Confiteor Deo omnipotenti, quia peccavi nimis cogitatione, verbo et opere.
Ich bekenne Gott dem Allmächtigen, dass ich allzu sehr gesündigt habe in Gedanken, Worten und Werken.
Ja, ich habe allzu sehr gesündigt. Ich habe gesündigt durch Hochmut. Ich habe gesündigt durch Wollust. Durch Hochmut, indem ich unserem ehrwürdigen Abt den schuldigen Gehorsam verweigert und damit mein wichtigstes Ordensgelübde gebrochen habe. Durch Wollust, indem ich ein weiteres Ordensgelübde gebrochen habe: das des Keuschheitsgebotes. Und ich bekenne, dass mich diese zwei Todsünden schließlich zu einer noch tödlicheren Sünde verführt haben.
Freimütig will ich vor Gott, dem Allmächtigen, meine schweren Sünden bekennen. Als Lehrer im Gymnasium unseres Klosters habe ich in grober Missachtung des äbtlichen Gebotes Schülereltern nicht nur in den dafür bestimmten Räumlichkeiten empfangen, sondern auch in meiner Klosterzelle. Dir ist sicherlich bekannt, dass meistens nur ein Elternteil in die Sprechstunde kommt, und da wieder in der überwiegenden Mehrzahl die Mütter. Nun hat es die Natur so eingerichtet, dass manche von ihnen entweder attraktiv oder wenigstens noch jung sind. Oder auch jung und attraktiv. Ferner gibt es Mütter, die sind fromm und keusch. Und es gibt Mütter, die sind es eben nicht und erliegen wie einstmals unsere Stammmutter Eva nur allzu leicht den Einflüsterungen der Schlange. Das sind, in Evas Nachfolge, die Verführerinnen.
Und, ja, eine dieser Verführerinnen hatte es offenbar auf mich abgesehen. Wir wollen sie Magda nennen. Und obwohl ich doch pausenlos betete: Vater unser, führe uns nicht in Versuchung ... Nun, wer immer es war, Vater unser oder gar der Satan, in Versuchung hat er mich tatsächlich geführt. Und ich bin ihr erlegen.
In der Abgeschiedenheit meiner Klosterzelle empfing ich Magda und ließ mich dadurch in Versuchung führen. Ich sah sie begehrlich an – genauer, musste sie begehrlich ansehen. Jawohl, musste, auch wenn Jesus lehrt: Jeder, der eine Frau begehrlich ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. Nur, wie hätte ich’s verhindern sollen? Ich hätte denn die Augen niederschlagen müssen, hätte sie gar nicht ansehen dürfen. Nur, wäre das nicht der Gipfel der Unhöflichkeit gewesen? Und überhaupt: Wenn eine Frau besonders attraktiv ist, kann ein Mann ja gar nicht anders, als sie „begehrlich anzusehen“. Das hat Gottvater oder Mutter Natur so eingerichtet. Und schließlich ist ein Gottesmann eben auch ein Mann. Also habe ich mich mit dem bloßen begehrlichen Ansehen schon der Todsünde der Unkeuschheit, der Wollust, schuldig gemacht.
Trotzdem wäre alles anders gekommen, hätte mich Magda nur an den jeweiligen Sprechtagen besucht, um mit mir über ihren Filius zu plaudern. Aber nein, das war ihr nicht genug. Ihre Besuche wurden immer häufiger. Bald wusste sie auch, welche Tageszeit dafür die geeignetste war. Sie machte mir, wie gesagt, schöne Augen. Zugleich erzählte sie mir mit rückhaltloser Offenheit von ihrem Leben und vor allem von ihrer Ehehölle. Ich versuchte sie zu trösten. Zuerst nur mit Worten. Und dann auch mit harmlosen Zärtlichkeiten. Wofür sie mir anscheinend so dankbar war, dass sie mir eines Tages unverhofft ihren Arm um den Hals schlang und mich gar zärtlich auf den Mund küsste. Damit war das Tor zur Todsünde der Luxuria, der Wollust, aufgestoßen, und es gab kein Halten mehr. Nichts konnte diesem Drang zur Sünde Einhalt gebieten. Es war, wie wenn ein Staudamm bricht und ungeheure Wassermassen sich unaufhaltsam in die Tiefe stürzen. Adam und Eva drängte die Schlange, von der verbotenen Frucht zu kosten. Uns drängte sie, desgleichen zu tun.
Muss ich näher ins Detail gehen? Es genüge zu sagen, dass, nachdem wir einmal von der verbotenen Frucht gekostet hatten, damit nicht mehr aufhören konnten. Im Gegenteil, der Drang der Schlange wurde stärker und stärker. Wie hätten wir da aufhören können? Es war uns einfach unmöglich, auch wenn wir es noch so heftig gewollt hätten. Aber wir wollten es ja nicht einmal. So süß war diese Frucht, dass wir ...
Nun gut. Natürlich konnten und wollten wir auch nicht ständig in meiner Klosterzelle sündigen. Sonst wäre man uns, das heißt, wäre man mir bestimmt gar bald auf die Schliche gekommen. Und da gingen wir daran, die Stätte unseres sündigen Treibens nach außen zu verlegen, fern vom Kloster. Du weißt ja, die Wände in einem Kloster haben Ohren. Außerdem war Magda von einer derartigen Leidenschaft besessen – jawohl, besessen –, dass sie, wenn sie zu den Höhepunkten kam, ekstatische, verstörende, verräterische Schreie ausstieß. Also ließ ich mich außerhalb des Klosters von ihr mit dem Auto abholen, jedes Mal an einer anderen Stelle. Und dann fuhr sie mit mir irgendwohin, wo wir uns ungestört unserer tödlichen Sünde hingeben konnten. Und das war entweder ein abgelegener Landgasthof, wo man uns nicht kannte, oder, noch lieber, irgendwo in der freien Natur, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen und wo daher keine Gefahr der Entdeckung drohte.
Mit der Zeit jedoch wurde eine solche Lebensweise anstrengend und mir sogar lästig. Bedurfte sie doch ständiger Vorsicht, ständiger Ausreden, ständiger Lügen. Und ständig saß mir wie eine Faust die Angst im Nacken, mein allzu freizügiger Lebenswandel könnte ruchbar werden und mir, bildlich gesprochen, Kopf und Kragen kosten. Aber mir erging es wie einem Süchtigen: Er weiß nur zu genau, dass die Sucht seine Gesundheit ruinieren wird. Nur, er kann und will von ihr nicht loskommen. Aber dann bin ich eines Tages doch von ihr losgekommen. Von der Sucht. Und von Magda. Nur, wie das zuging, das treibt mir Tag für Tag aufs Neue die Tränen und die Schamesröte ins Gesicht.
Auf der Suche nach einem einsamen Liebesnest wanderten wir wieder einmal durch Feld und Flur, durch Wald und Forst. Magda gab sich auffallend einsilbig, trug ein missmutiges Gesicht zur Schau. Ich fragte, ob ihr denn eine Laus über die Leber gelaufen sei.
Zuerst wollte sie nicht mit der Sprache heraus. Aber dann verwandelte sich der Stau an Worten unvermittelt in einen Wasserfall an Worten. Das Problem, das ihr zu schaffen machte, bestand, kurz gesagt, in den drei Worten: Ich bin schwanger.
„Aber du hast doch einen Ehemann. Dem kannst du ohne weiteres ...“
„Nein, mein Lieber. Kann ich nicht. Unsere Ehe besteht nur noch auf dem Papier. Geschlafen haben wir schon, was weiß ich, wie lang nicht mehr miteinander. Ist dir klar, was das bedeutet? Nein, wie sollte es auch. Also hör zu. Daran wird er sofort erkennen, dass ich fremdgegangen bin. Er wird mich zur Schnecke machen. Er wird mich bestrafen.“
„Bestrafen?“, wiederholte ich kopfschüttelnd.
„Ja. Indem er mich totprügelt.“ Und mit lauter, zorniger Stimme: „Totprügeln wird er mich. Oder doch fast. Und dich auch, sobald er weiß, wer der Übeltäter ist, der ...“
„He, das ist ja furchtbar. Damit bringe ich unsere Klostergemeinschaft, unseren Orden, die Kirche in Verruf. Und mich selber natürlich am allermeisten.“
„Ha? Und sonst fällt dir dazu nichts ein?“
„Wie meinst du das, Liebste?“
„Nenn mich nicht Liebste, wenn dir dazu sonst nichts einfällt. Du liebst mich ja gar nicht, du Schuft. Das wird mir jetzt erst klar.“
Schuft? Und: Ich liebe sie ja gar nicht? Dieser Ausbruch machte mich so betroffen, dass es mir die Sprache verschlug. Im Übrigen ging es momentan ohnehin steil bergauf, sodass ich meine gesamte Atemluft für die Mühsal des Bergaufstapfens brauchte. Aber zugleich war ich in sorgenvolle Gedanken versunken. Denn wie sollte es jetzt mit uns, mit mir, weitergehen? In keiner Richtung konnte ich einen ehrenvollen Ausweg erkennen. Es war die pure Katastrophe. Ein wahrer Super-GAU. Und wer ist schuld daran? Klar, ich selber. Auch. Vor allem aber sie. Die Magda. Die Verführerin. Sie hat mich verführt. Und nicht ich sie. Und ihretwegen soll ich mir jetzt meine Zukunft kaputt machen lassen? Ihretwegen soll ich ein Verfemter werden? Ein Ausgestoßener? Ein Unberührbarer? Ein Paria? Schöne Aussichten sind das! Schön? Nein, grauenhaft, finster, schwarz. Tiefschwarz.
Während ich so mit mir debattierte, hatten wir das steile Stück endlich hinter uns gebracht und fanden uns am oberen Rand einer hohen Felswand wieder, die nicht nur einen tollen Fernblick bis zum Horizont erlaubte, sondern auch einen ebenso tollen Blick in einen schwindelerregenden Abgrund.
Nur einen Blick?, schoss es mir durch den Kopf.
Wer mag mir diesen Gedanken eingegeben haben? Das kann nur der Satan höchstpersönlich gewesen sein.
Nur einen tollen Blick? O nein, die Felswand erlaubt auch einen tollen Sprung in den Abgrund. Man müsste nur ein wenig nachhelfen ...
Also gut. Ich half ein wenig nach. Ja, ich gestehe vor Gott: Ohne lang zu überlegen, half ich nach. Von hinten trat ich kräftig auf Magdas Bein, und sie machte einen entschlossenen Schritt nach vorn. Und trat – natürlich – ins Leere. Und war im nächsten Augenblick verschwunden. Ihr gellender Schrei dauerte nur Sekundenbruchteile. Danach war er verstummt. Magda war verstummt. Verstummt für immer. Und ich blieb zurück und zitterte am ganzen Leib, und meine Knie wollten mich nicht mehr tragen und ließen mich wie einen vom Blitz gefällten Baum zu Boden sinken, hätten mich um ein Haar Magda nachgeschickt. Mein Gesicht bedeckte sich mit heißen Tränen. Ich weinte um meine Geliebte. Und ich weinte um mich selbst. Und kann jetzt nur hoffen, dass du als mein Beichtvater mir die Absolution erteilst. Und dich zugleich dem Beichtgeheimnis verpflichtet fühlst und mich dadurch vor Gericht und Gefängnis bewahrst. Und dass Gottvater mir vergibt und vor dem nie erlöschenden Feuer der Hölle bewahrt.
Texte: Karl Plepelits
Cover: Von Francisco José de Goya (1746 - 1828) (Spanish)Details of artist on Google Art Project - -gEcs4kLjNE4uA at Google Cultural Institute maximum zoom level, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23597650
Tag der Veröffentlichung: 30.04.2021
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