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Inhalt

 

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Nachtasyl

Wie der wilde Eber Masern bekam

Und Sonntag gibt’s Pflaumenkuchen

Bei Pohlmanns is Schwoof

Bei Musik kommt’s nicht auf die Stärke des Orchesters an

Ein 100 Mark Missverständnis

Mein Hauswirt Alfred

Alehol macht dsipiniert!

Einmal Pamplona reicht

Not the size of a friend is important

Fußball ist nicht alles, viel wichtiger ist eine gute Nachbarschaft

60 Seemeilen von Berlin

Zeit der Wunder

Nachtdreh

Besuch in einem schwedischen Möbelhaus

Aufgeschnappt

Ferien auf dem Dorf

Prolog

Reise ins Ungewisse

Niederndodeleben

 

Meine unbekannte Familie

Jochen lädt sich zum Essen ein

Die Knilche von Niederndodeleben

Warum werden Hähne nur so früh wach?

Beim Schmied

Es geht aufs Feld

Ferien dürften eigentlich nie zu Ende gehen

Kirschblüten im April

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Nachwort

Biografie

Andere Titel des Autors

Vorwort

Vorwort

 

Die Kurzgeschichte ist eine Übersetzung aus dem Englischen Short Story und eine moderne Form der Prosa, deren Hauptmerkmal durch Kürze gekennzeichnet ist. Das wird durch eine starke Komprimierung des Inhaltes erreicht.

Die Entstehung von Kurzgeschichten, wie auch des Fortsetzungsromans hängt eng mit der Entwicklung des Zeitschriftenwesens im 19. Jahrhundert zusammen, da Zeitschriften amerikanischen Autoren bessere Absatzmöglichkeiten als der bis dahin existierende Buchmarkt boten.

 

Diese Kurzgeschichten und Erzählungen sind zum Teil autobiografisch und basieren auf Erlebtem, zum Teil sind sie der Fantasie entsprungen. Auf jeden Fall wünsche ich gute Unterhaltung.

Nachtasyl

 

 

 

Die Dunkelheit kam sehr schnell und mit der Dunkelheit kam die Kälte. Ein leichter Schneeregen hatte eingesetzt und legte eine weiße, feuchte Decke über die Stadt. Passanten hetzten die Gehwege entlang, um letzte Geschenke für Weihnachten zu kaufen, während sich zu Hause die Familie auf das Fest vorbereitete.

 

Zwei zerlumpte, verlorene Gestalten, ausgestoßene der Gesellschaft durchsuchten Müllgefäße nach etwas Essbarem und schleppten sich von Müllgefäß zu Müllgefäß. Wenn einer fündig geworden war, hielt er den Arm hoch, um dem anderen die Beute zu zeigen, um sie mit ihm zu teilen. Gerade hatte einer eine Tüte mit Pommes frites gefunden, die er mit dem Freund teilen wollte. Die beiden Männer standen nebeneinander und aßen bedächtig die kalten Kartoffelstäbchen und betrachteten den Straßenverkehr, die Kapuzen ihrer Mäntel tief in die Gesichter gezogen. Die anderen Passanten, die eilig die Straße entlang liefen, um Schutz vor dem Wetter zu suchen, machten einen großen Bogen um die beiden.

„Wir sollten Walter bescheid sagen, heute Nacht wird es noch kälter.“ Der andere Mann nickte stumm kauend.

„Wir sollten uns heute eine andere Platte suchen.“

Der andere kaute immer noch schweigend und nickte zustimmend.

„Ich würde gern mal wieder warm duschen“, brummte er, nachdem er aufgegessen hatte. Ich hebe Walter einige Kartoffelstifte auf.“ Er faltete die Tüte zusammen und steckte sie in seine Manteltasche.

Der Erste, eine hoch auf geschossene, hagere Gestalt, mit einer Mütze unter der Kapuze, war bekleidet mit einer Jacke unter dem Mantel und dicken Schuhen. In der Hand trug er eine Tasche und eine Rolle mit einem Schlafsack. Der andere, etwas kleiner trug zwei Mäntel übereinander, die fast bis zum Knöchel reichten. Unter der Kapuze trug er eine Schirmmütze. Über der Schulter hing eine abgewetzte Tasche. In der Hand hielt er einige Plastiktüten, in denen sich seine Habseligkeiten befanden, nicht viel, offensichtlich.

Der Schneeregen war in ein Schneetreiben übergegangen und der Wind hatte aufgefrischt. Er ließ die Schneeflocken tanzen.

Die beiden Gestalten schlurften langsam aus dem Licht der Straßenlaternen der Hauptstraße, weg von dem pulsierenden Verkehr des Boulevards. Fernab von dem grellen Licht der Straßenlaternen, da wohin sich selten jemand verirrt, hielten sie an einem Stapel Pappkartons.

„Walter, bist du da?“ Statt einer Antwort erscholl aus dem Karton ein Rascheln und Grunzen. Ein Seitenteil klappte weg und von dem Angerufenen erschienen zunächst nur seine Füße, schließlich rutschte er ganz aus dem Karton.

„Walter, heute Nacht soll es bitterkalt werden. Minus 15 Grad. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Wir sollten uns ein anderes Quartier besorgen.“

Der Angesprochene richtete sich auf und streckte sich, in seiner Rechten eine Rotweinflasche.

„Wenn ihr meint“, brummte er und sah sie aus glasigen Augen an.

„Los komm, pack deine Sachen, damit wir noch ein Bett finden, bei der Bahnhofsmission oder so.“ Robert drängte zur Eile. Die Plastiktüten knisterten in seiner Hand knisterten im Wind.

 

Das Schneetreiben hatte inzwischen an Stärke zugenommen. Der Wind hatte fast Sturmstärke erreicht und wirbelte die Schneekristalle in Streifen durch die Luft.

Walter kramte seine Habseligkeiten aus seiner armseligen Unterkunft und zog die Kapuze fester ins Gesicht. Robert klopfte sich den Schnee von der Schulter und trat auf der Stelle, die kalten Füße zu wärmen. Robert kramte in seiner Tasche und zog die Tüte mit den Pommes Frites aus der Manteltasche.

„Hier, etwas feste Nahrung.“ Robert deutete auf Walters Weinflasche und grinste ihn an.

„Danke, die erste feste Nahrung heute.“ Er nahm die Tüte und drückte Robert die fast leere Flasche in die Hand und begann die kalten Pommes zu essen.

„Los, wir sollten uns beeilen.“ Wolfgang drängte zur Eile und die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung, gegen den Sturm ankämpfend. Sie zogen die Straßen entlang zum Nachtasyl.

„Wisst ihr, wovon ich die ganze Zeit träume“, brummte Walter, während er die letzten kalten Pommes kaute.

„Nein, aber du wirst es uns gleich sagen“, antwortete Robert.

„Von einem großen Teller Humus und einem warmen Fladenbrot, so wie ich es in Jordanien bei den Ausgrabungen gegessen habe. Meine jordanische Assistentin konnte das Brot hauchdünn über dem Feuer backen. Der Kichererbsenbrei bekam einen Hauch von Knoblauch in das Öl“

Sie liefen ein paar Schritte.

„Heute an Heilig Abend gab es immer eine Gans. Kross gebraten, mit einer Apfelfüllung und als Nachtisch Plumpudding. Alle Angestellten haben mit an der Tafel gesessen und mitgegessen und mitgetrunken, Mouton Rothschild 1972iger.“ Wolfgangs Stimme wurde ganz weich wegen der Erinnerungen.

„Könnt ihr mal aufhören vom Essen zu reden.“ Robert unterbrach die Unterhaltung über Erinnerungen.

„Was gab es bei euch zu Weihnachten“, setzte Wolfgang nach.

„Als meine Frau und meine Tochter noch lebten, gab es traditionell zu Heiligabend Kartoffelsalat und Würstchen, wie in vielen Familien im Land, gleich nach der Bescherung. Wir haben mit dem Essen immer noch so lange gewartet, bis Susanne die Geschenke geöffnet hatte. Nach dem Essen sind wir dann zusammen in die Mitternachtsmesse gegangen.“

Die Drei liefen schweigend die Straße entlang. Der Fahrzeugstrom hatte abgenommen und es waren kaum noch Passanten zu sehen. Der Schnee auf den Fußwegen tanzte in runden Wirbeln über das Pflaster. Die Beleuchtungen der Geschäfte waren verdunkelt nur noch die Leuchtreklamen waren angeschaltet und die drei liefen langsam und schwerfällig die Straße entlang in Richtung Bahnhof. Von irgendwoher waren Musikfetzen zu hören, Glockengeläute und Weihnachtslieder, die von hohen Kinderstimmen gesungen wurden und Robert summte leise mit, „Stille Nacht, Heilige Nacht.“

Zwei Frauen hasteten an ihnen vorbei, gut gelaunt, mit großen Tüten.

“Frohe Weihnachten!“ Ehe der freundliche Gruß von den Dreien erwidert werden konnte, waren die beiden auch schon verschwunden.

Eine Taxe fuhr schnell an ihnen vorbei, große Schneewirbel hinterlassend und verschwand im Schneetreiben.

Vor dem Asyl stand wartend eine Reihe von Gestalten, die ebenso wie sie, Schutz vor dem Unbill des Wetters suchten, ein Bett und eine warme Malzeit in dieser besonderen Nacht. Die Tür öffnete sich und ein Mitarbeiter der Bahnhofmission erschien im Türrahmen.

„Wir haben noch zwanzig Plätze frei, treten sie bitte ein.“

Ein allgemeines Gemurmel entstand und die Schlange der Wartenden löste sich auf verschwand im hell erleuchteten Türrahmen der geöffneten Tür.

Bevor Robert eintrat, klopfte er sich den Schnee von den Füßen und schüttelte sich. Sie betraten einen großen Raum, in dem es warm und gemütlich war. Wolfgang, Robert und Walter suchten sich einen freien Platz an den Tischen und legten ihre Jacken und Mäntel zwischen sich und schoben die Taschen und Tüten mit den Füssen unter den Tisch.

„Riech mal, es riecht nach Brathühnchen.“ Wolfgang drehte sich um und sog die Luft ein.

„Stimmt, lecker. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal Brathähnchen gegessen habe.“ Robert schnüffelte, wobei seine Nasenflügel bebten.

An der Essenausgabe ging die Jalousie hoch und die Mitarbeiter des Asyls begannen mit der Ausgabe. Langsam füllten sie die Tische mit Speisen, die die Gäste gierig betrachteten. Als auch der letzte sein Essen erhalten hatte, nahm der Leiter des Asyls, ein älterer, grauhaariger Mann mit einer rahmenlosen Brille, am Kopf der Tafel platz. Er klopfte mit dem Messer an sein Glas. Die Gespräche verstummten und der Mann erhob sich.

„Liebe Freunde, heute ist der Heilige Abend, an dem Jesus Christus, unser Herr geboren wurde.“

„Hoffentlich macht er nicht so lange“, flüsterte Robert, „ich habe einen Mordshunger.“

„Pssst“, tönte es von der anderen Seite und ein älterer Mann mit struppigen grauen Haaren und Bart sah ihn giftig an.

„Schon gut!“ Robert zog entschuldigend die Schultern hoch.

„…lasst uns gemeinsam das Vaterunser beten.“

Alle falteten die Hände und beteten leise, jeder für sich das Vaterunser.

Der Leiter des Asyls setzte sich wieder und alle taten es ihm nach.

„Liebe Freunde, ich wünsche euch eine gesegnete Weihnacht. Guten Appetit! Lasst es euch schmecken!“ Das Geklapper von Besteck begann und das Stimmengewirr nahm zu.

„Freunde, lasst es euch schmecken!“ Robert dreht ein Bein aus seinem halben Hähnchen und begann zu essen.

„Jetzt dazu einen Mouton Rothschild.“ Wolfgang seufzte.

„Hör auf zu plappern“, brummte Robert, trink lieber dein Mineralwasser.

„Du lebst immer noch in der Vergangenheit.“ Walter sah Wolfgang an.

„Nein, das ist nicht ganz richtig. Ich lebe für das Heute, ausschließlich für das Heute.“ Er blickte nachdenklich zu Boden und nickte mit dem Kopf.

„Nicht für das, was mal war und auch nicht für die Zukunft, die wir noch nicht kennen.“

„Aber darauf trinken wir!“

Die Drei erhoben ihr Glas und stießen an.

„Auf Weihnachten!“

„Auf Weihnachten und auf uns und unsere Freundschaft. Ohne unser gemeinsames Schicksal hätten wir uns nicht kennen gelernt.“

Wolfgang und Robert nickten und tranken ihr Mineralwasser.

Robert zerpflückte sein Hähnchen und aß es genussvoll, zwischendurch immer ein Stück Weißbrot in das Fett tunkend.

„Mouton Rothschild wäre jetzt nicht schlecht, oder wenigstens einen Macon. Danach eine Havanna und einen Cognac oder einen guten Brandy.“

Walter sah Wolfgang an. „Er träumt immer noch von den alten Zeiten.“

„Bei uns gab’s Heilig Abend nach dem Essen immer eine gute Zigarre und einen Cognac oder Brandy. Grand Duque d´Alba, ein spanischer Brandy aus Jerez.“ Er lehnte sich mit verklärtem Blick zurück.

„Grand was?“ fragte Robert irritiert.

„Grand Duque d´Alba“, wiederholte Wolfgang, immer noch in Erinnerungen schwelgend.

„Was ist Dalba“, bohrte Robert weiter.

„Das ist ein spanischer Weinbrand, genannt nach Herzog Alba, dem Besetzer der Niederlande, zur Zeit Wilhelm von Oraniens“, erklärte Walter geduldig und zerlegte einen Hühnerschenkel.

„Gut, dass wir einen Historiker in unseren Reihen haben“, bemerkte Robert bissig.

„Ich bin kein Historiker, ich bin Archäologe“, fügte Walter kauend hinzu. „Aber das hat nichts mit Geschichtswissen zu tun, sondern mit Allgemeinbildung.“

„Ach, jetzt kommst du so, nur weil ich ein dummer Bankkassierer war“, keifte Robert.

„Kinder, Kinder, keine Feindschaft. Lasst uns den Abend in Ruhe verbringen, ein jeder mit seinen Erinnerungen. Mehr ist ja auch nicht geblieben, wenn ich uns so ansehe“, versuchte Wolfgang die Gemüter zu beruhigen.

„Von meiner Firma und meiner Villa und den großen Abend-Gesellschaften sind mir auch nur noch die Erinnerungen geblieben“, wiegelte Wolfgang ab „und Grand Duque d´Alba ist ein Teil dieser Erinnerung.“

Alle beschäftigten sich schweigend mit ihrem Hähnchen.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen“, lenkte Robert nach einer Weile ein und legte seine fettige Hand auf Walters Arm.

„Es hörte sich nur so belehrend an und darauf kann ich im Moment nicht.“

„Macht nichts, du hattest gefragt und ich habe geantwortet. Deswegen keine Feindschaft. Wir haben doch alle den gleichen Status, keiner ist etwas Besseres. Wir leben alle auf der Straße und leben von der Straße. Wolfgang war reich und Unternehmer und was hat er jetzt – Erinnerungen. Du warst Kassierer bei der Bank. Wären deine Frau und deine Tochter nicht gestorben und du hättest nicht angefangen zu zocken und zu saufen, wärst du immer noch da. Stimmt doch, oder?“ Robert nickte.

„Und ich, hätte ich nicht angefangen zu saufen und zu bummeln, wäre ich vermutlich noch Professor für Archäologie, hielte Vorlesungen vor uninteressierten Studenten und würde in der übrigen Zeit in irgendeinem Loch sitzen und irgendwelche Artefakte ausbuddeln.“

Walter machte eine Pause und schob ein Stück Hühnerfleisch in den Mund.

„Aber so geht es auch. Niemand muss früh aufstehen, kein Wecker klingelt und abends, wenn wir uns zur Nachtruhe begeben, leuchtet oft das Sternenzelt über uns. Das ist doch auch etwas Lebensqualität, oder?“ Alle nickten zustimmend.

„Aber trotzdem könnte ich jetzt einen Brandy vertragen.“ Er sah sich um und grinste und die anderen sahen ihn an und er winkte ab.

„Ich weiß, ich weiß, haben wir nicht.“ Lachend warf er den abgenagten Knochen in die Schale.

Die anderen Besucher des Asyls waren schon fertig und hatten die ihnen im Schlafraum zugewiesenen Betten belegt.

Wolfgang, Robert und Walter standen auf, nahmen ihr Gepäck und gingen in den Waschraum.

„Endlich mal wieder warmes Wasser!“ Wolfgang ließ die Klamotten fallen und stellte sich unter die Dusche. Warmes Wasser prasselte auf seinen Kopf. Die anderen taten es ihm nach. Walter hatte ein Stück Seife und wusch sich.

„Sieh mal“, meinte er zu Robert, „das ist ein Stück Lebensqualität, wenn man sich über ein warmes Bad freuen kann.“ Der Schaum wurde vom Kopf abgespült, lief den Körper hinunter und sammelte sich in einer großen Pfütze in der Duschtasse.

Wolfgang war als Erster fertig und war bereits abgetrocknet, als er sich am Waschbecken rasierte. Robert stand neben ihm und sah ihn im Spiegel an.

„Eigentlich bist du ein ganz hübsches Kerlchen.“ Wolfgang drehte sich um und blickte ihm direkt in die Augen und zwinkerte.

„Aus dir könnte man auch noch etwas machen, aber für Enthauptungen bin ich eigentlich nicht.“ Robert stieß ihn mit gespielter Empörung in die Rippen. Wolfgang drehte sich lachend wieder um und rasierte sich zu Ende. Nach und nach zogen sie sich wieder an und traten vor das Waschbecken, die Zähne zu putzen.

„Ich fühle mich richtig sauber“, grunzte Robert, die Zahnbürste im Mund. Weißer Schaum tropfte vom Kinn. Er beugte sich herunter und spülte den Mund aus. Die anderen taten es ihm nach. Sie griffen ihre Taschen und Tüten und betraten den Schlafraum, die Schuhe in den Händen. Die übrigen Übernachtungsgäste schliefen bereits, laut schnarchend und grunzend, einige warfen sich im Schlaf unruhig hin und her. Wolfgang, Robert und Walter besetzten ihre Liegen und deckten sich mit den Decken zu und streckten sich wohlig aus.

Wolfgang streckte seine Hand aus und berührte die von Robert.

„Was ist?“, fragte dieser.

„Nichts“, antwortete dieser, „ich wünsche dir nur ein frohes Weihnachtsfest. Schlaf gut.“ Dann drehte er sich um und schloss die Augen.

Wie der wilde Eber Masern bekam

 

 

 

Es ist schon ein Weilchen her, aber ich erinnere mich noch genau daran, als sei es gestern gewesen. Das liegt vielleicht auch daran, dass das Langzeitgedächtnis inzwischen besser funktioniert, als das Kurze.

 

Die Gang, der ich damals die Ehre hatte anzugehören, lag ständig mit den anderen Banden rund um den Kissinger Platz im Kampf, wer die tollsten Streiche spielte – und wir waren sehr kreativ.

Zur unserer Gang, die aus dem Indianerstamm der Sioux (sprich Ssuu) hervorgegangen war, gehörte Eberhard, ehemals „Hauka Reporah“ der Medizin Mann, „Bärchen“ oder „Bärli“, der bürgerlich Dirk hieß, Sven sein großer Bruder und Günter. Die Bezeichnung „Hauka Reporah habe ich nie bei Karl May gefunden, obwohl ich fast alle Bücher von ihm gelesen habe und wir viele Geschichten und Erlebnisse von ihm nachgespielt haben.

Ich war, soweit ich mich erinnern kann in der vierten oder fünften Klasse und die anderen waren erheblich älter als ich. Sven und Dirk besuchten bereits ein Gymnasium.

Die Mitgliedschaft hatte ich mir durch viele Mutproben schwer erkaufen müssen, weil ich damals der Jüngste war. Ich war also nicht nur geduldet, sondern ein volles, wenn nicht sogar ein vollwertiges Mitglied. Darauf legte ich auch sehr viel Wert.

Es war Spätsommer, schon fast Herbst und wurde schon früher dunkel und die Laternen gingen immer früher an. Wir saßen Beine baumelnd auf der Müllkastenumrandung und wollten eigentlich noch nicht nach Hause und spielen ging eben auch nicht mehr, wegen des schwindenden Tageslichtes.

Wir überlegten, was wir noch tun könnten und kamen auf die glorreiche Idee Gaslaternen zu löschen, ein beliebtes Spiel zu der Zeit. Einer kletterte auf die Laterne, zog am Ring, der aus der Lampe herabbaumelte und fauchend erlosch die Laterne. Es dauerte nicht lange und wir hatten ganze Straßenzüge verdunkelt. Sven zeigte uns, wie man, ohne klettern zu müssen, eine Laterne aus bekam. Man musste nur kräftig gegen den Laternenmast treten. Wir verdunkelten die ganze Gegend. Zufrieden sahen wir uns an und lachten übermütig.

Aber unser Kampf war noch nicht gewonnen.

Nach einer Weile in der Dunkelheit, kam ein Mitarbeiter der Gaswerke mit einem Fahrrad und einer langen Stange auf der Schulter. Diese hatte an einem Ende einen Haken, mit dem man an dem Ring oben an der Laterne ziehen konnte, um diese neu zu starten. Schnell stellte er die Beleuchtung für die Straßen wieder her.

Doch dort, wo der Mitarbeiter der GASAG, so hieß die Gesellschaft, durch war, verdunkelten wir wieder die Straßen. Zufrieden zogen wir aus auf unsere Mauer vor dem Haus zurück und harrten der Dinge, die da kommen würden.

Und es dauerte nicht lange und eine Fahrradklingel ertönte. Wir drehten uns erschreckt um und sahen in der schwachen Fahrradbeleuchtung einen Polizisten vom nahen Revier am Kolberger Platz kommen, der auf uns zu hielt.

Er tippte sich an den Mützenschirm und stoppte neben uns.

„Guten Abend die Herrschaften! Ihr habt nicht zufällig die gesehen, die diesen Unsinn hier veranstaltet haben?“

„Nein Herr Wachtmeister, aber wenn wir jemanden sehen, sagen wir sofort Bescheid“, antwortete Sven und bemühte sich überzeugend zu klingen.

„Na gut, ich verlass mich auf euch.“ Der Polizist stieß sich ab und trat in die Pedalen und nach kurzer Zeit war sein rotes Rücklicht in der Dunkelheit verschwunden.

„So, Laternen ausmachen, können wir heute nicht mehr“, entschied Eberhard und kratzte sich am Kopf. Alle nickten stumm.

„..und jetzt, was machen wir mit dem angebrochenen Abend“, fragte Günter und sah in die Runde.

„Wie wär es denn mit Klingelstreichen?“ Bärlis Vorschlag wurde entrüstet von der Mehrheit abgelehnt. „Kinderkacke!“

„Das ist was für kleine Mädchen“, entschied Sven. „Weitere Vorschläge?“

Günter hatte sich eine Zigarette angezündet und begann zu rauchen. Begehrlich betrachteten wir die Zigarette, deren Glut in der Dunkelheit hell aufleuchtet, sobald er daran zog. Er bemerkte unsere Blicke und die Zigarette machte die Runde. Ich zog auch und musste husten. Alle sahen mich an.

„Also Lungenzug musst du noch üben“, sagte Günter und sah mich belustigt an.

„Wir könnten ja die Mülltonnen auf die Straße stellen, so zur Absperrung“, schlug Eberhard vor.

„Blöder Vorschlag, das haben wir doch erst Anfang der letzten Woche gemacht“, gab Günter von sich.

„Wie wär es denn mit Wallnussschalen in die Straßenbahnschienen in der Breiten Straße?“ Bärli versuchte seinen Vorschlag mit den Klingelstreichen wieder wettzumachen.

„Auch nicht neu!“ Eberhard winkte ab.

„Man müsste irgendetwas Irres machen, wovon der ganze Bezirk spricht, wovon vielleicht auch in der Zeitung berichtet wird, so etwas, was noch niemand gemacht hat.“ Ich sah mich im Kreise unserer Gang um. „Dann würden die anderen aber gucken.“ Gemeint war die andere Bande von der anderen Seite des Kissinger Platzes.

„Ja, aber was?“ Sven schlug sich auf die Schenkel.

„Ich habe da so eine Idee.“ Eberhard legte die Stirn in Falten und dachte nach.

Schließlich war er auch der Medizinmann, wobei die Betonung auf „war“ lag.

Alle sahen ihn gespannt an.

„Ich hab’s!“ Eberhard sprang von der Mauer.

„Wie wär’s denn, wenn wir das Schwein anmalen?“ Er sah sich um und sah nur ratlose Gesichter.

„Welches Schwein? Wo ist ein Schwein? Wieso anmalen?“ Die Fragen des Unverstandes prasselten auf ihn hernieder.

„Na der Eber, der wilde Eber!“ Wir konnten ihm geistig nicht folgen. Er reckte seine Hände in den Himmel, vor so viel Begriffsstutzigkeit.

„Mensch der wilde Eber, klingelt’s jetzt?“ Gemeint war eine Bronzeplastik an einem Platz in Schmargendorf, dem „Wilden Eber“, einem Kreisverkehr, in den sieben Straßen einmündeten und die erst vor Kurzem aufgestellt wurde.

Wir sahen uns entgeistert an.

„Mensch das ist die Idee“, platzte Sven heraus und sah Eberhard grinsend an. „Das können die anderen nicht besser!“ Gemeint war der Indianer Stamm von der anderen Seite des Platzes, mit dem wir in einer Art Konkurrenzkampf lebten, nachdem die Kriege eingestellt worden waren und die Kriegsbeile begraben wurden.

„Farbe habe ich auch, Weiße, mein Vater hat gerade die Fenster gestrichen und da ist bestimmt noch etwas davon übrig im Keller.“

Die übrigen sprangen voller Tatendrang von der Mauer.

„Na, denn los!“

„Mein Großvater hat auch noch einen Rest roter Farbe“, überlegte ich.

„Wir treffen uns hier in 10 Minuten“, entschied Eberhard „und kein Wort – zu niemand!“

Eberhard und ich wohnten im gleichen Haus und so brauchte ich wenigsten nicht allein in den Keller. Das verursachte trotz Kellerbeleuchtung immer ein Unbehagen. Ich stürmte die Treppe hinauf und schloss auf.

„Ach kommst du schon“, erkundigte sich meine Großmutter vorsichtig.

„Nee, ich bin gleich wieder weg, ich muss nur was holen.“ Meine Großmutter nickte und ging in die Küche.

Ich griff hastig den Kellerschlüssel, der am Schlüsselbrett neben der Tür baumelte, knallte die Tür ins Schloss und rannte die Treppe hinab. Unten traf ich Eberhard. Gemeinsam gingen wir zu unseren Kellern.

Ich griff den kleinen Farbeimer mit dem roten Farbrest und einen Pinsel, der in einem Glas mit Wasser stand, damit er nicht hart würde.

Die anderen warteten schon ungeduldig am Sammelplatz bei den Müllkästen.

„Na denn los!“ Eberhard gab das Startzeichen und unsere kleine Gruppe setzte sich in Bewegung. Langsam, leise und unauffällig, eben wie Indianer, bewegten wir uns die Straßen entlang.

Die Laternen brannten alle inzwischen wieder und es waren wenig Spaziergänger und Passanten unterwegs.

Am Wilden Eber, dem besagten Kreisverkehr, der an diesem Abend wenig befahren war, hielten wir an und sahen uns nach allen Seiten um – nichts! Wir huschten über die Straße und umringten den Eber, eine Bronzeplastik in natürlicher Größe.

„Los Jungs, hier haut rein!“ Eberhard verteilte die Pinsel und ich sicherte den Platz. Die Arbeit war schnell erledigt und der Eber strahlte in glänzenden weißen Lack.

Ich lief zum Eber, öffnete die rote Farbbüchse und tupfte über den ganzen Eber rote Punkte.

„So jetzt sieht er aus, als ob er Masern hätte.“ Zufrieden betrachtete ich mein Werk.

Aus der Rheinbabenallee tauchten die Scheinwerferkegel eines herannahenden Autos auf.

„Bloß weg hier!“ So schnell wir konnten, verzogen wir uns in eine der Seitenstraßen und liefen schweigend und zufrieden über unsere Arbeit nach Hause.

„Damit sind wir die Sieger“, entschied Sven zufrieden. „So etwas fällt den anderen nicht ein.“

„Dazu fehlt denen der Mumm“, ergänzte Günter, ich sage nur, „Waschlappen!“

An der Müllmauer trennten wir uns. Eberhard und ich brachten die Farbeimer noch in die Keller, ehe auch wir uns trennten.

Im Badezimmer entdeckte ich meinen roten Daumen, der aber glücklicherweise mit Nagellackentferner und Klopapier schnell zu reinigen war.

Das Abendbrot nahm ich fast schweigend ein. Im Geist malte ich mir schon die Gesichter derjenigen aus, die den Eber entdeckten.

Es verging ein Tag, an dem nichts geschah, kein Protest, kein Polizist – nichts! Wir trafen uns abends an den Mülltonnen und diskutierten enttäuscht über die Reaktion der Öffentlichkeit.

Doch am nächsten Tag stand es groß in der Zeitung, gleich auf der ersten Seite, mit einem Bild, das den Eber zeigte, mit grauen Punkten, die ja eigentlich rot waren. Da war von Zerstörung eines Kunstwerkes die Rede, von Sachbeschädigung und es wurde eine polizeiliche Überprüfung angeordnet, um den oder die Schuldigen zu finden.

Bei unserem abendlichen Treffen beruhigte Sven die Gemüter, weil einige von uns Angst hatten, ins Gefängnis zu müssen, falls die Ermittlungen Erfolg hätten.

„Keine Panik, mein Onkel ist Anwalt, der holt uns alle raus.“ Diese Aussage tröstete ein wenig, ohne dass uns die Furcht vollends genommen wurde.

Die Untersuchung wurde einige Tage später, wie man den Zeitungen entnehmen konnte, ohne ein Ergebnis abgeschlossen. Der oder die Täter waren nicht zu ermitteln – wie gut für uns. Die Allgemeinheit ging zur Tagesordnung über und der wilde Eber war schnell vergessen. Die weiße Farbe mit den roten Punkten wurde schon in den folgenden Tagen entfernt und die Plastik zeigte sich wieder in ihrer ursprünglichen langweiligen Bronzefarbe.

Anerkennung für die Tat haben wir nie von den anderen von der anderen Seite des Platzes erhalten. Wir hielten es für klüger nicht damit anzugeben und so ist eigentlich die ganze Aktion verpufft.

Und Sonntag gibt’s Pflaumenkuchen

 

 

An einem Sonntag, ich weiß nicht mehr genau wann es war, ich war jedenfalls noch ein Kind, etwa 10 Jahre alt, aber dieser besondere Sonntag ist mir im Gedächtnis geblieben.

Meine Großeltern und ich waren bei meiner Tante Ida zum Kaffee eingeladen, meine Eltern konnten nicht, waren irgendwie verhindert.

Immer wenn ich an meine Tante dachte, fiel mir ein Schmähgedicht ein. „Hallo sie da, heißen sie Ida, solche Ida, wie sie da, war noch nie da“ und ich musste grinsen.

 

Mein Großvater hatte seinen dunklen Anzug angezogen, der am Gesäß schon ein wenig blank wurde. Meine Großmutter hatte ihr Dunkelblaues aus dem Schrank genommen, das so nach Mottenkugeln roch, das mit der dunkelblauen Jacke und der Seidenbluse und ich wurde auch aufgefordert mich „fein zu machen“. Ich hasste solche Veranstaltungen und wäre lieber mit meinen Freunden durch die Gegend gezogen oder hätte auf dem Kissinger Platz Fußball gespielt. Aber ich musste zu meiner Tante Ida. Da half auch nicht die Versprechung, dass es Pflaumenkuchen gäbe, mit Schlagsahne.

Tante Ida backte auch immer Frankfurter Kranz mit pfundweise „Guter Butter“, als wenn es auch schlechte Butter gäbe. Auf jeden Fall machte die Butter den Kranz enorm nahrhaft und vor allem schwer, um nicht zu sagen, er lag nach dem Verzehr wie ein Stein im Magen und mich schüttelte es schon bei der Vorstellung. Ich musste immer ein Stück essen, es wurde mir regelrecht aufgenötigt, obwohl ich nicht wollte, da ich in der Vorstellung meiner Tante, die recht füllig war, wie ein dünner Hering aussah. Das kam allerdings daher, dass ich viel mit meinen Freunden unterwegs war, mit dem Fahrrad, mit Rollschuhen, mit Hühnerfedern. Zu den Hühnerfedern muss ich erklären, ich war Indianer vom Stamm der Sioux (sprich: SSuh) und ich war Späher. Eigentlich eine undankbare Aufgabe, da ich immer bei den Komantschen, die auf der anderen Seite vom Kissinger Platz hausten und gegen die wir permanent auf dem Kriegspfad waren, Geheimnisse auskundschaften musste. Wo sie zurzeit lagern, wie stark die Wachen waren und vieles mehr. Ich war der, der dadurch in die meisten Kampfhandlungen verwickelt wurde, die häufig in Prügeleien ausarteten. Na ja, man musste sich halt seiner Haut wehren.

Doch heute ging’s zu Tante Ida und da halfen auch keine Ausreden.

 

Als meine Großeltern fertig waren, machten wir uns auf den Weg. Ich hasste es, denn sobald wir vor der Haustür waren, strich mir meine Großmutter noch einmal die Haare glatt. Meine Eltern taten das auch immer und es hatte etwas Zwanghaftes für mich, so schlimm sah ich nicht aus, fand ich jedenfalls.

Damals gab es noch die Straßenbahn, die Linie 51, die uns von Schmargendorf, wo sie sich durch die enge Breite Straße schlängelte, über Wilmersdorf, wo wir in die Linie 3 umsteigen mussten, nach Neukölln brachte, wo meine Tante Ida und mein Onkel Hans und mein Cousin Detlef wohnten. Ich liebte die Straßenbahnfahrten, besonders, wenn im letzten Wagen der Platz des Fahrers frei war. Man hatte einen herrlichen Blick über die Straße, allerdings fuhr man rückwärts. Beliebt war auch der Platz neben dem Fahrer. Man konnte dann eingehend die Arbeit eines Straßenbahnfahrers beobachten, wie er ernst und bedächtig mit der Kurbel die Bahn beschleunigte oder abbremste. Interessant war auch, wenn er das Vorderfenster öffnete und mit einer langen Stange, die unten wie ein Brecheisen aussah, die Zungen der Weichen umlegte, um die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: P.Kaul
Bildmaterialien: P.Kaul
Lektorat: P.Kaul
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2014
ISBN: 978-3-7368-1966-5

Alle Rechte vorbehalten

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