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Zivilisationskritische Betrachtungen (eine Abrechnung) - Auszug



Autor: PL

Vorwort
(Die Psychologiker)
Feigheit
Beleidigung
Was ist normal?
Die Pächter der Vernunft
Finden wir eine Zukunft?
Wie dürfen wir uns Zukunft vorstellen?
Alte Kunst und moderner Unfug
Leistungsvermeidung
Groteske
Dialektik einer Informationsgesellschaft (kleine Projektion in die Zukunft)
Über die Wahrheit, die unsere Zukunft ist
Rationalisierung
Leistungsgesellschaft
Moral des Gewissens (ein Verdauungsprodukt)
Wer sind die Gewalttäter außerhalb der Gesellschaft?
Menschsein
Weltkapitalismus
Zwischenspiel
Vernunft
Realisierung
Grundirrtum
Ökonomie
Freiheit
Das Werk
Jenseits des Fortschritts
Das Ekelhafte
Faschismus
Realitätsuntüchtig
Regelungswahnsinn
Auf dem Weg zu einem totalitären Kapitalismus
Was bleibt
Was ist Demokratie, wo findet sie statt, und wer sind die Volksfeinde?
Von den veräußerbaren Rechten
Wiedergutmachung oder Neubestimmung der Republik
Tragödie der Flucht
Kolonisation
Identität und Abgrenzung
Noch einmal Fremdheit
Altersgetto oder Senilitätskultur
Postnazismus (eine Pointe)
Zwischenspiel
Erniedrigung
Das Auge
Virtuelle Kommunikation
Onanie
Weltverzicht
Der Tod
Schlußfolgerung
Von der Winzigkeit in der Welt
Von der Freiheit des Gedankens
Praktische Vernunft
ex machina
Sport
Antipartei
Das Leben der Menschen
Vermischtes
Picasso und die Stilepoche des Expressionismus
Wie die Welt uns narrt
Was ist Demokratie für das Individuum?
Was ist der Rechtsstaat und wen schützt er?
Korrupte Wissenschaft
Kafka
Beckett
Der unmögliche Beweis des Daseins Gottes
Die Frauen
Über die totalitäre Gesellschaft der Wohlstandsländer
Vernunft des Zweifelns und Zurechnungsfähigkeit
Verliebtheit
Kunst
Dichtung
Irrtum der Demokratie
Irrtum des Historismus
Rationalisierung Gottes

Missglückte Welt (Anhang 2006)

Ein verwundertes Nachwort


Vorwort:

Nun, gewiß dürfte sich die Zahl der Leser meiner philosophischen Anmerkungen gering ausnehmen. Das stört mich wenig. Mich motiviert der eine Leser, der den Weg zur Erkenntnis findet und nicht die statistisch große Zahl als Denkfigur geschäftsmäßigen Bilanzierens. Um was geht es? Die europäisch zentrierte Geistesgeschichte hat im 20. Jahrhundert mit der Globalisierung der Welt durch die neuen Informationstechnologien ihr Ende gefunden. Und insoweit ist die Moderne als letzte große europäische Stilepoche abgeschlossen, wie insgesamt die Perspektive europäischer Kulturtraditionen in eine Postmoderne mündet, die nicht mehr in den alten Kategorien zu messen ist.

Ursprünglich hatten die Aufzeichnungen einen Umfang von 87 Seiten, die in zwei Teile aufgegliedert waren. Die ärgsten Kompliziertheiten sind von mir herausgekürzt worden, die bösesten Provokationen sind erhalten geblieben.


(Die Psychologiker)

 



Ohne Illusion und einig mit der Welt könnte der Mensch keine Aktivitäten entwickeln, er fiele in die Gleichgültigkeit eines Weltganzen. Es sind also merkwürdige Einbildungen, die seine Sinnlichkeit begleiten und so sein Weltbild konstituieren. Das Weltbild ist im Grunde eine Mangelreaktion, die die Unvollständigkeit der Welterfassung nur mit Wahnsinn kompensieren kann, und dieser Wahnsinn ist ein Mangel, an dem Ver­nunft hinzugesetzt wird.


Der Wahnsinn der Handlungsunfähigen aber ist die Poesie.


Feigheit

 




Blindheit ist Feigheit. Zu allen komplexen Theoriebildungen kann man sagen, sie sind der große Quatsch, voran die Wissenschaftstheorien. Ihr Problem ist, daß die logische Steuerung den Sinnzusam­menhang begründen soll. Im Dienste der Logik hätten sie ihren Wert in der Systematik des Denkens. Sich durch etwas durch denken, heißt einen Zirkel beschreiben. Das Letzte ist der Anfang. Ideologien sind fixe Ideen. D.h. der Systemcharakter aller Ideologie ist das Absurde schlechthin. Das Ganze der Theorie ist das Absurde. In der Regel zeigen Ideologien aber sehr gut die Generallinie, auf die die Menschen sich einschwören. Die Menschen haben den Hang, in irgendeiner Form „religiös“ zu sein. Sie wollen unter ir­gendeinem Glaubensvorzeichen Partei werden. Gerade der Glaube bietet eine Sicherheit, die ein begrenztes, an der Situation oder Sache orientiertes Wissen nicht bieten kann; er kann sich an Autoritäten hängen. Glauben ist Nichtwissen und die Freiheit des Glaubens schließlich Narrenfreiheit. Der bequemste Glaube ist am weitesten verbreitet, er heißt populär.[1] Die älteren Universaltheorien, Spekulationen um Gott, sich Gott „gefällig“ zu interpretieren, finden als säkularisierte Fassungen im Glauben ans Allgemeine ihre widersinnige Fort­set­zung. Aus einer Unverschämtheit gegen Gott wird eine Unverschämtheit gegen die Men­schen.


Beleidigung

 




Natürlich kann eine Gesellschaft von Menschen, die darauf abgerichtet sind, blind auf alles zu gehen und die gewohnheitsgemäß Dinge produzieren, die ihnen gleichgültig sind, bis sie letztlich sogar sich gegenseitig, ja sich selbst gleichgültig sind (Verachtungslogiker), nichts hervorbringen, das nicht mit entsprechenden Mängeln und Defiziten behaftet ist, und so mancher Erfinder von der Naivität und Genialität eines Steinzeitmenschen wird sich darüber entsetzen müssen, auf welche Art und Weise seine originellen Erfindungen umgesetzt wer­den. Der technisch zivilisierte Mensch erbringt den Beweis der Machbarkeit des in allem sich gleich Unsinnigen und einen satten Realitätsverlust, allen Dingen die Blödheit zu geben, die er sich selbst zuerkennt. Insoweit die Gattung Mensch noch eine Zukunft hat, wird die Gegenwart in die Geschichte der Menschheit als das gräßliche Zeitalter eingehen; vielleicht wird es das einzige Zeitalter sein, dem gegenüber man sich nicht nachsichtig zeigen wird und den Gegenwartsmenschen als den häßlichen Mensch bezeichnen, der er ist. Vielleicht wird er das Schimpfwort über­haupt werden. In dieses Zeitalter hineingeboren zu werden, ist die ärgste Beleidigung, die einem widerfah­ren kann. Man wird faktisch in allem und jedem ausnahmslos beleidigt (Totalität der Unkul­tur).


Was ist normal?

 




Verrückt ist jemand, der behauptet, am Unglück der Deutschen seien die Ratten schuld. Normal ist der, der behauptet, die Juden seien Ratten, die an dem Unglück der Deutschen schuld seien. Der erste kommt in die Irrenanstalt, der zweite wird als funktionierendes Mit­glied der Gesellschaft Sturmbannführer. Unter Umständen vergast er die Juden wie den Ver­rückten, der die Ratten für schuldig hält. Wer an die bequeme Lüge glaubt, gilt seit jeher als besonders nützlich; schuldig sind nie die Autoritäten, sondern meist diejenigen, die besonders wenig zu sagen haben und abgrenzbar sind von dem, was man selbst repräsentiert.


Die Pächter der Vernunft

 




Die wissenschaftliche Auffassung von der Welt wird zur Pest, wenn sie das gesamte gesell­schaftliche Leben durchwirkt und zersetzt. Der Hebel zu seiner Zersetzung ist ein Prinzip zur Leitung: Ökonomie. Wo das Falsche nur noch die Realität des Falschen hervorbringt, realisiertes Falsches und - da es die Eigenart des Schlechten ist, immer nur Schlechtes hervorzubringen - Umweltver­pestung - wird das Falsche, positivistisch interpretiert, zum unumstößlich irreversiblen Fakti­schen, oder das Vorzeichen wird gewechselt: in böse-deutsch etwas realistisch verfremdet: Umwertung.


Zur Wissenschaft gehört notwendig eine hierarchisch organisierte Nichtwissenschaft wie zum Gesetz die Reduktion der Dinge auf Momente des fraglos quantifizierbaren Immerglei­chen, nämlich die technologische Umsetzbarkeit von Wissen in deren vervielfältigende Funktion, fraglos ohne Ansehung des Gegenstands sich entsubjektiviert auszurechnen. Wer vom Ge­genstand abstrahiert, abstrahiert vom tätigen Subjekt am Gegenstand. Die Wissenschaft erzählt in ihren Gesetzen überhaupt nur ein Gleichnis vom Umgang mit den Dingen. Wie zum Unternehmer der fraglos produzierende Abhängige und Konsumidiot, gehört zum freien Wissenschaftler die organisierte Nichtwissenschaft, die blind handelt. Die Herren Kulturfunktionäre der Aufklärung sind religiös geworden: sie machen Vorschriften und haben sogar eine Ethik, die ihnen Wahrhaftigkeit garantieren soll, sie bestehen auf die reduzierte Fragestellung und auf ihre Unverantwortlichkeit: sie bestehen auf ihre Irrtümer, sie bestehen auf ihre Verantwortungslosigkeit. Sie bestehen auf ihr Ignorantentum. Wer zur wissenschaftlichen Erfindung im Labor ja sagt, sagt zur technischen Umsetzbarkeit ja, die in der gesellschaftlichen Lebensphäre stattfindet, es sei denn, er behauptet sein Labor außerhalb der Welt, obwohl es doch deren Hervorbringung. Die Pächter der Vernunft können ohne die Erfindung des Schwachsinnigen ihren eigenen nicht als höherwertig geltend machen, so wie der Herrscher ohne den Abhängigen seinen Status verlieren muß. Man tritt in eine Fachwissenschaft wie in einen Orden, Aufnahmeritual inklusive. Sogar anrü­chige Bruderschaften gibt es: Psychologen, Soziologen. Nicht fehlen darf auch eine Super­sekte: Marxismus. Die Wahrheit des Marxismus? der wissenschaftliche Sozialismus. Alle Widerwärtigkeit will wissenschaftlich werden.


In drei Punkten klassisch religiös will jeder Wisser sein:
1. der verengte Blick mit zugehöriger Rechthaberei:
die reine Lehre, die saubere Leere,
2. die kategorische Devise sich in alles einzumischen und zu allem die wissenschaftliche Stellungnahme abzugeben, mit dem Schmutz der Welt selbst aber nichts zu tun zu haben:
„Ich sage wahr, ihr tut es schlecht“,
3. das Heilsversprechen, der Kaninchenzauber aus dem Hut:
Fortschritt.


Finden wir eine Zukunft?

 




Der von seiner Gleichgültigkeit Genesende ist bekanntlich zu allererst selbstmordgefährdet - Psychologenweisheit. Wer ein Tabu durchbricht, kann durchaus an der Überlieferung zer­brechen. Unlösbare Konflikte sind klassische Selbstmordsituationen. Wie stark muß man sein, mit dem ganz Falschen abzurechnen? All unsere Verdrängungen sind kleine Selbstmorde an uns, an denen wir uns halbherzig massakrieren. Sagen sie uns nicht, daß wir mit den großen Tabus nicht brechen können? Die großen Tabus bringen die großen Selbstmorde.


Nichts hasse ich so sehr, wie die kleinen selbstvernichterischen Tätigkeiten, die zu nichts führen. Nichts hasse ich so sehr wie eine Selbstenteignungsmoral, die unschöpferisch im Nichts endet. Nichts hasse ich so sehr wie Unverantwortlichkeit.


Das Unterwerfungsverhalten am Sachzwang: Maschine, Parade - hier beginnt der Nihilis­mus. Die Dreiarmseligkeiten des modernen Menschen: nicht abweichen wollen, nicht wissen wol­len, nicht realisieren können. Unter dem generalisierenden Nenner des Allgemeinen, der Gewohnheit, des Unüber­prüfbaren, des Allgemeinwohls, blind folgen - hier ist Ekel mehr als eine Geschmacksfrage. Realität ist lokalisierbar nur am konkreten individuellen Subjekt, das selbstbestimmt tätig ist. Der sich Selbst-Enteignende verfällt der Nichtigkeit. Über die Köpfe anderer kann der Befehler nur entscheiden vermöge seines Zynismus’ der Macht, und dieser Zynismus heißt: das Allgemeine. Das Allgemeine ist der Mangel, mit dem die Wenigen alles belegen, und die Aussage der Wenigen über alles ist der Schmutz ihrer Anmaßung. Es ist aber die Eigenart des Kopfes, dumm zu sein, d.h. er denkt im Wesentlichen für das, worauf er gewachsen ist und nicht für andere. Um für einen zweiten zu denken, müßte ein Mensch schon zwei Köpfe haben, und der andere dürfte seinen nicht vermissen. Ein Kopf, der ein für allemal entscheidet, bringt die Welt auf eine kurze Einfalt, die nur denen gefallen kann, die ihren eigenen Kopf gern um ihr Leben gekürzt haben wollen. Aber weil die Menschen feige sind, müssen sie blind sein, weil sie blind sind, müssen sie glauben... dies diene dem Allgemeinwohl. Das Abhacken von Händen und Köpfen pflegen die Befehler ihren Untertanen als nützliche, sich ergänzende Behinderung, als Spezialisierungsmaßnahme zu verkaufen, wie zufällig ergebe sich eine „natürlich“ hierarchisierte Gesellschaft. Daß eine sich gegenseitig angetane Behinderung, wie sie in der arbeitsteilig operierenden, modernen Gesellschaft üblich ist, die Welt chaotisieren muß, leuchtet mir mehr ein, als daß sie einen Weg gegenseitiger Beglückung auftut. Die Mehrleistung sich spezialisiert ergän­zender Behinderungen ist ein Mehr an Nichts. Was da als Mehrleistung daherkommt, ist so­zusagen als ein Ungewolltes die Abstraktion vom lebendigen Dasein der Menschen, die fal­sche Formel, das Gleichnis von der Gleichheit der Nichtigen. (Die bedeutendste Hervorbringung einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist Bürokratie. Bürokra­tie ist eine Instanz zwischen Nichtproduktivität und Vernichtungsproduktivität. Man denke nur an den Kampfbegriff des „Dienstes nach Vorschrift“ als Synonym für Streik. Im Grunde ist Bürokratie der Inbegriff des Dienstes nach Vorschrift. Die Produktivität der Bürokratie ist Sabotage und hierin ist sie der Preis der Herrschaft der Minderheit der Menschen über die Mehrheit und ihre Vernutzung. Scheinbar dreht sich Bürokratie nur um sich selber, in Wirklichkeit reißt sie alles an sich, und in ihrem Zentrum finden wir das Nichts. Eben dahin wird alles überführt. Korruption ist nur der Aberwitz des Funktionärs, das (von ihm erkannte) Unsinnige in Eigen­nutz zu verwandeln.

Überall wo Bürokratie herrscht, drückt sie den Mangel aus. Der Mangel ist die konkretisierte Unfreiheit.

Die Hervorbringung von Bürokratie ist nur ein Ausdruck der Absurdität einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der die Freiheit des einen die Unfreiheit des anderen bedeutet. Die wesentliche Leistung der Bürokratie ist demnach die institutionalisierte Unfreiheit, die Liquidierung der Verantwortung als solche, also der universale Mangel par excellence.)


Wie dürfen wir uns Zukunft vorstellen?

 




Wir dürfen uns Zukunft als bedauerliches Mißgeschick vorstellen und nichts weiter oder fol­gendermaßen vielleicht: Der Mensch wird zum Funktionär, zum Mechaniker, zum Techniker, zum Verwaltungsbeam­ten oder zum Nichtwisser und stellt seine Identität wieder her durch den Kauf undurchschaut hergestellter Produkte. Er wird so sehr Persönlichkeit am Fernsehapparat, wie er ihn und was an ihm hängt - z.B. als Programm - durchschaut; er hat ihn, und er richtet sich danach. Gehängt an einen Apparat, an ein Kommunikationsnetz, wird er frei sein, dieses zu durch­dringen, doch seine Freiheit wird beschneidbar sein; reagiert er ungefällig, wird man ihm die Berechtigung auch wieder nehmen können. Die Macht der Herrschenden wird sein, Geheimnisse zu haben, mehr zu wissen, über ihn Bescheid zu wissen wie über alle anderen; sie selber werden unzugänglich bleiben, gleich­zeitig werden sie die großen Informierer sein, Formalisierer und Befehler. Wie immer wird es Berechtigte und Nichtberechtigte geben, die Berechtigten werden wie immer die Allgemeinheit vor den Nichtberechtigten schützen. Die Nichtberechtigten werden versuchen, das, was ihnen vorenthalten wird, zu erlangen, dies wird legal oder illegal wer­den, die Gesetze werden gemacht werden. Die einen werden nicht wissen, was sie tun, die anderen werden wissen, was sie lassen. Die, die wissen, die Wisser, werden behaupten, einen größeren Kopf zu haben, die anderen werden einen unmündigen Kopf haben, einen Mund, der weniger sagen kann. Die Mehrheit wird schweigen, die Mündigen werden wenige sein. Die Mündigen werden sagen, was die Schweigenden nicht sagen, sie werden es im Namen der Schweigenden sagen, daß es wahr werde. Sie können sich auf jene berufen, denn jene Schweigenden widersprechen nicht. Der Schwachsinn der Wenigen ist bekanntlich das Allgemeine; so werden die Wenigen das Allgemeine sagen, das Allgemeine, werden sie sagen, sei wahr, und es diene jedem, gerade auch in dem Maße, in dem es im Konkreten Herrn und Frau Jedermann nicht berücksichtige (Herr und Frau Jedermann werden sich daran zu halten haben).

Die Mächtigen behaupten Moral und Gerechtigkeit, wo nur Verteilungskampf herrscht - und der Ohnmächtige verliert den Kampf und ist dann schuld daran. Für die Allgemeinheit Opfer zu bringen, heißt: der Mächtige bleibt im Besitz des Landes, der Arme wird ärmer, wer seine Würde gerade noch behaupten konnte, verliert sie, und der, welcher vorher am Existenzmi­nimum lebte, muß nun krepieren.


Alte Kunst und moderner Unfug

 




Der Mathematiker beginnt mit der 1, er löst seine Probleme schrittweise von unten nach oben. Der Befehler rechnet von oben nach unten. Sein Schmutzbefehl mag auf alles gehen, im Konkreten bringt er es auf das Nichtige, das bedeutet es ihm dann auch. Das Allgemeine ist im Grunde die Lüge über die große Zahl, der Befehler hat das Konkrete nämlich, insoweit es das Ganze ausmacht, abgezogen, es ist im Allgemeinen gar nicht mehr vorhanden, sondern nur als Moment seiner Quantität. Der Allgemeinaussager kennt nur das Gleiche, er nimmt bloß immer eins vom anderen, und das andere ist seine Fiktion vom Sein. Der Brüllaffe vom Allgemeinen abstrahiert immer von... Der Mathematiker hingegen beschäftigt sich mit der Abstraktion. Die Mathematiker kann man durchaus verehren, die Statistenstatistiker allenfalls verachten.


Leistungsvermeidung

 




Opportunismus ist Leistungsvermeidung. Er ist die ewige Unschuld an der Verkommenheit von Welt, aus der man das beste für sich gemacht hat, indem man ihre Verkommenheit ignorierte.


Einer der nicht weiß, was er tut, der zwanghaft handelt, gilt in der Regel als verrückt. Was ist aber einer, der etwas für Geld tut? Ist er ein Mörder, ein Verbrecher, ist er ein Allestuer nach Heuschreckenart, nur methodi­scher vorgehend? Wir können ihn nicht fragen, denn er weiß nicht, was er tut, es interessiert ihn auch nicht, es ist ihm gleichgültig, es geht ihn nichts an, er tut es mit anderen und arbeitsteilig, er fragt sich nicht und er durchschaut es nicht, er tut seine Pflicht. Ja was will so einer eigentlich sein? Ein Ignorant, der besser sein will als er ist, einer der keine Verantwortung hat und keine Selbstverantwortung, ein neurotisierter Unschuldiger, einer der stringente Zusammenhänge als ein Kollektivwesen mit anderen wie irrsinnig produziert, um ein lebendiges Wissen - wie ein Gewissen - zu vermeiden, jeden Bezug zur eigenen Tat, jegliche mündige Tat. Das Resultat seines Handelns wird von ihm nicht vorbestimmt, nicht nachvollzogen sein werden. Es kommt ihm als ein äußeres daher. Denn für Geld produziert er, um Leistungen, die ihn angehen und jegliches Interesse daran, daß die Dinge, die ihm wichtig sind, gut wer­den, zu vermeiden. Oder wird er gezwungen? Dann ist er scheinbar nicht verrückt, sondern flexibel.


Groteske

 




Naturbeherrschung? Von Naturbeherrschung zu reden, scheint mir angesichts der grotesken Verhältnisse, wie sie Menschenwelt heute ausmachen, bemerkenswert albern. Übrig geblieben sind als Argument des Faktischen nur Sachzwänge. Genauso gut könnte man sich die militärtechnologische, produzierte Vernichtungskraft als Friedensgarantie anpreisen, weil sie den Krieg zum Wahnsinn mache. Der Wahnsinn wird zum Argument. Er gestaltet die Welt. Und so geht es weiter. Nur die technologische Weiterentwicklung soll im Falschen das Ver­hängnis abwenden, sonst drohe Hunger, Artensterben, all das, was der „Fortschritt“ halt her­vorgerufen habe. Kurzum, die Vernunft wird abgeschafft, weil sie nur noch garantiert, den Träger der Vernunft im Bezugssystem des Wahnsinns erstes Opfer werden zu lassen. D.h. dem eigenen Ver­nunftglauben wird kein Praxisbezug mehr zugestanden; der moderne Mensch ist nicht nur unvernünftig, er hat auch nicht mehr den Anspruch auf Vernunft, sein eigens Tun kommt ihm wie eine zweite Natur im Resultat daher. Er muß den Wahnsinn als Argument selbst produ­zieren, um sich von ihm schrecken zu lassen, daß der Schrecken ihn leite. Es ist doch nur noch eine Frage der Zeit, bis man dem Menschen die Abschaffung seiner Menschlichkeit abverlangen wird, damit er noch Zukunft haben kann. Aber das ist ja das Geniale der modernen Weltauffassung; da nur die Fakten zählen, das Argument die Bombe selbst ist, ist alles abschaffbar, was dem Argument des Funktionierens sich nicht fügt.


Dialektik einer Informationsgesellschaft (kleine Projektion in die Zukunft)

 




Kontrolle der Teilnehmer, Ökonomisierung der Information - Eigentum an Information heißt das Recht auf Geheimnisse.

Wenn Wissen Macht ist, fällt der Apparat das Urteil über den, der nicht besitzt und nicht ver­fügt. Wo Wissen und Apparat identisch werden, wird es Informationsmonopole geben, die die Gesellschaft zu lenken suchen. Wie die freie Marktwirtschaft den besser Organisierten und Besitzern von Produktivkapital eine Herrschaftskompetenz überantwortet hat, die den Begriff der Freiheit suspendiert, in­dem sie denen, die keine Verfügungsgewalt über die organisierte Apparatewelt besitzen, technischen Funktionszusammenhängen unterwerfen, wird die Informationsgesellschaft konsequent auch den Begriff der Wahrheit deformieren. Denn die Herrschaft Weniger über das relevante produktive Wissen der Gesellschaft produziert gesellschaftsgemäß ein Unter­werfungsverhalten betreffs der Inhalte und Aneignung dieser neuen Produktivkraft. Das gesellschaftliche Leiden der Menschen wird Blindheit und Unwissen im Sinne eines An­eignungsdefizits sein. So wie das Unterwerfungsverhalten unter technische Funktionszusammenhänge den Men­schen die Würde raubt und ihre Seelen deformiert - das Auseinanderfallen von Rationalität und Emotion - wird deren geistige und sinnliche Vergiftung bis zur totalitären Desorientiertheit der Gesellschaft fortschreiten. Die Ökonomisierung des Wissens mündet in eine Hierarchisierung der Verfügbarkeit von Erkenntnissen, bis diese - vermittels von Arbeitsteilung, zur Aufteilung von Welt - in eine Un­kenntlichkeit der Welt kollabiert.


Im Rahmen des regulativen Verhaltens des Staates wird die Berechtigung zur Wis­sensan­eignung gegen Wohlverhalten verkauft (es wird Berechtigte und Unberechtigte geben).

Orien­tierungsfähigkeit innerhalb der Informationsgesellschaft wird zur Preisfrage, das Aus­einanderfallen von Wissen und Bedürfnis ist vorprogrammiert.[2] Das technisch realisierbare Wissen der Informationsgesellschaft wird im wesentlichen sta­tistisch sein. Das menschliche Subjekt wird auf ein Anhängsel seiner Eigenschaft als Informationsträger und Informationsvermittler verzwergt. Es wird Substrat der Statistik.


Wissen, das sich über einen Apparat vermittelt, ist beschneidbar und reduzierbar und nicht wie etwa eine Gedächtnisleistung ein für alle Mal ohne allen Apparateaufwand abrufbar gleich einem bleibenden Eigentum des Besitzers. Die Zugriffsmöglichkeit auf Informationen wird hierarchisch geregelt, die Beherrschbarkeit des Apparats wird arbeitsteilig segmentiert; nur ist die arbeitsteilige Organisation des Zugriffs auf den Apparat keine rationale, apparateimmanente Notwendigkeit, sondern reines, irratio­nales Herrschaftsrecht und die Verfügungsberechtigung ideologisch über den Eigentumsbe­griff gerechtfertigt.[3]


Wenn wir uns vorstellen, daß die am Apparat geistig verarmende Informationsgesellschaft im Gleichschritt mit einer ökologisch bedingten, unvermeidlichen materiellen Verarmung Fortschritt üben wird, so haben wir eine kleine Ahnung von der Hölle, der Tretmühle, die Zu­kunft ist. Die Hölle aber wird entweder einen manipulierten neuen Menschen oder einen neuen, am Leben orientierten, Freiheitsbegriff hervorbringen und einen Vernunftbegriff, der sich nicht länger auf ein Unterwerfungsverhalten am technischen Apparat reduziert, denn Vernunft ist denkbar nur, wo Freiheit ist (Unfreiheit bringt allenfalls Psychotherapie und alle ihre ideologi­schen Implikationen hervor).


Über die Wahrheit, die unsere Zukunft ist

 




Mitten im Überfluß vom Mangel reden? Eine Gesellschaft, die ein gerechter Verwalter des Mangels ist, gab es nie und wird es nicht geben. Staatsbürokratie, die den Mangel erwirtschaftet, gleich einem Kainszeichen der Macht und Gewalt, ist stets eine Hervorbringung des Unrechts und somit ihr organisiertes Abbild. Sie schlägt die Gesellschaft in ihre Fesseln. Es gibt keine Vernunft des Gewaltmonopols, denn es gibt keine Vernunft der Gewalt; es gibt keine Vernunft des Mangels, denn Mangel ist Unfreiheit. Unsere Zukunft wird der Mangel sein - Luftmangel wie ein Mangel all dessen, was die Sou­veränität des Lebens ausmacht.


Doch denke ich nicht mit Zorn an die Zukunft, sondern ich denke mit Zorn an die Gegenwart. Nicht das Elend sollst du fürchten, nicht den Tod, nicht die Wahrheit. Die Arroganz unseres gegenwärtigen Unverstands, unsere Kulturlosigkeit am Apparat, am technischen Sachverstand, für diese Schwäche wird bezahlt mit Schrecken und mit Verach­tung und mit Gewalt und mit Gnadenlosigkeit, kein Verzeihen, kein Vergessen, keine Aus­flucht. Ignoranz ist die moderne Form der Sittenlosigkeit, und so wie wir heute keine Solidari­tät mit den Elenden der anderen Länder und Kontinente besitzen, werden wir morgen un­vorbereitet in die Katastrophe unseres Elends stürzen. Die Katastrophe unseres Elends nämlich sind wir selbst. Der Mangel unserer Zukunft befindet sich bereits in uns, so gegen­wärtig wie er sich morgen als äußerer an uns offenbaren wird. So wird Zukunft die Vollstrec­kerin unseres Versagens, den Herausforderungen der Welt nicht genügt zu haben.


Was in den Siebzigern unseres Jahrhunderts ein Versäumnis war, war in den achtziger Jah­ren bereits ein Verbrechen. Doch Geschichte kennt keine Schuld, die von Unschuld ab­grenzbar wäre, ihre Richtschnur ist die Wahrheit allein und keine Handlungsmodelle; sie re­flektiert einzig den Kenntnisstand, was der Mensch objektivierbar sich selbst antut in der Zeit. Insoweit heißt Geschichte begreifen, die Sterblichkeit des Menschen begreifen. Aber auch der, der die Wahrheit nicht wissen will, muß sich fügen, denn er hat Anteil an ihr. (89)


Rationalisierung

 




Nicht weil der Mensch spricht, ein besonders großes Gehirn zu haben vermeint, Moral hat, lügen kann oder Werkzeuge gebraucht, ist er ein besonderes Tier. Der Mensch hat nur eine Besonderheit, die ihn anscheinend großmächtig macht, und durch die er sich vor allen ande­ren Tieren auszeichnet: er ist das wahnsinnige Tier.


Weil der Mensch das wahnsinnige Tier ist, hat er die Vernunft erfunden.


Leistungsgesellschaft

 




Der Sklave will immer nur nützlich sein.


Jemandem einen miesen Job anzubieten, jemanden schlecht zu bezahlen und primitive Ar­beiten verrichten zu lassen, heißt, ihm seine Geringschätzung, seine Verachtung zu erwei­sen; jemanden technischen und bürokratischen Funktionszusammenhängen zu unterwer­fen, heißt, ihm seine Würde zu rauben.


Moral des Gewissens (ein Verdauungsprodukt)

 




Wenn die Gesellschaft ihnen gestattet, ihre Mitmenschen schlecht zu behandeln, zu beleidi­gen, zu quälen, tun sie das, ohne groß darüber nachzudenken. Wenn die Gesellschaft ihnen erlaubt, sich zu bereichern, tun sie das, ohne alle Skrupel auf Kosten ihrer Mitmenschen. Wenn die Gesellschaft ihnen erlaubt, zu töten, morden sie hemmungslos, um des billigsten Vorteils willen. Was sie Gewissen nennen, ist nur die regulative Angst vor gesellschaftlich sanktioniertem Fehlverhalten, ein Instinktmechanismus ohne alle Vernunft und Moral, ein Regulativ gegen Mißerfolge bei der Anwendung und dem Gebrauch gesellschaftlicher Normen zwecks Selbstbehauptung gegenüber der Konkurrenz der Mitmenschen - ein Mechanismus so in­haltsleer wie eine Apparatelogik.

Sie nennen sich Menschen, doch sie sind nur ein Haufen Scheiße, der - Richtung Kloake - der Schwerkraft gemäß abwärts fließt.


Wer sind die Gewalttäter außerhalb der Gesellschaft?

 




Eine herrschende Klasse, die sich nicht durch Leistungsbewußtsein, Innovationsfreude und Flexibilität neuen Ideen gegenüber auszeichnet, sondern durch Dünkel, Überheblichkeit, Zynismus, Korruption und Lüge, ist parasitär, sie stellt sich außerhalb der Gesellschaft (gewissermaßen international und interkontinental). Eine derartige, marode herrschende Klasse entlarvt sich dadurch, daß sie von anderen Op­fer fordert. Man kann nur ein legitimes Opfer bringen, das eigene. Wer die anderen zu seinem Opfer macht, ist bloß Gewalttäter.[4]


Menschsein

 




Sie sprechen die Sprache der Macht. Man versteht sich, man akzeptiert sich, man spuckt sich nicht gegenseitig in die Suppe. Der, der die Sprache der Macht spricht, ist in den Augen der Mächtigen vielleicht ein Gegner, aber ein Mensch, nicht Material, nicht Vieh, nicht Sklave, Tier, Idiot: Kumpanei, wie sie ähn­lich auch bei den Reichen vorherrscht, die die Sprache des Geldes sprechen. Der Korpsgeist herrscht unter Gleichen. Man nimmt sich als Menschen wahr, man kommu­niziert, man handelt, man hat Beziehungen, man hat Bindungen. Wer nicht dazugehört, ist Beute.


Weltkapitalismus

 




Der grenzenlose Sieg des Kapitalismus und seiner modernen Transport- und Informations­technologien zerstört die Souveränität der Nationalstaaten, um in eine multimediale planeta­rische Gesellschaft zu münden, die nur noch die Gesetze der Ökonomie als gültig nachvoll­zieht. Die Freiheit des Dschungels ist die Befreiung der Mafia von den Fesseln ihrer Regionalität hin zur totalen Ökonomisierung aller Lebensressourcen durch Technik und Organisation. Man sitzt in seinem Festungsturm des persönlichen Reichtums und kommuniziert über Sa­telliten, während ringsum das Land der kleinen Leute verwüstet wird. Draußen wird man stets abkassiert und fremder Willkür unterworfen, zahlt Wegezoll und Schutzgelder.

Die Mafia ist ein internationaler Mischkonzern, der sich seine Gesetze selbst macht. Die Ma­fia ist die höchste Form der Überstaatlichkeit des Kapitalismus; sie ist die fortgeschrittenste Form des Kapitalismus, die zukünftige Weltmacht des Kapitalismus. Freiheit ist die Freiheit des geheimen Unterweltbosses aus Singapur, jedem zwischen Frank­furt und Rio den Schädel spalten zu lassen, der nicht seinen Reichtum mehrt.


Zwischenspiel


Vernunft

 




Vernunft ist die Fähigkeit, über das unabänderlich Tierische in uns nachdenken zu können.


Realisierung

 




Man fängt als Idealist an und endet als Schwein. Es gibt nur diesen einen Weg des Erfolgs, den Weg der Desillusionierung, der den Men­schen korrumpiert.


Grundirrtum

 




Moral kann man nicht fordern. Moral hat man (was für eine auch immer) oder nicht. Entwe­der man hat Charakter und trägt sein Dasein in die Welt wie eine Vornehmheit oder man vegetiert in seinem Gefängnis des niedrigsten Ichvorteils. Gegen die Niedrigkeit spricht, daß sie von schlechtem Geschmack ist, sie ist häßlich und damit verletzt sie das Gefühl; sie ist wenig konstruktiv und damit verletzt sie die Intelligenz.


Die Niedrigkeit der Klugen ist Intelligenz ohne Idee, sie heißt Opportunismus, sie beleidigt uns nicht, und wir empfinden sie nicht. Eine Begegnung mit dem Opportunismus läßt uns ganz automatisch kotzen.


Ökonomie

 




Ein Mensch ist jemand, der sich nach Abschaffung des Geldes so verhalten würde, als wäre nichts geschehen. Geld existiert nur in dem Maße, in dem man selbst nicht existiert.


Freiheit

 




Freiheit ist die Freiheit desjenigen, der weniger besitzt als du.

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Das Werk

 




Ökonomie ist nur eine Ausrede. Die Menschen mißachten um ihrer eigenen Kleinheit willen, sie zertreten gerne und geh’n drüber hinweg. Alles soll flach und winzig werden und sich so ihrem geistigen Horizont anpassen. Es ist eine Phobie gegen die Anstrengung, gegen alles, was Kultur ist, die Aggression gegen alles, was nicht Gewohnheit ist, nicht billig, nicht populär und bequem.

Hüte dich davor, dich für unwiderstehlich zu halten; die Menschen beugen sich nur vor der Macht und dem Reichtum, vor fremder Gewalt und der eigenen Gier, und ihre Eitelkeit er­trägt nicht, die Autorität eines Werks anzuerkennen.


Jenseits des Fortschritts

 




Jenseits des Fortschritts finden wir die Postmoderne. Der Fetisch der Moderne war das Neue, die permanente Abweichung vom Tradierten, die Veränderung. All dieses „offen sein für das Neue“ war ihr Kennzeichen. Die Postmoderne fordert hingegen die Gleichrangigkeit des Vorherigen mit dem Gegenwärtigen; die Veränderung wird zugelas­sen, doch das Neue soll nicht mehr die Perspektive sein.
Es geschieht im Grunde nur das eine: Die Postmoderne kürzt die Moderne um ihre Logik, sie schneidet die Vernunft, die Folgerich­tigkeit, die Ideologie des Fortschritts raus. Befreiung von der Illusion des Fortschritts. Wenn die Kritik es aber nicht mehr besser wissen will, ist sie Sophismus oder negative Dia­lektik. Das nicht integrierbare Hinzukommende, das Neue, das keinen Sinn stiftet, bleibt das Unbestimmte als Verfallserscheinung. Beliebigkeit, das Unverbindliche, kennt nur die Distanzierung von der Moderne wie von der Wirklichkeit. Die Moderne ist tot, und es folgt nichts Nennenswertes.


Das Ekelhafte

 




Wo die Menschen nur feindliche, primitive Tiere sind, die aus billigen Instinkten heraus ihrem Mitmenschen schaden wollen, weil er sich von ihnen unterscheidet, weil er ihnen unähnlich ist, weil er unfähig ist, sich ihrer Niedrigkeit zu unterwerfen, weil er mit ihnen ganz und gar nichts zu schaffen hat, dort brodelt die Ursuppe der faschistischen Natur des wahren Volksem­pfin­dens. Es ist die widerwärtige Bedeutungslosigkeit des Daseins, der Konformismus, die Wider­standslosigkeit vor den Techniken der Macht und des Geldverkehrs, die eine mißglückte Welt immer noch schlechter werden läßt, bis das Ekelhafte sich zum nationalen Pathos auf­bläht. Dort, am Ende der Fahnenstange, wird der „kleine Mann“, selbst nur elend, ausgenutzt und abhängig, zum angstbeißerischen Radfahrer auf der Suche nach Wehrlosen, an denen er seine Wut lustvoll abreagieren und die er „legitim“ erniedrigen kann in dem dummdreisten Gefühl, besser zu funktionieren, ein besser geschleimtes Rädchen im Getriebe zu sein.


Faschismus

 




Faschismus ist die Antwort des Kleinbürgers auf die rationalen Herrschaftstechniken der Moderne. Er usurpiert in etwa das, was davon bei ihm unten ankommt, das, was er davon versteht. Er verabsolutiert das daran, was die modernen Herrschaftstechniken aus ihm ge­macht haben. Das Ideal wird der verhunzte Massenmensch. Faschismus ist die Antwort der schweigenden Mehrheit auf das, was sie stumm gemacht hat. Man kann davon halten was man will, aber es ist bemerkenswert, daß es überhaupt eine Antwort der Artikulationsunfähigen gibt, eine Mobilisierung der menschlichen Dummheit, die letztlich Quintessenz jeglicher Herrschaftstechnik ist. (92)


Realitätsuntüchtig

 




Es gibt Liberalität aus Stärke und Überlegenheit, die das Ziel größerer Stärke und Überle­genheit zum Inhalt hat. Man ist der Welt offen zugewandt, weil man die Selbstsicherheit des Überlegenen hat. Es kann Aggressivität aus Schwäche geben, und davon sehe ich viel. Die denkbar größte Schwäche einer Kultur ist die Unfähigkeit, die Realitäten zu erkennen.


In dem blindwütigen Versuch, die Prinzipien des Kolonialismus fortzuschreiben, hat Europa sich in den letzten großen Kriegen selbst kannibalisiert. Es hat seinen Expansionismus de­struktiv gegen sich selbst gekehrt; nun ist es demoralisiert und vermag der Welt keinerlei nennenswerte Impulse mehr zu geben. Die Gesellschaft ist antriebslos, und die parasitäre herrschende Klasse besitzt keinerlei Instinkt mehr, die innovativen Kräfte auf ihre Seite zu ziehen, sie fürchtet vielmehr, im Neuen ihren Besitzstand zu verlieren. So herrscht hier die Unfähigkeit eines Ziels außerhalb des eigenen Bauches, des engsten Horizonts, des vor­dergründigsten, kleinlichsten Vorteils, es herrscht die Unfähigkeit, von anderen zu lernen. Europa ist der Kontinent des falschen Besitzstandes, wo man dem einen nur noch weg­nimmt, was man dem anderen gibt. Doch ist man nicht nur gelangweilt und angeekelt, sondern man ist bereits dabei, in seinem Unvermögen zu vermodern.


Regelungswahnsinn

 




Regelungswahnsinn ist ein zutreffender Ausdruck für das bürokratendeutsche Verhalten, die Zwangsgesellschaft zu installieren. Dem deutschen Bürokraten kommt die Gesellschaft in allen Belangen disfunktional vor, darum muß alles detaillierter geregelt und schärfer überprüft werden, wobei der Maßstab des Handelns nicht die realen gesellschaftlichen Verhältnisse sind, sondern das Ideal vom Sein. Das Ideal der Bürokraten aber ist eine Selbstvergewaltigungsmoral, die in der Disziplin aus­schließlich bürokratischer Zusammenhänge existiert, nämlich nach dem Ideal des absolu­ten Funktionierens. Man schadet den Menschen faktisch aus formalen Gründen. Hauptverbrechen ist in der Re­gel, daß jemand aus der Statistik fällt, also seine Besonderheit zu bewahren sucht. Das Leben immer größerer Bevölkerungsteile wird unter dem Diktat von Rationalität, Effek­tivität und Ökonomie sinnlos verbürokratisiert und verrechtlicht. Doch nicht die Mächtigen, die Welt in Besitz nehmen, sind Objekt der staatlichen Kontrolle, sondern die Wehrlosen, die in sozialer Abhängigkeit leben. Darum heißt ein Staat, der alles von den Bürgern wissen muß, totalitärer Unrechtsstaat.


Auf dem Weg zu einem totalitären Kapitalismus

 




Der öffentliche Raum, den jedermann - ob reich oder arm - gleichermaßen benutzen kann, ohne dafür zu bezahlen, ist Allgemeineigentum. Er ist der Freiraum für die Besitzlosen. Ökonomiefreie Räume sind Schutzräume der freien Empfaltung auch derjenigen, die sich dem Ökonomismus und der Besitz- und Verwertungskultur des Kapitalismus entziehen wol­len. Nur dort gibt es gleiche Rechte für jede Lebensart, ein Reservat, das einem die Niedrig­keit des menschlichen Miteinanders ertragen hilft. Eine Abschaffung der allgemeinen Verfügbarkeit des Gemeinraums durch Privatisierung oder ökonomische Vernutzung mittels von Zwangsgebühren ist totalitär und damit Terror. Man kann als Tourist zum täglichen Gebührenzahler werden, nicht aber an seinem Heimat­ort bei seinen alltäglichen Verrichtungen. Heimat ist der Ort, wo man sich für seine Existenz nicht rechtfertigen muß, wo man dafür nicht bezahlen muß. Das moderne Staatswesen entwickelt zunehmend seine Bürokratie zur Gebührokratie, zur ineffizienten Abkassiererei, wo der Mensch die Hälfte seines Einkommens für Steuern aus­gibt, die ausschließlich der Bezahlung von Staatsschulden und pensionierter Staatsbeamter dienen, während man nicht einen Fuß vor die Tür setzen kann, ohne sogleich von einem Abkassierautomaten zur Zahlung einer Gebühr genötigt zu werden. Die Technisierung des Lebens, die ursprünglich produktiv und befreiend gemeint war, redu­ziert das Dasein zunehmend auf seine Künstlichkeit, und damit auf seine ökonomische Ver­wertbarkeit. Der Mensch wird immer abhängiger, und das heißt, er wird ins ökonomische Zwangskorsett gesteckt, sich immer verfügbarer zu verhalten, anstatt seine Fähigkeiten und Kräfte frei entfalten zu können. Am Ende steht die Diktatur des Geldes über alle Lebensbe­reiche, die Leibeigenschaft, die Herrschaft des Mittels über den Zweck, die Herrschaft der Schweine über das Menschsein.


Was bleibt

 




Es gibt keinen Freiraum durch Technologie und keine staatlich garantierten Rechtsgüter. Die Freiheit der kleinen Leute ist der Freiraum, den der korrumpierte Bürokrat entgegen sei­nem Dienstauftrag übrig läßt, weil seine niedrige Gesinnung allein noch von seiner Faulheit übertroffen wird, sich nicht um alles zu kümmern, sondern mal Pause zu machen. Technologie und Organisation des Staates haben die Aufgabe, die Dummheit des nützlichen Schweinehunds zu kompensieren, daß er trotzdem effektiv den kleinen Leuten das Leben zur Hölle machen kann.[5]


Was ist Demokratie, wo findet sie statt, und wer sind die Volksfeinde?

 




Demokratie ist das Gegenteil von Volksfeindschaft, sie ist das System der weitestmöglichen Mitwirkung der Bevölkerung an ihren Staatsangelegenheiten. Das Prinzip der Demokratie ist eines der Maximierung der Mitwirkungsmöglichkeiten. Es geht nicht allein um die Legitimation von Herrschaft durch das Volk, sondern um die offensive Selbstbestimmung der Bevölkerung in ihren inneren Angelegenheiten durch Ausübung von Wahlen und Abstim­mungen. Demokratie ist praktische, gelebte Selbstbestimmung über das Vehikel der Mehr­heitsentscheidungen. Die Grenze der Selbstbestimmung kann nur eine technische und or­ganisatorische sein, d. h. Demokratie muß funktionieren. Daneben sind Demokratien ihrem Wesen nach liberale und offene Gesellschaften.

Es gibt also nicht mehr oder weniger Demokratie in einem Land, etwa halbdemokratische Oligarchien oder Diktaturen, sondern Demokratie ist nur die Maximallösung.[6]


Die meisten demokratischen Rechte gesteht verfassungsgemäß in Europa die Schweiz ihrer Bevölkerung zu.[7] Die Schweiz ist ein nicht ganz kleines Land, in dem man leben kann. Was hindert also die anderen Staaten Europas, auch bei sich erweiterte demokratische Rechte einzuführen, an­statt sich immer nur auf einen institutionalisierten Status quo zu berufen, also auf die fakti­schen gegenwärtigen Machtverhältnisse? Wie innovativ ist also der Demokratiegedanke bei den Herrschenden? Ich will hier nicht die Schweiz loben. Die Schweiz ist das Land der Schweine mit den dicken Bankkonten. Für mich sind die Schweizer eine Bande von Hehlern und Geldwäschern, die der Welt maximalen Schaden zugefügt haben. Aber darum geht es nicht (wer sagt, daß De­mokratie bessere Menschen macht?), sondern um die Frage: bricht in der demokratischen Schweiz die staatliche Ordnung zusammen? Herrschen dort Massenarmut, Chaos, Anarchie und Massenmord? Wenn keine schädlichen Auswirkungen erkennbar sind, warum wird in Europas anderen Ländern nicht die Demokratie eingeführt? Warum werden den Völkern praktisch erprobte demokratische Rechte vorenthalten, über deren Realisierbarkeit keine Zweifel bestehen können? Weil die Völker von Vertretern regiert werden, die zwar die Interessen der Allgemeinheit im Munde führen, tatsächlich aber nur ihre persönlichen korrupten Machtinteressen meinen, wenn sie von demokratischen Rechten faseln. Sie sind egoistische Volksverächter, die sich nur zufällig Demokraten nennen, weil sie mit Hilfe eines dementsprechenden Vokabulars nach oben gespült worden sind (z.B. weil ihr Land von den Amerikanern erobert wurde).


Mehr noch als alle anderen ist Deutschland das Land der Barschels, in dem sich alle von Wahlkampf zu Wahlkampf barscheln, weil sie die eigene Bevölkerung, die sie vertreten sol­len, für Narren halten. Folglich gilt direkte Demokratie hier in den herrschenden Kreisen als ein schlechter Witz, der Hitler hervorgebracht hat. (Ich denke, diese Leute sind damit in genügendem Maße charak­terisiert.)[8]


Von den veräußerbaren Rechten

 




Wenn ich hier vom Unvermeidlichen, vom Notwendigen rede, so meine ich das Denknot­wendige, nämlich die Illusion vom Weltbesitz, und ich rede hier vom Geld, vom Geist des Geldes.


Man bekommt alles, oder man bekommt nichts. Die Erde ist der Menschen Heimat, doch die Welt ist aufgeteilt. Wer behauptet, er sei arm, machtlos und ein Mensch, hat die menschliche Gesellschaft nicht im geringsten begriffen. Er gehört nicht dazu. Das Recht lebendig auf diesem Planeten zu existieren, ist veräußerbar, so gehört den einen der Planet und den anderen gehört er nicht. Der Enteignete hat keinerlei Verfügungsgewalt über sein Dasein, er kann allenfalls als Sklave oder Sache existieren. Die Welt ist unser, sagen die Besitzer, das Recht der anderen ist veräußerbar und somit folgerichtig aus der Welt verschwunden.


Wie heißt es so falsch? Geld versachlicht die menschlichen Beziehungen. Geld ist das Wundermittel, die menschlichen Beziehungen zu gestalten und in den Griff zu kriegen. Es ist ein merkwürdiger Vernunftglaube an Besitz und Eigentum, den die menschli­che Gesellschaft vermittels der quasireligiösen Glaubensmacht des Geldes hervorgebracht hat und der die Gesellschaft vollständig beherrscht. Geld rechtfertigt jedes Opfer, jede Gewalt, Geld rechtfertigt den Krieg, denn es rechtfertigt die Besitzstandswahrung der Illusion vom Welterwerb und Weltbesitz als Recht gegenüber allen anderen Menschen, die ebenso - wie man selbst - die Luft auf dem Planeten wegat­men. Die einen drucken es in Zahlen als Illusion der Volkswirtschaft, und die andern glauben an die Macht des Scheins wie an eine Zigarettenwährung oder eine Drogenillusion. Geld ist die härteste Droge. Die einen drucken es, die andern wollen es besitzen - den Traum von Allmacht, Reichtum, Glück. Aber es besteht Konsens, und somit ist die Macht real, und der Glaube ist gerechtfertigt.


Wiedergutmachung oder Neubestimmung der Republik

 




Der Bürger hat in Deutschland ein Leben lang gegen den toten Hund gekämpft, gegen den Faschismus, um am Ende selbst so etwas wie ein Faschist zu werden. In Deutschland war der Antifaschismus eine Art Religionskampf, der stets mit dem antideutschen Reflex auf eine Bestrafung Deutschland durch die Teilung des Landes verbunden wurde. Die alte Bundes­republik war sozusagen der Wiedergutmachungsstaat. Das schwindende Fundament der alten Teilrepublik ist auf perverse Art die Auschwitzlüge, nämlich der Glaube, die Bundesrepublik als Teilstaat Deutschlands ziehe ihre Legitimation aus dem Faschismus. In Auschwitz sei die Existenz und Konstitution der Bundesrepublik begründet worden und alle Handlungen, alles Engagement der Republik würde sich daraus ableiten. Tatsächlich ist Auschwitz als der Inbegriff des Naziverbrechens, das gleichrangig neben dem Verbrechen des Angriffskriegs gegen die europäischen Nachbarn steht, weder durch einen antinationalen noch durch einen antivölkischen Reflex aufzuarbeiten. Es hilft überhaupt nichts, das Vorzeichen zu wechseln. Es gibt keine Wiedergutmachung im Falschen. Eine Nation, die sich etwas antut, projiziert das Falsche in die Zukunft, um es immer weiter mit sich fortzuschleppen. Alle Handlungen einer Nation gegen sich selbst sind der Keim eines neuen gewalttätigen Konflikts und einer neuen Selbstzerstörung des Rechts. Der alte Teilstaat ist nicht wirklich untergegangen und die neue Republik zieht ihre Legitima­tion aus Freiheitskampf und Selbstbestimmungsrecht nicht ohne den Dissens in sich, nicht ohne neue Härten. Auschwitz ist zwar Geschichte geworden; doch über die Geschichte belügt man sich be­kanntlich. Da hilft auch kein Gesetz.


Tragödie der Flucht

 




All den Mangel, das Elend, die Gewalt, all das Unsägliche, dem sie glaubten entfliehen zu können, bringen sie selbst mit sich ins Land. Sie selbst sind das Elend ihres kulturellen Unvermögens, ihr Dasein menschenwürdig zu organisieren. Man entflieht dem falschen Leben durch Ortswechsel, um das falsche Leben am anderen Orte weiterzuführen. Man projiziert die Hoffnung in die Fremde, man projiziert sie in den anderen und kommt doch bei sich selbst an; man wird mit dem Unerträglichen, mit dem Elend, mit der Disfunktionalität seines gesellschaftlichen Daseins identifiziert.


Kolonisation

 




Ein Fehler ist es immerhin zu glauben, die neu eingewanderten Bevölkerungsgruppen aus Sizilien, aus der Türkei, aus Jugoslawien oder aus Südostasien könnten sich mit irgendwel­chen Eingeborenen identifizieren, nur weil sie deren Territorium besiedeln. Sie empfinden sich entweder als Kolonisten, Eroberer, die sich aufgrund ihrer kulturellen Überlegenheit in Westeuropa durchsetzen können oder als diskriminierte Minderheit, die mit falschen Versprechungen angelockt und kulturell unterdrückt wird. Sie denken so wenig daran, sich den hiesigen Verhältnissen anzupassen, wie die europäi­schen Kolonisatoren in Amerika daran dachten, Indianer zu werden. Wer einen Sizilianer ins Land holt, holt sich auch Sizilien ins Land. D.h. hier wird ein Prozeß in Gang gesetzt, der politisch nicht beherrschbar ist. [9] Die Westeuropäer bilden sich ein, ihr Territorium sei für die von ihnen praktizierte Lebens­weise nicht dicht genug besiedelt, sie halten sich fernerhin für kulturell überlegen und glau­ben, alle Menschen würden so werden wollen, wie sie sind, würden ihre Lebensweise also den hiesigen Verhältnissen anpassen wollen, oder sie halten sich für liberal und behaupten die Idee einer multikulturellen Gesellschaft. Eine Kultur ohne Sinn für die Realität kann keinerlei Überlegenheit für sich in Anspruch neh­men. In Wirklichkeit haben die Westeuropäer mental die Souveränität über ihr Territorium verloren. [10]


Identität und Abgrenzung

 




Der Mensch ist ein rassistisches Tier, das physiognomische Unterscheidungsmerkmale zur Abgrenzung seiner kulturellen Identität einsetzt. Wer in einer multikulturellen Gesellschaft lebt, in der verschiedentliche ethnische Minoritäten aufeinandertreffen, identifiziert den anderen unter dem Blickwinkel seines rassischen und kulturellen Andersseins. Identität in einer multikulturellen Gesellschaft ist ein Produkt der Aus­grenzung des Nachbarn. Es gibt keinen Konsens, keine gemeinsame Sicht der Dinge, keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsame Identität, es gibt nur die Abgrenzung und den Kampf um ökonomische Anteile unter dem Blickwinkel des rassischen und kulturellen Unterschieds. Die Praxis ist das Konkurrenzverhalten.


Alle Kultur, die auf Dauer angelegt ist, hat eine kulturchauvinistische Überlebensstrategie, d.h. sie gebärdet sich expansionistisch nach außen und isolationistisch nach innen, sie nimmt auf, was sich instrumentalisieren läßt und bekämpft, was unvereinbar ist. Vor allem beharrt sie auf kulturelle Identität: ändern sollen sich die anderen und die Verbindlichkeit der wahren Sicht der Dinge annehmen. Die „Wahrheit“ wird unter dem Blickwinkel des rassischen Unterschieds in der Praxis des Konkurrenzverhaltens zur Paranoia. Es regiert nicht das gemeinsame Lebensgefühl, son­dern das Mißtrauen jeder ethnischen Minorität im Unverständnis, der andere übervorteile und diskriminiere aus rassischen Gründen. Die Praxis der multikulturellen Gesellschaft ist Disfunktionalität und Bürgerkrieg, und die Ideologie ist der Rassismus: multikulturell ist nur der Untergang - ohne Konsens und Ver­bindlichkeit jeder in seiner Paranoia, der andere würde absichtlich mißverstehen.


Noch einmal Fremdheit

 




Man ist anerkannter Teil der Gesellschaft, man hat eine respektierte, anerkannte Position und daraus erwächst einem eine Bindung an die Regeln und Bedürfnisse der Gemeinschaft.


Die Fremden hält der Hiesige im Grunde für Betrüger, Diebe und Mörder; denn wo könnte die Bindung dieser Leute liegen, all diese Verbrechen zu unterlassen? Wo sollte der Re­spekt vor den Gesetzen des fremden Staates herkommen? Wo sollte die Affinität zu den fremden Sitten und Gebräuchen herkommen? Wie sollten sich die Fremden als Teil der Gemeinschaft in der Fremde verwurzelt sehen? Der Fremde tritt von außen hinzu, er sieht sich als jemand, der mit der Gemeinschaft der Hiesigen umgeht, ohne sich zu identifizieren; er nimmt sich, was er braucht, Kraft seiner kulturellen Überlegenheit und Schläue, die hiesigen Gebräuche für sich zu nutzen. Es herrscht der Dissens und das Mißtrauen bis zur Anerkenntnis und Etablierung des Frem­den in der Gemeinschaft.


Altersgetto oder Senilitätskultur

 




Die deutsche Regierung will in dem Maße Ausländer als Rentenzahler ins Land schaffen, wie die Deutschen senil werden. Die Deutschen glauben, wenn sie dann senil sind, werden sich die Neueinwanderer um ihre Kultur und Altersversorgung kümmern. Sie glauben, die Alteinwohner werden die senilen Bestimmer einer Senilitätskultur bleiben.[11]

Ich glaube nicht, daß so etwas Eigenartiges wie eine Senilitätskultur vor der Welt Bestand haben wird. Die Ausländer werden sich zu Recht über die Idee einer Senilitätskultur verwun­dern und sich an ihre eigenen Kulturtraditionen halten. Wenn sie nett sind, werden sie ein Gnadenbrot ins Altersgetto abgeben und sich im übrigen an die Devise halten: wer nicht produktiv ist, hat auch nichts zu bestimmen.


Mit dem, der sich nicht um sich selbst kümmert, ist es aus, ihm bleiben nur Verachtung und Untergang.[12]

Vielleicht ist das Schlimmste gesagt. Wir wenden uns ab. Letztlich kann es keine sinnvolle Alternative als die Hoffnung auf eine humane Praxis geben.[13]


Postnazismus (eine Pointe)

 



Die Deutschen haben noch immer gemacht, was Hitler ihnen befahl. Am Ende seiner ausgelebten Herrschaftsträume kam Hitler zu dem Schluß, die Deutschen seien minderwertig und zum Untergang verurteilt, und er gab ihnen den posthypnotischen Befehl zur Selbstvernichtung. Und in der Tat sind die Deutschen als echte Rassisten masochistisch ihrem umgedrehten Rassismus erlegen. Sie wollen rassisch-ethnisch untergehen, damit am Ende der Deutsche sagen kann: „Bin ich ein deutscher Nazi? Nein, ich bin ein türkischer Neger, der ungestraft alles Deutsche hassen kann.“


Zwischenspiel


Erniedrigung

 




Diktatur ist eine demütigende Obszönität der Sichtbarmachung einer äußersten Schwäche und Not des Volkes.[14]


Das Auge

 




Was heißt, die Welt existiere nur in den Augen der Betrachter? Die Welt existiert nicht ohne ein Auge. Ohne den Betrachter ist die Welt nichts. Da ist nichts, was eine Bedeutung haben könnte, nicht mal die, zu existieren. Mit dem Auge, das Teil der Welt ist, erkennt Welt sich nur in ihren Teilphänomenen, sie exist­iert nie ganz, sie existiert, fällt in die Gleichgültigkeit und vergeht.


Virtuelle Kommunikation

 




Welt ist Zahl und Zahl ist Fiktion. Die computerisierte Kommunikation ist der Zerfall von Wirklichkeit; die Information repräsen­tiert nur noch das Subjekt und sich selbst (ohne Anspruch, sich auf eine andere Wirklichkeit außerhalb der Schaltkreise zu beziehen). Wahrheit war nie etwas anderes als ein Hirngespinst. Abgeworfen wird, was ohnehin nicht überprüfbar war; übrig bleibt das Selbstbewußtsein des Geistes in seiner Fiktionalität, die Negation hinter der Wahrheit des Subjekts.


Onanie

 




Onanie ist die Simulation, man werde geliebt, während man tatsächlich nicht geliebt wird. Onanie gilt immer noch als degoutant, wer nicht geliebt wird, soll sich des Mangels stets be­wußt bleiben, er soll ihn keinen Moment seines Daseins vergessen. Als bloße Lustvariante ist Onanie entproblematisiert.


Weltverzicht

 




Wo das Dasein der Welt als völlig sinnlos begriffen wird, bleibt für das Leben nur das Lustprinzip als oberste Autorität, und die Lust kann sich ohne Umweg über die Realität im direkten Eingriff in die Gehirnchemie Erfüllung verschaffen. Der entsinnte Mensch verschafft sich Gehirnstoff, die Welt kann ihm nichts mehr bieten. Die Zukunft des Menschen könnte man sich ohne weiteres als Gehirnlabor und Chemiefa­brik vorstellen. Der letzte Mensch ist das glückliche Gehirn, selbstgenügsam und ohne ir­gendeinen Gedanken an eine Lebensrealität außerhalb seiner selbstbefriedigenden Hirn­stoffproduktion.


Der Tod

 




Im Sterben liegt ein Verlust; doch der Tod daran anschließend ist nur der Beginn einer gro­ßen Gleichgültigkeit aller Veränderung gegenüber. Er ist ganz und gar die Irrealität eines Ichs, er realisiert keine Welt. Insoweit ist der Tod nur eine Fiktion des Lebens, ein letzter Irrtum, keine Wahrheit.


Schlußfolgerung

 




Wer an seinem Leben keinen Gefallen mehr finden kann, soll ohne alle Gewissensbisse seine Selbstauslöschung vorbereiten. Diese Entscheidung steht ihm zu, und niemand kann ihm das Recht dazu streitig machen. Doch sollte er seinen Tod im Bewußtsein der Annahme vollstrecken, daß nichts folgen wird, keine Ewigkeit, kein zweites Leben, keine Erinnerung, keine Zukunft, keine Folgerung. Niemand kann ewig leben, der nicht ewig leben will. In diesem Sinne ist der Selbstmord ein folgenloser Akt.


Von der Winzigkeit in der Welt

 




Ich halte Menschen ohne Ideale nicht für Dreck, sie sind wie eine Handvoll Staub im Wind, ganz wie von Welt, ganz folgerichtig, ganz berechenbar, ganz kalt. Was hätten sie auch Wichtiges tun können?


Von der Freiheit des Gedankens

 




Wer mir beistimmt, irrt sich; der Gedanke ist nicht Partei. Der Gedanke ist nicht teilbar, er macht sich nicht mit anderen gemein. Das Subjekt hat nur sich selbst, es erfindet immer wieder nur sich selbst.


Praktische Vernunft

 




Man fragt nicht nach dem Sinn des Lebens, wenn man praktisch denkt. Man fragt, was für einen Sinn eine Handlung für das Leben hat. Es gibt eine Idee der Praxis. Die Idee der Idee ist nicht praktisch. Man büßt in all seiner Verstrickung den Sinn der Praxis ein oder den praktischen Sinn. Das Subjekt, das sich objektiviert, verliert sich. Dies ist die erste Erkenntnis über die Bedeutung des Daseins.


ex machina

 




Für eine Menschheit, die mit technologischen Riesenschritten auf ihr weltumspannendes Ende zurast, kann in ihrer Unmenschlichkeit auch Gott nur ein seelenloses Monstrum sein, das alles ausnahmslos und ungerührt vertilgen muß, am Ende sich selbst.


Sport

 




Die Sprache des Sports ist eine Kultur der körperlichen Bewegung, die jeder versteht und die deshalb weltumspannend ist. So wurde der Sport zum idealen Werbeträger der Weltideolo­gien, insbesondere des Kapitalismus und seiner Konsumgüterproduktion.


Antipartei

 




Den Parteien kann man die Arroganz der Macht nur rauben, indem man ihnen die sichere Gewißheit auf parlamentarische Mehrheiten vorenthält. Dies ist ein Problem der Selbstorganisation der Unzufriedenen. D.h. den disparaten Strö­mungen der Unzufriedenen fehlt eine Organisation der Obstruktion, eine Antipartei, die den übrigen Parteien mit dem Knüppel der Abwahl droht. Die Verneinungspartei wählt stets ab. Sie raubt Mehrheiten. Sie rät ab, sich wählen zu las­sen, insoweit der Wähler eine Alternative sieht.


Das Leben der Menschen

 




Dies Land ist nicht meine Heimat, und die Menschen hier sind nicht von meiner Art.[15] Die Summe aller Eigenschaften der Menschen ist Garant des Kriegs und des Völkermords in der Welt. Alle Widerwärtigkeit im Kleinen bereitet zusammengenommen den nächsten Krieg vor, der dann als unvorhergesehene Katastrophe auf die Welt fällt.[16]


Vermischtes


Picasso und die Stilepoche des Expressionismus

 




Über 100 Jahre Expressionismus, fast 100 Jahre Konstruktivismus: wer soll das aushalten?


Der Mensch zertrümmert die Welt und setzt sie neu zusammen.


Picasso ist das große Bindeglied zwischen Expressionismus und Konstruktivismus, ohne ihn könnten wir den Zusammenhang nicht verstehen. Er ist der große Held.


Wie die Welt uns narrt

 




Für sich ist jeder bedeutend, ein Besonderer - im Unterschied zur Welt; für den anderen ist jeder nur ein Aspekt des Übermächtigen, ein Teil der Welt und insofern käme ihm der andere als Beson­derer wie jede Abtrennung von der übrigen Welt nur willkürlich vor. Man ist Repräsentant der Welt, man ist der Feind, obwohl man seinem Gegenüber vermeint­lich nichts getan zu haben scheint.


Was ist Demokratie für das Individuum?

 




Mathematisch betrachtet ist das „Wählen“ eine ungeeignete Form der Teilnahme am politi­schen Geschäft, darum gehen die Lobbyisten, die politisch Einfluß nehmen wollen, nicht zur Wahl, sondern kaufen einen Abgeordneten. Tatsächlich versinkt die eigene Stimme stets in der Flut der menschlichen Masse der Nullen, die mit ihrer Wahl gegen die eigene Stimme stehen. Der einzelne ist machtlos, die eigene Stimme gibt nie den Ausschlag, sie beschafft nicht die Mehrheit. So sagt man.

Damit Demokratie funktionieren kann, muß sich der Staatsbürger als Teil eines Ganzen be­greifen, als Teilmenge, er muß Partei werden, als jemand, der sich mit anderen gemein macht, eine Regierungsmehrheit abzuwählen.


Das aufgeklärte Individuum, das sich nur auf sich selbst beruft, hat in der Demokratie nichts zu vermelden, es fällt aus den Zusammenhang, und da es die Mathematik versteht, ist es der klassische Nichtwähler.


Was ist der Rechtsstaat und wen schützt er?

 




Der Rechtsstaat schützt die reichen und großen Verbrecher, weil nur diese die Macht haben, Öffentlichkeit herzustellen. Ein x-beliebiger Normalbürger, dem kein Hahn nachkräht, ist jederzeit der Willkür der untersten Chargen des Staatsapparats ausgeliefert. Was ist aber die Alternative zum Rechtsstaat? Im Unrechtsstaat wird der Staat selbst zum größten Verbrecher.


Korrupte Wissenschaft

 




Alles Gutachterunwesen ist ein Gehabe des Herrschaftswissens. Wissenschaft die im Gewand der Autorität auftritt, ist reine Scharlatanerie. Es kann keine wissenschaftliche Aussage geben, die einem Publikum die Aufgabe der ex­perimentellen und gedanklichen Überprüfung abnehmen kann. Jede wissenschaftliche Aussage hat den Zweck, einen Sachverhalt überprüfbar und wie­derholbar zu machen, um ihn zur Diskussion zu stellen. Wissenschaft sagt nicht die Wahrheit, sie ist ein Prozeß der kritischen Infragestellung, der Verifikation. Als Herrschaftswissen ist sie nur korrupt. Jede Wissenschaft, die einen Angriff auf eine Nichtwissenschaft zum Ziel hat, also eine Absicht über den reinen Erkenntnisgewinn hinaus, ist Korruption.[17]


Kafka

 




Kafka hat den juristischen Blick auf die Welt, der uns zeigt, wie dem Menschen, dem die denkbar größte und empörendste Ungerechtigkeit widerfährt, durch seinem ärgsten Wider­sacher nachgewiesen wird, daß er selbst als das Opfer der Schuldige an seinem Los ist. Das Opfer ist immer der Schuldige. Diese Wahrheit ist die allgemeine Wahrheit der Bürokra­tie, der Justiz, der Ökonomie, des Staates, der Gesellschaft, diese Wahrheit ist die allge­meinst formulierte Figur der Ausweglosigkeit des modernen Menschen.


Beckett

 




Beckett zeigt die ungeheure Widerwärtigkeit der Menschen, aber er zeigt auch, daß diese Menschen keine Zukunft haben. Sie sind so ungeheuer widerwärtig, daß ihnen fast wie von selbst die Zukunft aus den Hän­den fällt. Wer in einer verkünstlichten Welt aller ästhetischen und moralischen Verantwortlichkeit ent­sagt, entsinnt die Welt, um daran Selbstmord zu begehen.


Wer die Hälfte seines Lebens hinter sich hat, will etwas von sich in der Welt wiederfinden, denn er beginnt das Dasein vom anderen Ende her zu begreifen, von der anderen Seite des Lebens aus. Findet dieser Mensch in der Welt von sich nichts wieder, nichts in dem er sich spiegeln kann, wird er beginnen, die Welt zu verschlechtern. Er wird es als Getriebener tun, als vom Tode gepackter.


Der unmögliche Beweis des Daseins Gottes

 




Die Augen der Lügner produzieren Bilder. Die Schönheit vergeht und man lebt weiter. Wir nehmen im Flüchtigen das Begrenzte wahr, das Ewige können wir nicht erkennen. Was die Welt der Ideen betrifft, wir denken darüber nach, wie über ein Geheimnis.


Es wäre geradewegs unlogisch, von Gott zu erwarten, daß er sich in der Welt zeigt. Ein Gott, der von außen hinzu tritt, ist überflüssig, er wäre nur Welt. Alle Welt ist Projektion und darin nie voraussetzungslos. Das Subjekt produziert das Bild, das Objekt. Erkenntnis ist Objekterkenntnis.


Man kann Gott nicht erkennen. Gott ist in mir oder gar nicht feststellbar.


Es reicht nicht, sich selbst oder einen anderen Menschen zu lieben. Man muß die Welt als Ganzes lieben. Nur so kann man sein Dasein in der Welt und seine Sterblichkeit ertragen. Man muß sie lieben, die Welt des Verschwindens. Der Glaube an Gott ist nur ein Ersatz, der nicht funktioniert. (Es gibt keine andere Gnade Gottes als den Tod.)


Die Frauen

 




Die Frauen sind in etwa so mies wie die Menschheit insgesamt. Wenn die Gesellschaft ihnen erlaubt, ihre Aggressionen auszuleben, tun sie das so skrupel­los wie jedermann.


Über die totalitäre Gesellschaft der Wohlstandsländer

 




Der Olymp der Erfolgreichen produziert die Hölle der Versager, heißt es. Mögen die Armen der sog. Dritten Welt in einer kollektiven Hölle leben. Die Armen der rei­chen Wohlstandsländer jedenfalls leben in der Hölle der Isolation. Das Problem der Armen in den Wohlstandsländern ist nicht der Hunger, nicht die Sklaverei, ihr Problem ist ihr reduzier­tes Vermögen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Armen der Wohlstandsländer trifft die Hölle der Totalität des Ökonomischen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß alle Teil­habe am gesellschaftlichen Leben durch Geld geregelt ist. In der Hölle des Ökonomismus gibt es keine ökonomiefreien Räume, kein Gemeineigentum, kein Reservat des freien Le­bens, in dem auch diejenigen geduldet werden, die sich dem Zwang des Ökonomischen zu entziehen suchen. Der Arme ist kein Mitglied der Gesellschaft, er ist allenfalls behandeltes Objekt wie zwangsentmündigt und unter Aufsicht gestellt. Der Arme, der sich als Besitzer von Welt aufspielen will, wird notwendig zum Rechtsbrecher. Er muß seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch das Risiko der Kriminalität bezahlen, wird zum gehetzten Tier. Er nimmt Teil als Verbrecher, nur als solcher ist er frei, ist er frei als Subjekt und ein Ungeheuer. Während sein materielles Überleben gesichert scheint, muß er tatsächlich asozial werden, um Mensch zu bleiben, muß sich seiner Würde entklei­den, um anerkannt zu werden.


Vernunft des Zweifelns und Zurechnungsfähigkeit

 




Wer zweifelt zielt auf Änderung; das Ziel ist Klarheit. Wer den Zweifel behauptet, tritt auf vernünftige Art mit dem Anspruch auf Falschheit seiner Aussage auf. Dem Zweifel haftet etwas Unentschiedenes an, eine Handlungsunfähigkeit, keineswegs aber eine Willenlosigkeit. Der Zweifel tritt wie eine Befangenheit auf, wie ein Gefühl, genauer wie ein Gefühl der Un­klarheit, darum gilt er nicht eigentlich als reflexiv. Man abstrahiert nicht von sich, sondern man bewegt sich, man will den Zustand der Unent­schiedenheit beseitigen, will festen Boden erreichen. Man negiert seinen Anspruch auf Rich­tigkeit der eigenen Behauptung nicht ohne Ziel, sondern auf eine Entscheidung zu. Man fragt, weil man Gewißheit will, man negiert sich, aber nur in der Betrachtung, daß es sich dabei um ein Vorläufiges handelt. Man zweifelt, um zu prüfen, und man prüft für einen Erkenntnisgewinn. Der Zweifel zielt auf die Selbstveränderung, die der Erkenntnis dient. Er ist Ausgangspunkt des kritischen Denkens, ohne daß das Subjekt sich in ihm bereits selbst beobachtet. Viel­mehr erleidet sich das Subjekt im Zweifel noch; es ist noch wie Natur am Beginn sich wahr­zunehmen, sich in seinem Denken wahrzunehmen, um am Ende des Prozesses sich selbst mitzudenken. Zurechnungsfähig ist, wer sich selbst mitdenkt, also sich selbst als denkendes Subjekt wahrnimmt und diese Wahrnehmung in sein Denken einbezieht.


Wer sich selbst nicht wahrnimmt, hat keine Erkenntnis, er hat keine Klarheit über die Vor­aussetzungen seines Agierens, er sieht nicht seine Möglichkeiten und Grenzen. Er lernt nicht von seinen Mitmenschen, da er sie nicht als Gleiche im Erkenntnisstreben anerkennen kann. Er befindet sich auf einer Stufe der Triebhaftigkeit, seinen Status in der Gesellschaft aus den Rangkämpfen der einzelnen Gruppenmitglieder abzuleiten und in allen Äußerungen nur einen Herrschaftsanspruch oder eine Geste der Unterordnung wahrzunehmen. Er nimmt nicht wahr, was der andere weiß, sondern nur, was sein Rang und Status ist. Er kann immer nur die Machtfrage stellen. Er kann im anderen nur seine Befangenheit ausagieren, den anderen im Vorurteil identifizieren. Jede Kommunikation ist ihm ein Ritual, sich in Relation zum Rang des anderen zu offenba­ren.


Verliebtheit

 




Liebe macht aus den Köpfen der Liebenden Geschlechtsteile. Sie mythologisiert die Befangenheit, das projektive Denken, die Abwendung von der Gesellschaft. Wahrscheinlich hat die Kunst ihren Ursprung in der Verliebtheit.


Kunst

 




Kunst ist der Versuch, durch reine Anarchie statt zum Chaos zum Werk zu gelangen. Man gelangt ohne Vorschrift zu Inhalt und Stil.


Dichtung

 




Ein Gedicht ist eine nicht realisierte Vollendung.


Irrtum der Demokratie

 



Der wichtigste funktionale Sinn der Demokratie ist, daß die Bevölkerung ihre Regierung abwählen kann.

Es gibt einen Irrtum der Demokratie. Der Bürger kann seine Regierung nicht wählen. Er kann nicht einmal eine Mehrheit wählen. Das Volk wählt eine Stellvertreterschar. Doch gibt es keine Identität von Volk und Einzelbürgern, das Allgemeininteresse bleibt fiktional. So wenig die einzelne Stimme für eine Mehrheit den Ausschlag geben kann, sondern stets unberücksichtigte Minderheit bleibt, so wenig findet sich auch das Einzelinteresse des Vertretenen im politischen Handeln abgebildet. Der Stellvertreter vertritt faktisch nur seine eigenen Interessen, weil das Allgemeine nicht das Wahre ist. Das Stellvertretersystem entlarvt sich als ein Korruptionssystem.


Irrtum des Historismus

 



Kennzeichend für alle Rückwärtsgewandten ist, daß sie aus der Geschichte die falschen Schlüsse ziehen. Der rückwärtsgewandte Idealist glaubt an die sich ewig wiederholende Geschichte. Er will es diesmal besser machen und tut aus den allerbesten, idealistischen, scheinbar die Gemeinschaft, ja die ganze Welt beglückenden Gründen - das Falsche. Man kann aus der Geschichte nichts lernen. Sie wiederholt sich nie. Wenn man aus der Geschichte lernen könnte, hätte die Menschheit längst den Krieg und alle Ungerechtigkeiten abgeschafft.


Rationalisierung Gottes

 




Rationalisierung ist Instrumentalisierung. Wo man nicht wissen kann, muß man glauben. Das ist der Punkt. Die Menschen glauben an Gott, wo in ihren Denkzusammenhängen notwendig Gott seinen Auftritt hat. Noch korrekter betrachtet, sie glauben an Gott nur insoweit er notwendig mitgedacht werden muß. Das ist der Grenzfall. Insoweit Gott nicht mitgedacht werden muß, verhalten sie sich, als habe es ihn nie gegeben.
Wie wir sehen, ist Gott ein sehr praktischer Gott, den man Verschwinden lassen kann, wo er keine Funktion hat. Das Ganze ist wohl eine gesunde Angelegenheit und als Gesundheits­frage ohne alle Moral. Der Kopf der meisten Menschen ist halt nicht für die Metaphysik gebaut, so hat Gott nur eine Nische. Die moderne Religion betrachtet Gott im außermoralischen Sinne, wenn er höchstselbst das Gute ist. Ein Fehler wäre es nämlich immerhin, den Atheismus als moralische Frage zu sehen, als gäbe es eine Verpflichtung, Gott zu leugnen. Gott ist nie das Problem, denn Gott ist mein. Entweder man hat ein gesundes Verhältnis zu Gott und gebraucht ihn dort und nur dort, wo es nicht weh tut, sondern für das praktische Dasein nützlich ist, und wo man seiner nicht bedarf, läßt man ihn weg, oder man hat ein Problem mit sich selbst und steht vor den Pro­blemen gedanklich reinster Blässe in Angelegenheiten, die sich aller Überprüfung entziehen, sich also geradewegs im Nichts aufhalten. Religion heißt: Gott will nur dort sein, wo er nicht schädlich ist. Gott will nicht Erkenntnis sein (was eine moralische Frage wäre, also die Angelegenheit aller), und Gott will nicht zwanghaft weggedacht werden; man findet ihn in praktischer Lebenserfahrung vor, oder man findet die Welt. Gott ist wie ein Spiegel, es schaut nur heraus, was hineinsieht. Gott ist ein privater Gast; man glaubt an ihn, oder man glaubt ohne ihn.[18]


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[1] Populär ist stets der Kitsch, der über die denk­notwendigen Voraussetzungen, die unvermeidbar sind, weil ohne sie nichts wäre, die bom­bastische Verzierung und ein umfangreiches Regelwerk stülpt. Kitsch ist stets die über­flüssige Vorschrift.


[2] So wie heute nur der existiert, der auch im Fernsehen auftritt, wird der Mensch nur reduziert als Teilnehmer der Apparatewelt des Informationssystems kulturell fortexistieren, indem er sich von denen abgrenzt, die als Subjekte gänzlich ausgeschlossen werden.

[3] (Eine bürokratisch-staatlich organisierte Zugriffsregelung würde alternativ überhaupt keine brauchbaren Informationsberechtigungen vergeben.)


[4] (Der moderne Reiche hat im Grunde keine gesellschaftlichen Bindungen mehr, er ist überall zu Hause, nämlich da, wo man sein Geld nimmt. Die planetarische Gesellschaft kann Verantwortung nur heucheln, während sie in Wirklichkeit nur ökonomische Gesetze kennt.)


[5] Freiheit ist, wenn der Bürokrat mal Pause macht.

[6] Allein, daß irgendwelche Mitwirkungsmöglichkeiten der Teilnehmer an einer Veranstaltung bestehen, macht diese noch nicht demokratisch. So ist eine Militärparade noch nicht demokratisch, nur weil jeder Soldat in ihr mit den Füßen mitwirkt, also - formal betrachtet - mit den Füßen abstimmt, daß diese Parade stattfinden kann.

[7] Die Gründe hierfür dürften in der besonderen Rücksichtnahme auf das Selbstbestimmungsrecht der verschiedenen ethnischen Bevölkerungsanteile bestehen, um sezessionistischen Bestrebungen entgegenzuwirken.

[8] Ähnlich verhält es sich in Juristenkreisen, wo einer als Narr gilt, wenn er sich in einem Gerichtsprozeß auf die Grundrechte der Verfassung beruft.

[9] Mir wird es immer ein Rätsel bleiben, wie ein Politiker behaupten kann, man könne die Umsiedlung von hundertrausenden von Personen innerhalb eines Zeitraums von einer Generation politisch kanalisieren, beherrschen oder auch nur in ihrer Wirkung und in ihren Ausmaßen absehen.

[10] So ist es wahrscheinlich kein Zufall, wenn eine ausländische Macht den Westeuropäern dreinredet, welche Bücher hier gedruckt werden dürfen und welche bei Todesstrafe nicht.


[11] Dahinter steckt im Grunde nichts als die Lüge vom Generationenvertrag oder anders ausgedrückt, die Wahrheit, daß die Regierung die eingezahlten Rentenversicherungsgelder bereits ausgegeben haben wird, wenn die Beitragszahler arbeitsunfähig werden. Wenn Sie mich aber - hiervon unabhängig - fragen, warum die Frauen eine Reproduktionsquote von zwei Kindern pro Frauensperson in unseren Gesellschaften nicht halten, so lautet meine Antwort: weil man ihnen hierfür nicht den Auftrag erteilt hat! Ein Auftrag übrigens, der unsere Gesellschaft nahezu vollständig umwandeln würde, und dem auftraggebenden Staat zwangsläufig eine hundertprozentige Verantwortung für die Erziehung und das Glück der Kinder aufbürdete.


[12] Wie man gesehen hat, ist das Thema im höchsten Maße giftig, und wer sich ihm allzu offensiv nähert, muß sich zwangsläufig in die Nesseln setzen.

Ist es möglich, das Fremde zu lieben? Wird es eine makrokulturelle planetarische Gesellschaft geben? Ich fürchte, Europa wird von all seinen Problemen aufs Tiefste erschüttert werden. Es wird seine privilegierte Stellung in der Welt endgültig verlieren und über Jahrhunderte auf schwankenden Pfaden seine Zukunft suchen müssen.


[13] Wenn das letzte Ergebnis des europäischen Rassenwahns das nominelle Verschwinden der europäischen Rasse wäre, schiene mir dies eine ironische Pointe von letztlich geringer Wichtigkeit für die Menschheit.


[14] Schlimmer ist nur der Untergang, Besetzung und Kolonisation des Territoriums des Volkes durch fremde Mächte.

[15] Die Menschen halten mich für einen der ihren, doch ich bin ihnen nicht ähnlich und denke nicht wie sie.

[16] Ein Hitler reicht eben nicht, um den Krieg auszulösen. Es bedarf eines Hitlers und der Gesamtheit aller Menschen, die klein und mies und unverantwortlich sind, um den Krieg vorzubereiten.

[17] Gier und Wahrhaftigkeit vertragen sich nicht, genauso wenig wie Gier und Humanität. Geld und Moral vertragen sich nicht, und so geht es zwangsläufig mit dem Ethos der Wissenschaften bergab.

[18] Gott ist in dem Sinne nicht erkennbar, wie auch keine sichere Gewißheit der Existenz der Welt besteht. Man kann nur glauben, daß eine sinnlich und instrumentell wahrnehmbare Welt jenseits des Subjekts existiert, und genauso kann man nur glauben, daß Gott existiert (ohne ihn sinnlich und instrumentell wahrzunehmen).


Anhang: Missglückte Welt (2006)



Kultur und Wahnsinn
Denken und Sein
Mythos Freiheit
Mythos Vernunft
Fortschritt als Massenbetrug
Das Ende der westlichen Vorherrschaft
Ansiedlungspolitik als Liquidierung der Demokratieidee
Die Lösung



Kultur und Wahnsinn




Ayaan Hirsi Ali, die von einem wahnsinnigen Ritual kastriert worden ist, das man in anderen Gegenden eine angemessene kulturelle Praxis nennt, ohne dass deswegen darunter die Betroffenen weniger zu leiden haben, ist Spezialistin für einen aufgeklärten Umgang mit kulturellen Irrtümern. So erkannte sie zutreffend, dass der Islam ein religiöser Irrtum sei und der radikale Islamismus nur ein Dreckhaufen, mit dem man als aufgeklärter Mensch nicht leben kann - genau so wenig wie man mit der christlichen Religion des 15./16. Jahrhunderts als aufgeklärter Mensch im Angesicht des Aberglaubens leben könnte, der Ketzer und Hexen verbrennen ließ und einer kulturellen Praxis der Lebens- und Sexualfeindlichkeit huldigte, die die Menschen in den Wahnsinn trieb. Religion kann eine Existenzberechtigung nur zugestanden werden, insoweit sie sich den Erfordernissen einer aufgeklärten säkularen Lebenspraxis unterwirft, die ihre eigene Rationalität hat und keine allgemeinverbindliche religiöse Vorschrift duldet.


Schon Freud durchschaute, dass Kultur auf das Individuum gleich einem feindlichen Wahn wirken konnte, der seine Individualität unterdrückt. Nietzsche hingegen bemerkte, dass selbst unsere Vernunft, die kritisch allen Aberglauben auszumerzen trachtet, ein besonderer nihilistischer Wahn sein könnte, jeglichen Sinn aus der Welt zu tilgen, der dem Leben eine Bedeutung verleihen könnte. Womit die Vernunft sich selbst jeglichen Bezugspunkts zu berauben imstande ist, der auch ihr selber eine Bedeutung zugewiesen hätte.


Denken und Sein




Philosophie befasst sich mit dem Teil des Erkenntnisvermögens, das man Denken nennt. Das heißt, ihr Gegenstand ist nur das, was man in der Welt betrachten und messen kann, nachdem es Gedanke geworden ist. Philosophie zeigt also immer das Subjekt in der Welt und bringt seine Hervorbringungen auf den Begriff. Die Kunst hingegen bringt die Hervorbringungen des Subjekts auf eine sinnliche Anschauung. Die Synthese von Begriff und Anschauung aber ist keine bloße Wissenschaft, sondern das Leben in seiner spezifischen Ausprägung als menschlich.


Die Kunst setzt ihre entscheidenden Akzente, wo die instrumentelle Vernunft versagt und eine Bedeutung nicht mehr vermitteln kann. Der nicht hintergehbare Sinn, die letzte entscheidende Instanz, vermittelt sich in der individuellen Besonderheit und nicht in einem Allgemeinen als Abstraktion vom lebendigen Subjekt. So wie die Wissenschaft die Tatsachen misst, so ist aller Sinn dem zuzumessen, das alleinige Instanz der Sinnhervorbringung ist. Nur das Individuum bringt Bedeutung hervor, und Sinn ist der lebendige Zusammenhang, in dem die Bedeutung steht.


Mythos Freiheit




Freiheit in Form von Willensfreiheit ist der als Letztes zerplatzte Mythos der Aufklärung. Mit diesem Mythos zerfällt die aufgeklärte Weltkonstruktion, der Angelpunkt, der dem Ichgefühl Selbstgewissheit, Sinn, Verantwortung und Wahrhaftigkeit gegeben hat. Das autonome Ich, das selbstbewusst die Welt regieren sollte, wird zur Marionette des Gehirns degradiert, zur Marionette des Feuers unbewusster Neuronenregungen.

Wahrscheinlich hatte Nietzsche mit dem „Willen zur Macht“[1], der ja eigentlich kein Wille zur Wahrheit oder gar zum Dasein sei, eine Konstruktion des Willens gemeint, die ohne innere Freiheitsidee auskommt. Freiheit ist nur noch der Anspruch auf ungestörte Verwirklichung dessen in der Welt, was sich als Willen verfestigt hat, nachdem es im Subjekt bewusst zutage trat. Freiheit ist also, wenn sich das Subjekt mit der Welt in Übereinstimmung sieht; aus sich selbst heraus ist der Wille hingegen das undurchschaute Ergebnis eines triebhaft unbewussten Bildungsprozesses. Dort, wo der Wille sich mit der Welt einig weiß, ist er frei als Wille zur Macht. Die Intendiertheit des Willens ist damit lediglich als das undurchschaubare Resultat dessen identifizierbar, was in dem Subjekt als Sinnhaftigkeit der Welt und des Ichs erscheint, indem das Gehirn allen Dingen der Ichwelt und der Außenwelt eine Bedeutung gibt. Macht ist das Potential des Gehirns zur Bedeutung zu kommen, also das Ichpotenzial als Interpretationsvermögen.

Das Subjekt gibt den Dingen Bedeutung. Mit ihrer Bedeutung werden ihm die Dinge erkennbar, und somit erscheinen ihm die Dinge nicht nur als existent oder nichtexistent, sondern in den Erscheinungen bemisst das Subjekt gleichermaßen, wie es selbst und wie die Dinge sein sollen.

Nietzsche sah in seinem Willen zur Macht eine Art Urkraft. Ich sehe darin ein Bedeutungsvermögen. Dieses Vermögen setzte Nietzsche mit Wahnsinn und Vernunft in eins, es kann sowohl lebensbejahend als auch weltverneinend sein, nihilistisch und schöpferisch.


Dass wir den Willen zur Macht (den Willen zur Bedeutung) irgendwie für eine gewalttätige Sauerei halten, wäre danach nur das Resultat einer missglückten Gesellschaft, von der wir nichts Gutes mehr erwarten dürfen, beziehungsweise, in der wir von den Mitmenschen in Wahnsinn und Vernunft nichts Gutes mehr erwarten dürfen.


Mythos Vernunft




Man kann sagen, dass der Mythos der Moderne die Vernunft war. Man hat Gott abgeschafft, um Vernunft als ein allgemeines Prinzip an seine Stelle zu setzen. Statt eines Gottes als Gesetzgeber macht sich der Mensch selbst zum Chef. Dass jemand, der seine Vernunft absolut setzt, sich damit selbst vergöttlichen könnte, diese postmodernen Erkenntnis dürfte wohl inzwischen niemand mehr entgangen sein. Aber schon Kant hatte im Grunde gesehen, dass es mit der Vernunft sowohl in Theorie und sittlicher Praxis[2], als auch im konkreten Urteil, also in der Entscheidung des selbstbewussten Subjekts, wohl nichts werden wird und dass deshalb daneben der Idee der Freiheit eine Konsensidee an die Seite gestellt werden muss. Der Konsens ist die Idee einer Beistimmung aller, also eine Vertragsidee, wonach jedermann einstimmen können muss, damit sie allgemeine Gültigkeit haben kann. Übrig geblieben ist von der Vernunftidee wohl nur noch der Restbestand, dass Handlungen mit denen Herrschaft ausgeübt werden kann, zumindest im Prinzip für jedermann zustimmungsfähig sein müssen. Vernünftig ist etwas, wenn es im Allgemeinen als zustimmungsfähig anerkannt wird, bevor man im Besonderen weiß, ob es einem persönlich im Konkreten zum eigenen Nachteil betrifft.


Fortschritt als Massenbetrug




Im Ökonomismus entlarvt sich die totalitäre Struktur des modernen Kapitalismus als Nihilismus. Das Wirtschaftssystem war in jeder Kultur ein Mittel zum Zweck. Am Beginn der Moderne hatte die Marktwirtschaft die Funktion, der Leistung der innovativen Subjekte, der Ideengeber, durch eine koordinierende Organisation der Interessen mehr Effizienz zu geben, um den menschlichen Subjekten, der einzig sinngebenden Instanz des Planeten, die wir kennen, nützlich zu sein. Im Fortgang des technologisch angetriebenen Wirtschaftsgeschehens, das sich immer mehr der sozialen Kontrolle der ihr Unterworfenen entzieht, wird das ökonomische System zum Selbstzweck stilisiert, um der herrschenden Klasse der Regierenden in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Rechenschaftspflicht für ihr Tun gegenüber der Gesellschaft der Mitmenschen zu erlassen und ihre Allmacht als nicht hinterfragbar und quasi naturgegeben zu sakralisieren.


Horkheimer und Adorno hatten erkannt, an welchem Punkt Aufklärung zum Massenbetrug wird[3], also wo die Ökonomie zur Fassade wird, hinter der sich die Ausbeutungspraxis zum Ausverkauf der Kultur verselbständigt hat. Aufklärung wird zum Massenbetrug, wo der manipulierende Wille die Freiheitsidee pervertiert. Die einstigen Brüder und Mitmenschen werden als bloße Objekte unter die Erfordernisse des Wirtschaftsbetriebs gestellt und auf eine Existenz als Konsumfetischisten und Lohnabhängige reduziert, falls man sie nicht gar als unnützen Menschenüberschuss aussortiert und weggeworfen hat.

Die Selbstvergöttlichung des Individuums als Herrscher ist der Punkt, an dem alle emanzipatorischen Impulse der Aufklärung in Barbarei umschlagen, wo die Freiheit des Marktes sich ihres innovativen Elements, den Menschen zu nützen, entledigt, um reiner Kapitalismus zu werden, der sich von allen kulturellen Bindungen gelöst hat, um sich als globale Allmacht des Geldes zu verabsolutieren.


Ökonomismus entlarvt sich in der überstaatlichen Manier des sich selbst genügenden Kapitalismus, der als höchsten Selbstzweck der Selbstkapitalisierung die Währungsspekulation zur innovativen Speerspitze der Produktivität erklärt.

Denn das ist die höchste Verhöhnung der Freiheit, wenn eine Handvoll Währungsspekulanten und globalisierter Weltkapitalisten unkontrolliert ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben können und Armeen von Arbeitern und Angestellten wegrationalisieren, während den ohnmächtigen, jeglicher gesicherten Lebensperspektive beraubten, kleinen Leuten im gleichen Atemzuge die Sozialversicherung gekürzt wird, und ihnen zeitgleich einredet wird, diesen Sozialabbau als ihre Freiheit zu deuten, die ihnen die Gelegenheit gibt, in ihrem geistigen und materiellen Elend mehr Selbstverantwortung zu zeigen.


Das Ende der westlichen Vorherrschaft




Werden diese ungeheuerlichen Schläge gegen das Selbstverständnis der westlichen Zivilisation unsere Kultur und Lebensweise zerstören?


Der kulturfeindliche, selbstzerstörerische Impuls des krisenhaften Kapitalismus, der ehemals die Herausbildung der totalitären Ideologien begünstigte, wird die westliche Zivilisation ein weiteres Mal empfindlich – möglicherweise diesmal irreparabel - schwächen. Für diese Schwäche wird bezahlt werden - mit einer unsäglichen Reprimitivierung der gesellschaftlichen Subjekte, wirtschaftlichem Abstieg, Krieg, Bürgerkrieg und Terror. Wer am Ende die Trümmer einsammeln wird, ist noch nicht ausgemacht.


Ich prognostiziere eine große Leidenszeit.


Ansiedlungspolitik als Liquidierung der Demokratieidee




Nach Ausschaltung des Nationalsozialismus wurde bruchlos die Doktrin der absoluten Souveränität der europäischen Herrscher über die Bevölkerungsstruktur im Staate fortgesetzt. Es wurde einfach nur das Vorzeichen gewechselt, überall da, wo im Nationalsozialismus ein "Plus" stand, wurde ein "Minus" eingesetzt (und umgekehrt). Dies klingt noch deutlich in der höhnischen Bemerkung eines deutschen Dichters anläßlich des ostdeutschen Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 nach, wenn der stalinistischen Regierung das eigene Volk nicht passe, könne sie sich ja ein neues wählen. Bekanntlich zog eben jene vom Dichter angesprochene Regierung es vor, die Bevölkerung gewissermaßen als ihr legitimes Eigentum einzumauern, damit es ihr nicht weglaufen kann, statt sich ein neues Volk zu suchen.

In den liberalen Demokratien Europas brachte das Ende des Kolonialismus nicht nur einen Rücksturz der in die kolonialen Gebiete ausgewanderten Kolonisten, sondern auch die Neuansiedlung der nunmehr aus ihrer entkolonialisierten Heimat vertriebenen Bevölkerungsteile mit sich, die als Einheimische mit den Okkupanten kollaboriert hatten. Die Praxis der "Asylgewährung" wurde zur unreflektierten Staatsdoktrin.

Tatsächlich waren die liberalen Demokratien im Wesentlichen "kapitalistische" Gesellschaften, die ein Menschenbild propagierten, welches die Bevölkerung ideologisch auf das Artefakt eines reinen "Wirtschaftssubjekts" reduzierte. Dementsprechend unterlagen die Politiker den Einflüsterungen und Interessen der Großindustrie, einen ununterbrochenen Strom so genannter "Gastarbeiter" oder "Arbeitsasylanten" aus allen Teilen der angeblichen und so genannten "unterentwickelten Welt" ins Land zu ergießen.

Interessant war ist diesem Zusammenhang die ausgesprochene Drohung eines kapitalistisch motivierten "Ausverkaufs der Kultur", nämlich im Weigerungsfalle die industriellen Ressourcen eben in jene unterentwickelten Länder auszulagern, statt im Inland die Produktivität zu steigern.

"Konkurrenz belebt das Geschäft." Nach dem Zusammenbruch der imperialistischen Attitüde wurde nunmehr das eigene Land kolonisiert und künstlich ein "Weltarbeitsmarkt" im Inland hergestellt. Folglich hat die hiesige Arbeiterklasse, die direkt davon betroffen war, diese Politik stets als Angriff auf die eigene Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt begriffen, statt als Garantie einer gesamtgesellschaftlichen Produktivitätssteigerung. Der Fremde war der Konkurrent, der den eigenen Marktwert drückte. Unter diesem Vorzeichen konnte es kein Zusammenkommen der Neueingewanderten mit den Eingeborenen geben, diese wurden als der heimischen Bevölkerung von oben aufgezwungene Objekte gesellschaftlich ignoriert oder gar abgelehnt. Seit dieser Zeit nagt die Interessendivergenz am liberalen Demokratieverständnis wie eine aggressive Säure, die nicht zum Versiegen gebracht werden kann und die Substanz am Ende gänzlich aufzuzehren droht. Es gibt keine Einheit der Bevölkerung mehr.

Die Politikerklasse, die auf ihre Weise das höhnende Dichterwort von der grotesken Umkehrung der Machtverhältnisse umsetzte, dass nämlich nicht das Volk sich seine Regierung wähle, sondern die Regierung sich das Volk, hatte von Anfang an das Problem dahingehend zu isolieren versucht, dass sie die Lüge von der Rückkehr der Arbeitsimmigranten in ihre Heimatländer mit der Weigerung verband, eine Infrastruktur zu errichten, die die Integration der Neueinwanderer in die gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse ermöglicht hätte. Es wäre auch aussichtslos gewesen, eben diese Integration zeitgleich mit der Neueinwanderung erzwingen zu wollen und damit die eigene Bevölkerung aktiv aufzuwecken, statt sie einzuschläfern und so alles dem "natürlichen Fortgang der Dinge" zu überlassen, um im Nachhinein die sich daraus entwickelnde Misere als ein katastrophales "Naturereignis" zu verkaufen, das ohne eigenes Zutun von außen auf die Souveränität des Staates eingewirkt habe.

Von außen? Tatsächlich ist eines immerhin wahr daran, nämlich dass das unter dem Begriff "Globalisierung" verbrämte, sich von aller politischen Einzelstaatskontrolle emanzipierte heimatlos vagabundierende Großkapital die Welt nunmehr in einen "Kampf" aller gegen alle verwickelt, genauer gesagt, in einen "Ausverkauf der Kulturen" an den Meistbietenden, nicht nur indem es die Kulturen und gesellschaftlichen Strukturen der angeblich unterentwickelten Länder der so genannten "dritten Welt" durch fortschrittliche Technologie und radikale Ökonomisierung der Lebensverhältnisse vernichtet, sondern mit Auslagerung der Fabriken in Billiglohnländer auch in den so genannten "entwickelten" Ländern eine zunehmend pauperisierte Fremdarbeiterschaft zurück lässt, deren Ansiedlung als Wirtschaftssubjekte sie einst forciert hatte, und die sie nun vergessen hat, mit Auslagerung der Industrie wieder mitzunehmen. So kann kein Zweifel bestehen, dass die Globalsierung nicht nur als "imperiales Kriegsereignis" ihre gesteigerte Fortsetzung finden wird, sondern auch als inländischer Bürgerkrieg an seinen einst kapitalistischen Ausgangsort zurück zu finden droht.

Wie ist angesichts dieses Makels, mit der die politische Klasse sich selbst staatlich "entsouveränisierte", überhaupt noch rationale Politik möglich? Ganz gewiss nicht durch fortgesetzte Beschwichtigungen und Ignoranz, indem die Globalisierung der Kapitalflüsse als ökonomisches Naturereignis sakralisiert wird, um damit die Herrschenden in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik aus ihrer Verantwortung für ihr Tun zu entlassen. Erst die eindeutige Schuldzuweisung, die sowohl dem Kapital, als auch der politischen Klasse ihr Versagen vor Augen führt und als Verursacher der Misere benennt und damit das Lügengebäude naturhafter Weltereignisse zum Einsturz bringt, setzt die Völker wieder in ihre Stellung als souveräne Subjekte über ihre Weltgeschichte ein. Dass damit in den westeuropäischen Ländern sich der sich selbst als 'demokratisch' apostrophierende korrupte "Parteienstaat" aufs Spiel setzt, würde zu den unvermeidlichen Kollateralschäden seines eingestandenen Versagens gehören. Demokratie und Liberalismus müssten unter Umständen auf neu organisierte Weise fortgesetzt werden oder untergehen.


Die Lösung




Nach dem Aufstand des 17. Juni

Ließ der Sekretär des Schritstellerverbandes

In der Stalinallee Flugblätter verteilen

Auf denen zu lesen war, dass das Volk

Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe

Und es durch doppelte Arbeit

Zurückerobern könne. Wäre es da

Nicht doch einfacher, die Regierung

Löste das Volk auf und

Wählte ein anderes?

(B. Brecht, Buckower Elegien, 1953)


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[1] In seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ formulierte Nietzsche den Gedanken vom "Willen zur Macht" als einer lebensbejahenden "dionysischen" Schöpfungsenergie, die die Welt bewegt.

[2] Kant konstatierte, dass die menschliche Vernunft keinen direkten Zugang auf das Ganze und die „Dinge an sich“ hat. Er teilte die menschliche Vernunft in theoretische Vernunft, praktische Vernunft und Urteilskraft. In seiner Philosophie wird somit der „reinen Vernunft“ nur ein regulativer Charakter im Zugriff auf die Wirklichkeit zuerkannt. In seiner Vernunftethik der „Kritik der praktischen Vernunft“ entwickelte Kant den sittlichen Grundsatz eines von einem freien Willen geleiteten kategorischen Imperativs: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Subjektive Willensbestimmungen des Begehrungsvermögens haben empirischen Charakter, denn ihr Entstehungsgrund ist das gesuchte subjektive Verhältnis zum Gegenstand der Wirklichkeit. Nach Maßgabe dieser Willensbestimmungen ist es nicht möglich, eine für jeden gültige Verpflichtung in Form eines allgemeinen Gesetzes herzustellen. Praktische allgemeingültige Gesetze der reinen Vernunft, deren objektive Notwendigkeit a priori erkannt wird, können sich daher allein auf eine bloß formale Willensbestimmung beziehen.

Wie Horkheimer und Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ feststellten, scheiterte die Morallehre Kants, die der als Aberglaube geschwächten Religionslehre eine Vernunftmoral entgegenzustellen suchte, in der jedermann einem allgemeinen Prinzip zustimmen solle, insoweit das Selbstinteresse der Subjekte dieser Lehre entgegen steht, denn die Imperative folgen keiner wissenschaftlichen Vernunft und können damit keine objektive gesetzmäßige Gültigkeit beanspruchen. Sie bleiben vom Aberglauben behaftete Wunschvorstellungen. Meiner Ansicht nach wird nach Kants Sittenlehre in realistischer Betrachtung der gesellschaftlichen Zustände die ethische Verpflichtung zur bloßen Übereinkunft einer Allgemeingültigkeit, als würde man einen Gesellschaftsvertrag schließen.

[3] Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, Kapitel 4, Aufklärung als Massenbetrug, Frankfurt am Main, 1969


Ein verwundertes Nachwort:



Als ich die 'Abrechnung' schrieb, in etwa von Ende der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre und später noch einen Anhang, zeichnete sich schon ab, dass im wesentlichen die kapitalistische Gesellschaft ein Schnellzug ist, der gegen die Wand gefahren wird. Man sah das dunkle Ende aus der Ferne, aber es war noch so weit weg. Jeder der etwas genauer hinschaute, konnte hingegen wissen, was passieren würde, es war kein wirkliches Geheimwisssen dafür nötig, nur ein klarer Blick und ein Verstand, der sich vom Propagandagetöse der herrschenden Klasse, die die schöne neue Welt versprach, nicht irritieren ließ. Umso lächerlicher die Überraschung der Politikerkaste über die Tatsache, dass deregulierte Märkte, zügelloser Raubbau an den Ressourcen der Erde und repressive und demoralisierende Lebensumstände zu einem Untergang der Kultur und althergebrachter Lebensart führen würde, zu einer Gesellschaft in Auflösung und Verfall.

Eine spöttische Zunge nannte den Kapitalismus der Gegenwart einen Sozialismus für die Reichen und Superreichen: die Gewinne werden von der herrschenden Klasse eingesackt, die Unkosten und Verluste dagegen werden sozialisiert. Wie dem auch sei, es geschieht immer das, was der herrschenden Klasse nutzt und dies bedeutet, dass die, die am Drücker sitzen, auch dafür sorgen, dass es so bleibt wie es ist und wenn die Welt dabei in Stücke geht.

Auf die Schnelle das Versprechen in die Ferne gerückt, wird so aus dem Schlagwort "Wohlstand für alle" ein Reduktionsprogramm von "gleicher Bildungschance für alle" und es wartet dabei natürlich auf uns alle der Sanktnimmerleinstag, dass es sich später auszahlen möge, während vorerst die Rhetorik, 'du bist selber schuld, weil du dumm und faul bist', als vorauseilendes Erklärungsmuster eingeübt wird, um schon mal zu zeigen, woran es bei "allen" am Ende dann gehapert hat. Gemeint ist: zieht euch warm an, für euch wird nichts mehr übrig bleiben. Wer hier in diesem Land sein Schärflein noch nicht ins Trockene gebracht hat, wird es zu nichts mehr bringen. Wer unten ist, wird es auch bleiben.

Nunja, auf diesem Bodensatz blühen Korruption und Zynismus allemal.

Die Wirklichkeit ist recht einfach, die korrupte Politikerkaste hat noch einmal in einer gewaltigen Anstrengung die herrschende Klasse unter dem Stichwort 'Globalisierung' in eine Ausgangsposition gepuscht, die es ihr ermöglichte, sich die Welt ein letztes Mal zügellos auf eigene Rechnung anzueignen, paßgerecht nämlich im Weltmaßstab, um es in die Lage zu versetzen, sich von der hiesigen Bevölkerung und allen regionalen Bindungen und Beschränkungen abzukoppeln.

Die Bevölkerungsmehrheit bezahlt für die Privilegien der Reichen mit einer Verunsicherung oder gar Zerstörung ihrer Lebensumstände. Was Fortschritt war, wird zum Unterdrückungsinstrument. Aus dem Reich der Freiheit wird der Überwachungsstaat, der die kleinen Leute in Schach hält, um sie so schutzlos ausgeliefert, als Verfügungsmasse weiterhin dem Kapitalinteresse zuzuführen.

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Tag der Veröffentlichung: 20.09.2008

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