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1

Ha, neben der Heidi ist ein Platz frei!

Ja, die Heidi. In sie habe ich mich erst kürzlich schwer verliebt, aber natürlich nur rein platonisch (oder doch fast). Wo ich doch bestens verheiratet bin. Und obendrein der Sonja, also meiner Eheliebsten, ewige Treue geschworen habe.

Wie sie mich anlächelt, die Heidi. Ob ich mich nicht zu ihr setzen und mit ihr plaudern wolle?

Dieser Aufforderung komme ich mit Vergnügen nach. Zu wissen, dass man geliebt wird – was gibt es Schöneres? Auch wenn es rein platonisch ist?

Beide gehören wir einer Reisegruppe an, die nach Indien unterwegs ist und als deren Leiter ich selbst fungiere. Der Flug nach Bombay (so hieß damals noch das heutige Mumbai; so lange ist das jetzt schon her) dauert die ganze Nacht. Doch ehe ich im Traumland versinken konnte, versuchte ich zu eruieren, wo die Heidi sitzt. Und siehe da, jetzt sitze ich neben ihr, noch dazu fußfrei.

 

 

2

Kennen und lieben gelernt haben wir uns auf meiner letzten Reise. Diese fand erst vor wenigen Wochen statt und führte in das Land der Pharaonen. Und ja, verliebt hatte ich mich tatsächlich, sogar auf den ersten Blick. Aber nicht etwa in die Heidi, sondern in unsere ägyptische Fremdenführerin Amina, eine rassige, dunkeläugige Schönheit, die meine eigenen Augen bezauberte und mein Herz dahinschmelzen ließ, wie man so schön anschaulich sagt. Und doch – und doch ließ ich dieser meiner Verliebtheit keinerlei Taten folgen. Es gab keine Umarmung, keinen Kuss, nicht einmal die harmloseste Berührung, geschweige denn etwas Intimeres. Verliebte Blicke waren das Äußerste, wozu ich mich während der ganzen Woche, so lange dauerte die Reise, hinreißen ließ.

O ja, ein einziges Mal versuchte ich in meiner sagenhaften Gefühlsverwirrung, mit Amina anzubandeln. Das war am dritten Tag der Reise. Da besichtigten wir zuerst die sogenannte Stufenpyramide nahe Memphis und fuhren danach weiter bis zu einer Ansammlung hochnäsiger Kamele, auf denen wir durch die Wüste zum Serapeum, einem unterirdischen Heiligtum aus der griechisch-römischen Epoche, reiten sollten, je zwei auf einem Kamel, ich natürlich mit Amina. Diese unverhoffte Zweisamkeit nutzte ich sofort, um ihr Komplimente zu machen und so. Mittlerweile war ich überzeugt, dass sie darauf nur wartete. Wer beschreibt darum meine Enttäuschung, als sie mir unmissverständlich, um nicht zu sagen, reichlich schroff zu verstehen gab, dass sie davon nichts wissen wolle?

Als ich ihr am Abend gute Nacht wünschte, überraschte sie mich mit der Bitte um Verzeihung. Sie habe mich wohl vor den Kopf gestoßen. Aber das habe leider sein müssen. Sie dürfe sich keinen unnötigen Gefahren aussetzen. In Ägypten sei es für eine Frau gefährlich, sich mit einem Mann einzulassen. Sie riskiere, von ihrer eigenen Familie getötet zu werden. Nur so könne deren Ehre wiederhergestellt werden.

„Einzulassen?“, stammelte ich, einigermaßen erschüttert. „Ich wollte dir ja nur ... Ich wollte ja nur ein bisschen flirten. Weil ich dich so bewundere.“

„Nur? Glaubst du, ich bin aus Eisen? Glaubst du, ich kann unbeeindruckt bleiben, wenn ein Mann mit mir flirtet, noch dazu einer, der mir selber nicht völlig unsympathisch ist?“

Also sprach Amina. Und vom nächsten Morgen an beschränkte ich mich wieder auf verliebte Blicke, konnte mich freilich des Eindrucks nicht erwehren, als mustere sie mich mit ähnlichen Blicken. Und so blieb dies bis zuletzt eine Liebe, die ihre Erfüllung nicht in einer Vereinigung der Lippen oder Zungen fand, geschweige denn der Geschlechtsorgane (was für mich ja sowieso nicht in Frage gekommen wäre), sondern nur in einer Vereinigung der Blicke.

Wie schafft man es, eine solche Gefühlsverwirrung für sich zu behalten? Ich schaffte es nämlich nicht. Ich lechzte nach einer Möglichkeit, das Geheimnis einem Menschen anzuvertrauen und nicht einem Erdloch wie der berühmte Friseur von König Midas. Dieser wusste nämlich als Einziger von dessen Eselsohren und war nahe daran zu platzen, weil er es keinem Menschen erzählen durfte. Was tat er also? Er grub ein Loch, flüsterte sein Geheimnis hinein und schaufelte es wieder zu. Aber daraus wuchs Schilf hervor, und dieses flüsterte im Wind: „König Midas hat Eselsohren.“

Nein, mich verlangte nach einer Vertrauensperson, mit der ich mein Geheimnis teilen konnte, und zwar nicht erst daheim, nach der Reise, sondern jetzt, sofort, während das Feuer hell loderte. Und siehe da, diese Vertrauensperson fand sich. Es war eben die Heidi, neben der ich jetzt im Flugzeug sitze.

Wie war es zu diesem Vertrauensverhältnis gekommen? Ich wüsste es nicht mit Sicherheit zu sagen. Fest steht, dass Heidi gleich am ersten Tag meiner Hilfe und meines Trostes bedurfte.

Meine Reisegruppe hatte soeben das Hotel in Kairo bezogen, und ich hatte mit Amina in der Lobby das Programm besprochen (und mich heimlich an ihrem Anblick berauscht) und war gerade auf der Suche nach meinem eigenen Zimmer, da stieß ich unverhofft auf Heidi. Sie stand vor ihrem Zimmer, wirkte völlig aufgelöst. Und ich brauchte auch gar nicht erst zu fragen, weshalb. Von weitem schon rief sie mir zu, sie warte noch immer auf ihren Koffer und mache sich schon solche Sorgen.

„Ha, das haben wir gleich“, rief ich zurück, versicherte ihr, für Sorgen bestehe kein Grund, vertraute ihr meinen eigenen Koffer an und sauste davon, zurück in die Lobby. Dort war ihr Koffer nicht zu finden. Danach durchstreifte ich die Korridore der einzelnen Stockwerke. Und ja, in einer dunklen Ecke stand er einsam und verlassen und wartete darauf, wieder mit seiner Herrin vereint zu werden. Der Name auf dem Kofferanhänger stimmte: Heidelinde Kompatscher, Schwaz in Tirol.

Seine Herrin selbst dankte mir überschwänglich und machte es sich von da an zur Gewohnheit, mir bei den Mahlzeiten einen Sitzplatz zu reservieren, und zwar natürlich neben dem ihren. Sie hatte rasch erkannt, dass ein Reiseleiter nicht immer rechtzeitig zum Essen erscheinen kann. Und dafür war wieder ich ihr dankbar und bot ihr bald das Du-Wort an.

Dies geschah am dritten Tag, ausgerechnet nach jenem verunglückten Kamelritt mit Amina, beim Mittagessen in einem lauschigen Gastgarten.

Zwei Plätze hatte Frau Kompatscher neben sich reserviert, einen für Amina, einen für mich. Da hob ich spontan mein Glas und fragte sie, ob wir nicht Bruderschaft trinken könnten. Sie schenkte mir ein süßes Lächeln, hob ihr Glas und sagte: „Ich heiße Heidi“, und ich sagte: „Ich heiße Gernot.“ Es folgte die Zeremonie des Bruderschaftstrinkens und des Bruderschaftsküssens. Und ich muss sagen, ihr Kuss fühlte sich alles andere als kühl an.

Amina, das blieb mir nicht verborgen, schaute uns bei alledem mit offenem Munde zu und machte Augen, als würde sie rituelle Tänze von Eingeborenen in irgendeinem exotischen Land miterleben. Trotzdem wagte ich es nicht, ihr dieselbe Frage zu stellen. Erstens waren wir ja als Kollegen ohnedies von allem Anfang an per Du. Zweitens stand ich noch unter dem Schock ihrer Zurückweisung. Drittens trank sie als Muslimin Wasser. Und viertens scheute ich davor zurück, sie zu küssen, und dies, obwohl ich mir nichts sehnlicher gewünscht hätte.

Und jetzt kommt das mit dem Bedürfnis, mein Geheimnis mit einer Vertrauensperson zu teilen. Eine solche hatte ich ja mittlerweile. Sie reservierte mir regelmäßig einen Platz beim Essen. Und sie begleitete mich regelmäßig auf meinen Abendspaziergängen (die ich unternahm, um die Umgebung des jeweiligen Hotels zu erkunden; ein Reiseleiter soll sich ja überall perfekt auskennen).

Nun denn. Abendspaziergang mit Heidi. Der Schock vom Kamelritt am Vormittag war mittlerweile überwunden. Das Feuer brannte wieder lichterloh und machte meinen Kopf glühen und löste mir die Zunge.

„Du, Heidi“, begann ich zögernd. „Ich muss dir was gestehen.“

„Ja?“, erwiderte sie. Und es klang ausgesprochen erwartungsvoll.

„Du, ich bin ja so verliebt.“ Und dazu seufzte ich.

Ich merkte, wie sie den Atem anhielt und darauf wartete, wen ich wohl als Objekt meiner Begierde nennen würde.

„Errätst du’s, in wen?“, fuhr ich fort.

Sie schwieg, blickte mich fragend an.

„In die Amina.“

Heidi schnappte hörbar nach Luft und sagte mit gedämpfter Stimme: „Kann ich gut verstehen. Bei dem Charme, den sie ausstrahlt. Nur, warum gehst du dann mit mir spazieren und nicht mit ihr?“

„Weil ... Na ja, weil ich’s halt äußerst angenehm finde, mit dir spazieren zu gehen. Weil ich dir alles erzählen kann. Weil ich das Gefühl habe, vor dir keine Geheimnisse haben zu müssen.“

„Das ist sehr schön, dass du dieses Gefühl hast. Aber ist das der wahre Grund?“

Nein, das war natürlich nicht der wahre Grund. Also verriet ich ihr auch ihn.

War sie jetzt beleidigt? Oh, im Gegenteil. Und sie begann sogleich mein Loblied zu singen: Mit welchem Vergnügen sie immer meinen Vorträgen zuhöre, und was für eine angenehme Mikrophonstimme ich hätte, und dergleichen mehr. Mir schwirrte der Kopf vor so viel Lobpreis, und ich begann mich zu fragen, ob das alles in Wirklichkeit nicht eine heimliche Liebeserklärung ist und ob ich sie nicht bitter enttäuscht habe, als ich ihr gestand, in Amina verliebt zu sein.

Als ich ihr vor ihrer Zimmertür gute Nacht wünschte, stellte sie sich unverhofft auf die Zehenspitzen und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Und auch der war alles andere als kühl.

Dies geschah noch in unserem Kairoer Hotel. Am nächsten Abend, in El-Minja in Oberägypten, begann Heidi zu meiner Verblüffung lebhaft den Umstand zu bedauern, dass sie kein Einzelzimmer gebucht habe, wohl in der Erwartung, dass ich erwidern würde: Dann gehen wir halt noch ein Weilchen in mein Zimmer und erzählen uns gegenseitig was Schönes. Aber nein, schon wieder musste ich sie enttäuschen. Ich hatte ja selber kein Einzelzimmer. Einen kurzen Moment lang schaute sie rasend enttäuscht drein. Dann umarmte und küsste sie mich kurz, aber heftig.

Wieder einen Tag später fand unser gemeinsamer Abendspaziergang in Luxor statt.

„Sag, lieber Gernot“, begann Heidi unvermittelt, „darf ich dich was fragen?“

„Na klar. Immer.“

Was kommt jetzt?

„Aber nicht bös sein, gelt? Weil wir ... Weil ich ... Also, was ich dich fragen wollte: Bist du eigentlich noch immer so verliebt in die Amina?“

„Aber ja, sicher. Mehr als je zuvor. Wo ich sie doch den ganzen Tag vor meinen Augen habe und bewundern kann.“

„Aber mit mir gehst du spazieren. Und mit mir besprichst du vertrauliche Dinge“ Und dann, nach längerem Schweigen: „Du, Gernot? Darf ich dir auch was gestehen?“ Und ohne meine Erlaubnis abzuwarten: „Ich bin nämlich auch rasend verliebt. Aber in dich. So, jetzt weißt du’s.“

Aufs Äußerste gerührt und unfähig, etwas zu erwidern, wandte ich mich nach ihr um, umfasste mit beiden Händen ihre Wangen und drückte einen innigen Kuss auf ihre Lippen. Sie aber fiel mir stürmisch um den Hals und begann mich zu küssen, dass – wie sagt Homer? – sogleich die Knie sich mir lösten und das liebe Herz, so lange, bis in unmittelbarer Nähe mehrere scharfe Pfiffe ertönten. Erschrocken sprangen wir auseinander und sahen uns umringt von einer ganzen Horde bärtiger und grimmig blickender Mannsbilder. Oje, wir hatten den orientalischen Verhaltenskodex verletzt. Mit größtmöglicher Freundlichkeit nickte ich ihnen zu, packte Heidi unterm Arm und eilte mit ihr ins Hotel zurück.

„Und jetzt?“, murmelte sie, sobald wir glücklich die Eingangstür hinter uns geschlossen hatten, und wirkte maßlos enttäuscht. „Hier könnten uns ja unsere Leute sehen. Und das wäre dir bestimmt nicht recht.“

Ich konnte nur nicken und mit der Schulter zucken.

„In die Heia gehen“, murmelte ich schließlich. „Was bleibt uns sonst übrig?“

Inzwischen bedauerte ich selber schon, dass es hierzulande keinen Ort zu geben scheint, wohin sich ein Liebespaar zurückziehen kann. Denn, um noch einmal Homer zu zitieren, die Knie waren mir immer noch gelöst und das liebe Herz. Oder, etwas weniger poetisch: Mittlerweile war ich scharf wie zehn Chilischoten auf einmal. Aber dann sagte ich mir, ich bin doch verheiratet und habe mir geschworen, meiner Sonja ewig treu zu sein. Und wenn ich mich in die Heidi verliebt hab, so wird diese Liebe selbstverständlich rein platonisch bleiben und über keusche Küsse nie hinausgehen.

Am Abend darauf, noch immer in Luxor, musste der Spaziergang mit Heidi entfallen. Das Programm des Tages sah nach dem Abendessen noch eine gemütliche Kutschenfahrt zu einer nächtlichen Ton- und Lichtvorführung im Tempel von Karnak vor, freilich ohne Amina. Klar, es gab ja nichts zu erklären. Aber Heidi war mit von der Partie. In weiser Voraussicht setzten wir zwei uns als Einzige in die hinterste Sitzreihe. Und das war in zweierlei Hinsicht segensreich. Segensreich und zugleich verführerisch. Erstens konnten wir uns eng aneinander kuscheln, um die mit der Zeit auf uns eindringende nächtliche Kälte abzuwehren. Zweitens ließ ich mich von der absoluten Finsternis dazu verführen, mit den Fingern Heidis Körper zu erforschen und ihr mehr als einen Orgasmus zu bescheren. Und drittens ließ ich mich dazu verführen, sie nicht daran zu hindern, sich zu revanchieren und mit ihren Fingern meinen Schwanz zu liebkosen, zum Glück erfolglos. Sicher war ihm zu kalt. Oder seine Angst, meinen Vordermann vollzuspritzen, war zu groß. Oder es waren einfach meine Gewissensbisse zu heftig. Schließlich gab Heidi ihre Bemühungen auf und war hernach untröstlich, das heißt, wollte sich von mir nicht trösten lassen.

Tags darauf erreichten wir Assuan und stiegen im Neuen Katarakthotel ab. Dieses steht außerhalb der Stadt neben jenem Alten Katarakthotel, von dem ich erst kürzlich gelesen hatte. Zur Einstimmung auf diese Reise hatte ich mir nämlich mit großem Vergnügen den berühmten Kriminalroman Tod auf dem Nil von Agatha Christie zu Gemüte geführt. Und ich erinnerte mich, dass eine Szene, ein Gespräch zwischen Hercule Poirot, dem Detektiv, und einer jungen Dame, des Nachts auf Felsen direkt am Nilufer unterhalb des Hotels spielt.

Wie sich herausstellte, führt zwischen den beiden Hotels durch einen hübschen Palmengarten ein Treppenweg hinunter zu einer Anlegestelle für Segelboote. Über diese Treppen wanderten wir nach der Mittagspause alle gemeinsam hinunter, um mehrere dieser Segelboote zu besteigen und die zwei berühmtesten Inseln von Assuan zu besichtigen, die Kitchener-Insel mit dem Botanischen Garten und die noch berühmtere Insel Elephantine mit den Ruinen der gleichnamigen antiken Stadt.

Und am Abend? Ja, da zog es uns zwei, Heidi und mich, mit aller Macht hinunter in die Dunkelheit des Nilufers. Das war zwar viel zu wenig für einen Spaziergang. Aber mittlerweile stand uns der Sinn nicht mehr so sehr nach Spaziergängen als vielmehr nach einem einsamen Plätzchen. Denn, um ehrlich zu sein, in meiner Brust (und in meinem Schwanz) brannte jetzt ein loderndes Feuer. Oder, weniger poetisch formuliert: Inzwischen war ich geladen wie ein Maschinengewehr. Und dagegen halfen weder meine verliebten Gefühle für Amina noch meine zärtlichen Gedanken an meine Sonja daheim in Innsbruck noch mein schlechtes Gewissen.

Leider stellte sich rasch heraus, dass die Anlegestelle heutzutage auch nächtlicherweile kein einsames Plätzchen mehr ist. Also tasteten wir uns mit größter Vorsicht entlang dem Ufer an den riesigen Felsblöcken, die in der Dunkelheit wie Elefantenrücken wirken, vorbei bis zu einer Stelle, wo uns eine senkrechte Felswand den Weg versperrte. Hier fielen wir uns aufseufzend um den Hals und küssten uns mit glühender Leidenschaft. Und wieder begannen meine Finger Heidis Körper zu erforschen, ihre samtige, verlockende, erregende Haut zu liebkosen, und wieder bemühten sie sich, ihr die höchsten aller Glücksgefühle zu bereiten. Dies war freilich, wie sich herausstellte, wesentlich schwieriger als am Abend davor. Denn hier hieß es stehen, wenn auch an die Felswand gelehnt. Das Sitzen erwies sich nämlich als gar schmerzhafte Angelegenheit. Auch Heidis Bemühungen, meinem Schwanz die längst überfällige Entladung zu verschaffen, blieben abermals vergebens, hatten nur den einen Erfolg, mich noch schärfer zu machen, mir die Knie noch mehr zu lösen und das liebe Herz.

Schließlich überwand ich meine letzten Hemmungen. Beherzt streifte ich Heidis Hose und Slip hinab, hob ihre Füße an – wir standen ja wie die Zinnsoldaten – und zog ihr beide Kleidungsstücke aus, machte mich auch selber unten frei und entsandte meinen bereits laut und vernehmlich um Hilfe schreienden Zinnsoldaten kurzerhand in den feuchten, dunklen, engen, heißen, weichen, ach wie süßen Tunnel, der zu Heidis Allerheiligstem führt. Nur, weit kam er nicht. Ehe er noch sein so heiß ersehntes Ziel erreicht hatte, ließ sie einen sonderbaren Laut hören und stieß mich von sich. Im selben Moment explodierte mein strammer Zinnsoldat und spritzte sie von oben bis unten voll, und ich war in diesem rauschähnlichen Zustand nicht imstande, mich abzuwenden, stand wie gelähmt vor ihr. Aber auch Heidi selber schien gelähmt. Und als sich ihre Lähmung wieder legte, stammelte sie: „Entschuldige, Gernot. Aber weißt du ...“, brach ab, legte mir ihren Kopf auf die Schulter und begann hemmungslos zu schluchzen, beruhigte sich aber rasch, hob ihren Kopf wieder und murmelte: „Ich hab auf einmal gedacht, es ist nicht recht. Und da hab ich die Panik gekriegt und ...“

Wieder brach sie ab, schwieg.

Du, es ist auch nicht recht, drängte es mich zu sagen. Aber ich brachte kein Wort heraus. Stattdessen bückte ich mich, um aus meiner Tasche eine Packung Papiertaschentücher herauszufischen und Heidi anzubieten, ein Angebot, das sie dankbar annahm. Danach tat sie endlich das einzig Richtige – oder einzig Falsche; wie man’s nimmt: Sie zog mich an sich und versuchte meinen Zinnsoldaten ihrerseits auf den Weg zu ihrem Allerheiligsten zu entsenden. Leider stand er nicht mehr stramm genug. Sie ging in die Hocke, machte sich wie am Vorabend im Karnak-Tempel mit ihren Fingern über ihn her, küsste ihn, nahm ihn in den Mund.

„Mm, wie süß du schmeckst“, flüsterte sie. „Glaubst du, wird er wieder?“

Ich zuckte mit der Schulter, was sie naturgemäß nicht sehen konnte, und murmelte: „Hm.“ Zu mehr waren meine Sprechwerkzeuge noch nicht fähig. Mein Gehör hingegen funktionierte tadellos, und ich glaubte plötzlich Geräusche zu hören. Heidi schien sie auch zu hören. Sie unterbrach ihre köstliche Aktivität, hob den Kopf, sprang auf. In der Dunkelheit erkannten wir zwei noch dunklere Gestalten. Sie standen direkt vor uns und waren im nächsten Augenblick verschwunden, offenbar durch unseren Anblick in die Flucht geschlagen.

Verschwunden war jedoch auch unsere innere Hitze. Oder, etwas volkstümlicher ausgedrückt, uns war alles vergangen. Wortlos kleideten wir uns an, küssten uns zaghaft und schlichen regelrecht geknickt davon. Das heißt, mein Gewissen war einerseits erleichtert, sogar enorm erleichtert. Aber Heidi war untröstlich: Die Reise sei für uns zu Ende. Dies sei der letzte Abend, den wir miteinander verbringen können. Am morgigen Abend würden wir ja nur am Flughafen „herumsitzen“.

Und so war es auch. Am nächsten Abend saßen wir nur noch am Flughafen „herum“ und warteten auf den nächtlichen Heimflug.

Die Wartezeit verbrachte ich, soviel es ging, in Aminas Gesellschaft (wodurch Heidis Kummer vermutlich nicht geringer wurde). Und es war erstaunlich, wie sehr sich Amina jetzt auf einmal zu mir hingezogen fühlte. Als der Abschied schließlich da war und die Passkontrolle uns endgültig auseinander riss, da verabschiedete sie sich von mir mit einem – nein, nicht mit einem langen, warmen Kuss; das nicht; wohl aber mit einem langen, warmen Händedruck und verdächtig glänzenden Augen. Und als ich nach der Passkontrolle zurückblickte, erstarrte ich vor Schreck, vor Bedauern, vor Mitleid, vor Rührung, und ich weiß nicht, wovor noch. Reglos wie eine ägyptische Götterstatue stand sie an der Sperre, blickte mir nach und heulte hemmungslos. Und ich konnte nur dastehen und hilflos zu ihr zurückblicken und ihr mit der Hand einen angedeuteten Kuss schicken. Sie schickte mir ihrerseits einen Kuss, wandte sich abrupt um und rannte wie ein ertappter Dieb davon.

Zum Glück war ich als Letzter durch die Kontrolle gegangen. Alle anderen waren längst vorausgegangen, um die Duty-Free-Läden zu stürmen. Nur Heidi wartete getreulich. Das war zwar sehr lieb von ihr und zweifellos gut gemeint, mir aber ausgesprochen peinlich, zumal mir selbst die Tränen kamen; so erschüttert war ich. Sie merkte gottlob, woher der Wind wehte, und blieb mir zwar dicht auf den Fersen, sprach mich aber nicht an. Und der Erfolg war, dass ich vor ihr ein schlechtes Gewissen bekam und bald das dringende Bedürfnis verspürte, sie zu trösten. Nur, wie? Ich wusste keinen Trost für sie. Die Reise war unwiderruflich zu Ende. Ebenso unsere mehr oder weniger platonische Liebe. Denn im Flugzeug saßen wir dann getrennt, auf dem langen Flug nach Wien ebenso wie auf dem kurzen Flug von Wien nach Innsbruck, und in der Hektik nach der Landung verbat sich klarerweise jedes trauliche Gespräch.

Aber von nun an bekam ich regelmäßig Post aus Schwaz, dicke, seitenlange Briefe. Das musste meiner Sonja unweigerlich auffallen, und sie zog daraus anscheinend ihre eigenen Schlüsse. Sie machte mir zwar keine Szenen, das nicht, bekam aber mit der Zeit den typischen argwöhnischen Ehefrauen-Blick und ließ ab und zu spitze Bemerkungen fallen. Und da konnte ich ihr noch so oft und noch so eindringlich versichern, die Sache sei völlig harmlos; verliebt hätte ich mich zwar tatsächlich, aber in meine ägyptische Fremdenführerin, und sie würde mir nie glauben, wie platonisch diese Liebe gewesen sei.

Ja, hätte es damals schon das Internet und die elektronische Post gegeben. Aber die gab es eben noch nicht, und übrigens auch noch nicht die Handys, mit deren Hilfe man heutzutage allüberall telefonieren und angerufen werden kann. Wir schrieben ja erst Februar, März 1990. Ich bin offenbar ein paar Jahre zu früh auf die Welt gekommen.

Sollte ich Heidi schreiben, sie möge sich ein wenig einbremsen? Aber davor schreckte ich zurück. Ich wollte sie, ehrlich gesagt, nicht noch einmal enttäuschen. Außerdem, was hätte es geholfen? Der Argwohn in Sonjas Brust war bereits erwacht. Hinzu kommt, dass ich ein ausgesprochen schreibfauler Mensch bin. Ich schrieb Heidi meinerseits ein kurzes Brieflein, teilte ihr mit, dass ich in den Osterferien Indien „machen“ würde. Und das musste reichen.

Unter den Unterlagen, die ich vor der Abreise erhielt, war natürlich auch eine Teilnehmerliste. Und siehe da, was entnahm ich ihr? Ich traute meinen Augen nicht und wurde hin und her gerissen zwischen Schrecken und Entzücken: Dass eine gewisse Heidelinde Kompatscher mit von der Partie sein würde. Und was entnahm ich der Zimmerliste? Schrecken und Entzücken steigerten sich ins Gigantische: Dass die Frau Heidelinde Kompatscher ein Einzelzimmer gebucht hatte. Weder das eine noch das andere hatte sie mir in ihren dicken Briefen verraten. Es sollte offenbar eine Überraschung sein.

 

3

Und siehe da, jetzt sitze ich neben Heidi. Denn bei einem nächtlichen Kontroll- und Betreuungsgang ist mir dreierlei aufgefallen. Erstens, dass die Maschine bei weitem nicht voll ist. Zweitens, dass Heidi direkt vor einer Querwand sitzt. Und drittens, dass ein Platz neben ihr leer ist. Ich fragte, ob ihr Nachbar gerade ausgeflogen sei, etwa um im hinteren Bereich seiner Nikotinsucht zu frönen (was damals noch erlaubt war), und erfuhr, der Sitz sei frei; und ob ich mich nicht ein Weilchen zu ihr setzen wolle.

Dieser Aufforderung kam ich mit dem allergrößten Vergnügen nach. Wir hatten ja an diesem Tag noch überhaupt keine Gelegenheit gefunden, miteinander zu plaudern, und ich hatte ihr noch nicht verraten, was mir am Herzen liegt und auf der Zunge brennt. Jetzt ist es endlich so weit.

„Weißt du, Heidi, was mich irrsinnig beeindruckt hat? Und immer noch beeindruckt?“

„Meine literarischen Ergüsse?“

„Du meinst, dein Briefroman?“

Sie lachte herzlich. „Das hast du schön gesagt.“

„Klar. Der auch. Aber eigentlich meinte ich was anderes. Die Tatsache nämlich, dass du ein Einzelzimmer gebucht hast.“

„Ach so. Na ja, da muss ich dir aber gleich von meiner quälenden Sorge erzählen.“

„Von welcher ...“

„Dass du dich über mein Einzelzimmer vielleicht gar nicht freust.“

„Ha, wenn du wüsstest, wie ich außer mir war vor Rührung, als ich das in der Zimmerliste entdeckt hab.“

„Dann liebst du mich also doch auch ein bissl und nicht nur die Amina? Und deine Frau?“

„Zweifelst du daran?“

„Was soll ich denn tun gegen meine Zweifel? Außer dir einen Briefroman in Fortsetzungen zu schreiben? Und ein Einzelzimmer zu buchen?“

„Ja, und 1840 Schilling Einzelzimmerzuschlag zu zahlen. Das finde ich in der Tat einmalig.“

„Dich haben sie ja wahrscheinlich wieder in ein Doppelzimmer verbannt. Stimmt’s?“

„Stimmt haargenau.“

Im selben Augenblick erlischt das Kabinenlicht. Und als hätte Heidi nur darauf gewartet, greift sie nach meinem Knie und flüstert mir ins Ohr: „Du, Gernot? Wann hast du mich zum letzten Mal geküsst?“

Diese Frage ist natürlich in Wirklichkeit eine charmante Aufforderung und zugleich eine bittere Klage. Also stelle ich die Armlehne, die uns trennt, zurück, um Heidi näher zu rücken. Heidi hebt ihren Lockenkopf und streckt mir verlangend ihre Lippen entgegen. Gleichzeitig wandert ihre Hand, die nach wie vor auf meinem Knie ruht, langsam das Hosenbein hinauf und macht erst an der Stelle halt, wo sich die beiden Hosenbeine vereinigen, vermutlich um zu erforschen, was sich dahinter tut. Und mir scheint, dahinter tut sich einiges.

Irgendwann ist unser Verlangen nach Küssen fürs Erste befriedigt. Danach flüstert mir Heidi ins Ohr: „Gernot, ich liebe dich. Ach, wie ich dich liebe!“, öffnet unverzagt mein Hosentürl, greift in die Unterhose, macht sich über den längst stramm stehenden Zinnsoldaten her und liebkost ihn unglaublich zärtlich, so zärtlich, dass die Situation nur allzu bald kritisch zu werden droht. Ich muss an das Missgeschick in Assuan denken und flüstere ihr zu: „Du, wart. Ich fürcht, ich brauch ein Taschentuch.“

Heidi hält inne, aber nicht, um auf mein Taschentuch zu warten, sondern um sich (nach einem prüfenden Blick auf unsere selig schlummernden Nachbarn) vor mir hinzuknien und ihren Mund die Funktion des Taschentuchs erfüllen zu lassen. Und es dauert nicht lang, da drohen mich die süßen Empfindungen vollends zu überwältigen. Ich beuge mich zu Heidi hinab, umfasse mit beiden Händen ihren Kopf und flüstere: „Ich trau mich nicht.“

Sie antwortet nicht – wie denn auch? –, nickt aber heftig.

„Ich missbrauch dich ja.“

Heftiges Kopfschütteln.

„Du, ich komm bald.“

Heftiges Nicken.

„Magst du’s wirklich?“

Noch heftigeres Nicken.

Und dies ist wohl der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Im Klartext: Die süßen Empfindungen überwältigen mich, das Fass läuft über, sein Inhalt ergießt sich in Heidis Mundhöhle und bereitet mir gleichzeitig höchstes Entzücken und tiefste Bestürzung.

„Mm“, flüstert Heidi, während sie sich wieder züchtig neben mich setzt, „süß schmeckst du. Weißt du, dass ich mich schon die ganze Zeit darauf gefreut hab? In Assuan hab ich ja nur kosten dürfen.“

„Und es hat dir wirklich nichts ausgemacht?“

„Aber nein. Wenn ich’s dir sag. Im Gegenteil, ich hab’s unheimlich genossen. Außerdem soll es sehr gesund sein.“

„Ja? Und glaubst du, darf ich mich revanchieren?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, öffne ich ihr Hosentürl, fahre mit einer Hand unter ihren Slip und entdecke zwischen ihren unteren Lippen einen heißen See. Sogleich beschleunigen sich ihre Atemzüge, werden zu krampfhaftem Keuchen. Krampfhaft klammert sie sich an mich und wird bald vom Rausch der Ekstase übermannt. Zugleich bin ich mir bewusst, dass sich auch meine Atemzüge stark beschleunigt haben. Und dass mein Zinnsoldat schon wieder stramm steht.

Da beginne ich hin und her zu überlegen, wie ich es anstellen soll, ihn in Heidis heißen See zu tauchen. Das war uns ja noch nie vergönnt. Und das eine Mal, wo wir es probierten, endete als Katastrophe. Nur, wie soll ich’s anstellen? Im Sitzen? Unmöglich. Außerdem bliebe es kaum unbemerkt. Im Liegen auf dem Boden vor den Sitzen? Ausgeschlossen. Ich sehe mich um. Nein, so finster ist es nun auch wieder nicht. Was ist zu tun? Ha, keusch bleiben, meinem Gewissen folgen, meinen guten Vorsätzen treu bleiben, Heidi einfach rein platonisch lieben, was sonst?

Ach was, da gibt's doch diesen dummen Spruch: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Nur, hört man nicht immer wieder, dass es in der Hölle bei weitem interessanter sein soll als im Himmel? Wie auch immer, nur allzu deutlich spüre ich, wie das Feuer in meiner Brust (und in meinem Schwanz) lodert, und muss heftig an jene Katastrophe von Assuan denken.

Mein Blick bleibt an der nur wenige Schritte von uns entfernten WC-Tür hängen.

Ha! Das WC! Würde es sehr auffallen, wenn zwei gleichzeitig darin verschwinden? Aber wieso denn unbedingt gleichzeitig?

„Gehst du mit mir aufs WC?“, flüstere ich Heidi ins Ohr.

Sie blickt mich mit großen Augen und geröteten Wangen an und nickt, sichtlich begeistert.

„Weißt du was? Geh du voraus. Ladies first. Ich komm nach. Ja?“

Wieder nickt sie, bringt ihr Gewand in Ordnung, erhebt sich wortlos, wirft mir einen glühenden Blick zu und verschwindet im WC. Nach angemessener Wartezeit folge ich ihr. Als Erstes stolpere ich über ihre Beine. Sie sitzt auf dem geschlossenen Klodeckel, verschließt und verriegelt rasch hinter mir die Tür und hängt im nächsten Augenblick an meinem Hals, bedeckt mein Gesicht mit heißen Küssen. Erst danach entdecke ich, dass ihre unteren Partien schon freigelegt sind – ein sozusagen historischer Moment. Denn so enthüllt habe ich sie noch nie gesehen. Und nicht ohne Befriedigung stelle ich fest, dass das, was ich enthüllt sehe, äußerst wohlgeformt ist.

Mein Blick bleibt ihr nicht verborgen.

„Gefall ich dir?“, flüstert sie, schüchtern lächelnd.

„Ha, und wie“, flüstere ich zurück und beginne ihre nackten Glieder zu liebkosen, mit den Augen zu verschlingen.

Den kühleren Kopf hat dennoch sie bewahrt. Zweifellos denkt sie daran, dass wir uns nicht allzu viel Zeit lassen dürfen. Schließlich könnte jeden Moment jemand mit drängender Blase vor der Tür stehen und Einlass begehren.

„Möchtest du dich nicht auch ausziehen?“, flüstert sie. „Oder wart, ich zieh dich aus. Wenn ich darf.“

Und schon zieht sie mir, ohne meine Antwort abzuwarten, Hose und Unterhose ein Stück hinunter. Ihre Hand zittert.

Leider hat sich mein Zinnsoldat inzwischen wieder schlafen gelegt. Aber Heidi weiß Abhilfe. Sie zwängt sich an mir vorbei, drückt mich auf den Klodeckel nieder und macht sich unverweilt mit Fingern, Lippen, Zunge über ihn, den schlafenden Zinnsoldaten, her. Und ja, es hilft. Es hilft beinahe blitzartig. Sie blickt auf, schenkt mir ein triumphierendes Lächeln, richtet sich auf, stellt sich breitbeinig über mich, sodass ich ihr erregendes Hinterteil umfassen kann, und fügt, ohne zu zögern, zusammen, was offenbar zusammengehört. Und wieder muss ich heftig an unseren misslungenen Versuch in Assuan denken. Denn genau wie damals empfinde ich ihren unteren Mund als unerhört süß. Aber diesmal stößt sie mich nicht von sich, sondern presst krampfhaft mein Gesicht gegen ihre Brust. Wieder wird ihr Atem zu krampfhaftem Keuchen. Und dann flüstert sie: „Du, ich komm“ und beißt mir ins Ohr, und ich spüre, wie sie kommt. Es erregt mich so stark, dass ich unmittelbar nach ihr auch selber komme und mich nun eben in ihre untere Mundhöhle ergieße. Und diesmal empfinde ich nur noch höchstes Entzücken.

Doch während wir wenig später wieder züchtig auf unseren Plätzen sitzen und Heidi, den Kopf auf meiner Schulter, den Schlaf des Gerechten schläft, gesellen sich zum Entzücken wieder Schrecken und Bestürzung, nämlich über mich selbst. Jetzt plagen mich schwere Gewissensbisse, mit anderen Worten, mein Gewissen „beißt“ mich nicht schlecht. Kann man unsere Liebe überhaupt noch rein platonisch nennen? Irgendwie ist es das jetzt wohl nicht mehr. Dann muss ich an meine Sonja denken und frage mich, was denn plötzlich in mich gefahren ist. Dabei glaubte ich doch immer ein vorbildlicher Ehemann zu sein: treu, verlässlich, monogam, nicht so einer wie die vielen, die eine Ehefrau haben und daneben ständig eine andere heimliche Geliebte.

Solche Gedanken schwirren mir unaufhörlich durch den Kopf und halten mir den Schlaf zuverlässig fern. Dabei hätte ich ihn bei weitem nötiger als Heidi. Für sie bedeutet diese Reise Ferien, für mich Arbeit. Na, wenigstens gibt’s an diesem Tag kein Programm mehr. Vielleicht kann ich mich tagsüber ausschlafen. Wir bleiben nämlich nicht in Bombay, sondern müssen dort vom internationalen zum Inlandsflughafen, um nach Delhi zu fliegen. Bis wir dort unsere Hotelzimmer beziehen können, vergeht der ganze Vormittag, wenn nicht mehr, jede Wette. Drum beginnt das offizielle Programm mit der indischen Fremdenführerin erst am Tag darauf.

Ha! Die indische Fremdenführerin. Am Ende ist das wieder so ein reizendes Geschöpf wie die Amina in Ägypten, und ich verliebe mich schon wieder unsterblich auf den ersten Blick? Wer weiß, vielleicht sind die indischen Schönheiten weniger zurückhaltend als die ägyptischen? Und was dann?

Um diese Frage gleich zu beantworten: Die Schicksalsgötter haben ein Einsehen und senden mir in Delhi keine indische Schönheit, nicht einmal eine weniger wohlgeformte Inderin, sondern einen schüchternen Jüngling. Er nennt sich Vipender und sieht aus wie ein junger Gott.

Und Heidi? Wirft sie ein Auge auf den jungen Gott?

Aber woher denn. Sie hat tatsächlich nur Augen für mich.

Während wir, noch in Bombay, auf den Anschlussflug nach Delhi warten, rückt Heidi mit einer genialen Idee heraus: Wie wär’s, liebster Gernot, wenn du deinem Zimmerkollegen mein Einzelzimmer gibst und mit mir ins Doppelzimmer gehst? Dann ist er glücklich, und wir sind glücklich. Was meinst du?

Und was meine ich?

Genial, liebste Heidi. Ja, genau so wollen wir’s machen.

Und, sage ich mir im Stillen, zum Teufel mit meinen guten und ach so edlen Vorsätzen! Und mein Gewissen wird sich daran gewöhnen müssen, dass meine Liebe zur Heidi eben nicht mehr gar so rein platonisch ist.

Wir landen in Delhi, werden von Meister Vipender empfangen und in einem tollen Hotel abgeliefert. Heidi und ich, wir beziehen also ein Doppelzimmer. Dem Herrn, der laut Zimmerliste mit mir das Doppelzimmer teilen sollte, drücke ich kommentarlos und mit aufmunterndem Lächeln den Schlüssel zu Heidis Einzelzimmer in die Hand.

(Und nie hat er nachgefragt, wieso er so unverhofft in den Genuss eines Einzelzimmers gekommen sei, diesmal nicht und auch in keinem der anderen Hotels, die uns auf dieser Reise beherbergten, und wirkte stets hochzufrieden. Heidi und ich, wir haben ihn glücklich gemacht. Ihn und uns selbst. Uns selbst wahrscheinlich noch viel glücklicher als ihn.)

Ja, so glücklich habe ich uns selbst gemacht, dass wir an diesem ersten Abend in Delhi noch lange nicht zum Schlafen kommen – ich meine, zum Schlummern. Klar, dies ist jetzt unsere erste Nacht, gewissermaßen unsere Hochzeitsnacht. Denn das in der Flugzeugtoilette war bestenfalls eine Vorübung dazu (wenn auch eine überaus köstliche).

Zwar würde ich mich, um ganz ehrlich zu sein, am liebsten sofort ins Bett schmeißen und alle viere von mir strecken. Müde bin ich zum Umfallen.

(Am Nachmittag habe ich mich mitnichten ausgeschlafen. Mein Reiseleiterethos hat mich dazu getrieben, meinen Leuten schon an diesem Tag auf eigene Faust, nämlich mithilfe von Taxis, ein bescheidenes Programm zu bieten.)

Aber natürlich muss ich mich zuvor überwinden, mir die Zähne zu putzen und ausführlich zu duschen. Andererseits habe ich jetzt zum ersten Mal Gelegenheit, Heidi völlig hüllenlos zu sehen und zu bewundern. Wie es sich für einen Kavalier gehört, lasse ich sie, frei nach dem Motto Ladies first, zuerst duschen, bitte mir freilich aus, ihr zusehen zu dürfen; dafür würde ich ihr den Rücken einseifen. Zu diesem Zweck stelle ich mich selber unter die Dusche und habe jetzt zwar einen nur eingeschränkten Blick auf ihre reizvollen Körperformen, dafür aber direkten Hautkontakt. Und dieser vertreibt mir meine Müdigkeit in ungeahnte Fernen. Von ungeheurem Tatendrang werden meine Hände erfüllt, und hätten sie eine eigene Stimme, sie würden jauchzen und jubeln vor Entzücken, während sie Heidis Rücken und danach ihre Vorderseite einseifen. Heidi selbst gerät geradezu außer sich, zumal nachdem sie auf die Idee gekommen ist, nach meinem längst stramm stehenden Zinnsoldaten, der uns ja ständig im Weg ist, zu greifen und ihn in ihrer unteren Mundhöhle zu verbergen, zuerst von vorn und dann von hinten. Letzteres hat den unbestreitbaren Vorteil, dass ich bequem ihre Brust und ihre unteren Lippen streicheln kann. Daraufhin überkommt sie unvermittelt ein gewaltiger Orgasmus und gleich darauf mich, und zwar so heftig, dass wir uns versehentlich voneinander lösen und ich, wie schon einmal in Assuan, Heidi von oben bis unten vollspritze. Und in meiner Quasi-Berauschtheit bin ich nicht imstande, das Unheil rechtzeitig wieder gutzumachen.

Nach diesem unerwarteten Höhenflug unter der Dusche übermannt mich die große Müdigkeit gebieterischer als zuvor. Ich verzichte darauf, noch extra meinen Pyjama aus dem Koffer herauszusuchen, werfe mich ohne weitere Präliminarien aufs Bett und erwarte, augenblicklich im Traumland zu versinken. Schon tauchen vor meinem inneren Auge die ersten Traumbilder auf, da spüre ich, wie sich ein Paar herrlicher, voller, nackter Brüste an mich schmiegt. Ein duftender, weicher, nackter Frauenkörper schmiegt sich an mich und vertreibt mir nicht nur die Traumbilder, sondern auch einiges von meiner Müdigkeit.

Ich schlage die Augen auf und erblicke als Erstes ein Paar süß lächelnder Lippen, die auf jedes von ihnen einen zärtlichen Kuss zaubern, mir von Liebe überquellende Worte ins Ohr flüstern, sich mit meinen Lippen vereinigen und sich schließlich leicht öffnen, um auch unseren Zungen Gelegenheit zu geben, sich zu vereinigen. Währenddessen entwickelt der an mich geschmiegte duftende, weiche, nackte Frauenkörper eine höchst erregende Aktivität. Dann lässt das Lippenpaar von meinen Lippen ab und verschwindet weiter unten, aber nicht so weit unten, wie ich dachte. Und ich spüre, wie mein Schwanz von zwei Brüsten liebkost wird und wie meine Erregung ins Gigantische steigt. Eine solche Behandlung ist mir noch nie zuteil geworden. Nach einiger Zeit treten an die Stelle der Brüste erneut Lippen und Zunge, und meine süße Erregung steigt weiter. Meiner Kehle entflieht lautes Stöhnen. Aber jetzt droht ja zum Glück keine Entdeckung mehr, und wir brauchen uns nicht mehr zurückzuhalten.

Schließlich treten an die Stelle von Lippen und Zunge die unteren Lippen und die untere Mundhöhle. Heidi thront auf mir und bewegt sich kaum merklich, aber in einer Weise, dass ich im Paradies zu schweben glaube. Sie selber macht ein Gesicht, als sähe sie den Himmel offen wie einst der heilige Stephanus, bevor er gesteinigt wurde. Plötzlich schreit sie auf wie eine wilde Löwin, lässt sich auf mich fallen und beißt mir ins Ohr. Fast befürchte ich schon, gleich würde dasselbe Unheil passieren wie vorhin im Bad. Es passiert aber kein Unheil, und wenige Augenblicke später schreie ich selber auf wie ein wilder Löwe.

Danach steigt Heidi von mir herunter, schmiegt sich erneut an mich, küsst mich, flüstert mir irgendwas ins Ohr. Ich antworte aber nicht, sondern verabschiede mich von Amina mit begehrlichen Blicken und einem langen, warmen Händedruck und schließlich mit einem langen, warmen Kuss. Aber ihre Augen glänzen verdächtig. Und als ich nach der Passkontrolle zurückblicke, erstarre ich vor Schreck, vor Bedauern, vor Mitleid, vor Rührung, und ich weiß nicht, wovor noch. Gleich einer ägyptischen Götterstatue steht sie an der Sperre, blickt mir nach und heult hemmungslos. Und ich bin so erschüttert, dass mir selber die Tränen kommen – und Aminas Traumgestalt sich in Luft auflöst.

Ich werde wach und stelle fest, dass auch Heidi nicht schläft. Und warum sind wir beide wach geworden? Entweder weil noch das Licht brennt, oder weil uns kalt geworden ist. Wir sind ja noch immer nackt und haben auch nicht daran gedacht, uns zuzudecken. Oder vielleicht haben wir uns gegenseitig im Schlaf gestört. Wir liegen ja in inniger Umarmung, und auch mein Zinnsoldat ist wach und beansprucht zwischen uns nicht nur unmäßig viel Platz, sondern glüht förmlich vor Sinnenlust und Tatendrang und verlangt heftig danach, sich erneut in Heidis heißen Schoß zu versenken, um dort Glück und Freude zu verströmen.

Nun, dieses Verlangen erfülle ich ihm zu seinem und Heidis Entzücken unverzüglich. Und diesmal gelingt es ihm, wohl dank unserer Schlaftrunkenheit, enorm lange darin zu verweilen und Heidis Süße auszukosten, ehe er explodiert und mir und danach auch Heidi wilde Schreie entlockt, die, falls unsere Zimmernachbarn sie hören könnten, ihnen Angst und Schrecken einjagen müssten. Sie müssten denken, zwei Löwen oder vielmehr – wir sind ja in Indien – zwei Tiger machen nächtlicherweile die indische Hauptstadt unsicher.

Die Schreie verklingen. Wir schalten das Licht aus, decken uns endlich zu, bleiben aber aneinander geschmiegt und schlummern wieder ein, nur um irgendwann von neuem aufzuwachen und uns von neuem aneinander zu erfreuen. Und als es am nächsten Morgen aufstehen heißt, erfreuen wir uns, um unserer sagenhaften Hochzeitsnacht das Siegel aufzudrücken, ein weiteres Mal aneinander und schreien zur Sicherheit zwar weder wie zwei Löwen noch wie zwei Tiger, sondern sind bemüht, nur liebliche Seufzer auszustoßen.

Und mein Gewissen? Oh, ich staune: Es ist auf einmal rein wie ein Gebirgsbach. Aber wirklich: Nehme ich denn meiner Sonja irgendetwas weg, wenn ich fern von ihr die Heidi „unplatonisch“ liebe? Und überhaupt, hätte es nicht einer übermenschlichen Anstrengung bedurft, sie weiterhin nur rein platonisch zu lieben? Schon die alten Griechen wussten: Die Liebe ist eine Himmelsmacht. Gegen sie kann sich der Mensch nicht wehren. Und wer es trotzdem tut, wer es also über sich bringt, die Liebe einer Frau zurückzuweisen, den bestraft der Liebesgott.

 

Weitere Neuerscheinungen aus der Feder von Karl Plepelits

 

Wenn dich jemand auf die rechte Wange küsst. 

Also sprach Jesus: Wenn dich eine schöne Frau auf die rechte Wange küsst, dann halte ihr auch die andere hinDenn deiner ist das Himmelreich der Liebe. (Oder so ähnlich.) 

Zweimal wird Ferdinand, einem aus Überzeugung treuen Ehemann, diese Gnade zuteil. Beide Male öffnet sich ihm das Himmelreich der Liebe, und er vergisst, dass er ein treuer Ehemann ist. Zwar, die schöne Frau, die ihn auf beide Wangen küsst, ist jedes Mal eine andere. Aber das Himmelreich der Liebe erlebt er beide Male mit derselben Frau. Nur ist diese leider selbst verheiratet und ebenfalls aus Überzeugung treu. 

Freilich liegen zwischen beiden Wundern viele Jahre und obendrein ein wahrer Abgrund an Kummer und Verzweiflung. Aber vielleicht war die Wanderung durch diesen Abgrund einfach die Voraussetzung dafür, dass das Liebesglück der beiden von Dauer ist? Schließlich weiß ja schon der Volksmund: Per aspera ad astra, zu Deutsch: Durch raues Gelände zu den Sternen.

 Eine Geschichte über das Verlieren und Wiederfinden, über Freuden- und andere Tränen. Und über das merkwürdige Phänomen, dass die Gruftis immer nur an das eine denken.

 

Die Liebe liebt das Wandern 

... behauptet Franz Schubert in seinem berühmten Liederzyklus Winterreise. Und um jedes Missverständnis auszuschließen, fügt er hinzu: „Von einem zu dem Andern.“ Und beteuert: „Gott hat sie so gemacht.“

Da kann sich ein junger Ehemann hundertmal schwören, seiner Ehefrau stets treu zu sein, und Versuchungen noch so konsequent aus dem Weg gehen – aber dann wandert ihre Liebe, wohlgemerkt, die Liebe seiner Ehefrau, unverhofft zwar nicht zu einem Andern, wohl aber zu einer Andern. Und es ist ausgerechnet eine seiner ehemaligen Geliebten, der sie sexuell hörig wird. Dadurch lockert sich anscheinend irgendein Verschluss im Panzer seines Treueschwurs, und sein Leben wird wieder ebenso aufregend, turbulent, chaotisch wie zur Zeit seiner Jugend. Und es dauert viele Jahre, bis es wieder in ruhigeres Fahrwasser gerät. 

 

 

 

 

 

 

 

Eine heiße Sommernacht.

Nehmen wir einmal an, ein junger Mann, bereits verheiratet, begegnet einer attraktiven und liebeshungrigen, sprich, sexhungrigen jungen Frau – nennen wir sie A – und kann nicht umhin, sie „begehrlich“ anzusehen (und hat damit, laut Jesus, der mit dieser Aussage wohl kaum einen Beweis für göttliche Weisheit liefert, in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen). Zwischen den beiden funkt es. Und Frau A verrät ihm sogleich, dass sie die Pille nimmt.

Aber dann verliebt er sich in ihre eher unscheinbare Kollegin B, und sie sich in ihn. Im Laufe einer heißen Sommernacht (in der nicht nur „im Herzen“ Ehebruch begangen wird) steigert sich beider Verliebtheit ins Gigantische.

Und Frau A? Oh, sie lässt nicht locker. Sie versteht es, Männer zu verführen.

Ja, junger Mann – was nun?

Angaben zum Autor

 Geboren 1940 in Wien, wuchs Karl Plepelits in Melk an der Donau auf, besuchte das Gymnasium im berühmten Stift Melk, studierte Klassische Philologie, Alte Geschichte und Anglistik in Wien und Innsbruck, plagte Schüler mit Latein, Griechisch und Englisch, vertrat die Österreichische Akademie der Wissenschaften als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thesaurus linguae Latinae in München, leitete Reisende in alle Welt (oder auch in die Irre), veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Artikel auf dem Gebiet der Latinistik, Gräzistik und Byzantinistik, übersetzte griechische Romane der Antike und des Mittelalters (erschienen im Hiersemann Verlag, Stuttgart). Und angeregt durch einige von ihnen, die unglaublich spannend und ergreifend sind, widmet er sich seit Jahrzehnten auch dem aktiven Literaturschaffen.

Impressum

Texte: Karl Plepelits
Cover: Von Albert-Anatole-Martin-Ernest Lambron Des Piltieres(Life time: b.1836 - died before 1926) - Original publication: http://www.santitisi.com/2008/web/page12/bichonmalteshistoriaarte3.htm, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2018

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