Kennengelernt hatten wir uns im Reisebüro, wo sie erst kürzlich als polyglotte Mitarbeiterin angeheuert hatte. Und von ihrem freundlichen Lächeln, ihrer rassigen Erscheinung, ihrem ausdrucksvollem Gesicht war ich, ich will es gestehen, sofort fasziniert. Besonders angetan hatten es mir ihre großen, strahlenden dunklen Augen, sogenannte „Rehaugen“.
Das Vergnügen, ihren Anblick zu genießen, hatte ich zu meinem Bedauern allerdings nur selten, noch seltener das Vergnügen, mit ihr zu sprechen. Ich selber bin ja kein fester Mitarbeiter des Reisebüros, sondern „nur“ einer der Reiseleiter. Daher kannte ich von ihr nicht viel mehr als ihren reichlich exotischen Namen: Nasrin Muhi ad-Din. Sie stammt nämlich aus dem Iran.
Näher kamen wir uns erst während einer Griechenlandreise, die ich leitete und an der Nasrin teilnahm, übrigens auf Anraten des Chefs.
In meiner Reisegruppe befand sich nämlich eine liebe Freundin von mir (eigentlich von meiner Frau und mir). Sie hieß Judith und war alleinstehend. (Keine Ahnung, warum sie sich noch keinen gefunden hatte; sie war weder unattraktiv noch unsympathisch.) Sie hatte sich allein angemeldet, war aber nicht bereit, für ein Einzelzimmer aufzuzahlen. Und nun konnte der Chef dieses kleine Problem lösen, indem er ihr Nasrin als Zimmerpartnerin zuteilte.
Heute besteigt man bekanntlich einfach ein Flugzeug und erreicht schon nach kaum mehr als zwei Stunden das Land, wo die Zitronen blühen und der Ouzo wächst. Doch die Griechenlandreise, von der hier die Rede ist, fand schon in prähistorischen Zeiten statt, also in der Vor-Handy-Ära, als Österreich lediglich durch zwei Grenzen von Griechenland getrennt war, konkret, 1980. Damals benutzte man, im Gegensatz zu heute, zumeist den direkten Landweg durch Jugoslawien oder den kombinierten Land- und Seeweg über Italien.
Dies war also auch unsere Reiseroute: Hin durch Jugoslawien, zurück über Italien. Und unser Fortbewegungsmittel war ein komfortabler Reisebus, gelenkt von einem lustigen Typ namens Sebastian. Aber er ließ sich lieber Wastl nennen. Das klang in seinen Ohren lustiger und volkstümlicher.
Da Judith, wie gesagt, eng mit mir befreundet war, wohlgemerkt, rein platonisch – ich war ja ein treuer Ehemann – und mit Nasrin ein Zimmer teilte, hatte es sich von allem Anfang an eingebürgert, dass ich während dieser Reise nach jedem Abendessen mit den beiden noch einen gemütlichen Abendspaziergang unternahm. Und dabei löste sich für mich das Rätsel um Nasrins Nachnamen. Denn von meinen Reisen in orientalische Länder wusste ich, dass Muhi ad-Din kein persischer, sondern ein arabischer Name ist. Das ist Nasrin zwar auch. Aber arabische Vornamen sind, in auffallendem Gegensatz zu den Nachnamen, im Iran gang und gäbe.
Eigentlich hätte ich’s mir ja gleich denken können. Sie ist, so erzählte sie, mit einem Ägypter verheiratet.
„Wir waren Kommilitonen, studierten beide Medizin, waren beide fremd in Österreich, stammten beide aus dem gleichen Kulturkreis. So lernten wir uns kennen. Er war sehr arm, ich war sehr reich.“
„Sehr reich?“, wiederholte Judith, sichtlich verblüfft.
„Ja, weißt du, mein Vater war ein hoher Beamter in der Regierung des Schah. Als vor einem Jahr die Revolution ausbrach und der Schah aus dem Iran fliehen musste, wurde mein Vater verhaftet, vor ein Revolutionsgericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet.“
„Dein Vater?“, rief ich entsetzt aus.
„Mein Vater. Es stand in sämtlichen Zeitungen. Was nicht in den Zeitungen stand, ist, was mit den übrigen Mitgliedern meiner Familie passierte: Sie sind alle gestorben – wie, das weiß kein Mensch.“
„Entsetzlich! Du Arme!“, rief ich aus und legte, um sie zu trösten, oder besser, um ihr mein Mitgefühl zu bezeigen, meinen Arm um Nasrins Schulter. Und sie? Schüttelte sie ihn empört ab? Aber nein. Sie schenkte mir im Gegenteil ein süßes, wenn auch unendlich trauriges Lächeln.
„Dazu ist das gesamte beträchtliche Familienvermögen konfisziert worden. Und darum muss ich jetzt eben mein eigenes Geld verdienen und dafür mein Studium vernachlässigen.“
„Na, und dein Mann?“, warf Judith ein.
„Du meinst, er könnte sich auch einen Job suchen und Geld verdienen? Ah, da kennst du ihn aber schlecht. Das wäre unter seiner Würde. Er darf ja sein Studium nicht vernachlässigen. Drum wollte er auch nicht an dieser Reise teilnehmen.“
„Und lebt jetzt von deinem Geld?“
„Aber sicher. So hat er’s ja von allem Anfang an gehalten.“
Zögernd fügte sie hinzu: „Ich bin fast überzeugt, dass er mich nur deshalb geheiratet hat, weil ich für ihn ein Goldesel war. Übrigens hofft er, dass ich es eh bald wieder sein werde. Unser Präsident as-Sadat, erklärt er, wird garantiert dem Schah helfen, seinen Thron zurückzugewinnen, und zwar bald. (Ich weiß nicht, ob euch bekannt ist, dass der Schah jetzt im Exil in Ägypten lebt.) Und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Karl Plepelits
Bildmaterialien: rita952009 und analogicus, beide: CC0 Creative Commons
Cover: Bajaplay, CC0 Creative Commons: Kap Sunion, Poseidontempel
Satz: Karl Plepelits
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2018
ISBN: 978-3-7438-7382-7
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