Gregor. Er wusste, dass über ihnen, im ersten Stock, vier Kameraden versuchten Brandherde zu löschen. Die anderen Trupps waren ebendo wie Gregor und Markus im Erdgeschoss verteilt. Die Löscharbeiten schienen allerdings keine allzu große Auswirkung auf den Brand zu haben. Regelrecht unbeeindruckt von den Anstrengungen der Kameraden, tanzten die Flammen weiter.
Wie gebannt fing Gregor wieder an diesen Tanz zu beobachten. Sie schienen zu spielen und sahen gar nicht mehr sonderlich bedrohlich aus. Gregor hatte den Eindruck, als würden die Flammen dem Wasser bewusst ausweichen, um in ruhe weitertanzen zu können. „Das ist natürlich absoluter Blödsinn“, dachte er bei sich, „Flammen, die wild umher tanzen. Das ist einfach nur ein Feuer. Ein Feuer, das wir löschen werden.“ Er schrak heftig zusammen, denn er glaubte in den Flammen ein fürchterliches Gesicht gesehen zu haben. Seine Fantasie schien ihn heute narren zu wollen, dabei brauchte er doch eigentlich einen klaren Kopf in dieser Situation. Doch da war es schon wieder, das Höllengesicht. Es sah ihm genau in die Augen. Ihm war, als blickten ihn die Flammen an. Es war wie die Fratze eines Dämons, rot glühend und mit amorphen Umrissen. Es schien aus flüssiger Lava zu bestehen, denn es tropften Flammen auf den bereits brennenden Boden herunter. Nun erblickte Gregor, der wie gelähmt schien, noch mehr Umrisse im Spiel der Flammen. Der Körper des Dämons war zwar schwer auszumachen, aber er schien ebenfalls aus Lava zu bestehen und glomm blutrot und schwarz. Die Kreatur der Hölle war riesig und über und über mit Flammen bedeckt. Sollten die Flammen vielleicht eine Art Tarnung darstellen, damit man das Geschöpf nicht erkennen konnte? Wieso sah Gregor es dann inzwischen so deutlich?
Das Gesicht des Dämons schien riesig, es hatte stechende, gelbe Augen und war von Flammen eingehüllt. Die Lava riss auf und Gregor erkannte einen Mund, aus dem Flammen stoben. Plötzlich hörte er eine Stimme, die scheinbar aus dem Mund kam und so gar nicht zu dem äußeren Erscheinungsbild passen wollte, sie war eiskalt und durchzuckte ihn wie Blitzschläge. Er verstand nur einige Worte, die sie sprach: „Du kannst mich sehen? Das ist bedauerlich für dich, denn nun muss ich dich und deine Kameraden töten. Versuche ruhig zu fliehen, aber ich verspreche dir, dass ich dich einholen und qualvoll verbrennen werde.“ Gregor beobachtete daraufhin einen gewaltigen Arm aus glühender Lava, der nach der Decke über ihnen schlug. Er realisierte in diesem Moment, dass die Decke zu knistern und knacken begann und rot aufglomm. Er schlug Markus auf die Schulter und schrie ihm ins Ohr: „Raus hier, die Decke kommt runter!“, dieser reagierte zum Glück sofort auf den Zuruf, warf einen Blick zur Decke, drehte das Wasser ab, packte Gregor und rannte mit ihm die 25 Meter zum Ausgang. Im Lauf schrie er in sein Funkgerät, dass alle sofort den Rückzug antreten müssten, da das Gebäude einzustürzen drohte. Sie rannten zum Ausgang, über ihnen knackte die Decke und begann rot zu glühen. Sie schafften es noch rechtzeitig heraus, ebenso sieben weitere Kameraden, die sich in der Nähe eines Ausgngs befunden hatten. Zwei andere Trupps waren noch in der Scheune, Gregor glaubte einen Kameraden am Fenster im ersten Stock gesehen zu haben. Direkt hinter diesem Kameraden sah er zwei stechende gelbe Augen. In diesem Moment stürzte jedoch das Gebäude komplett in sich zusammen. Es krachte gewaltig, und Gregor war, als hörte er ein hohes, eiskaltes Lachen. Für einen kurzen Moment glaubte er die Flammengestalt noch einmal zu sehen, wie sie ihn mit ihrem Gesicht aus flüssiger Lava böse anstarrte. In ihren Augen lag ein tödliches Versprechen.
Nachdem sich alle versammelt und neu besprochen hatten, begannen die Kameraden von außen zu Löschen, um den Brand unter Kontrolle zu halten. Ein Trupp wurde mit Flammenschutzanzügen ausgestattet um nach den möglichen Überlebenden zu suchen. Viel Hoffnung für sie, hatte hier jedoch niemand mehr. Es war einfach unmöglich in einer solchen Situation überleben zu können. Markus nahm Gregor an die Seite und sah ihn sehr ernst an. „Wie hast du sehen können, dass die Decke einstürzt? Ich selbst habe keine Anzeichen dafür erkannt, dabei habe ich viel mehr Erfahrung als du und hatte die Decke die ganze Zeit im Blick.“, fragte er ihn. Dieser wollte nichts von der Flammengestalt erzählen, es erschien ihm jetzt hier draußen geradezu lächerlich. Mit Sicherheit hatten ihm das Adrenalin und die Flammenhölle zum Narren gehalten. „ Ich weiß nicht genau. Ich hatte das irgendwie im Gefühl und habe dann noch einen Stützbalken durchbrechen gesehen.“, log er. Markus sah ihn ein wenig misstrauisch an, sagte dann aber nur: „Danke Kleiner, du hast neun Kameraden im letzten Moment das Leben gerettet. Uns beide inbegriffen. Sollten wir wieder einmal zusammen in solch einer Situation sein, dann vertrau bitte wieder deinem Gefühl und beobachte genauso gut wie vorhin. Ich verdanke Dir mein Leben.“. Gregor nickte bloß und brach dann vor Erschöpfung zusammen.
Tag der Veröffentlichung: 16.03.2013
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