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1 Was ich schon immer über die Türkei wissen wollte

So vieles wollte ich schon immer über die Türkei wissen und hatte keine Ahnung, wen ich fragen sollte, schlimmer noch: wonach ich eigentlich fragen sollte.

Ja, sicher, wie groß die Türkei ist und wie viele Einwohner sie hat, das fand ich in meinem Konversationslexikon und später dann bei Madame Wikipedia (und stellte fest, dass es fast so viele Einwohner sind wie in Deutschland und fast zehnmal so viele wie in Österreich oder in der Schweiz). Solche Dinge halt. Auch die Reiseleiter in den Transferbussen zu unseren Urlaubshotels an der türkischen Riviera erzählten nicht viel mehr. Höchstens noch, dass die mit Abstand meistproduzierte Biersorte Efes Pilsen heißt. Und dass sie Anhänger der „Schwarzen Adler“ von Beşiktaş Istanbul sind. Und, für eventuelle Fußballdummies, dass dies der berühmteste Fußballclub der Türkei ist. Das Wichtigste für sie waren allerdings die Hinweise auf Fahrten zu Teppich-, Schmuck- und Ledermanufakturen, natürlich, um dort unser sauer verdientes Geld unter die Leute zu bringen, und zu diversen Sehenswürdigkeiten.

Letzteres gab schließlich den Ausschlag. Da ließ ich mich nämlich einmal von meiner Eheliebsten zu solchen Ausflugsfahrten breitschlagen. Anscheinend war sie des ständigen Herumliegens am Strand überdrüssig geworden und lechzte nach Abwechslung. Ja, und da machte ich große Augen. Die Fahrt führte nämlich nicht nur in eine sogenannte Teppichknüpferei, sondern zuerst in mehrere Ausgrabungsstätten.

Ausgrabungsstätten – wenn ich dieses Wort schon hörte! Da stellten sich mir gleich die Haare auf. Was kriegt man denn in Ausgrabungsstätten zu sehen? Lauter alte Steine, wie? Ja, und nun war die Überraschung groß. Denn die „alten Steine“, die wir da zu sehen bekamen, die hatten es in sich. Vor Scham und Ehrfurcht glaubte ich im Boden zu versinken. Vor Scham, weil ich meine in mir schlummernde Neugier so lange hatte einfach schlummern lassen. Und vor Ehrfurcht, weil mir diese „alten Steine“ zum Teil eben Begeisterung, ja direkt Ehrfurcht einflößten. Aber noch stärker als Scham, Begeisterung und Ehrfurcht war meine Verblüffung. Ich war einfach verblüfft zu erfahren, dass sie, diese ehrfurchterregenden Ruinen, nicht das Geringste mit den Türken zu tun haben, sondern aus einer Zeit stammen, zu der es noch gar keine Türken gab, jedenfalls nicht in der Türkei.

Was war zu tun? Meine Neugier war aus ihrem Dauerschlummer geweckt, meine Frau war stolz auf ihren Erfolg, mein Interesse geweckt zu haben, und wir beschlossen spontan, eine schöne Rundreise zu buchen, die uns die Türkei quasi näherbringen sollte. An den heimischen Herd in Linz zurückgekehrt, suchten wir bald einmal ein kleines Reisebüro in unserer Nähe auf, um uns beraten zu lassen, und erfuhren von einer überaus liebenswürdigen Dame, dass man hier jedes Jahr eine Türkeireise veranstalte, geleitet von einem ausgezeichneten Fachmann, den wir jederzeit nach allem fragen könnten, wonach unser Herz begehrt. Die nächste sei für den Herbst dieses Jahres (2014) ausgeschrieben und im Übrigen besonders empfehlenswert, weil nicht alltäglich. Sie heiße „Große Ostanatolien-Rundreise“.

Na gut, das klang ja äußerst vielversprechend. Wir waren’s zufrieden und buchten die angepriesene Reise.

 

2 Von Linz nach Trabzon (Trapezunt)

Der Tag der Abreise brach an. Es war Samstag, der 4. Oktober 2014. Auf dem Reisebusterminal vor dem Linzer Hauptbahnhof entdeckten wir einen Bus mit der Aufschrift „Große Ostanatolien-Rundreise“. Davor stand nicht nur ein fescher, junger Chauffeur, der uns unser Gepäck abnahm und uns lachend, natürlich im Scherz, weismachen wollte, er werde uns jetzt bis nach Ostanatolien kutschieren, sondern auch ein älterer Herr, der uns herzlich begrüßte und sich als unser Reiseleiter vorstellte; sein Name sei Dr. Pfeifer. Und er setzte den Chauffeur sichtlich in Erstaunen, als er ihm und gleichzeitig uns versicherte, früher habe man tatsächlich mit dem Bus Ostanatolien von Mitteleuropa aus bereist. Er selber habe das als Reiseleiter zum letzten Mal im Jahre 1990 praktiziert. Erst der Jugoslawienkrieg habe dem einen Riegel vorgeschoben.

Sobald unser gar nicht so kleines Reisegrüpplein komplett im Bus versammelt war und der Chauffeur alle über sein eigenes Mikrophon begrüßt und sich als Willi vorgestellt hatte, ergriff Dr. Pfeifer das Reiseleitermikrophon und erklärte nach einigen einleitenden Worten zunächst, warum die diesjährige Reise ausgerechnet nach Ostanatolien führt.

„Erst im Vorjahr rief Öcalan, der Führer der Kurdenpartei PKK, eine Waffenruhe aus. Er sitzt zwar schon seit langem im Gefängnis, besitzt aber bei den Kurden noch immer große Autorität. Und tatsächlich zogen sich die Kämpfer der PKK sofort in den Nordirak zurück. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan zeigte sich zufrieden und leitete den Friedensprozess ein, der uns jetzt diese Reise ermöglicht, ohne um unser Leben bangen zu müssen.

Sie sehen also, in der Türkei leben nicht nur Türken, obwohl die Kurden bisher offiziell nie als eigenes Volk galten, sondern von der Regierung als Bergtürken eingestuft wurden. Sogar der offizielle Gebrauch ihrer Sprache war verboten und wurde erst neuerdings unter Erdoğan erlaubt. Bei Strafe verboten war bis vor kurzem sogar der Gebrauch dreier Buchstaben, die im türkischen Alphabet nicht vorkommen, wohl aber im kurdischen, nämlich Q, W und X. Sogar unterrichtet darf Kurdisch jetzt wieder werden, wenn auch nur als Fremdsprache und nur in Privatschulen. Denn in der türkischen Verfassung heißt es ausdrücklich: Außer Türkisch darf den türkischen Bürgern in den Bildungsstätten keine weitere Sprache als Muttersprache gelehrt werden. Noch 1979 hieß es im offiziellen türkischen Wörterbuch zur Erklärung des Wortes Kurde: Name einer Gemeinschaft oder Angehöriger dieser Gemeinschaft türkischer Herkunft, die ihre Sprache verloren hat, eine degenerierte Form des Persischen spricht und in der Türkei, im Irak und Iran lebt. Das ist natürlich Unfug. Richtig ist daran nur, dass das Kurdische, genauer, die drei kurdischen Sprachen, zur iranischen Sprachfamilie gehören und daher mit dem Persischen verwandt sind, nicht aber mit dem Türkischen. Nun, in Wahrheit ist die Türkei ein Kulturmosaik aus vielen Jahrtausenden und ein unglaublicher Schmelztiegel von Völkern, Kulturen, Religionen. Und darum ist sie eben eines der interessantesten Länder der Erde.

Die Türken selbst haben sich erst im Laufe des Mittelalters in der heutigen Türkei angesiedelt. Ihre Urheimat ist Zentral- und Ostasien. Im 6. Jahrhundert kontrollierten sie die Seidenstraße, die China mit Konstantinopel verband. Die frühesten Sprachzeugnisse stammen aus dem 8. Jahrhundert. In ihnen erscheint bereits das Wort türk. Es sind Inschriften in einer sonst unbekannten Schrift auf Steinstelen in chinesischem Stil, gefolgt von einer chinesischen Übersetzung, was die Entzifferung des Haupttextes natürlich erleichtert hat. Sie befinden sich in der heutigen Mongolei und schildern die Ruhmestaten türkischer Fürsten, die ihr Volk von der chinesischen Oberherrschaft befreit hatten, und sind die ersten einheimischen Quellen zur Geschichte der Türken. Die ersten verlässlichen Hinweise auf Türken finden sich in chinesischen Quellen des 2. und 3. Jahrhunderts.

Die Westwanderung von Türken scheint im 5. Jahrhundert begonnen zu haben. Ich sage absichtlich: von Türken. Denn nicht alle beteiligten sich daran. Beweis sind die sogenannten Turkvölker, die sich wie ein Kometenschwanz an die heutige Türkei nach Osten anschließen und bis ins westliche China und die Mongolei reichen: Aserbaidschaner, Turkmenen, Kasachen, Usbeken, Uiguren, Kirgisen und andere. Nachdem die meisten türkischen Stämme und Völker im Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts zum Islam übergetreten waren und dabei naturgemäß arabische und persische Einflüsse verarbeitet hatten, begannen sie sich über das Territorium der heutigen Türkei herzumachen. Dieses aber war damals Teil des Byzantinischen Reiches. Die Schlacht von Mantzikert, heute heißt der Ort Malazgirt, nördlich des Vansees im Jahre 1071 entschied das Schicksal Anatoliens. Denn da besiegte Alp Arslan, der Sultan der Seldschuken, das byzantinische Heer vernichtend und nahm sogar Kaiser Romanos IV. gefangen. Dieses Ereignis löste im Abendland die Kreuzzugsbewegung aus. Zugleich öffnete es einen großen Teil Anatoliens der türkischen Eroberung und Besiedlung, wobei, wie es bei solchen Ereignissen immer geschieht, ein gewisser Teil der einheimischen Bevölkerung zum Islam übertrat und türkische Sitten und die türkische Sprache annahm. Damals entstand das Sultanat der Rum-Seldschuken, auch genannt Sultanat Rum oder Sultanat von Ikonion, mit Ikonion, heute Konya, als Hauptstadt. Es bestand bis 1307. Ihr Erbe traten die Osmanen an, die 1453 Konstantinopel selbst eroberten und im Laufe der Jahrhunderte ein gefürchtetes Großreich errichteten. In den Augen der Europäer war damals das Reich der Türken tatsächlich eine angsteinflößende Kriegsmaschine. Und es ist bestimmt nicht übertrieben, wenn wir davon ausgehen, dass sie auch noch das ganze übrige Europa zu erobern gedachten. Warum es nicht so weit gekommen ist, wissen Sie alle: In Wien wurde das zweimal verhindert, 1529 und 1683. In Wien wurde also der uralte Drang der Türken nach Westen ein für allemal gestoppt. Das Osmanische Reich bestand bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Und so wie damals der französische Ministerpräsident vom zerfallenden Großreich Österreich-Ungarn sagte: Der Rest ist Österreich, hätte er vom zerfallenden Osmanischen Reich sagen können: Der Rest ist die Türkei. Bombardiert mich jemand mit Fragen?“

„O ja, bitte“, meldete sich ein Herr. „Sind Seldschuken und Osmanen zwei verschiedene türkische Stämme wie Uiguren und Usbeken? Das wollte ich nämlich schon immer wissen.“

„Nein, nein. Das wird zwar vielfach behauptet, ist aber falsch. So hießen zwei verschiedene Herrscherdynastien, die sich nach ihren Stammvätern benannten. Der eine hieß Seldschuk und lebte im 10. Jahrhundert. Er war Häuptling eines in der Steppe des heutigen Kasachstan nomadisierenden Stammes, trat mit seinen Leuten zum Islam über und wanderte weiter. Sie eroberten Persien und übernahmen zunehmend die wesentlich höher stehende persische Kultur und damit auch die persische Sprache. Persisch wurde zur Sprache des rum-seldschukischen Hofes und damit zur Amtssprache der Rum-Seldschuken. Der Sultan förderte von da an großzügig die persische Literatur und Dichtkunst, ebenso die bildende Kunst. Die seldschukische Kunst etablierte damals die dominierende Rolle Persiens innerhalb der islamisch-arabischen Kunst. 1055 eroberten die Seldschuken Bagdad und den ganzen Irak und gründeten das Reich der Großseldschuken. Sultan Alp Arslan, er regierte von 1063 bis 1072, führte es zum Höhepunkt seiner Macht, vor allem dadurch, dass er, wie erwähnt, 1071 in der Schlacht von Mantzikert das Byzantinische Reich besiegte und damit die türkische Besiedlung Anatoliens einleitete.“

„Dumme Frage“, warf ein anderer Herr ein. „Aber hat der Name Alp zufällig was mit den Alpen zu tun?“

Pfeifer lachte. „Nein, nein. Alp ist ein türkisches Wort und bedeutet Held. Ist heute noch ein häufiger Vorname. Türken, ich meine, türkische Männer sehen sich ja gern als Helden. Das ist eine in der Türkei leider sehr verbreitete Mentalität. Nicht umsonst lautet ein bekanntes türkisches Sprichwort Jeder Türke wird als Soldat geboren. Um aber wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückzukehren. Die Seldschuken haben sich also nach ihrem Stammvater Seldschuk benannt. Und die Osmanen nach Osman I., der 1301 oder 1302 eine byzantinische Armee besiegte. Er trägt den Namen eines der Begleiter des Propheten Mohammed, Uthman oder Othman. Im Arabischen sind nämlich U und O austauschbar. Das TH ist wie im Englischen auszusprechen. Diesen Laut gibt es aber im Türkischen nicht; deshalb wird er automatisch zu einem (stimmlosen oder stimmhaften) S. Der Fastenmonat Ramadan, eigentlich Ramadhan, heißt deshalb auf Türkisch Ramazan. Die von Osman begründete Dynastie herrschte ohne Unterbrechung bis 1922. Zugleich war Osmanen der Name für die muslimischen Untertanen des Osmanischen Reiches, das sich übrigens selber bis ins 19. Jahrhundert nur Erhabener Staat ohne den Zusatz Osmanisch nannte.“

„Apropos. Im Englischen heißt das Osmanische Reich ja Ottoman Empire. Hat das vielleicht etwas mit dem TH von Othman zu tun?“

„Ganz richtig. Ebenso in zahlreichen anderen europäischen Sprachen, etwa im Französischen. Auf Griechisch heißt Osmanisch „Othomanikos“, ausgesprochen wie im Englischen. Aus dem Griechischen wurde der Begriff vermutlich ins Französische übernommen und halt so ausgesprochen wie im Französischen üblich.“

Nun meldete sich meine Eheliebste zu Wort. „Wieso heißen die Vorgänger der Osmanen Rum-Seldschuken? Als Muslime durften sie doch keinen Alkohol ...“

Dr. Pfeifer lachte. „Ach so. Nein, das hat nichts mit dem Getränk gleichen Namens zu tun. Sondern Rûm ist die arabische Bezeichnung für das Römische Reich. Die Rum-Seldschuken sind also die römischen Seldschuken, und das Sultanat Rum ist das römische Sultanat. In Rum steckt also der Name Rom.

„Ja, aber ...“

„Oh, ich weiß, was Sie sagen wollen: Wo sind denn da die Römer? Nun, Byzanz nennen wir ja oft auch Ostrom, Oströmisches Reich. Aber seine Bewohner nannten es weder Byzantinisches noch Oströmisches Reich, sondern einfach Römisches Reich, griechisch Romanía, und sich selber dementsprechend einfach Römer, Romaioi. Ja, aber, werden Sie jetzt sagen, die sprachen doch nicht Lateinisch, sondern in ihrer überwiegenden Mehrzahl griechisch? Vollkommen richtig. Schließlich bildete Ostrom einst die durch griechische Sprache und Kultur hellenisierte östliche Hälfte des Römischen Reiches. Kaiser Konstantin erkannte, dass der Schwerpunkt des Reiches sich mittlerweile von der romanisierten, lateinisch geprägten Westhälfte auf den östlichen Teil verlagert hatte, und zog daraus die Konsequenz, indem er die Reichshauptstadt von Rom nach Byzantion verlegte und es zu Neu-Rom machte. Eine weitere Folge war die 395 endgültig vollzogene Teilung der Herrschaft über das Reich in Westrom und Ostrom. Nur, für die Zeitgenossen bedeutete dies nicht mehr als eine verwaltungstechnische Maßnahme. Und die Bewohner Ostroms sahen keinen Grund, sich plötzlich nicht mehr Römer zu nennen, zumal das Wort Griechen, griechisch Hellenes, unterdessen die Bedeutung Heiden angenommen hatte. Sie wissen ja, dass man seit Kaiser Konstantin von einem christlichen Römischen Reich sprechen kann.

Anmerkung 1: Oft bekommt man zu lesen oder zu hören: Die Gegend wurde von Rom, Byzanz, den Seldschuken und den Osmanen erobert. Oder so ähnlich. Das ist natürlich Unfug. Zwischen Rom und Byzanz hat nie ein politischer Bruch bestanden.

Anmerkung 2: Im Volksmund nennen sich die Griechen heute noch Römer.

Anmerkung 3: Als Rum bezeichnen die Türken heute noch alle Griechen außerhalb des Staates Griechenland, türkisch Yunanistan. Und dessen Bürger heißen türkisch (und arabisch) Yunan, abgeleitet vom Namen Ionien.“

Ein Herr in der Reihe vor uns rief nach vorne: „Aber Byzanz war doch kaum mehr als eine dekadente orientalische Despotie, oder?“

„Ja, ja, das ist die ältere Lehrmeinung. Man versuchte die byzantinische Eigenart aus einer vermeintlich orientalischen Überfremdung zu erklären. Aber das ist durch die Forschung längst überholt. Inzwischen wissen wir, dass sich Byzanz in der spätantiken Synthese von Christentum und hellenischer Bildung entwickelte und als Vermittler von kulturellen Werten und dem Wissen der Antike Unschätzbares geleistet hat.“

Nun rang ich mich dazu durch, eine Frage zu stellen.

„Ist eigentlich zwischen Byzanz und Byzantion ein Unterschied?“

„Theoretisch nicht. Byzantion heißt lateinisch Byzantium, und daraus wurde deutsch Byzanz so wie aus Brigantium Bregenz. Nur, wenn man Byzanz hört, denkt man im Allgemeinen unwillkürlich an das Byzantinische Reich und nicht an die Vorläuferstadt von Konstantinopel. Deshalb würde ich persönlich empfehlen, diese mit dem korrekten griechischen Namen Byzantion zu benennen.“

„Aber dabei fällt mir auf: Mit Byzantion meint man nicht Byzanz, und wenn man Byzanz und byzantinisch sagt, meint man nicht Byzantion. Ist das nicht grotesk?“

„Sie haben völlig recht. Woran mag das liegen? Vielleicht daran, dass sich die Byzantiner als Bewahrer der griechischen Kultur fühlten und sich übrigens auch wirklich als solche bewährten. Sie waren daher extrem konservativ und liebten es, Konstantinopel weiterhin Byzantion zu nennen. Unter der Bezeichnung Byzantiner, griechisch Byzantioi, verstanden sie daher ausschließlich die Bewohner von Konstantinopel.“

Nach einer Weile rief irgendein Mutiger; so muss ich ihn wohl nennen: „Sprechen Sie eigentlich Türkisch, Herr Doktor?“

„Na ja, sagen wir so: Ich kann mich notdürftig verständigen. Ich selber bin ja an und für sich Kunsthistoriker und Altertumswissenschaftler. Aber nachdem ich die Türkei schon oft bereist habe, zum Teil privat, zum Teil als Reiseleiter, habe ich mich halt irgendwann einmal hingesetzt und angefangen, Türkisch zu lernen. Aber da lernt man nie aus, das können Sie mir glauben.“

„Ist es so schwierig?“

„O ja, sehr, weitaus schwieriger als, sagen wir, Griechisch oder Spanisch. Türkisch ist nämlich keine indogermanische Sprache. Gerade vorhin habe ich davon gesprochen, dass das Kurdische mit dem Türkischen nicht verwandt ist, sondern zur iranischen Sprachgruppe gehört. Die iranischen Sprachen gehören aber zur indoeuropäischen Sprachfamilie und sind daher im Gegensatz zum Türkischen sogar mit dem Deutschen verwandt. Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen. Du heißt auf Kurdisch tu, auf Persisch to und auf Türkisch sen. Nein heißt auf Kurdisch und Persisch, wie bei uns im Dialekt, na, auf Türkisch dagegen hayır.

Türkisch gehört zur Familie der bis nach Ostasien verbreiteten Turksprachen. Diese zählte man früher zur ural-altaischen Sprachfamilie, eine Hypothese, die inzwischen als obsolet gilt. Heute neigen die meisten Turkologen zur Auffassung, dass die zwanzig modernen und acht schriftlosen Turksprachen, die zwischen dem fernen Osten und der Balkanhalbinsel gesprochen werden, eine Sprachfamilie für sich bilden. Um ihren Zusammenhang zu betonen, spricht übrigens die türkische Sprachwissenschaft von türkischen Zweigsprachen.

Ja, und dadurch hat man beim Vokabellernen, abgesehen von den Fremdwörtern aus europäischen Sprachen, keinerlei Anhaltspunkte an Bekanntes. Außerdem funktioniert sie total anders als indogermanische Sprachen, anders auch als Arabisch. Um ein Beispiel aus meinem Lehrbuch zu geben: Der Satz Das Buch, das ich für dich gekauft habe, liegt auf dem Tisch heißt auf Türkisch, wörtlich übersetzt: Dich-für-kaufen-in-der-Vergangenheit-mich-betreffendes Buch des Tisches Oberfläche-von ist. So was ist natürlich höchst gewöhnungsbedürftig. Andererseits besticht das Türkische durch einen scheinbar einfachen und regelmäßigen Sprachbau. Und eine große Erleichterung ist es für uns natürlich, dass heute die lateinische Schrift verwendet wird.“

„War das denn nicht immer so?“

„O nein. Die Türkei verwendete bis ins 20. Jahrhundert wie jedes islamische Land natürlich die arabische Schrift. Aber diese war für die türkische Sprache denkbar ungeeignet. In der Einleitung zu meinem Türkischlehrbuch liest man folgendes Beispiel: Schreibt man die arabischen Entsprechungen für die Buchstaben K-W-R-K, so kann das sieben total verschiedene Wörter bezeichnen ... Es bedurfte des aufgeklärten Despotismus des Reformers Atatürk, dem wir auf unserer Reise noch oft begegnen werden, um 1928 von heute auf morgen die Lateinschrift einzuführen und die alte arabische Schrift aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Dennoch bezweifeln viele, ob dieser Schritt nur von didaktischen Erwägungen bestimmt war. Er sollte zugleich den Bruch mit der islamischen Welt und den Anschluss an die westliche Zivilisation markieren. Darum wurde auch zum Beispiel der Sonntag anstelle des Freitags zum Wochenruhetag erklärt. Zugleich wurde eine große Kampagne gegen den Analphabetismus gestartet. Denn damals konnten nur 17 Prozent der Männer und keine 5 Prozent der Frauen lesen und schreiben. Heute sind es schon fast 80 Prozent. Bücher liest allerdings noch immer nur eine verschwindende Minderheit regelmäßig.“

Mit solchen Plaudereien verging uns die Zeit wie im Flug, und quasi im Nu hatten wir den Wiener Flughafen erreicht, und Willi blieb allein zurück, ohne Aussicht, mit seinem schönen Gefährt Ostanatolien bereisen zu können.

Unser Flug startete fast pünktlich, und nicht einmal drei Stunden später wurden wir am Flughafen von Ankara von einer hübschen, jungen Fremdenführerin empfangen, die wunderschön Deutsch sprach, sich als Nilüfer vorstellte und uns gleich mit einem passenden türkischen Sprichwort bekannt machte: Nicht wer lange lebt, hat Wissen. Wissen hat, wer viel gereist ist. Sie führte uns zu unserem Anschlussflug und bestieg mit uns die Maschine nach Trabzon. Dies war nämlich der Ausgangspunkt unserer „großen Ostanatolien-Rundreise“.

Sobald wir nach einer weiten Schleife über dem angeblich „Schwarzen“ Meer fast direkt am Strand gelandet waren, geleitete uns Nilüfer zu einem Reisebus, der uns von nun an als rollendes Heim dienen sollte, und stellte uns den Busfahrer vor. Er heiße İlyas. Das habe aber nichts mit der Ilias von Homer zu tun. Sondern so heiße einer der Propheten des Islam, der uns als Elias bekannt sei. Und ihr eigener Name Nilüfer bedeute Seerose.

Nach dem Check-In in dem für uns gebuchten Hotel erfolgte sogleich die erste Besichtigung. Und das, so Nilüfer während der Anfahrt, „ist die größte Sehenswürdigkeit von Trabzon: die Hagia Sophia, türkisch Aya Sofya entsprechend der neugriechischen Aussprache des Namens. Sie stammt aus dem 13. Jahrhundert, als Trabzon Hauptstadt des kleinen gleichnamigen Kaiserreiches war. Dieses umfasste einen schmalen Küstenstreifen längs des Schwarzen Meeres. Es reichte im Westen bis Sinop, im Osten ungefähr bis zur heutigen Grenze zu Georgien. Der größte Teil Anatoliens war damals längst türkisch und hieß Sultanat der Rum-Seldschuken. 1204 wurde Konstantinopel zum ersten Mal erobert, aber nicht von den Türken, sondern von den christlichen Kreuzfahrern des Vierten Kreuzzuges, und das Byzantinische Reich wurde zerschlagen und unter den Siegern aufgeteilt. Erst 1261 wurde es wiederhergestellt. Damals, also 1204, gründeten zwei Angehörige der byzantinischen Kaiserdynastie der Komnenen das Kaiserreich Trabzon gleichzeitig mit anderen byzantinischen Exilreichen wie dem Kaiserreich Nikaia (Nicäa) und dem sogenannten Despotat Epirus. Und nachdem die Kathedrale von Konstantinopel Hagia Sophia hieß, wollten sie eben in ihrer neuen Hauptstadt auch eine Hagia Sophia haben, obwohl sie nicht die Kathedrale war. Dazu liegt sie zu weit außerhalb des Stadtzentrums. Offenbar sollte Trabzon zu einem Klein-Konstantinopel ausgebaut werden. Als Handelszentrum an einer der beiden Routen der Seidenstraße, die durch Anatolien führten, war die Stadt übrigens ausgesprochen wohlhabend. Von Erzurum kommend, erreichten die Karawanen aus China oder Indien hier das Schwarze Meer. Das Kaiserreich Trabzon überlebte das Byzantinische Reich nur um acht Jahre, bis zur osmanischen Eroberung 1461.“

Vor einem hübschen, kleinen Park hielt İlyas an. Wir stiegen aus, sahen uns um, entdeckten mitten im Park eine mittelgroße Kirche mit kleinem Türmchen über der Vierung und frei stehendem Glockenturm und machten lange Gesichter.

„Das soll eine Hagia Sophia sein?“, klagten viele.

„Und schau, diese kümmerliche Kuppel!“

„Das ist ja mehr ein Türmchen als eine Kuppel.“

Und nun ergriff unser Dr. Pfeifer das Wort. „Ja, meine Lieben, diese kleinen Dimensionen sind charakteristisch für den byzantinischen Kirchenbau. Und die Hagia Sophia in Istanbul aus dem 6. Jahrhundert ist eben nicht byzantinisch, obwohl das vielfach behauptet wird, sondern noch ganz und gar römisch. Auch in Istanbul und sonst überall weisen die späteren Kirchen alle dieselben kleinen Dimensionen auf wie hier. Aber unter den byzantinischen Sakralbauten gilt diese Kirche mit Recht als eines der schönsten Beispiele. Übrigens, dieses Türmchen, das die Kuppel trägt, nennt der Kunsthistoriker Tambour.“

Aber gleich darauf machte Pfeifer selbst ein langes Gesicht, als wir nämlich die Kirche betreten wollten und aufgefordert wurden, unsere Schuhe auszuziehen wie vor dem Betreten einer Moschee.

Nilüfer: „Ja, leider. Zum Entsetzen der meisten Menschen in Trabzon wurde nach der Hagia Sophia von Iznik, griechisch Nikaia (Nicäa), seit dem Vorjahr auch die von Trabzon wieder in eine Moschee umgewandelt. Es hat sogar Demonstrationen gegeben mit der Forderung, sie nicht anzurühren. Alles vergeblich. Zurzeit haben bei uns die Islamisten das Sagen. Noch dazu, wo Erdoğan neuerdings als Staatspräsident fungiert. Die Türkei ist islamisch, Punkt. Und den Westen kritisiert Erdoğan pauschal als islamfeindlich. Fremde, sagt er wörtlich, würden alle Muslime am liebsten tot sehen. Sie mögen es, unsere Kinder sterben zu sehen.“

Wir traten ein, und Pfeifer stellte fest: „Ich bin bestürzt. Schauen Sie, der wunderschöne Fußboden in Marmoreinlegearbeit im Hauptschiff versteckt sich jetzt unter einem scharlachroten Teppich. Selbst die Kuppel mit ihren herrlichen Fresken versteckt sich vor unseren Augen. Sie ist zur Gänze mit weißem Stoff abgedeckt. Und die Seitenschiffe verstecken sich zum Teil hinter weißen Vorhängen. Na, wenigstens sind die Fresken der seitlichen Apsiden und der Vorhalle noch zu sehen. Nach der türkischen Eroberung 1461 wurde die Kirche schon einmal in eine Moschee umgewandelt. Damals wurden die Wandmalereien übertüncht. Erst nachdem sie in den 1950er Jahren zu einem Museum erklärt worden war, konnten die Fresken freigelegt und restauriert werden, übrigens durch den bekannten britischen Kunsthistoriker David Talbot Rice, und erfreuten seither die Betrachter durch ihre Schönheit und ihre künstlerische Qualität.“

Eine weitere Kirche besichtigten wir noch. Sie dient natürlich nach wie vor als Moschee, und ihre Wandfresken sind vollständig übertüncht. Sie heißt Fatih Camii (Eroberermoschee) und war die Kathedrale von Trabzon, geweiht der Muttergottes.

3 Von Trabzon nach Erzurum

Nächster Morgen.

Und siehe da, es regnete. Während wir zur ersten Besichtigung aufbrachen, erklärte Nilüfer dieses für die Türkei doch eher überraschende Phänomen.

„Die gesamte Nordküste Anatoliens wird in der Länge von 1000 Kilometern vom Pontischen Gebirge begleitet. Die feuchten Meereswinde werden von den Bergen in die Höhe gezwungen, kühlen ab und geben den nun überschüssigen Wasserdampf in Form von Niederschlägen ab. Daher regnet es hier sehr häufig, und im Gegensatz zu den Regionen südlich des Pontischen Gebirges dominiert hier Grün in allen Schattierungen. Die Schwarz-Meer-Küste ist ein grünes Paradies, und viele Türken, die nur dürres Bauernland, die steinigen Hänge des Taurus-Gebirges, die heißen Strände oder Stadtlandschaften kennen, staunen selbst über diese immergrüne Seite ihres Landes.

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass hier im nordöstlichen Winkel der Türkei mehrere kleine ethnische Minderheiten leben, vor allem die Lasen oder Lazen. Sie lebten hier schon in der klassischen Antike. Ihre Sprache gehört wie das benachbarte Georgische zur Gruppe der kaukasischen Sprachen, die mit keiner anderen Sprache verwandt sind, weder mit dem Türkischen noch mit den indoeuropäischen Sprachen. Die Römer nannten sie Lazi und richteten für sie die Provinz Lazicum ein. Im 4. Jahrhundert wurden sie Christen, und im 15. Jahrhundert, nach der Eroberung des Kaiserreichs Trabzon durch die Osmanen, bekehrten sie sich zum Islam. In dieser Hochgebirgsgegend, in der wir uns jetzt befinden, lebt ein noch kleineres Völkchen: die Hemşinli. Die Lasen nennen sie Armeni. Sie sprechen nämlich Armenisch, sind aber im Gegensatz zu den richtigen Armeniern Muslime. Daneben gibt es noch Tscherkessen, Georgier und ukrainische Einwanderer.“

Unterdessen drangen wir in ein grünes, von einem schäumenden Fluss durchströmtes Waldtal ein. Die Straße stieg an, die Hänge wurden immer steiler, und bald sahen wir hoch über uns, hoch über dem Abgrund schwebend, nein, an senkrechten Felsen klebend, ein Märchenschloss aus einem Fantasyfilm: das Kloster Sumelá, türkisch Sümela. Es gehört zu den größten Sehenswürdigkeiten der Türkei.

Schirm aufspannen, noch ein bisschen bergsteigen, und siehe da, es schwebt nicht, es klebt nicht. Es steht auf einer schmalen Terrasse, nur halt unter überhängenden Felsen: das Märchenschloss Sumela.

Wir betraten es und waren schockiert. Märchenschloss? Kloster? Es sollte besser heißen: Die traurigen Ruinen eines Klosters, das 1923 im Zuge der Vertreibung der Griechen von den Mönchen verlassen werden musste und erst neuerdings halbherzig restauriert wird, nachdem es sich als Touristenmagnet, sprich, als wunderbare Geldbeschaffungsmaschine, entpuppt hat. Der reiche Freskenschmuck ist noch immer überwältigend. Aber: Der Muttergottes fehlt ein Bein, Jesus ein Auge, vielen Heiligen beide Augen, oder ihr Gesicht ist ausgekratzt. Und wohin man blickt, sind die Bildwände von eingeritzten Namen und Jahreszahlen, alten und neuen, verunstaltet. Letzteres sind von Besuchern hinterlassene Andenken nach dem Motto: Jannis war hier. Ersteres aber sind die Spuren der Frömmigkeit von Muslimen, denen Allah die bildliche Darstellung von Lebewesen verboten hat. Wenn man bedenkt, dass Sumela eines der reichsten und mächtigsten Klöster weit und breit war! Zwei Kaiser ließen sich hier krönen. Aber nach 1923 stand es eben lange leer, dem Verfall und dem Vandalismus preisgegeben. Und trotzdem – trotz allem war es für uns alle ein erhebendes Erlebnis.

„Und es im Sonnenschein zu sehen“, so Nilüfer, „wäre fast schon einem Wunder gleichgekommen. Das hiesige Klima kann man so beschreiben: Sechs Monate dunkle Wolken, vier Monate bedeckter Himmel, sechs Wochen leicht bewölkter Himmel, und 19 Tage Sonnenschein. In manchen Gegenden regnet es an jedem einzelnen Tag des Jahres. Aber der Teestrauch mag es so am liebsten. Wissen Sie, während die westlichen Küstenlandschaften des Schwarzen Meeres voller Haselnussstauden sind, sind die östlichen voller Teeplantagen. Von hier kommt all der Tee, der in der Türkei konsumiert wird. Tee ist nämlich unser Nationalgetränk. In den kleinen tulpenförmigen Gläsern, die Ihnen vielleicht schon aufgefallen sind, trinken wir schwarzen Çay zu jeder Tageszeit und bei jeder Gelegenheit, daheim zum Frühstück und tagsüber am Arbeitsplatz, wo der Teebursch mit seinem Tablett regelmäßig erscheint. Und da bei uns die Gastfreundschaft großgeschrieben wird, genießen wir ihn am liebsten in Gesellschaft. Ich glaube, in wenigen Ländern ist der Genuss von Tee so tief im Alltag verwurzelt wie in der Türkei. Jetzt glauben Sie sicher, das ist eine uralte Tradition. Nein, eine uralte Tradition liegt dem berühmten türkischen Kaffee zugrunde, der in allen Ländern Nationalgetränk ist, die einst zum Osmanischen Reich gehört haben – außer in der Türkei. Er war es einstmals auch bei uns. Um 1550 wurde das erste Kaffeehaus Europas in Istanbul eröffnet. Da aber die ehemals osmanische Provinz Arabien, von wo er eingeführt wurde, nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches Ausland war, empfahl Atatürk, um vom teuren Kaffeeimport unabhängig zu werden, auf Tee umzusteigen. Also hat man kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Teepflanzen aus der benachbarten Sowjetrepublik Georgien eingeführt, und 1947 wurde die erste Teefabrik gebaut. Inzwischen liegt die Türkei auf Platz fünf der teeproduzierenden Länder, und in derart kurzer Zeit ist das Hasenblut, so nennen wir unseren kräftigen, rötlich-braunen Schwarztee, zu unserem Nationalgetränk avanciert. Diese Region hier war früher bitter arm. Die Teeindustrie hat ihr einen gewissen Wohlstand beschert. Heute wird jede freie Fläche genutzt, und Terrassen mit knie- oder hüfthohen Teesträuchern ziehen sich über die Hänge.“

„Eine Frage noch zum Tee“, sagte ich, zu Nilüfer gewandt. „Diese tulpenförmigen Teegläser – hat es mit denen irgendeine Bewandtnis? Weil, ich finde ihre Form bemerkenswert und ausgesprochen hübsch.“

„Sie haben vollkommen recht. Die Tulpenform unserer Teegläser ist kein Zufall. Wissen Sie, wir Türken sind verrückt nach Tulpen. Mehr noch, die Tulpe ist ein osmanisches und türkisches Wahrzeichen und spielt bei uns noch immer eine führende Rolle in Kunst und Kultur. Darum findet seit neun Jahren jedes Jahr den ganzen April hindurch in Istanbul ein internationales Tulpenfest statt. Die Pracht der verschiedenen Tulpensorten zu genießen ist ein Hochgenuss fürs Auge.“

Und Pfeifer sagte ergänzend: „Unter Sultan Süleyman dem Prächtigen, der von 1520 bis 1566 regierte, wurde die ursprünglich aus Persien stammende Tulpe zum ersten Mal in größerem Maßstab kultiviert. Damals kamen die ersten Tulpen nach Mitteleuropa, und zwar nach Wien, wo damals Kaiser Ferdinand I. regierte. Der kaiserliche Botschafter am Hof des Sultans hatte sie mitgebracht. Nachdem der Botaniker Carolus Clusius, der in Wien den kaiserlichen Kräutergarten betreut hatte, an die Universität Leiden berufen wurde und dort neue Züchtungen hervorbrachte, verfiel in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ganz Holland in einen regelrechten Tulpenrausch. Seither ist auch Holland ein Land der Tulpen.“

Als wir wieder bei İlyas im Bus saßen, sagte Pfeifer: „Sie werden sich schon gedacht haben, dass Trabzon im Deutschen seit jeher einen anderen Namen hat, nämlich Trapezunt. Schließlich spricht man bei uns nicht vom Kaiserreich Trabzon, sondern vom Kaiserreich Trapezunt. Ähnlich im Englischen. Dort sagt man Trebizond. Warum eigene Namensformen, werden Sie jetzt fragen. Antwort: Aus demselben Grund, warum Konstantinopel, Athen, Rom, aber auch etwa Mailand, Lissabon, Kopenhagen und schließlich auch Wien in den verschiedenen europäischen Sprachen eigene Namensformen haben. Ja, in diesen erlauchten Kreis gehört auch Trapezunt.“

„Bitte“, so ein Zwischenrufer, „hat Trapez irgendwas damit zu tun?“

„Aber sicher. Trapez heißt auf Griechisch trapezion, wörtlich Tischchen, von trapeza Tisch. Der griechische Name der Stadt lautete Trapezûs, 4. Fall Trapezûnta. Man nimmt an, dass die Stadt nach der Form des Zitadellenhügels benannt wurde, auf dem einst wohl die Akropolis thronte. Gegründet wurde Trapezunt im 7. Jahrhundert vor Christus von griechischen Siedlern, die aus Sinope, dem heutigen Sinop – Sie erinnern sich? – gekommen sind. Aus der Antike sind keine Baudenkmäler erhalten, nur aus dem Mittelalter, vor allem Kirchen der Komnenendynastie wie die Hagia Sophia. In ihrer Blütezeit besaß diese nur mittelgroße Stadt annähernd achtzig Kirchen, von denen 1915 die meisten noch erhalten waren. Unterdessen sind sie bis auf wenige Ausnahmen abgerissen worden.

Apropos Sinope. Aus Sinope am Schwarzen Meer stammt eine Ihnen allen bestens bekannte Persönlichkeit: Der Kyniker Diogenes. Seine Lebensdaten sind nicht bekannt. Wir wissen nur, dass er ein Zeitgenosse Alexanders des Großen war. Dieser lebte von 356 bis 323 vor Christus. Ein anderer Diogenes, nämlich Diogenes Laërtios, er lebte im 3. Jahrhundert nach Christus, erzählt in seiner umfangreichen Schrift Leben und Lehre der Philosophen (6,20 bis 6,81) eine ganze Menge über seinen berühmten Namensvetter, hauptsächlich Anekdoten über sein höchst unkonventionelles Leben. Hier findet sich auch die Geschichte mit dem Fass, die Sie bestimmt kennen: Als er jemandem schrieb, er möge ihm ein Häuschen besorgen, und dieser sich allzu sehr Zeit ließ, wählte er als Behausung ein Fass ..., wie er selbst in seinen Briefen bezeugt. Wir lesen auch Folgendes: Alexander trat einmal an ihn heran und sagte: Ich bin Alexander, der große König. Und ich, sagte er, bin Diogenes der Hund. Gefragt, warum er Hund genannt werde, erwiderte er: Weil ich die Schenkenden anwedle, die Nichtschenkenden anbelle, die Bösen beiße. Heute vermutet man eher, dass ihn seine gutbürgerlichen Zeitgenossen mit der Bezeichnung Hund verspotteten und dass er diesen Spottnamen aufgegriffen und quasi zum Ehrennamen gemacht hat. Tatsächlich nannten sich die Kyniker bis zuletzt, das heißt, bis ins 6. nachchristliche Jahrhundert, Hunde. Darum nannte Georg Luck, der 1997 eine hervorragende und überaus lesenswerte Monographie über die Kyniker veröffentlicht hat, sein Buch Die Weisheit der Hunde.

Tatsächlich führte Diogenes mit voller Absicht ein provozierendes Hundeleben, um den Menschen zu zeigen, dass sie nach der Natur leben müssten, um glücklich zu werden. Hund heißt altgriechisch kyon, 4. Fall: kyna. Davon leitet sich das Adjektiv kynikos, hündisch, ab. Desgleichen die hellenistische Philosophenschule der Kynikoi, der Kyniker. Lateinisch heißen sie aber Cynici, weil griechisches Kappa im Lateinischen grundsätzlich als C wiedergegeben wurde. Dieses hatte nämlich zur Zeit der Antike ausnahmslos den Lautwert K. Deshalb wurde zum Beispiel Caesar im Deutschen zu Kaiser, und cista, das seinerseits auf griechisches kiste zurückgeht, wurde zu Kiste. Aber im Mittelalter wandelte sich lateinisches C vor E und I oder Y zu TS, und darum wurde aus lateinischem Cynicus im Deutschen der Zyniker. Nur, dass zynisch eine völlig andere Bedeutung angenommen hat. Die Kyniker waren nicht zynisch, sondern provokant, unkonventionell, zivilisations- und kulturfeindlich und vor allem bedürfnislos. Sie erklärten, Tugend und Weisheit bestünden darin, dass man nach den Ordnungen der Natur lebt und Eitelkeiten wie das Streben nach Ruhm und Bequemlichkeit aufgibt, und lebten als Bettelphilosophen, die das persönliche Glück durch extreme Bedürfnislosigkeit und Ablehnung aller Konventionen zu erreichen suchten. Besonders schroff polemisierten sie gegen Religion und Ehe. Ihr Motto lautete wie später das von Rousseau: Zurück zur Natur! Die Zivilisation macht uns krank und schlecht. Um Georg Luck zu zitieren: Der Kynismus war eine geistige Bewegung, die ihre Wurzeln im Denken von Sokrates, also im 5. Jahrhundert v. Chr. hatte, und im 6. Jahrhundert n. Chr. noch bestand. Sie hat auf die Stoa, die philosophische Skepsis, auf späte Schriften des Alten Testaments, auf den jüdischen Philosophen Philon und auf das frühe Christentum eingewirkt. Übrigens, in Sinop hat man dem berühmtesten Sohn der Stadt ein schönes Denkmal errichtet. Da steht er, begleitet von einem Hündchen, auf einem Fass und hält in der erhobenen Hand eine Laterne. Denn in Athen, wo er meistens lebte, zündete er tagsüber eine Laterne an und rief: Ich suche einen Menschen! Auch diese Anekdote liest man bei Diogenes Laërtios.

Seinen bekanntesten Ausspruch überliefert uns freilich unter anderem Plutarch in seiner Biographie Alexanders des Großen (14,1ff.): Als sich die Griechen am Isthmus versammelten und beschlossen, mit Alexander gegen die Perser zu ziehen, wurde er als Anführer ausgerufen. Dabei machten ihm viele Politiker und Philosophen die Aufwartung und gratulierten ihm. Daher hoffte er, dass auch Diogenes von Sinope das Gleiche machen werde. Dieser hielt sich nämlich gerade in Korinth auf. Da er aber Alexander keinerlei Beachtung schenkte und sich im Kraneion (einem Gymnasion mit weitläufiger Parkanlage) der Muße hingab, begab er sich selbst zu ihm. Er lag gerade in der Sonne. Er setzte sich ein wenig auf, weil so viele Leute daherkamen, und schaute Alexander ungerührt an. Als dieser grüßte und ihn ansprach und fragte, ob er etwas brauche, sagte er: Geh mir ein wenig aus der Sonne. Daraufhin soll Alexander so betroffen gewesen sein und trotz der ihm entgegengebrachten Verachtung so sehr den Stolz und die Größe des Mannes bewundert haben, dass er, während seine Begleiter beim Fortgehen lachten und spotteten, sagte: Aber wahrhaftig, wenn ich nicht Alexander wäre, ich möchte Diogenes sein.

Und jetzt muss ich Ihnen den griechischen Autor und Sokratesschüler Xenophon vorstellen. Eines seiner Werke ist die berühmte Anabasis (Hinaufmarsch). Darin schildert er den Feldzug des jüngeren Kyros gegen dessen Bruder, den Perserkönig Artaxerxes, an dem der Autor selbst teilnahm, und den abenteuerlichen Rückmarsch der zehntausend griechischen Söldner nach dem Tod des Kyros in der Schlacht bei Kunaxa (nahe Babylon) durch Ostanatolien, wobei Xenophon quasi als Reiseleiter fungierte. Schließlich erreichten sie das Schwarze Meer in Trapezunt, wo sie freundlich aufgenommen wurden und zur Feier der Beendigung ihrer Durchquerung eines gefährlichen Gebirgslandes sportliche Wettspiele veranstalteten. Die berühmteste Stelle in Xenophons Bericht ist die Stelle (4,7,24f.), wo er ihre überschwängliche Begeisterung über den langersehnten Anblick des Meeres schildert: Alle schrien: Meer! Meer! (Thálatta! Thálatta!) ... umarmten sich gegenseitig unter Tränen ... trugen Steine zusammen und errichteten einen großen Hügel. So geschehen im Winter 401/400 vor Christus. Mehrere Forscher haben bereits versucht, diesen Ort zu finden, bisher vergeblich. Trotzdem, allererste Kenntnis von Land und Leuten in Ostanatolien vermittelt uns Xenophons Augenzeugenbericht.

Vielleicht sollte ich auch noch den römischen Kaiser Hadrian erwähnen. Er regierte von 117 bis 138 und ließ Trapezunt großartig ausbauen. Unter anderem ließ er einen neuen Hafen anlegen, der dem Handel auf der Seidenstraße natürlich sehr zugute kam.“

So weit Dr. Pfeifer. Unterdessen waren wir schon tief ins Pontische Gebirge eingedrungen.

Nilüfer: „Dieser östliche und spektakulärste Teil des Pontischen Gebirges nennt sich Kaçkar-Gebirge, benannt nach seinem höchsten Berg, dem Kaçkar. Der Name ist armenisch und bedeutet Kreuzstein. Er ist fast 4000 Meter hoch und damit der höchste Gipfel des Pontischen Gebirges.“

Und wieder Pfeifer: „Und jetzt wollen Sie sicher endlich erfahren, wo der Name Pontisches Gebirge herkommt. Vielleicht denken Sie da zuallererst an Mozart, ja? Opernliebhabern ist der Name Pontus vertraut von der Oper Mitridate re di Ponto des jungen Mozart. Das griechische Pontos ist ein poetisches Wort für Meer und als Eigenname die allgemein übliche Kurzbezeichnung fürs Schwarze Meer; der volle Name lautet Pontos Euxeinos, lateinisch Pontus Euxinus, Gastfreundliches Meer. Ein Perser namens Mithradates oder Mithridates I. gründete im Jahre 301 vor Christus das hellenistische Königreich Pontos, lateinisch Pontus, italienisch Ponto, und residierte in der Stadt, die heute Amasya heißt; ebenso hieß sie auf Griechisch: Amaseia. Der Mithridates der Mozartoper ist Mithridates VI. Er herrschte von 120 bis 63 vor Christus und war ein hellenisierter Barbar, der über ein halbes Jahrhundert mit aller Grausamkeit und Verschlagenheit die innenpolitischen Kämpfe Roms auszunutzen suchte. Sein schließliches Scheitern dehnte die römische Herrschaft bis nach Armenien aus. Sein Sohn Pharnakes versuchte Pontus wiederzugewinnen, wurde aber 47 vor Christus von Caesar bei Zela besiegt. Zela liegt ca. 50 Kilometer südlich von Amasya und heißt heute Zile – ein ebenfalls kaum veränderter Name, wenn man bedenkt, dass Zela im mittelalterlichen Griechisch wie Zila ausgesprochen wurde. Diese Schlacht bei Zela ist übrigens in die Geschichte eingegangen. Denn um seinen schnellen Erfolg in Rom bekanntzumachen, schrieb Caesar laut seiner von dem griechischen Autor Plutarch verfassten Biographie (50,2) danach an einen Freund namens Amantius in aller Kürze: Veni vidi vici. Und im späteren Triumphzug in Rom ließ er laut der Biographie von Sueton (37,2) eine Inschrift mit eben diesen drei Worten vor sich hertragen.

Natürlich muss ich in diesem Zusammenhang die Pontos- oder Pontusgriechen erwähnen, die seit dem 7. Jahrhundert vor Christus die historische Landschaft Pontos besiedelten und 1923 als Folge des Bevölkerungsaustauschs zwischen Griechenland und der Türkei zwangsdeportiert wurden, übrigens nur die Christen unter ihnen. Manche Historiker sprechen in diesem Zusammenhang sogar von Völkermord. Die muslimisch gewordenen Pontosgriechen leben noch immer hier, sind türkische Staatsbürger, haben türkische Namen angenommen, sprechen aber noch immer Griechisch.

Ach ja, noch etwas zum Thema Mithridates, König von Pontos. Ca. 120 Kilometer westlich von Trabzon liegt die Stadt Giresun, griechisch Kerasûs (4. Fall Kerasûnta). Sie wurde wie Trapezunt von Sinope aus gegründet. Der Name Kerasûs ist von dem griechischen Wort für Kirschbaum, kerasos, abgeleitet (und nicht umgekehrt, wie oft behauptet wird); davon kommt lateinisch cerasus und deutsch Kirsche. Sie kennen sicher alle Lucullus, einen der reichsten Römer seiner Zeit, das Urbild des Feinschmeckers. Als Proconsul (Gouverneur) musste er in Pontus gegen Mithridates VI. kämpfen. Nun, Plinius (Naturalis Historia 15,102) berichtet, er habe im Jahre 74 vor Christus die veredelte Süßkirsche nach Italien gebracht, von wo aus sie sich rasch bis nach Britannien verbreitet habe. Die Vogelkirsche kannte man natürlich schon längst.

Erwähnenswert ist auch die Stadt Tirebolu, ca. 80 Kilometer westlich von Trabzon. Ihr älterer Name war nämlich Tireboli. Und dieser entstand aus dem griechischen Tripolis oder Tripoli, zu Deutsch Dreistadt. Rund ums Mittelmeer war und ist dies ein nicht seltener Name für eine Stadt. Er bedeutet, dass ein sogenannter Stadtstaat aus drei Einzelsiedlungen bestand. So auch hier.“

Und damit verstummte Pfeifer endgültig, und von nun an herrschte atemlose Stille im Bus. Denn die Landschaft war von atemberaubender Schönheit. Das Tal, das wir durchfuhren, wurde nämlich immer enger, die Berghänge immer steiler. Gleichzeitig wurden die Bergwälder zusehends schütterer und verschwanden bald vollständig, und grün war es nur noch im Talgrund. Damit hatten wir zweifelsfrei eine Klimagrenze überschritten, und wir befanden uns im trockenen Teil Anatoliens. Aber dann, die Sonne stand schon niedrig, traten die Berge unverhofft auseinander und umgaben steppenartiges Hügelland. Und eine knappe Stunde später erreichten wir glücklich unser Tagesziel Erzurum, die Wirtschafts- und Kulturmetropole Ostanatoliens.

 

4 Von Erzurum nach Kars und Ani

Montag, 6. Oktober 2014.

Längst war mir aufgefallen, dass Atatürk und die türkische Fahne in jedem Ort allgegenwärtig sind. Erzurum aber scheint noch mehr davon zu besitzen als jede andere türkische Stadt. Und dazu sind die Atatürk-Denkmäler hier meist versehen mit seinem Leitsatz: „Ne mutlu Türküm diyene.“ Nilüfer übersetzte: „Wie glücklich ist, wer sagen kann: Ich bin Türke.“

Die Nacht war unerwartet kalt gewesen. Während wir langsam begannen, İlyas im Bus Gesellschaft zu leisten, hörte ich Nilüfer zu Pfeifer sagen: „Im Winter kann hier die Temperatur bis auf minus 40 Grad sinken. Kein Wunder, Erzurum liegt auf fast 2000 Meter Seehöhe und ist von mehreren Dreitausendern umgeben. Die Einwohner selbst pflegen zu sagen: Schnee und Eis dauern bei uns dreizehn Monate im Jahr. Auch ihre Mentalität ist von einer gewissen Rauheit, die von den verfeinerten Sitten der besseren Gesellschaft von Istanbul oder Izmir meilenweit entfernt ist. Kein Wunder, sie sind ja überwiegend Kurden.“

„Aber früher bestand doch die Mehrheit der Bewohner aus Armeniern, oder?“, erwiderte Pfeifer leise.

Nilüfer erbleichte. „Über die Armenier“, sagte sie leise nach einer Schrecksekunde zu ihm, „sprich du. Ich nicht. Ist das okay?“

Sichtlich verwundert, nickte er, blieb aber stumm, denn İlyas drängte zur Abfahrt.

Während der Fahrt durch die Stadt sahen wir auffallend viele total verschleierte Frauen.

„Ja, ja“, so Nilüfer, als wir zur ersten Besichtigung hielten, „Erzurum ist eine der frömmsten und konservativsten Städte der Türkei. Die Stadt wurde 1939 durch ein Erdbeben praktisch dem Erdboden gleichgemacht, wobei vierzigtausend Menschen umkamen. Danach wurde sie modern wiederaufgebaut. Aber zum Glück blieben eine ganze Reihe von Sakralgebäuden aus dem Mittelalter erhalten oder wurden restauriert, allen voran die herrliche Doppelminarett-Medrese (Çifte Minare Medresesi) aus dem 13. Jahrhundert. Eine Medrese (auf Deutsch sagt man üblicherweise Koranschule) vereinigt stets Schul- und Beträume in sich und ist von außen kaum von einer Moschee zu unterscheiden.“

Aber die größte Freude mit Nilüfer hatten die Fotografen, nachdem sie uns in die auf einem Hügel gelegene, vom oströmischen Kaiser Theodosius II. (408 bis 450) erbaute Zitadelle geführt hatte.

„Er oder sein Großvater Theodosius I.“, erzählte sie, während alle die Aussicht bewunderten, „hat die Stadt an der Stelle des armenischen Karin neu gegründet und ihr den Namen Theodosiupolis gegeben.“

„Karin?“, rief eine fragende Stimme dazwischen.

„Ja, so nennen sie die Armenier heute noch. Der Name Erzurum oder, wie man früher sagte, Erzerum kommt entweder von Arz-ar-Rûm, das heißt auf Arabisch Land der Römer, oder von Arzan-ar-Rûm nach einer armenischen Stadt Arzan, die von den Seldschuken vernichtet wurde und deren Bewohner weiter westlich ein neues, römisches Arzan gründeten. Das türkische Z ist übrigens wie ein stimmhaftes S auszusprechen.“

Na also, jetzt hat Nilüfer ja selbst das Wort Armenier in den Mund genommen! Wieso überhaupt ihre Angst, über sie zu sprechen?

„Erzurum“, begann Nilüfer, während wir bald danach in östlicher Richtung weiterfuhren, „liegt nahe einer bedeutenden Wasserscheide. Der Fluss Çoruh mündet ins Schwarze Meer. Erzurum selbst entwässert zum Fluss Karasu, deutsch Schwarzes Wasser, auch genannt Westlicher Euphrat. Er entspringt auf dem Dreitausender genau nördlich der Stadt und ist einer der Quellflüsse des Euphrat, der, wie Sie alle wissen, in den Persischen Golf mündet. Und in Kürze werden wir den Fluss Aras sehen, der in das Kaspische Meer mündet.“

Und es verging keine Stunde, da trafen wir in einem Städtchen mit dem lustigen Namen Çobandede (Hirt-Opa) auf besagten Aras und blieben für längere Zeit seinem Ufer nahe und stellten fest, dass die Landschaft immer schöner, was sag ich, immer idyllischer, romantischer, ja mystischer wurde. Der Aras durchfließt auf eine lange Strecke ein enges, gewundenes Tal mit nicht hohen, aber steilen, kahlen Hängen. Schon längst war mir aufgefallen, dass die Landschaft total unberührt aussieht, fast wie am ersten Tag der Schöpfung. Unberührt – das bedeutet so viel wie: menschenleer. Und jetzt wurde mir auf einmal klar, wieso Nilüfer sagte, über die Armenier will sie nicht sprechen, das soll Dr. Pfeifer tun, und dabei ganz erschrocken wirkte.

Und als hätte dieser meine Gedanken lesen können, ergriff er schließlich das Wort und begann über die Armenier zu sprechen.

„Ich muss noch einmal kurz über Erzurum, früher Erzerum, sprechen. Im Damen-Konversations-Lexikon aus dem Jahre 1835 liest man nämlich folgende Eintragung: Erzerum, Hauptstadt von Armenien (asiatische Türkei) und so weiter. Erzurum war also einmal die Hauptstadt von Armenien. Und weil wir hier gerade dem Fluss Aras entlangfahren: Vielleicht ist Ihnen sein griechischer Name schon einmal begegnet: Araxes. Armenisch heißt er Arax. Er ist nämlich der Hauptfluss Armeniens. Und damit komme ich zu einem überaus bitteren Thema. Sie sehen, diese Landschaft hier ist praktisch menschenleer. Und warum ist das so? Ganz einfach, weil sie menschenleer gemacht worden ist. Wissen Sie, hier blühten einst armenische Dörfer und Städte. An ihrer Stelle blühen heute Distelfelder. Die Siedlungen wurden dem Erdboden gleichgemacht. Und ihre christlichen Bewohner? Sie wurden systematisch entrechtet, beraubt, erschlagen, ersäuft, erschossen, zu Tode gefoltert oder sonst eben vertrieben, und man ließ sie in der Wüste Syriens verhungern. Man nimmt an, dass von 1915 an bei Massakern und Deportationen bis zu 1,5 Millionen Armenier, Griechen und syrische Christen ums Leben gekommen sind. Manche Schätzungen gehen bis zu drei Millionen. Dies geschah während des Ersten Weltkrieges. Die bürokratisch geplante Mordmaschinerie der damaligen jungtürkischen Regierung und vor allem ihres Innenministers Talaat Bey funktionierte fast so perfekt wie Hitlers sogenannte Endlösung. Daran will die offizielle Türkei nicht gern erinnert werden. Im Gegenteil, sie leugnet den armenischen Holocaust noch heute hartnäckig, zum Beispiel in den Schulbüchern. Mehr noch, jede Äußerung darüber gilt als Beleidigung des Türkentums und steht heute noch unter Strafe. So wurde deswegen der berühmte türkische Autor Orhan Pamuk, Träger des Literaturnobelpreises 2006, schon mehrfach gerichtlich zu Schadenersatzzahlungen verurteilt. Man spricht höchstens von kriegsbedingten Exzessen. Dabei war es schon zwanzig Jahre zuvor, 1894 bis 1896, also mitten im Frieden, zu schrecklichen Massakern an Armeniern und anderen Christen gekommen. Und diese Massaker waren von der osmanischen Regierung veranlasst worden, namentlich von dem für sein despotisches Regime bekannten Sultan Abdülhamid II. (1876 bis 1909). In westlichen Medien sprach man damals schon von einem Holocaust. Übrigens versucht man in der Türkei seit damals vielfach sogar zu leugnen, dass die Armenier jemals existiert haben. Dazu gehört auch, dass man 1880 das Wort Armenien aus der Presse, aus den Schulbüchern und aus allen staatlichen Einrichtungen verbannte und durch Ausdrücke wie Anatolien oder Kurdistan ersetzte. Statt Armenisches Hochland heißt es seither Ostanatolien, während der Begriff Anatolien zuvor nur das westliche Kleinasien bezeichnete. Damals begann eine gut hundert Jahre dauernde Politik der Türkisierung geographischer Namen, um ethnische oder religiöse Bezüge zu tilgen, und vor allem aus Angst vor Separatismus. Und so hat man Zehntausende armenischer, griechischer, aramäischer, kurdischer und arabischer Orts-, Flur- und Personennamen geändert, türkisiert. Von Umbenennung verschont blieben, mit wenigen Ausnahmen, nur die Städte.

Erst kürzlich hatte ich Gelegenheit, das Buch 300 Bastonadenhiebe für den Bischof (Mödling 1984) des bekannten Tiroler Autors und Orientalisten Heinz Gstrein zu lesen. Es ist im Wesentlichen eine Übersetzung des Tagebuchs des armenischen Missionsbischofs Güregh Zohrabian (1881 – 1972). Darin ist zu lesen:

Der Brand, in dem das alles äußerlich unterging, wurde im Ersten Weltkrieg von den Jungtürken unter dem Motto entfacht: „Alles umbringen, keinen übrig lassen, die Christen ausrotten und ihren Glauben vernichten!“

Im Mai 1915 kam Erzerum an die Reihe. Der offizielle Befehl lautete auf die Umsiedlung aller Armenier nach Syrien, Geheiminstruktionen sahen die Ermordung aller führenden Persönlichkeiten an Ort und Stelle, den Tod von zwei Dritteln auf dem Marsch und die Vernichtung des Restes in den Lagern von Melitene (heute Malatya), Kasr al-Ain, Aleppo und Der el-Zor vor.

Der „Umsiedlungsbefehl“ wurde angeschlagen und ausdrücklich kundgetan, daß jeder daheimbleiben dürfe, der zum Islam übertrete. Nur eine einzige Familie machte in Erzerum von diesem Wege Gebrauch ... (Seite 50f.).

Viele Stunden las ich ... den schrecklichen Bericht des Rittmeisters Ödön Lendvai [des österreichischen Gesandten]. Er bat um sofortige Weiterleitung nach Wien, wo man endlich die Mitverantwortung des deutschen Gesandten Wangenheim für die Christenmassaker in Kleinasien und Syrien erfahren müsse.

In seinen Listen der Ermordeten und Verschleppten tauchten aber bald Namen auf, die mich erstarren ließen: Vartan Zohrabian – das war mein Vater!

Auf dem Todesmarsch über die noch verschneiten Berge führte Vartan Zohrabian den Armeniertransport aus Erzerum an. Er betete den Rosenkranz und ermunterte die anderen durchzuhalten. Als er nach Tagen ohne Speise und Trank zusammenbrach, konnte ihm sein Sohn, der katholische Priester Josef, gerade noch die Krankensalbung spenden. Er wurde dafür im nächsten Dorf ausgepeitscht und auf den Boden des Moscheeplatzes genagelt, wo er verblutete. Dort wurde auch seine Mutter, Sarah Ohanessian, zu Tode geprügelt ...“ (Seite 48).

So hartnäckig sucht die offizielle Türkei diese Untaten zu leugnen, dass sie nicht davor zurückschreckt, internationale Verwicklungen auszulösen. Als beispielsweise die französische Nationalversammlung 2006 ein Gesetz verabschiedete, das die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern unter Strafe stellen sollte, kam es zu schweren diplomatischen Auseinandersetzungen und sogar zu einem Wirtschaftsboykott durch die damalige türkische Regierung Erdoğan 1. Inzwischen haben Dutzende weiterer Staaten diese Gräueltaten als Genozid verurteilt, unter ihnen auch Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Vielleicht ist Ihnen bekannt, dass Armenien das erste Land ist, das als Ganzes das Christentum angenommen hat, sprich, zur Staatsreligion erhoben hat. Dies geschah 301 und ist an den Namen Gregors des Erleuchters, nämlich von Armenien, geknüpft. In Caesarea, heute Kayseri in Kappadokien, christlich erzogen, taufte er den armenischen König Trdat (Tiridates) III. und veranlasste ihn, sein Land zu christianisieren. Und das sah dann so aus: Er zog, begleitet von Soldaten, durchs Land, zerstörte die heidnischen Tempel und bekehrte das Volk gewaltsam zum Christentum, was damals ein unerhörter Vorgang war. Vom 7. bis zum 9. Jahrhundert herrschten die Araber über Armenien. Nach dieser arabischen Epoche diente zuerst Kars, dann Ani als königliche Residenz, bis Armenien im 11. Jahrhundert von den Seldschuken erobert wurde. Damals erfolgte eine Massenflucht nach Kilikien an der Mittelmeerküste, wo 1080 das Fürstentum Klein-Armenien gegründet wurde. Trotzdem blieben bis ins 20. Jahrhundert die Armenier in ganz Ostanatolien eine bedeutende Minderheit. Heute leben sie nur noch in der Republik und früheren Sowjetrepublik Armenien oder sonst über die ganze Welt zerstreut.“

Nahe einem Ort namens Karakurt (Schwarzer Wolf) verließ zu meinem Bedauern unsere Straße den Aras-Araxes und wandte sich nach Nordosten. Bald darauf näherten wir uns Kars, wo man laut Dr. Pfeifer früher in der Polizeizentrale die offizielle Genehmigung zum Besuch von Ani hatte käuflich erwerben müssen. Kars war auch unser heutiges Tagesziel. Es liegt noch immer auf fast 1800 Meter Seehöhe. Wir steuerten aber nicht unser Hotel an – dafür wäre es noch viel zu früh gewesen –, sondern fuhren nach einer Mittagspause weiter durch kahle, leicht gewellte Steppenlandschaft in östlicher Richtung auf Ani zu.

Unser erster Blick auf Ani machte uns staunen: Eine öde, windumtoste Ruinenlandschaft. Lauter große Wracks, die in unregelmäßigen Abständen auf einem ausgedehnten Gras- und Steinmeer dahinzutreiben schienen, die einzigen sichtbaren Überreste der einst reichen und prächtigen armenischen Königsstadt, die bestimmt hunderttausend Einwohner zählte und an Macht und Ruhm mit Konstantinopel wetteiferte. Übrigens, auf den großen Hinweistafeln, die die türkische Regierung für die Touristen aufgestellt hat, werden die Armenier als Erbauer Anis nicht einmal erwähnt. Natürlich mit voller Absicht.

Dr. Pfeifer: „Ani, griechisch Anion, war berühmt als die Stadt der 1001 Kirchen. Irgendwelche Wohnhäuser sind heute nicht mehr zu erkennen. Aufrecht stehen im Wesentlichen nur Teile der Stadtmauern und der Zitadelle, eine Moschee und zahlreiche Kirchen, alle in Ruinen. Trotzdem beeindrucken sie den Besucher zutiefst. Hier begegnen wir also zum ersten Mal armenischer Kirchenarchitektur. Ihre Verwandtschaft mit Byzanz ist leicht zu erkennen. Wie die byzantinischen Kirchen werden auch die armenischen von Kuppeln über hohen Tambouren gekrönt, nur dass man außen keine Kuppeln sieht, sondern Pyramidendächer, genauer, Kegeldächer, unter denen die Kuppeln verborgen sind. Die Außenwände der Kirchen bestehen aus schön geschnittenen, vielfach mit Flachreliefs verzierten Steinplatten, die Gussmauerwerk nach römischer Art verdecken, soweit sie nicht abgestürzt oder abgeschlagen sind. Die Innenräume sind gekennzeichnet durch Bündelpfeiler und hohe Bogen und Gewölbe. Ihr Inneres war zur Gänze mit Wandfresken bedeckt. Sie sind leider nur noch fragmentarisch und verblasst erhalten.“

Der weite Rundgang, den wir gemeinsam durch diese Geisterstadt machten – wir waren offensichtlich die einzigen Besucher –, führte uns unvermittelt an den Rand einer tiefen Schlucht, deren Talgrund zur Gänze vom Arpa Çayı, dem Gerstenfluss, eingenommen wird. Es ist der Grenzfluss zur Republik Armenien, früher zur Sowjetunion. Er umfließt Ani auf drei Seiten. und man sieht, dass er einst von einer Brücke überspannt wurde, die jetzt ebenfalls in Ruinen liegt. In der Vergangenheit war sie überaus wichtig. Denn sie war ein Teil der Seidenstraße, die über Ani nach Erzurum und Trapezunt führte. Hier stehen wir also unmittelbar an der Ostgrenze der Türkei, und das Land, das heute noch Armenien heißen darf, ist zum Greifen nah. Ebenso die Stacheldrahtzäume und Wachtürme, in denen die geschlossene Grenze von der russischen Armee bewacht und gesichert wird.

Nilüfer: „Das ist Teil des armenischen Verteidigungspakts mit Russland.  So erhält Moskau seinen Einfluss in dieser strategisch wichtigen Region aufrecht.“

Auf einer erhöhten Stelle gegenüber standen mehrere Busse. Die Passagiere, die ihnen entstiegen waren, winkten uns zu. Sie waren zweifellos hierher gepilgert, um sehnsüchtige Blicke auf die traurigen Überreste ihrer alten Hauptstadt zu werfen.

Zurück in Kars, sahen wir uns noch ein bisschen die Stadt an. Sie wirkte auf uns eigentlich gar nicht recht türkisch. Nilüfer erklärte: „Kars hatte ein wechselhaftes Schicksal und ist so zum Symbol des türkischen nationalen Widerstands geworden. Im Krieg von 1877/78 ging die Stadt an Russland verloren und wurde 1918 rückerobert. 1919 wurde sie von den Briten an Armenien übergeben und musste 1920 abermals rückerobert werden. Und so hat sie das Aussehen einer russischen Provinzstadt des 19. Jahrhunderts angenommen. Im Übrigen besitzt Kars eine ursprünglich armenische Zitadelle und eine armenische Kathedrale, die in der Vergangenheit schon als Moschee gedient hat, zurzeit ein Museum ist und wieder in eine Moschee umgewandelt werden soll.“

 

5 Von Kars nach Doğubayazıt

Dienstag, 7. Oktober 2014.

Stundenlang durchfuhren wir abermals Landschaften wie am ersten Tag der Schöpfung: baumlos, menschenlos, bevölkert höchstens von großen Schaf- und Rinderherden, die herrliche Fotomotive abgaben. So kamen wir dem Arpa Çayı und damit der Ostgrenze der Türkei allmählich erneut näher. Und kurz, bevor der Arpa Çayı in den Aras-Araxes mündet, waren wir nur noch wenige hundert Meter von ihm entfernt. Von da an bildet Letzterer die Grenze.

Ein letzter Blick auf ihn und auf das armenische Ufer – nicht weit von hier liegt die heutige armenische Hauptstadt Jerevan oder Eriwan –, und wir entfernten uns wieder von ihm. Bald danach hatten wir plötzlich eine übernatürliche Erscheinung: Umgeben von weißen Wölkchen, oben weiß, unten dunkelblau, ragte vor uns ein gigantischer Kegel in den stahlblauen Himmel: der Ararat, mit über 5000 Metern der höchste und eindrucksvollste Berg der Türkei, umso eindrucksvoller, als er völlig frei dasteht. Keinerlei Vorgebirge beeinträchtigt sein Erscheinungsbild. Zugleich ist er einer der heiligsten und berühmtesten Berge der Welt.

Pfeifer: „Der Ararat ist der Heilige Berg des armenischen Volkes seit der Antike und sein wichtigstes Nationalsymbol. Er gilt sogar als kultureller Besitz Armeniens und ist im Staatswappen der Republik Armenien und auch der früheren armenischen Sowjetrepublik abgebildet, sogar in dessen Zentrum. Dagegen hat die Türkei übrigens, noch zu Sowjetzeiten, geharnischten Protest eingelegt. Schließlich liege der Ararat zur Gänze auf türkischem Territorium. Der sowjetische Außenminister Gromyko konterte mit dem Hinweis, dass die Türkei die Mondsichel in ihrer Flagge abbilde, obwohl weder der Mond noch ein Teil von ihm zur Türkei gehöre.

Ja, der Ararat steht zwar unerreichbar außerhalb der Grenzen der heutigen Republik Armenien. Aber die zwei ganzjährig schneebedeckten Kegel des Großen und des Kleinen Ararat beherrschen den südwestlichen Horizont von Eriwan. Man kann sagen, der Ararat, eine eigene Schrift und das orientalisch-orthodoxe Christentum der Armenischen Apostolischen Kirche prägen die armenische Identität. Laut dem Bericht der Bibel (Genesis 8,4) landete nach dem Zurückweichen der Sintflut die Arche Noah auf dem Ararat. Dort lesen wir: Am siebzehnten Tag des siebenten Monats setzte die Arche im Gebirge Ararat auf. Im hebräischen Originaltext und ebenso in der griechischen Septuaginta-Übersetzung heißt es allerdings: auf den Bergen von Ararat. Die meisten Historiker und Bibelwissenschaftler sind sich darin einig, dass Ararat an dieser Stelle entweder der hebräische Name von Urartu oder eine falsche Vokalisierung davon ist. Trotzdem identifizieren die meisten Christen die biblischen Berge von Ararat mit dem Berg Ararat. Ist angesichts seiner Höhe auch irgendwie naheliegend. Daher werden seit dem 19. Jahrhundert immer wieder archäologische Expeditionen ausgesandt, die Überreste der Arche Noah entdecken sollen. Aber natürlich ist noch kein einziger wissenschaftlicher Beweis dafür aufgetaucht und wird auch garantiert nie auftauchen. Ernsthafte Wissenschaftler betrachten solche Unternehmungen als Pseudoarchäologie.“

„Bitte, was versteht man unter falscher Vokalisierung?“ So ein Zwischenrufer.

„Ach ja, weil ich sagte, Ararat ist entweder der hebräische Name oder eine falsche Vokalisierung von Urartu. Nun, Urartu nannten die Assyrer ein mächtiges Königeich rund um den Ararat zwischen dem 9. und 6. Jahrhundert vor Christus, ist also sozusagen der geographische Vorläufer von Armenien. Die Hauptstadt von Urartu werden wir morgen besuchen. Ihre reiche Kultur entlehnten die Urartäer im Wesentlichen ihren Nachbarn, den Assyrern, so vor allem die assyrische Keilschrift. Nur sind die urartäischen Inschriften wegen der Schwierigkeit der Sprache bisher nur teilweise deutbar. Ab dem 6. vorchristlichen Jahrhundert vermischten sich die Urartäer mit Einwanderern zum Volk der Armenier. Ca. 500 vor Christus heißt das Land in der dreisprachigen Behistun-Inschrift des Perserkönigs Dareios I. auf Babylonisch Urartu

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Karl Plepelits
Bildmaterialien: Tina Tannwald, Bildmaterial Pixabay COO Common License
Cover: CC0 Creative Commons Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig
Tag der Veröffentlichung: 26.11.2018
ISBN: 978-3-7438-8764-0

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