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Aristophanes und das Obszöne

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Büste des Aristophanes. 1. Jahrhundert nach Christus.

Florenz, Uffizien. Inv. 1914 n. 372.

Herkunft: aus der Villa Medici in Rom. Erwerbung für die Uffizien: 1780

 

 

 

  

 

Es war der jüngst vergangene Neujahrstag (2021). Wir machten einen Spaziergang durch den verschneiten Grazer Stadtwald, meine Frau und ich, und plauderten gerade über die Corona-Pandemie – klar, worüber sonst. Und da erwähnte meine Frau in irgendeinem Zusammenhang die Karl-Marx-Straße, meinte aber die nach einem Grazer Komponisten benannte Josef-Marx-Straße. Aber natürlich, Karl Marx ist ja auch die bei weitem bekanntere Persönlichkeit. Aus diesem Versprecher entwickelte sich im Nu eine lebhafte Diskussion pro und contra Kommunismus. Und ich erinnerte mich, gelesen zu haben, dass in Ostdeutschland viele Menschen der DDR nachtrauern, weil sie die unbestreitbaren Vorteile des kommunistischen Systems nicht mehr genießen können – und seine ebenso unbestreitbaren Nachteile offenbar vergessen haben.

Wieso hat das kommunistische System überhaupt Nachteile, fragte sie. In der Theorie ist es ja das Nonplusultra des menschlichen Zusammenlebens: Alle Bürger sind gleich.

Klar, in der Theorie. Nur, die Praxis sieht halt anders aus. Da dauert es niemals lang, bis sich über die Masse der „gleichen“ Bürger eine Schicht von Leuten setzt, die „gleicher“ sind. So formuliert es George Orwell in seinem (anti)utopischen Roman Animal Farm (erschienen 1945): „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“ Animal Farm gilt ja als Parabel auf die Geschichte der Sowjetunion.

Die erste politische Utopie der Literaturgeschichte ist Platons Politeia (Staat), sein Entwurf eines Idealstaates. Darin werden die Bürger in drei Stände eingeteilt. Das sind: erstens die Philosophen als Herrscher, zweitens die Wächter und drittens die Arbeitenden. Die Arbeitenden behalten ihre gewohnte traditionelle Lebensform bei. Nicht so die Wächter und Herrscher. Deren Lebensform hört sich ebenso spektakulär wie revolutionär an und ist daher weit über die Antike hinaus zum berühmtesten und meistdiskutierten Theorem der Politeia geworden. Sie lautet, kurz gesagt: Kein Privatbesitz. Und das geht konsequenterweise bis zur Sozialisierung des „Besitzes“ an Frauen und Kindern, mit anderen Worten, bis zur Frauen- und Kindergemeinschaft.

Dasselbe Ziel predigte von allem Anfang an der Kommunismus. Da ging es also nicht nur um die allgemein bekannte Beseitigung von Privatbesitz. Tatsächlich war das sowjetische Familien- und Eherecht in den ersten anderthalb Jahrzehnten nach der Oktoberrevolution durch Bestrebungen gekennzeichnet, die Familie abzuschaffen. Die von der bürgerlichen Familie wahrgenommenen Funktionen der Kindererziehung, Haushaltsführung und Vermögensanhäufung sollten auf die Gesellschaft übertragen werden.

Das säkulare kommunistische Experiment hätte der Menschheit erspart bleiben können, hätten dessen Begründer ein bestimmtes literarisches Werk gelesen und sich dessen Aussage zu Herzen genommen. Es betitelt sich Die Ekklesiazúsen, ist im weitesten Sinne ebenfalls eine Utopie und stammt aus der Feder des athenischen Komödiendichters Aristophanes.

Aristophanes – sein voller Name lautet, wie auf der im Cover abgebildeten antiken Büste zu lesen ist: Aristophanes, Sohn des Philippides, aus Athen (die antiken Biographien nennen den Vater hingegen Philippos) – lebte von ca. 445 bis nach 385 v. Chr. Über sein Leben ist uns trotz der erwähnten Biographien kaum Sicheres bekannt. Jedenfalls ist er der berühmteste Vertreter der sogenannten Alten Komödie und damit für uns der erste Komödiendichter der europäischen Literatur. Seine Stücke sind überreichlich nicht nur mit jeder denkbaren Art von Humor, sondern auch mit den allerdeutlichsten Obszönitäten gewürzt. Es ist in der Tat unglaublich, mit welcher Direktheit er das Sexuelle behandelt. Goethe, der 1780 eine freie Prosabearbeitung der aristophanischen Vögel zur Aufführung brachte, nennt ihn im Epilog geistreich einen „ungezogenen Liebling der Grazien“, auch wenn seine eigene Version der Komödie auf „Ungezogenheiten“ und Obszönitäten weitgehend verzichtet.

Dies ist freilich nur ein Aspekt der aristophanischen Komödien. Ebenso kennzeichnend ist beißende Kritik an gesellschaftlichen und politischen Zuständen, verbunden mit scharfen, meist sehr persönlichen Attacken gegen lebende Personen, vor allem gegen Politiker, wie man sie sich in einer modernen Demokratie kaum erlauben dürfte, geschweige denn in einem autoritär geführten Staat. In einem solchen würde sie ein Autor kaum sehr lange überleben. Hinzu kommen parodistische Bosheiten auf Dichterkollegen, kecke Mythentravestie und erotisch-phantastische Burleskerie. Überhaupt spielt die Phantastik bei Aristophanes eine bedeutende Rolle. Man kann ihn mit Recht Begründer der Fantasy-Literatur nennen. Und dazwischen, man möchte es kaum glauben, erfreut den Zuschauer (Hörer, Leser) überwältigend schöne Lyrik.

Auffallend ist auch der mangelnde Respekt vor den Göttern. Das heißt aber nicht, dass Aristophanes Atheist war. Im Gegenteil, in einer seiner Komödien (Thesmophoriazúsen, Vers 442ff.) tritt eine alleinerziehende Mutter von fünf kleinen Kindern auf, die sich mit dem Flechten von Kränzen nur mühsam über Wasser hält. Sie beschwert sich über den Tragödiendichter Euripides, weil er den Menschen einredet, es gebe gar keine Götter, „sodass wir nicht einmal mehr die Hälfte Umsatz machen.“

Ein unentbehrlicher Bestandteil des klassischen Dramas, also auch der Tragödie, ist der Chor, griechisch chorós („Tanz, Tänzerensemble“), der zwischen den Akten in der Orchestra („Tanzplatz“) tanzte und sang. Die meisten Aristophanes-Stücke sind nach dem jeweiligen Chor betitelt.

44 Komödien hat Aristophanes insgesamt geschrieben; so viele waren jedenfalls den hellenistischen Literaturwissenschaftlern in Alexandria bekannt. Vollständig erhalten haben sich davon immerhin elf. (Seinen Kollegen Eupolis und Kratinos ist es nicht so gut ergangen. Von ihren Komödien sind nur Fragmente auf uns gekommen.) Um nur die bekanntesten Stücke zu nennen:

Die Wolken, eines der berühmtesten und zugleich umstrittensten Werke der Weltliteratur. Die Mitglieder des Chores sind als Wolken kostümiert. Ihr erstes Chorlied (Vers 275ff.) gehört zum Schönsten griechischer Poesie. Den aktuellen Hintergrund des Stücks bildet der Kampf gegen die nach Meinung des Dichters verderblichen neumodischen Erziehungsideale, die durch das Wirken der sophistischen Aufklärung immer größere Resonanz fanden. Und die Wolken gelten da eben als die Götter der neuen Zeit. Im Mittelpunkt stehen der Generationenkonflikt, die Erziehung der Jugend und die von Philosophen und Sophisten eingeführten Neuerungen. Aber Zielscheibe der Satire ist ausgerechnet Sokrates mit seinem Phrontisterion („Denkerei“), wo er vom Hängebrett aus die Sonne beobachtet, wo man den Flohsprung misst und die Herkunft der Insektentöne ergründet – und wo man die neumodische Bildung mit ihrer Kunst des Rechtsverdrehens lehrt. Am Ende des Stückes wird das Phrontisterion von einem enttäuschten Schüler kurzerhand in Brand gesteckt – der einzige düstere Schluss in einem Aristophanes-Stück.

Dieser aristophanische Sokrates ist von dem uns durch Platon vertrauten Sokrates von Grund auf verschieden. Platon selbst schreibt in der Apologie (Verteidigungsrede) des Sokrates dieser Komödie eine Mitschuld an den Vorwürfen zu, die 24 Jahre später, im Jahre 399 v. Chr., dazu geführt haben, dass er wegen Unfrömmigkeit und Verderbens der Jugend vor Gericht gestellt, zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde (was die Athener bald bitter bereut haben; seit damals datiert das Prinzip der Freiheit der Wissenschaft). Andererseits zeigt uns Platons Symposion (Gastmahl) Aristophanes und Sokrates in freundschaftlichem Gespräch vereint. Die Teilnehmer an diesem Gastmahl halten der Reihe nach Reden über die Erotik. Sie hatten sich die Aufgabe gestellt, das Wirken des Gottes Eros zu würdigen. In Aristophanes‘ Rede geht es darum, dass die Menschen ursprünglich kugelförmig waren und vier Hände und vier Füße hatten, und dass es drei Geschlechter gab: das männliche, das weibliche und das mann-weibliche. Später wurden sie zur Strafe für ihren Übermut in zwei Teile zerschnitten. Aus den Kugelmännern wurden die männlichen Homosexuellen, aus den Kugelfrauen die Lesbierinnen, und aus den mann-weiblichen Kugelmenschen die Heterosexuellen. Die nun zweibeinigen Menschen leiden schwer unter der Trennung von ihrer jeweils anderen Hälfte. Sie sehnen sich nach ihr, und wenn sie sie finden, umschlingen sie einander in der Hoffnung, wieder zusammenzuwachsen. So sucht auch heute noch jeder seine verlorene Hälfte. Und die Sehnsucht nach ihr nennt man Liebe.

Der Friede. Ein Weinbauer fliegt auf einem riesigen Mistkäfer (mithilfe der mechané, der Theater-Flugmaschine) in den Himmel. Er will bei Zeus vorsprechen, um endlich zu erfahren, was dieser mit den kriegsgeplagten Griechen vorhat. Aber dort trifft er nur Hermes an. Von ihm erfährt er, dass sich die Götter in die höheren Ätherregionen zurückgezogen haben, um dem irdischen Kriegslärm zu entgehen. Aber mit Hilfe der Bauern, Handwerker und Kaufleute ganz Griechenlands gelingt es ihm, die von Polemos, dem „Krieg“, versteckte und gefesselte Eirene, den „Frieden“ (im Griechischen weiblich, daher der Frauenname Irene), sprich, die Friedensgöttin, zu befreien. Mit ihr zum Vorschein kommen zwei nackte Mädchen, Opóra, der „Fruchtsegen“, und Theoría, die „Festesfreude“. Mit allen dreien gelangt er – ohne Mistkäfer – zurück auf die Erde, wo sich sogleich die Segnungen des Friedens einstellen. Die Schlussszene, in der er Opóra zum „Traualtar“ geleitet, ist nicht ohne dreiste Anspielungen auf den bevorstehenden Vollzug der Ehe. Der Chor singt: „Seiner ist groß und dick, und süß ist ihre Feige“ (Vers 1351f.).

Die Vögel: Zwei bejahrte Athener wollen auswandern und kommen im Gespräch mit dem Wiedehopf auf die Idee, die Vögel sollten in einem luftigen Zwischenreich zwischen Himmel und Erde eine Stadt gründen, Nephelokokkygía („Wolkenkuckucksheim“) nennen und „mit großen gebackenen Ziegeln ummauern“ (Vers 552). „Und wenn Zeus nein sagt ..., ja, dann sollt ihr ihm den heiligen Krieg erklären und den Göttern verbieten, mit steifem Schwanz euer Gebiet zu durchqueren, wie sie früher ständig herabstiegen, um sterbliche Frauen zu vögeln. Falls sie aber doch kommen, dann sollt ihr ihnen die Eichel versiegeln, damit sie die Frauen nicht mehr vögeln“ (Vers 555ff.). Gleichzeitig sollen die Götter ausgehungert werden, indem man die von der Erde aufsteigenden Opferdüfte nicht mehr passieren lässt. So soll die Weltherrschaft der Vögel – sie ist ja älter als die der Götter – wiederhergestellt werden. Schon davor rief der Wiedehopf, singend und begleitet von der Flöte, die den Gesang der Nachtigall nachahmt, in der berühmten „Zwitscherarie“ den Chor der Vögel herbei (Vers 227ff.):

Epopopoi popoi popopoi popoi

io io ito ito

kommt alle her, ihr meine Mitgefiederten,

alle, die ihr die wohlbestellten Saatfelder der Bauern

aberntet, ihr Abertausende Völker von Gerstenpickern

und Geschlechter von Körnersammlern,

schnell Fliegende, weiche Töne von euch Gebende,

und ihr, die ihr in der Furche dichtgedrängt

die Scholle sanft so umzwitschert

mit fröhlicher Stimme:

tiotio tiotio tiotio tiotio,

und ihr, die ihr in den Gärten auf des Efeus

Zweigen euch das Futter sucht,

und ihr auf den Bergen, die ihr wilde Oliven nascht

und die Früchte der Erdbeerbäume fresst,

kommt, fliegt herbei auf meine Stimme zu:

trioto trioto totobrix,

und ihr, die ihr in sumpfigen Tälern spitzrüsselige

Mücken schnappt, und ihr, die ihr die feuchten Gebiete der Erde

bewohnt und die liebliche Wiese von Marathon,

und du, buntgefiederter Vogel, Haselhuhn, Haselhuhn,

und ihr, deren Völker über den Wogenschwall

mit den Halkyonen (Eisvögeln) fliegt,

kommt hierher, um die Neuigkeit zu erfahren!

Denn alle Völker versammeln wir hier

der langhalsigen Vögel.

Gekommen ist nämlich ein pfiffiger Opa.

Er hat neuartige Ideen

und will neuartige Taten in Angriff nehmen.

Auf, auf! Kommt zur Beratung alle

hierher hierher hierher hierher

toro toro toro toro tix

kikkabau kikkabau

toro toro toro toro lililix.

Der vom Wiedehopf mit diesen Versen herbeigerufene Chor der Vögel stimmt seinem Vorschlag schließlich zu, und die beiden Männer verwandeln sich in Vögel, das heißt, sie werden mit Flügeln ausgerüstet. Es erscheint eine grotesk zusammengesetzte Gesandtschaft der Götter, um mit den Vögeln zu verhandeln. Das Ergebnis: Zeus muss Basileia, die personifizierte Königsherrschaft über die Welt, ein „wunderschönes Mädchen“ (Vers 1537), abtreten. Den Schluss bildet die Apotheose des Protagonisten, des Wortführers der zwei Athener. Das heißt, er präsentiert sich im Finale triumphal als neuer Zeus, zugleich als Basileias Bräutigam.

Auf Vers 301 geht übrigens das Sprichwort „Eulen nach Athen tragen“ zurück. Unter den Vögeln, die der Reihe nach daherkommen, um den Chor zu bilden, erscheint auch die Eule. Und da fragt der Protagonist (unter Durchbrechung der Bühnenillusion): „Wer hat denn eine Eule nach Athen gebracht?“ Gemeint ist: Wieso, in Athen gibt es doch eh jede Menge Eulen! Wobei er vermutlich nicht an die Vögel selbst denkt, sondern an die athenischen Münzen, die als Münzbild stets eine Eule als Symbol der Göttin Athene, der Schutzgöttin Athens, zeigten (so wie heute noch die griechischen 1-Euro-Münzen). Vgl. Vers 1105ff.: „Niemals werden die Eulen euch verlassen, die aus (den Silberminen in) Laurion, sondern sie werden in eurem Haus wohnen, in den Geldbeuteln nisten und kleine Münzen ausbrüten.“

Lysistrate (latinisiert Lysistrata), ein Stück mit besonders unbeschwerter Frivolität und einem ebenso ernsten Thema wie der Friede: die Sehnsucht der Menschen nach Beendigung des seit zwei Jahrzehnten tobenden Krieges mit Sparta. Die Athenerin Lysistrate ruft die Frauen ganz Griechenlands auf, sich den Männern so lange zu verweigern, bis sie den Krieg beendet haben. In allen kriegführenden Stadtstaaten gleichzeitig angewandt, ist die Wirkung des Ehestreiks – er ermöglicht die gewagtesten dramaturgischen Situationen – so durchschlagend, dass die Männer schon nach wenigen Tagen zum Friedensschluss und zur Versöhnung bereit sind. („Ja, da schau her, da kommen ja von Sparta die Gesandten mit ihren langen Bärten, und zwischen den Beinen haben sie Pflöcke, als wollten sie Schweine daran binden“, Vers 1074f.). Die Versöhnung selbst, personifiziert in Gestalt eines hübschen nackten Mädchens, schwebt (mithilfe der mechané) vom Himmel herab. („Aber wie unsagbar hübsch ist doch ihr Po!“, Vers 1148. „Ich habe noch nie eine schönere Möse gesehen“, Vers 1158). Und der Friedensschluss wird in der Schlussszene von Athenern und Spartanern – diese sprechen in ihrem dorischen Dialekt – überschwänglich gefeiert.

Diese Komödie galt noch im 19. Jahrhundert als "stark obscöne Posse" (Kaibel, RE Bd. II,1 [1895] Sp. 971ff. s.v. Aristophanes). Seither wird sie wesentlich höher geschätzt und genießt ein reiches Nachleben. Doch keine der zahlreichen Bühnen- und Filmbearbeitungen konnte die Eigenart des Originals adäquat nachformen, weil man die Obszönitäten, das frische und ungenierte Ausspielen der erotisch-lasziven Momente, aus Schicklichkeitsgründen stets mehr oder weniger sorgsam beseitigte. Aus der Menge der Bearbeitungen seien zwei Beispiele genannt: Die Operette Lysistrata von Paul Lincke (1902) und die Filmkomödie Die Sendung der Lysistrata von Fritz Kortner (1961) mit Romy Schneider. Übrigens sorgte die Ausstrahlung dieses Films für den ersten Medienskandal in der bundesdeutschen Fernsehlandschaft. Als Gründe wurden genannt: erstens natürlich die Verstöße gegen Moral und Sittlichkeit, zweitens das „einseitige“ Plädoyer für Pazifismus. (Tatsächlich habe ich mir schon oft gedacht, Aristophanes sollte posthum der Friedensnobelpreis zuerkannt werden.) Und schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass im Slogan „Make love, not war“ der Hippie-Bewegung (1967) das Thema der Lysistrate eine griffige moderne Formulierung erhalten hat.

Die Frösche, eine Literaturkomödie. Sie gilt bis heute als das bedeutendste Werk dieser Gattung.

Verkleidet als Herakles und begleitet vom Sklaven Xanthias, steigt Dionysos, der Theatergott, persönlich in die Unterwelt hinab, um den eben erst verstorbenen Tragödiendichter Euripides wieder heraufzuholen. Denn ohne ihn hält es Dionysos nicht mehr aus, zumal auch Sophokles vor kurzem verstorben ist. Im Hades angekommen, besteigt Dionysos den Nachen des Charon. Dieser behandelt ihn reichlich respektlos. Dabei muss er selbst kräftig rudern und wird vom penetranten Gequake eines Chores von Fröschen belästigt („brekekekex koax brekekekex koax“, Vers 209ff.). Später sichtet Xanthias (angeblich) das gräuliche Ungeheuer Empusa. Und da flüchtet Dionysos von der Bühne und versteckt sich hinter dem Sitz seines eigenen Priesters („Priester, rette mich, damit ich mit dir bechern kann“, Vers 297) – eine kaum zu überbietende Respektlosigkeit, zumal sich Xanthias als bedeutend mutiger erweist. Den ganzen zweiten Teil der Komödie bildet ein grotesker Dichterwettkampf zwischen Euripides und dessen schon ein halbes Jahrhundert früher verstorbenem Kollegen Aischylos. Nach langem Unentschieden entscheidet sich Dionysos doch nicht für Euripides, sondern für Aischylos. Ihm erlaubt Pluton, in die Oberwelt und damit ins Leben zurückzukehren. Und diesem trägt Aischylos auf, seinen Thron Sophokles zu überlassen, nicht aber Euripides, und ihm, Aischylos, zu bewahren für den Fall, dass er jemals wieder zurückkehren sollte.

Diese Komödie erlebte 1974 unter dem Titel The Frogs eine englische Neubearbeitung als Musical durch Stephen Sondheim und Burt Stevelove. Die Stelle von Euripides nimmt hier Bernard Shaw ein, die von Aischylos Shakespeare.

Und nun also Die Ekklesiazúsen, von denen schon die Rede war, griechisch Ekklesiázusai, wörtlich übersetzt Die eine Versammlung abhaltenden Frauen, auf Deutsch meist genannt Die Frauenvolksversammlung, früher Die Weibervolksversammlung, auf Englisch Assemblywomen oder (latinisiert) Ecclesiazusae, auf Französisch L’Assemblée des Femmes.

Der Inhalt: Die Frauen haben von der unzulänglichen Männerwirtschaft die Nase voll und beschließen, durch einen regelrechten Staatsstreich die Regierung an sich zu reißen. Als Männer verkleidet, wollen sie sich in die Volksversammlung schmuggeln, um dort die entsprechenden Beschlüsse durchzusetzen. Vorerst lauschen sie begeistert einer programmatischen Proberede ihrer Anführerin Praxagora. Das neue Regierungsprogramm ist im Prinzip sehr einfach: Alle Not wird dadurch behoben, dass von nun an alles allen gehören soll. Konkret bedeutet das: Gütergemeinschaft, Frauen- und Kindergemeinschaft, Essensgemeinschaft. Frauengemeinschaft bedeutet: Totale Freizügigkeit in sexuellen Dingen – allerdings mit einem Wermutstropfen: Wer mit einer Schönen, Jungen Sex haben möchte, muss der ausgleichenden Gerechtigkeit zuliebe zuerst einer Alten zu Willen sein.

Der zweite Teil führt die praktischen Auswirkungen der neuen Staatsverfassung vor und lässt erkennen, dass in der Praxis doch nicht alles so einfach ist, wie es in der Theorie klingt, weder bei der Gütergemeinschaft. Denn dem gesetzestreuen Bürger, der loyal all seine Habe abliefert, tritt der Schlauberger gegenüber, der erst einmal abwarten will, wie sich die Sache entwickelt, aber am Gemeinschaftsmahl selbstverständlich teilnimmt. Noch bei der Frauengemeinschaft: Ein junger Mann will zu seinem Mädchen, wird jedoch von einer Alten abgefangen. Zwar gelingt es dem Mädchen, ihn mithilfe eines Tricks vor der Alten zu retten. Doch sogleich erscheint eine noch Ältere, um diese Gesetzesübertretung zu verhindern. Und dann tritt eine noch Ältere dazwischen, und in lebhaftem Streit schleppen schließlich beide gemeinsam den Ärmsten ab.

In der Schlussszene kündigt der Chor der Frauen einen fröhlichen Tanz und eine üppige Schmauserei an. Auch die Zuschauer sind eingeladen, freilich bei sich zu Hause, wo es statt des in einem 78silbigen Wortungeheuer mit 171 Buchstaben (Vers 1169ff.) – dem längsten Wort der Weltliteratur (laut dem Guiness-Buch der Rekorde) – wo es also statt des angekündigten Superschmauses in Wirklichkeit nur Bohnenpüree geben wird.

Die Uraufführung der Ekklesiazúsen fand im Jahre 392 v. Chr. statt. Platon vollendete seine Politeia wahrscheinlich um 374 v. Chr., also fast zwei Jahrzehnte später. Mit großer Beharrlichkeit wurde seit jeher nach den Beziehungen zwischen dem Philosophen und dem Komödiendichter gefragt. Diese Frage ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Wäre das zeitliche Verhältnis umgekehrt, könnte man mit einigem Recht annehmen, dass der Komödiendichter das Werk des Philosophen persifliert. Dass der Philosoph durch die Komödie zu seinem Meisterwerk angeregt wurde, wäre eine doch mehr als kühne Vermutung.

Abschließend noch ein Wort zum Namen Ekklesiázusai. In ihm hört der Leser sicher schon längst das lateinische Wort ecclesia („Kirche“) heraus. Es lebt in den romanischen Sprachen weiter als chiesa (italienisch), église (französisch), iglesia (spanisch), igreja (portugiesisch); nur das rumänische biserică ist vom lateinischen basilica abgeleitet, desgleichen baselgia im Rätoromanischen. Tatsächlich ist ecclesia nichts anderes als die Übernahme des griechischen (auch neugriechischen) Wortes ekklesía. Und das bedeutete eben in vorchristlicher Zeit die Volksversammlung, den obersten Souverän in den griechischen Demokratien. Das Christentum verwendete es hingegen zur Bezeichnung der Versammlung der Gläubigen zum Gottesdienst oder der Gemeinschaft der Gläubigen in einer Stadt oder auch in der gesamten Ökumene. Seit der Zeit Kaiser Konstantins, als überall im Römischen Reich zum ersten Mal Kirchen, meist in Form einer römischen Basilika, seltener als Zentralbau, errichtet wurden, bezeichnete man zusätzlich solche Bauwerke als ecclesia, und zwar im Griechischen ebenso wie im Lateinischen.

(Die deutsche Bezeichnung Kirche ist von einem anderen griechischen Wort abgeleitet: von kyrikón; in klassischem Griechisch kyriakón. Das ist das Adjektiv zu dem wohl jedem Griechenlandurlauber vertrauten Wort kýrios „Herr“. Wohlbekannt ist bestimmt auch das kýrie eléison im Gottesdienst. Und so bedeutet kyrikón (ergänze dôma) nichts anderes als „Haus des Herrn“. Laut dem Duden-Herkunftswörterbuch wurde das Wort wahrscheinlich in Trier, das im 4. Jahrhundert als Kaiserresidenz fungierte, im Rahmen der Bautätigkeit der konstantinischen Epoche ins Germanische entlehnt und breitete sich von dort in alle germanischen Sprachen aus.)

Um noch einmal zu Aristophanes selbst zurückzukehren, möchte ich aus der bisher unerwähnt gebliebenen Komödie Die Thesmophoriazúsen, griechisch Thesmophoriázusai, wörtlich übersetzt Die Frauen am Thesmophorienfest, zum Abschluss einen kleinen Abschnitt zitieren. Die Thesmophorien waren ein jährlich stattfindendes Fest, an dem nur verheiratete Frauen teilnehmen durften. Die Thesmophoriazúsen beruhen auf der Erfindung, dass die Athenerinnen planen, bei diesem Fest Beschlüsse gegen Euripides zu fassen, weil in seinen Frauenstücken durch Aufdeckung ihrer Schwächen und Tricks die Männer gegen sie aufgebracht werden. Euripides hat davon Wind bekommen und bringt seinen Schwager dazu, sich, als Frau verkleidet, in die Versammlung zu schmuggeln und für ihn einzutreten. Und dort hält er folgende Rede (Vers 466ff.):

„Dass ihr, o Frauen, heftig aufgebracht seid gegen Euripides, wenn ihr von solchen bösen Dingen hört, und dass euch die Galle überkocht, ist ja kein Wunder. Ich selber hasse ihn – beim Glück und Leben meiner Kinder; ich müsste ja verrückt sein. Trotzdem sollten wir miteinander bedenken; wir sind ja unter uns, und kein Wort wird nach draußen dringen: Wieso klagen wir ihn an und nehmen es ihm übel, wenn er zwei oder drei unserer Missetaten verrät, wo er doch weiß, dass wir Tausende verüben? Ich selbst zuerst, um nicht von einer anderen zu sprechen, ich bin mir vieler schlimmer Streiche bewusst. Am schlimmsten war der folgende: Ich war erst zwei oder drei Tage verheiratet, und neben mir schlief mein Mann. Ich hatte einen Freund, der mich mit sieben Jahren entjungfert hat. Der kam aus Sehnsucht und klopfte leise an die Tür. Ich merkte es sofort. Da steige ich heimlich aus dem Bett. Mein Mann fragt: Wo willst du hin? – Wohin? Mich zwickt’s im Bauch, lieber Mann, und er tut mir weh. Drum gehe ich aufs Klo. – Na, dann geh! – Daraufhin rieb er Wacholderbeeren, Dill und Salbei (um für mich ein Medikament zu bereiten). Und ich? Ich goss Wasser über die Türangel (damit sie nicht quietscht – und nicht Öl, denn dieses würde am Fußboden Spuren hinterlassen) und ging hinaus zu meinem Liebsten. Dann stützte ich mich ab, indem ich mich gebückt am Lorbeerbaum festhielt (und ließ ihn dran). Seht ihr, das hat Euripides noch nie erzählt, und er erzählt auch nicht, wie wir uns von den Sklaven und Maultiertreibern vögeln lassen, falls wir keinen anderen haben, und auch nicht, wie wir, wenn wir uns die ganze Nacht mit Kerlen herumtreiben, am Morgen Knoblauch kauen, damit der von der Stadtmauer (wo er nächtliche Wachdienst hatte) heimkommende Ehemann nicht durch den Geruch argwöhnt, dass ich Schlimmes getrieben habe ...“

Na, und so weiter, und so fort. Denn die Missetaten der Frauen sind Legion. Behauptet Aristophanes, der geniale Spötter.

Weitere Werke aus der Feder von Karl Plepelits

 

 

 

 

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"Eine tolle Idee, Leben und Kultur der Römer in einer humorvoll erzählten Geschichte zu vermitteln." (Clavijus)

"Die Erzählweise gefällt mir sehr. Locker und sehr interessant." (Anne Grasse)

"... musste ich laut lachen! Grandios komisch!" (MineFraser)

 

 

 

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"Die Abbildungen geben uns eine kleine Vorstellung davon, wie weit und mit welcher Präzision die Bildhauerei damals schon entwickelt war." (christinesingh)

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Angaben zum Autor

Geboren 1940 in Wien, wuchs Karl Plepelits in Melk an der Donau auf, besuchte das Gymnasium im berühmten Benediktinerstift Melk, studierte Klassische Philologie, Alte Geschichte und Anglistik in Wien und Innsbruck, plagte Schüler mit Latein, Griechisch und Englisch, vertrat die Österreichische Akademie der Wissenschaften als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thesaurus linguae Latinae in München, leitete Reisende in alle Welt (oder auch in die Irre), veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Artikel auf dem Gebiet der Latinistik, Gräzistik und Byzantinistik, übersetzte griechische Romane der Antike und des Mittelalters (erschienen im Hiersemann Verlag, Stuttgart). Und angeregt durch einige von ihnen, die unglaublich spannend und ergreifend sind, widmet er sich seit Jahrzehnten auch dem aktiven Literaturschaffen.  

Impressum

Texte: Karl Plepelits
Cover: Bust of Aristophanes in the Uffizi Gallery, Florence, Italy. Head on a herm. 1st century AD. By Alexander Mayatsky - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=94123897
Tag der Veröffentlichung: 10.01.2021

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