Nehmen wir einmal an, ich, männlich, werde zusammen mit zwei lieben Freundinnen entführt, und wir werden in einem unterirdischen Verlies eingeschlossen, weil die Entführer ihre eingelochten Spießgesellen freipressen wollen. Und nehmen wir weiters an, das Freipressen misslingt. Was pflegt dann mit den Geiseln zu geschehen?
Vor diesem Dilemma stehen die drei Entführten in einer richtigen „Mausefalle“, einem perfekt verschlossenen altägyptischen Grabkomplex. Sie sind Geiseln der Muslimbrüder und können nur auf den Ablauf des Ultimatums warten und auf ein Wunder hoffen. Aber die ägyptische Regierung weigert sich, mit den Terroristen zu verhandeln. Nun kommt es also darauf an, ob sie schlauer sind als die Banditen und in ihrer Mausefalle eine Schwachstelle entdecken. Und dazu vielleicht irgendein antikes „Trumm“, mit dem sie sich retten können.
Nur liegt diese „Mausefalle“ halt mitten in der Wüste.
Und was bedeutet das?
Antwort: Die Hölle.
Begleitet von meiner geliebten Eva und der heimlich von mir verehrten Amina, habe ich soeben in einem oberägyptischen Kaff ein garantiert echtes, noch dazu wohlerhaltenes antikes, griechisch beschriftetes Papyrusblatt erstanden. Für mich ist das ein unerhört wertvoller Schatz. Im Hochgefühl meines Erfolges küsse ich Eva stürmisch, fasse sie mit der Hand um die Taille, fasse mit der anderen Hand, ohne lang zu überlegen, Amina um die Taille. Sie stößt mich nicht zurück, lehnt sich sogar ihrerseits an meine Schulter, vielleicht ermutigt durch die absolute Dunkelheit, die uns umgibt. (Ägypterinnen würden sich normalerweise niemals und unter keinen Umständen so unbeschwert mit einem Mannsbild abgeben. Sie kämen damit sofort in schlechten Ruf und, wenn’s der Teufel will, sogar in Lebensgefahr.)
Beschwingt und übermütig und wohl auch ein klein wenig vom Liebesgott verzaubert, schlendern wir drei, Eva, Amina und ich, der Heinz, über den staubigen Hof in Richtung Taxi. Da packt mich unverhofft von hinten eine grobe Faust, steckt mir mit roher Gewalt irgendetwas Weiches, Ekliges in den Mund, reißt mir die Hände nach hinten, bindet sie blitzschnell am Rücken zusammen, stößt mich zur Seite, drückt mir den Kopf nach unten. Und ehe ich mich’s versehe, sitze ich nicht in dem Taxi, das uns hierher gebracht hat, sondern in einem fremden Auto mit einem fremden Chauffeur und fühle mich wie vor den Kopf geschlagen. Im nächsten Moment stößt etwas gegen meine Schulter, halblange Haare streifen meine Wange: Evas Haare. Ein weicher Körper plumpst über meine Knie: Aminas Körper. Die Autotüren werden zugeschlagen, der Motor heult auf, wir werden hin- und hergeschleudert wie ein Boot im Seesturm. Und nun erst, mit beträchtlicher Verspätung, befällt mich Nervosität, Schrecken, Angst, Entsetzen, Panik.
Und Eva und Amina? Sie zittern am ganzen Leib, die Armen, als wären sie an Parkinson erkrankt, geben aber keinen Laut von sich. Auch ihr Mund ist ja mit einem hübschen Knebel geschmückt, auch ihre Hände sind am Rücken zusammengebunden. Da war sichtlich ein Meister seines Faches am Werk. Nur, besonders unheilvolle Auswirkungen hat eine solche Behandlung auf Amina. Sie beginnt nämlich unverhofft zu würgen, das Würgen wird immer ärger. Und dann muss sie sich auf einmal übergeben und kotzt ihre Hose und das ganze Auto voll. Wird der Fahrer jetzt wenigstens anhalten? Aber keine Spur! Er rast weiter dahin über Stock und Stein, als wäre der Leibhaftige hinter uns her.
Solches geschah am späten Abend des 17. Februar 1995 irgendwo am linken Nilufer gegenüber von Luxor.
So sehr hatte ich mich auf Ägypten gefreut. Für mich als jungen Reiseleiter einer österreichischen Reisegruppe war diese Studienreise durch das Land der Pharaonen eine Premiere. Und sie begann auch äußerst vielversprechend, bekam ich doch mit Amina eine nicht nur ungemein kompetente, sondern auch ungewöhnlich attraktive und sympathische Fremdenführerin zugeteilt. Und ich gestehe, ich habe mich fast auf den ersten Blick in sie verliebt. Aber natürlich habe ich dem keine Taten folgen lassen, und dies nicht nur, weil ich ja Eva an meiner Seite habe. Schließlich ist Amina Ägypterin – siehe oben. Auch sie scheint zwar an mir ein bisschen einen Affen gefressen zu haben. Weshalb sonst hätte sie Eva und mich heute Abend begleitet? Na, Hauptsache, ich bin im Besitz dieses wunderschönen (aber wohl von allen Göttern verdammten) Papyrusblattes!
Nach dem Ende dieser unfreiwilligen Spazierfahrt treiben uns unsere Entführer, wild aussehende, gefährlich mit Pistolen gestikulierende bärtige Typen, drei an der Zahl, mit derselben rohen Gewalt wie zuvor in ein stockfinsteres unterirdisches Labyrinth, bestehend aus weitverzweigten altägyptischen Felsengräbern (natürlich längst von Grabräubern ausgeplündert) und roh ausgehauenen Grabräuberstollen. Und in diesem Labyrinth lassen sie uns mit unserer Bestürzung allein, wohlgemerkt, nicht ohne hinter sich den Zugang so perfekt zu verschließen, dass an ein Entkommen nicht einmal zu denken ist. Davon überzeugen wir uns nämlich auf der Stelle, sobald wir unsere erste Fassungslosigkeit überwunden haben, und stehen dann nicht etwa vor einem Tor, das uns in die Freiheit entlässt, sondern vor einer entsetzlichen Felsbarriere, auf der wie auf Dantes Höllenpforte geschrieben zu stehen scheint: Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr mich durchschreitet. Wie ein Blendwerk des Infernos starren wir die Felsbarriere vor uns an und verharren lange in dumpfem Schweigen. Die erneute Bestürzung lässt uns das Blut in den Adern erstarren, lähmt uns Hirn und Herz.
Immerhin haben uns die Banditen, ehe sie sich fortscherten, Knebel und Fesseln abgenommen und einiges an Wasser und Lebensmitteln und dazu ein kleines Warenlager inklusive Taschenlampen hinterlassen, das uns das Leben versüßen soll – solange wir es eben noch genießen dürfen. Denn, so Amina, soviel sie verstanden habe, seien diese Kerle Mitglieder der sogenannten Muslimbruderschaft, und entführt hätten sie uns, um verhaftete „Mitbrüder“ freizupressen. Und da steigt meine Bestürzung ins Gigantische. Angenommen, das Freipressen misslingt. Was geschieht dann im Allgemeinen mit den Geiseln?
Allmählich überkommt uns äußerste Erschöpfung. Wir suchen uns ein mit feinem Sand bedecktes Plätzchen als Nachtlager, breiten drei der von den Entführern hinterlassenen Decken nebeneinander aus, legen jeweils eine Decke darüber, um uns zuzudecken, und huschen ins warme Nest. Ich
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Texte: Novelle by Author
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Lektorat: Karl Plepelits
Satz: Karl Plepelits
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2018
ISBN: 978-3-7438-5916-6
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