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Kapitel 1

„Guten Morgen, Schlafmütze!“, begrüßte mich meine Mutter, als ich die Treppe herunter kam und mir den Schlafsand aus den Augen rieb. „Morgen. Ist der Kaffee fertig?“, fragte ich vor mich hin murmelnd. Ich war definitiv kein Morgenmensch so wie der Rest meiner Familie. Keine Ahnung wie sie es schafften so früh am Morgen gute Laune zu haben. Ich band mir meine bis unter die Brust gewachsenen, glatten Haare zu einem unordentlichen Zopf zusammen und setzte mich an den Tisch zu meiner Mutter. Heute war der erste Tag an der Uni für mich, aber von Nervosität oder Freude war keine Spur. Da mein Bruder bereits Musik studierte, fand meine Mutter, es sei eine gute Idee, wenn ich auch etwas künstlerisches studieren würde. Meine gesamte Familie war so unglaublich kreativ. Nur ich nicht. Meine Mutter hatte mich als Kind immer animiert zu malen, aber wirklich gut konnte ich das nie. Als ich mit der Schule fertig war und nicht wusste wo ich einmal hin wollte, half mir mein Bruder ein Studienplatz an einer Kunstuniversität zu bekommen. Er versuchte wirklich mir einzureden, dass studieren Spaß machen würde und es nicht schlecht wäre ein Studium in der Tasche zu haben. Tja und hier war ich. Während ich meinen Kaffee schlürfte und mein geliebtes Salamibrötchen verdrückte, sah ich gelangweilt auf die Zeitung, die meine Mutter in der Hand hielt. Mein Blick fiel auf ein Bild, welches eine totale Verwüstung zeigte. „Bestimmt ein neuer Apokalypsen-Actionfilm.“, dachte ich, doch dann las ich die Schlagzeile darüber, welche von einem Angriff berichtete. „Mom? Darf ich mir das mal eben ansehen?“, fragte ich. „Nanu? Seit wann liest du denn Zeitung? Du hast doch wohl nicht schon an deinem ersten Tag in der Uni Fieber, oder?“, stellte sie lachend ihre Gegenfrage. Sie hatte Recht. Zeitung war wirklich nicht mein Ding, aber das hatte nun mal mein Interesse geweckt, also streckte ich auffordernd die Hand aus und meine Mutter gab mir mit hochgezogener Augenbraue die Zeitung entgegen. „In diesem Artikel steht, dass es einen Angriff gegeben hat und das nicht weit von hier.“, erzählte ich ihr. „Ach wirklich? Wo denn?“, fragte sie erstaunt. Das war typisch meine Mutter! Sie las die Zeitung nur wegen der Horoskope und den Angeboten darin. Der Rest interessierte sie nicht. „Nur zwei Städte weiter.“, setzte ich fort. „Es soll die gesamte Stadt getroffen haben.“, „Das ist ja schlimm. Hoffentlich gibt es nicht noch einen Angriff. Weiß man denn was es für ein Angriff war?“, fragte sie nach. „Nein. Hier steht: die Ursache des Angriffs ist unbekannt und man wüsste auch nicht von wem der Angriff aus ging.“, las ich vor. „Annie!“, hörte man meinen Bruder von oben herunter schreien. „Warst du schon wieder an meinen Sachen?“ Ups. Ich warf die Zeitung zurück auf den Tisch und lief schnell die Treppe hoch ins Badezimmer. Dort fand ich meinen Bruder vor der nach Wassermelone und Erdbeere roch. „Du hast schon wieder umgeräumt, nicht wahr?“, fragte er mit grimmigem Blick. „Vielleicht hab ich das.“, kicherte ich. „Wenigstens riechst du jetzt besser als sonst.“, lachte ich ihn aus und bekam dafür auch gleich die Rache zu spüren, als er mich mit seinem Deo einsprühte. „Das hab ich wohl verdient.“, gab ich hustend zu. Wir beide lachten amüsiert und ich beschloss einfach mich auch fix fertig zu machen, wenn ich schon hier oben stand, bis unsere Mutter hinter mir stand und uns beide fragte, ob wir nicht langsam mal los gehen wollten. Mein Bruder und ich schauten zeitgleich auf die Uhr im Flur und fingen an Panik zu schieben. Wenn wir nicht zu spät kommen wollten mussten wir wohl rennen. Fertig gemacht kam ich unten an der Haustür an, wo meine Mutter zusammen mit Marc auf mich wartete. Sie hatte zwei Tüten in der Hand, in denen wohl unser Frühstück drin war. Sie war ein Engel, den wir Mom nennen durften. „Danke Mom! Was wären wir nur ohne dich!“, rief ich beim raus laufen. „Ich nehme an, ihr wärt dauerhaft zu spät.“, lachte sie.

Auf dem Weg zur Uni erzählte ich Marc von dem Angriff, von dem ich in der Zeitung gelesen hatte. Marc verblümte wie immer alles. Dass uns so ein Angriff niemals treffen würde und das alles nur einmalig war. Er spekulierte, dass es vermutlich irgendeine alte Fabrik war, die hochgegangen sei und die Zeitung natürlich alles dramatisieren muss, damit sich überhaupt jemand diesen Schwachsinn durchlas. Marc dachte immer positiv, egal worum es ging. Ich war das genaue Gegenteil von meinem großen Bruder. Er war unglaublich klug, sportlich… eigentlich einfach besonders talentiert in allem. Ich hingegen war meist gerade so gut genug, um nicht durchzufallen. „Annie! Annie! Warte doch mal!“, rief mir eine schrille Stimme hinterher. Das konnte nur eine sein. Ich drehte mich um und schon schmiss sich meine beste Freundin auf mich, um mich zu umarmen. Franzi war die anhänglichste Person die ich kannte, aber ich hatte sie so unglaublich lieb. „Schon das von dem Angriff gehört?“, fragte Franzi. „Nicht du auch noch! Meine Schwester nervt mich schon genug mit ihren Verschwörungstheorien!“, antwortete Marc. Franzi sah Marc nur verstummt an und lief dann schweigend neben uns her bis sie den Neuen in der Stadt vor uns entdeckte. Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm auf ihn und sagte: „Hey, das ist doch der Neue! Wie war sein Name noch gleich? Achja, Sebastian!“ Ich versuchte ihr nonverbal zu verstehen zu geben, dass sie leiser reden sollte, da sie nun alle anstarrten. Sie zuckte allerdings nur mit den Schultern. Die Blicke hatten sich von ihr abgelöst und lagen nun auf Sebastian. Er schien sich daran allerdings nicht zu stören und ignorierte die Blicke. Leider musste ich zugeben, dass ich meinen Blick ebenfalls nicht abwenden konnte. Müsste ich mich mit einem Wort beschreiben wäre es „Neugierig“ geworden. Er hatte silberne Haare, die beinahe kinnlang waren und auf einer Seite lagen. Die andere Seite war kurzgeschnitten und braun. Als er sich plötzlich umdrehte und genau in meine Richtung sah, wandte ich meinen Blick sofort ab, konnte aber noch erkennen, dass er einen kurzen Bart entlang der Wangen und am Kinn hatte. Als ich mitbekam, dass er sich wieder umgedreht hatte, musterte ich ihn weiter. Er trug lässige, dunkle Kleidung und war ziemlich groß. Ich schätzte ihn auf die Größe meines Bruders von knapp einem Meter neunzig. Das waren einige Köpfe größer als ich, schließlich war ich gerade einmal einen Meter sechzig. „Annie?“, hörte ich meinen Bruder fragen. „Hm?“, gab ich zur Antwort. „Halte dich von ihm fern. Mir gefällt der Kerl nicht.“, sagte er. Ich wusste zwar nicht, wieso mein Bruder was gegen Sebastian hatte, wo er ihn doch gar nicht kannte, allerdings stellte ich sein Urteilsvermögen nicht mehr in Frage, nachdem er mir damit sehr oft aus der Patsche geholfen hatte. Als ich wieder nach vorne schaute konnte ich Sebastian nicht mehr entdecken. Er war wohl in den Schülermassen untergetaucht.

An der Uni angekommen war ich überwältigt von dem riesigen Gebäude, welches sich über ein gigantisches Gelände erstreckte. Zwar hatte ich das alles schon bei meiner Anmeldung gesehen, dennoch fand ich es auch jetzt erneut beeindruckend. Als wir das Gebäude betraten wartete eine riesige Halle auf uns. Während ich zum richtigen Saal geführt wurde, hörte ich der Person, die uns führte, überhaupt nicht zu und ließ mich von den ganzen Gemälden und Dingen, die überall standen und an den Wänden hingen, ablenken. Im Saal angekommen setzten sich gleich alle nach ganz hinten und es blieben mir nur noch ein paar freie Plätze übrig. Einer davon war neben Sebastian, allerdings wollte ich lieber dem Rat meines Bruders folgen und erblickte einen freien Platz, der wie für mich gemacht war. Drei freie Plätze nebeneinander und ich schnappte mir natürlich den mittigen davon. Vielleicht war ich ein wenig scheu, allerdings schienen sich die meisten hier schon zu kennen und Franzi hatte leider komplett andere Kurse als ich und wurde einer anderen Gruppe für die Einführung zugeteilt. Als ich mich hinsetzte und meine Tasche ablegte, schaute ich gespannt nach vorne, wo ein paar Dozenten noch die letzten Dinge vorbereiteten. „Hey.“, ich erschrak, als jemand neben mit stand und mich ansprach. Als ich nach oben schaute, erkannte ich, dass es Sebastian war. „Ist hier noch frei? Da vorne quatschen mir die Mädels zu viel.“, fragte er mich und ich antwortete ihm nur mit einem kurzen nicken. Das war es dann wohl mit dem Rat des großen Bruders befolgen. Vielleicht war Marc auch einfach nur zu vorsichtig, aber was, wenn nicht? Hör auf Annie! Denk positiv. Während die Dozenten anfingen nach und nach Namen aufzurufen, um sicher zu gehen, dass jeder da war, erhaschte ich einen kurzen Blick neben mich zu Sebastian. Er saß einfach nur da und redete nicht, so wie es alle anderen taten. Mein Name fiel fast als erstes. Vor mir waren nur eine Angelika und eine Anna, danach kam ich. Ich versuchte mir die Namen und die dazugehörigen Hände zu merken, die passend gehoben wurden, doch ich gab ziemlich schnell auf. Im Augenwinkel bekam ich mit, dass Sebastian mich anschaute. „Du siehst irgendwie durchschnittlich aus.“, sagte er zu mir. Nett. Wirklich nett. Mein Bruder hatte sich scheinbar nicht geirrt. „Danke.“, antwortete ich ihm fast schon beleidigt und starrte weiter geradeaus. „Das war nicht böse gemeint. Ich hatte nur was anderes erwartet.“, entgegnete er. Was soll das denn heißen? Was erwartet man denn von einer Person, die man zum ersten Mal in seinem Leben trifft und vorher nicht mal wusste, dass diese Person existiert. Sebastian war wirklich merkwürdig. Ich beschloss mich lieber auf die Dozenten zu konzentrieren. Als Sebastian merkte, dass ich ihn ignorierte schaute er ebenfalls nach vorn, ohne noch irgendetwas weiteres zu sagen. Nach der Überprüfung der Anwesenheit wurde sehr viel erklärt und unsere Dozenten stellten sich und ihr Fach vor. Nachdem wir ausführlich über alles unterrichtet wurden und uns unsere Bücher ausgeteilt wurden, durften wir wieder nach Hause.

Als ich den Saal verließ, suchte ich nach Franzi, fand sie allerdings nirgends. Stattdessen stand ich in einer riesigen Meute an Studenten. Ich beschloss draußen auf sie zu warten. In der Masse an Menschen hatte ich Schwierigkeiten den Ausgang zu finden. Erst hatte ich vor einfach den anderen zu folgen, als ich mich dann aber in einer Halle wiederfand, die ich nicht wieder erkannte, fühlte ich mich noch verlorener als vorher. Ich zuckte zusammen, als mich jemand am Arm packte. Ich schaute nach wer meinen Arm hielt und fand Sebastian direkt neben mir stehend vor. Folgte er mir jetzt überall hin? Er zog mich hinter sich her und lief zielstrebig zwischen all den Schülern her. Scheinbar kannte er sich hier besser aus als ich. Aber wie kommt er dazu mich einfach an meinem Arm durch die Uni zu ziehen? Woher wusste er, dass ich nicht in dieser Halle sein wollte? Ach, egal. Ich war froh Hilfe zu bekommen. Auch wenn ich ihn nicht mochte, beschloss ich ihm einfach zu folgen. Das war jedenfalls klüger als sich hier weiter zu verirren. Draußen angekommen ließ er mich direkt los und lief einfach weiter, ohne etwas zu sagen. „Danke.“, brachte ich noch hervor. Sebastian drehte sein Gesicht kurz zu mir um, nickte und verschwand danach hinter einer Gruppe Jungs. Verschwinden war wohl eine seiner Stärken. „Da bist du ja! Ich hab dich überall gesucht!“, rief mir Franzi zu, die auf mich zugelaufen war und setzte dann fort: „Ich hab mich total verlaufen und dank den netten Jungs dort hinten habe ich dann doch raus gefunden.“ „Ach du auch?“, dachte ich mir. Sie zeigte auf die Gruppe Jungs hinter der Sebastian verschwunden war. Sie schauten nun zu uns rüber und grinsten. Franzi lächelte zuckersüß und beinahe schon mit den Wimpern klimpernd zurück. Ich rollte die Augen und suchte nach Marc. Ich wusste ja, dass er gerade Pause hatte. Bevor ich jedoch die Suche nach ihm starten konnte, stand er schon hinter mir und jagte mir den Schreck des Tages ein. „Keine Sorge, ich tu dir schon nichts.“, lachte er. Ach ja, hab ich schon erwähnt, dass ich schreckhaft bin? „Du, sag mal, können wir kurz reden? Allein.“, fügte er hinzu. Jetzt war ich ein wenig nervös. Wenn mein Bruder mit mir allein reden wollte, dann meist, weil er etwas an mir auszusetzen und zu meckern hatte. Ich nickte und ging mit ihm mit. „Wieso machst du eigentlich nie was ich dir sage?“, fragte er. „Ich hab dich mit dem Neuen händchenhaltend aus dem Gebäude laufen sehen. Schon direkt in ihn verliebt, ja?“ Er schaute mich streng und ungläubig an. Okay, da war Erklärungsbedarf! „Zu aller erst haben wir nicht Händchen gehalten. Er hatte mir nur geholfen nach draußen zu finden, nachdem ich mich verlaufen hatte und damit ich vermutlich nicht nochmal verloren gehe, hat er mich wohl am Arm fest gehalten. Zum anderen würde es dich nichts angehen, wenn wir Händchen gehalten hätten und zum Schluss kann ich dir versichern, dass da nichts in diese Richtung passiert ist und auch nichts passieren wird, nachdem ich herausgefunden habe, dass flirten nicht gerade seine Stärke ist.“, erzählte ich. „Du hast also versucht mit ihm zu flirten?“, fragte mein Bruder mit hochgezogener Augenbraue. „Nein!“, lachte ich. „Allerdings war das erste was er mir sagte, dass ich ihm nicht gefalle.“, „Dann bin ich ja beruhigt!“, verkündete er sichtlich erleichtert. „Soll ich dich nach Hause bringen? Ich hab genug Zeit. Meine Lieblingsdozentin hat es Gott sei Dank direkt am ersten Tag schon geschafft krank zu sein.“, bot er mir an. „Nein, danke. Ich werde Mit Franzi nach Hause gehen.“, sagte ich während ich mich nach ihr um sah, bis ich sie bei der Gruppe Jungs von vorher stehen sah. Einer von ihnen hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt und starrte ihr genau auf ihren Ausschnitt. „Sicher?“, fragte Marc nach. „Ich kenne den Weg, ich kann zur Not auch alleine nach Hause gehen.“, murmelte ich leicht enttäuscht darüber, dass Franzi mal wieder nur Jungs im Kopf hatte. „Na gut, aber verlauf dich nicht wieder!“, rief er mir nach, nachdem ich bereits losgelaufen war.

Auf dem Weg nach Hause schien alles so still zu sein. Niemand kam mir entgegen und nicht einmal ein Auto fuhr an mir vorbei. Ein wenig fand ich es gruselig. Passierte so etwas in Filmen nicht immer dann, wenn danach etwas schlimmes stattfand? Ich stellte mir vor, wie gleich aus der nächsten Seitenstraße eine Menschenmasse schreiend vor einer Horde Zombies davon lief. Ich schaute definitiv zu viele Zombiefilme mit Franzi und Marc. Allerdings hatte mich der Gedanke an den Artikel aus der Zeitung erinnert. Ob Marc recht hatte und der Angriff eine einmalige Sache war? Mir wurde mulmig bei dem Gedanken, dass man weder Ursache noch Ursprung kannte. Was würde ich wohl machen, wenn es unsere kleine Stadt auch treffen würde? Definitiv würde ich meine Familie und Franzi zuerst suchen und mit ihnen gemeinsam flüchten. Ohne sie würde ich nirgends hingehen, so viel stand fest! Aber was, wenn der Angriff so plötzlich käme, dass dazu keine Zeit blieb? Da mir meine eigenen Gedanken ein wenig Angst machten, beschloss ich mich abzulenken, allerdings fiel mir auf, dass in der Nähe wie wild gehupt wurde. Mein Herz rutschte mir förmlich in die Hose. In Verbindung mit meinen Gedankengängen war ein Hupkonzert nicht gerade beruhigend. Natürlich war ich trotzdem neugierig und natürlich musste ich mein mulmiges Gefühl ignorieren und natürlich musste ich trotzdem diesen Umweg laufen, um nachzusehen. Ich bog ab und erreichte die Hauptstraße, auf der sich ein scheinbar endloser Stau gebildet hatte. Die Menschen, die in den Autos saßen schienen alles andere als entspannt zu sein und die Autos waren so voll beladen, als wäre der gesamte Inhalt eines Einkaufzentrums gratis gewesen. Aus der Ferne hörte ich einen lauten Knall gefolgt von einem Beben unter meinen Füßen. Na super! So viel zur Ablenkung!

Kapitel 2

Jetzt hatte ich Angst. Waren meine Gedanken zur Wirklichkeit geworden? Wurde unsere Stadt nun auch angegriffen? Ich war überfordert. Sollte ich jetzt zurück zu Marc rennen oder nach Hause zu meiner Mutter? Ein weiterer Knall folgte und wieder bebte es. Der Knall kam aus unserem Viertel und damit stand meine Entscheidung fest. Ich mogelte mich zwischen den stehenden Autos durch auf die andere Straßenseite. Der kürzeste Weg nach Hause war eine Gasse zwischen den Häusern. Ich fing an zu rennen und stolperte beinahe über meine eigenen Füße. Wieder ein lauter Knall. Und noch einer. Meine Angst wurde immer schlimmer. Wieso passierte das? Was war das? Im Augenwinkel bemerkte ich einen großen Schatten und nur wenige Sekunden später hatte mir jemand einen über den Schädel gezogen. Ich fand mich auf dem Boden liegend wieder und griff mir sofort an den Hinterkopf, welcher wie wild hämmerte. „Was sollte das?“, hörte ich eine Frauenstimme fragen. „Was‘n? So geht‘s am einfachsten!“, antwortete ihr eine Männerstimme. Ich sah alles verschwommen, konnte jedoch erkennen, dass weit mehr als nur die beiden um mich herum standen. Ich zog meine Hand wieder zurück und sah das Blut an meiner Hand. Mein Blut. Die Mistkerle haben mich tatsächlich aus heiterem Himmel verletzt. Was ging hier bloß vor? Ich musste mich zusammenreißen mich nicht direkt zu übergeben. Ich hasste Blut und der donnernde Schmerz in meinem Kopf machte meine Übelkeit nur noch schlimmer. „Wir müssen sie in einem guten Zustand liefern und du beschädigst sie? Du reitest uns damit gleich alle in die Scheiße!“, schimpfte die Frauenstimme. „Ja ja, ist ja schon gut. Ich kümmere mich um die Wunde auf dem Weg zurück.“, antwortete ihr die Männerstimme genervt. Ich spürte, wie man mich an meinen Armen hochzog und wegtrug. „Was zum?“, fragten mehrere Stimmen gleichzeitig. Es war ein Schlag nach dem anderen zu hören gefolgt von schmerzhaftem Aufstöhnen. Ich wurde losgelassen und fiel wieder gen Boden, doch mein Fall wurde aufgehalten und ich merkte, wie mich jemand in den Armen hielt. Ich verlor allmählich mein Bewusstsein, konnte aber noch das schimmern von silbernem Haar erkennen, bevor alles schwarz wurde.

 

Als ich zu mir kam, war ich alleine. Ich lag mit meinem Kopf auf einer Lederjacke und er hämmerte immer noch. Als ich nach der blutenden Stelle tasten wollte, spürte ich eine Art Verband, der um meinen Kopf gebunden war. Neben mir stand eine Flasche Wasser und daneben etwas zu essen. Sah mir nach einem Brei aus. Ich rappelte mich auf und nahm einen großen Schluck aus der Flasche. Den Brei rührte ich nicht an. Ich hatte nicht einmal einen Ansatz von Hunger. Ich sah mich um, wo ich hier denn war und wo die Person war, die mir geholfen hatte. Schließlich musste ich ja Danke sagen. Ich schaute mich sehr gründlich um, aber fand niemanden, bis plötzlich wieder jemand hinter mir stand. „Du bist schon aufgestanden? Du kannst ja noch weniger auf dich aufpassen als ich dachte.“, sagte die, mir sehr bekannt vorkommende Stimme. Ich drehte mich schnell um und bereute es in der selben Sekunde. Nein. Aufpassen war wirklich nicht meine Stärke. Vor mir stand Sebastian, der sichtlich ungläubig über meine Tollpatschigkeit war. Er rollte mit den Augen und schubste mich zurück zu der Stelle, an der ich aufgewacht war. „Getrunken hast du wenigstens. Das ist gut.“, sagte er, nahm die Schüssel mit dem Brei in die Hand und hielt sie mir vor mein Gesicht. „Iss.“ Wieso machte er sich so viele Sorgen um mich? Wieso war er immer da, wenn ich ihn brauchte? Und wieso um alles in der Welt hatte er mich in einen Wald verschleppt? Ich erinnerte mich, was vor dem Angriff auf mich passiert war und mir wurde sofort wieder schlecht. Ich übergab mich auf der Wiese und unerwartet fürsorglich hielt mir Sebastian die Haare dabei aus meinem Gesicht. „Also ich wusste nicht, dass mein Essen so schrecklich ist.“, lachte er und stellte die Schüssel beiseite. „Nein. Das ist es nicht.“, antwortete ich ihm. „Ich weiß. Du hast dich an das vor dem Angriff erinnert, nicht wahr?“, fragte er. Er schaute mich ganz intensiv mit seinen dunkelbraunen Augen an und ich versuchte nicht zu weinen. „Wieso hast du mich hierher gebracht? Ich muss doch zu meiner Familie. Ich muss...“, stammelte ich vor mich hin. Was musste ich? Was konnte ich schon tun? Statt nach Hause zu eilen, wurde ich verdroschen und entführt. „Wo hätte ich dich denn sonst hinbringen sollen? In die zerstörte Stadt vielleicht? Hör mal, alles ist weg, du kannst sowieso nicht zurück.“, sagte Sebastian kalt. Zerstört? Alles weg? Nun schossen die Tränen aus meinen Augen. Das durfte nicht wahr sein. „Ich muss da hin! Ich muss meine Mutter und meinen Bruder suchen!“, schluchzte ich und stand wieder auf. Meine Beine zitterten, doch ich lies mich nicht aufhalten. Zu meinem Glück versuchte Sebastian das gar nicht, sondern stand einfach mit auf und folgte mir stumm.

In der Stadt angekommen, erstarrte ich. Sebastian hatte nicht gelogen. Alles war weg und nur noch Ruinen waren übrig. Was ist hier nur passiert? Ich suchte nach dem Weg nach Hause, allerdings war alles so zerstört, dass meine Orientierung darunter litt. Ohne zu wissen wohin ich gerade laufen würde, ging ich los, wurde dann aber wieder an meinem Arm in eine andere Richtung gezogen. Ich wehrte mich nicht und lief einfach hinterher. Wie konnte Sebastian nur so ruhig sein? Wie konnte er so gefasst auf alles sein? Hatte er denn nicht auch eine Familie um die er sich sorgen müsste? Oder… war er etwa ganz allein? „Ich bringe dich zu deinem Haus, dann kannst du nachsehen.“, sagte er. Und er? Wollte er nirgends hin um auch nachzusehen? „Wenn du nachgesehen hast, ziehen wir weiter. Und mach dir keine Sorgen um mich. Ich habe niemanden nach dem ich schauen könnte.“, erklärte Sebastian. „Das ist irgendwie traurig.“, dachte ich. „Das musst du nicht traurig finden.“, sagte er, als würde er meine Gedanken lesen und darauf antworten. Schon irgendwie gruselig. Nach und nach wusste ich wieder wo wir waren. Es schmerzte das alles hier zerstört zu sehen. Mein Lieblingsladen war dem Boden gleich gemacht. Das Kino war nur noch zu erahnen, wenn man genau wusste was es einmal war. Nach einer gefühlten Ewigkeit bogen wir in die Straße ein, in der unser Haus lag. Hier standen ein paar der Häuser noch und das machte mir Mut. Es war also nicht alles zerstört. Ich riss mich von Sebastians Griff los und rannte in Richtung Zuhause. Ich schaute nicht zurück, ob er mir folgte. Unser Haus und das unserer Nachbarn war noch im guten Zustand. Beinahe hätte man meinen können, der Angriff hätte nur drum herum stattgefunden. Ich rannte sofort ins Haus und rief nach meiner Mutter und Marc. Keine Antwort. Jedes Zimmer, jede Ecke. Ich durchsuchte alles. Kein Erfolg. Zu Boden sinkend rollten schon wieder die Tränen. Bald waren meine Augen zu trocken um noch mehr zu weinen. Von draußen ertönte lautes Geschrei und ich sprang auf um nachzusehen. Sebastian lag schwer verletzt auf der Straße, umzingelt von vier bewaffneten Gestalten. „Wo ist das Mädchen?“, fragte eine sehr wütende Männerstimme. „Sie ist nicht hier. Ich habe sie im Wald vor euch versteckt.“, keuchte Sebastian. Er schaute kurz in meiner Richtung und wandte seinen Blick sofort wieder ab. Vermutlich um mich nicht zu verraten. Wie konnte er in so einer Situation nur so selbstlos sein? Wieso tat er all das für mich? Ich machte einen Schritt nach vorn und trat sofort wieder zurück. Ich wollte helfen. Ich wollte ihn beschützen. Aber wie? Was konnte ich schon tun? Es war egal. Ich musste es versuchen. Als wieder ein Schritt nach vorne und aus dem Haus folgte, fing Sebastian plötzlich an zu betteln: „Bitte, lasst mich am Leben. Ich zeige euch die Stelle, an der ich sie versteckt halte.“ Ich riss die Augen auf und starrte ihn an. „Jetzt verstehen wir uns. Schade. Ich hatte mehr Mumm von jemandem erwartet, der uns vorher alle kalt gemacht hat. Jetzt sie dich nur an! Winselst um dein Leben und opferst dafür deine dir so kostbare Mission!“, lachte der Mann, der zuvor so wütend war und trat noch einmal nach Sebastian, der sich nicht wehrte. Die zwei anderen Männer hoben ihn hoch und die Gruppe verschwand mit Sebastian, als ihre neu erworbene Beute. Er hatte sich für mich geopfert. Was würden diese Leute nur mit ihm anstellen, wenn sie merken, dass ich gar nicht im Wald bin? Werden sie ihn dann töten? Ich wollte ihnen hinterherlaufen und Sebastian helfen, aber dann wäre seine Aufopferung umsonst gewesen. Ich wusste ja nicht einmal wie ich ihm helfen sollte. So schlecht ich mich dabei auch fühlte, ich musste erst meine Familie finden.

Die Stunden vergingen und meine Suche blieb erfolglos. Ich hatte mich mehrmals übergeben bei all den Leichen die ich fand. Es war jedes Mal ein Schock einen toten Nachbarn zu finden. Als ich die Suche abgebrochen hatte und aus der Stadt lief um Sebastian zu finden, fühlte ich mich so allein, wie noch nie zuvor. Auf meinem Weg zurück in den Wald versuchte ich alle Informationen, die ich hatte, zu ordnen und irgendwie sinnvoll in eine Reihe zu bringen. Das erwies sich allerdings als sehr schwierig, da ich einfach noch zu wenig wusste und das meiste nicht verstand.
Im Wald angekommen versuchte ich vorsichtig zu sein. Wer wusste schon, ob diese Irren immer noch hier waren. Meine Orientierung lies mich ganz schön im Stich. Ich irrte herum und hatte das Gefühl einem Baum immer und immer wieder über den Weg zu laufen. Vor Glück stieß ich einen erleichterten Seufzer aus, als ich die Stelle wieder fand, an die mich Sebastian gebracht hatte. Allerdings gab es keine Spuren, dass hier seit wir aufgebrochen waren, jemand zurück gekehrt war. Er hatte die Typen wohl woanders hingeführt in dem Wissen, dass ich dumm genug sein würde hier nach ihm zu suchen. Ich wäre vermutlich blind in eine Falle gerannt. Die Frage war jetzt nur was ich nun machen sollte. Hier warten und hoffen, dass Sebastian sich allein befreit hat und herkommen würde oder sollte ich nach ihm suchen mit dem Risiko mich total zu verirren? Es war schon sehr dunkel und ich war ziemlich müde. Ich beschloss über Nacht hier zu warten und morgen mit der Suche zu beginnen. Ich konnte ihn einfach nicht sich selbst überlassen. Nicht nachdem er mir so oft geholfen hat. Ich legte mich hin und fasste an den Verband, den Sebastian mir gemacht hatte. Ich verstand noch immer nicht, wieso er immer an meiner Seite war. So urplötzlich war er in mein Leben getreten und hatte angefangen mich zu beschützen. „Du opferst deine dir so wichtige Mission“ diese Worte schossen mir in den Kopf, als ich gen Himmel starrte. Von welcher Mission sprach er da? Das machte doch alles gar keinen Sinn. Allerdings taten die Angriffe auf unsere und die benachbarte Stadt das auch nicht und noch weniger, wieso diese Leute plötzlich hinter mir her waren. Ich war doch nur ein ganz normales Mädchen in einer ganz normalen Stadt, oder nicht? Es zerbrach mir den Kopf. Vielleicht würde Sebastian mir ja alles erklären, wenn ich ihn wiedergefunden hatte. Ich fühlte mich so unglaublich hilflos ohne ihn an meiner Seite. Ohne ihn hatte ich vermutlich auch keine Chance meine Familie wieder zu finden. Auch, wenn er ziemlich komisch war und nach meinem Geschmack weit zu viele Geheimnisse hatte, war er momentan meine einzige Hoffnung. Und so schlimm war er auch wieder nicht. Warte. Mochte ich ihn etwa?Nein. Vermutlich waren das nur Schuldgefühle und Dankbarkeit. Marc würde mir wer weiß was erzählen, wenn er wüsste, was inzwischen alles passiert ist. Andererseits würde er ihm vermutlich einfach nur dankbar sein, dass er mir so viel geholfen hat und er seine kleine Schwester beschützt. Marc, wo bist du gerade? Ist Mom bei dir? Geht es euch gut? Ich machte mir so schreckliche Sorgen um die Beiden. Genauso um Franzi. Ob es ihr und ihrer Familie gut geht? Ich will einfach nicht glauben, dass das alles real ist. Ich wünschte ich würde jetzt einfach einschlafen und wenn ich aufwache bin ich wieder Zuhause, wo Marc und Mom auf mich warten. Mit diesem Gedanken schloss ich meine Augen und schlief ein.

 

Als ich aufwachte war Sebastian noch immer nicht zurück gekehrt. Ich machte mir Sorgen, denn das würde bedeuten, dass er noch immer in den Händen dieser Typen oder noch schlimmer, bereits tot war.

Die Wasserflasche, die er mir gestern hingestellt hatte, war fast leer. Seinen Brei hatte ich auch schon aufgegessen. Ich trank den letzten Schluck und versuchte meinen Hunger zu ignorieren. Ich machte mich auf die Suche nach Sebastian, auch, wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, wo er zu finden sein könnte.

Ich irrte im Wald umher, bis ich durch Zufall wieder an der selben Stelle stand, wo meine Suche begonnen hatte. Das durfte doch nicht wahr sein! Nicht aufgeben Annie! Weiter geht‘s!

Circa zum Mittag sah ich eine Rauchwolke über den Bäumen. Egal wer das Feuer gemacht hatte, ich hoffte es war Sebastian! Ich rannte los und fing erst an mich vorsichtiger dem Feuer zu nähern, als ich Stimmen hörte. So leise ich konnte schlich ich mich an, bis ich die Mistkerle von gestern sehen konnte. Sebastian, wo bist du? Umschauend suchte ich nach Sebastian. Es dauerte eine Weile, doch dann sah ich ihn etwas weiter weg vom feuer gefesselt am Stumpf eines Baumes sitzen. Geschützt von Büschen und Bäumen schlich ich außer Sichtweite der anderen zu Sebastian, allerdings kam ich nicht all zu nah an ihn ran, da er bewacht wurde. „Ey Silberhaar, wann redest du endlich? Hab‘ langsam echt die Schnauze voll!“, rief die Frau, die auch dabei war, als ich angegriffen wurde. „Wenn de nicht bald ma‘ dein Maul aufreißt schlitz‘ ich dir die Kehle auf und such die Schlampe einfach so! So schwer wird‘s schon nich‘ sein.“, drohte sie. Sebastian jedoch schien komplett desinteressiert daran zu sein angesprochen worden zu sein. Stattdessen schloss er seine Augen und ignorierte sie. Ich suchte nach etwas, das ich werfen konnte, um Sebastians Aufmerksamkeit zu bekommen ohne die der anderen auch gleich auf mich zu ziehen. Ich improvisierte und nahm mir ein längliches Blatt und ein kleines Ästchen von einem Busch. Das Blatt wickelte ich um das kleine Stöckchen und machte einen Knoten rein. Ein wenig zielen, den richtigen Moment abwarten und… werfen! Volltreffer! Ich traf genau seine Hand. Er zuckte nicht mal zusammen, oder schien überrascht. Er nahm das Blattästchen einfach in die Hand und tat nichts. Wusste er, dass ich hier bin? Plötzlich zeigte er einen Daumen nach oben. Dadurch dass er mit dem Rücken zu mir und mit dem Gesicht zu seinen Entführern saß konnte das nur ich sehen. Gut er wusste also dass ich hier bin, aber was jetzt? Sollte ich versuchen die Wache zu überwältigen und Sebastian befreien? Dieser zeigte einen Daumen nach unten. Wie jetzt? Allmählich nahm ich an er konnte wirklich meine Gedanken lesen. „Liest du meine Gedanken?“, dachte ich provokant. Er machte wieder einen Daumen nach oben. Wie jetzt? Wirklich? Das war… cool, schätze ich? Aber auch gruselig. Sehr gruselig. „Na gut, was machen wir jetzt?“, dachte ich besonders „laut“. Keine Reaktion. Ich bin dumm. Schon wieder Daumen nach oben. Danke Sebastian. Genau diese Unterstützung brauche ich gerade. Also nur Fragen mit Ja oder Nein als Antwortmöglichkeiten. Selbst befreien konnte er sich nicht, sonst würde er da nicht mehr gefesselt sitzen und hätte denen schon längst einen über den Schädel gezogen. Also… Sebastian zeigte einen Daumen nach unten. Das verstand ich nicht. Was meinte er jetzt mit „Nein“? Konnte er sich doch befreien? Da ging der Daumen wieder nach oben. Jetzt war ich verwirrt. Wieso saß er da gefesselt herum und tat nichts, wenn er sich doch befreien konnte? Ich versuchte näher an ihn ran zu schleichen, als die Wache verkündete sich mal erleichtern zu müssen, doch Sebastian machte eine Hand wedelnde Geste. Leider merkte die Wache das noch bevor sie hinter dem Busch verschwinden wollte und fragte nach. „Sind dir die Hände eingeschlafen?“ Er trat auf Sebastians Hand. Das musste weh getan haben. „Ich hoffe das hat geholfen!“, sagte der Mistkerl lachend und wollte weiter laufen, was allerdings nicht so leicht war, denn Sebastian hielt ihn mit der anderen Hand am Fußgelenk fest. Ich konnte seinen Bewegungen nicht folgen und plötzlich hatte Sebastian sich befreit und den Mistkerl in den Schwitzkasten genommen. Natürlich war das nicht unbemerkt geblieben und die anderen liefen sofort auf die beiden zu um zu helfen. Ich wusste, dass er stark war und dennoch geriet ich in Panik und wollte Sebastian helfen, also sprang ich ohne weiter nachzudenken aus meinem Versteck und rannte zu Sebastian um natürlich sofort entdeckt zu werden. Statt zu Sebastian liefen nun alle auf mich zu und kurz bevor einer von ihnen mich fassen konnte, sank er zu Boden. Seine Kollegen folgten ihm nur kurz darauf und einen Moment später lagen alle bewusstlos auf dem Boden. Wieder packte man mich an meinem Unterarm und zog mich hinter sich her.

Kapitel 3

„Du bist wirklich überdurchschnittlich dämlich!“, beleidigte mich Sebastian. „Aber auch verdammt mutig.“, ergänzte er. „Wenigstens war ich eine gute Ablenkung.“, sagte ich. Von ihm kam nur ein kurzes Schnauben. Und was, wenn die Mistkerle bald wieder aufwachten und uns folgten? Ich konnte selbst nicht glauben, dass ich das dachte, aber wäre es nicht sicherer sie ganz unschädlich zu machen? „Wegen diesen Idioten mach ich mich nicht zum Mörder. Keine Sorge ich bringe dich an einen sicheren Ort und locke sie dann auf eine falsche Fährte. Ich hoffe du folgst mir nicht wieder.“, sagte er. „Was? Nein! Wieso tust du das alles?“, fragte ich entsetzt. „Das kann dir egal sein. Pass einfach besser auf dich auf!“, motzte er mich an. „Nein, mir ist das aber nicht egal! Raus mit der Sprache! Wieso tauchst du plötzlich aus dem nichts auf und bist immer dann da, wenn ich Hilfe brauche?“, „Weil du nicht auf dich selbst aufpassen kannst und schön längst tot wärst, wenn ich nicht wie ein Kindermädchen auf dich aufpassen würde!“, „Das ist zwar sehr Ehrenhaft, aber solltest du dich nicht mehr auf dich selbst aufpassen, bevor du mir so eine Predigt hältst?“, fragte ich ihn, doch bekam keine Antwort mehr. Scheinbar fiel ihm dazu keine Antwort ein und schwieg lieber.

Ich folgte ihm eine ganze Weile, bis meine Beine müde wurden. Die Sonne schien in einem so ekligen Winkel, dass sie mich komplett blendete und ich auch nicht mehr richtig sah, wo mich Sebastian mittlerweile hingeführt hatte. Alles was mir blieb, war ihm weiterhin orientierungslos hinterher zu laufen. Marc, Mom, Franzi, wo seid ihr nur? Wieso muss ich mit diesem Fremden irgendwo hinlaufen? Wieso ist das alles passiert? Ich stieß mit Sebastians Rücken zusammen, der plötzlich stehen geblieben war. „Geh davon aus, dass alle die du kanntest tot sind. Das macht es einfacher.“, sagte er kalt. Einfacher? Wieso sollte es einfacher sein die Hoffnung aufzugeben und hoffnungslos herumzuirren? Ich riss mich los. „Hast du sie noch alle?“, fragte ich empört. „Ich meine es ernst. Sieh es realistisch. Alles ist zerstört und als wir sie suchten, haben wir sie nicht gefunden. Vermutlich liegt dein Bruder und deine Freundin unter einer ein gestürzten Universität und deine Mutter.“, er stoppte kurz und fuhr dann fort: „Sich damit abzufinden ist besser als sich unnötig Sorgen zu machen und zu Hoffen bis man vor Enttäuschung zusammenbricht.“ Ich konnte das nicht glauben. Sagte er das gerade tatsächlich? „Was bist du nur für ein kaltherziges Arschloch?!“, schrie ich ihn weinend an. Ich klatschte ihm meine blanke Handfläche ins Gesicht und rannte wieder zurück. Mir reichte es mit ihm. Ich suchte jetzt meine Familie. Sollte er doch wieder von diesen Typen gefunden und verprügelt werden.

Ich rannte so schnell ich konnte, doch durch das ganze Gelaufe, kam ich nicht weit bevor ich zu erschöpft war. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen und nur einen mickrigen Schluck Wasser gehabt. Dadurch, dass den ganzen Tag lang die Sonne auf meinen Kopf schien, war ich nicht nur durstig und hungrig, sondern ich hatte auch Kopfschmerzen. Vermutlich waren diese auch durch das weinen noch schlimmer geworden. Sebastian hatte mich selbst im normalen Gehen schnell eingeholt. Vermutlich wusste er, dass meine Ausdauer im Keller war und ich nicht weit käme. Ja ja, natürlich er wusste er sogar das besser, Mister Ich-bin-so-schlau-Sebastian. Er kam leicht schmunzelt näher und verlor seinen heiteren Gesichtsausdruck schnell wieder. Ernst schaute er mich an und reichte mir die Hand. „Na los. Es wird bald dunkel und wir sollten nicht hier draußen schlafen. Außerdem müssen wir Nahrung und Wasser suchen, bevor du noch ganz schlapp machst.“, sagte er ernst. Und was war mit ihm? Wieso war er immer noch so fit, nach allem was passierte? Ich erkannte, dass ich ohne ihn verloren war. Ich wusste ja nicht einmal mehr wo wir waren und er hatte leider Recht. Ich brauchte Wasser. Und Essen.

Als hätte Sebastian einen eingebauten Nahrungs- und Wasserkompass, fand er zielsicher eine Tankstelle, die so gut wie keinen Kratzer abbekommen hatte. Ich kannte diese Tankstelle, also wusste ich auch wieder wo wir waren. Er schlug vor dort die Nacht zu verbringen, da es dunkel wurde und ich willigte ein. Viel hatte die Tankstelle nicht mehr zu bieten, aber immerhin fanden wir noch genug Reste um satt zu sein und genug Getränke für die nächsten zwei bis drei Tage zu haben und damit gab ich mich gern zufrieden. Ich legte mich im Hinterraum auf den kalten Boden und versuchte zu schlafen, doch ich zitterte zu sehr. „Hier.“ Sebastian hatte mir seine Jacke wie eine Decke über gelegt. Wie schaffte er nur so fürsorglich und gleichzeitig ein Arsch zu sein? „Was ich gesagt habe war falsch. Es tut mir leid.“, sagte er leise. „Wir werden deine Familie und deine Freundin schon noch finden.“ Ich lächelte und schlief ein.

 

Hey. Hey, wach auf!“, flüsterte man mir direkt ins Ohr. Ich schrak auf und man hielt mir sofort den Mund mit der Hand zu. Ich schaute Sebastian verwirrt an, der zur Tür starrte. „Da sind Menschen.“, erklärte er mir. Ich verstand nicht wieso er sich vor Menschen verstecken wollte, bis ich letztlich doch eins und eins zusammen zählen konnte. Wenn das die Mistkerle von gestern waren, wollte ich lieber auch nicht, dass wir entdeckt werden. Als Sebastian merkte, dass ich verstand, nahm er seine Hand wieder weg und wir harrten aus. Gott sei Dank dauerte es nicht lange, bis wir wieder allein waren. Wir machten uns auf den Weg.

Unterwegs trafen wir lange Zeit niemanden und fanden einen Haufen Zerstörung vor. Ich machte mir langsam wirklich Sorgen. Was, wenn wir in die komplett andere Richtung liefen, als es Marc und Mom taten? Sebastian drehte sein Gesicht zu mir und versuchte sich an einem Lächeln, doch es sah mehr gruselig als aufmunternd. Ich lächelte einfach zurück versuchte nicht daran zu denken wie gruselig das aussah um ihn nicht zu kränken. Stattdessen dachte ich daran, was ich machen würde, wenn ich Marc und Co wieder sehen würde und wen ich als erstes umarmen würde. Danach versank ich irgendwie in meiner eigenen Tagträumerwelt, bis mich Sebastian wieder in die reale Welt riss, als er mich plötzlich hochhob und sich alles um uns drehte. Mir wurde schlecht und ich verstand nicht was passierte. Es dauerte nur kurz, dann war alles wieder normal und wir waren komplett woanders. „Entschuldige, ich hätte dich warnen sollen.“, sagte Sebastian mit Schweißtropfen auf der Stirn. Ach komm schon so schwer war ich doch gar nicht. Er holte tief Luft und sagte dann: „Du bist leicht wie eine Feder, aber ich habe das noch nie mit einer weiteren Person gemacht.“ Ich schaute ihn verwundert an. Was denn? Die Welt sich komisch drehen lassen? „Das war ein Sprung durch ein Portal.“ Ich schaute ihn ungläubig an. Erst konnte er Gedanken lesen und nun gibt es Portale? „Und wo kommen diese Portale her? Ich habe noch nie eins gesehen.“, fragte ich nach. Ich wusste ja leider mittlerweile viel zu gut, dass er meine Gedanken stalkte und sie nur zu gern kommentierte oder beantwortete, aber ich empfand es als höflicher und normaler mit ihm zu reden, wie andere normale Menschen auch.“Ich erschaffe sie.“, sagte er trocken. Ja klar. Ich schaute ihn ungläubig an, doch dann öffnete er einfach eins direkt vor meinen Augen. Ich war sprachlos und konnte mit meinem offenen Mund vermutlich fliegen fangen. Was noch? Konnte er plötzlich fliegen oder ein ganzes Haus anheben? „Mach dich nicht lächerlich.“, verspottete er mich. Was denn? War doch nicht unwahrscheinlicher als ein Portal aus dem nicht erscheinen zu lassen. „Wieso hast du das nicht schon früher benutzt? Hätte uns eine Menge Fußmarsch erspart.“, neckte ich ihn. „Ich kann das nicht nach Lust und Laune. Das ist verdammt anstrengend und ich habe nur eine begrenzte Reichweite.“, erklärte er mir ein wenig aus der Puste, nachdem er das neue Portal wieder geschlossen hatte. Ich nickte und sagte: „Ach so. Ich verstehe.“ Tat ich nicht.

Ich beließ es dabei und schaute mich genauer um. Wo zum Teufel waren wir hier? „Erkennst du es nicht? Hier bist du doch aufgewachsen.“, sagte er verwundert. Er hatte Recht. Da drüben war der Spielplatz, auf dem ich immer mit meinem Bruder gespielt hatte, als wir noch ganz klein waren. Zumindest das was davon übrig war. Und dort, die Eisdiele in der wir mit Mom und Dad im Sommer einmal pro Woche Eisessen waren. Aber Moment mal! „Woher weißt du, wo ich aufgewachsen bin?“, fragte ich entsetzt. Mir lief ein sehr kalter Schauer über den Rücken. Sebastian sah ertappt und überfordert eine Antwort zu finden aus. „Oh. Ehm. Also.“, stammelte er vor sich hin. „Raus damit! Woher weißt du das und wer zum Teufel bist du?“, pochte ich auf Antworten. Sebastian kratzte sich am Hinterkopf und fand noch immer keine Antwort. „Annie? Annie?“, rief jemand nach mir. Ich drehte mich um. Marc! Ich rannte sofort auf ihn zu und sprang ihm in die Arme. Ich war mit einem Schlag zu glücklich ihn wieder zu sehen, dass ich Sebastian mit seiner ganzen Eigenart und Merkwürdigkeit komplett vergaß. „Wieso bist du hier? Wo ist Mom?“, fragte ich hastig. Marcs Mundwinkel zogen sich nach unten. Oh nein. „Annie.“, „Sag nicht sie ist...“, „Doch Annie. Ist sie.“, sagte er schluchzend und nahm mich ganz fest in seine Arme, als ich anfing es ihm gleich zu tun. Ich weine in seine Schulter, während er mir übers Haar streichelte, was trotz aller Schrecklichkeiten, tatsächlich beruhigte. „Annie? Wo ist denn deine Begleitung? War da nicht jemand bei dir?“, fragte Marc. Ich drehte mich um, doch Sebastian war verschwunden. „Der Idiot ist vermutlich durch eins seiner scheiß Portale verschwunden.“, sagte ich wütend auf ihn. „Annie was faselst du da? Portale? Wer war das?“, „Das war Sebastian. Er hat mich die ganze Zeit beschützt und bis hierher gebracht.“, klärte ich meinen großen Bruder auf. „Der Sebastian?“, „Der Sebastian“, schluchzte ich. „Ich hab mich wohl in ihm geirrt. Ich muss ihm dankbar sein.“, „Nein du täuschst dich. Du hattest Recht. Er ist ein Arsch.“, sagte ich und vergrub mich in den Armen meines Bruders. „Wenigstens hat er auf meine kleine Schwester aufgepasst.“, sagte er und umschlang mich noch mehr mit seiner Umarmung.

Nachdem wir eine Weile einfach nur so da standen, nahm mich Marc mit zu dem Haus unseres Vaters. Das Haus, welches wir schon ewig nicht mehr gesehen hatten, war noch halbwegs in Stand und wir konnten dort erst einmal Quartier beziehen.

Nachdem wir in der Nachbarschaft noch Nahrung und Getränke gefunden und mitgenommen hatten, machten wir es uns mit unseren Lieblingsschokoriegeln aus einem Kiosk, in dem wir als Kinder all unser Taschengeld hatten liegen lassen, halbwegs gemütlich und ließen alles was passiert war sacken. Ich erkundigte mich nach Franzi und Marc erzählte mir, dass ihre Eltern mit ihr weggefahren waren. Danach fragte ich wie er hier gelandet war und er berichtete wie er mir gefolgt war nur um sicher zu gehen, dass Sebastian mir nicht nochmal zu nahe käme, doch dann wäre ich plötzlich hinter dem Stau verschwunden und, als er endlich durch die Masse von Autos hinter her kam, war ich bereits verschwunden. Danach hätte er bei uns Zuhause nach Mom und mir gesucht und Mom in Sally‘s Haus gefunden. Sally war die beste Freundin unserer Mutter. „Danach machte er sich weiter auf die Suche nach mir und als er mich nicht finden kam er hier her. Wieso genau hier her konnte er sich nicht erklären. Als er Mom nochmal erwähnte stach es in der Brust.

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Tag der Veröffentlichung: 14.04.2020

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