Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kleines Wörterbuch zu Segelbegriffen
Danksagung
Biografie
Weitere Titel vom Autor
Beziehungskrisen oder Brüche von Beziehungen kommen in den besten Familien vor. Man sollte dabei nur nach vorn sehen und nicht zurückblicken, so schmerzlich das auch sein mag.
Jan hatte diese leidvolle Erfahrung auch machen müssen, ehe er aus der gewohnten Umgebung Hamburgs floh, um nicht mehr mit der Vergangenheit und seiner verlorenen Liebe konfrontiert zu werden und vor allem nicht mehr täglich an sie denken zu müssen.
Er suchte sich eine neue Heimat, das heißt, er veränderte seine Umgebung und wagte einen Neuanfang, alles hinter sich lassend. Das Beste, was er in dieser Situation machen konnte, wie er fand.
Meine Großmutter hatte bei solchen Situationen immer den passenden Spruch parat, der eigentlich ein wenig Trost spenden sollte. „Junge, es gibt nicht nur ne Handvoll, es gibt ein ganzes Land voll!“
Doch es geht hier auch um eine andere Leidenschaft – segeln.
Böse Zungen behaupten, Segeln sei die unbequemste und teuerste Art der Fortbewegung. Es sei, als ob man in Ölzeug unter der kalten Dusche stünde und Hunderteuroscheine zerreiße.
Wie dem auch sei, eine Bewertung des Segelns steht gar nicht zur Debatte!
Der weiße Kleintransporter hatte mittlerweile die Köhlbrandbrücke erreicht, die die Elbe weiträumig überspannte. Jan blickte in den Außenspiegel und betrachtete das Dingi, das auf dem Anhänger umgedreht festgebunden war und hinterher holperte. Die Gurte, die es hielten, waren fest verspannt.
Zufrieden widmete er sich wieder dem übrigen Straßenverkehr, der um diese Zeit nicht besonders dicht war. Vor ihm zuckelte schon die ganze Zeit ein großer Lastwagen, der ein Überholen unmöglich machte.
Jan schaltete das Radio ein und suchte einen Sender. Im Lautsprecher ertönte ein Lied von Bob Marley „Is this love“.
„Auch das noch!“, murmelte er leise vor sich hin und atmete tief und schwer.
Er betrachtete traurig das Bild von seiner „Ex“ Sabrina, dass am Armaturenbrett mit einem Strip festgeklebt war und sie die eigentliche Ursache für seine Flucht war.
Sabrina arbeitete in einer Werbe-Agentur und hatte sich in ihren Chef verknallt, Richard, einem alten Freund von Jan und es hatte so heftig gefunkt, dass Sabrina aus der gemeinsamen Wohnung mit Jan ausgezogen war.
Jan betrachtete das Foto mit Wehmut. Es war bei einer Bootstaufe im Ruderclub Alania entstanden. Er erinnerte sich gut daran. Sabrina war mitgekommen und hatte das Boot taufen dürfen. Er hatte einen Vierer gebaut, ein schlankes Boot mit Rollsitzen und allem, was dazu gehört. Neubauten kamen für ihn als Bootsbauer selten vor und es war einem glücklichen Umstand zu verdanken, mal wieder einen Neubau auf Kiel zu legen zu dürfen. Sonst hatte er es fast nur mit Reparaturen und Ausbesserungen von Booten zu tun. Allerdings über mangelnde Aufträge konnte er sich nicht beklagen. Sogar für die großen Werften, wie Bloom und Voss arbeitete er gelegentlich.
Bob Marley sang gerade „ …I’m willing and able, i throw my cards on your table. See: I wanne love ya, I wanne love and treat ya, love and treat ya right.”
Traurig riss er das Foto ab und zerriss es in lauter kleine Stücke, kurbelte das Fenster herunter und warf sie hinaus. Im Rückspiegel beobachtete er, wie sie der Fahrtwind über die Fahrbahn wirbelte. Der Anhänger mit dem Dingi holperte über eine Bodenwelle.
Er kurbelte das Fenster wieder hoch und stellte das Radio lauter und sang laut mit. „Is this love - is this love - is this love - Is this love that I'm feelin'?
Is this love - is this love - is this love....”
Der Lastwagen bog endlich rechts ab und Jan konnte etwas schneller fahren. Mit ein wenig Wehmut ließ er die Vergangenheit, Freunde und Hamburg hinter sich. Er hatte bald die Stadtgrenze erreicht, die durch ein gelbes Schild gekennzeichnet war.
Neben ihm auf dem Sitz lag Bruno, ein schwarzer Labrador, der schon seit einigen Jahren zu seinem Haushalt gehörte und den er als Welpen geschenkt bekommen hatte. Bruno lag schon die ganze Zeit dösend, nur hin und wieder öffnete er träge ein Augenlied, als wolle er sich versichern, dass Jan noch da war. Bruno miefte so vor sich hin, wie Hunde, speziell große Hunde es häufig tun und Jan überlegte, welches Futter er ihm gestern Abend gegeben hatte, als sich wieder eine Wolke ausbreitete.
„Mann Bruno, du bist kein Hund, du bist ein Stinktier.“ Jan verzog angewidert das Gesicht und öffnete das Seitenfenster und ließ etwas frische Luft in die Fahrerkabine. Bruno schien das überhaupt nicht zu stören. Zufrieden dösend und schmatzend lag er da und kaute an einem imaginären Knochen.
Die Landschaft, die an ihnen vorüberrauschte, wurde flacher und eintöniger. Große Ackerflächen lagen zu beiden Seiten der Landstraße und die Alleebäume warfen im Sonnenlicht dunkle Schatten über die Fahrbahn.
Unvermittelt hob Bruno den Kopf und brummte. Dabei sah er Jan an und wedelte mit dem Schwanz.
„Ja ja, ich muss auch. Wir suchen uns eine Stelle, wo wir den Lastwagen abstellen können.“
Nach etwa fünf Kilometern kam ein Rastplatz. Jan bremste und fuhr langsam auf den Halteplatz. Es parkte nur ein Fahrzeug vor ihnen, eine Familie mit zwei kleinen Kindern, die gerade ein Picknick veranstalteten. Jan schaltete den Motor aus, stieg aus und lief um den Wagen herum, die Beifahrertür zu öffnen. Auf diesen Augenblick schien Bruno nur gewartet zu haben. Mit einem Satz sprang er aus der Kabine und verschwand mit langen Sätzen zwischen den Bäumen, die den Rastplatz von den Feldern abtrennten.
„Guck mal ein Hund“. Das kleine Mädchen ließ das Brot sinken und sah Bruno nach.
Jan streckte und dehnte sich. An der Seite des Parkplatzes stand eine Reihe von drei Dixi-Klos. Er atmete tief ein, ehe er die Kabine betrat und versuchte den Atem anzuhalten. Ein penetranter, scharfer Uringeruch umwehte ihn.
„Puh, das riecht ja wie im Pumakäfig“, sagte er leise vor sich hin, während es unten im Tank plätschert. Hastig wusch er sich die Hände und verließ die ungastliche Stätte.
Von Weitem konnte er Bruno bellen hören, der über die Felder jagte.
Langsam lief er zu seinem Wagen zurück.
„Ist das dein Hund?“, erkundigte sich das kleine Mädchen. Jan nickte. „Und wie heißt er?“, fragte sie erneut.
„Bruno“, antwortete Jan.
„Das ist aber ein schöner Name für einen Hund“, sagte das kleine Mädchen, „ich heiße Melanie.“
„Das ist auch ein schöner Name“, sagte Jan.
„Melanie willst du nicht dein Brot essen?“, ermahnt sie die Mutter aus dem Hintergrund.
Melanie tat als habe sie es nicht gehört.
„Was ist das für eine Rasse?“
„Ein Labrador“, antwortete Jan. Melanie nickte verstehend.
„Darf ich Bruno mal streicheln?“, bohrte sie weiter.
„Da musst du Bruno fragen“, antwortete Jan und sah Melanie an.
„Kann der sprechen?“ Melanie setzte sich aufrecht hin und sah Jan fragend an.
„Schatz, willst du dein Brot nicht aufessen?“, fragte die Mutter erneut, aber Melanie antwortete nicht und sah nur Jan an.
„Nein, aber er wird dir schon mitteilen, ob er gestreichelt werden will oder nicht.“ Jan sah Melanie an und lächelte dann drehte er sich um und pfiff laut auf zwei Fingern. Der Pfiff wurde von Bruno mit einem Bellen quittiert. Er kam geduckt angerannt, mit fliegenden Ohren.
Neben Jan blieb er stehen und setzte sich.
„Du bist Bruno?“, fragte Melanie und sah Bruno an, dessen Zunge weit heraushing und der hechelte.
Sie war aufgestanden und lief langsam auf Bruno zu, der sie aufmerksam anblickte und dann zu Jan aufsah, der immer noch an der gleichen Stelle stand.
„Kann ich dich mal streicheln?“, fragte Melanie. Bruno sah Jan erneut an, ehe er aufstand und langsam auf Melanie zulief. Er schob seinen massigen Kopf schnüffelnd unter ihren Arm und blieb so fast bewegungslos stehen
„Bruno du bist ja ein liebes Hundchen“, sagte Melanie und vergaß dabei ihre Scheu .Sie streichelte ihm über das schwarze Fell. Bruno genoss sichtlich die Streicheleinheiten und stand still und schwanzwedelnd, mit hängendem Kopf, neben ihr. „Bruno mag dich“, sagte Jan und betrachtete die beiden.
„Mama, Bruno ist ja ein toller Hund“, sagte Melanie bewundernd, während sie Bruno kraulte.
„Melanie, Bruno und ich müssen weiter“, sagte Jan sanft und Bruno, der seinen Namen gehört hatte, sprang auf ihn zu und hätte dabei fast Melanie umgestoßen. Bruno blieb vor der Beifahrertür schwanzwedelnd stehen und sah von der Tür zu Jan und wieder auf die Tür.
Jan öffnete die Tür und Bruno sprang mit einem großen Satz auf den Beifahrersitz, wo er sich zusammenrollte und herzhaft gähnte.
„Auf wieder sehen Bruno.“ Melanie stand vor der Tür und wollte sich von Bruno verabschieden, doch der lag schon wieder in seiner Schlafposition und beachtete sie nicht mehr.
Jan schloss die Tür und verabschiedete sich von der Kleinen, ehe er selbst einstieg. „Tschüss Melanie, mach’s gut.“
Als das Fahrzeug vom Parkplatz rollte, stand das Mädchen noch traurig an der gleichen Stelle und sah Jans Auto hinterher.
Die Landschaft änderte sich langsam. Die Dörfer rückten immer weiter auseinander, dafür wurden die Felder größer, ebenso wie die Weiden, auf denen Herden schwarzbunter Kühe standen. Jan öffnete das Seitenfenster und atmete die frische Luft tief ein. Es roch bereits seit einiger Zeit leicht nach Meer, nach Nordsee, wie Jan fand, wenn Meer überhaupt riecht. Am Himmel tauchten schrill kreischend die ersten Möwen auf. Bruno knurrte leise.
„Es dauert nicht mehr lange, wir sind gleich da“, sagte Jan ruhig und streichelte Brunos Kopf. Dieser quittierte das mit dem Zucken der Schlappohren, die Augen öffnete er jedoch nicht.
„Du faule Ratte!“, lachte Jan.
Die Straße fiel zum Meer etwas ab, obwohl sie noch kurz vorher eigentlich vollkommen eben erschien. Nach einigen Windungen der Straße, tat sich ein Hafen vor Jan auf. Dahinter waren einige weiß gestrichene Häuser mit Reetdächern zu sehen, deren Wände und Giebel aus rötlichen Klinkern bestanden. Ein idyllisches Nest, wie Jan fand. Im Hafen lag eine Reihe von Fischerbooten, Kutter und Trawler, dicht an dicht vertäut und die emsige Tätigkeit der Mannschaften war von Weitem zu sehen. Männer luden Kisten von den Booten auf Lastwagen. Jan passierte langsam das Ortseingangsschild zu dem Nest, das schhon aus der Ferne zu sehen war und in dem er künftig leben würde, „Norderhus“. Die Möwen, die vorhin Bruno erschreckt hatten, gehörten zu einem ganzen Schwarm, der schrill kreischend über den Fischerbooten kreiste und auf Futter wartete.
Am Kai quietschten die Winden der Kräne, die Kiste auf Kiste aus den Schiffbäuchen hoben. Ein Schiffsdiesel lief tuckernd und hinterließ schwarze Qualmringe in der Luft, die sich nur langsam im schwachen Wind verteilten, der zurzeit herrschte.
Jan fuhr langsam den Kai entlang und betrachtete neugierig die dort liegenden Fischerboote.
Bruno hatte sich aufgesetzt und verfolgte ebenfalls interessiert das Geschehen.
Einige der Fischer sahen neugierig herüber, wer da am Hafen entlangfuhr. Offensichtlich waren Fremde recht selten in dieser Gegend und besonders solche, die Lieferwagen fuhren und ein Dingi im Schlepp hinter sich herzogen, noch seltener.
Jan beschleunigte und fuhr die Straße weiter nach Norden. Häuser waren nur noch vereinzelt zu sehen. Bei den letzten beiden verlangsamte Jan die Fahrt. „Elf, zwölf, das hier, das muss es sein!“, sagte er leise. Er bremste abrupt, sodass Bruno fast vom Sitz gerutscht wäre. Er sah sich erschreckt um. Jan hielt vor einem heruntergekommenen Haus an, dessen Fensterläden schief herunterhingen. Das Reetdach schien so weit in Ordnung zu sein, aber die Fenster hatten seit langer Zeit keine Farbe mehr gesehen.
Jan stieg aus und zog das Exposé des Maklers aus der Tasche. Er verglich das Bild darin mit dem Original. Bruno nutzte die Gelegenheit und sprang aus der Fahrertür. Er trabte zur Gartenstür und hob das Bein.
Im Garten des Nachbarhauses war ein älterer Mann, mit einem Elbsegler auf dem Kopf, damit beschäftigt, den Rasen zu harken. Er unterbrach seine Arbeit, stützte sich auf die Harke und betrachtete Jan, der immer noch das Haus mit der Abbildung im Exposé verglich.
„Entschuldigen sie, kann ich ihnen vielleicht helfen?“
Jan trat an den Zaun. „Ja, vielleicht? Ist das die Nummer zwölf?“
Der ältere Mann trat näher an den Zaun und sah Jan an.
„Ja, das ist die Nummer zwölf. Sind sie der neue Eigentümer?“
„Ja, aber auf den Bildern sah das anders aus, also viel besser.“
Der Mann lachte. „Der Makler hat bestimmt alte Fotos genommen. Früher war das ein schönes Haus, voller Leben.“
Jan quälte sich ein Grinsen ab. „Ja, aber dass muss schon lange zurückliegen.“
Der Mann lachte erneut. „Ja, das stimmt. Früher war das eine schöne, gepflegte Villa.“ Er sah Jan direkt an.
„Sie sind also der Herr Meyer?“, er machte eine Pause, „der Makler hat mich informiert.
Jan sah in erstaunt an. „Ja, ach entschuldigen sie bitte, dass ich mich nicht vorgestellt habe, aber ich war schon ein wenig irritiert. Sie können mich Jan nennen.“
„Mit ein bisschen Farbe und Liebe kann man schon was daraus machen.“ Der Mann deutete auf das Haus.
„Ich glaube das hält nur noch die Farbe zusammen.“ Jan deutete auf das Haus und schüttelte den Kopf.
Der Mann lachte. „Na ja, sie sind ja noch jung.“
Jan warf einen Blick in das Exposé. „Ich fürchte, wenn ich fertig bin, bin ich alt. Das ist eine Lebensaufgabe.“
„Soll ich sie mal durchs Anwesen führen?“ Der alte Mann schlüpfte durch ein Loch in der Hecke. „Kommen sie!“
„Gern, machen wir eine Besichtigungstour. Aber Anwesen hört sich richtig protzig an.“ Jan lachte.
„Ach ich habe vergessen sie mit Bruno bekannt zumachen.“ Er deutete auf den Hund, der bei der Nennung seines Namens mit dem Schwanz wedelte und von einem zum anderen sah.
Der alte Mann lief durch den Vorgarten, gefolgt von Jan und Bruno, der an allen Pflanzen schnüffelte und etwas zurückblieb.
„Wo kommen sie denn längs?“, fragte der alte Mann und sah sich während des Laufens halb um.
„Aus Hamburg. Ich bin Bootsbauer und habe die Werkstatt am Hafen übernommen, aber wenn die genauso runter ist.“
Der alte Mann war stehen geblieben und hatte sich umgedreht.
„Nee nee, keine Bange, die Werkstatt am Hafen ist topp. Der alte Besitzer Jens Jensen hat bis zum Schluss Kutter repariert. War immer was zu tun.“
Jan war ebenfalls stehen geblieben. „Sie sind also mein Nachbar?“
Der alte Mann lachte, „kann man so sagen. Ich heiße Hinnerk Lürssen. Ich bin Lotse, oder besser, ich war Lotse. Jetzt bin ich im Ruhestand.“
Sie liefen weiter zur Haustür, die unter einer Verandaüberdachung lag, die mit hölzernen Balken auf der Veranda abgestützt war. Die Stufen knarrten bedenklich, als sie nach oben liefen. Jan schloss auf. Die Tür öffnete sich knarrend und hing ein wenig, da sich ein Scharnier etwas gelöst hatte. Bruno rannte bellend durch den Garten. Er jagte offensichtlich Mäuse oder irgendein anderes Getier.
Die Tür schwang vollends auf und sie betraten die Diele. Einen großen fast quadratischen Raum, von dem viele Türen abgingen.
Sie blieben stehen und sahen sich um. Spinnweben hingen von den Decken.
„Gruselig, sieht aus wie in einer Geisterbahn“, sagte Jan grinsend und deutete auf die Spinnweben. Die Dielen des Fußbodens waren mit einer dicken, grauen Staubschicht bedeckt und knarrten.
Jan blickte sich um und zog die Stirn kraus. „Na ja, hätte ja noch schlimmer kommen können.“
„Ist schon schlimm genug. Sie hätten das Haus mal früher sehen müssen.“ Hinnerk drehte sich um und betrachtete Decken und Boden kritisch.
Sie liefen langsam weiter in die Küche. An der Spüle unterhalb eines Fensters war das Spülbecken. Der Wasserhahn war von Spinnweben überzogen und das Spülbecken hatte einen brauen Besatz. Es sah alles recht unappetitlich aus. Jan drehte den Wasserhahn auf und gurgelnd lief eine braune Brühe in das Becken.
„Ein wenig Fantasie braucht man schon. Ich denke, ich habe genug davon.“
Hinnerk lief durch die Küche und blieb am Fenster stehen.
„Ich hätte den Makler verklagt.“
Jan nickte bekräftigend. „Ich werde ihn an die Tür nageln“, sagte er lachend. „Auf eine Nachbesserung wird es schon hinauslaufen. Aber das Haus hat was.“
Sie liefen durchs Wohnzimmer und betrachteten den Kamin.
„Hier standen früher die Pokale von den Regatten.“
Jan nickte und blieb stehen. „Wollen wir mal nach oben?“
Langsam liefen sie die knarrenden Stufen der Treppe ins Obergeschoss, die ebenfalls von einer dicken Staubschicht bedeckt waren. Generationen von Spinnen mussten ihre Netze zwischen den Pfosten des Geländers gesponnen haben. Sie sahen sich die Räume an.
„Na ja“, brummte Jan und lief die Treppe hinunter zur offen stehenden Ausgangstür.
„Ich glaube die Tür brauche ich nicht abzuschließen. Ist ja auch nichts zu klauen.“
„Sie brauchen tatsächlich nicht abzuschließen. Wir sind nicht in Hamburg.“ Hinnerk lachte glucksend.
Sie liefen die Veranda herunter durch den Garten. „Da ist ja noch ein Schuppen, sieht genauso baufällig aus, wie das Haus.“
„Ja, also eine pflegende Hand braucht der auch.“ Hinnerk versuchte sich ein Lachen zu verbeißen. Jan öffnete die Tür, immer auf der Hut, dass diese nicht abfiel. Vorsichtig betraten sie den Schuppen. Durch die kleinen Fenster fiel ein spärliches Licht und beleuchtete ein großes von Planen verhülltes Objekt.
„War lange niemand hier“, stellte Jan fest.
„Ja, scheint so.“ Hinnerk blieb vorsichtig an der Tür stehen, während Jan auf den Gegenstand zulief und die Planen anhob.
Darunter tauchte ein großes Segelboot auf, also, was davon noch übrig war, dass auf seinem Kiel stand und mit Balken abgestützt war Hinnerk trat hinter Jan. „Ach hab mich schon gewundert, wo die „Seute Deern“ abgeblieben ist. Hier also steht sie.“ In seiner Stimme war so etwas, wie Rührung herauszuhören.
„Die wer?“, fragte Jan ahnungslos.
„Die „Seute Deern“, das war mal zu seiner Zeit das schnellste Boot auf der Nordsee. Jens Jensen und ich haben so manche Regatta gewonnen. Ich wusste gar nicht, dass er die noch hatte und nicht verkauft hat. Muss er wohl vergessen haben.“
Jan zog den Rest der Plane herunter und lief um das Boot herum. Das Boot stand auf seinem Kiel und wurde durch einige Balken abgestützt, die am Boden mit Keilen befestigt waren. Der schlanke Mahagoni Rumpf, mit vom Kiel sanft aufsteigenden, schnittigen Bug und Heck wies einige Löcher in den Planken auf, durch die man ins Innere sehen konnte. Der ehemals durchsichtige Lack blätterte in großen Flächen ab und darunter wurden dunkle Stellen sichtbar. Es war in einem bedauernswerten Zustand, ziemlich verrottet.
An einer Seite war eine Leiter angelehnt. Der lange Mast und der Baum waren an der Decke aufgehängt, und in einem ebenso schlechten Zustand. Ein dichtes Netz von Spinnweben war zwischen den Salingen, die die Wanten am Mast spreizen, zu sehen. Generationen von fleißigen Spinnen hatten auch hier offenbar jahrelang ungestört ihre Netze spinnen können.
„Das scheint mal ein Seefahrtskreuzer gewesen zu sein.“ Jan klopfte an verschiedenen Stellen an den Rumpf.
„Sie kennen sich ja mit so was aus“, meinte Hinnerk und beobachtete ihn neugierig.
„Nicht nur, dass ich ein marodes Haus erworben habe, jetzt auch noch einen maroden Schuppen und ein Wrack!“
Jan lief lachend und kopfschüttelnd um das Boot herum. Hinnerk folgte ihm. Hin und wieder blieb Jan stehen und klopfte auf den Rumpf.
„Also das, was von dem Boot übrig geblieben ist, hört sich noch ganz gut an. Muss mal ein schönes Boot gewesen sein“, sagte Jan.
„Sie hat den optimalen Riss, hat man damals gesagt“, meinte Hinnerk mit einem schwärmerischen Unterton.
„Wer hat das gesagt, der Makler?“ Jan hörte auf zu lachen.
„Nee, nee, die Segler“, Hinnerk lachte laut auf, „die haben damals gesagt, das Boot hätte den optimalen Lateralplan.“
„Ah Lateralplan, was verstehen sie davon?“ Jan sah Hinnerk ernst an.
„Nichts, aber das hatte man damals gesagt. Ich erinnere mich nur an meinen Segelkurs, da wurde gesagt: „Der Lateralplan ist die Projektion des Unterwasserschiffs in der Mittschiffsebene.“
Hinnerk zuckte mit den Schultern, als wollte er sich entschuldigen.
„Stimmt genau. Aber jetzt werde ich erstmal mein Auto entladen und den Besen und den Staubsauger suchen. Irgendwann muss ich ja mal anfangen.“
Brunos Bellen wurde lauter und plötzlich jagte er durch den Schuppen um das Boot herum.
„Bruno aus!“, rief Jan laut, „hier her!“ Bruno brach seine Jagd ab und setzte sich neben Jan. Er sah zu Jan auf, während er leise hechelte.
„Fehlte mir noch, dass Bruno die Pallhölzer umreißt und das Wrack umfällt.“ Jan schüttelte den Kopf. „Na ja, vielleicht auch nicht so schlimm, dann hätte ich genügend Brennmaterial für den Winter.“
Hinnerk lächelte wieder und kratzte sich unter seinem Elbsegler am Kopf. „Dann geben sie also nicht auf?“
Jan klopfte laut auf den Bootsrumpf. „Nein, jetzt erst recht nicht.“
„Recht so! Widerstände sind dazu da, überwunden zu werden“, sagte Hinnerk mit etwas lauterer Stimme.
„Ist ja irgendwie komisch, das Gleiche hat mein Großvater auch immer gesagt“, brummte Jan kopfschüttelnd.
Jan und Hinnerk verließen den Schuppen und liefen zum Haus.
„Bis zu dem Zeitpunkt, als Almuth die Frau von Jens Jensen starb, lief alles rund. Nach ihrem Tode lief dem Jens alles aus dem Ruder. Jetzt lebt er im Altenheim, in der Nähe seiner Schwester, in Husum.“ Hinnerk sah nachdenklich auf den Boden.
„Ich komme mir vor, als wenn ein Kavenzmann auf mich zurollt“, brummte Jan angesichts des schlechten Zustandes des Hauses, des Schuppens und der „Seute Deern“.
„Na, so schlimm ist es aber auch nicht“, versuchte Hinnerk zu beruhigen.
Sie liefen weiter auf die Straße und blieben an Jans Auto stehen.
„Sie können nachher gern zum Tee kommen“, schlug Hinnerk vor.
„Mit Klunjes?“, fragte Jan.
„Ja, auch mit Kluntjes, aber vor allem mit einem ordentlich steifen Schuss Rum“, Hinnerk lachte laut, „Kluntjes kann, Rum muss!“
Nach dem Tee bei Hinnerk, wo es wie versprochen Tee mit Kluntjes und viel Rum gab, machte Jan Ernst und begann das Haus auf den Kopf zu stellen. Er hatte die Haustür sperrangelweit geöffnet, ebenso wie die Fenster und dicke Staubwolken wehten über die Terrasse. Von Weitem sah es aus, als ob es brennt. Hin und wieder erschien Jan mit einem großen Besen in der Hand, um etwas Luft zu holen. Bruno hatte sich etwas abseits niedergelassen und besah sich das ganze aus der Ferne. Hinnerk war wieder im Garten und dabei die Hecke zu schneiden. Er sah hin und wieder kopfschüttelnd zu Jan herüber, mit so etwas wie Mitleid in seinem Blick. Jan war wieder im Haus verschwunden und erzeugte neue Staubwolken. Verbissen reinigte er sein „Anwesen“, wie Hinnerk das Ganze ironisch bezeichnet hatte.
Jan hatte auf der Veranda einen großen, schwarzen Müllsack in einem Gestell angebracht. Er war schon halbvoll und immer wieder kam Jan heraus, mit einem vollen Kehrblech in der Hand und leerte es in den Sack. Im Haus polterte und schepperte es. Hinnerk kam interessiert näher, blieb neugierig am Zaun stehen und sah und hörte zu, wie Ja im Haus herum fuhrwerkte.
Nach einer Weile, in der dicke neue Staubwolken aus den Fenstern und der Tür quollen, kam Jan hustend heraus „So, jetzt ist Schluss! Hier bekomme ich ja noch eine Staublunge. Ich glaube ich such mir mal den Staubsauger. Aber so geht’s schneller.“ Er verschwand in den Tiefen seines Transporters und kam mit einem großen Staubsauger mit Rädern wieder heraus. Das Gerät sah aus wie „R2-D2“, der Roboter aus dem Film „Krieg der Sterne“, nur dass der Staubsauger einen langen Schlauch hatte.
Bruno hatte bisher die Aktion seines Herrchens mit einer stoischen Ruhe betrachtet. Als Jan jedoch das Gerät einschaltete, entschloss er sich, seinen Platz auf der Veranda zu räumen. Langsam trottete er auf den Weg vor dem Haus, fast an Hinnerks Zaun, wo er sich niederließ.
Es klapperte, eine junge und sehr hübsche Frau mit hochgesteckten, blonden Haaren näherte sich langsam auf einem Fahrrad. Auf dem Gepäckträger saß ein etwa 10 jähriger, blonder Junge, der Jan neugierig beobachtete, bis sein Blick an Bruno hängen blieb, der es sich inzwischen auf dem Grasstreifen zu Hinnerks Garten bequem gemacht hatte.
Die junge Frau bemerkte Hinnerk, der immer noch am Zaun stand und Jan zusah, wie dieser das Haus reinigte.
„Moin moin Hinnerk, wie geit di dat?“, grüßte die Frau freundlich, während der langsamen Vorbeifahrt und klingelte mit der Fahrradklingel.
„Moin, moin, danke Frauke, gut“, antwortete Hinnerk, „euch auch?“ Die Frau nickte und winkte Hinnerk zu und fuhr langsam weiter mit einem klappernden Schutzblech. Der Junge beobachtete immer noch Bruno, der aber keine Notiz von ihm zu nehmen schien und verrenkte sich fast den Hals.
Jan, der gerade aus dem Haus kam, hatte den beiden interessiert nachgesehen.
„Wer war das?“, fragte Jan und ging ein paar Schritte auf Hinnerk zu.
„Wer, das?“, fragte Hinnerk und deutete fragend auf die Radfahrerin, die in der Ferne verschwand, „ach, das, das ist die Frauke mit ihrem Sohn Micha.“
„Ach so“, sagte Jan beiläufig, wobei er sich bemühte seine Neugier zu verbergen. Er ging zu seinem Transporter und schleppte einige große in Pappe verpackte Kästen ins Haus. Hinnerk widmete sich wieder seiner Hecke, sah jedoch hin und wieder herüber.
Am späten Nachmittag schleppte Jan sein Mobiliar ins Haus, eine Matratze, viele große und unzählige kleine braune Kisten eines blauen, schwedischen Möbelhauses mit gelber Schrift. Schränke, Geschirr, Besteck, Decken, Kopfkissen, ein Sofa, einen Herd, einen Kühlschrank, Mikrowelle, Geschirrspüler, eine Waschmaschine und vieles mehr, kamen aus der Tiefe seines Transporters, und des Anhängers, zum Vorschein. Bei der Waschmaschine ging ihm fast die Puste aus, sodass er sich die Sackkarre holte, ebenfalls aus den Tiefen des Transporters.
Die Sonne stand schon recht tief über dem Horizont, als er fertig war. Er setzte sich auf die Stufen seiner Terrasse und öffnete eine Flasche Bier. Bruno kam langsam näher und legte sich zu seinen Füßen ins Gras.
„Na Bruno, wie sieht’s mit Futter aus? Hunger?“ Bruno fühlte sich sofort angesprochen, hob den Kopf und wedelte freudig mit dem Schwanz.
Jan verschwand in der Küche und holte Wasser und eine Schale Hundefutter, über das sich Bruno gierig hermachte. Jan schraubte mit seinem Akkuschrauber noch rasch einige Küchenmöbel zusammen, hängte Schränke an die Wand und stellte die entsprechenden Unterschränke auf. Das versiffte Spülbecken tauschte er gegen eines aus seiner mitgebrachten Küche aus und schloss es an. Als er aus dem Spülenschrank kroch, noch die Zange in den Händen sah er sich zufrieden um. „Na bitte, wird doch langsam.“
„Komm Bruno rasch für Herrchen noch das Bett zusammenbauen.“ Mit dem Akkuschrauber in der Hand stürmte er die Treppe zum Obergeschoss hinauf, gefolgt von Bruno, der ihm mit wehenden Ohren folgte.
Der Rahmen des Bettes war schnell zusammengeschraubt, dafür benötigte er noch nicht einmal die Anleitung aus dem Karton.
Er legte Lattenrost und Matratze
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Peter Kaul
Bildmaterialien: Peter Kaul
Lektorat: Peter Kaul
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2014
ISBN: 978-3-7368-1187-4
Alle Rechte vorbehalten