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Es war einmal ...

Ja, es war einmal ein wunderbares Reiseland voller phantastischer Landschaften und unglaublicher Sehenswürdigkeiten. Sein Name? Libyen.

Seit Libyen nicht mehr als Schurkenstaat gehandelt wurde, begannen Gäste in großer Zahl ins Land zu strömen. Groß war die Neugier auf das „Nordkorea Arabiens“, auf die Wunder der Sahara, auf die reichen, zum Teil unglaublich gut erhaltenen Überreste aus der griechischen und römischen Antike, die man bisher bestenfalls aus Büchern kannte.

Aber nur für sieben fette Jahre war’s Touristen vergönnt, Libyens Schätze gefahrlos zu bewundern, nämlich von 2004 bis zum Februar 2011. Damit ist es nach dem schrecklichen Bürgerkrieg und der Ermordung des Langzeittyrannen Gaddafi nun für wer weiß wie viele magere Jahre vorbei. Heute versinkt Libyen im Chaos eines Bürgerkriegs. Und es zerreißt mir das Herz, wenn ich daran denke, wie dieses so interessante Land von einem blutrünstigen und grenzenlos eitlen Tyrannen ins Unglück gestürzt wurde.

Alles begann in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 2004. Da landeten wir, eine Tiroler Reisegruppe unter meiner Leitung, von Wien kommend, am Flughafen von Bengasi, der zweitgrößten Stadt Libyens. und wurden von den Zöllnern einer endlosen Kontrolle unterzogen. Alles wurde ausnahmslos durchleuchtet, auch die Koffer. Und erst allmählich wurde mir klar, wonach sie suchten: nach dem von Allah und Gaddafi strengstens verbotenen Alkohol.

Nach einer verdammt kurzen Nacht bestiegen wir am nächsten Morgen einen offensichtlich uralten Bus. Ihn bestiegen, abgesehen vom Chauffeur, auch ein Fremdenführer namens Omar und – Überraschung – ein Polizist, der ungeniert den Reiseleitersitz in Beschlag nahm und uns, wie sich herausstellte, während der gesamten Reise vor Dinosauriern und bösen Geistern, den sogenannten Dschinns, beschützen sollte.

Diese erste Ausfahrt führte in das weiter östlich gelegene Grüne Gebirge. (Es ist zwar, im Gegensatz zum überwiegenden Teil Libyens, tatsächlich grün, aber kein Gebirge in unserem Sinn, sondern ein Hochplateau, das in spektakulären Felsschluchten zur Küste hin abbricht. Eine solche erlebten wir, als wir nach mehreren Besichtigungen, bei denen ich ständig von einem charmanten Damenflor umringt war, im Schritttempo zum Meer hinabzuckelten, um das kleine Museum und die Ruinen der griechischen Stadt Ptolemais zu besichtigen.

Nun, das Museum war für mich kein Problem. Aber ich wusste nicht, wo es anschließend zu den Ausgrabungen ging. Ich hatte nichts dergleichen erspäht. Und in meinem Führer hatte ich zwar einen schönen Plan von den Ausgrabungen; aber weder war das Museum eingezeichnet noch der Weg, den der Besucher von dort aus einzuschlagen hat. Und Omar? Ja, den hatte unterdessen wohl der Erdboden verschluckt.

Also musste ich einfach meiner Nase folgen. Ich entdeckte einen kaum erkennbaren Trampelpfad, und auf diesem lotste ich auf gut Glück, wie der Rattenfänger von Hameln, meine Reisegäste entweder in die Irre oder zu den Ausgrabungen. Es dauerte nicht lange, da war ich abermals von einem Damenflor umringt, genauer, von zwei jungen Damen. Sie überhäuften mich ob meiner Vorträge und Erklärungen mit Lobeshymnen und lenkten mich dadurch ein wenig von meiner Sorge um den richtigen Weg ab. Übrigens, meine Nase hatte mich gottlob richtig beraten.

Danach: Rückfahrt zum Hotel, übrigens mit Omar, der inzwischen wieder dem Erdboden entstiegen war, und Abendessen. Satt wurde ich zwar nicht. Aber daran war ich selber schuld. Mein Gaumen ist halt skandalös heikel. Im Übrigen wäre es den Schicksalsgöttern gegenüber undankbar gewesen, mich zu beklagen. Denn als ich wie üblich zu spät kam (bekanntlich das ständige Los eines Reiseleiters), war für mich ein Platz schon reserviert, noch dazu ein besonders schöner, nämlich der zwischen den erwähnten zwei jungen Damen. Und sie versüßten mir nicht nur das Festmahl mit ihrem süßen Geplauder. Sie sorgten sich sogar um mich wie überängstliche Mütter um ihre Kinder, die ihrer Ansicht nach zu wenig essen, und äußerten die Befürchtung, ich könnte verhungern. Aber ich erklärte ihnen, so schnell verhungere man nicht; die Gefahr des Verdurstens sei bei weitem größer, und begann sie meinerseits mit Lobeshymnen zu überhäufen, weil ich mich durch ihre Fürsorge geehrt und geschmeichelt fühlte. Zugleich drängte es mich, mit ihnen Bruderschaft zu trinken. Was gab es überhaupt Köstliches zu trinken? Nun ja: Wasser. Und importiertes alkoholfreies Bier (gegen das sich in mir alles sträubte).

Und als hätten die zwei Hübschen meine Gedanken lesen können, hob die eine ihr Wasserglas und sagte: „Prost, Herr Reiseleiter! Ich bin die Eva.“ Danach hob die andere ihr Wasserglas und sagte: „Prost! Ich bin die Christa.“ Und dazu lachten sich die beiden tot.

Überrascht und gerührt, hob ich mein Wasserglas und sagte: „Prost, die Damen! Ich bin der Peter. Aber geht das überhaupt, ohne Bruderschaft zu trinken?“

Und Christa: „Ja, wirklich wahr. Was tut man in einem Land wie Libyen, wenn man nicht einmal Bruderschaft trinken darf?“

Und Eva: „Ah, ich wüsste schon was. Wartet es nur ab.“

Kann man mit Wasser Bruderschaft trinken? Nein, natürlich nicht. So dachten wir anfangs. Doch unsere Fröhlichkeit stieg allmählich in ungeahnte Höhen, sodass wir immer mehr neidische Blicke ernteten. Und schließlich war der Punkt erreicht, an dem es ganz selbstverständlich erschien, mit Wasser Bruderschaft zu trinken. Und der Lohn der guten Tat? Zwei süße Küsse. Worauf ich kichernd sagte: „Und jetzt gehen wir an die Bar, einen heben. Ja?“

„Ja, noch ein Gläschen Wasser“, erwiderte Eva und prustete vor Lachen.

Christa prustete nicht, sondern sagte mit gewichtiger Miene: „Ich weiß schon, was wir jetzt machen. Wir gehen zu uns und füttern den Herrn Reiseleiter mit Schokolade statt mit Wein. Damit er uns nicht verhungert.“

„Oh, das wäre aber supernett“, sagte ich, ehrlich begeistert von der Aussicht auf weitere Nahrungszufuhr.

Also „hoben wir die Tafel auf“ und begaben uns in ihr Zimmer. Dort angekommen, verschwand Christa als Erstes im Bad, und ich blieb mit Eva allein zurück. Diese Gelegenheit nutzte ich sofort aus, um ihr, vom Übermut beflügelt, vorzuschwärmen, wie süß ihr Bruderschaftskuss gewesen sei, und wie schade es doch sei, dass man einen solchen nicht wiederholen kann.

„Wer sagt, dass man ihn nicht wiederholen kann?“, erwiderte sie, schelmisch grinsend, trat auf mich zu und drückte mir einen zweiten Bruderschaftskuss auf die Lippen. Und der war so süß, dass mich der Übermut vollends überwältigte. Ich schlang meine Arme um sie und erwiderte ihren Kuss und spürte im nächsten Moment ihre Zunge in meinem Mund und begrüßte diese mit meiner Zunge und merkte nicht, dass inzwischen Christa aus dem Bad herausgetreten war und mit rotglühenden Wangen wie erstarrt in der Türe stehen blieb.

Aber Eva merkte es. Sie löste sich von mir und war ebenfalls erstarrt. Ich war selbst erstarrt, aber nicht durch Christas plötzliches Erscheinen, sondern durch geheimnisvolle Schwingungen, die Evas Kuss in meinem Innern ausgelöst hatte.

Christa erwachte als Erste aus ihrer Erstarrung. Sie lachte hell auf und sagte: „Na, das ist aber flott gegangen.“

Eva erwachte als Nächste und begann ebenfalls zu lachen. „Wir haben doch nur den Bruderschaftskuss wiederholt.“

Und ich: „Ja, ich hab nämlich so bedauert, dass man ihn nicht wiederholen kann.“

Und Christa, noch immer lachend: „Und da hat dir die Eva das Gegenteil bewiesen, ja?“ Und zu Eva gewandt und mit dem Kopf in Richtung Bad deutend: „Wolltest du nicht auch ...“

Diese verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und trollte sich ergeben ins Bad. Doch im selben Augenblick legte sich Christas Heiterkeit. Mit ernster Miene murmelte sie: „Aber willst du das überhaupt? Jetzt hat dich ja schon die Eva ...“

„Aber dein Kuss war noch viel süßer.“

„Wirklich? Dann wär dir das also nicht unangenehm?“

„Unangenehm? Du scherzt.“

Nun leuchteten ihre Augen auf, und sie trat an mich heran, und ich trat an sie heran, und wir umarmten uns voller Andacht, und unsere Lippen, unsere Zungen vereinigten sich zu einem unbeschreiblich süßen Kuss. Er schweißte unsere Lippen und unsere Zungen zusammen, verwirrte unsere Sinne. Und sogleich lösten (wie Homer sagen würde) die Knie sich uns und das liebe Herz, und wir merkten nicht, dass Eva längst wieder aus dem Bad herausgetreten war und uns amüsiert (oder neidvoll) zuschaute. Wir merkten es erst, als plötzliches Händeklatschen unsere Andacht störte. Da beendeten wir sie mit vielem Bedauern und starrten Eva an, und meine Augen sahen sie und sahen sie nicht. Denn meine Sinne waren noch ganz erfüllt von Christas Kuss und Christas Umarmung, und die geheimnisvollen Schwingungen, die Evas Kuss in mir ausgelöst hatte, waren geradezu unbedeutend im Vergleich zu den Schwingungen, die jetzt meinen ganzen Körper erfüllten.

Wie aus weiter Ferne hörte ich Evas Stimme: „Jetzt hab ich geglaubt, du willst unseren Herrn Reiseleiter mit Schokolade füttern, damit er uns nicht verhungert?“

„Ja, ja“, hörte ich Christa stammeln. „Ja, selbstverständlich. Wie kann man nur.“

Sie warf mir einen flammenden Blick zu, stürzte sich eilfertig auf ihren Koffer, wühlte ein Weilchen darin herum und hielt schließlich triumphierend eine Tafel Schokolade in die Höhe. Und damit begann sie mich nun liebevoll zu füttern.

 

2

Am nächsten Abend speisten wir nicht im Hotel, sondern erfreulicherweise echt orientalisch in einem volkstümlichen Restaurant. Zwar saß man denkbar gedrängt. Doch da ich wieder neben Christa sitzen durfte (Eva war wegen Unpässlichkeit im Hotel geblieben), nutzte ich die Situation schamlos aus, um ihr unter dem Tisch noch näher zu kommen. Und was ich noch weit erfreulicher fand: Sie nutzte die Situation auf ähnliche Weise aus. Und nach der Rückkehr ins Hotel harrte sie geduldig in der Lobby aus, bis sich alle anderen zerstreut hatten und wir zwei als Einzige übriggeblieben waren. Daher fragte ich sie: „Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft?“

Ihre Augen leuchteten auf. „Im Dunkeln? Nur wenn du mich beschützt.“

Unter Scherzen und Geblödel traten wir ins Freie und begannen unseren kleinen Spaziergang an der frischen Luft. Ich legte meinen Arm um Christas Schultern und drückte sie an mich, und sie schlang ihren Arm um meine Taille und schmiegte sich an mich. Weit kamen wir nicht. Denn je länger ich sie an meiner Seite spürte, umso heftiger wallte mein Blut. Schließlich schlang ich auch meinen anderen Arm um ihre Schultern, und sie schlang ihren anderen Arm um meine Hals. Im nächsten Augenblick vereinigten sich unsere Lippen und bald auch unsere Zungen zu einem köstlichen, nicht enden wollenden Kuss. Und als er schließlich doch endete, fanden wir übereinstimmend, eine Zugabe wäre angebracht, und danach eine zweite und eine dritte.

Vor weiteren Zugaben bewahrte uns irgendein Geräusch, das wir plötzlich wahrnahmen. Da sprangen wir erschrocken auseinander, und ich murmelte mit Bedauern: „Wenn wir so weitermachen, wird man uns noch steinigen.“

Gleich darauf marschierten mehrere Mannsbilder an uns vorbei und beäugten uns misstrauisch und mit gefährlich blitzenden Zähnen. Entmutigt und ernüchtert, machten wir wortlos kehrt. Wortlos betraten wir die Hotelhalle. Wortlos betraten wir den Lift, wo wir uns sofort wieder leidenschaftlich küssten. Wortlos verließen wir den Lift. Wortlos marschierten wir – wohin? Natürlich, zu meinem Zimmer. Wortlos betraten wir es. Wortlos fielen wir neuerlich übereinander her und küssten uns, dass sogleich die Knie sich uns lösten und das liebe Herz. Inzwischen begaben sich meine Hände auf Wanderschaft und entdeckten an Christas Körper köstliche Dinge und wurden von ungeahnter Kühnheit übermannt und drangen bis auf den Grund ihrer Kleidung vor und spürten Christas köstliche Haut und begannen diese zu enthüllen. Und siehe da, auch Christas Hände wurden kühn und begannen meine Haut zu enthüllen. Und schon sanken wir, sozusagen in einem Stück, aufs Bett, und schon umhüllte (in Homers Worten) süßes Verlangen mir die Sinne, und schon begann mein schon längst glühender Schwanz in Christas heiße, feuchte Möse einzudringen.

Plötzlich schrie Christa: „Nein, nicht“, stieß mich zurück, machte sich frei von meinem Schwanz. Aber zu spät: Im nächsten Moment explodierte er und spritzte sie voll, und ich war nicht imstande, das Unheil zu verhindern.

Voller Bestürzung starrte ich auf die Bescherung und merkte kaum, wie sich Christa aufrichtete, mir, offenbar zum Trost, über die Haare strich und mir ins Ohr flüsterte: „Entschuldige bitte. Aber es geht nicht. Es ist nicht recht.“

„Ha?“, entfuhr es mir. „Was? Wieso?“

„Du bist ja sicher verheiratet. Stimmt’s?“

Verstört, zerknirscht, nickte ich.

„Na, siehst du. Und ich selber bin liiert.“

Schweigen.

„Darf ich bei dir duschen?“

Und ohne meine Antwort abzuwarten, rappelte sie sich auf und verschwand im Bad. Hierauf fand ich, dass ich auch selber unter die Dusche gehörte, und folgte ihr nach. Und nun konnte ich wenigstens meine Augen an ihren aphrodisischen Formen erfreuen, wenn mir schon alles andere verwehrt sein sollte.

 

3

Am nächsten Morgen nahmen wir Abschied von Bengasi und landeten eine Stunde später in Tripolis. Ein anderer Bus nahm uns auf, und ein anderer Fahrer, den uns Omar als Mahmud vorstellte, brachte uns in die Stadt und lud uns nicht vor einem Hotel wieder aus, sondern auf dem Grünen Platz. (Seit 2011 heißt er Märtyrerplatz.) An ihm erhebt sich die „Rote Burg“, arabisch Al-Hamra, mit dem äußerst sehenswerten Nationalmuseum. Es enthält ein Kunstwerk von unwiderstehlicher Schönheit: Die lebensgroße Marmorstatue der Badenden Venus (Aphrodite), bei weitem nicht so berühmt wie die Venus von Milo, aber schöner, besser erhalten und überdies völlig unverhüllt. Überdies ist sie ein Werk des Praxiteles, freilich nicht das Original, sondern eine römische Kopie.

Eben erst waren wir in Tripolis angekommen, und schon verließen wir es wieder in Richtung Westen, um Sabratha zu besuchen, eine der besterhaltenen Römerstädte. Den Abschluss der Besichtigungen hier bildete das Museum mit einem phantastischen Mosaikfußboden aus einer früchchristlichen Kirche. In einem christlichen Mosaik hat, anders als in heidnischen Darstellungen, alles eine symbolische Bedeutung. So symbolisiert ein Rad schlagender Pfau das Paradies und ein Vögelchen im Käfig die im sterblichen Körper gefangene Seele.

Dieses Mosaik scheint der lieben Christa unter die Haut gegangen zu sein. Diesen Eindruck erweckte sie jedenfalls, als sie sich auf dem Rückweg zum Bus an mich heranmachte und mit mir zu flüstern begann. Dies waren übrigens die ersten privaten Worte, die sie seit jener nächtlichen Katastrophe mir gegenüber herausbrachte.

Ich begrüßte sie mit einem fröhlichen „Na also! Sprichst du wieder mit mir?“

„Du bist mir gar nicht böse?“, flüsterte sie.

„Aber ich bitte dich“, flüsterte ich zurück. „Wofür hältst du mich?“

„Weißt du, da drinnen“, und sie zeigte auf ihre Brust, „in diesem Käfig, ist auch ein solches Vögelchen.“

„Und das zwitschert dir was Schönes vor?“

„Das piepst elendiglich vor lauter Sehnsucht. Und vor Durst.“

„Oh ...“

„Kennst du den Psalm: Wie der Hirsch ...?“

„O ja: Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.“

„Genau. Und meine Seele, mein Vögelchen, piepst elendiglich, weil ...“

„Weil?“

„Errätst du’s nicht?“

Doch, ich glaubte es zu erraten. Aber just in diesem Augenblick schlich sich eine andere Dame an und warf mir eine dringende Frage an den Kopf.

 

4

In unserem Hotel in Tripolis achtete ich darauf, dass Christas und Evas Zimmer dem meinen möglichst nahe war, und freute mich schon aufs Alleinsein mit Christa. Nur, was tun mit Eva? Eva würden wir irgendwie abwimmeln müssen. Aber wie? So sehr ich mir den Kopf zerbrach – mir wollte keine Lösung einfallen.

Als ich, wie immer als Letzter, zum Abendessen kam, fand ich wieder einen schönen Platz zwischen Christa und Eva, den sie für mich reserviert hatten. Und da sagte Eva unvermittelt: „Sag, Peter kommst du nachher mit uns in die Bar?“

„In die Bar? Gibt’s denn hier eine Bar?“

„Ja, stell dir vor. Eine solche hat es anscheinend auch im letzten Hotel gegeben. Wir haben sie nur nicht bemerkt.“

„Und wie habt ihr sie jetzt entdeckt?“

„Gar nicht. Sondern wir haben zufällig gehört, wie ein paar Leute darüber geredet haben. Und da sind wir eben nachschauen gegangen.“

„So? Und was gibt’s dort Gutes zu trinken? Wasser?“

„Klar. Das auch. Wir haben uns nämlich erkundigt. Was glaubst du, was es dort für eine tolle Auswahl gibt: Tee. Alkoholfreies Bier. Coca-Cola. Und jawohl, sogar Wasser. Aber trotzdem. Vorgestern haben wir auch ohne Wein Bruderschaft getrunken. Kommst du mit? Ich darf dich doch einladen?“

„Sehr gern“, erwiderte ich. Und dann übermannte mich der Übermut: „Falls ich noch einmal einen Bruderschaftskuss krieg.“

Eva lachte herzlich und rief Christa zu: „Was meinst du? Sollen wir unserem Herrn Reiseleiter dieses unschickliche Verlangen erfüllen?“

Christa lächelte nur. Verführerisch.

Also dann, nach dem Essen: Auf, an die Bar. Und was wollte ich trinken? Nun, bei einem solchen Angebot kam für mich nur Tee in Frage. Der macht wenigstens schön warm. (Es war nämlich unerwartet kalt.)

Eva bestellte Tee für alle drei. Den Bruderschaftskuss hoben wir uns in stillschweigendem Einverständnis für später auf. Eva sprühte förmlich vor Charme und Lebenslust. Christa zeigte sich auffallend schweigsam.

Es dauerte nicht lang, da nahm auf dem freien Platz neben Eva ein elegant gekleideter, schwarzlockiger Jüngling Platz. Er quatschte Eva ohne viel Federlesens auf Englisch an, und sie begann ihren Charme nun ihm gegenüber zu versprühen. Da war ich sehr erleichtert, und Christa war’s, glaube ich, auch. Denn nun konnten wir endlich Persönliches miteinander besprechen.

„Nun, wie geht’s dem Vögelchen da drinnen?“, flüsterte ich ihr zu und zeigte auf ihre Brust.

„Schon ein bissele besser“, flüsterte sie, süß lächelnd, zurück.

„Piepst’s also nicht mehr so elendiglich?“

„Es zwitschert schon fröhlich. Ich glaube, das macht die Vorfreude.“

„Und sein Durst?“

„Ist größer als je zuvor. Aber ich glaub, das ist immer so, wenn man weiß, es kann nicht mehr lange dauern.“

„Na ja, mir dauert’s jetzt schon fast zu lang. Weißt du, ich hab da auch so ein Vögelchen, das es vor Durst nicht mehr aushält.“

„Wirklich?“

Christa schaute mich mit großen Augen an, und ihre Wangen wurden zu Purpur. Hierauf fasste sie mich am Arm, zog mich zu sich und flüsterte mir ins Ohr: „Peterle, darf ich dir was verraten?“ Und mit feierlichem Nachdruck: „Peterle, ich liebe dich. Ich kann mir nicht helfen. Und ich werde dich nie wieder enttäuschen. Das ist ein heiliger Schwur.“

Nun schaute ich sie mit großen Augen an und stammelte mit ähnlich feierlichem Nachdruck: „O Christa, ich liebe dich auch, und mein Vögelchen schreit vor Durst nach dir wie nach frischem Wasser. Wann werden wir hier endlich wegkommen? Und wie?“

Christa schmunzelte geheimnisvoll. „Ich glaub, sehr bald und ganz leicht. Die Eva ist eh anderweitig beschäftigt.“

„Ja, Gott sei Dank.“

Ich blickte mich um und erkannte, dass die Situation sogar ungewöhnlich günstig war: Eva war so sehr mit dem schwarzlockigen Jüngling neben ihr beschäftigt, dass sie uns ebenso wenig beachtete, wie wir zuletzt sie beachtet hatten. Sollen wir uns schon heimlich, still und leise davonmachen? Ich zögerte. Christa zögerte.

Wir zögerten um ein Weniges zu lang. Denn während wir noch zögerten, drohte das fröhliche Treiben neben uns unversehens aus dem Ruder zu laufen. Der Jüngling begann auf einmal, so gut er’s eben konnte, anzügliche Reden zu führen, mit anderen Worten: Eva nach Strich und Faden den Hof zu machen. Ihr schien das sogar zu gefallen. Sie fühlte sich augenscheinlich geschmeichelt.

Dadurch offenbar ermutigt, legte er ihr den Arm um die Taille, zog sie an sich, flüsterte ihr etwas ins Ohr und versuchte sie zu küssen. Da bekam sie‘s aber mit der Angst zu tun, geriet in Panik, stieß ihn zurück und rief: „Mein Mann! Er wird böse.“

„Dein Mann?“, sagte er verblüfft. „Wo ist dein Mann?“

„Hier. Siehst du ihn nicht?“

Er lachte höhnisch. „Ein Scherz. Das ist der Mann von der anderen Frau.“

„Nein, das ist mein Mann“, kreischte Eva, klammerte sich an mich und begann mich so leidenschaftlich zu küssen, dass ich, sobald ich die erste Überraschung überwunden hatte, von ihrer Leidenschaft angesteckt wurde wie von einem ansteckenden Fieber und ihre Küsse zu erwidern begann. Und sie flüsterte mir zu: „Rettest du mich bitte vor diesem Kerl?“

Schließlich löste sie sich wieder von mir, sagte zu dem Jüngling, der unserem Treiben wie versteinert zusah: „Glaubst du mir jetzt?“, zückte ihre Börse, warf einen Geldschein auf den Tresen und ihm ein forciert fröhliches „Good-bye“ an den Kopf, ergriff meine Hand und stürmte mit mir im Schlepptau aus der Bar, ohne Christa eines Blickes zu würdigen. Ich konnte gerade noch erkennen, dass auch diese wie versteinert dasaß und dass ihre Wangen nicht mehr Purpur waren, sondern Marmor. Und einen flüchtigen Augenblick musste ich an die Badende Venus denken. Es war nämlich exakt dieselbe Farbe.

Wohin schleppte mich Eva? Natürlich, in den Lift. Er war leer. Wir fielen sofort übereinander her und küssten uns, dass wir davon regelrecht berauscht wurden und um ein Haar vergessen hätten, wo wir uns befanden. Von da an schleppte nicht mehr sie mich, sondern ich sie. In meinem Zimmer angelangt, küssten wir uns aufs Neue wie im Rausch; oder vielmehr war’s ein echter Rausch, ein Rausch der Sinne. Und nun gab es kein Zurück. Der Rausch trieb uns erbarmungslos immer weiter, dem von der Natur vorgesehenen Ziel zu. Er verlieh meinen Händen Kühnheit. Er ließ sie Evas aphrodisische Haut spüren, sich an dieser doppelt und dreifach berauschen. Er verlieh Evas Händen Kühnheit. Sie rissen mir die Kleider vom Leib, liebkosten meine Haut, meinen bereits glühenden Schwanz. Der Rausch meiner Hände, der Rausch meiner Sinne stieg ins Unermessliche. Süßes Verlangen umhüllte mir die Sinne, verlieh mir noch mehr Kühnheit, verscheuchte mir die allerletzten Hemmungen, ließ meinen Körper und Evas Körper (um die Worte der Bibel zu gebrauchen) ein einzig Fleisch werden, ließ unsere Seelen verschmelzen, trug sie in die Höhe, in den siebten Himmel.

Umso schmerzlicher der Absturz danach: Da wurden nämlich meine Sinne von ihrer Umhüllung wieder befreit, das grelle Licht der Vernunft leuchtete ihnen wieder, die Berauschung fiel von ihnen ab wie herbstliches Laub von den Zweigen. Nackt und bloß boten sie sich nun meinem inneren Auge dar: einerseits aufs Höchste beglückt, andererseits entsetzt über meinen Verrat an Christa.

Eva muss mir meine momentane Depression angemerkt haben, obwohl ich mittlerweile wieder dazu übergegangen war, ihre aphrodisische Haut zu liebkosen. Sie beugte sich über mich, küsste meine Nasenspitze und flüsterte: „Du bist ja so zärtlich. Aber war’s denn nicht schön für dich?“

„O ja, und wie“, stieß ich atemlos, erschöpft von dem Aufstieg in so große Höhe, hervor. „Hm? Wieso?“

„Weil du auf einmal so ... so unbefriedigt wirkst.“

„Unbefriedigt?“ Ich musste lachen. „Nein, wirklich nicht. Und du? War’s für dich schön?“

„Schön? Schön ist ja gar kein Ausdruck. Himmlisch war’s. Göttlich war’s. Und du bist noch immer so zärtlich.“

„Wieso? Ist doch ganz normal bei einer so bezaubernden Frau. Oder sind da andere Männer anders?“

Nun lachte sie. „Soll ich dir sagen, wie die meisten Männer sind? Die denken doch immer nur an das eine. Und wenn sie fertig sind, denken sie immer nur daran, wie sie die Frau schnellstens aus ihrem Bett kriegen können. Du bist da ganz anders. Und darum geb ich dich nicht mehr her, das schwör ich dir.“

Und was war der Erfolg ihres Schwurs? Meine Hände fühlten sich in ihrem lustvollen Tun bestärkt. Meine Lippen, meine Zunge wurden kühner als je zuvor. Und wieder verschmolzen unsere Körper, unsere Seelen, und schwebten bis in den siebten Himmel empor.

Der Absturz danach war schmerzlos. Denn uns fingen, gleich einem Sprungtuch, die weichen Arme des Schlafgottes Morpheus auf.

Schmerzhaft hingegen war das Aufwachen am nächsten Morgen. Denn da musste ich sofort wieder an Christa und meinen Verrat an ihr denken. Und mir wurde bewusst, dass ich mich in sie tatsächlich verliebt hatte, nicht jedoch in Eva, die noch tief und fest neben mir schlummerte. Aber – so inkonsequent ist der Mensch, bin zumindest ich – ich versuchte diesen Schmerz zu betäuben, indem ich mich über sie hermachte und sie zärtlich liebkoste, um sie zu wecken. Denn ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass höchste Eile angebracht war, weil wir aus dem Hotel schon wieder auschecken mussten. Trotzdem umhüllte sogleich wieder süßes Verlangen mir die Sinne, und ich fiel zu Evas Entzücken wie ein wildes Tier, nein, wie ein berauschter Mensch über sie her und entführte sie neuerlich in den siebten Himmel.

 

5

Am nächsten Morgen machten wir uns, nur mit dem Allernötigsten beladen, auf zum abenteuerlichen Teil der Libyenreise, der Fahrt in die Sahara, in den Südwesten des Landes, in die Oase Ghadames.

Es dauerte nicht lang, da erhob ich mich von meinem Sitz, um wieder einmal durch die Reihen zu spazieren und Fragen oder Beschwerden meiner Schäflein entgegenzunehmen. Und vor allem, um nach Christa zu sehen.

Nun, Eva strahlte mich an, dass es eine Freude war. Christa strahlte nicht. Sie warf mir einen raschen, schmerzlich ernsten Blick zu und schaute danach wieder aus dem Fenster.

Oje, die ist stinksauer. Ich muss sofort, bei der nächsten Gelegenheit, mit ihr reden. Ich muss ihr klarmachen, dass ich sie, nicht die Eva, liebe, auch wenn es momentan so aussieht. Nur, was hätte ich gestern Abend tun sollen? Wie hätte ich dieses Schlamassel verhindern sollen?

Schon während der ersten Fahrtpause nahm ich Christa zur Seite.

„Du bist sauer, was?“, murmelte ich reichlich zaghaft. „Kann ich gut verstehen.“

„Soso. Das kannst du gut verstehen“, erwiderte sie mit überraschend gleichmütiger Stimme und ebensolcher Miene. „Klar, du bist ja sehr begabt. Also wirst du mir jetzt einzureden versuchen, wie leid es dir tut, und wie sehr du auf mich stehst. Aber weißt du was? Bemüh dich nicht. Bleib bei deiner Eva und lass mich in Ruhe, ja?“

„Aber Christa, Liebste ...“

„Und sag ja nie wieder Liebste zu mir.“

Mit diesen Worten wandte sie sich ab, und ich stand da wie ein begossener Pudel und wusste nicht, wie mir geschah. Ich wusste nur: Die Christa hab ich verloren. Und wie sehr ein solches Wissen schmerzt, kann nur erahnen, wer Ähnliches schon einmal erlebt hat.

Aber dann übermannte mich so etwas wie heiliger Zorn. Ich fühlte mich plötzlich ungerecht behandelt. Hat sie denn nicht gesehen, wie mich Eva überfallen und verschleppt hat? Sie hat’s doch live, in Farbe und 3-D miterlebt. Und wieso hat sie selber nichts dagegen unternommen? Sie hätte es doch so leicht verhindern können. Ein Wort nur hätte sie zu sagen brauchen. Oder einfach die Hand auszustrecken und mich zurückzuhalten. Und jetzt will sie sich aufregen und mich als den Bösen hinstellen? Na, zum Glück hab ich noch die Eva. Da weiß ich wenigstens, woran ich bin. Die steigt auch nicht mit mir ins Bett, um im allerletzten Moment wie ein aufgescheuchtes Huhn das Weite zu suchen und mich in einer denkbar blöden Situation zurückzulassen. Ich muss heilfroh sein, dass ich jetzt die Eva hab.

So gelangten wir allmählich von der Halbwüste in die Vollwüste. Hier sah es aus wie am ersten Tag der Schöpfung: Und die Erde war wüst und leer. Und längst verlangten unsere Mägen nach Nachschub. Nur, wo soll man mitten in der Wüste Nahrung finden?

Da tauchte vor uns ein einsames Gebäude auf. Mahmud bog in einen staubigen, von einer Mauer umgebenen Hof mit Tankstelle ein und hielt unmittelbar vor dem lebensrettenden Bauwerk, das sich tatsächlich als Restaurant herausstellte. Nur, als uns sein Besitzer zeigte, welche Köstlichkeiten er anzubieten hatte, da war, zumindest bei mir, die Enttäuschung groß, und ich begnügte mich mit mehreren Tassen Tee. Für die meisten war, nebenbei bemerkt, etwas anderes noch wichtiger als Trinken, nämlich die überschüssige Flüssigkeit, die sich im Körper angesammelt hatte, in die Freiheit zu entlassen. Entsprechend dicht umlagert war daher der Ort, der für solche Aktivitäten vorgesehen ist.

Darum beschloss ich, mir lieber die Beine zu vertreten und einmal um die lange Umfassungsmauer zu joggen. Und was fand ich dort? Ich glaubte zu träumen: ein Lippenpaar, das mich leidenschaftlich küsste. Evas Lippen. Sie muss mich beobachtet und mir heimlich nachgestiegen sein, allerdings in die andere Richtung. Denn gänzlich unverhofft war sie mir plötzlich um die Ecke entgegengekommen, und ich machte große Augen und war aufs Äußerste gerührt.

Sie war mir aber nicht nur nachgestiegen, um mich zu küssen. Sie hatte etwas auf dem Herzen: Ob sie nicht auch im nächsten Hotel bei mir schlafen könne? Und ob ich da nicht gleich von vornherein der Christa mein Einzelzimmer zuteilen könne?

Nun lag es klarerweise an mir zu versichern, wie sehr diese Anregung meinen eigenen Wünschen entgegenkomme, und was für eine tolle Frau sie sei – und noch mehr in der Art. Dafür wurde ich erneut und noch dazu mit solcher Leidenschaft geküsst, dass süßes Verlangen mir die Sinne zu umhüllen begann. Und ich war schon nahe daran, ihm, dem süßen Verlangen, gleich hier an Ort und Stelle, halt im Stehen, nachzugeben. Und nur unter heroischer Selbstüberwindung behielt die Vernunft die Oberhand.

Später, während der Weiterfahrt, ertönte plötzlich ein vielstimmiger Aufschrei aus dem Hintergrund: „Kamele! Kamele! Halt! Stopp!“

In der Tat, in nicht allzu großer Entfernung von der Straße war eine ganze Herde von Kamelen zu erkennen. Und Omar bedurfte keiner Aufforderung meinerseits, um Mahmud aufzufordern, anzuhalten. Das tat er, und sofort strömte die gesamte Schar meiner Schäflein hinaus, um dieses Ereignis zu würdigen, und die Kühneren unter ihnen eilten über Stock und Stein, um den Kamelen nahe zu sein. Zu diesen Kühneren gehörte (abgesehen von mir selbst) auch Christa. Und da standen wir uns unversehens gegenüber und betrachteten nicht die Kamele, sondern uns gegenseitig. Und ich seufzte: „Ach Christa.“ Und sie murmelte: „Ach Peterle, du Schuft.“

„Schuft?“, wiederholte ich pikiert.

„Bist doch der gleiche Filou wie mein Freund.“

„Aber ... Das sieht vielleicht so aus ...“

„Sieht nur so aus? Das ist Witz des Tages, wie?“

„Aber überhaupt nicht. Christa, Liebste, hör zu.“

„Nenn mich nicht ständig Liebste, wenn du’s nicht ehrlich meinst.“

„Ich mein’s aber ehrlich. Hör zu: Ich hab mich auf dieser Reise schrecklich verliebt. Aber nicht in die Eva. Sondern in dich.“

„Und das soll ich dir glauben?“

„Noch einmal: Hör zu. Damit du’s mir glaubst. Die Eva möchte, dass ich dir in Ghadames mein Einzelzimmer geb, damit sie bei mir schlafen kann. Ich würde aber hundertmal lieber ihr mein Einzelzimmer geben und dich bei mir haben. Auch wenn du nicht mit mir ... Du weißt schon.“

Schweigen.

„Würdest du zu mir kommen?“

Schweigen.

Schließlich murmelte sie: „Das muss ich mir aber noch gründlich überlegen“, wandte sich ab und rannte auf die Kamele zu.

In Ghadames angekommen, machte ich an der Rezeption unseres Hotels die Zimmereinteilung und begann die Schlüssel zu verteilen. Und im selben Moment durchzuckte mich ein Schock. Mir fiel ein, dass noch immer nicht geklärt war, ob ich Eva den Schlüssel zum Einzelzimmer überreichen und damit bitter enttäuschen musste oder nicht. Christa hatte mir ihre Entscheidung noch nicht verraten. Was sollte ich tun? Ha, am besten gar nichts verändern.

Ich drückte den beiden den Zimmerschlüssel in die Hand und sagte: „Bitte nicht bös sein. Aber ich bin total fertig und muss mich wieder einmal ausschlafen.“

 

6

Am nächsten Morgen besichtigten wir die Altstadt von Ghadames, der, wie unser Stadtführer erklärte, in ihrer völligen Geschlossenheit besterhaltenen Altstadt unter allen Oasen Libyens. Er ging mit Omar voran, und ich versprach, das Schlusslicht zu bilden. Und wer leistete mir dabei getreulich Gesellschaft? Ich war gerührt und beglückt: Christa war‘s. So gerieten wir mehr als einmal in Gefahr, uns zu verirren, auch durch eigene Schuld. Denn irgendwann gaben wir dieser ständigen Versuchung nach und ließen uns dazu verführen, mehr als einmal stehenzubleiben und uns zu umarmen und zu küssen.

Und Eva? Oje, für Eva war ich heute Luft.

Nach der zweiten Nacht in Ghadames stand die Rückfahrt nach Tripolis auf dem Programm. Die Mittagspause wurde im selben einsamen Wüstenrestaurant zelebriert wie zwei Tage zuvor. Und wieder verschmähte ich die Toiletten und joggte rund um die Umfassungsmauer, wo man ungesehen und ungestört alles Mögliche erledigen kann. Und wieder stand sie unversehens vor mir – eben sie, die mich vorgestern an dieser Stelle um ein Haar verführt hätte und für die ich gestern noch Luft gewesen war. Sie stand vor mir und blickte mich mit ernster Miene unverwandt an, und ich blickte sie mit ernster Miene unverwandt an. Nach endlos scheinenden Augenblicken hing sie plötzlich an meinem Hals und begann mich zu küssen, dass sich sogleich die Knie mir lösten und das liebe Herz. Alle meine Vorbehalte gegen Eva wurden wie von einem reißenden Strom weggespült, und ich spürte, wie süßes Verlangen meinen Verstand lähmte. Und dann zog sie die eine Hand von meinem Hals ab und machte sich mit ihr, nicht gerade schüchtern, über meine plötzlich aufgewölbte Körpermitte her. Im selben Moment erwachte mein Verstand aus seiner momentanen Lähmung, und ich unterdrückte, nicht ohne Überwindung, das süße Verlangen und straffte die Knie und das liebe Herz und entfernte die vorwitzige Hand.

„Liebste Eva, nicht doch“, stammelte ich. „Wenn uns hier jemand sieht.“

„Zwei lange Nächte hast du mich jetzt dunsten lassen“, sagte sie.

„Jetzt hab ich geglaubt, du bist bös auf mich?“

„Bin ich jetzt aber wirklich.“

Und sie wandte sich ab, ohne mich noch einmal zu küssen, und setzte ihren Rundgang fort, hielt aber gleich wieder inne und rief mir zu: „Hoffentlich weißt du am Abend bei der Schlüsselverteilung, was zu tun ist.“

„Keine Angst“, rief ich zurück. „So weit reicht mein Verstand noch.“

Und? Wusste ich bei der abendlichen Schlüsselverteilung in Tripolis noch, was zu tun ist?

Aber ja. Bleibt nur noch die eine Frage zu klären, wen ich mit dem Privileg eines Einzelzimmers beglücken sollte: Christa oder Eva.

Hier die Antwort: Eva war’s, die ich damit beglückte. Christa überreichte ich ihren Schlüssel erst ganz zum Schluss. Ich überreichte ihn mit aufmunterndem Lächeln und der geflüsterten Bemerkung, sie möge vorausgehen; ich hätte noch einiges an der Rezeption zu tun.

Sobald hier alles erledigt war, wartete auf mich eine letzte Versuchung. Ich hatte ja noch immer die Wahl, entweder bei Christa oder bei Eva einzutreten. An Evas Tür musste ich sogar vorbei. Aber mein Verstand behielt die Oberhand: Ich wanderte weiter bis zu Christas Tür.

Und da tat sich vor mir wie ein Abgrund, angefüllt mit Gold und Edelsteinen, eine allerletzte Versuchung auf: Christas Tür war abgesperrt. Wie unangenehm! Wäre es da nicht sicherer (und vielleicht auch lohnender), doch zu Eva zurückzugehen?

Aber auch dieser Kelch ging an mir vorüber. Denn ich klopfte, und siehe, mir ward aufgetan, und hinter der Tür erschien, gleich einem Engel Gottes, Christa, verschämt lächelnd, bekleidet mit nichts als einem Badetuch. Und während ich eintrat und die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ, wurde ihr Lächeln immer süßer und zugleich immer weniger verschämt. Und dann trat sie vor mich hin, drückte mir einen kurzen, aber ach wie süßen Kuss auf die Lippen und entschwand mir wieder ins Bad.

Nach dem Abendessen musste ich mich noch ein Weilchen von Eva bedrängen lassen. Sie klagte, ich hätte sie zuerst verliebt gemacht und dann fallengelassen wie eine heiße Kartoffel, und wandte sich dann beleidigt ab, und ich stand da und blickte ihr betroffen nach und bedauerte es in einem versteckten Winkel meines Herzens, damit eine phantastische Geliebte verloren zu haben. Dieses Gefühls schämte ich mich zwar. Aber das half gar nichts. Es ließ sich nicht vertreiben, und wenn ich mich noch so heftig schämte. Aber gut, meine Ruhe hatte ich jetzt, und ich konnte getrost zu Christa zurückkehren.

Sie erinnerte mich übrigens erneut an einen Engel. Sie hatte schon ihr Nachthemd an und sah darin direkt zum Anbeißen aus. Ich biss auch sofort an – im Klartext: Ich küsste sie zärtlich, und sie erwiderte meine Küsse. Aber während sie sich dann ins Bett legte, fragte sie, ob ich wirklich in sie verliebt sei und nicht doch eher in die Eva. Da setzte ich mich zu ihr auf die Bettkante und berichtete ihr alles, was es über Eva und mich zu berichten gab.

Als ich ihr später ins Bett nachfolgte, rollte sie sich, ohne zu zögern, zu mir herüber und schmiegte ihren warmen Körper an den meinen.

„Ah, Du bist so herrlich warm“, flüsterte ich und tat nichts, was der sexuellen Erregung hätte dienen können, begnügte mich mit der bloßen Berührung ihres Körpers, flüsterte auch nicht mehr. Andächtiges Schweigen senkte sich über das verliebte Paar. Und das süße Verlangen, das mir die Sinne umhüllte, blieb zart und durchsichtig und veranlasste mich nur dazu, Christas Wangen zu streicheln. Später begannen wir zu plaudern, und darüber verging die halbe Nacht. Zuletzt goss Gott Morpheus süßen Schlummer über unsere müden Augen. Es dämmerte schon, als dieser von den meinen wich. Sie erblickten als Erstes Christas liebliches Gesicht. Ihre Augen waren schon geöffnet und strahlten mich an, und ihre Lippen flüsterten mir zu, wie sehr sie mich liebe, und pressten sich auf die meinen.

Da überwältigte jenes süße Verlangen, das mir noch immer zart und durchsichtig die Sinne umhüllte, diese plötzlich vollends, und ich beschritt endlich den göttlichen Pfad der Venus und erreichte sein Ziel, ohne zurückgestoßen zu werden, und hörte den Liebesgott lachen und die Engelchöre jubilieren. Und wir schwebten, eng umschlungen, über die Wüsten Libyens und schwebten immer höher und standen plötzlich vor dem goldenen Thron des Liebesgottes, und dieser sprach mit Donnerstimme: „Siehe, ihr sollt verbunden sein auf ewig. Wahrlich, was ich verbunden habe, das darf der Mensch nicht trennen.“

 

7

Mit Eva bekam ich’s erst wieder tags darauf zu tun, unmittelbar vor der Besichtigung von Leptis Magna, der besterhaltenen Römerstadt Libyens.

„Schläfst du wenigstens heute bei mir?“, flötete sie. „Ist eh nur eine kurze Nacht.“

„Du, Eva ...“, begann ich zögernd und mit einem unbeschreiblichen Gefühl im Bauch.

„Also nein? Und daheim in Innsbruck?“

„Du, daheim in Innsbruck hab ich eine ...“

„So wenig weißt du also meine Liebe zu schätzen?“

„Aber ich hab dir doch versichert ...“

„Und die Christa? Hat die eigentlich ein eigenes Zimmer, oder schläft sie bei dir?“

Ich spürte, wie mein Geduldsfaden zu reißen drohte. „Du, bitte, wenn du wirklich so was wie Liebe für mich empfindest, dann hör endlich auf, mich zu quälen.“

„Ah, ich seh schon. Da ist nichts zu machen.“

„Du hast es erfasst.“

Ende des Kurzdialogs. Eva drehte sich abrupt um und trippelte eilig davon. Und ich blickte ihr gedankenverloren nach und wurde einen Augenblick lang von Reue über meine Zurückweisung einer so tollen Frau übermannt. Und ich musste an den bei den alten Griechen gängigen Spruch denken, dass der Liebesgott die Zurückweisung der Liebe einer Frau streng zu bestrafen pflegt.

Danach erst wurde Tripolis besichtigt. Wieder diente ich als Schlusslicht in den engen Gassen der Altstadt. Und wer leistete mir getreulich Gesellschaft? Nein, nicht Christa. Sondern Eva. Sie strahlte mich an und schwärmte mir mit ihrer süßesten Stimme vor, wie heftig sie sich in mich verliebt habe, und dass sie mich um keinen Preis verlieren wolle, und ob ich ihr nicht doch ein bisschen entgegenkommen und ihr ein klein wenig von meiner Liebe schenken wolle.

„Und du wirst sehen, irgendwann kommst du zu mir.“

Ich war ehrlich gerührt, als ich dies alles hörte.

Erst nachdem ich von Evas Gegenwart erlöst war, schlich sich wieder Christa an und begleitete mich getreulich.

Diese Nacht war kurz. Bald nach Mitternacht hieß es aufstehen, um rechtzeitig auf dem Flughafen zu sein. Auch wollten die Koffer noch gepackt werden. Trotzdem, Christa und mich zog es unwiderstehlich in unser schönes Doppelbett, um miteinander zu kuscheln, lustvoll zu vögeln und Abschied zu feiern.

Danach flossen jedoch die Tränen.

„In Innsbruck wirst du wieder mit deiner Frau schlafen. Und mich wirst du längst vergessen haben.“

„Aber Liebste, wie kannst nur so denken? Wie könnte ich dich jemals vergessen?“

„Na ja, vergessen vielleicht nicht. Aber wissen wirst du von mir nichts mehr wollen.“

„Wie könnte ich von einer so wunderbaren Geliebten nichts mehr wissen wollen?“

„Wirst du mich also besuchen? Oder wenigstens anrufen?“

„Beides. Du wirst sehen ...“

Und warum ließ ich meinen Satz unvollendet? Antwort: Weil meine Liebste blitzartig eingeschlafen war. So tröstlich müssen meine Worte gewirkt haben.

Das Aufstehen um Mitternacht war natürlich blanker Horror. Ebenso die Aufgabe, mich von meiner Liebsten zu verabschieden. Desgleichen von einer süß lächelnden und süß flötenden Eva. („Besuchst du mich in Innsbruck?“)

Ich musste nämlich zurückbleiben und am Flughafen eine neue Gruppe übernehmen. Und ich darf vermelden: Auch unter meinen neuen Schäflein gab es charmante und attraktive (und vielleicht sogar liebesdurstige) Damen. Aber ich sagte mir: Schluss mit dieser Liebelei! Wohin soll das noch führen?

Und siehe da, es gelang mir, den Sirenengesängen mehrerer Grazien bis zuletzt zu widerstehen und ihre Tugend nicht anzutasten.

Nach zwei Wochen in Libyen war es aber höchste Zeit, an den heimischen Herd und zu Claudia, meiner eigenen Frau, zurückzukehren.

 

8

Wie sagt der Dichter? Einsam steh ich und verlassen ...

Einsam stand ich plötzlich und verlassen und fühlte mich total erschöpft. Trotzdem hatte mich während des ganzen Fluges von Tripolis nach Wien und danach von Wien nach Innsbruck irgendetwas in mir nicht schlafen lassen. Irgendetwas? O nein, ich wusste genau, was es war: Gewissensbisse wegen meiner ausschweifenden Liebelei in Libyen. Was hat Libyen nur an sich, dass es die Menschen zur Liebelei verführt? Die Ähnlichkeit des Wortes kann’s wohl nicht sein. Oder doch?

Also: Gewissensbisse. Und dazu ein merkwürdiges Angstgefühl. Denn: Wie soll ich meiner Claudia gegenübertreten? Ich kann nur hoffen, dass ich jetzt nicht, vielleicht nur für sie sichtbar, ein Kainsmal (oder wie das bei Leuten wie mir heißt) auf der Stirn trage. Und ich fuhr mir sogar zur Sicherheit mit der Hand über die Stirn.

Ich trat aus dem inneren Flughafenbereich, blickte erwartungsvoll um mich und konnte keine Claudia entdecken. Merkwürdig. Sie holt mich doch immer ab, falls es ihr zeitlich ausgeht. Und heute ist ja Sonntag.

Mit wachsender Enttäuschung und Besorgnis bahnte ich mir den Weg durch die Wartenden, hielt inne, blickte abermals um mich. Im selben Moment tauchte aus dem Hintergrund ein wohlbekanntes Gesicht auf und schwebte, erwartungsvoll lächelnd, auf mich zu. Und sogleich lösten sich die Knie mir und das liebe Herz. Denn es war Evas Gesicht.

„Heute ist ja Sonntag“, flötete sie, während ich noch wie betäubt dastand und nicht wusste, wie mir geschah. „Und da hab ich mir gedacht, ich fahr einfach zum Flughafen und hol dich ab. Falls dich sonst niemand abholt.“

„Aber wieso“, stammelte ich, „wieso hast du gewusst, dass ich ausgerechnet mit dieser Maschine ...“

„Aber geh, letzten Sonntag sind wir doch mit derselben Maschine angekommen.“

Ja, ja. Man sieht, meine Sinne waren noch immer lahmgelegt.

„Und wohin?“, sagte sie mit anzüglichem Grinsen, während sie startete.

„Ins Bett, bitte“, erwiderte ich seufzend. „Du glaubst gar nicht, wie ...“

„Fragt sich nur, in welches.“

„Ah, du weißt schon. Du glaubst ja gar nicht, wie erschöpft man nach einer Reiseleitung ist.“

„Wie war denn deine zweite Woche? Falls ich fragen darf. Hast du’s wieder so bunt getrieben wie in der ersten?“

„Also, liebste Eva, das erzähl ich dir alles ein andermal. Nur, heute ...“

„Ja? Kommst du mich einmal besuchen? Das würde mich freuen. Oder ruf mich an, falls du befürchtest, dass ich dich deiner Frau wegnehmen will. Weil, nichts liegt mir ferner. Das freut mich übrigens, dass du mich liebste Eva nennst. Und noch was: Ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich weiß, in Libyen, da hab ich mich ... da war ich ekelhaft. Das tut mir aufrichtig leid. Und ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“

So plauderte Eva fröhlich dahin, während sie mich durch das sonntäglich ausgestorbene Innsbruck chauffierte. Und wohin chauffierte sie mich? Zu ihr? Ja, so dachte ich. Und tatsächlich bremste sie plötzlich ab, zeigte auf ein bestimmtes Gebäude und erklärte, hier wohne sie, beschleunigte aber wieder, nachdem sie mir einen prüfenden Blick zugeworfen hatte. Sie schien übrigens genau zu wissen, wo ich wohnte. Denn ohne dass ich ihr die Adresse genannt hätte, steuerte sie schnurstracks mein Domizil an und verabschiedete sich mit einem, nun ja, alles andere als kühlen Kuss.

Jetzt stand ich also, wie bestellt und nicht abgeholt, vor meinem Wohnhaus, versuchte mit mäßigem Erfolg die Lähmung meiner Sinne zu überwinden und mein plötzliches Herzklopfen zu ignorieren und überlegte, was meine liebe Claudia wohl daran gehindert haben mochte, mich abzuholen. Es wird ihr doch nichts zugestoßen sein? Ich hätte wirklich einmal anrufen sollen. In Ghadames hatte ich meinen Leuten gezeigt, wo sie nach Hause telefonieren können, war aber selber zu bequem gewesen, eben dies zu tun.

Mein Klingeln blieb unbeantwortet. Also musste ich mir selber aufsperren. Nichts Gutes ahnend, stellte ich mein Gepäck ab, zog mir Schuhe und Winterjacke aus und öffnete unter schrecklichem Herzklopfen die Tür zum Wohnzimmer. Und im nächsten Augenblick stand mir das Herz still: Da saß sie ja, allem Anschein nach gesund und munter, vor dem Fernsehapparat. Hatte sie vielleicht deshalb mein Klingeln nicht gehört?

„Hallo, Schatz, da bin ich wieder“, rief, nein: murmelte ich mit erstickter Stimme und fühlte mich zugleich grenzenlos erleichtert.

Keine Reaktion. Panik stieg in mir auf. Ich wankte auf sie zu, berührte sie an der Schulter und stammelte eine neuerliche Begrüßung.

Ah, nun wandte sie sich langsam um – aber mit was für einer Miene! In ihr las ich keine Wiedersehensfreude, nicht einmal freundliches Willkomm. Und auch ihrer Kehle entrangen sich keine Worte der Begrüßung, geschweige denn des Jubels über die glückliche Heimkehr des Eheherrn. Nein:

„Du traust dich noch, mir unter die Augen zu treten?“, zischte sie.

„Aber“, stammelte ich und wusste nicht weiter.

„Komm, erspar dir deine Erklärungen. Ich weiß alles.“

„Alles?“

„Ah, gibt’s da noch mehr von der Sorte?“

Ich schnappte nach Luft und versuchte mich zu ermannen. „Du, Schatz, hör zu.“

„Ich bin nicht mehr dein Schatz. Damit das ein für allemal klar ist. Und ich denke nicht daran, deinen Lügen noch länger zuzuhören.“

„Was soll das heißen: Du bist nicht mehr mein Schatz?“

„Na, du bist aber schwer von Begriff. Das soll heißen, dass es aus ist zwischen uns. Dass wir geschiedene Leute sind.“

„Aber das kannst du doch ...“

„Na, und ob ich das kann. Ich sag’s noch einmal: Wir sind geschiedene Leute, und du bist höflichst eingeladen, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.“

„Die richtigen Konsequenzen?“

„Muss ich noch deutlicher werden? Also gut: Du bist höflichst gebeten, mich umgehend von deiner Anwesenheit zu befreien und dir eine andere Bleibe zu suchen.“

Und um es kurz zu machen: Meine liebe Claudia blieb unbeugsam in ihrem Entschluss, mich aus ihrem Herzen zu reißen und aus ihrer Wohnung zu werfen. Es war nämlich die ihre, und ich durfte selber zusehen, wo ich blieb.

Zwar war ich nahe daran, zusammenzubrechen, und mein Körper lechzte schon nach einem Nickerchen. Aber daran war unter diesen Umständen nicht einmal zu denken. Und auch wenn die Umstände andere gewesen wären: Der böse Dämon, der jetzt in meinen Eingeweiden wütete, hätte jeden Versuch zu schlafen vereitelt. Dieser böse Dämon hieß Empörung. Und gegen wen wütete er? Natürlich, gegen Eva. Diese Schlange! Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. Geht hin und verpfeift mich bei der Claudia. Und holt mich dann vom Flughafen ab und tut mir schön, und es würde sie freuen, wenn ich sie einmal besuchen komme, und nichts liegt ihr ferner, als mich meiner Frau wegnehmen zu wollen. Na, die kann was erleben! Und im Übrigen habe ich ja noch die Christa.

Ich befreite Claudia wunschgemäß von meiner Gegenwart und wählte, im Stiegenhaus angelangt, Christas Nummer, natürlich in der Hoffnung, bei ihr nicht nur Abhilfe gegen den inzwischen rabiat gewordenen Hunger, sondern auch ein warmes Nest zu finden, vielleicht sogar auf Dauer.

Christas Stimme klang freudig erregt und vielversprechend. Ich möge doch am besten gleich zu ihr kommen.

Sie empfing mich mit einem überraschend kühlen Kuss und der tröstlichen Frage, ob ich schon gespeist habe – es war nämlich bereits früher Nachmittag – und lotste mich daraufhin in die Küche, wo sie unverzüglich daran ging, meinen Hunger zu bekämpfen. Und sie zeigte sich schwer erschüttert, als ich berichtete, warum ich noch immer hungrig war. Und ob ich das so dringend benötigte Mittagsschläfchen bei ihr nachholen dürfe?

Na also, nun bekam ich endlich einen Kuss, der sich nicht kühl anfühlte, und dazu ein glückseliges Lächeln. Dieses ermutigte mich, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Ob sie sich vorstellen könne, ihren Freund durch mich zu ersetzen?

Es dauerte auffallend lang, bis der Groschen fiel. Aber schließlich fiel er doch, und Christas glückseliges Gesicht wurde ernst und nachdenklich.

„Hm, liebster Peter“, murmelte sie, „du bringst mich da in einen argen Gewissenskonflikt. Einerseits könnte ich mir kein größeres Glück vorstellen. Andererseits ...“

Sie zögerte.

„Andererseits sagt mir mein Verstand, dass es ein großer Fehler wäre.“

„Wegen deinem Freund?“

„Das auch. Aber der Hauptgrund ... Weißt du, Peter, ich hab mir halt seither so meine Gedanken gemacht.“

„Ja, und?“

„Es ist so: Ich liebe dich. Und daran wird sich nichts ändern. Und ich weiß, dass du mich liebst. Aber das mit der Eva ... Na ja, ich trau ich mich einfach nicht, mein Herz allzu sehr an dich zu hängen. Weißt du, ich bin schon so oft enttäuscht worden. Ich möchte nicht noch einmal so eine Enttäuschung erleben. Da bleibe ich lieber bei meinem Leo. Der ist zwar auch ein Filou. Aber ihm kann ich wenigstens vertrauen.“

„Und mir nicht?“

„Wenn du die Wahrheit hören willst: Nein. Bitte, sei mir nicht bös. Du weißt nicht, wie schwer es mir fällt, das zu sagen.“

Nun, ich war ihr selbstverständlich nicht böse. Allerdings war jetzt noch weniger an ein Schläfchen zu denken. Also dankte ich ihr für die Bewirtung, schenkte ihr nun meinerseits einen eher kühlen Kuss und verabschiedete mich beinahe überstürzt. Und sie vergoss zwar einige Tränen, unternahm aber keinen Versuch, mich zurückzuhalten.

Und wohin jetzt? Irgendein warmes Nest suchen, um meinem nach der Stillung des Heißhungers nun ins Gigantische gesteigerten Schlafbedürfnis Genüge zu tun? Oh, weit gefehlt. Jener böse Dämon wütete ja noch immer und jetzt, nach der Abfuhr, die ich mir bei Christa geholt hatte, doppelt so wild wie zuvor. Und er trieb mich schnurstracks zu Eva, um für sein Wüten ein Ventil zu finden.

Eva empfing mich genauso, wie ich es erwartet hatte. Ich stieß sie aber unsanft von mir und fuhr sie wegen ihres Verrats mit groben Worten an.

Daraufhin schien ihre sonst so bewegliche Zunge gelähmt, ihre Augen ruhten erschrocken auf mir, und ihre Wangen wurden nicht schamrot, sondern weiß wie die der Badenden Venus in Tripolis. Und sobald sich die Lähmung ihrer Zunge wieder gelegt hatte, beteuerte sie mir, sie habe nie mit meiner Frau gesprochen, nie an sie geschrieben.

Während Eva noch so redete, wusste ich plötzlich, wer den Verrat wirklich begangen haben muss: einer meiner Herren, der mein „buntes Treiben“ mit Eva und Christa bemerkt hatte und mir deswegen schon in Libyen quasi an die Gurgel gesprungen war. Wie konnte ich diesen Fauxpas nur wieder gutmachen? Geknickt bat ich Eva um Verzeihung und hatte doch nach den bisherigen Erfahrungen des heutigen Tages wenig Hoffnung, sie gewährt zu bekommen.

Darin täuschte ich mich allerdings gewaltig. Denn ich fand nun doch ein warmes Nest, wo ich alle Tage meines Lebens mein müdes Haupt zur Ruhe betten und überdies nach Herzenslust mit meinem Vöglein schnäbeln konnte. Und ich darf vermelden: Wir sind heute noch ein glückliches Liebespaar, Eva und ich. Überdies besitze ich jetzt für immer genügend Abwehrkräfte gegen weibliche Verlockungen, egal, ob in Libyen oder in Tirol.

Impressum

Texte: Karl Plepelits
Cover: Von Dan Carp - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=76934182
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2019

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