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Schneewittchen und Rapunzel. (K)ein Märchen

Es waren einmal zwei Freunde. Der eine hieß Reinhard. Der andere hieß Nico. Reinhard ließ es sich einfallen, eine Housewarming Party zu veranstalten. Für Nico entpuppte sich diese Party als wahre Hochschaubahn der Gefühle. Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Also gut. Der Nico, das bin ich. Und der Reinhard, das ist mein bester Freund. Nein, gestorben sind wir alle zwei noch nicht. Im Gegenteil, wir stehen, wie man so sagt, in den besten Jahren. Ich selber bin inzwischen schon geschieden und habe mir ein süßes, junges Betthäschen „zugelegt“. Reinhard war bis vor kurzem „unbeweibt“ und hat sich erst jetzt eine Ehefrau gefunden, die brünette und vollbusige Anja, mit der er allem Anschein nach restlos glücklich ist.

Ihr zu Ehren veranstaltete er also besagte Housewarming Party. Ich war selbstverständlich eingeladen, ebenso mein Betthäschen Sheila, eine typische Irin mit feuerroten Haaren und einer unglaublich feinen, zarten, weißen „Porzellanhaut“, wie sie angeblich für englische und irische Frauen typisch ist, offenbar als Folge des feuchten Klimas. Sie wirkt als Englischassistentin an einem Wiener Gymnasium, demselben, an dem ich selbst Englisch und Latein unterrichte und Reinhard Mathematik und Physik unterrichtet. Na ja, und wenn ich Sheila einfach mein Betthäschen nenne, so sollte ich wohl noch ein wenig deutlicher werden. Wir waren nämlich beide ganz schrecklich verliebt, und besonders Sheilas Liebe zu mir – wie soll ich’s nennen – war einfach himmelstürmend. Oder: überstieg alles, was ich bisher in dieser Hinsicht erlebt hatte.

Vierzehn Teilnehmer zählte ich insgesamt auf dieser Party (mich eingeschlossen): acht Weiblein, sechs Männlein, darunter Reinhards jüngerer Bruder Hugo und ein Spanier namens Carlos, ein ausgesprochener Feschak, neu in Österreich, um Germanistik zu studieren, wie er mir erzählte.

 

Tanzmusik setzte ein. Natürlich gedachte ich als Erste meine Sheila aufzufordern. Aber siehe da, ich kam zu spät. Carlos hatte sie sich bereits geschnappt und wirbelte sie auf geradezu unanständige Weise durch die Gegend. Na schön. Die Auswahl an Weiblichkeit war eh groß genug. Wie gesagt, es stand sechs zu acht. Sechs Männlein, acht Weiblein.

Also schaute ich mich halt nach einer anderen Tanzpartnerin um und machte mich über eine gertenschlanke Schönheit namens Nelly her, die ich schon seit einiger Zeit kannte und, ehrlich gesagt, ganz schön sexy fand. Als ganz besonders sexy empfand ich ihre langen Haare, schwarz wie Ebenholz, schwarz wie Schneewittchens Haare. Sie trug sie abwechselnd offen und zu Zöpfen geflochten. Heute waren wieder einmal die Zöpfe dran, und mit denen sah sie unglaublich reizend aus. Schneewittchen stand mit ihrem Glas am Buffet und schaute gelangweilt den sieben Zwergen, pardon, den acht Tanzenden zu, als wäre sie das reinste Mauerblümchen. Meine Aufforderung erwiderte sie mit süßem Lächeln, schlang mir, ohne zu zögern, ihre Arme um den Hals, schmiegte sich an mich und legte ihre Wange an die meine. Das verblüffte mich zunächst und erregte mich sogar ein wenig, sodass ich ein Weilchen brauchte, bis ich den Mund aufbrachte.

„Ich hab schon gehört“, sagte ich, „dass du jetzt Single bist.“

Sie nickte und schniefte ein wenig. „Ja, ja. Der David, dieser Schuft.“

„Das heißt, er hat Schluss gemacht?“

„Ja, ja. Ich bin ihm zu alt, zu dünn und zu wenig attraktiv.“

„Was? Der spinnt ja. Gerade vorhin, wie ich mich an dich angeschlichen hab, hab ich mir gedacht: He, ganz schön sexy, die Nelly.“

Nelly strahlte mich an. „Wirklich?“

„Aber sicher. Und zu alt? Ein saublödes Argument. Ich könnte ja dein Vater sein.“

„Mein Vater? Du scherzt.“

„Ja, wie alt bist du denn? Falls das nicht zu indiskret ist.“

„Aber überhaupt nicht. Siebenundzwanzig.“

„Aha. Na, und ich bin zweiundvierzig.“

„Und noch nicht verheiratet?“

„Ach, geschieden. Übrigens, weißt du, was mir heute so besonders an dir gefällt? Die Zopferln. Darf ich ein bissl an ihnen ziehen? Das hab ich nämlich schon als Bub mit Vorliebe bei Zopferlmäderln gemacht.“

Nelly lachte fröhlich. „Wie du das sagst: Zopferlmäderln. Aber ja, gern. Ausreißen wirst du sie mir schon nicht, meine Zopferln.“

Und so blödelten wir ein wenig herum und vergnügten uns mit meinem alten Kindheitsspaß.

Nelly schmiegte sich noch enger an mich. Dann küsste sie mich zu meiner Überraschung auf die Wange und sagte: „Natürlich hatte der David noch anderes an mir auszusetzen.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, dass ich mit anderen Männern geflirtet hab. Aber Flirten ist doch lustig. Und verleiht dem Leben eine gewisse Würze. Glaub ich halt.“

„Aber sicher tut es das. Und was noch?“

„Was ihm sonst noch nicht gepasst hat an mir? Na ja, dass ich eine richtige Klette bin. Weil ich halt gern kuscheln und schmusen und streicheln tu.“

„Wie? Das wollte er nicht?“

„Ach, Nico! Das Einzige, was er wollte, war, dass ich die Beine breitmach, und fertig.“

„Soso. Also, was ein richtiger Mann ist, genießt es, wenn seine Partnerin gern kuschelt und schmust und streichelt. Gestreichelt werden will sie ja schließlich selber, oder nicht?“

„Ja, eben. Und genau das war dem David zu blöd, zu langweilig. Ebenso hat er es blöd, ja sogar pervers gefunden, dass ich mich selber gestreichelt hab, um leichter zum Orgasmus zu gelangen, während er in mir gesteckt ist.“

Oho, ganz schön offenherzig, die Kleine, dachte ich. Und nach einer kurzen Schrecksekunde sagte ich: „Ja, dann musst du ja direkt froh sein, dass du den Kerl los bist.“

„Stimmt natürlich. Nur bin ich halt jetzt allein.“

„Das könnte man ja ändern.“

Sofort griff ich mir auf den Mund, um meine letzte Bemerkung unhörbar zu machen – natürlich ein sinnloses Unterfangen.

Im selben Moment tanzten, eng umschlungen, Sheila und Carlos an uns vorbei. Und das gab mir die erlösende Idee ein.

„Der Carlos zum Beispiel. Der ist jetzt frisch aus Spanien importiert und wäre sicher froh und glücklich, so eine sexy Freundin wie dich zu kriegen, die noch dazu das Kuscheln liebt. Glaubst du nicht?“

Nelly wiegte zweifelnd den Kopf. „Der? Der hat doch schon eine.“

Verdammt, sie hat recht. Das heißt, genau diesen Eindruck erweckten die zwei. Und jetzt blieb zur Abwechslung ich stumm.

Auch die Musik verstummte. Jetzt war also für die Tanzwütigen wieder Zeit, es den Nichttänzern gleichzutun und entweder Anjas Brötchen zu ehren oder für den entsprechenden Alkoholspiegel zu sorgen. Oder die Toilette aufzusuchen. Oder auf den Balkon hinauszutreten und frische Luft zu schnappen. Zwei Frischluftliebhaber konnte ich erkennen: Sheila und Carlos. Und mir schwante Entsetzliches. Soll ich auch hinausgehen und die Sheila an ihren feuerroten Haaren von ihm wegschleifen?

„Du siehst ja“, hörte ich Nelly sagen, „der Spanier ist schon vergeben. Willst du mit mir anstoßen?“

„Ja, ja“, stammelte ich und ließ mich von ihr an der Hand zum Buffet lotsen, schenkte ihr aber denkbar wenig Beachtung, denn in meinem Kopf brodelte es wie in einem Kochtopf. Oder, besser gesagt, wie die Lava in einem Vulkan, der nahe daran ist, auszubrechen.

 

Als Reinhard eine neue CD einlegte, wurde Nelly von seinem Bruder Hugo zum Tanzen aufgefordert. Und wer forderte, ohne lang zu überlegen, Ilse, dessen hübsche Eheliebste, auf? Antwort: Ich. Nein, lange überlegen musste ich wirklich nicht. Was mich so unwiderstehlich anzog wie eine duftende Blüte eine Biene, das waren ihre offenen, wundervoll duftenden Haare, blond „wie gesponnen Gold“ gleich Rapunzels Haaren im Grimmschen Märchen (nur keine „zwanzig Ellen lang“ wie diese; aber eine solche Länge wäre beim Tanzen wohl doch ein wenig hinderlich gewesen).

Rapunzel tanzte zwar bei weitem nicht so sexy wie Schneewittchen. Sie versuchte sogar einen kleinen Abstand zwischen uns zu halten. Das gelang ihr aber nicht recht, denn auch sie hatte (im auffallenden Gegensatz zu Schneewittchen) ziemlich viel „Holz vor der Hütte“, sprich, einen fast ebenso opulenten Busen wie die Anja.

Während ich noch krampfhaft überlegte, was ich nur sagen sollte – die Ilse kannte ich ja praktisch gar nicht –, tanzte schon wieder Sheila mit Carlos an uns vorbei. Da entkam mir der Seufzer, dass meine Freundin gerade dabei sei, sich dem Spanier an den Hals zu werfen und mir untreu zu werden. Und ich ahnte nicht, was mir jetzt bevorstand.

„Ach, die mit dem Spanier ist deine Freundin?“, kommentierte Ilse und blickte mich mitleidig an.

„Ja, ja“, brummte ich und machte ein leidendes Gesicht.

„Darf ich dich zum Trost küssen?“, erwiderte sie und wartete zum Glück nicht auf eine Antwort, sondern küsste mich lange und heftig und tief. Zugleich spürte ich nicht nur ihren weichen, üppigen Busen an meiner Brust, sondern ihren ganzen, ebenfalls üppigen Körper. Und gleichzeitig musste sie zu meiner Bestürzung meine plötzliche Erektion spüren. Na gut, dachte ich, das ist ja auch der Grund, warum Tanzen den Sittenwächtern immer schon suspekt gewesen ist. Weil es eben „die Sinnlichkeit weckt“. Und die Menschen zur Sünde verführt. Lieb Vaterland, magst ruhig sein: Auch wenn das Blut noch so sehr in Wallung gerät, uns zwei, die Ilse und mich, wird es sicher nicht verführen. Da sei der heilige Hugo davor.

Nach diesem göttergleichen Kuss herrschte ein kleines Weilchen Funkstille. Dann raffte ich mich zu einem reichlich schwachen Kompliment auf.

„Das war aber ein wundervoller Trost.“

„Na ja, ein kleiner Trostpreis halt“, erwiderte Ilse lächelnd, schmiegte sich erneut an meine Brust und legte, wie vorhin Nelly, ihre Wange an die meine. Und so tanzten wir schweigend und der sündhaften Sinnlichkeit hingegeben, bis die Musik wieder einmal Pause machte.

„Du, Nico, ich muss mich ein Weilchen hinsetzen“, sagte Ilse und stöhnte theatralisch. Und ich geleitete sie zur nächsten Couch.

 

Gleich darauf setzte die Musik wieder ein. Ich sah Nelly am Buffet stehen. Sie tröstete sich, offenbar aus Frust, mit Anjas scharfen Sachen. Ich ging auf sie zu, nahm ihr schmunzelnd das Glas aus der Hand, stellte es ab und nahm sie in die Arme und drückte sie ohne Scheu an mich und begann mit ihr zu tanzen. Und sie küsste mich ohne Scheu sofort wieder, nicht mehr auf die Wange, sondern auf den Mund, war freilich nicht mehr ganz so standfest wie zuvor.

Plötzlich flüsterte sie mir ins Ohr, sie müsse dringend aufs Klo, spüre aber leider schon den vielen Whisky und traue sich alleine nicht, und ob ich sie begleiten würde?

Na, selbstverständlich begleitete ich sie und hielt sie fest, und sie klammerte sich an mich. An der WC-Tür angelangt, musste ich sie aber loslassen.

Ja, ich ließ sie los. Aber sie klammerte sich weiterhin an mich (genau, wie eine Klette) und zog mich unerbittlich mit, sodass ich ihr nolens volens folgen musste. Sie schob den Riegel vor und zog Hose und Slip hinunter. Und ich bekam Stielaugen.

„Ich hoff, es macht dir nichts aus“, flötete sie und lächelte verschämt zu mir herauf, während sie sich auf die Klobrille setzte.

„Nein, nein, keine Sorge“, erwiderte ich in beruhigendem Ton, so wie man, sagen wir einmal, ein ängstliches Kind beruhigt, und lauschte dem lieblichen Geplätscher (und roch den lieblichen Duft). Eigentlich müsste ich ja auch selber schon dringend. Na ja, das geht im Augenblick wohl nicht.

Nelly betätigte die Spülung. Und als hätte sie meine Gedanken erraten, sagte sie zu meiner Verblüffung: „Du musst sicher auch schon, ha?“

„Ja, schon“, antwortete ich zögernd und wusste in meiner Verlegenheit nicht, wie ich’s sagen sollte. „Auch ganz schön dringend. Aber momentan geht’s nicht.“

„Wegen mir?“

„Nein, nein. Ja, doch. Na ja, nicht direkt.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Ja, weißt du, liebste Nelly, in meinem momentanen Zustand geht’s halt nicht. Ich müsste eine Zeitlang warten. Aber ohne dich. Oder“ (und dazu begann ich schamlos zu grinsen) „oder man müsste was dagegen tun.“

„Wieso? Das versteh ich nicht.“

„Also gut, liebste Nelly. Das ist so. Solange mein Schwanz, pardon, mein Penis, sozusagen in Erwartungshaltung ist, ist die Zuleitung für den Urin gesperrt.“

„Ach so. Du meinst, solange er erigiert ist, ja?“

„Genau.“

„Und erigiert ist er wegen mir?“

„Na klar. Weil du eben so sexy bist. Und deine Zopferln so reizend sind.“

„Und man müsste was dagegen tun?“

„Hm, ja, eben. Oder, wie gesagt ...“

„Ja, dann tun wir halt was dagegen. Ich kann dich doch nicht leiden lassen, noch dazu, wo ich schuld bin.“

Und zu meiner Verblüffung öffnete sie ohne weitere Diskussion mein Hosentürl, zog meine Hose hinunter, zog geschickt meine Unterhose hinunter und entblößte damit meinen prallen Schwanz, stand auf, machte den Klodeckel zu, drückte mich auf diesen nieder, lächelte mich unbeschreiblich süß an, schlüpfte kurzerhand aus Hose und Slip, schwang sich über meine Beine, küsste mich, kitzelte (natürlich unabsichtlich) mit ihren Zöpfen meine Wangen, meine Ohren und meinen Hals, was mich noch heftiger erregte, griff unverzagt nach meinem Schwanz, setzte sich langsam auf ihn drauf, sodass er in ihre überraschend feuchte Möse eindringen konnte, und behielt ihn so lange darin, bis er ihr seinen Segen gespendet hatte und bald darauf, heftig zuckend und leise Schreie ausstoßend, sie auch selbst gekommen war, übrigens nicht, ohne sich dabei selbst zu streicheln, wie sie es ja angekündigt hatte. Nachdem sie von mir herabgestiegen war, schlüpfte sie wieder in ihre Kleider und wartete danach geduldig, bis die von mir erwähnte Sperre aufgehoben und der Druck auf meine Blase beseitigt war. Und während ich mich danach wieder in einen herzeigbaren Gast verwandelte und mich nicht genug über diesen so unverhofften Wandel der Dinge wundern konnte, sprach sie die geflügelten Worte: „Entschuldige, Nico. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Aber weißt du, so plötzlich habe ich mich noch nie verliebt wie jetzt in dich.“

Ich selber konnte nur nicken und sie angrinsen wie ein Schwachsinniger. Sagen konnte ich nichts. Ich küsste sie innig und dachte: Ich fass es nicht! Ich fass es nicht! Hat mir jetzt der Liebesgott die Sheila weggenommen und prompt Ersatz für sie geliefert, damit ich ein bissl eine Abwechslung hab? Weil, Abwechslung macht bekanntlich Freude. Variatio delectat. Und wie? Bei der Neuen brauch ich nicht einmal ein Kondom?

Im selben Moment rüttelte jemand an der Tür.

„Augenblick“, rief ich, küsste Nelly noch einmal, öffnete die Tür und erlitt einen Schock. Denn vor der Tür stand ausgerechnet Sheila und machte große Augen, als sie sah, wer da alles heraus spazierte, und sagte: „Aha!“ Und ehe ich noch den Mund aufbrachte – um eine passende Antwort wäre ich natürlich nicht verlegen gewesen –, war sie auch schon hinter der Tür verschwunden.

Nelly mit besorgter Stimme: „Ist das schlimm?“

„Ach was“, knurrte ich und machte eine wegwerfende Geste.

Hierauf legte sie, offenbar um mich zu trösten, beide Arme um meinen Hinterkopf und begann mich zu küssen, und ich legte meine Arme um ihren süßen, weichen Po und begann sie zu küssen. Und so standen wir, den Küssen und erotischen Berührungen hingegeben, als plötzlich die Klospülung rauschte und gleich darauf die Klotür auf- und zuging und jemand an uns vorbei spazierte und mit Sheilas Stimme neuerlich ein vielsagendes „Aha!“ von sich gab.

 

Zurück im Wohnzimmer bei den anderen, sahen wir, dass trotz Musik momentan niemand tanzte. Sondern die einen belagerten das von Anja liebevoll betreute Buffet und stärkten sich nach all den Strapazen mit fester und flüssiger Nahrung, andere saßen auf der Couch und knutschten heftig. Ich selber zog mich mit Nelly in ein stilles Eck zurück, um mit ihr abwechselnd zu plaudern und zu knutschen und die an und für sich bereits gestillte Begehrlichkeit wiederzubeleben.

Unterdessen tanzten wieder zwei Paare, nämlich Sheila – erraten – mit Carlos und Hugo mit Anja. Ich fragte Nelly, ob wir auch wieder tanzen wollen, und sie erklärte, sie könne nicht mehr, sie sei nicht mehr so sicher auf den Beinen, sie wolle lieber sitzen bleiben.

Ich verließ sie, fand Ilse und forderte sie zum Tanzen auf. Sie ließ sich von mir in die Mitte des Zimmers entführen und warf sich mir buchstäblich in die Arme.

„Seit wann bist du denn mit der Nelly zusammen?“, begann sie.

„Eifersüchtig?“, sagte ich, ein wenig irritiert durch eine solche Frage.

„Ach, wo denkst du hin. Nur neugierig. Ich vergönne dir doch jede Freude. Würde ich sogar, wenn wir verheiratet wären.“

„Oho. Das ist aber ein großes Wort. Also, um deine Frage zu beantworten: Seit zirka einer halben Stunde.“

„Oho. Jetzt muss ich Oho sagen. Wie hast du denn das geschafft?“

„Ich? Ich hab’s gar nicht geschafft. Geschafft hat das die Nelly.“

„Soso. Und ich dachte, ich hätte es geschafft.“

„Dass du was geschafft hättest?“

Ich schaute mit großen Augen Ilse an und glaubte mich verhört zu haben.

„Du weißt schon, was ich meine. Dich herumzukriegen.“

„Oh. Ah.“

Um ein Haar hätte ich mich verschluckt.

„Hast du eh schon“, sagte ich dann leise, drückte sie an mich und küsste sie, blickte mich dann aber bestürzt um, um zu sehen, ob Hugo etwas gesehen haben könnte. „Hoffentlich hat der Hugo das nicht gesehen. Ich möchte nicht ...“

„Hat er sicher nicht. Und wenn schon ... Du, Nico? Darf ich dich einmal besuchen?“

„Ja, klar. Ich würde mich wahnsinnig freuen. Weißt du, wo ich wohne?“

„Weiß ich. Der Reinhard hat’s mir geflüstert. Ich ruf dich an, ja? Musst es halt sagen, wenn grad die Nelly bei dir ist.“

Und dazu lachte sie mir fröhlich ins Gesicht und drückte mir einen weiteren saftigen Kuss auf die Lippen und bereitete mir wunderschöne, aber leider streng verbotene sündig-sinnliche Freuden.

 

Es wurde spät, und die Ersten begannen sich zu verabschieden. Ich fragte die haltlos kichernde Nelly, ob ich sie vielleicht nach Hause bringen solle, und sie schien über meine Frage ausgesprochen erleichtert. Während ich sie dann nach draußen geleitete und sie dabei am Arm stützte – sie war jetzt noch wackeliger auf den Beinen als zuvor –, fragte ich sie, wie sie hierher gekommen sei.

„In weiser Voraussicht mit der U-Bahn“, sagte sie.

„Aha, sehr vernünftig“, sagte ich. „Und ich hab mich in weiser Voraussicht mit Wasser und Säften begnügt.“

„Ah, drum bist du so gut im Bett“, sagte sie kichernd.

„Du meinst, am Klo, wie?“, sagte ich und musste meinerseits kichern.

„Ich bin so glücklich“, flötete sie, sobald wir ins Auto gestiegen waren. „Ich hätt nie gedacht ...“

Und ohne ihren Satz zu vollenden, hing sie im nächsten Augenblick an meinem Hals und kicherte nicht mehr. Aber ihre feuerroten Zöpfe kitzelten meine Wangen und Ohren und meinen Hals, dass es eine Freude war (und fachten meine süße Lust schon wieder an wie ein Blasebalg ein Feuerchen).

Hierauf dirigierte sie mich durch die nächtlichen Straßen der Stadt. Und so bogen wir zu meiner Überraschung zuletzt in genau die Straße ein, in der ich selber hauste. Noch größer wurde meine Überraschung, als sich herausstellte, dass Nelly genau gegenüber dem Gebäude wohnt, in dem sich mein Apartment befindet.

Ich wollte Nelly gerade fragen, wie weit ich sie begleiten soll oder muss oder darf, da sprach sie die geflügelten Worte: „Kommst du noch auf einen Sprung mit hinauf, auf einen Kaffee?“

Die Haustür und danach die Wohnungstür aufzusperren gelang ihr ziemlich gut. Aber uns einen Kaffee zu brauen, das gelang ihr nicht mehr. Kaum hatten wir die Wohnungstür durchschritten, fielen wir auch schon wie die Wilden übereinander her, rissen uns auf dem Weg zum Bett gegenseitig alle Kleider vom Leib und sanken, noch ehe wir das Bett erreicht hatten, quasi in einem Stück auf den Teppich nieder und wurden auf der Stelle wirklich ein einziges Stück oder, biblisch gesprochen, „ein einzig Fleisch“. Und sie waren beide nacket, der Mann und die Frau, und sie schämeten sich nicht, und sie vögelten nach Herzenslust. (Heißt es in der Bibel. Oder so ähnlich.)

Und wenn sie nicht entschlummert sind, so vögeln sie noch heute. (Heißt es im Märchen. Oder so ähnlich.) Jedenfalls vögelten wir, mit nur kurzen Unterbrechungen, praktisch die ganze Nacht hindurch. Schneewittchens Zöpfe, schwarz wie Ebenholz, hatten sich längst in eine ebenholzschwarze Wallemähne verwandelt. Und diese Haarpracht verstand es wiederholt, meine Wangen, meine Ohren, meinen Hals und wer weiß, welche Körperteile noch zu kitzeln und zu erregen. Was dies fast ebenso gut verstand, das war die Pracht der gleichfalls ebenholzschwarzen Schamhaare. Ja, mit ihnen schloss ich in dieser Nacht intime Bekanntschaft, ja Freundschaft. Denn ihr lieblicher Geruch weckte jedes Mal mein süßes Verlangen, sooft es einzuschlafen drohte.

Es dämmerte bereits, da übermannte uns unverhofft der Schlaf, und wir schlummerten bis tief in den Tag hinein. (Zum Glück war heute Sonntag.) Danach waren wir viel zu ausgelaugt, um noch einmal zu vögeln, und begnügten uns mit dem von Nelly so geliebten Kuscheln und Schmusen und Streicheln, ehe wir uns aufrappelten und gemeinsam unter die Dusche stiegen, wo es mit dem Kuscheln und Schmusen und Streicheln lustig weiterging.

 

Mittag war schon lang vorbei, als ich meine Wohnungstür erreichte. Und zu einer Marmorstatue erstarrte. Denn auf der Stufe vor der Tür saß jemand und wartete allem Anschein nach sehnsüchtig auf mich. Sprang auf und jubelte und fiel mir um den Hals und rief seufzend aus: „Ach, Nico! Endlich!“

Dieser Jemand war eine schöne Frau mit offenen, schulterlangen, wundervoll duftenden Haaren, blond „wie gesponnen Gold“, und hieß nicht Rapunzel, sondern Ilse.

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Angaben zum Autor

  Geboren 1940 in Wien, wuchs Karl Plepelits in Melk an der Donau auf, besuchte das Gymnasium im berühmten Benediktinerstift Melk, studierte Klassische Philologie, Alte Geschichte und Anglistik in Wien und Innsbruck, plagte Schüler mit Latein, Griechisch und Englisch, vertrat die Österreichische Akademie der Wissenschaften als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thesaurus linguae Latinae in München, leitete Reisende in alle Welt (oder auch in die Irre), veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Artikel auf dem Gebiet der Latinistik, Gräzistik und Byzantinistik, übersetzte griechische Romane der Antike und des Mittelalters (erschienen im Hiersemann Verlag, Stuttgart). Und angeregt durch einige von ihnen, die unglaublich spannend und ergreifend sind, widmet er sich seit Jahrzehnten auch dem aktiven Literaturschaffen.

Impressum

Texte: Karl Plepelits
Cover: By Offterdinger, photo by Harke - Mein erstes Märchenbuch, Verlag Wilh. Effenberger, Stuttgart, end of the 19th century. See Cover and title page, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6796198
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2020

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