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Geschichtsunterricht in der Ofenschüssel

Natürlich, der Pater Adson von Melk

 

In einem Zustand großer Erregung las ich, fasziniert, die schreckliche Geschichte des Adson von Melk, und so heftig ließ ich mich von ihr packen, dass ich gleichsam aus dem Stand eine Rohübersetzung anfertigte.

So schreibt Umberto Eco in der Einleitung zu seinem berühmten Roman Der Name der Rose. Und diese „schreckliche Geschichte“ des Pater Adson von Melk aus dem vierzehnten Jahrhundert kennen Sie bestimmt, zumindest aus Jean-Jacques Anneaus bildgewaltiger Verfilmung mit Christian Slater und Sean Connery. Und vielleicht kennen Sie sogar das beschauliche Städtchen Melk auf Fuße seines gewaltigen Benediktinerklosters, von dem es fast wie von einem Baldachin überragt wird.

Die Geschichte, die im Folgenden ich zu erzählen habe, stammt nicht aus dem vierzehnten, sondern aus dem zwanzigsten Jahrhundert, ist aber, glaube ich, kaum weniger schrecklich, wenn nicht noch viel schrecklicher. Ich hörte sie in meiner Jugend aus dem Munde eines der Unglücklichen, die sie am eigenen Leib erlebt haben, und geriet dadurch, ähnlich wie Umberto Eco, in einen „Zustand großer Erregung“. Und die gleiche Erregung übermannt mich heute noch, in meinem Alter, wenn ich nur daran denke.

 

Schlittenfahren in der Ofenschüssel

 

Jänner 1954. Endlich Schnee!

Ja, endlich hatte uns Frau Holle den schon heiß ersehnten Schnee beschert, hatte eine ausreichende Menge ihres weißen Goldes über unserem Städtchen abgeladen. Unser Städtchen heißt Melk an der Donau, liegt in Niederösterreich und ist weithin bekannt durch sein berühmtes Barockstift, einem Touristenmagneten ersten Ranges.

Endlich konnte sich also die Melker Jugend nach Herzenslust dem winterlichen Vergnügen des Schlittenfahrens hingeben. So auch Stephan und ich. Wir waren damals dreizehn-vierzehn Jahre alt, zählten also noch zu der von der Natur privilegierten und von den Älteren beneideten Gattung der Jugendlichen und besuchten gemeinsam die vierte Klasse des Melker Stiftsgymnasiums (in das damals noch ausschließlich Knaben aufgenommen wurden).

Leider waren die Möglichkeiten fürs Schlittenfahren in Melk denkbar bescheiden (und sind heute noch bescheidener). Die längsten und steilsten Schlittenhänge fanden sich in der sogenannten Ofenschüssel, einer schüsselförmigen Mulde am damaligen Stadtrand. (Unterdessen ist der Stadtrand um einiges weiter gewandert. Die Ofenschüssel ist zu einem eigenen Stadtviertel geworden und kann der heutigen Melker Jugend nicht mehr als Schlittenhang dienen.)

Die Ofenschüssel liegt unmittelbar hinter der Melker

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Karl Plepelits
Cover: Katharina Schroll, Melk: Stift Melk im Abendrot
Tag der Veröffentlichung: 21.08.2019
ISBN: 978-3-7487-1342-5

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