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Inhaltsverzeichnis

134

 

Half Moon

 

Prolog 2

Die Verwandlung 4

Cats School 16

Versagt 37

Teamwork? 47

Die Kobolde 60

Neue Kräfte 72

Ein alter Bekannter 80

Die Ratsversammlung 89

Auf eigene Faust 95

Im Untergrund 106

Gefangen 115

In letzter Sekunde 118

Das Tor zur Macht 127

Epilog 133

 

 

 

 

Prolog


Ich lebe auf demselben Planeten wie ihr alle auch, nur mit einem Unterschied. In meiner Welt sind Dämonen und andere Fabelwesen real. Ich selbst bin ein Katzendämon und habe damit die Fähigkeit, durch den Schleier zu sehen, der über den Normalsterblichen liegt. Dank meinem dämonischen Blut sehe ich die Welt so, wie sie ist. Eigentlich bin ich noch kein richtiger Dämon, denn man ist erst mit 14 in der Lage, sich zu verwandeln. Und wenn man es ganz genau nimmt, bin ich selbst dann nur ein Halbdämon. Den Tag, an dem ein Katzendämon 14 wird, nennt man auch seine zweite Geburt. Es ist einer der wichtigsten Tage im Leben eines jeden von uns und morgen ist mein grosser Tag. Ehrlich gesagt freue ich mich überhaupt nicht auf den Augenblick, in dem ich mich in ein katzenartiges Monster verwandle. Natürlich ist das dann nicht für immer, aber es dauert den ganzen Tag, dann wird man wieder zum Menschen zurückverwandelt. Wenn ich das erst einmal überstanden habe, kann ich mich jederzeit wieder verwandeln, sofern ich das beherrsche. Ab morgen wird sich mein ganzes Leben komplett verändern, nichts wird mehr so sein wie zuvor. Nachdem ich ein richtiger Katzendämon geworden bin, werde ich auf die Cats School gehen. Das ist eine kleine Schule im Bundesstadt Kansas in Manhattan. Ich lebe aber nicht einfach in einem Teil der Stadt, den jeder kennt. Meine Familie wohnt in einer riesigen Villa im Stadtteil Half Moon. Normalsterbliche, „Normalos“ wie wir sie nennen, können diesen Teil der Stadt gar nicht betreten. Er befindet sich mitten in Manhattan und kein Mensch kennt ihn oder weiss überhaupt, dass er existiert. Etwa 2000 Katzendämonen leben dort, genau wie ich und meine Familie.

 

Das Schuljahr beginnt am 5. September und morgen ist der 27. August. Also habe ich gerade einmal neun Tage Zeit, mich an die Verwandlung zu gewöhnen. Auf die Cats School kommen jedes Jahr alle Katzendämonen, die 14 Jahre alt geworden sind. Dort verbringen sie dann vier Jahre mit ihrer Ausbildung zu Dämonen-Jägern. Ja wir werden zu Dämonen-Jägern ausgebildet. Das ist wohl auch der Grund, warum uns alle anderen Dämonen nicht ausstehen können. Sie verachten uns dafür, dass wir lieber die Menschen beschützen statt wie die anderen versuchen, ihnen das Leben zur Hölle zu machen. Dämonen treiben sich überall herum und sind für die Normalos nicht sichtbar. Wenn Menschen stolpern, eine Bank ausgeraubt wird, ein Feuer ausbricht oder sonst irgendein Unglück geschieht, sind die Dämonen nicht weit. Wie alle anderen Katzendämonen vor mir soll auch ich auf diese Schule gehen und ein Dämonen-Jäger werden. Nicht dass ich den Dämonen nicht gerne die Tour vermiesen will, aber ich bin nicht einfach irgendwer. Mein Name ist Sky Halfmoon, ich bin der Sohn von Victoria und Samuel Halfmoon. Somit gehöre ich der Familie an, die das Viertel Half Moon und die Cats School in Manhattan gegründet hat. Mein Vater ist auch der jetzige Direktor der Schule. Die ganze Familie erwartet nun von mir, dass ich als späterer und einziger Erbe genauso ein erfolgreicher Dämonen-Jäger werde, wie meine Eltern welche sind. Die Halfmoon-Familie leitet schon lange den Vorsitz der Urfamilien-Versammlungen. Diese Versammlung besteht insgesamt aus fünf Familien: den Halfmoons als oberste Familie, Flashlight, Skynight, Snowflake und Sunwheel. Meistens kommen die Familien gut miteinander aus, nur die Familie Flashlight ist seit Jahren mit meiner Familie verfeindet. Das liegt daran, dass sie neidisch auf den Vorsitz ist, den meine Familie innehat. Die Familien fallen nicht nur durch ihren Reichtum auf: Jedes Familienmitglied trägt ein silbernes Mal im Gesicht, dessen Form sich der entsprechenden Familie zuordnen lässt. Ich selbst habe einen silbernen Halbmond auf meiner Stirn. Solche Male besitzen nur die fünf Urfamilien. Man hat es bereits bei seiner Geburt und angeblich verleiht es einem besondere Kräfte. Bei jedem Träger zeigt es sich anders, mein Vater zum Beispiel ist besonders stark. Aber nun genug der Vorgeschichte! Morgen beginnt mein Leben wirklich, wie es mein Vater immer sagt. Dann wollen wir doch einmal sehen, ob er damit recht hat.


Die Verwandlung


Da ich um fünf Uhr morgens geboren bin, habe ich mich auch genau zu dieser Zeit verwandelt. Zuerst habe ich gar nichts bemerkt und friedlich weitergeschlafen. Meine Fingernägel, die sich in Krallen verwandelt hatten, haben leider das Kissen aufgeschlitzt. Die Federn haben sich dann im ganzen Zimmer und auf mir verteilt. Überall hatten sie sich in meinem Fell verfangen und irgendwie war eine in meinen Mund geraten. Ich spuckte sie aus und sprang aus dem Bett, dabei löste ich einen richtigen Federntornado aus. Genervt ging ich zur Tür und riss sie auf, ich unterschätzte meine Kraft und so hielt ich die Türklinke in meiner Hand.
„Verdammter Mist, das darf doch alles nicht wahr sein“, fluchte ich und legte sie in das Regal neben der Tür. Als ich den Flur entlanglief, der zum Badezimmer führte, hinterliess ich eine Spur aus Federn. Im Badezimmer angekommen betrachtete ich mich im Spiegel. Ich sah genauso aus wie jeder andere Katzendämon auch. Mein ganzer Körper war mit einem kurzen schwarzen Fell bedeckt, wodurch meine weissblonden Haare ziemlich hervorstachen. Das Gesicht war katzenartiger geworden, die Augen sahen aus wie Katzenaugen, auf meinem Kopf sassen zwei Katzenohren und meine oberen Eckzähne waren zu sehen. Meine Arme waren länger und meine Hände etwas grösser. Die Krallen, die das Kissen auf dem Gewissen hatten, waren fast wieder normale Fingernägel, wenn auch ein bisschen spitzer. Doch wenn ich wollte, konnte ich sie wie Katzen ausfahren, das ging so einfach wie die Augen zu schliessen oder den Mund zu öffnen. Die Beine hatten sich am meisten verändert. Eigentlich sahen sie genauso aus wie die richtigen Hinterbeine einer Katze, nur eben, dass ich damit aufrecht ging, und als ich mich umdrehte, war da ein richtiger Katzenschwanz. Nachdem ich genug von meinem Spiegelbild hatte, sprang ich unter die Dusche. Frisch geduscht ging ich in mein Zimmer zurück und schlüpfte in ein paar neue Klamotten. Die Uhr zeigte erst sechs Uhr morgens an, also beschloss ich mich, nochmals etwas hinzulegen.

 

Da mein Zimmer aussah, als hätte ich darin ein Huhn gerupft, legte ich mich im Wohnzimmer auf die Couch. Lange konnte ich jedoch nicht schlafen, denn meine Mutter hatte wohl in mein Zimmer geschaut.
„Sky, wo steckst du!?“, rief sie und riss mich aus dem Schlaf.
Erschrocken sprang ich auf und stand in geduckter Haltung mit ausgefahrenen Krallen mitten im Wohnzimmer. Es ging ein paar Sekunden, bis ich kapierte, dass ich nicht angegriffen wurde. Ich entspannte mich und antwortete ihr:
„Ich bin im Wohnzimmer, Mum!“
Während sie die Treppe herunterkam, schimpfte sie munter weiter:
„Was um alles in der Welt hast du mit deinem Kissen angestellt, dein Zimmer sieht aus wie ein Hühnerstall. Ausserdem hast du die Federn überall im Flur verstreut und in der Dusche sind auch noch welche.“ Als sie dann vor mir stand, wedelte sie mit der Türklinke vor meiner Nase herum. „Und könntest du mir erklären was mit der hier passiert ist?“ Sie hielt mitten in der Bewegung inne und musterte mich. Dann tippte sie sich mit der Türklinke an den Kopf. „Wie konnte ich das nur vergessen, heute ist ja dein 14. Geburtstag! Alles Gute mein Schatz!“, sagte sie und nahm mich samt Türklinke in den Arm. Das war wieder einmal typisch, zuerst staucht sie mich zusammen und dann fällt ihr ein, dass ich heute Geburtstag habe. Sie liess mich wieder los und fuhr mit der Musterung fort. Ihre grauen Augen betrachteten mich von oben bis unten.
„Was ist denn das für ein Lärm so früh am Morgen?“, fragte mein Vater und kam im Pyjama die Treppe herunter.
Im Gegensatz zu meiner Mutter war Dad kein Frühaufsteher und schon gar nicht in den Ferien.
„Kaum ist unser Sohn ein richtiger Halbdämon, schon richtet er überall Chaos an. Du solltest dir mal sein Zimmer ansehen, Sam.“
„Da kommt er eben ganz nach seinem Vater.“
„Ich hoffe doch sehr, dass das nicht der Fall ist“, sagte Victoria und lächelte ihren Mann an.
„So schlimm bin ich nun auch wieder nicht“, sagte mein Vater und liess sich auf das Sofa fallen.
„Darüber lässt sich streiten, aber ein andermal, ich muss los.“
„Was fordert denn deine Anwesenheit?“
„Ein paar Kobolde treiben wieder einmal ihr Unwesen und da ich für solche Fälle zuständig bin, muss ich kurz nach dem Rechten sehen. Das wird nicht lange dauern, wartet mit dem Kuchen auf mich!“ Kaum war sie durch die Tür verschwunden, tauchte sie wieder auf. „Die hier hätte ich beinahe vergessen“, sie legte die Türklinke auf die Kommode und verschwand wieder.
„Ist das eine Türklinke?“
„Naja, ich habe meine Kraft wohl etwas unterschätzt“, gab ich verlegen zu. Daraufhin brach mein Vater in Gelächter aus. „Dad, das findest du witzig, dann solltest du erst einmal mein Kissen sehen.“
„Wieso, hast du es zu Tode gedrückt?“
„Nicht ganz, ich habe es erstochen.“ Das fand mein Vater noch komischer.
„Dann schnapp dir den Staubsauger und bring das wieder in Ordnung, das mit der Tür erledige ich.“ So kam es, dass ich an meinem Geburtstag zum Hausputz verdonnert wurde. Meine Kräfte nützten mir hierbei leider nicht viel. Nach zwei Stunden hatte ich dann endlich auch noch die letzte Feder eingesaugt. Endlich war ich damit fertig und so stellte ich den Staubsauger zurück in den Schrank.

„Sky, betätigst du dich nun schon als Putzfrau?“
„Heute ist einfach nicht mein Tag.“ Ich drehte mich um, und dort lässig am Türrahmen lehnend, stand mein Cousin Ice. Wie immer trug er eine dunkelorange Mütze mit einer weissen Schneeflocke vorne drauf. Darunter schauten noch ein paar weisse Haarsträhnen hervor. Weisse Haare waren in der Familie Snowflake nichts Besonderes, auch meine Mutter hatte weisse Haare. Das Mal der Familie Snowflake ist eine Schneeflocke. Da meine Eltern beide ein Mal tragen, habe ich jenes von meinem Vater geerbt. Wenn aber nur einer der beiden Elternteile ein Mal besitzt, wird es auf jeden Fall weitergegeben. „Du hast einen ganzen Tisch zerstört, als du dich das erste Mal verwandelt hast.“ Er grinste breit.
„Der Tag ist noch lange nicht vorbei.“ Ice war etwa drei Monate älter und würde mit mir gemeinsam die Cats School besuchen. Sein Vater war der Bruder meiner Mutter und zusammen mit seiner Frau Kathrin und Ices kleiner Schwester Cloud wohnten sie mit uns zusammen im Halfmoon-Anwesen. Ich lebte mit meinen Eltern in den unteren beiden Ebenen und Ice in den beiden anderen Etagen. Allerdings hielten sich unsere beiden Familien in beiden Wohnungen auf und assen auch gemeinsam. Nur das Abendessen nahm jede Familie für sich ein.
„Wenn ich den ganzen Tag schon so verbringen muss, dann gehe ich lieber nach draussen. Dort kann ich wenigstens nicht allzu viel kaputt machen.“
„Da habe ich doch gleich eine super Idee, wie wäre es, wenn wir ein wenig auf den zwei Eichen herumklettern würden?“
„Ich weiss nicht, ich komm ja nicht einmal auf einen der Bäume rauf.“
„Hast du schon vergessen, du bist ein Katzendämon, und was können Katzen, genau, sie können klettern.“ Damit mochte Ice zwar recht haben, aber ich konnte mich noch allzu gut an seine letzten super Ideen erinnern. Einmal hatte er vorgeschlagen, im Haus Football zu spielen. Nach der Aktion hatten wir zwei Wochen Hausarrest. Aber seine klar beste Idee war die Sache mit der Badewanne gewesen. Danach mussten wir alle für ein paar Wochen in ein Hotel ziehen, da das ganze Haus einen riesigen Wasserschaden hatte. Trotz allem antwortete ich: „Na gut, was kann schon gross schiefgehen.“
„Ich wusste doch, dass du mich nicht im Stich lassen würdest, und ich versichere dir, es macht ungeheuren Spass, von einer zur anderen Eiche zu springen.“ Gemeinsam gingen wir in den riesigen Garten des Anwesens. Die beiden Eichen standen gleich neben der kleinen Gartenlaube. Eine der beiden war schon ziemlich alt und ein bisschen morsch. Ice jedoch versicherte mir, dass nichts passieren könne. „Dann wollen wir mal“, er zog sich Schuhe und Socken aus. „Den hier ziehe ich wohl auch besser aus, den hat mir meine Mutter erst gerade gekauft.“ Schnell streifte er sich auch noch sein blaues Kapuzenshirt über den Kopf. Es war eines seiner Lieblingskleidungsstücke, da es weisse Schneeflocken darauf hatte. Nun stand er nur noch mit seiner Mütze und weissen Shorts bekleidet da. Dann rannte er zum Baum, sprang an den Stamm und kletterte wie eine Katze nach oben bis zum untersten Ast. Geschickt schwang er sich auf ihn und schaute herausfordernd zu mir nach unten. Er hatte sich gerade so weit verwandelt, dass seine Nägel zu Krallen und seine Augen zu Katzenaugen geworden waren. Da wir uns sehr ähnlich sahen, hatten uns schon viele für Brüder gehalten. Wir waren etwa gleich gross, ich war vielleicht zwei Zentimeter grösser, hatte die gleiche sportliche Figur, was für Katzendämonen nichts Besonderes war, und auch fast dieselbe Haarfarbe. Nur unsere Augen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Seine waren hellblau, schon fast weiss und meine so dunkelblau, dass man sie schon fast für schwarz hätte halten können.

„Worauf wartest du, Sky?“
„Ich komm ja schon, lass mir nur ein wenig Zeit.“ So schwer konnte das doch gar nicht sein. Genau wie Ice holte ich Anlauf und sprang vom Boden ab. Doch wieder einmal hatte ich meine Kraft weit unterschätzt. Anstatt auf dem untersten Ast landete ich in der Baumkrone der 15 Meter hohen Eiche. Erstaunt blickte ich nach unten zu Ice. Der grinste mich nur breit an.
„Du hast wohl keine Ahnung vom Ausmass deiner Kräfte, was?“
„Nicht wirklich, aber ich hoffe doch sehr, dass ich das noch herausfinden werde.“ Vorsichtig kletterte ich etwas tiefer.
„Sehr elegant sieht das aber nicht gerade aus; soll ich dir zeigen, wie das geht?“ Nun verwandelte er sich ganz und schwang sich elegant von Ast zu Ast.
„Ich bin doch kein Affe“, beschwerte ich mich. Ice überging meine Bemerkung und kletterte weiter, bis er neben mir landete.
„Jetzt werde ich dir das zeigen, wozu wir hier raufgeklettert sind.“ Er fixierte den anderen Baum und sprang. Sicher landete er auf einem Ast und rief zu mir herüber: „Komm schon Sky, vertrau deinem Instinkt.“ Na toll, für ihn waren die vier Meter Abstand kein Problem, aber ich hatte überhaupt keine Übung. Nach kurzem Zögern entschloss ich mich dann doch zu springen, schliesslich wollte ich nicht, dass Ice mich für einen Feigling hielt. Ich ging in die Hocke und sprang. Zuerst sah es so aus als würde ich es nicht mehr schaffen, doch dann erwischte ich noch einen Ast. „Siehst du, ist doch ganz leicht“, sagte er während er wieder auf den anderen Baum wechselte. Nach ein paar Versuchen wurde es tatsächlich ein wenig einfacher.

„Was hältst du nun davon, wenn wir Fangen spielten?“
„Gegen dich habe ich sowieso keine Chance.“
„Ich halte mich etwas zurück, einverstanden?“
„Einverstanden, aber du fängst an.“ So jagte er mich den Baum rauf und runter, bis er mich schliesslich doch erwischte. Nun musste ich ihn jagen, auch mir gelang es, ihn zu fangen. Eine Weile ging dieses Spiel so weiter, bis ich wieder an der Reihe war, ihn zu fangen. Eine ganze Weile versuchte ich ihn schon zu erwischen, doch immer, wenn ich ihn fast hatte, entwischte er doch noch. „Was ist los,
Sky, wirst du müde?“, fragte er mich lässig am Baumstamm lehnend. Dieses dämliche Grinsen in seinem Gesicht machte mich wütend; mit aller Kraft stiess ich mich ab und schoss auf ihn zu. Ice schien meine Reaktion bereits erwartet zu haben und sprang beiseite. Ich konnte nicht mehr ausweichen und so knallte ich voller Wucht gegen den Stamm. Ein lautes Knacken war zu hören und dann begann er ganz langsam umzufallen. Zusammen mit der Eiche krachte ich ins Dach der Gartenlaube. Das Dach gab nach und die ganze Laube viel in sich zusammen. Zu meinem Glück wurde ich nicht vom Baumstamm erschlagen, dafür wurde mein Arm unter einem Ast eingeklemmt. „Sky, ist alles in Ordnung!?“
„Wenn du so nett wärst und diesen Ast beseitigst, hättest du was gut bei mir.“ Nach all den misslungenen Plänen und Ideen von Ice hätte ich es doch eigentlich besser wissen müssen. Aber nein, ich musste ja unbedingt auf ihn hören. Die Schmerzen in meinem linken Arm hatte ich also nur mir selbst zuzuschreiben.
„Halt durch Sky, ich komme schon!“ Ice kletterte über die Trümmer hinweg und ging neben mir in die Hocke. Dann stemmte er den Baum nach oben. Schnell rollte ich darunter hervor, und er liess ihn wieder fallen. Vorsichtig rappelte ich mich auf und Ice half mir aus den Trümmern.

„Was war denn das für ein Lärm?“, fragte mein Vater, der eben aus dem Haus gekommen war. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen und starrte auf die Überreste der Laube. „Bei allen Dämonen, was habt ihr beide bloss wieder angestellt?“ Betreten schauten wir auf unsere Füsse.
„Tut mir leid, Dad, aber Ice hatte wieder einmal einen seiner genialen Einfälle. Naja, und du weisst ja, was bei denen rauskommt.“
„Hey, jetzt schiebst du mir wieder die ganze Schuld in die Schuhe“, beschwerte er sich.
„Wenn es doch wahr ist! Jedes Mal endet es in einem Fiasko.“ Ice wollte gerade etwas erwidern, als mein Vater dazwischenfuhr.
„Schluss jetzt, hört auf, euch gegenseitig die Schuld zuzuschieben, ihr seid beide gleichermassen schuld! Jetzt soll mir mal einer erklären, wie ihr das angestellt habt.“ Wir erzählten ihm, wie wir Fangen gespielt hatten und ich dann in den Stamm gekracht war. Kopfschüttelnd hörte er sich das Ganze an. „Die Gartenlaube ist auf jeden Fall hinüber, da kann man auch nichts mehr machen. Und was den Baum angeht, sieht es wohl kaum besser aus. Ist wenigstens mit euch alles in Ordnung?“
„Bis auf meinem Arm hier geht es mir gut.“ Mein Vater nahm meinen Arm und schob den Ärmel zurück. Dann begann er, fachmännisch daran herumzudrücken. „Aua, geht das nicht etwas vorsichtiger?“
„Ein Mitglied der Halfmoon-Familie kennt keinen Schmerz“, erwiderte er und fuhr ungerührt fort: „Gebrochen ist ganz sicher nichts, etwas Eis und das ist wieder in Ordnung.“ Er scheuchte uns in die Küche und wies uns an, am Tisch Platz zu nehmen. „Hier, leg den auf deinen Arm“, sagte mein Vater und reichte mir einen Eisbeutel.
„Danke, Dad, und das mit der Gartenlaube tut uns wirklich leid, nicht wahr, Ice.“ Als der nichts sagte, rammte ich ihm den Ellenbogen meines heilen Armes in die Seite.
„Tut uns wirklich leid“, würgte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
„Dann werde ich wohl oder übel den Baum zu Kleinholz verarbeiten und die Laube reparieren. Sofern da noch etwas zu retten ist.“ Mein Vater verschwand nach draussen. Das war eine der besten Seiten meines Vaters, er brachte immer alles wieder in Ordnung, was ich und Ice zerstörten. Dies tat er meist, ohne uns gross dafür zu bestrafen.
„Willst du mir meine Rippen brechen?“
„Tut mir leid, du weisst doch, diese Kräfte sind noch neu für mich.“ Etwas von „muss mein Kapuzenshirt holen“ murmelnd, verschwand auch er.

 

Ich ging in mein Zimmer und kühlte weiter meinen Arm. Erstaunlicherweise tat es schon fast nicht mehr weh, das war ein grosser Vorteil. Verletzungen heilen wirklich schnell. Dieser Tag wurde ja immer besser, zuerst das mit meinem Kissen und der Türklinke, dann die Gartenlaube und zuletzt noch mein Arm. Meine Mutter würde ganz sicher nicht so gelassen reagieren wie mein Vater. Um keinen weiteren Schaden anzurichten, beschloss ich, für den Rest des Tages in meinem Zimmer zu bleiben und Musik zu hören. Als ein Lied zu Ende ging, hörte ich in der Zwischenpause die Stimmen meiner Eltern.
„Sie haben was gemacht!?“, hörte ich meine Mutter rufen.
„Das habe ich doch schon gesagt, sie haben die Gartenlaube zertrümmert“, erwiderte mein Vater ganz ruhig.
„Wie kannst du denn so ruhig bleiben, Samuel?“
„Victoria, er kann seine Kräfte einfach noch nicht einschätzen und das ist auch kein Wunder, da er sich doch das erste Mal verwandelt hat. Ausserdem kennst du doch Ices verrückte Ideen, die gehen immer schief.“
„Du hast es ihnen also einfach so durchgehen lassen?“
„Sie haben es doch nicht mit Absicht gemacht, wichtig ist nur, dass er seine Kraft zu kontrollieren lernt und ein guter Dämonen-Jäger wird.“ Meine Mutter seufzte und sagte dann:
„Ich weiss, du willst, dass dein Sohn einer der besten Jäger wird, die es je gegeben hat, aber du darfst ihm nicht alles durchgehen lassen.“ Mein Vater schien über ihre Worte nachzudenken, denn es war totenstill.
„Vielleicht hast du recht, aber da heute sein Geburtstag ist, können wir ja einmal eine Ausnahme machen.“
„Ein Mal“, sagte meine Mutter, und ich konnte mir förmlich vorstellen, wie sie dabei die Augen verdrehte. Das tat sie nämlich ziemlich oft. Da hatte ich wohl noch einmal Glück gehabt. Bei solchen Sachen stand mein Vater immer voll hinter mir. Dafür war er ziemlich versessen darauf, mich zum besten Jäger auszubilden. Seit ich gehen konnte, übte er mit mir das Kämpfen, und seit ich denken konnte, unterrichtete er mich in der Dämonologie. In beidem hatte ich das Talent meines Vaters eher nicht geerbt. Eigentlich war ich in überhaupt keiner Disziplin wirklich gut. Mein Vater sagte zwar immer, das würde sich ändern, wenn ich mich erst mal verwandelt hätte. Ich hoffte sehr, dass er damit recht hatte.

„Sky, wo steckst du denn? Es gibt deinen Lieblingskuchen.“ Kokosnusskuchen mit Schokoladenüberzug, das klang wirklich verlockend. Schnell ging ich nach unten. Am Treppenende wartete bereits meine Mutter auf mich. Die Kobolde mussten sehr zahlreich gewesen sein, denn meine Mutter hatte einen Verband am linken Handgelenk.
„Mum, was ist mit deinem Handgelenk passiert?“
„Nicht so wichtig, das erzähle ich dir später, Sky. Lass uns erst den Kuchen essen gehen!“ Sie schob mich aus dem Haus auf die Terrasse. „Da die Gartenlaube leider zerstört ist, müssen wir wohl oder übel hier essen.“
„Nimm es nicht so schwer, Schwesterlein, wir können sie ja wieder aufbauen!“ Am Gartentisch sass meine ganze Familie. Meine Grosseltern Ice und Severina Snowflake, meine Oma Bloom Halfmoon, Ices Eltern und seine kleine Schwester Cloud und natürlich meine Eltern. Dazu muss ich noch erwähnen, dass mein Cousin den Namen unseres Grossvaters trägt.
„Kein Wunder, dass eure Söhne nur Blödsinn im Kopf haben, wenn ihr ihnen alles erlaubt!“
„Victoria, lass es für heute gut sein und setz dich endlich!“
„Ist ja schon gut, Kevin. Sagt später aber nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.“ Dann endlich assen wir den Kuchen.
„In wenigen Tagen wirst du auf die Cats School gehen und unsere Familie vertreten. Darum will ich dir etwas Besonderes anvertrauen.“ Bloom holte ein blaues Dämonenschwert aus ihrer Tasche. Es war kein normales Schwert, wie es die Ritter im Mittelalter verwendet hatten. Die Klinge erschien per Knopfdruck, so ähnlich wie bei den Lichtschwertern bei Star Wars. Nur wurden diese Schwerter mit Dämonenenergie betrieben. Um diese Energie in das Schwert zu bekommen, musste man den Dämon zuerst besiegen. Je stärker der besiegte Dämon, je stärker die Klinge des Schwertes. „Das war das Schwert deines Grossvaters. Mit ihm kämpfte er vor sieben Jahren gegen die Basilisken“, bei diesen Worten nahm ihr sonst so ausdrucksloses Gesicht eine traurige Miene an. Für ein paar Familien ist der 27. August vor sieben Jahren einer der schlimmsten Tage ihres ganzen Lebens. An meinem siebten Geburtstag griffen fünf Basilisken aus dem Nichts das Halfmoon-Viertel an. Man hat nie herausgefunden, woher sie kamen und warum sie angegriffen hatten. Basilisken sind eigentlich sehr selten und fünf Stück auf einmal sind so gut wie unmöglich. So unmöglich es auch scheint, es war wirklich geschehen. Bei diesem Angriff starben sieben Katzendämonen, darunter Sky, der Vater meines Vaters. Dabei fällt auf, dass auch ich einen Namen trage, den mein Grossvater bereits getragen hat. In der Halfmoon-Familie war es Tradition, den Namen seines Grossvaters zu tragen. „Im Kampf gelang es ihm, zwei Basilisken zu töten und ihre gesamte Macht in sein Schwert zu schleusen. Dabei wurde er jedoch schwer verletzt und starb nach ein paar Tagen an den Folgen seiner Verletzungen.“ Sie sah mir eindringlich in die Augen. „In seinen letzten Stunden rief er seine Familie zu sich und richtete seine letzten Worte an uns. Du selbst hast sie gehört und ein Teil galt ganz allein dir“, sie zeigte auf mich. „Er wollte, dass du an deinem vierzehnten Geburtstag sein Schwert Regulus bekommen solltest.“ An diese Worte konnte ich mich noch sehr gut erinnern. Ich war damals sehr überrascht, dass ausgerechnet ich eines der mächtigsten Dämonenschwerter bekommen sollte.
„Regulus, kleiner König“, murmelte ich, als ich es entgegennahm.
„Ich hoffe doch sehr, dass du deinem Grossvater alle Ehre machen wirst.“ Da war sie schon wieder, diese grosse Erwartung, ich würde einer der Besten.
„Ich werde mein Möglichstes versuchen“, erwiderte ich. Als nächstes bekam ich noch einen Sensor in Form eines Halbmondes an einer Kette, der anzeigt, wann ein Dämon in der Nähe ist.
„Den Rest deiner Ausrüstung bekommst du von der Schule.“

Solche Sensoren bekam man eigentlich auch von der Schule, aber die Urfamilien hatten normalerweise einen in Form ihres Males. Ice hatte auch einen, eine Schneeflocke, die in ein Armband eingearbeitet war.
„Weisst du, Sky, dein Grossvater hat schon bei seinem ersten Einsatz einen Dämon auf Stufe drei erledigt und das ganz alleine.“ Ja, er war ein grossartiger Jäger, und das, obwohl er nicht zu den Urfamilien gehörte. Mein Vater hatte zweifelsohne sein Talent und das seiner Mutter geerbt.
„Ihr wolltet doch wissen, was bei meinem Einsatz geschehen ist“, wechselte meine Mum das Thema.
„Genau, du wurdest verletzt, was ist passiert?“, fragte Severina.
„Zuerst schien es ein ganz normaler Auftrag zu sein. Irgendwelche Kobolde trieben ihr Unwesen in der U-Bahn, nichts Besonderes.“ Ihr Gesicht verfinsterte sich und sie schüttelte den Kopf. „Als ich jedoch eintraf, wurde ich gerade noch Zeuge einer riesigen Versammlung. Es müssen um die hundert gewesen sein.“
„So viele an einem Ort, das ist doch äusserst seltsam“, mischte sich Kathrin ein. Victoria nickte.
„Genau das habe ich auch gedacht. Die Versammlung löste sich jedoch gerade auf und es waren noch etwa vierzig anwesend, als sie mich bemerkten.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fuhr dann fort: „Sie haben mich angegriffen, anstatt wie sonst zu fliehen. Schliesslich gelang es mir, diese kleinen Biester zu vertreiben, nicht aber ohne mir dabei noch eine kleine Schramme zu holen.“ Kobolde halten sich für gewöhnlich nicht in grösseren Gruppen auf und einen Katzendämonen greifen sie sonst auch nicht an, so viel wusste ich schon einmal.
„Das gefällt mir nicht, in letzter Zeit sehen wir immer häufiger Kobolde und immer in grösseren Gruppen“, sagte mein Vater und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Zerbrecht euch nicht den Kopf über diese harmlosen Kreaturen, sie veranstalten wieder einmal irgendeinen Blödsinn. Ihr könnt euch immer noch aufregen, wenn sich stärkere Kreaturen versammeln“, sagte Bloom abfällig. Meine Eltern warfen einander einen Blick zu, sie schienen beide nicht gerade davon überzeugt zu sein, was meine Grossmutter da sagte. Sie liessen dieses Thema jedoch ruhen und unterhielten sich dann über irgendwelche Feuerdämonen, die neulich ihr Unwesen trieben und Wälder in Brand steckten.

Das war etwas, womit man als Dämonen-Jäger leben musste. Nie wurde über normale Sachen geredet wie zum Beispiel einen Film, den man neulich gesehen hatte. Immer wurde über die Jagd und die Dämonen geredet. Sogar wenn man von der Schule sprach, liess sich das Thema Dämonen nicht vermeiden. Ich beteiligte mich nicht sonderlich an ihren Gesprächen und so zogen Ice und ich uns zurück. Wir gingen auf den Platz vor dem Haus und warfen ein paar Körbe.
„Willst du eigentlich in die Basketball-Mannschaft der Schule?“, fragte ich Ice.
„Ich glaube nicht, Basketball ist nicht so mein Ding, aber was ist mit dir?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, dazu bin ich nicht gut genug.“
„Ist das dein Ernst? Du gewinnst immer, wenn wir beide spielen, und gegen deinen Vater gewinnst du auch ziemlich oft. Sam hat doch selbst einmal in der Mannschaft gespielt und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war er sogar der Captain.“ Er hatte nicht ganz unrecht, wenn ich so darüber nachdachte, war das das Einzige, was ich von Dad geerbt hatte. Basketball war schon immer ein Hobby von mir gewesen, nicht dass ich in irgendeiner Mannschaft gespielt hätte.
„Vielleicht sollte ich es versuchen, die Mannschaft der Cats School ist immerhin eine der besten.“ Ice grinste und schnappte mir den Ball weg.
„Das liegt vielleicht auch daran, dass sie nicht ganz normal sind.“
„Sie benutzen ihre Kräfte in einem Spiel doch gar nicht“, sagte ich, während ich mir den Ball wider verschaffte, „es sei denn, sie sind gewaltig im Rückstand.“ Dann warf ich meinen sechsten Korb. „Zwölf zu vier für mich!“
„Weisst du, was, mir reicht’s, gegen dich habe ich sowieso keine Chance. Probier lieber Regulus aus“, schlug er vor.
„Es gehört zwar jetzt mir, aber ich weiss nicht, sollte ich es nicht lieber nur im Kampf nutzen?“
„Sei doch nicht immer so ein Spielverderber!“
„Du weisst doch, dass die Schwerter einen eigenen Willen haben, sie folgen nur demjenigen, der sie erschaffen hat.“
„Aber auch demjenigen, dem es gehört, und das bist ja wohl du.“

Da hatte ich so meine Zweifel. Bei den Schwertern war das nämlich so: Wenn man es selbst erschaffen hatte, war es in der Regel nicht schwer, seine Kraft zu kontrollieren. Auch ein Dämon auf einer höheren Stufe bereitete einem keine Probleme. Die Dämonen waren in eine Skala eingeteilt, die von eins, harmlos, bis zehn, sehr gefährlich, ging. Wenn man es aber nicht selbst erschaffen hat, sondern geschenkt bekam, ist es einiges schwerer. Jeder Jäger bekommt eine leere Hülle, aus der er dann seine eigene Waffe formte. Die Hülle ist etwas ganz Besonderes, sie wird aus der Energie des Trägers gemacht und vermag so viel Energie aufzunehmen, wie man will. Auch kann man diese beliebig kombinieren und so die verschiedensten Fähigkeiten eines Dämons für sich nutzen. Es gibt aber auch normale Hüllen, die aus einem dämonischen Material hergestellt werden und nur die Kraft eines Dämons annehmen können. Diese Schwerter kann man als Verbesserung seiner Ausrüstung benutzen.
„Komm schon Sky, probier es doch einfach! Wenn es dir nicht gehorcht, kannst du einfach nicht auf die verschiedenen Fähigkeiten zurückgreifen.“ Das stimmte auch wieder – und besser, ich weiss gleich, dass es mir nicht gehorcht als später in einem Kampf. Ich zog es aus meiner Tasche und nahm es in meine rechte Hand. „Na los, drück doch endlich den verdammten Knopf!“ Ich atmete tief ein und drückte auf den Knopf. Eine sechzig Zentimeter lange, grün schimmernde Klinge erschien. Sie vibrierte in meinen Händen und ich konnte die Energie der vielen Dämonen in der Waffe spüren. Die Energie fühlte sich nicht böse an, sie war durch die Hülle gereinigt worden und war nun das genaue Gegenteil. Die Präsenz der beiden Basilisken war besonders stark, doch daneben konnte ich noch die Energie eines Wendigos und eines Inferno, dem Anführer der Feuerdämonen, wahrnehmen. Mein Grossvater musste wirklich ein guter Jäger gewesen sein. „Und, wie finden wir heraus, ob das Schwert etwas draufhat?“
„Woher soll ich denn das wissen, es war doch deine Idee.“

Ice sah sich um und sein Blick blieb am Basketball hängen. Er hob ihn hoch und hielt ihn mir hin.
„Versuch’s mal damit, ein Basilisk kann doch seine Gegner versteinern, dann müsste es doch auch damit klappen.“
„Ich versuche es, aber du schuldest mir dann einen neuen.“
„Ist ja schon gut, nun mach schon“, sagte er und legte ihn auf den Boden. Versteinern, versteinern, dachte ich und liess die Klinge hinunterfahren. Dass der Ball nicht versteinert wurde, wunderte mich nicht weiter, aber dass es der Klinge nicht einmal gelang, dem Ball einen Kratzer zuzufügen, erstaunte mich dann doch. „Wie es aussieht, kannst du nicht das kleinste Bisschen Kraft dieses Schwertes nutzen“, stellte Ice trocken fest.
„Es sieht wohl ganz so aus, ich kann die Macht, die in diesem Schwert steckt, spüren und doch will es sie mir nicht zur Verfügung stellen. Dann werde ich es wohl vorerst nicht nutzen können.“
„Ich finde Speere sowieso viel besser als Schwerter“, sagte Ice. Bei meinen Trainingskämpfen, hatte er auch meistens teilgenommen. Daher wusste ich nur zu gut, dass er Waffen liebte, mit denen er seine Gegner auf Abstand halten konnte. Im Kampf mit einem Speer war er ein wahrer Meister, ich hingegen konnte mit dieser Art von Waffe überhaupt nichts anfangen. Wenn mir schon eine Waffe lag, dann war es wohl doch noch am ehesten das Schwert.
„Dann wählst du also den Speer als deine Hauptwaffe?“ Ice zuckte mit den Schultern.
„Weiss nicht, liegt mir am besten und es kommt bestimmt nicht so häufig vor. Ja, ich denke, ich werde eine Speerhülle erschaffen.“
„Du hast wenigstens eine Waffe, mit der du umgehen kannst. Ich hingegen habe keine Ahnung, was für eine Waffe ich wählen soll.“ Wir setzten uns auf die unterste Treppenstufe vor dem Haus.
„Führ doch einfach die Tradition deiner Familie fort und wähle das Schwert als deine Waffe!“ Das war gar keine so schlechte Idee, jedes Mitglied der Halfmoonfamilie jagte mit einem Schwert die Dämonen.
„Und was für eine Form soll ich ihm geben? Regulus ist ein Einhand-Schwert und nicht besonders lang. In seiner Form ähnelt es sehr einem Gladius, einem römischen Schwert.“
„Beim Training hast du doch immer einen Anderthalbhänder genommen, wenn ich mich recht erinnere, dann war der etwa neunzig Zentimeter lang.“ Im Training hatte ich wirklich oft diese Art von Schwert genommen und wenn ich so darüber nachdachte, erschien es mir gar nicht so schlecht.
„Keine schlechte Idee, aber ich entscheide mich erst nach der Probewoche mit den verschiedenen Waffen. Dann kann ich wirklich sicher sein, dass es die richtige Waffe für mich ist.“ Ich drehte das Schwert meines Grossvaters in meinen Händen. Wie soll ich dir nur je gerecht werden, Grossvater! Ich bin nicht annähernd ein so guter Jäger, wie du es warst. Alle erwarten von mir, dass ich der Beste meiner Generation werde, wenn nicht sogar der Beste, den es je gegeben hat. Was ist, wenn ich versage? Ich wünschte, du wärst noch hier, du warst immer der Einzige, der mich so genommen hat, wie ich bin, mal abgesehen von meiner Mutter.

Ohne Vorwarnung schoss die Klinge aus dem Griff und hätte mich fast erstochen. Nun leuchtete sie viel intensiver als zuvor.
„Was hast du gemacht?“, fragte Ice, der ein paar Schritte zurückgesprungen war.
„Ich habe überhaupt nichts gemacht, das Schwert hat von ganz alleine reagiert.“ Langsam kam er wieder näher.
„Irgendetwas ist jetzt an Regulus anders als zuvor.“
„Da hast du recht, Ice, seine Kraft ist nun viel deutlicher zu spüren.“ Ice hielt mir den Ball entgegen.
„Probier’s noch einmal, vielleicht klappt es jetzt.“ Noch ein Versuch konnte ja nicht schaden, also versuchte ich es noch einmal. Doch auch dieses Mal geschah nichts. Ich fuhr es wieder ein und steckte es zurück in meine Tasche. „Seltsam, ist das Teil kaputt oder was?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, ich glaube das war irgendein Zeichen von Grossvater.“
„Wie kommst du denn darauf?“, fragte er irritiert.
„Weisst du, ich habe vorhin über ihn und die grossen Erwartungen nachgedacht und da hat es reagiert.“ Ice schien zu verstehen.
„Sky, du machst dir immer viel zu viele Sorgen. Warte doch erst einmal ab, wie es in der Schule läuft.“
„Kann schon sein, aber ich bin nicht irgendwer, ich bin der einzige Nachfahre der Halfmoon-Familie.“
„Das stimmt doch gar nicht, Blooms Bruder Anthony hat doch eine Tochter und Lucy hat einen Sohn.“
„Schon, aber erstens ist Brenan dreijährig und zweitens leben sie in Frankreich.“
„Aber du bist nicht der Einzige, auf dem grosse Erwartungen lasten, Brenan geht es genauso.“
„Wenn er vierzehn wird, bin ich schon 25 und dann muss ich schon längst ein grossartiger Jäger geworden sein.“ Ice legte mir eine Hand auf die Schulter.
„Ich kann zwar nicht behaupten, dass auf mir der gleiche Druck lastet, aber ich verstehe doch ansatzweise, wie du dich fühlst. Immerhin gehöre ich einer der Urfamilien an. Lass dich nicht verrückt machen Sky.“

Er stand auf und nahm den Ball in die Hand.
„Wie wäre es, Lust auf eine Revanche?“
„Wenn du unbedingt verlieren willst, Cousin“, sagte ich und erhob mich.
„Damit es dieses Mal fair ist, werde ich mich auch verwandeln.“ So war er zwar ein bisschen besser, da ich aber auch verwandelt war, machte das keinen Unterschied, und ich gewann das Spiel. „Auch so habe ich keine Chance, aber wie wäre es, wenn wir morgen noch einmal spielen würden?“
„Was würde es dann für einen Unterscheid machen?“
„Ganz einfach, ich spiele verwandelt und du normal.“
„Von mir aus, aber sei nicht enttäuscht, wenn ich gewinne.“
„Davon kannst du nur träumen, du wirst schon sehen, so schlecht spiele ich nun auch wieder nicht.“ Ice schien davon überzeugt zu sein, dass ich morgen keine Chance gegen ihn haben würde.
„Wir werden ja sehen, wer Morgen gewinnen wird.“ Spät am Abend gingen meine Grosseltern nach Hause und ich hatte mich in mein Zimmer zurückgezogen. Dank meinem feinen Gehör konnte ich jedes Wort verstehen, das im Wohnzimmer unten gesprochen wurde.
„Meinst du wirklich, wir können die Sache so einfach abtun, wie deine Mutter gesagt hat.“
„Ich bin mir nicht sicher, aber irgendetwas stimmt da nicht. Meine Mutter mag zwar in vielen Dingen recht haben, hier aber liegt sie falsch.“
„So viele Kobolde auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie überrascht ich war, Sam.“
„Mach dir keine weiteren Sorgen, ich werde gleich morgen ein Team schicken, das sich die Sache genauer ansieht. Wir werden schon herausfinden, was hier vor sich geht Victoria.“ Dann schlief ich ein und hörte nichts mehr.

„Das kann doch gar nicht sein, wie konnte ich nur verlieren“, rief Ice fassungslos. „Ein verdammter Korb, wegen einem kleinen Korb habe ich verloren!“
„Siehst du … habe ich’s dir … doch gesagt“, sagte ich triumphierend völlig ausser Atem. Der Schweiss rann mir den Rücken hinunter und ich war vollkommen am Ende. So gut hatte ich noch nie gespielt und auch so viel Spass hatte es mir schon lange nicht mehr gemacht.
„Das war ein unglaubliches Spiel, Sky, du solltest auf jeden Fall beim Auswahltraining der Schulmannschaft teilnehmen. Du wärst so gut wie sicher im Team, da bin ich ganz sicher, mein Sohn.“
„Meinst du das ernst, Dad?“, fragte ich, als ich wieder etwas Luft bekam.
„Na klar, du bist schliesslich mein Sohn.“ Das war ich und ich wünschte, ich wäre in allem so gut wie im Basketball. Dann könnte ich den Erwartungen meiner Familie gerecht werden.
„Da euer Spiel jetzt entschieden ist, könnt ihr sicher eine kleine Erfrischung vertragen“, sagte meine Mutter und kam mit einem grossen Krug Limonade aus dem Haus. Das war jetzt genau das Richtige, nach so einem anstrengenden Spiel. „Hast du schon versucht, dich noch einmal zu verwandeln?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das solltest du bis zum Schulanfang aber schon können.“
„Ich weiss, aber es gibt auch Schüler, die sich erst während des Schuljahrs verwandeln.“
„Dieser Fall kommt nicht allzu oft vor, die meisten solchen Fälle werden erst im nächsten Jahr aufgenommen. Du weisst doch, dass nur die, welche in den ersten zehn Wochen nach Schulbeginn vierzehn werden, auch aufgenommen werden.“ Wir setzten uns in den Garten und tranken die Limonade.
„Die Verwandlung solltest du schon draufhaben, du könntest ein wenig üben.“
„Bevor ich das tue, gehe ich erst duschen und etwas Neues anziehen.“ Nach der Dusche schlüpfte ich in ein weites grünes T-Shirt und blaue Shorts. Dann zog ich noch den Sensor und das schwarze Lederarmband, das mir mein Grossvater zum sechsten Geburtstag geschenkt hatte, an. Das Armband trug ich eigentlich immer, nur zum Duschen und Schwimmen nahm ich es ab. Es war nichts Besonderes im Sinne von irgendeiner Fähigkeit oder so, es hatte für mich einen persönlichen Wert. Genau wie für Ice seine Mütze etwas Besonderes war, die hatte er nämlich von seiner Schwester geschenkt bekommen und da er seine Schwester mehr als alles andere auf dieser Welt liebte, trug er sie ständig.

 

Wie meine Eltern mir empfohlen hatten, ging ich nach draussen, um ein wenig zu üben. Ich setzte mich unter den noch verbliebenen Eichenbaum und schloss die Augen. Mein Vater hat im Unterricht immer gesagt, jeder müsse selbst herausfinden, wie er sich verwandeln muss. Dazu müsse man tief in sich hineinhorchen. Er beschrieb Verwandlung als eine Art Muskel, wenn man wusste wie man diesen bewegen konnte, war es ein Leichtes. Ein richtiger Jäger konnte sich verwandeln, noch ehe er richtig daran gedacht hatte, und dies auch genauso schnell wieder rückgängig machen. Aber auch die Gefühle spielten eine gewisse Rolle. Wenn man wütend wurde, verwandelte man sich nach und nach, zuerst die Augen, dann die Zähne und die Ohren. Hat man sich schon so weit verwandelt, folgt der Rest der Verwandlung. Das alles rief ich mir noch einmal in Erinnerung, bevor ich tief einatmete und in mich hineinhorchte. Ich wusste nicht, wonach ich suchen sollte, und doch fand ich es. Es war eine kleine Flamme, die in meinem Inneren brannte. Sobald ich mich auf sie konzentrierte, begann sie zu wachsen und füllte nach und nach meinen ganzen Körper aus. Zufrieden öffnete ich meine Augen und betrachtete meine Hände. Wie ich es erwartet hatte, waren sie mit schwarzem Fell überzogen und hatten krallenähnliche Fingernägel. Ice hatte für seine erste Verwandlung nach seinem Geburtstag drei Tage gebraucht und ich nur ein paar Minuten. Jetzt musste ich es nur noch irgendwie schaffen, mich wieder zurückzuverwandeln. Also schloss ich nochmals die Augen, und die Flamme begann wieder zu schrumpfen.
„Geht doch.“ Das Ganze wiederholte ich noch ein paarmal, bis ich ganz sicher war, dass ich es draufhatte, und hernach ging ich zurück ins Haus. Dann schossen ich und Ice uns ein wenig gegenseitig auf der Xbox ab. Hierbei war mir Ice jedoch weit überlegen.
„Wolltest du denn nicht noch etwas üben gehen?“, fragte mich meine Mutter.
„Hab ich bereits.“
„War aber nicht besonders lange, hast du schon aufgegeben?“, fragte sie und wedelte mit dem Löffel, den sie gerade in der Hand hielt, vor meinem Gesicht herum. Ich legte den Controller beiseite.
„Ganz im Gegenteil, ich kann es bereits.“ Dabei musste ich fast so dämlich grinsen, wie es Ice immer tat. Sie hörte auf, mit dem Löffel vor meinem Gesicht herumzuwedeln, und sah mich erstaunt an. Bevor sie jedoch etwas dazu sagen konnte, tat es Ice.
„Willst du mich auf den Arm nehmen? Das glaube ich erst, wenn ich es gesehen habe.“
„Wenn das so ist, kann ich es euch gerne zeigen.“ Ich schloss nur ganz kurz die Augen und als ich sie wieder öffnete, starrten mich beide an.
„Nicht schlecht, Sky, das hast du aber ziemlich schnell gelernt. Ich bin beeindruckt.“
„Samuel, du bist schon wieder zurück?“
„Ja, ich habe Luk und sein Team geschickt, es würde nichts bringen, wenn ich in der Schule auf sie warten würde. Sie geben mir per Funk Bescheid, wenn sie etwas herausfinden.“
„Dad, haben die Kobolde wirklich irgendetwas vor?“
„Das wissen wir noch nicht, Sky, das wird sich erst herausstellen.“
„Lasst uns jetzt erst einmal essen gehen.“
„Dann gehe ich wohl besser nach oben.“ Es ging nicht lange und das Gesprächsthema waren wieder die Kobolde.
„Was habt ihr vor, wenn Luk etwas findet, was uns weiterhilft?“
„Wir können erst weitere Entscheidungen treffen, wenn wir irgendeinen Anhaltspunkt haben.“ Ich schluckte eine Portion Kartoffelpüree herunter und fragte dann:
„Kann man denn nicht mit ihnen reden?“
„Du willst mit den Kobolden reden? Merk dir eines, Sky, mit solchen Wesen kannst du nicht reden. Egal wo sie auftauchen, sie richten Chaos an und machen allen nur Ärger.“ Mein Vater sah mich mit spöttischem Blick an. „Sie sollen bleiben, wo sie hingehören, tief unter die Erde.“ Damit schien das Thema für heute beendet.

Die Worte meines Vaters schienen mir etwas übertrieben. Es stimmte schon, dass sie vielen Leuten Ärger bereiteten, aber sie hatten doch auch ein Recht, irgendwo zu leben, und damit meinte ich nicht tiefe Erdlöcher.
„Die Verwandlung scheinst du ja schon draufzuhaben, dann steht dir nichts mehr im Weg, ein grossartiger Jäger zu werden.“
„So schnell geht das nun auch wieder nicht, Victoria. Es gehört schon etwas mehr dazu, als sich verwandeln zu können, um ein guter Jäger zu werden.“ Ich sah, wie meine Mutter ihm einen bösen Blick zuwarf. Dad tat so, als hätte er nichts bemerkt, und fuhr fort. „Training ist dabei unumgänglich, ohne es erreichst du auch mit dem grössten Talent nichts.“ Er lächelte etwas selbstzufrieden. „Davon musst du ja bei mir als Vater eine Menge geerbt haben.“
„Sam, tu nicht immer so selbstverliebt, wenn schon, dann hat er es von mir.“
„Wisst ihr, was, ich fänd es besser, wenn ich das Talent von euch beiden geerbt hätte.“ Nach dem Essen half ich meiner Mutter beim Abräumen, während mein Vater sich in sein Büro zurückzog.
„Du schaffst dass schon Sky, lass dich nicht unter Druck setzen. Sei einfach du selbst, dann klappt das, ganz sicher!“ Meine Antwort war ein ungläubiges Brummen. Später, als Ice und Ich noch eine Runde Basketball spielten, kam mein Vater mit zwei Briefumschlägen aus dem Haus.
„Ich dachte, ich gebe sie euch, wie alle anderen Schüler sie auch bekommen.“ Er reichte uns je einen Umschlag mit unserem Namen vorne drauf. Es waren die Briefe mit der offiziellen Bestätigung, dass man an die Cats School ging, mit Stundenplan und Klassenliste. Begeistert rissen wir die Umschläge auf, ignorierten den Brief und sahen uns gleich die Klassenliste an. Ice stiess einen Freudenschrei aus und schlug mir auf den Rücken.
„Hast du das gesehen, wir sind in derselben Klasse, dass heisst, wir können auch ins selbe Team kommen!“
„Hattest du etwas damit zu tun, Dad?“
„Als Direktor der Schule lässt es sich wohl nicht vermeiden, dass ich mich da etwas einmische.“ Nun konnte die Schule beginnen, alles war bereit, doch war ich es auch?




Cats School


Die verbliebenen Tage vergingen wie im Flug, und schon stand der 5. September vor der Tür. Ich war so nervös, dass ich schon um fünf Uhr aufwachte und dann nicht mehr einschlafen konnte. Also stand ich auf und ging duschen, dann schlüpfte ich in meine Lieblingsklamotten und schnallte mir Regulus mit einem speziellen Haltegurt an die rechte Hüfte. In meinen beigen Dreiecksrucksack packte ich das Essensgeld, die Turnsachen und mein Schreibzeug. Als ich damit fertig war, war es aber erst sechs, und die Schule begann erst um halb acht. Ich setzte mich auf die Couch und nestelte an meinem langärmligen T-Shirt herum und zog mein oranges Hemd zurecht. „Mum hat recht, ich bin einfach ich selbst. Egal, ob ich ein Halfmoon bin oder nicht, ich bin nur ein ganz normaler Schüler.“ Meine eigenen Worte tönten für mich nicht gerade glaubwürdig. Was mach ich mir vor, ich werde nie einfach nur ein einfacher Schüler sein. Um sieben kamen dann Ice und Dad nach unten. Ich ging zu ihnen in die Küche und setzte mich auf meinen Platz. Wie immer trank mein Vater eine Tasse Kaffee und Ice ass sein Müsli.
„Sky, isst du den heute nichts zum Frühstück?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, hab keinen Hunger.“
„Bist wohl schon ziemlich aufgeregt, was?“, fragte er, während er beiläufig ein paar Krümel von seinem Kapuzenshirt wischte. „Du machst dir über alles immer viel zu viele Gedanken, entspann dich.“
„Hör auf den Rat deines Cousins Sky. Esst ihr ruhig fertig, ich hol schon mal den Wagen.“
„Ach Dad, wegen dem Wagen, Ice und ich nehmen den Schulbus.“
„Ist das dein Ern… klar, das habe ich vollkommen vergessen“, sagte er, nachdem er meinen flehenden Blick bemerkt hatte.
„Na dann, wir sehen uns in der Schule.“
„Dafür schuldest du mir aber was.“
„Schon gut, aber ich will nicht mit dem Direktor zusammen aus einem Wagen steigen. Da könnte ich doch gleich auf meine Stirn schreiben: Seht her, ich bin der Sohn vom Direx.“
„Mehr oder weniger steht es doch auf deiner Stirn.“
„Das Mal, ich weiss, es ist trotzdem weniger auffällig.“ Soweit man Ice als unauffällig bezeichnen konnte. Er trug orange Hosen und eine orange Umhängetasche. Ich wollte gerade nach draussen gehen, als mich Ice an der Schulter festhielt.
„Hast du nicht was vergessen?“
„Verdammt, meine Schuhe!“ Ich Trottel wäre doch fast ohne meine Schuhe aus dem Haus gegangen. Schnell zog ich mir meine schwarzen Turnschuhe an und dann konnten wir wirklich gehen.

Wir nahmen nicht etwa den Bus, weil wir zu faul waren, zu Fuss zu gehen. Es gab einen anderen Grund. Die Cats School lag genau auf der anderen Seite des Viertels wie unser Haus. Zu Fuss brauchte man etwa 20 Minuten. Mit dem Bus ging es hingegen nur sieben Minuten. Bis zur Haltestelle waren es nur ein paar Meter. Dort setzten wir uns auf eine kleine Mauer.
„Weisst du was? Grossartig wäre, wenn wir beide ins selbe Team kommen würden. Dann könnte ich dir ein wenig unter die Arme greifen.“
„Wir wurden schon in dieselbe Klasse eingeteilt, ins selbe Team kommen wir sicher nicht.“ Ice zuckte mit den Schultern.
„Man weiss nie, wie es kommt, ich sehe das positiv. Komm schon, Sky, schau nicht so griesgrämig, so fällst du bestimmt auf.“ Ich setzte ein falsches Lachen auf. Sobald der Bus in Sicht kam, veränderte sich Ices Haltung. Er versteifte sich etwas und setzte seine unnahbare Miene auf. Dies tat er immer, wenn etwas Fremdes auf ihn zukam. Der Bus war noch ziemlich leer und so setzten wir uns in die hinterste Reihe. So schafften wir es tatsächlich unbemerkt bis zur Schule. Früher hatte ich meinen Vater oft begleitet, doch als ich älter geworden war, wollte ich nicht mehr mit. Also kannte ich mich bestens aus. Wenn man von der Bushaltestelle geradeaus ging, kam man zu einer kreisrunden Parkanlage, in dessen Mitte ein grosser Brunnen stand. Von dort aus rechts lagen die verschiedenen Klassenzimmer in einem grossen Gebäude. Links lag eine grosse Turnhalle, deren grösster Teil von den Ställen eingenommen wurde, und wenn man geradeaus weiterging kam man zu den drei kleineren Hallen, in denen mit den Waffen trainiert wurde. Immer zu Beginn des Jahres versammelten sich alle Schüler in der grossen Turnhalle. Ice und ich schlossen uns einfach den anderen Schülern an und liessen uns von dem Strom, der sich bildete, mitreissen. Die meisten waren zu beschäftigt, um mein Mal zu bemerken, doch ein paar bemerkten es eben doch. Kaum hatten sie herausgefunden, wer ich war, steckten sie die Köpfe zusammen. Es war manchmal wirklich verdammt lästig, so ein Mal zu tragen. Als alle in der Halle versammelt waren, trat mein Vater auf ein Podest und rief die Schüler zur Ruhe. Dann legte er mit seiner alljährlichen Willkommensrede los.
„Ich heisse euch alle herzlich willkommen zum neuen Schuljahr an der Cats School. Ganz besonders natürlich unsere neuen Schüler und Schülerinnen, die ihr erstes Jahr hier bei uns, hoffentlich erfolgreich, absolvieren werden. Damit es für alle ein angenehmes Jahr wird, weise ich noch einmal auf die Schulregeln hin. Viele von euch kennen sie schon und wissen, dass sie von allen ohne Ausnahme befolgt werden müssen.“ Daraufhin folgten die Schulregeln in aller Ausführlichkeit. Es waren im Grunde genommen dieselben wie an normalen Schulen, mit ein paar kleinen Unterschieden. Erstens: Verwandeln ausserhalb der Unterrichtsstunden auf dem Schulgelände und vor Menschen war verboten. Zweitens: Das Benutzen von Waffen gegen andere Mitschüler ist strengstens verboten. Nach den ganzen Regeln fuhr er mit seiner eigentlichen Rede fort. „Dieser Jahrgang sieht sehr vielversprechend aus, von jeder Urfamilie ist ein Mitglied vertreten. Auch aus meiner Familie wird jemand von nun an die Schule besuchen, mein Sohn Sky“, verkündete er und zeigte auf mich. Ganz toll, wenn jemand noch nicht gewusst hatte wer ich war, wusste er es jetzt. Die meisten Anwesenden in der Halle drehten sich nun zu mir um. 330 Augenpaare starrten mich an und wenn ich etwas hasste, dann war es, im Mittelpunkt zu stehen.

Mein Vater schien gar nicht zu bemerken, was mir soeben angetan hatte, und fuhr seelenruhig fort. „Nicht nur die Urfamilien werden dieses Jahr alle durch einen Schüler vertreten, auch von anderen berühmten Familien sind Mitglieder anwesend. Die Familien Ironshield, Bladestorm und Firelight, allesamt hoch angesehene Familien.“ Beim letzten Namen war es mir so, als hänge irgendeine Erinnerung mit dieser Familie zusammen. Mir wollte jedoch nicht einfallen, welche Erinnerung das war. „Ich gebe euch noch einen Rat, lasst euch von den Namen nicht voreinnehmen, behandelt sie wie jeden anderen Schüler auch. Bevor ich es vergesse, heute Nachmittag nach dem Unterricht findet hier das Probestpiel der Basketball Mannschaft statt. Wer ins Team will, sollte sich zu diesem Testspiel begeben. Nun genug geredet! Ich wünsche euch allen viel Vergnügen im neuen Jahr, und nun geht in eure Klassen, die Erstklässler bleiben hier.“

Die Halle leerte sich nach und nach und es wurde immer ruhiger. „Noch einmal herzlich willkommen an der Cats School, nun werdet ihr gleich in eure Klassen eingeteilt. Jeder hat eine Liste bekommen und sollte wissen, in welche Klasse er gehört.“ Er winkte vier Lehrer heran, die im Hintergrund gewartet hatten. „Eure zukünftigen Klassenlehrer werden nun den Namen der Klasse aufrufen. Ihr werdet dann nach und nach in eure Klassen gehen. „Mrs. Warren, wenn sie beginnen würden.“
„Sicher doch, Herr Direktor. Ich bitte nun alle Schüler der Klasse 1A zu mir nach oben.“ Die jeweiligen Schüler gingen nach oben und dann ging es mit Mr. Bennet, Lehrer der 1B, weiter. Und dann kam meine Klasse 1C. Unser Lehrer hiess Mr. Lakefield und war einiges jünger als seine Kollegen. Seine Haare umrahmten sein Gesicht mit braunen Locken und sein warmes Lächeln machte ihn sympathisch. Als Letztes kam die Klasse 1D, die von Mrs. Firestone aufgerufen wurde.
„Jetzt werden wir alle zusammen eine Besichtigung machen, damit ihr euch später auf dem Schulgelände zurechtfindet. Mr. Bennet wird die Leitung der Führung übernehmen, ich muss leider schon wieder gehen, die Arbeit ruft.“ Mein Dad ging, und Mr. Bennet, ein schon etwas älterer Mann, soweit man das bei Katzendämonen sagen kann, wandte sich uns Schülern zu.
„Dann wollen wir keine Zeit verlieren und gleich hier beginnen. Ihr befindet euch in der grossen Sporthalle; hier finden das Basketballtraining und der Sportunterricht statt. Hinter der Halle befinden sich sowohl ein Basketball- und ein Fussballplatz.“ Mr. Bennet wollte uns gerade aus der Halle führen, als sich Mr. Lakefield einmischte.
„Wenn ich noch etwas ergänzen dürfte?“ Etwas aus dem Konzept nickte er ihm zu. „In dieser Halle finden auch sämtliche Versammlungen statt. Wenn es einmal heisst, ihr sollt euch versammeln, dann kommt ihr in diese Halle. Ebenso, werdet ihr hier im Stall einige Dämonen und Fabelwesen im Unterricht beobachten.“ Wir verliessen die Halle und machten uns auf den Weg zum kleinen Park der Schule. Ich liess mich ganz nach hinten fallen, um nicht immer den Blicken der anderen ausgesetzt zu sein. Er erklärte uns, dass man sich hier während den Pausen und am Mittag aufhalten könne. Wieder mischte sich Mr. Lakefield ein. „Der Brunnen ist jedoch nicht zum Schwimmen gedacht, auch in heissen Sommertagen nicht, es sei denn, es ist wirklich heiss“, fügte er lächelnd hinzu.
„Wie wäre es verehrter Kollege, wenn sie die Führung übernehmen würden?“, fragte Mr. Bennet ein wenig eingeschnappt.
„Wenn sie mich so nett bitten, kann ich wohl kaum ablehnen. Kommt, Leute, weiter geht es mit den drei kleineren Hallen!“
„Mit dem scheinen wir echt Glück gehabt zu haben“, flüsterte mir Ice zu. Ich stimmte ihm zu und wir folgten den anderen. Als wir vor drei etwa gleich grossen grauen Hallen standen, sagte er:
„Die mittlere Halle ist eine Art Arena, in ihr übt ihr in echten Kämpfen gegen Dämonen den richtigen Einsatz. Das werdet ihr aber erst, wenn ihr in Teams aufgeteilt worden seid. In der linken Halle wird der Umgang mit Schusswaffen unterrichtet. Diesen Unterricht werden alle besuchen. Solche, die sich auf eine Schusswaffe spezialisieren wollen, werden später Extrastunden nehmen. Dasselbe geschieht in der rechten Halle mit den anderen Waffen.“ Zuletzt zeigte er uns die verschiedenen Klassenzimmer und die Cafeteria, die ebenfalls im Gebäude mit den Klassenzimmern lag. Dabei hielt ich mich weiterhin unauffällig in der letzten Reihe.

Nachdem die Führung beendet war, teilte sich die Gruppe in die vier Klassen auf, und alle gingen in ihre Klassenzimmer. Das Zimmer von meiner Klasse lag im obersten Stock in der hintersten Ecke. Ich setzte mich an einen der Einzelpulte in der hintersten Reihe, neben Ice.
„Wenn nun alle Platz genommen haben, möchte ich damit beginnen, mich vorzustellen. Mein Name ist William Lakefield, für euch Mr. Lakefield. Eine meiner liebsten Freizeitbeschäftigungen ist das Angeln, ganz einfach, weil ich die Ruhe dabei liebe. Wie ihr bereits wisst, werde ich für vier Jahre euer Klassenlehrer sein und euch somit jederzeit zur Seite stehen, wenn ihr Fragen haben solltet.“ Er setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und strich die Falten seines weissen Hemdes glatt.
„Ihr seid meine erste Klasse und ich hoffe, ich mache alles richtig. Wenn ich mich irgendwo grundlegend irren sollte, sagt mir bitte Bescheid.“ Er schaute sich lächelnd in der Klasse um. „Nun seid ihr an der Reihe; stellt euch vor! Am besten, wir beginnen hier vorne und gehen bis nach hinten der Reihe nach durch.“ Wie gesagt, stellte sich jeder der Reihe nach vor, zuerst kam Noah Black, dann Matt Huxley und dann Isabell Connors, allesamt ganz gewöhnliche Namen. Nach einer Weile drifteten meine Gedanken ab, bis ich den Namen Firelight hörte. Das schwarzhaarige Mädchen vor mir hatte eben gesagt, dass es Fiona Firelight heisse, aber den Spitznamen Fly vorziehe.
„Am liebsten zeichne ich in meiner Freizeit, das lenkt mich am besten ab.“ Daraus wurde ich nun nicht ganz schlau und so dachte ich noch ein bisschen darüber nach, biss Ice an der Reihe war.
„Ich heisse Ice Snowflake und in meiner Freizeit baue ich gerne Fahrzeuge, Waffen und sonstige technische Geräte zusammen. Hört sich vielleicht langweilig an, ist aber ganz gut, um seine Feinmotorik etwas zu trainieren.“

Nun war ich an der Reihe, meinen Namen kannten wahrscheinlich schon alle, aber ich musste mich ja trotzdem vorstellen.
„Mein Name ist Sky Halfmoon. Wenn ich etwas gerne tue, dann ist es Basketball, und zwar ganz einfach darum, weil ich gut darin bin.“
„Da sich nun alle vorgestellt haben, werden wir weitermachen. Zuerst werde ich euch eure Stundenpläne geben und euch die für die jeweiligen Fächer notwendigen Sachen verteilen.“ Während er die Stundenpläne verteilte, sagte er: „Diese Version ist noch nicht hundertprozentig richtig, erst nach den ersten fünf Wochen, wenn ihr euch für eine Waffe entschieden habt und alles geklärt ist, erhält ihr denjenigen, der für den Rest des Jahres gelten wird.“ Dann verteilte er uns die Bücher, die sich auf seinem Schreibtisch reihenweise stapelten. Jeder von uns bekam sechs dicke Schulbücher: „Dämonologie“, „Die Vielfalt der Dämonen“, „Dämonengifte für Anfänger und Fortgeschrittene“, „Die Welt der Runen“ und zuletzt „Waffenkunde“. „Dämonengifte für Fortgeschrittene könnt ihr vorläufig noch in euren Schliessfächern versauern lassen, das braucht ihr erst später. Apropos Schliessfächer, ich werde euch noch eure Schliessfachnummer und den dazugehörigen Code verteilen. In eurem Schliessfach könnt ihr Dinge lassen, die ihr im Moment nicht braucht und nicht immer nach Hause schleppen wollt.“ Wieder ging er durch die Reihen und verteilte den Code und die Nummer, gleichzeitig aber auch den Sensor. Ice, Fiona und ich lehnten ihn ab, da wir bereits einen besassen. „Das wars fürs Erste und wie ich sehe, ist es bald Zeit fürs Mittagessen. Ich lasse euch bereits jetzt gehen, damit ihr eure Sachen in den Schliessfächern verstauen könnt. Wir treffen uns nachher wieder hier und werden den Rest des Tages dazu nutzen, uns besser kennenzulernen.“ Ich räumte alles in meinen Rucksack und ging mit dem Zettel, auf der die Schliessfachnummer stand, auf die Suche. Ice folgte mir.
„Welche Nummer hast du bekommen?“
„Nummer 107, und du?“
„Ich habe Nummer 105, also sind wir praktisch Nachbarn“, stellte Ice erfreut fest. Unsere Schliessfächer befanden sich im Erdgeschoss, was an sich ziemlich praktisch war, wir mussten nicht immer alles nach oben tragen. Ausserdem befand sich in diesem Stock auch gleich die Cafeteria. Jedes Schliessfach besass einen sechsstelligen Code, meiner war 257601.
„Wie bitte soll man sich den merken?“, fragte mich Ice.
„Mit der Zeit wirst du ihn dir bestimmt merken können, bis dahin solltest du einfach nicht den Zettel verlieren.“ Fiona Firelight hatte das Schliessfach zwischen mir und Ice. Während sie ihre Sachen einräumte, ignorierte sie uns beide und ging ohne ein Wort Richtung Cafeteria. „Die ist vielleicht seltsam.“
„Du hast auch kein Wort gesagt, aber sag mal, weisst du, woher mir der Name Firelight so bekannt vorkommt?“
„Bei dem Basiliskenangriff haben sie mit ihren heilenden Fähigkeiten vielen das Leben gerettet, aber deswegen wirst du sie wahrscheinlich nicht kennen. Du erinnerst dich eher an den Namen, weil fast die gesamte Familie bei dem Angriff ums Leben gekommen ist, sie ist die einzige Überlebende.“ Jetzt fiel es mir wieder ein, die Firelights waren sehr gute Freunde meiner Familie gewesen. Nach dem Tod ihrer Eltern und ihres Bruders hat mein Vater sie bei einem Freund untergebracht. Seither hatten wir sie nicht mehr gesehen.
„Dann ist sie das Mädchen, mit dem wir früher oft zusammen gespielt haben, erinnerst du dich nicht mehr?“
„Jetzt, wo du es sagst, Sky. Aber nach dem Angriff ist sie nie wieder gekommen.“
„Lass uns was essen gehen und dort weiterreden.“

In der Cafeteria nahmen wir uns zuerst ein Tablett voll Essen und dann schauten wir uns nach einem Platz um, davon hatte es noch reichlich. Ausser Fiona und ein paar anderen von unserer Klasse war sie leer. Fiona sass ganz alleine in der hintersten Ecke und war in ein Buch vertieft, und sonst sassen Noah, Isabell und Matt zusammen an einem Tisch.
„Setzen wir uns doch zu den anderen aus unserer Klasse!“, schlug Ice vor.
„Na gut, gehen wir.“ Wir bahnten uns einen Weg durch die Tische und blieben vor ihrem Tisch stehen. „Hey, können wir uns zu euch setzen?“ Etwas überrascht starrten sie uns an. „Selbstverständlich können wir uns auch woanders hinsetzen, wenn euch das lieber ist.“
„Nein, nein, setzt euch ruhig“, sagte der rothaarige Matt. Ich liess mich gleich neben ihn auf den Stuhl fallen und Ice setzte sich mir gegenüber neben Noah. Wortlos assen wir unser Essen und ich fragte, um das Schweigen endlich zu brechen:
„ Und wie findet ihr unseren Lehrer?“ Matt, der am wenigsten schüchtern von den drei zu sein schien, antwortete:
„Ich finde Mr. Lakefield von allen, die wir hätten bekommen können, am besten. Er scheint nicht so spiessig zu sein wie die anderen.“
„Er scheint wirklich sehr sympathisch zu sein“, fügte Isabell hinzu.
„Soweit das ein Lehrer sein kann. Aber ihr habt schon recht, er ist wirklich nicht übel“, sagte Ice.
„Sky, du hast doch gesagt, dass du Basketball magst, nimmst du dann auch am Probespiel teil?“, fragte mich Noah und fuhr sich nervös durch seine langen braunen Haare.
„Klar nehme ich an dem Probespiel teil, warum fragst du?“
„Na weil ich auch gern teilnehmen würde, aber ich …“
„Du musst wissen, Noah ist ziemlich schüchtern, aber ein wirklich guter Basketballer. Er traut sich nicht, alleine hinzugehen“, mischte sich Matt ein.
„Stimmt doch gar nicht … vielleicht ein bisschen“, gab er zu. „Kein Problem, wie wär’s, wenn wir zusammen hingehen, ich bin auch nicht so scharf drauf, da alleine aufzutauchen.“
„Das wäre echt cool. Wusstest du, dass sie von jedem Jahrgang nur drei ins Team aufnehmen?“
„Ja, das ist jedes Jahr so und einer dieser drei Plätze gehört auf alle Fälle mir.“
„Du scheinst dir ja ziemlich sicher zu sein.“
„Wie ich schon sagte, Basketball ist etwas, was ich gut kann“, und für mich dachte ich noch: Und auch das Einzige. Den Rest der Mittagspause redeten ich und Noah über Basketball. Die drei Stunden am Nachmittag verbrachten wir damit, uns näher kennen zu lernen, und Mr. Lakefield erklärte uns, wo wir morgen sein mussten.
„Wir sehen uns morgen in der ersten Stunde, denkt an das Dämonologie-Buch.“ Vor dem Klassenzimmer wünschte mir Ice noch viel Glück für das Probespiel, bevor er ging.

„Dann gehen wir mal in die Turnhalle und sehen, wie viele sonst noch in die Mannschaft wollen.“ In den Umkleidekabinen hatte es zehn Erstklässler, sieben würden also sicher nicht in die Mannschaft kommen. Ich zog meine Sportklamotten an und ging dann mit Noah zusammen in die Halle. Dort wurden wir vom Captain der Mannschaft in Gruppen eingeteilt, nach dem Jahrgang sortiert.
„Halfmoon, wusste gar nicht, dass du dich für Basketball interessierst.“ Überrascht drehte ich mich um. Hinter mir stand Shadow Flashlight. Er war genau wie ich ein Mitglied der Urfamilien, seine rabenschwarzen Haare und die dazu passenden bernsteinfarbenen Augen der Flashlights hatte er von seinem Vater geerbt, aber die geschwungene Nase, die zu seiner Arroganz passte, hatte er von seiner Mutter.
„Shadow, du willst in die Basketballmannschaft? Wenn ich mich recht erinnere, hast du immer gegen mich verloren.“ Sein überlegenes Lächeln, das eben noch da gewesen war, verschwand.
„Pass auf, was du sagst, Halfmoon, es ist mir vollkommen egal, wer du bist, ich nehme darauf keine Rücksicht.“
„Das brauche ich nicht, um gegen dich zu gewinnen, Flashlight.“
„Wir werden sehen“, sagte er und ging zu zwei anderen Jungs. Shadow und ich kannten uns schon, seit wir das erste Mal mit sechs bei der Urfamilien-Versammlung dabei waren. Ich konnte ihn nicht leiden, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Er war einfach nur arrogant und herablassend. Dass wir uns nicht leiden konnten, hatte aber noch einen anderen Grund: Unsere Familien lagen schon seit Jahren im Streit um den Vorsitz der Urfamilien.
„Du kennst Shadow? Blöde Frage, ihr kennt euch wahrscheinlich alle. Scheinst ihn aber nicht gerade zu lieben.“
„Sagen wir mal so, wir können uns nicht wirklich gut leiden.“

Die Hallentür ging auf und ein grosser dunkelhaariger Mann kam herein. Er trug einen Trainingsanzug und über seiner linken Schulter hing ein grosser Sack mit Bällen.
„Dürfte ich um Ruhe bitten, ich möchte nun mit den Auswahlspielen beginnen.“ Sofort hörten die Gespräche auf und es kehrte Ruhe ein. „Gut, wir machen das folgendermassen: In jedem Jahrgang werden zwei Teams gebildet, die dann gegeneinander antreten. Während des Spiels werden ich und John euch genau beobachten und dann drei von euch aussuchen. Nur im vierten Jahrgang nehme ich nur zwei.“ Er teilte die Gruppen ein und gab einer der beiden Gruppen orange Trikots. Ich war mit Noah zusammen in einem Team und Shadow spielte im gegnerischen. Das kam mir gerade recht, so konnte ich ihm beweisen, dass ich besser war als er. „Dann können wir anfangen, der vierte Jahrgang beginnt.“ Der erste Jahrgang kam als letzter, und so mussten wir drei Spiele lang warten. Die Mannschaft war so gut wie komplett, als endlich wir an die Reihe kamen. „Nun noch der letzte Jahrgang, stellt euch auf. Nun habt ihr genau zwanzig Minuten Zeit, mich zu überzeugen euch ins Team zu nehmen. Fangt an.“ Mr. Castervile warf den Ball in die Luft, und das Spiel begann. Zuerst war es recht vorsichtig und ungenau, bis sich jeder auf eine Position festgelegt hatte. Noah und ich fingen jeden Ball hinten ab und leiteten so schnell wie möglich den Gegenangriff ein. Schnell gingen wir in Führung und Shadow wurde immer wütender. Er hatte sich zwar stark verbessert, seit ich das letzte Mal gegen ihn gespielt hatte, aber er spielte im Alleingang. Sobald er den Ball hatte, versuchte er alleine einen Korb zu werfen, er dachte nicht einmal im Traum daran, den Ball einem Mitspieler zuzuwerfen. Das Spiel war in wenigen Sekunden vorbei, ich hatte den Ball und stand hinter der Drei-Punkte-Linie. Ich sah mich kurz um, doch niemand war frei und so schoss ich selbst. Solche Würfe hatte ich zu Hause oft geübt und mittlerweile war ich ziemlich gut darin. Der Ball flog durch den Korb und ich holte drei weitere Punkte für meine Mannschaft. Der Endstand war 23:12. Wütend knallte Shadow den Ball auf den Boden. „Hier stehen die ersten beiden Spieler schon fest, Halfmoon und Black.“ Wir jubelten und klopften uns gegenseitig auf die Schulter. „Beim letzten Spieler bin ich mir noch nicht ganz sicher. Was meinst du John, nehmen wir Lee oder Flashlight? Die Entscheidung liegt ganz bei dir, wen willst du im Team haben?“
„Ich glaube L… Flashlight ist besser fürs Team.“ Da stimmte doch etwas nicht, er hatte doch eben Lee sagen wollen. Ein Blick von Shadow genügte und er hatte seine Meinung gerade noch geändert.
„Damit ist die diesjährige Mannschaft komplett. Ich freue mich schon darauf euch zu trainieren und das Turnier zu gewinnen.“ Die Mannschaft blieb und der Rest ging.

„Bevor auch ihr gehen könnt, muss ich euch noch ein paar Sachen mitteilen. Das Training findet jeweils am Montag- und am Donnerstagnachmittag um vier Uhr statt und geht bis sechs. Während des Trainings werde ich euch genau beobachten und so die Spieler auswählen, die das nächste Spiel beginnen werden. Strengt euch an, jeder von euch kann in die Startfünf kommen!“
„Nun kommt, gehen wir duschen und dann nichts wie nach Hause.“ Nachdem ich geduscht und mich umgezogen hatte, machte ich mich mit Noah gemeinsam auf den Weg zur Bushaltestelle. Um halb sieben fuhr der letzte Schulbus, wenn man den verpasste, musste man entweder zu Fuss gehen oder jemand holte einen ab. Wir erwischten den Bus und setzten uns auf die hintersten Plätze. Noah wohnte nur ein paar Blocks weiter und stieg vor mir aus. Shadow und ich blieben als Letzte übrig, da alle Urfamilien weit von der Schule weg wohnten.
„Wie’s aussieht, haben wir beide es in die Mannschaft geschafft. Aber ich komme in die Startfünf, du hingegen wirst auf der Bank versauern“, sagte er, bevor er ausstieg. Mr. Castervile konnte er garantiert nicht bestechen und so wie er spielte, würde er ihn bestimmt nicht aufstellen. Der Bus hielt und nun stieg auch ich aus.

Zuhause hatte meine Mutter bereits das Abendessen gekocht und sie warteten nur noch auf mich.
„Und, haben sie dich genommen?“, fragte mein Vater und legte die Zeitung beiseite.
„Sicher haben sie mich genommen, was hattest du erwartet?“
„Herzlichen Glückwunsch, Sky, aber nun setz dich, sonst wird der Braten noch kalt!“
„Wer hat es sonst noch alles in die Mannschaft geschafft?“
„Shadow Flashlight, wobei ich glaube, dass es hierbei nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.“
„Wieso glaubst du das?“, fragte meine Mutter, während sie mir ein Stück Braten auf den Teller schaufelte.
„John wollte zuerst Lee wählen und dann hat er seine Meinung gerade noch geändert.“
„Das kann doch mal vorkommen.“
„Aber kurz bevor er seine Meinung geändert hat, hat ihm Shadow direkt in die Augen geschaut, Dad. Irgendetwas stimmt doch da nicht.“
„Wenn er den Platz nicht verdient haben sollte, fliegt er bestimmt wieder aus der Mannschaft. Und nun lasst uns endlich essen!“ Nach dem Essen kam Ice in mein Zimmer, um mich nach dem Testspiel zu fragen. Ich erzählte ihm dasselbe wie zuvor meinen Eltern.
„Hört sich schon etwas verdächtig an, aber viel wichtiger ist doch, dass du in der Mannschaft bist.“
„Ich weiss, aber es stört mich trotzdem.“
„Warte einfach ab, vielleicht fliegt er noch aus dem Team.“ Vielleicht hatten Ice und mein Dad recht, dass ich nur ein bisschen Geduld haben müsste.

Der Tag fing wirklich super an, ich stand vor meinem Spint und suchte verzweifelt nach meinem Codezettel.
„Verdammt, wo zum Teufel hab ich den bloss hingelegt.“ Egal, wie oft ich in meinem Rucksack oder in den Taschen meiner Hose nachsah, ich konnte ihn nicht finden.
„Mir sagst du, ich soll auf den Zettel aufpassen und selbst verlierst du ihn.“
„Anstatt dich über mich lustig zu machen könntest du mir lieber suchen helfen“, erwiderte ich gereizt.
„Ist ja schon gut, ich helfe dir.“ Fiona öffnete ihr Schliessfach und sagte:
„257601.“
„Was?“
„Na die Kombination für deinen Spint, 257601.“ Ich stellte die Zahlen ein und tatsächlich, die Tür ging auf.
„Woher wusstest du das?“
„Ich hab dir gestern dabei zugesehen, wie du es geöffnet hast und da habe ich sie mir gemerkt. Keine Sorge, ich werd dir sicher keines von deinen Büchern klauen.“ Sie stopfte ihre Bücher in ihre Tasche und ging.
„Danke Fio… äh, Fly“, rief ich ihr hinterher.
„Das war jetzt aber seltsam, wer kann sich diese Zahlen schon merken und dann auch noch, wenn man sie nur ganz kurz gesehen hat?“
„Mir ist das ziemlich egal, solange ich nun mein Buch holen kann.“

Die nächsten beiden Stunden verbrachten wir mit Dämonologie und Geschichte. Beides nicht gerade meine Lieblingsfächer. Sie waren todlangweilig, hauptsächlich darum, weil ich das meiste schon von meinem Vater gehört hatte. In Dämonologie ging es um die verschiedenen Dämonenarten und deren Verhalten, Angriffe und Schwachstellen. Mr. Lakefield verkündete, dass wir uns die ersten Wochen mit Dämonen und Fabelwesen der ersten Stufe auseinandersetzen würden und uns dann den Rest des Jahres Stufe für Stufe hocharbeiten würden. In Geschichte fingen wir mit der Entstehung der Dämonen-Jäger-Kultur an und dazu gehörten unweigerlich die Urfamilien. Nach diesen zwei Fächern hatten wir den ganzen restlichen Tag Training mit Waffen, um uns dann, wenn die vier Wochen um waren, für die eine zu entscheiden. Ich merkte schnell, dass ich ganz sicher keine Schusswaffe wie Bogen, Bumerang oder Armbrust wählen würde. Ich verfehlte so gut wie immer mein Ziel und Mrs. Greenwald, die dieses Fach unterrichtete, schüttelte nur den Kopf. Beim Fach mit Schwert, Lanzen und Äxten stellte ich mich wehsentlich besser an, sodass mich Mr. Lockhart oft lobte. Dämonengifte war wirklich interessant, ich war zwar nur mittelmässig, aber es machte mir Spass. Fly war einfach genial in dem Fach, was vielleicht auch mit ihren Heilfähigkeiten zu tun hatte. Zu diesem Fach gehörten nicht nur Verletzungen durch Gifte, sondern allgemein die Versorgung von Wunden. Die letzten drei Fächer, die wir schon in den ersten vier Wochen hatten, waren Sport, Waffen und Runenkunde. Es war nicht nur gewöhnlicher Sport, dort ging es auch darum, die Verwandlung perfekt zu beherrschen. Man musste in der Lage sein, nur ein bestimmtes Körperteil zu verwandeln oder nur eine bestimmte Menge an Kraft zu nutzen. Dann war da noch Ices Lieblingsfach: Waffenkunde. Dort lernten wir, wie man die verschiedenen Zusatz-Ausrüstungsgegenstände benutzte und baute. Ich kapierte irgendwie nicht, wie die einzelnen Teile eines Feuerdämonenschwertes zusammengehörten, geschweige denn, wie man die einzelnen Teile herstellte. Ice hatte damit keine Probleme, er fand sogar Gefallen daran, die Teile neu zu kombinieren und neue Sachen zu erfinden. Zu meinem Glück hatten wir nur drei Lektionen davon in einer Woche. Dann noch zuletzt Runenkunde. Dort zeigte Mr. Lakefield uns die Geheimnisse der alten Runen. Das war mein Lieblingsfach, weil mein Vater mich in dem noch nicht unterrichtet hatte. Nicht nur in den Unterrichtsstunden gab ich mir Mühe, auch im Basketballtraining gab ich mein Bestes. Shadow und ich machten aus allem Möglichen einen Wettkampf, beim Warmlaufen, beim Freiwurftraining und bei Trainingsspielen. In den Mittagspausen sassen wir immer so wie am ersten Tag, mit einer Ausnahme. Irgendwann hatte ich Fly gefragt, ob sie nicht auch bei uns am Tisch essen wolle. Immerhin waren wir früher mal sehr gute Freunde gewesen. Sie beteiligte sich zwar nicht allzu viel an unseren Gesprächen, doch ab und zu gab sie dann doch ihren Kommentar ab.

Am Freitag der letzten Woche, bevor die Teams gebildet wurden, konnten wir nicht nur unsere eigene Waffe herstellen, wir hatten auch noch Tests, in jedem Fach einen. Es war eine Art Auswertung der Fähigkeiten. Geschichte würde ich mit Links schaffen, aber in Schusswaffen würde ich gnadenlos durchfallen. Fly dagegen hatte Probleme in Geschichte, glänzte aber mit dem Bogen. So machten wir einen Deal, ich lernte mit ihr Geschichte, wenn sie mir beim Bogenschiessen aus der Patsche half. Am Mittwochnachmittag blieben wir beide und Ice – er war zwar weitaus besser als ich im Bogenschiessen, wollte aber noch etwas an seiner Technik feilen – in der Schule. Zuerst sah sie mir einfach eine Weile zu, wie ich Pfeil um Pfeil danebenschoss. Erst als ich etwa gefühlte 100 Pfeile danebengeschossen hatte, sagte sie etwas.
„Erstens stehst du vollkommen falsch, zweitens hältst du den Bogen falsch und drittens spannst du die Sehne für diese Distanz viel zu wenig an. Wenigstens hältst du den Peil am richtigen Ort.“
„Vielen Dank auch, und jetzt könntest du mir dabei helfen, wenigstens eine Genügend zu bekommen.“ Sie aktivierte ihren Bogen und stellte sich vor die Zielscheibe.
„Stell dich genau so hin wie ich, ja genau so und jetzt den Bogen etwas höher.“ Sie schoss und der Pfeil traf ins Schwarze. Für sie waren die fünfzehn Meter Entfernung kein Problem. Mein Pfeil flog Meilenweit drüber. „Ich sagte: etwas höher. Du musst nicht gleich an die Hallendecke zielen.“ Ice lachte und ich knirschte mit den Zähnen. „Versuch es noch einmal, dieses Mal hältst du ihn tiefer.“ Dieses Mal traf ich sogar den äussersten Rand der Scheibe. „Schon besser, jetzt noch mit mehr Kraft, dann klappt es.“ Nachdem wir den ganzen Nachmittag geübt hatten, traf ich bei jedem Schuss wenigstens die Zielscheibe.
„Weisst du was, mir reicht es langsam, und so sollten sie mich nicht durchfallen lassen.“
„Gut, dann bist du jetzt mit deinem Teil der Abmachung dran.“
„Dann fahren wir jetzt zu mir nach Hause, es ist vier Uhr, da fährt mein Dad mittwochs nach Hause.“

Wir räumten alle Sachen weg und machten uns auf den Weg in das Büro meines Vaters.
„Dein Vater ist noch in einer wichtigen Sitzung, wenn ihr einen Moment Platz nehmen würdet, sie sind sicher gleich fertig“, wies uns Mrs. Greenwald, die Sekretärin meines Vaters, an. Uns blieb nichts anderes übrig, als auf den unbequemen Holzstühlen Platz zu nehmen, die vor seinem Büro standen. Das war wieder einmal typisch, sonst fuhr er immer pünktlich um vier Uhr los, und wenn ich einmal mitfahren wollte, hatte er irgendeine Sitzung. Zum Glück ging es wirklich nicht lange und sie kamen aus dem Büro. Ausser meinem Vater kamen nun auch alle Lehrer, die Schüler der ersten Klasse unterrichteten, aus dem Büro. Mein Vater hatte mir ja gestern Abend erzählt, dass sie morgen Nachmittag die Teams einteilen würden. Die Lehrer gingen und mein Vater kam zu uns.
„Und – irgendwelche Fortschritte gemacht?“
„Jetzt treffe ich schon die Zielscheibe.“
„Soweit ich mich erinnern kann, war der Bogen auch nicht gerade meine Waffe.“
„Sam, ihr habt sicher gerade die Teams eingeteilt, in welchem bin ich?“, fragte Ice.
„Das erfährst du wie alle anderen nächsten Montag.“
„Dad, komm schon, du kannst es uns doch schon heute sagen.“ Er schüttelte den Kopf.
„Das kommt gar nicht in Frage, Sky, ausserdem stehen sie noch gar nicht sicher fest. Fiona, soll ich dich bei Raymond absetzen?“ Bevor sie antworten konnte, tat ich es.
„Nein, Dad, sie kommt mit zu uns. Ich muss meinen Teil der Abmachung noch einhalten.“
„Welche Abmachung?“, fragte er uns und schloss den Wagen auf.
„Sie hat mir beim Bogenschiessen geholfen und dafür helfe ich ihr bei Geschichte.“
„Steigt ein, dann können wir losfahren.“ Ich sprang auf den Vordersitz, während Ice und Fly hinten Platz nahmen. „Wie geht es eigentlich Raymond, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen“, fragte er Fiona.
„Ihm geht es gut, seit letztem Jahr kann er sogar ohne Stöcke gehen.“
„Das ist schön zu hören, und wie geht es dir?“ Im Rückspiegel konnte ich sehen, wie sich ihre Miene versteinerte.
„Es ist jetzt schon sieben Jahre her, was bringt es mir also, wenn ich noch weiter trauere? Egal, wie sehr ich mir wünsche, dass sie wieder da sind, wenn ich nach Hause komme, sie werden nie wieder dort auf mich warten. Raymond hat mich trotz seiner eigenen Verluste aufgenommen und immer für mich gesorgt. Ich kann mich nicht beschweren.“ Mein Vater tippte nervös auf das Lenkrad und sagte dann:
„ Gut … ich habe Raymond wirklich schon lange nicht mehr gesehen. Vielleicht sollte ich ihn wirklich einmal wieder besuchen“, wechselte er das Thema.
„Darüber würde er sich bestimmt freuen, aber donnerstags geht er immer zum Bowling“, sagte Fly.
„Danke für den Tipp, ich werde ihn lieber vorher anrufen.“ Ich war ziemlich froh, als das Auto endlich in unsere Einfahrt einbog und wir aussteigen konnten.

„Danke, dass du uns mitgenommen hast, wir gehen dann mal lernen.“ Ich packte sie am Arm und zog sie hinter mir her. Auf dem Weg zur Terrasse liefen wir meiner Mutter über den Weg.
„Fly, dich habe ich aber schon lange nicht mehr gesehen.“
„Ich helfe ihr etwas in Geschichte“, sagte ich schnell.
„Das letzte Mal, als ihr etwas zusammen gemacht habt, habt ihr miteinander im Sandkasten Sandkuchen gebacken.“
„Äh … ja, das ist aber schon ein paar Jahre her. Wir sind dann mal draussen auf der Terrasse.“ Wenigstens hat sie nicht gefragt, wie es ihr geht, dachte ich und zog sie weiter. Von der Terrasse aus konnte ich sehen, dass mein Vater den Baum beseitigt hatte, die Laube aber immer noch im gleichen Zustand wie vor ein paar Tagen war.
„Was ist denn mit eurer Gartenlaube passiert?“
„Ach, das war ein blödes Missgeschick, nicht weiter wichtig.“ Wir setzten uns an den Tisch und Fly breitete ihre Sachen aus. „Dann wollen wir doch mal anfangen, wobei soll ich dir helfen?“
„Am besten, du fängst ganz von vorne an“, sagte sie und hielt mir ihr Buch unter die Nase. Das nahm ich ihr ab und legte es beiseite.
„Ist nicht nötig, mein Vater hat mir die Geschichte von Geburt an eingetrichtert. Du hast wirklich keine Ahnung von der Geschichte vom Half-Moon-Viertel?“ Sie schüttelte den Kopf. „Dann fangen wir eben ganz vorne an, ein paar Sachen hast du zwar schon in der Schule gehört, aber dann kannst du es dir besser merken.“

Bevor ich loslegte, räusperte ich mich und suchte mir eine bequeme Position. „Vor etwa 300 Jahren entstand das Halfmoon-Viertel, damals hiess es noch Huntervillage. Dann wurde 1854 Manhattan um die Siedlung herum gebaut. Es dauerte nicht lange und die Dämonen fingen an, die Menschen in Manhattan heimzusuchen. Um den Frieden in ihren Gebieten zu sichern, griffen die Katzendämonen ein. Sie jagten und vertrieben die Dämonen. Bald galten sie als Dämonen-Jäger und wurden von den anderen Dämonen und Halbdämonen verachtet. Um diese Verachtung kümmerten sie sich nicht weiter. Sie entwickelten immer bessere Jagdmethoden und die Siedlung wuchs. Um die Kinder auszubilden, entstand eine Schule. Zuerst war es nur eine alte Halle, in der nur wenige Schüler ausgebildet wurden. Die Schule wurde immer grösser und immer mehr wollten ihre Kinder dort ausbilden lassen. Ein Rat aus den erfolgreichsten Jägerfamilien wurde gegründet, den Vorfahren der Urfamilien.“
„Also waren auch deine Vorfahren dabei“, stellte Fiona fest. Ich nickte nur und fuhr dann fort:
„Dann wollten ein paar der Urfamilien eine wählen, die den Rat leiten und formen sollten.“
„Welche Familien wollten eine Abstimmung?“
„Flashlight und Sunwheel“, antwortete ich knapp.
„So wurden sie, wie bei den Papstwahlen in eine von der Aussenwelt abgeschnittene Halle gebracht, um dort ihren Anführer zu wählen. Und wie sollte es anders kommen, jeder stimmte für sich selbst und so endete jeder Wahlgang mit demselben Ergebnis. Wochen vergingen und noch immer hatten sie niemanden gewählt.

In der Zwischenzeit waren Dämonen in die Siedlung der Katzendämonen eingefallen und ein Krieg war ausgebrochen. Von alledem merkten die Urfamilien nichts, sie diskutierten immer noch und versuchten, eine der anderen Familien auf ihre Seite zu ziehen. Mitten in einem neuen Wahlgang drangen die Dämonen in die Halle ein. Es gab eine Explosion und einen grellen Lichtblitz. Die Halle stürzte ein und begrub die Urfamilien unter sich. Wie durch ein Wunder hatte sich genau an ihrem Versammlungsort ein Hohlraum gebildet. Durch irgendetwas hatten sie das Bewusstsein verloren. Und als sie wieder zu sich kamen, mussten sie feststellen, dass sie festsassen. Nach grösster Anstrengung gelang es ihnen, sich aus den Trümmern zu befreien. Dort erwartete sie ein schrecklicher Anblick. Viele Häuser lagen in Trümmern oder standen in Flammen. Überall bekämpften die Jäger ganze Scharen von Dämonen. Sofort eilten sie ihren Kameraden zu Hilfe. Während dieses Kampfes rettete ein Mitglied der Halfmoon-Familie Lucrezia Snowflake das Leben.“ Ich wartete, bis Fly sich ein paar Notizen gemacht hatte, und erzählte dann weiter: „Die genauen Einzelheiten dieses Kampfes lasse ich weg, es genügt zu wissen, dass die Dämonen in die Flucht geschlagen werden konnten. Dadurch, dass die Halfmoon-Familie Lucrezia gerettet hatte, bekam sie die entscheidende Stimme, um die Anführer des Rates zu werden. Dann soll man am Test noch erklären, woher die Urfamilien ihr Mal haben“, sagte ich und zeigte auf meine Halbmondsichel. „Diese tragen die fünf Familien schon seit Jahrhunderten. Die Vorfahren der fünf Familien hatten sich mit einem uralten und gefährlichen Dämon eingelassen. Sie wollte so viel Kraft besitzen wie ein richtiger Dämon, sie wollten nicht auf ihre Waffen angewiesen sein. So schlossen sie einen Handel, der Dämon sollte ihnen stärkere Kräfte verleihen, dafür würden sie ihm jederzeit zu Verfügung stehen.“
„Mit was für einem Dämon haben sie sich denn eingelassen?“
„Mit Luzifer“, sagte ich und verzog bei diesem Namen das Gesicht.
„Sie haben sich mit dem Teufel eingelassen? Aber ihn hat doch noch nie jemand zu Gesicht bekommen. Es heisst, er schicke andere Dämonen, um Leid über die Menschen und Katzendämonen zu bringen.“
„Ja, das erzählt man sich, doch der wahre Grund dafür ist, dass die Urfamilien sich nicht an die Abmachung gehalten hatten.

Nachdem ihnen der Teufel die neuen Kräfte gegeben hatte, lebten sie normal weiter und nutzten ihre neu gewonnene Kraft, um die Dämonen zu bekämpfen. Doch eines Tages rief sie der Teufel zu sich. Er verlangte von ihnen, dass sie sich gegen ihr eigenes Volk richten und an seiner Seite kämpfen sollten. Bei diesem Kampf fielen sie dem Teufel in den Rücken und sperrten ihn in die Hölle.“
„Der Teufel sitzt in seinem eigenen Zuhause fest und schickt deshalb die anderen Dämonen, anstatt selbst zu erscheinen. Ist das wirklich wahr? Die Urfamilien haben den Teufel höchst persönlich reingelegt?“ Ich nickte.
„Seither versucht er sich aus seinem Gefängnis zu befreien und wehe dem Tag, an dem es ihm gelingen wird.“
„Das ganze klingt ja wie eine Gruselgeschichte, um kleinen Kindern Angst zu machen.“
„Ist auch nicht gerade meine Lieblingsgeschichte, wenn man bedenkt, dass ich ein Mal vom Teufel trage.“
„Denk nicht immer darüber nach, er sitzt jetzt schon über 500 Jahre dort unten fest und so wird es auch noch die nächsten tausend Jahre bleiben“, sagte meine Mutter, die gerade mit zwei Gläsern Limonade und ein paar belegten Broten auf die Terrasse trat.
„Man kann nie wissen, immerhin ist es der Teufel.“ Sie seufzte und stellte das Essen vor uns ab.
„Sky, du solltest darauf vertrauen, dass deine Vorfahren gute Arbeit geleistet haben und er für immer dort unten festsitzt. Gewährleisten kann dir das niemand, aber ich hoffe doch sehr, dass es so ist.“ Sie ging wieder und ich langte mir eines der Brote. Kauend fragte ich, was sie sich hatte merken können.
„Das mit den Malen ist nicht weiter schwierig, da muss ich mir einfach den Teufel merken und dann fällt mir der Rest wieder ein. Aber bei der Entstehungsgeschichte weiss ich einfach nichts.“
„Du bist doch ein Genie, was Zahlen angeht, da fällt es dir sicherlich nicht schwer, dir die beiden Zahlen 300 und 1854 zu merken. Dann merkst du dir noch die Zahl zwei, und die steht für die Familien Sunwheel und Flashlight. Dann hast du schon das Gründungsjahr und die beiden Familien, die einen Anführer wählen wollten. Dass die Halfmoon-Familie gewählt wurde, weisst du hoffentlich.“
„Wenn man es so betrachtet, dann müsste ich mir das Ganze sogar merken können.“

Wir gingen noch ein paar wichtige Namen durch und wiederholten sie so lange, bis sie sich diese merken konnte. In der Zwischenzeit hatte ich schon drei Brote verputzt und mein Glas geleert. Immer noch hungrig sah ich das letzte Brot an.
„Du kannst es haben, eines hat mir vollkommen gereicht.“
„Danke“, sagte ich und griff es mir.
„Wie heisst das Mitglied der Snowflake-Familie, das von den Halfmoons gerettet wurde?“ Sie dachte eine Weile nach und antwortete dann:
„Lucrezia, sie hiess Lucrezia.“
„Richtig, und wie hissen die fünf ersten Anführer der Urfamilien?“
„Neo Skynight, Gabriel Flashlight, Jonne Halfmoon, Linea Snowflake und … ich habe keine Ahnung.“ „Sahan Sunwheel, er heisst Sahan Sunwheel!“
„Schon gut, ich merk es mir ja.“
„Gut, ich glaube, das genügt fürs erste. Du weisst nun genug, um die Prüfung zu bestehen.“
„Aber ich weiss nicht, ob ich mir das Ganze so lange merken kann.“
„Mach dich nicht verrückt, du hast dir ja zu allem Notizen gemacht.“ Fiona räumte ihre Sachen zusammen und ich begleitete sie zur Tür. Nachdem sie gegangen war brachte ich das Geschirr in die Küche und schaute, wo meine Familie geblieben war. Ices Eltern und seine Schwester spielten irgendein Brettspiel. Ice hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und bastelte gerade an irgendeinem Netzball, der zum Fangen von kleineren Dämonen diente, herum.
„Was hast du denn damit vor?“
„Ich versuche, aus so einem harmlosen, normalen Netzball einen für Forgeschrittene zu bauen.“
„Du meinst, du willst Dämonenenergie in das Netz schleusen, sodass es die Dämonen lähmt?“
„Genau das habe ich damit gemeint. Dazu muss ich allerdings erst einmal eine kleine Kammer einbauen, die die Energie speichert und erst bei Bedarf die Energie an das Netz abgibt. Dabei gibt es jedoch ein Problem, ich schaffe es einfach nicht, den Zünder am richtigen Ort zu platzieren.“
„Schon gut, so genau wollte ich das gar nicht wissen. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du meine Eltern gesehen hast?“ Ice legte seine Sachen beiseite und drehte sich zu mir um.
„Es gab ein erneutes Zusammentreffen von vielen Kobolden. Sie haben sich auf den Weg gemacht, um sich das Ganze selbst anzusehen und die anderen zu unterstützen.“ Ich setzte mich auf die Bettkante und fragte dann:
„Was genau ist denn passiert?“
„Keine Ahnung, sie haben nur gesagt, dass es mit den Kobolden zusammenhängt. Es soll eine erneute Versammlung gegeben haben.“
„Warum mussten sie sie dann unterstützen?“
„Das Team, das sie entdeckt hat, wurde aus dem Nichts von einer Schar Dämonen angegriffen.“
„Wie kann das sein, einfach so tauchen doch nicht so viele Dämonen auf.“
„Deine Eltern werden ihnen die Hölle heiss machen“, sagte er zuversichtlich. „Du wirst schon sehen, für sie sind so ein paar Dämonen doch kein Problem.“

Sie waren wirklich ein gutes Team, mit Dads Stärke und Mums unglaublicher Ausstrahlung hatten sie schon manche Schar Dämonen verjagt. Mum hatte wirklich ein sehr nützliches Talent. Einen Menschen konnte sie nur mit einem Blick davon überzeugen, dass die Kobolde, die seinen Garten verwüs­tet hatten, in Wirklichkeit eine verrückt gewordene Meute von Hunden waren. Bei Dämonen war das schon etwas schwerer, dabei musste sie schon wesentlich länger mit ihnen Blickkontakt haben und auch manchmal auf sie einreden. Wenn sie jedoch bei Katzendämonen versuchte, ihnen etwas einzureden, schaffte sie es nur, wenn sie sich wirklich konzentrierte. Als sie bei mir mal versucht hatte, mich dazuzubringen, mein Zimmer aufzuräumen, hat es fast geklappt. Aber nur, weil ich nicht darauf vorbereitet war. Seit ich aber ihren Blick kenne, kann sie mir damit nichts mehr anhaben.
„Sie sind wirklich ein gutes Team, aber irgendwann haben sie dann auch keine Chance mehr.“
„Alleine sind sie nun auch wieder nicht, und das ist Berufsrisiko.“ Da hatte Ice recht, wenn man ein Dämonen-Jäger war, musste man damit rechnen, eines Tages von einem Dämon umgebracht zu werden. „So schlimm wird es nun auch wieder nicht sein, sie werden schon wieder zurückkommen.“ Ice stand auf und klopfte mir auf den Rücken. „Wir machen uns hier gegenseitig verrückt, dabei ist es ein ganz normaler Einsatz.“ Ja, es war ein ganz gewöhnlicher Einsatz. Sie würden den Dämon in den Hintern treten und dann wieder nach Hause kommen. Ich lenkte mich ab, indem ich Ice zusah und zuhörte, wie er versuchte, mir zu erklären, was er da gerade tat. Obwohl ich das meiste nicht verstand, was er erzählte, hörte ich ihm gerne zu.

So begeistert war er sonst nie, nur wenn er etwas baute oder an etwas bastelte, strotzte er so voller Energie. Um die Zeit totzuschlagen, sah ich ihm zu. Dabei hatte ich keine Ahnung, was er da gerade tat.
„Wie weisst du eigentlich, wo du welches Teil einbauen musst?“
„Das weiss ich einfach, ausserdem habe ich im Unterricht aufgepasst und ein Dutzend Bücher darüber gelesen.“
„Seit wann liest du Bücher?“
„Nur solche, die mich interessieren. Solltest du auch mal versuchen, dann würdest du vielleicht verstehen, was ich gerade mache.“
„Vergiss es, auch wenn ich tausend Bücher darüber lesen würde, ich hätte immer noch keinen blassen Schimmer, wie das Ganze hier funktioniert. Da nutze ich doch lieber die Zeit, um zu trainieren.“
„Mit dieser Einstellung wirst du es ganz sicher nie verstehen, aber dafür hast du ja mich. Wenn wir zusammen ins Team kommen würden, dann könntest du das mit den Hilfsmitteln mir überlassen.“
„Du würdest wirklich einen Klassetechniker abgeben. Ganz im Gegensatz zu mir, ich wüsste nicht mal, was ich in einem Team nützen würde.“ Ice schüttelte den Kopf.
„Sei nicht immer so pessimistisch, wenn wir erst mal in einem Team sind, wirst du merken, was du kannst.“
„Eines steht schon mal fest, ich werde sicher kein Techniker.“
„Ja, das ist besser so.“ Damit man das Ganze hier versteht, muss man wissen, dass es in jedem Team drei Positionen gibt. In jedem Team gibt es einen Strategen, den Anführer des Teams. Dieser trägt die Verantwortung des Teams. Der Techniker ist für die Ausrüstungsgegenstände zuständig und kennt sich mit Fallen aus. Als Letztes gibt es dann noch den Mediziner, der das gesundheitliche Wohl des Teams überwacht und weiss, was bei Vergiftungen zu tun ist. Nach den ersten zwei Jahren in einem Team legt sich jeder definitiv auf eine Position fest, meistens entscheidet sich das jedoch schon bei den ersten Einsätzen. Es kommt aber auch manchmal vor, dass das Team geändert werden muss, weil sie sich nicht untereinander verstehen und es mit der Rollenverteilung nicht funktioniert. Meistens werden die Teams jedoch so eingeteilt, dass sie auch funktionieren. Mein Vater war in seinem Team natürlich der Anführer. Wenn man die Position eines Anführers einnimmt, lernt man gleichzeitig noch eine der anderen Positionen. Dad hat sich hier für den Techniker entschieden. Das heisst aber nicht, dass er nicht das Zeug zum Mediziner gehabt hätte. Er konnte jede Position einnehmen, und sowas war äusserst selten. Mir persönlich würde es schon reichen, wenn ich nur eine Position genügend erfüllen könnte. Bevor ich mir noch weiter den Kopf darüber zerbrach, hörte ich, wie meine Eltern zurückkamen.

Ich sprang von der Bettkante auf, Ice liess alles stehen und liegen, und wir gingen zu Tür.
„Manchmal frage ich mich wirklich, was sich diese Dämonen überhaupt überlegen“, hörte ich meinen Vater sagen.
„Sofern sie überhaupt etwas denken können“, erwiderte meine Mum gereizt. Als Ice und ich zu ihnen stiessen, waren sie gerade dabei, ihre Ausrüstung in den Schrank gleich neben der Tür zu verstauen. Dort bewahrten unsere beiden Familien ihre Ausrüstung auf, um sie immer griffbereit zu haben. Auch Ice und ich würden unsere Ausrüstung in diesem Schrank aufbewahren, sobald wir sie bekommen hätten. Meine Eltern waren von Kopf bis Fuss mit Dreck, schwarzem Dämonenblut und grünem Dämonenschleim bedeckt.
„Was ist denn mit euch passiert?“
„Die Frage ist nicht was, sondern wer. Es waren wirklich verdammt viele Dämonen, aber keiner davon war über Stufe drei.“
„Zu unserem Glück, wir waren zu zehnt gegen 200 von diesen Viechern“, fügte Mum hinzu.
„Und euch ist nichts passiert?“, fragte ich.
„Uns geht es gut, aber Mitch hatte weniger Glück, der arme Kerl hat jetzt zwei gebrochene Beine.“
„Was ist mit den Dämonen?“, fragte Ice.
„Mitten im Kampf sind sie einfach geflohen, wir haben keine Ahnung, warum. Auf jedem Fall habe ich alle Teams in Alarmbereitschaft versetzt und sie angewiesen, Augen und Ohren offenzuhalten.“
„Aber jetzt freue ich mich erst mal auf ein heisses Bad und mein weiches Bett“, sagte sie und lehnte sich an Dad.
„Da gebe ich dir recht, Victoria“, an mich und Ice gewandt, fuhr er fort: „Und ihr zwei solltet euch noch etwas auf die Tests diesen Freitag vorbereiten.“ Mit diesen Worten liessen sie uns stehen und gingen nach oben.
„Da freue ich mich doch schon wahnsinnig drauf“, sagte Ice sarkastisch.
„Auf die Tests?“
„Nein auf so einen Einsatz, bei dem man von Kopf bis Fuss mit Dämonenspucke vollgesabbert wird.“
„Es wird noch eine Weile dauern, bis wir einen richtigen Einsatz bekommen.“ Während wir uns weiter über dieses Thema unterhielten, holten wir uns eine Tüte Chips aus der Küche und setzten uns ins Wohnzimmer.
„Wir werden ja sehen, wie unser erster Einsatz ablaufen wird. Erst müssen wir in Teams eingeteilt werden.“
„Das kommt mir so unendlich lange vor“, stöhnte ich.
„Die Tests am Freitag sind auch wichtig für die Teameinteilung. Wenn die Tests ausgewertet sind, sieht man seine Fähigkeiten ziemlich gut.“
„Ich bin auch gespannt auf das Ergebnis, aber zuerst müssen wir sie absolvieren“, sagte Ice und schob sich eine Hand voll Chips in den Mund. „Ausserdem können wir am Freitag auch endlich unsere eigenen Waffen fertigen. Ich werde mir eine Mischung aus Speer und Hellebarde machen.“
„Ich werde irgendeinen Schwerttyp machen, das sehe ich dann, wenn es soweit ist.“ Dann verbrachten wir den Rest des Abends vor dem Fernseher.

Freitag. Auf diesen Tag hatte die ganze erste Klasse der Cats School gewartet. Einerseits darum, weil sie die Tests fürchteten und andererseits, weil sie sich darauf freuten, ihre Waffen zu kreieren. Ich hatte bereits drei Tests hinter mir (Geschichte, Dämonologie und Runen) und hatte nun noch fünf vor mir (Dämonengifte, Sport, Schusswaffen, Schwertkunde und Waffenkunde). Als nächstes stand Sport auf dem Plan, hier sollten wir zeigen, was wir in den letzten fünf Wochen in Sachen Verwandlung gelernt hatten. Mir fiel es inzwischen überhaupt nicht mehr schwer, nur einen Arm oder die Ohren zu verwandeln. Dank der Technik mit der Flamme, die ich an- und ausknipste gelang mir das Ganze recht gut. Ice jedoch mühte sich neben mir ab, nur einen Arm zu verwandeln. Immer wieder verwandelte er sich ganz. Im nächsten Test wurden wir im Fach Schwertkunde geprüft, dazu musste ich gegen andere Schüler antreten. Manchmal auch gegen solche aus der zweiten Klasse. Dabei beobachteten die Lehrer mich und die anderen ganz genau. Nach diesem Test duschte ich kurz, dann musste ich auch schon weiter. Dieses Mal musste ich mich nicht körperlich, sondern geistig betätigen. Mein Wissen über die medizinische Behandlung war gefragt. Im Test waren vier verschiedene Situationen beschrieben, auf die ich reagieren musste. Als auch dieser Test absolviert war, hatte ich erst mal Pause.

„Wie ist es euch bis jetzt so ergangen?“, fragte Matt.
„Gar nicht übel, aber meine Problemfächer waren noch gar nicht dran.“
„Meine schon, aber dank deiner Hilfe konnte ich zumindest ein paar Fragen des Geschichtstests beantworten.“
„Bei mir wird sich erst noch zeigen, ob du mir was beibringen konntest oder ob ich ein hoffnungsloser Fall bin.“
„Besonders freue ich mich auf den Waffenkundetest“, sagte Ice, und Matt stimmte ihm zu. An den wollte ich erst gar nicht denken.
„Er wird bestimmt einfacher als der Geschichtstest.“
„Ich bin einfach nur froh, wenn ich die alle hinter mir habe“, sagte Noah. Da stimmten ihm alle zu. Die Mittagspause war vorbei und ich begab mich in die Turnhalle, um den Bogenschiesstest hinter mich zu bringen. Während ich den Bogen spannte, versuchte ich mich zu erinnern, was mir Fly gesagt hatte. Immer auf die richtige Haltung achten, hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf. Schliesslich traf ich zwar immer noch nicht allzu gut, aber immer noch besser als vor drei Tagen. Zum Schluss musste ich nun wohl oder übel den Waffenkundetest schreiben. Schon bei der ersten Frage wusste ich, dass ich diesen Test garantiert verhauen würde. Die erste Frage lautete: Beschrifte die verschiedenen Komponenten eines Dämonenschwertes. Anstatt einer Antwort erschien vor meinem inneren Auge ein grosses Fragezeichen. Wenigstens konnte ich eines der vier Teile benennen, den Energiespeicher. Zur nächsten Frage: Was ist zu beachten, wenn man ein Dämonenschwert auseinandernimmt? Diese Frage war auch nicht gerade meine Stärke und da ich es nicht besser wusste, schrieb ich: Man muss darauf achten, dass es einem nicht um die Ohren fliegt. Bei den darauffolgenden Fragen hatte ich ebenso keine Ahnung. Letzte Frage und meine letzte Chance, doch noch einen Punkt zu machen. Wie lautet der Titel eines Buches, mit dem du hättest lernen können?
„Wollen die mich verarschen?!“ Erst als es schon zu spät war, merkte ich, dass ich das soeben laut ausgesprochen hatte. Alle im Raum brachen in lautes Gelächter aus und Mr. Elsworth schüttelte den Kopf.
„Gibt es da ein Problem, Sky?“
„Nein, alles bestens“, beeilte ich mich zu sagen.
„Gut zu hören! Und nun hört auf zu lachen und arbeitet weiter; es sind noch fünf Minuten Zeit übrig.“

Eigentlich war gar nichts in Ordnung, ich war gerade dabei, diese Prüfung in den Sand zu setzen, und die letzte Frage war einfach nur blanker Hohn. Angestrengt versuchte ich mich an einen der Titel der Bücher zu erinnern, die auf dem Schreibtisch von Ice gelegen hatten. Dabei zerkaute ich mehr und mehr meinen Bleistift. Egal wie sehr ich mich auch anstrenge, nicht ein Titel wollte mir einfallen. Meine letzte Hoffnung, doch nicht ganz zu versagen, war Ice. Er sass direkt neben mir und ich hätte nur leicht den Kopf in seine Richtung drehen müssen, damit ich die Antworten hätte lesen können. Nur liess mich Mr. Elsworth seit der Nummer eben nicht mehr aus den Augen. Da fiel Fly der Stift aus der Hand und durch das Geräusch und wie sie sich danach bückte, lenkte Mr. Elsworths Aufmerksamkeit auf sie. Zwar nur zwei Sekunden lang, aber das genügte mir, um die Antworten auf zwei Fragen auf Ices Blatt zu lesen. Kaum hatte ich diese zwei Fragen beantwortet, fing er auch schon an, die Blätter einzusammeln.
„Legt die Stifte weg, die Zeit ist jetzt um. Ich hoffe, ihr alle wisst, dass ihr euch jetzt in der Halle versammeln sollt.“ Das hatte sicher niemand vergessen, denn das hiess, dass wir endlich unsere eigene Waffe herstellen konnten. Auf dem Weg zu Halle tauchte plötzlich Bryson Tyreek, ein schlaksiger Junge aus meiner Klasse, neben mir auf.
„Hey, Sky, das vorhin war echt cool, sowas hätte ich mich sicher nicht getraut.“
„Mr. Elsworth hat auch ziemlich dämlich dreingeschaut“, sagte Grace Jayama lachend, ebenfalls aus meiner Klasse. Ice schlug mir auf den Rücken, wie er das noch des Öfteren tat.
„Das wolltest du nicht wirklich laut sagen, habe ich recht?“
„Eigentlich nicht, ist mir so rausgerutscht. Ich war mit den Nerven schon fast am Ende und dann kommt da so eine dämliche Frage.“
„Hattest du genug Zeit um, was abzuschreiben?“, fragte da Fly.
„Du hast das mit Absicht gemacht?“
„Ich konnte doch nicht mit ansehen, wie du deinen armen Bleistift zerkaust.“

Wie auch am ersten Tag wurden wir auch jetzt vom Strom der Menge mitgerissen. Auf der Bühne stand bereits mein Vater und wartete, bis alle Schüler der ersten Klasse anwesend und ruhig waren.
„Ich hoffe, ihr habt alle fleissig gelernt und die Tests mit Bravour bestanden. Aber ihr alle wartet sicher schon sehnsüchtig darauf, endlich eure Waffe herstellen zu können. Darum werde ich auch keine weiteren Worte verschwenden und gleich zu Sache kommen.“ Er legte eine kleine Pause ein und fuhr dann fort. „Die Maschine, welche die Waffen nach euren Vorlagen gestaltet, ist der Stolz der Mechaniker und steht im untersten Stock des Gebäudes mit den Simulatoren. Ihr werdet klassenweise dort hinuntergehen und der Reihe nach eure Waffe kreieren. Was genau ihr machen müsst, wird euch vor Ort erklärt. Die Klasse 1A beginnt und dann folgen B, C und D.“ Das hiess, dass ich als einer der Letzten an der Reihe war. „Dann wünsche ich euch viel Vergnügen. Und überlegt gut, was für eine Waffe ihr wählt!“ Mein Vater verliess die Bühne und Mrs. Warren wies ihre Klasse an, ihr zu folgen. Wir restlichen Schüler warteten in der Halle.

Da kam Shadow, flankiert von Susan Bladestorme und Kellan Nightengale, auf mich und Ice zu.
„Halfmoon, wenn wir in Teams eingeteilt sind, können wir endlich gegen Dämonen kämpfen. Dann können alle sehen, dass die Falshlights die besseren Jäger sind.“ Er konnte es einfach nicht ertragen, dass meine Familie den Rat anführte. „Ich kann es kaum erwarten, dich versagen zu sehen. Soweit ich weiss, hast du schon immer versagt.“ Von mir aus konnte er mich so lange beleidigen, wie er wollte, ich liess mich nicht provozieren. Ice jedoch blieb nicht so kühl wie ich und wollte auf Shadow losgehen. Ich packte ihn am Arm, während Susan blitzschnell vor ihn trat.
„Lass es bleiben, Ice, er ist es nicht wert!“ Widerwillig wich er wieder zurück und auch Susan kehrte an ihren Platzt auf der rechten Seite von Shadow zurück. Dann war das, was ich über die Bladestorms gehört hatte, wirklich wahr: sie waren schnell, sehr schnell.
„Als könntet ihr auch nur annähernd gegen mich bestehen“.

Bevor Ice irgendetwas unternehmen konnte, rief Mr. Bennet seine Klasse zusammen, die 1B. Zu der gehörten auch Shadow und seine Freunde.
„Wir sehen uns noch, Halfmoon.
„Wieso hast du mich aufgehalten, ich hätte ihn auseinandergenommen.“ Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch Aurora Sunwheel kam mir zuvor.
„Du wärst nicht mal in Shadows Nähe gekommen, Susan hätte dich vorher ausgeschaltet. Es ist genau wie früher, du bist immer noch der gleiche Hitzkopf.“ Ice lief im Gegensatz zu sonst knallrot an und stammelte irgendetwas vor sich hin. Er war schon seit er sechsjahre alt war in Aurora verknallt. Ich konnte es ihm nicht verübeln, sie sah wirklich gut aus. Sie hatte schulterlanges, braunes, gelocktes Haar, eine top Figur. Und dann noch diese violetten Augen! Da Ice in ihrer Gegenwart keinen vernünftigen Satz zustande brachte, übernahm ich das Reden.
„Shadow ist auch immer noch der gleiche Idiot wie früher.“
„Da muss ich dir recht geben, Sky, aber man sollte ihn nicht für zu wichtig halten, und unterschätzen sollte man ihn auch nicht“.
„Ich habe keine Angst vor ihm und wir tragen unsere Differenzen im Basketball aus.“
„Na, dann solltest du das auch mal versuchen, Ice.“ Sie lächelte uns an und ging dann zu ihrer Klasse zurück.

Als sie uns nicht mehr hören konnte, drehte ich mich grinsend zu ihm um.
„Dich hat es wirklich erwischt, was?“
„Ist doch gar nicht wahr“, stritt er es ab.
„Warum läufst du dann rot an und stammelst wie ein Idiot vor dich hin?“
„Na gut, dann bin ich eben in sie verknallt, und wenn schon … und jetzt hör endlich auf, so dämlich zu grinsen!“
„Du meinst, so wie du das immer machst?“, fragte ich und grinste nur noch breiter. Er rammte mir den Ellbogen in die Seite und grinste dann ebenfalls.
„Ich grinse doch gar nie so blöd.“ Daraufhin fingen wir beide an zu lachen.
„Ich störe euch nur ungern, aber wir sind jetzt an der Reihe“, sagte Mr. Lakefield. Wir hörten auf zu lachen und folgten ihm. Mit der ganzen Klasse im Schlepptau machten wir uns auf den Weg in den Keller.
„Ich freue mich schon darauf, diese Maschine zu sehen. Soviel ich gehört und gelesen habe, muss sie ja ein Meisterwerk sein“, schwärmte Ice.
„Mir ist das so ziemlich egal, solange sie das macht, wozu sie gebaut wurde.“
„Du bist wirklich kein Mechaniker, mich interessiert vor allem, wie das Teil funktioniert. Weisst du, ich will selbst mal so eine Maschine bauen. Leider sind die Pläne streng geheim und es dürfen sie nur die besten Mechaniker sehen. Deshalb werde ich einer der besten Mechaniker werden“, sagte er voller Überzeugung. Ice hatte ein genaues Ziel vor Augen, und das wollte er auf jeden Fall erreichen, koste es, was es wolle. Und wahrscheinlich würde er es auch schaffen. Nachdem wir die Treppen im Gebäude mit den Klassenzimmern nach unten gestiegen waren, standen wir in einem Gang, von dem zwei Türen in weitere Räume führten. Eine führte in den Raum mit den Simulatoren und die anderen zu der Maschine. Mr. Lakefield öffnete und liess uns eintreten. Ich sah, wie Ice sich staunend umsah. Eigentlich gab es da nicht viel zu bestaunen, das einzige, was man sehen konnte, war ein grosser Monitor, ein Schaltpult mit Tausenden Tasten und die Luke, aus der man dann seine Waffe nehmen konnte. Der Rest der Maschine befand sich im andern Raum dahinter. Alle begannen aufgeregt miteinander zu diskutieren.

„Dürfte ich um Ruhe bitten“, sagte da ein Mann, dem man ansah, dass er schon etwas älter war, auch wenn er ein Katzendämon war. Es war Nitschel Hawkins, der Leiter der mechanischen Abteilung von Half Moon und einer der besten Mechaniker, den es je gegeben hatte. Er hatte weisses, schütteres Haar und ein vom Leben gezeichnetes Gesicht, in dem zwei schwarze Augen leuchteten. Wenn Ice nicht schon ein Autogramm von ihm gehabt hätte, dann hätte er ihn bestimmt um eins gebeten. Nitschel war sein grösstes Vorbild und er wollte genau so werden wie er. Ich kannte Nitschel ziemlich gut, da er sehr gut mit meinem Vater befreundet war und sowas wie sein Mentor gewesen war. Die Klasse wurde ruhig und Nitschel lächelte zufrieden.
„Da ihr jetzt ruhig seid, können wir anfangen. Ihr werdet der Reihe nach an den Kontrollpult kommen und eure Waffe kreieren. Dazu könnt ihr auf dem Computer auf eine grosse Auswahl von Waffen zurückgreifen die ihr individuell verändern könnt.“ Er zeigte auf das Schaltpult mit den vielen Knöpfen. „Wenn ihr mit der Waffe zufrieden seid, dann legt ihr eure Hände hier drauf.“ Nitschel ging zu jener Stelle des Schaltpultes, an der keine Schalter, sondern die Abdrücke von zwei Händen zu sehen waren. „Das Schwert braucht Energie und da ihr noch keine Dämonen besiegt habt, müsst ihr etwas von eurer Energie abgeben. Erschreckt nicht, wenn ihr euch plötzlich etwas müde und erschöpft fühlt, das ist ganz normal.“ Er sah allen lächelnd ins Gesicht und fragte dann: „Wer will anfangen? Freiwillige vor!“

Sofort schoss Ices Hand nach oben. „Ah, sehr schön. Ice, dachte ich es mir doch, dass du dich melden würdest. Komm bitte hier zu mir nach vorne.“ Mit einem schon fast unheimlichen Leuchten in den Augen ging er nach vorne. Nach einer kurzen Erklärung legte Ice los. Es ging nicht lange und auf dem Bildschirm war ein fast zwei Meter langer Speer zu sehen. „Bist du damit zufrieden?“
„Ja, genau so habe ich ihn mir immer vorgestellt.“
„Gut, dann leg jetzt deine Hände auf die Fläche.“ Ice tat, was er gesagt hatte, und legte seine Hände auf die dafür vorgesehene Fläche. „Bereit?“ Ice nickte und Nitschel drückte einen Knopf. Die Maschine fing an zu summen und die Fläche, auf der Ices Hände lagen, leuchtete ein wenig. Nach ein paar Sekunden war das dann auch schon wieder vorbei. Die Maschine arbeitete auf Hochtouren und dann wurde Ices Waffe in die Luke gegeben. Nitschel nahm sie heraus und reichte sie Ice. Er nahm sie entgegen und aktivierte sie gleich. Ein blau leuchtender Speer erschien. Täuschte ich mich oder wurde es kühler im Raum? „Eine wirklich ausgezeichnete Waffe, wer will als Nächstes?“ Nun, da sie wussten, dass es nicht gefährlich war, wollten gleich alle auf einmal ihre Waffen fertigen. Ich hielt mich im Hintergrund. Von mir aus konnte der Rest meiner Klasse seine Waffen zuerst anfertigen. Fly schien genauso zu denken. Anstatt möglichst weit vorne zu stehen, hatte sie sich ganz hinten an die Wand gelehnt.
„Das Teil ist echt Klasse; du hast so viele Möglichkeiten und mein Speer ist echt super geworden.“
„Ist es eigentlich kälter geworden, als du deinen Speer aktiviert hast?“ Er zuckte mit den Schultern. „Darauf habe ich gar nicht geachtet, soll ich ihn noch einmal aktivieren?“
„Ja, mein Vater hat mir mal erzählt, dass mache Waffen spezielle Eigenschaften annehmen.“

Kaum hielt Ice seine Waffe in den Händen, spürte ich, dass es kälter wurde, und da ich nun direkt neben ihm stand, nahm ich die Kälte noch viel deutlicher wahr. „Dein Speer ist ja ein richtiger Kühlschrank.“
„Meinst du das ernst, ich merke keinen Unterschied.“
„Ich gebe Sky recht, von deiner Waffe geht echt was kaltes aus“, sagte Fly und kam zu uns.
„Cool.“ Das traf es wirklich ziemlich gut. Ice liess sie verschwinden und steckte sie dann in seine Tasche zurück. „Warum meldet ihr euch eigentlich nicht?“
„Ich kann meine Waffe sowieso anfertigen, dazu muss ich mich nicht erst ins Gedränge wagen.“ So wartete ich geduldig bis die anderen fertig waren und liess dann Fiona den Vortritt. Man konnte ihr ganz deutlich ansehen dass sie der Maschine nicht traute. Erst als Nitschel ihr die verschiedenen Knöpfe gezeigt hatte mit denen sie arbeiten musste, trat sie etwas näher an die Maschine heran.

„Einen Bogen, sowas sieht man nicht oft als Hauptwaffe. Man muss wirklich damit umgehen können.“
„Ich habe mir das gut überlegt, Mr. Hawkins.“
„Na dann, leg deine Hände auf die Fläche und es kann losgehen.“ Zum siebzehnten Mal drückte er den Knopf, und die Maschine erledigte tadellos ihre Arbeit. Und als nun auch Fly ihre Waffe in den Händen hielt, blieb nur noch ich übrig. „Sky, schön dich mal wieder zu sehen. Wie lange ist das schon her, ein Jahr?“
„Um es genau zu nehmen, ist es erst ein halbes Jahr, da haben wir uns bei einer Konferenz getroffen, die bei uns zu Hause stattgefunden hat.“ Nachdenklich rieb er sich über das glatt rasierte Kinn.
„Ach, das war doch die Frühlingskonferenz im Mai. Täusche ich mich oder bist du schon wieder ein Stück gewachsen?“ Langsam wurde das hier unangenehm. Die Klasse starrte mich an, als käme ich von einem anderen Planeten. Wahrscheinlich sahen sie auch nicht täglich, wie jemand mit dem Leiter der technischen Abteilung Smalltalk hielt.
„Kann sein“, antwortete ich ausweichend.
„Genug geplaudert, bringen wir es hinter uns. Was hast du dir denn so gedacht? Ein Speer, ein Dolch oder doch lieber eine Fernwaffe?“
„Ich bleibe der Tradition der Halfmoons treu und wähle ein Schwert als Waffe.“

Ich trat an den Schaltpult und begann gleich damit, mein Schwert zu kreieren. Eine Beschreibung brauchte ich nicht, erstens hatte ich sie schon ein paarmal gehört und zweitens hatte mir mein Vater die Maschine schon gezeigt, als ich etwa zehn gewesen war. Zuerst wählte ich die Kategorie Schwerter unter den verschiedenen Waffen aus. Dann wählte ich die Anderthalbhänder und schaute mir die bereits vorhandenen Modelle an. Da keines genau meinen Vorstellungen entsprach, wählte ich eines, das ihnen am nächsten kam, verlängerte die Klinge ein wenig und machte es ein Stück breiter. Zufrieden betrachtete ich es und legte meine Hände auf die Übertragungsfläche. Nitschel drückte den Knopf und die Maschine begann zu arbeiten. Siebzehnmal hatte ich diesen Vorgang nun schon gesehen, aber wenn man ihn selbst erlebte, war es etwas ganz anderes. Langsam aber stetig zog sie mir Energie aus dem Körper. Ich konzentrierte mich und beobachtete meine Flamme, die von der Platte angezogen wurde. Doch dann geschah etwas, was eigentlich nicht passieren durfte. Die Maschine begann mir viel zu schnell – und was noch erschreckender war, viel zu viel – Energie abzuziehen. Durch meine geschlossenen Augenlider konnte ich das grelle Licht nur erahnen, das die Maschine verursachte.
„Sky, nimm deine Hände da weg!“ rief mir Nitschel zu. Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass mein Körper wie gelähmt war und er mir nicht gehorchte. Dann wurde ich von den Füssen gerissen und auf den Boden geschleudert.
„Mann, ist alles in Ordnung mit dir?“ Ice hatte blitzschnell reagiert und mich von der Maschine weggerissen, noch bevor die anderen aus ihrer Starre erwacht waren…

Mühsam richtete ich mich auf und schaute zu der Maschine hinüber, die mich beinahe umgebracht hätte, wäre Ice nicht schneller gewesen.
„Geht schon, du hast mich ja noch rechtzeitig weggestossen.“
„Mr. Hawkins, was ist passiert?“
„Ich weiss es nicht, William, nur eines ist sicher, dass es hätte nicht passieren dürfen.“ Ice zog mich auf die Füsse, wo ich schwankend stehen blieb. Nitschel begann hektisch auf die Knöpfe zu drücken und die Maschine genauestens zu untersuchen. Nach kurzer Zeit schüttelte er den Kopf. „Die Maschine funktioniert tadellos, da gibt es keine Störung.“ Das gibt es doch nicht! Dieses Ding hat mich beinahe umgebracht. Meine Beine fühlten sich wie Pudding an.
„Die Waffe wurde auch erstellt.“ Mr. Lakefield nahm sie aus der Luke und reichte sie mir. Ohne sie genauer zu betrachten, steckte ich sie zu Regulus in meine Tasche. „Sky, hast du irgendetwas gemacht, oder wolltest du dich gar verwandeln?“
„Nein, ich habe rein gar nichts gemacht. Das Ding da wollte schliesslich mich umbringen!“
„Ganz ruhig, Sky, das war keine Anschuldigung. Ihr solltet jetzt lieber gehen“, sagte er an den Rest seiner Klasse gewandt. „Sky, lass dich doch auf der Krankenstation untersuchen.“
„Das ist nicht nötig, mir geht es bestens, bringen sie lieber die Maschine in Ordnung“, schnauzte ich Mr. Lakefield an. Eigentlich wusste ich, dass er am wenigsten Schuld an dem hatte. „Tut mir leid, dass ich sie eben so angefahren habe, ich sollte jetzt besser gehen.“

Im Gang lehnte ich mich gegen die Wand und schloss die Augen. Die Maschine hatte mir wohl doch mehr Energie entzogen, als ich erst gedacht hatte. Es drehte sich alles, und meine Beine fühlten sich auch nicht gerade vertrauenserweckend an. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich in die besorgten Gesichter von Fly und Ice.
„Geht es dir wirklich gut, Kumpel? Du siehst aus, als würdest du gleich umfallen.“
„Ich kann ganz leicht überprüfen, ob es was Ernstes ist oder nicht, dazu muss ich dir nur eine Hand auf die Stirn legen.“ Bevor ich protestieren konnte, lag schon ihre Hand auf meiner Stirn. „Es ist alles in Ordnung, nur sein Energielevel ist ziemlich niedrig.“ Sie nahm ihre Hand weg und trat einen Schritt zurück.
„Was hast du da eben gemacht?“
„Ich hab seinen Körper gescannt, so kann ich sehen, ob irgendeine Verletzung vorhanden ist. Auch wenn sie von aussen nicht zu sehen ist, ich finde jede noch so kleine Verletzung.“ Die Fähigkeit der Firelights – und Fly war die Einzige, die sie besass.
„Du kannst wirklich alle Verletzungen erkennen?“
„Ja, wenn sie besonders schlimm sind, muss ich denjenigen mit der Verletzung nicht einmal berühren.“
„Das ist ja ziemlich praktisch, dann bist du ja besser als jeder Arzt.“
„Ich habe aber nicht das Fachwissen und alles kann ich auch nicht heilen, irgendwann kann auch ich nicht mehr helfen.“
„Alles schön und gut, aber wenn wir hier noch lange quatschen, verpassen wir den Bus, und ich habe keine Lust, auf den nächsten zu warten.“ Da ich ziemlich schwankte, legte sich Ice meinen Arm um und stütze mich.

An der Haltestelle wartete schon ein Haufen anderer Schüler und Shadow kam selbstsicher wie immer auf uns zu.
„Hat dich die Maschine umgehauen, du bist wirklich ein Schwächling, Halfmoon.“ Nicht schon wieder! Für heute hatte ich genug von ihm.
„Lass mich in Ruhe, Shadow, von mir aus kannst du mich am Montag wieder nerven.“ Entweder schien er heute besonders gute Laune zu haben oder er hatte kein Interesse daran, jemanden zu nerven, der nicht darauf reagierte. Ohne weitere dumme Sprüche ging er zu seinen Freunden zurück.
„Irgendwann will ich ihm mal so richtig eine reinhauen“, zischte Ice neben mir.
„Du lässt dich viel zu schnell von ihm provozieren, Ice.“
„Du lässt dir einfach alles gefallen“, erwiderte er.
„Es bringt nichts, wenn ich darauf reagiere, ganz im Gegenteil, es gefällt ihm sogar.“ Ice schnaubte:
„Ich würde ihm trotzdem gerne eine reinhauen.“
„Da bist du nicht der Einzige, Ice, aber jetzt will ich einfach nach Hause und mich ausruhen. In dem Zustand hätte ich sowieso keine Chance gegen ihn.“

Der Bus brachte uns nach Hause und dort schleppte ich mich die Treppe hoch in mein Zimmer. „Verdammte Maschine!“ Erschöpft liess ich mich auf mein Bett fallen. Für heute hatte ich endgültig genug: Zuerst die Tests, dann Shadow und zum Schluss noch diese Teufelsmaschine. Bevor ich mich jedoch aufs Ohr haute, musste ich noch die Waffe betrachten, um derentwillen ich überhaupt diese Maschine benutzt hatte. Der Griff des Schwertes war silbern und leuchtete schon fast. Die Klinge war ebenfalls silbern und spendete gleich viel Licht wie ein Vollmond. Sie lag gut in der Hand, und da ich selbst meine Energie gegeben hatte, konnte ich sie problemlos regulieren. Das war etwas, was vor allem im Training praktisch war, so konnte man mit seiner Waffe gegen jemanden antreten, ohne ihn ernsthaft zu verletzen, wenn man in treffen würde. Denn bei einem zu niedrigen Energielevel war das Schwert nicht mehr als ein Stock. Deshalb hatte ich auch die Macht von Regulus nicht nutzen können. Ich schaffte es einfach nichtm mich mit der Waffe zu verbinden und den Energielevel zu erhöhen. Wenigstens schien meine eigene Waffe gar nicht übel zu sein. Zufrieden legte ich sie wieder zurück und streckte mich auf meinem Bett aus. Jetzt würde ich erst mal ein verdientes, ausgedehntes Schläfchen halten.


Versagt



„Sky, steh endlich auf, in fünf Minuten fährt der Bus!“ Ich schoss aus dem Bett, zog meine Klamotten über mein Pyjama, stopfte meine Bücher in den Rucksack und stürzte nach unten. Unten vor der Treppe stand meine Mutter und schaute auf die Uhr. „Vierzig Sekunden, ein neuer Rekord.“
„Wie spät ist es denn?“
„Halb sieben, du kannst also ruhig wieder in dein Zimmer gehen und dich richtig anziehen.“ Der alte Trick mit der Uhrzeit und ich fiel doch immer wieder darauf herein. Murrend ging ich wieder nach oben. Da ich nun ohnehin wach war, zog ich mich richtig an und ging dann wieder nach unten. Meine Mutter stand immer noch da.
„Funktioniert doch immer wieder.“
„Was ist mit Dad, hast du ihn auch so geweckt?“
„Nein, aber riech mal.“ Jetzt, wo sie es sagte, roch ich den gebratenen Speck und die Eier, das Lieblingsfrühstück meines Dad.
„Gibt’s Frühstück?“, fragte er da hinter mir. Mit diesen Methoden schaffte sie es jedesmal, Morgenmuffel aus dem Bett zu scheuchen. Mum war im Gegensatz zu uns eine Frühaufsteherin. Auch in aller Früh war sie schon topfit und bester Laune.
„Ich hätte noch zehn Minuten schlafen können, musstest du mich wecken?“
„Hör auf zu murren, Sky, auf die paar Minuten kommt es nicht an. Kommt, das Essen wird noch kalt!“ Gähnend schlurften wir hinter ihr in die Küche.
„Ich bin schon gespannt auf deine Testergebnisse“, sagte mein Vater zwischen zwei Bissen.
„Hast du das denn nicht selbst korrigiert, ich dachte du hilfst da immer mit?“
„Deines habe ich extra einem anderen Lehrer überlassen.“
„Warum denn das?“ Er zuckte mit den Schultern.
„Wollte mich überraschen lassen und wie alle anderen Eltern das Ergebnis von ihren Kindern erfahren.“ Das hiess also, dass mir das Donnerwetter für die verhauene Waffenkunde-Prüfung noch bevorstand. Es wäre ja auch viel zu schön gewesen, wenn er nichts gesagt hätte. Wie ich mich schon darauf freute! Lustlos stocherte ich in meinem Frühstück herum.
„Schmeckt es dir nicht?“
„Doch, Mum, ich habe einfach nur keinen Hunger.“
„Wenn du das nicht mehr isst, nehme ich es.“ Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, war mein Essen schon verschwunden.
„Sam, das war Skys Essen“, tadelte sie ihren Mann und wedelte mit der Bratschaufel vor Dads Gesicht herum.
„Ich habe doch gefragt und es wäre doch schade, wenn was liegen bleibt.“
„Er hat doch noch gar nicht Ja gesagt.“
„Schon gut, Mum, ich habe wirklich keinen Hunger.“
„Siehst du, Victoria, dann kann ich es mir doch schmecken lassen.“

Grade als Dad auch noch mein Frühstück gegessen hatte, kam Ice in die Küche. „Schon so früh wach?“
„Ich hätte ja noch etwas schlafen wollen, aber Mum dachte, ich käme sonst zu spät.“ Ice lachte.
„Der Trick mit der Zeit?“ Ich nickte und trank mein Glas Saft leer. „Dass du auch immer wieder darauf hereinfällst“, sagte er, während er sich sein Müesli in eine Schüssel kippte.
„Ach, halt doch die Klappe und beeil dich lieber, nicht dass wir wirklich noch zu spät kommen.“
„Reg dich ab, Sky, der Bus fährt erst um fünf nach und jetzt ist es gerade mal zehn vor.“ Ich schnappte mir meinen Rucksack und sagte dann:
„Ich gehe schon mal vor.“ Obwohl ich schon an der Tür war, konnte ich hören, wie mein Vater sagte:
„Der ist aber heute schlecht gelaunt.“ Meine Laune würde sich noch verschlechtern, wenn er erst mal meine Prüfungsergebnisse sieht – und die Seinige wahrscheinlich auch.

Bei der Bushaltestelle setzte ich mich auf die niedrige Steinmauer und wartete. Er will sich überraschen lassen! Was denkt er denn, welches Ergebnis ich habe, 97%, so wie er es geschafft hatte? Das war das beste Ergebnis, das es jemals gegeben hatte. Wie sollte da gerade ich besser sein? Mein Vater dachte wohl, ich sei so eine Art Gott, nur weil ich sein Sohn war. Eigentlich sollte er es doch besser wissen, bis jetzt hatte ich doch jedesmal versagt. Ich war nie so ein guter Schwertkämpfer, wie er das gerne gehabt hätte, ich hatte keine Ahnung von Waffenkunde und ausserdem war ich auch nie so schnell und stark, wie er es wollte. Wenigstens konnte ich mich heute auf das Basketballtraining freuen.
„Sky, was lässt du denn so den Kopf hängen?“
„Du weisst doch, dass mein Vater mich umbringen wird, wenn er meine Punktzahl im Waffenkundetest sieht.“ Ice liess sich neben mir auf der Mauer nieder.
„Du hast doch selbst nicht einmal deine Prüfung gesehen, wie kannst du da wissen, dass du schlecht warst?“
„Ganz einfach weil ich höchstens zwei Fragen richtig habe, und das auch nur, weil ich die Antworten dir abgeschrieben habe.“
„Es wird ja nicht nur der eine Test gezählt und in den anderen sieben warst du sicher besser.“ Vielleicht hatte Ice recht und ich konnte den einen missratenen Test im Endergebnis wieder gutmachen. Der Bus kam und wir stiegen ein. Bis zur Schule sprachen wir kein Wort mehr miteinander.

„Wir bekommen doch die Tests in der Klasse zurück, oder?“
„Ja, aber in der Pause sollen wir uns dann in der Halle versammeln und die besten vier Schüler werden nach vorne gerufen. Was mein Vater damit bezwecken will, weiss ich nicht. Nur eines weiss ich: Ich will sicher nicht nach vorne auf die Bühne.“
„Dann steckst du in der Klemme, wenn du nicht auf die Bühne gerufen wirst, ist Sam sicher nicht zufrieden.“ Ich seufzte – das wurde ja immer besser!
„Hey, Sky, heute will der Coach die Aufstellung für das erste Spiel bekannt geben“, rief mir Noah von weitem zu. Als er bei uns angekommen war, fuhr er fort. „Ich bin schon gespannt, wen er aufstellen will.“ Das Probespiel nächstes Wochenende hatte ich ja vollkommen vergessen. Mr. Casterville hatte ja gesagt, dass er die Aufstellung im letzten Training vor dem Spiel bekannt geben würde. Da das Training am Donnerstag ausfallen würde, wurde schon heute die Aufstellung bekannt gegeben.
„Vor allem haben zwei von unserem Jahrgang die Chance, zu spielen.“
„Du stehst wahrscheinlich schon fest, Sky, aber ob ich spielen darf, ist fraglich.“
„Ach was, du spielst hundertmal besser als Shadow.“ Noah schüttelte den Kopf.
„Du weisst genau so gut wie ich, dass das nicht stimmt.“ Na gut, vielleicht spielte Shadow etwas besser, dafür spielte Noah aber im Team und machte nicht immer alles alleine. Das musste der Coach doch gesehen haben.
„Gegen wen ist denn das Match?“
„Es ist ein Probespiel gegen die Topeka High, im letzten Jahr haben sie nur knapp verloren.“
„Die Topeka High, die sind wirklich nicht schlecht.“ Eigentlich war es mir egal, gegen wen wir antreten würden, ich wollte einfach nur spielen.
„Aber zuerst solltet ihr euch auf die Testergebnisse und die Teameinteilung konzentrieren“, sagte Ice.
„Naja, bei den Testergebnissen bin ich schon mit 60% zufrieden.“ Noah konnte das Ganze auch locker sehen. Im Klassenzimmer liess ich mich auf meinen Stuhl sinken und wartete, bis auch die anderen auf ihren Plätzen sassen. Als Letztes kam Mr. Lakefield ins Zimmer.
„Ich hoffe, ihr alle hattet ein erholsames Wochenende, denn ab heute wird es ernst.“ Er legte einen Stapel Blätter, wahrscheinlich die Ergebnisse, vor sich auf den Tisch. „Ach, übrigens funktioniert die Maschine wieder tadellos. Allerdings konnten wir auch keinen Fehler finden.“ Ich sagte nichts dazu. Eines stand für mich jedoch fest: Diesem Ding würde ich nie mehr in meinem Leben näher als nur ein paar Meter kommen. „Ihr alle wollt sicher eure Ergebnisse wissen, also werde ich nicht lange reden und sie gleich verteilen.“ Er schnappte sich den Stapel und ging durch die Klasse. „Wir waren sehr zufrieden mit euch. Jeder Einzelne von euch hat bestanden.“ Bei mir blieb er kurz stehen. „Sehr gute Arbeit, Sky! Klassenbester und Zweitbester von der gesamten ersten Stufe.“ Ungläubig sah ich mir meine Punkte an.

Ergebnis Sky Halfmoon

Schwertkampf : 86

Schiesskunst : 64

Dämonengifte : 92

Geschichte : 100

Dämonologie : 100

Runen : 100

Sport : 100

Waffenkunde : 12


Total : 654

Prozent : 82%

Wie konnte das sein? Alles bestanden ausser Waffenkunde und bei vier Fächern 100 Punkte. Mit dem hatte ich nicht gerechnet.
„Sky, was hast du, du schaust, als hättest du ein Gespenst gesehen.“
„Nichts, aber ich dachte, ich wäre bei Schiesskunst und Schwertkampf durchgefallen.“
„Gib mal rüber, das will ich sehen.“ Ice und ich tauschten unsere Tests aus.

Ergebnis Ice Snowflake

Schwertkampf : 87

Schiesskunst : 75

Dämonengifte : 65

Geschichte : 100

Dämonologie : 73

Runen : 90

Sport : 50

Waffenkunde : 100


Total : 640

Prozent : 80%


Ice lag nur zwei Prozent hinter mir und natürlich hatte er 100 Punkte in Waffenkunde. Erstaunlicherweise war er bei Sport durchgefallen.
„Mann, wie konntest du bei Sport 100 Punkte machen?“
„Das gleiche könnte ich dich bei Waffenkunde fragen.“ Da ich jetzt Zweitbester war, kam ich wohl nicht um die Bühne herum. Hoffentlich sagt mein Vater nicht irgendwas Blödes.
„Damit wird Sam doch zufrieden sein, oder etwa nicht?“ Eigentlich schon, die zwölf Punkte im Waffenkundetest wollten mir dabei jedoch einfach nicht aus dem Kopf gehen.
„Ich werde es ja dann sehen.“
„Darf ich wieder um eure Aufmerksamkeit bitten!“, rief Mr. Lakefield, da alle wild durcheinander redeten. Wir tauschten wieder die Tests und richteten unsere Blicke nach vorne.
„Gut, dann werde ich euch noch ein paar Fakten dazu nennen. Der Durchschnitt betrug 560 Punkte, das sind 70% und somit wart ihr besser als eure Vorgänger im letzten Jahr. Auch die besten Ergebnisse liegen sehr nahe zusammen. Das beste Ergebnis ware 85% und das schlechteste 60%.“ Drei Prozent besser als ich, wer das wohl war mit diesen 85%?


„Genug von den Tests und weiter zur Teameinteilung!“ Daraufhin fing es schon wieder an, unruhig zu werden. „Wenn ihr jetzt ruhig seid, dann werde ich euch mitteilen, in welchem Team ihr seid.“ Er liess seinen Blick durch die Klasse schweifen und fuhr dann fort: „Gut, dann fangen wir doch an.“ Aus seiner Hosentasche nahm er ein Blatt Papier und faltete es auseinander. „Das erste Team besteht aus folgenden Mitgliedern: Bryson Tyreek, Grace Jayama und Niclas Leary. Zweites Team: Noah Black, Matt Huxley und Isabell Connors.“ So folgten noch zwei weitere Teams, die mit Murren, aber auch Jubel angenommen wurden. Und dann endlich fiel mein Name. „Sky Halfmoon, Ice Snowflake und Fiona Firelight.“ Dann hatte mein Vater also doch seine Finger im Spiel, nicht nur bei der Klasseneinteilung. Soweit ich wusste, waren nie zwei Mitglieder der Urfamilien in ein Team gekommen. „Da ihr nun wisst, mit wem ihr in einem Team seid, kann ich euch jetzt auch euren richtigen Stundenplan geben.“ Wieder ging er durch die Klasse und verteilte die Blätter. Mit den Teams ging es jetzt erst richtig los. Neu waren die Simulation und Arena-Stunden. Ausserdem hatte ich nun weniger Bogenstunden. Laut Stundenplan waren schon morgen Nachmittag drei Simulationsstunden.
„Ich freue mich schon darauf, meinen ersten Dämon zu erledigen, auch wenn es nicht real ist.“
„Wenn du es aber nicht schaffst und dich der Dämon erledigt, bist du wenigstens nicht wirklich erledigt – auch wenn es nicht gerade angenehm ist, wenn du aus der Simulation fliegst.“
„So ein simulierter Dämon wird mich schon nicht erledigen“, sagte Ice selbstsicher.
„Werden wir ja morgen sehen, ob wir die Simulation oder sie uns bezwingt.“ Gleich schrieb ich bei Montag und Donnerstag noch zwei Stunden Training auf.
„Endlich bin ich die Schwertkampfstunden los“, hörte ich Fly vor mir sagen.


Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Dämonengifte

Dämonologie

Sport

Dämonengifte

Dämonologie

Dämonengifte

Geschichte

Sport

Dämonengifte

Dämonologie

Sport

Schwertstunde

Freistunde

Geschichte

Runen

Sport

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„Nun, da alles geklärt ist, können wir ja in die Halle gehen und schauen, was der Direktor zu verkünden hat.“ Mein Vater hatte das noch nie so gemacht; ich wunderte mich, was das sollte. Um es herauszufinden, blieb mir nichts anderes übrig, als in die Halle zu gehen. Meine Ergebnisse liess ich im Rucksack verschwinden. Gleich würden mich wieder alle anstarren. Wie ich das hasste, im Mittelpunkt zu stehen.
„Mach dich doch nicht immer gleich verrückt, wenn es um deinen Vater geht!“ Wenn das nur so einfach wäre. In der Halle warteten bereits die anderen drei Klassen, bis auch wir endlich da waren. Sobald mein Vater anfing zu sprechen, wurde es augenblicklich ruhig in der Halle. Jeder andere Lehrer musste erst um Aufmerksamkeit bitten, doch mein Vater schaffte es auch so.
„Ihr fragt euch sicher, wieso ich euch herbestellt habe. Dieser Jahrgang hat sehr gut in den Tests abgeschnitten, besser als ihre zwei Vorgänger. Darum will ich euch persönlich gratulieren und euch dazu ermuntern, genau so weiterzumachen.“ Nur um uns zu gratulieren, hatte er uns herbestellt, war er ihm jetzt sein Posten zu Kopf gestiegen? „Aber deswegen habe ich euch nicht herbestellt. In letzter Zeit wurden sehr viele Dämonen sehr nahe des Viertels gesichtet und auch sonst sind es mehr Vorfälle mit Dämonen geworden. Das heisst, dass wir jeden Jäger gebrauchen können, und deshalb werdet ihr früher als normalerweise üblich eure erste Mission bekommen.“ Früher die erste Mission durchführen? So viele Dämonen konnten es doch gar nicht sein, dass wir gebraucht würden. „Anstatt in fünf werdet ihr schon in drei Wochen eure erste Mission zugeteilt bekommen“. Aufgeregt fingen die andern um mich herum an zu flüstern. Sie konnten es gar nicht erwarten, auf Dämonenjagd zu gehen. Ich jedoch verspürte nicht die geringste Lust dazu. „Macht euch nicht zu viele Gedanken darüber, ihr werdet eine einfache Mission erhalten. Die Dämonen werden nicht über Stufe drei hinausgehen.“ Wie beruhigend! Dann konnte man ja nur von kleinen Sturmdämonen durch die Gegend gepustet oder von Kobolden hinters Licht geführt werden. „Nun gut, wenn es soweit ist, werdet ihr erfahren, mit was für einem Dämon ihr es zu tun bekommt.


Jetzt bitte ich die Besten vier von euch, auf die Bühne zu kommen. Beste, mit 85%, ist Susan Bladstorme.“ Das unscheinbare Mädchen, das sich so schnell bewegen konnte, bahnte sich einen Weg durch die Menge. „Zweiter mit 82% ist Sky Halfmoon.“ Widerwillig schlängelte ich mich durch die Menge und stellte mich neben Susan auf die Bühne. „Drittbester mit 80% ist Ice Snowflake. Ilena Kingston ist mit 79% auf dem vierten Platz.“ Als auch Ice und Ilena auf der Bühne standen, überreichte Mrs. Greenwald meinem Vater vier kleine Gegenstände. „Für euren Fleiss werdet ihr eine kleine Belohnung erhalten. In diesen Kugeln befindet sich die Energie eines Dämons auf Level 2.“ Er hielt eine der vier etwa perlengrossen Kugeln hoch, die matt glänzten. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich die Energie sogar wahrnehmen. „Diese Energie könnt ihr auf eure Waffen übertragen, es ist zwar nicht viel, aber ein Anfang.“ Ich nahm meine Kugel entgegen und liess sie in meiner Tasche verschwinden. „Dann will ich euch nicht länger aufhalten und euch in den Unterricht entlassen.“ So schnell wie möglich verliess ich die Bühne.
„Die werde ich gleich meinem Speer geben“, sagte Ice und warf die Kugel wie einen Ball in die Luft und fing sie wieder.
„Was war das für ein Dämon?“
„Keine Ahnung, vielleicht ein schwacher Element-Dämon.“ Ice zuckte mit den Schultern.
„Kann schon sein, Hauptsache, sie verstärkt meine Waffe.“
„Los, Leute, Bewegung! Wir haben noch genug Zeit, um vor dem Mittagessen noch etwas Runenkunde zu machen.“
„So ein Mist, dein Vater hätte ruhig noch eine Weile weiterquatschen können“, beschwerte sich Matt. Ich war froh darüber, lieber eine Stunde Runen, als noch eine Sekunde länger auf der Bühne. Während wir zurück zum Klassenzimmer gingen, begann Mr. Lakefield bereits mit der Stunde.
„Ihr hattet nun fünf Wochen Zeit, um euch die Grundlagen anzueignen und das Alphabet zu lernen. Im Test haben die meisten von euch recht gut abgeschnitten. Jetzt wollen wir doch mal sehen, wie viel von dem noch übrig geblieben ist.“ Zurück im Zimmer verteilte er uns leere Blätter und wies uns an, das Alphabet der Runen darauf zu schreiben. Keine schwere Aufgabe, in den fünf Wochen hatte ich das mir leicht merken können.









Das war natürlich nur eine Form des Alphabets, für viele Buchstaben gab es auch noch eine andere Rune, aber das war die häufigste. Nach einer Weile ging er prüfend durch die Klasse.
„Sieht gar nicht schlecht aus, fast alle haben es richtig hinbekommen.“ Als er fast alle sagte, sah er Matt an, der so tat, als würde er besonders genau sein Ergebnis prüfen. „Die Grundlagen habt ihr begriffen, dann geht es weiter zu den Bedeutungen.“ Er schnappte sich das Runenbuch und setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches. „Beginnen wir mit einer ganz einfachen Frage. Wie nennt man die Rune, die auf der Kleidung der Jäger auf die Brust genäht ist, und was bedeutet sie?“ Erwartungsvoll sah er uns an. Alle Hände schossen nach oben, denn diese Rune kannte jedes Kind. „Wie ich sehe, scheint das jeder hier zu wissen. Grace, lass hören!“
„Den meisten ist die Rune bekannt, die Menschen nennen sie Raute, wir nennen sie Ingwaz oder Enguz. In manchen Alphabeten nimmt sie auch die Bedeutung unseres Buchstaben N ein. Wir Jäger tragen sie auf unserer Uniform, weil sie unser inneres Feuer repräsentiert.“
„Sehr gut, Grace, wie aus dem Lehrbuch. Was man noch hinzufügen könnte, ist, dass das innere Feuer unsere dämonische Seite darstellt. Nächste Frage: Wie lautet der Name der Rune, die Krieger oder auch Jäger bedeutet?“ Wieder so eine einfache Frage, der Pfeil, der senkrecht in die Luft zeigt, wurde in die Raute eingenäht, sobald man seinen ersten Dämon besiegt hatte. Diesmal wusste es nur Matt nicht. „Wie es scheint, wissen es hier schon recht viele. Fiona, würdest du bitte noch Matt erklären, was es mit der Rune auf sich hat.“
„Die Rune heisst Tys oder Tiwaz und sie stellt den Speer eines Kriegers dar.“ Mr. Lakefield nickte.
„Jetzt kommen wir zu ein paar schwereren Fragen. Für was steht die Rune Aza, Ansuz?“ Das Symbol selber kannte ich, es stand für den Buchstaben A. Was genau es jedoch bedeutete, war ich mir nicht ganz sicher. „Weiss es denn wirklich niemand?“ Als immer noch niemand antwortete, hob ich meine Hand.
„Ah, Sky, dann mal los!“ „Aza stellt den Buchstaben A dar und steht für Kommunikation … Mund und ähm … Heiligkeit?“
„Nah dran, Sky, aber nicht Heiligkeit, sondern Göttlichkeit. Ausserdem bedeutet es Flussmündung. Diese Bedeutung ist ein Symbol für Entscheidungen. Früher hat man diese Rune auf den Briefumschlag geschrieben, um ihn als Nachricht zu kennzeichnen.“


Er legte und das Buch beiseite und stand auf. „Wie ihr sicher alle wisst, hat man früher mit Hilfe der Runen einander Nachrichten geschrieben. Diese konnten nur von Katzendämonen gelesen werden, da die anderen Dämonen die Runenschrift nicht beherrschten. Heute kommunizieren wir mit moderner Technik per Funk. Trotzdem finde ich, man sollte die Runen beherrschen.“ Bryson hob die Hand und fragte dann:
„Warum sollten wir die Runen denn überhaupt noch lernen, wenn wir sie doch gar nicht mehr brauchen?“ Mr. Lakefield schüttelte den Kopf.
„Erstens gehören sie zu unserer Kultur und sind ein Erbe unserer Vorfahren und zweitens weiss man nie, ob man das Wissen noch gebrauchen kann.“ Da verstand ich Bryson nicht, die Runen faszinierten mich. Mein Vater war da schon eher Brysons Meinung, er hatte sie nicht für wichtig genug gehalten, um mich damit von klein auf zu quälen. Wenigstens hasste ich sie so nicht. Geschichte hing mir mittlerweile schon zum Hals raus. Es gab nur ganz wenige Dinge, die ich da noch nicht wusste oder nicht detailliert kannte. Die Runen waren zur Abwechslung mal etwas komplett Neues. „Kommen wir zur letzten Frage dieser Stunde, die gleichzeitig auch eure Hausaufgabe für die nächste Stunde ist. Überlegt euch, welche Rune am besten zu euch passt. Dazu werdet ihr eine halbe Seite schreiben und mir abgeben.“
„Muss das sein?“, maulte Bryson.
„Ja, und wenn ich noch so eine Bemerkung von dir höre, schreibst du eine ganze Seite.“ Bryson murmelte etwas, was klang wie „Verdammte Lehrer“. Zu seinem Glück hatte das Mr. Lakefield nicht gehört oder tat zumindest so. „Das wäre alles für diese Stunde, wir sehen uns Morgen wieder.“


Ich stopfte meine Bücher in meinen Rucksack und schwang ihn mir dann über die Schulter.
„Die Aufgabe habe ich fünf Minuten gelöst. Ist ja klar, welche Rune perfekt zu mir passt. Ich nehme natürlich Icz.“
„Du weisst aber schon, dass diese Rune nicht nur Eis, sondern auch Tod bedeutet, oder?“ Ice winkte ab.
„Dafür habe ich eine ganz einfache Erklärung, da schreibe ich einfach, dass ich der Tod für die Dämonen bin.“ Er drehte immer alles so, dass es für ihn passte. Was für eine Rune zu mir passte, da war ich überfragt. Während ich darüber nachdachte, merkte ich gar nicht, dass Ice bereits ein paar Schritte vorausgegangen war. „Wo bleibst du denn, Sky? Heute gibt es Pizza und ich will noch ein Stück ergattern.“
„Ich komme ja schon.“ Als ich ihn wieder eingeholt hatte, quatschte er gleich weiter.
„Nachher haben wir Waffenkunde, da kann ich an meiner neuen Erfindung tüfteln. Weisst du, ich finde es echt Klasse, dass Mr. Elsworth mich während der Lektion an meinen Projekten arbeiten lässt.“ Dann fing er wild gestikulierend an, mir von seinen neusten Erfindungen und Ideen zu erzählen. Da ihn sowieso niemand mehr stoppen konnte, wenn er erst einmal damit angefangen hatte, über seine Projekte zu reden, tat ich einfach so, als würde ich ihm zuhören. Wenn man Ice nicht gut kannte, dachte man nie im Leben, dass er so viel redete. Es herrschte erst wieder Ruhe, als er in ein Stück Pizza biss. Fly liess sich neben mir auf den Stuhl fallen und stellte ihr Tablett mit dem Salat und einer Tüte Saft auf den Tisch. „Du…is..t k..weine Pf..izza?“, fragte Ice mit vollem Mund.
„Nein, ich hatte gestern welche, sonntags kocht immer Raymond und das heisst, er ruft den Lieferservice an.“
„Ist doch Klasse, von Pizza kann man nie genug kriegen.“ Wenigstens redete er jetzt wieder verständlich.
„Raymond scheint in dem Fall kein guter Koch zu sein.“
„Das ist er wirklich nicht, er hat andere Qualitäten. Das meiste, was ich über Medizin und Gifte weiss, hat er mir beigebracht.“ Ich hatte nur ganz verschwommene Erinnerungen an ihn. Alles, was ich über ihn wusste, war, dass er einer der besten Jäger gewesen war und ein sehr guter Freund meines Vaters. Doch seit dem Angriff der Basilisken hatte er seine Frau und seinen Sohn verloren. Nicht nur das, auch seine Laufbahn als Jäger musste er aufgeben, da seine Verletzungen so schwerwiegend waren, dass er sich noch heute nicht ganz davon erholt hatte. Von dem her passten die beiden sehr gut zueinander, sie hatten beide ihre Familien verloren, und das beim selben Angriff. Wie die Basilisken in das Viertel eingedrungen waren, weiss bis heute niemand. Was ich mich fragte, war, ob das Ganze nur zufällig an meinem Geburtstag passiert war oder ob es irgendetwas mit mir zu tun hatte. Es klang ziemlich abwegig, wieso sollten Basilisken meinetwegen das Viertel verwüsten?


„Sky, ich rede mit dir! Hallo, jemand zu Hause?“ Erst jetzt bemerkte ich, dass mir Ice mit der Hand vor dem Gesicht herumfuchtelte.
„Hast du was gesagt?“
„Da siehst du es, Fly! Der Typ ist einfach nicht von diesem Planeten. Was geht eigentlich in deinem Hirn ab?“, fragte er und tippte mir mit dem Zeigefinger auf die Stirn.
„Manchmal muss man eben abschalten, sonst hält man dein Gelaber nicht mehr aus.“ Er rammte mir den Ellbogen in die Seite.
„Ich habe dich gefragt, ob ich dein Stück Pizza noch haben kann.“
„Von mir aus.“ Ich schob ihm mein Tablett rüber und lehnte mich zurück. Den Rest der Mittagspause hing ich noch meinen Gedanken nach. Dann war es leider schon Zeit für Waffenkunde.
„Dann wünsche ich euch viel Spass in Waffenkunde, Jungs.“
„Musst du denn da nicht auch hin?“
„Nein, montags nicht“, sagte sie und machte sich aus dem Staub.
„Komm schon, Sky, ich will noch eine der guten Werkbänke erwischen.“ Er packte mich am Arm und schleifte mich hinter sich her. Na toll, Mr. Elsworth verehrte Ice, und mich konnte er nicht ausstehen. Seit ich bei dem Test laut gedacht hatte, schien er es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, mir besonders viele Hausaufgaben zu geben. So endete die Stunde damit, dass ich einen Aufsatz über die Entwicklung der Waffentechnik im Laufe der Jahre schreiben musste und die anderen gar keine Hausaufgaben hatten. Er begründete diese unfaire Behandlung damit, dass ich noch einiges aufzuholen hätte, um diesen Kurs hier zu bestehen und er mir lediglich eine zweite Chance gab.
„Nächste Stunde will ich zwei Seiten, du hast also bis Donnerstag Zeit.“ Auch wenn ich ihn erst in einem Monat abgeben müsste, würde ich nie im Leben zwei Seiten zu Stande bringen. Was sollte man denn schon zu diesem Thema schreiben?
„Lass mich doch den Aufsatz für dich schreiben, im Moment haben wir eh nichts Besseres zu tun“, sagte Ice zu mir, als wir in der Freistunde nebeneinander auf dem Brunnenrand sassen.
„Meinst du das ernst?“
„Wenn du mir das Thema nennst und ein paar Minuten Zeit gibst, bekommst du einen fertigen Aufsatz.“
„Merkt er das denn nicht, du schreibst ganz anders und zudem habe ich keine Ahnung von der Entwicklung der Waffentechnik.“
„Du kannst es ja abschreiben und ausserdem hast du ganze zwei Tage Zeit, um das abzufassen. Da sollte es selbst dir gelingen, was einigermassen Vernünftiges hinzukriegen.“ Ice setzte sein breites Grinsen auf. „Na was sagst du, nimmst du mein Angebot an?“ Wenn er es mir schon so grosszügig anbot, konnte ich doch unmöglich Nein sagen.
„Wie ich dich kenne, macht es dir sogar noch Spass, oder?“ Sein Grinsen wurde noch breiter.
„Das heisst dann wohl, dass du mich engagierst.“ Er kramte in seiner Tasche und zog seinen Ideenblock heraus. Dann schnappte er sich einen zerkauten Bleistift und fing an zu schreiben.


„Brauchst du denn kein Buch oder sowas?“
„Nein, alles hier drin“, sagte er und tippte sich mit dem Bleistift an die Stirn. Als ich sehen wollte was er da schrieb, zog er den Block weg. „Lass das! So kann ich mich nicht konzentrieren. Jag doch, solange ich schreibe, deinen Hirngespinsten nach.“ Was für Hirngespinste? Wenn er mich loswerden wollte, von mir aus. Ich legte mich auf den Brunnenrand, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte in den Himmel. Da ich keine Lust hatte, weiter über die Basilisken nachzudenken, wanderten meine Gedanken zum Spiel vom Sonntag. Wahrscheinlich hatte Noah recht und der Coach würde mich aufstellen. Es war nur ein einfaches Freundschaftspiel und hatte keinen grossen Einfluss. Daher würde er seine neuen Spieler testen und wahrscheinlich zwei von der Ersten aufstellen. Mit Noah hatte ich keine Probleme, aber mit Shadow wollte ich nicht spielen. Wahrscheinlich würde es aber genau auf das hinauslaufen. Dieses „Wahrscheinlich“ ging mir langsam auf den Geist, gab es da nicht noch andere Wörter? Und so verbrachte ich meine Freistunde damit, Wörter mit derselben Bedeutung zu suchen. Irgendwie ziemlich erbärmlich, aber im Moment war mir das egal. „Fertig, der bringt dir bestimmt ’ne Eins.“ Er riss die beiden Seiten aus seinem Block und reichte sie mir.
„Du bist ja ziemlich überzeugt von deiner Arbeit.“
„Lies ihn doch, dann bist du sicher meiner Meinung.“ Ich schaffte es gerade noch, die ersten zwei Sätze zu lesen, bevor ein Klingeln die nächste Stunde ankündigte. In einer ziemlich sauberen Handschrift stand da:


Die Entwicklung der Waffentechnologie ging nur langsam voran. Doch in den letzten hundert Jahren hat sie einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht.


Ich faltete die Blätter und steckte sie in meinen Rucksack zwischen meine Bücher. Warum machst du dir die Mühe, so schön zu schreiben?“
„Du bist nicht der Einzige, der zu Hause unterrichtet wurde, nur hat meine Mutter darauf bestanden, immer alles perfekt zu schreiben. Egal was ich schreibe, ich schreibe es stets in meiner schönsten Handschrift.“ Meinem Vater war es ziemlich egal, wie ich schrieb, solange er es lesen konnte, war er damit zufrieden. Wenn man meine mit Ices Schrift verglich, musste ich zugeben, dass meine nicht annähernd so schön wie seine war.


Die letzte Stunde verging wie ihm Flug und so stand das letzte Training vor dem Spiel an. Ich gab mir noch mehr Mühe als sonst und spielte, so gut ich konnte, mit den anderen zusammen. Nach dem Training versammelten wir uns alle um den Coach und warteten gespannt auf seine Wahl.
„Dann will ich euch nicht länger auf die Folter spannen und euch die Aufstellung für das nächste Spiel bekannt geben.“ Da John der Captain war, kam er natürlich zuerst. „John Roardan, Tobi Ascot, David Satory, Noah Black und Shadow Flashlight sind in der Startaufstellung. Als sechsten Mann setze ich Life Triton ein.“ Ich musste mich zusammenreissen, damit ich den Coach nicht anbrüllte. Warum hatte er Shadow genommen und nicht mich. Ich wollte nicht angeben, aber ich war doch Welten besser als Noah. Er sagte noch ein paar Worte, die ich vor Wut nicht mehr hörte, und dann gingen die anderen in die Umkleidekabinen. Ich blieb jedoch einfach stehen. „Sky, gibt es ein Problem?“
„Ob es ein Problem gibt? Warum darf ich nicht spielen?“ Er seufzte:
„Weil nun mal nicht jeder spielen kann. Ausserdem habe ich bemerkt, dass du und Shadow nicht miteinander klarkommt. Noah ist ein guter Spieler, aber ich will sehen, wie er sich bei einem richtigen Spiel schlägt.“
„Aber warum lassen Sie mich nicht mit Noah zusammen spielen?“
„Das spielt doch keine Rolle, du musst dich daran gewöhnen, dass du nicht immer spielen wirst. Obwohl ich zugeben muss, das du ziemlich gut bist. Beim nächsten Spiel hast du die Chance, zu zeigen, was du kannst.“ Damit schien die Sache für ihn abgehakt. Er drehte sich um und ging in sein Büro.


Das nächste Spiel war mir im Moment so ziemlich egal, ich wollte in diesem Spiel spielen. Wütend stapfte ich in die Garderobe. Im Nachhinein muss ich gestehen, dass ich mich kindisch aufgeführt habe, aber jetzt war ich einfach nur sauer. Shadow nahm wie immer keine Rücksicht auf meinen Gemütszustand.
„Na, Halfmoon, wer ist jetzt der bessere Spieler? Du wurdest ja nicht mal als sechster Mann ausgewählt.“
„Halt einfach die Klappe und lass mich in Ruhe.“

„Schlecht gelaunt, was? Man kann es dir nicht verübeln, wenn ich so ein Versager wie du wäre, hätte ich auch keine gute Laune.“ Nur indem ich mir einredete, dass er es nicht wert sei, schaffte ich es, mich nicht umzudrehen und ihm eine runterzuhauen. Ohne zu duschen zog ich mich um und verschwand aus der Halle. Ich hatte keine Lust, Shadow nochmals zu begegnen oder mit jemandem zu reden, und so machte ich mich zu Fuss auf den Weg nach Hause. Wenigstens schaffte ich es so, mich ein wenig abzuregen, bevor ich zu Hause ankam.


Kaum war ich durch die Tür, wollte meine Mutter auch schon meine Ergebnisse wissen. Wortlos reichte ich sie ihr und ging in die Küche.
„Du warst ja richtig gut, warum bist du denn so deprimiert?“
„Nicht so wichtig, Mum.“ Ich holte eine Tüte Saft aus dem Kühlschrank und nahm einen grossen Schluck. Da kam mein Vater in die Küche.
„Siehst du, Sam, was hab ich dir gesagt, Sky hat richtig gut abgeschnitten.“ Mein Vater sah sich die Ergebnisse durch, während er das tat, verfinsterte sich sein Gesicht, und ich ahnte nichts Gutes.
„Die Punkte bei Bogenschiessen lassen zu wünschen übrig und was das Ergebnis in Waffenkunde angeht, das ist vollkommen inakzeptabel. Ich hätte mehr von dir erwartet, Sky.“ Bevor ich oder Mum nur ein Wort sagen konnte, hatte er die Küche bereits wieder verlassen.
„Sky, was um Himmelswillen stellst du da mit dem Saft an?“ Erst da bemerkte ich, dass ich die Tüte zusammengedrückt hatte und der ganze Saft auf dem Boden und mir verteilt war.
„Tut mir leid, Mum, war keine Absicht. Ich werde das wieder aufputzen.“
„Schon gut, lass mich das machen. Zum Glück war es keine Glasfalsche, dann hättest du dich noch geschnitten.“ Ich warf die zerquetschte Tüte in den Müll und ging dann duschen.


Als ich frisch angezogen und mit dem Handtuch auf dem Kopf auf dem Bett sass, kam Ice ins Zimmer.
„Ich muss wohl gar nicht mehr fragen, du wurdest nicht für das Spiel aufgestellt, oder?“
„Nein, aber woher weisst du das?“
„Dein Gesichtsausdruck sagt alles und wenn du den drauf hast, sollte man dich besser in Ruhe lassen. Also, dann lass ich dich mal besser allein.“ Kaum war er gegangen und ich dachte, ich hätte endlich meine Ruhe, kam meine Mutter ins Zimmer. Sie hatte ihre Hände hinterm Rücken verschränkt.
„Nimm Sams Worte nicht so zu Herzen, manchmal kann er ein richtiger Idiot sein. Du warst Klasse, und das solltest du dir von keinem nehmen lassen.“
„Das sieht Dad aber anders. Für ihn war ich nicht gut genug.“
„Die Punkte spielen doch keine Rolle. Wichtig ist, was du bei einem richtigen Einsatz machst. Und ich bin mir sicher, deinen ersten Einsatz wirst du grossartig meistern. Hier, der ist für dich.“ Sie holte hinter ihrem Rücken einen Mini-Kokosnusskuchen hervor und reichte ihn mir.
„Danke, Mum.“
„Ich habe noch etwas für dich.“ Sie zeigte mir ihre andere Hand. Zuerst dachte ich, sie halte mir irgendeinen Stoffstreifen unter die Nase, doch dann erkannte ich, dass es sich hierbei um ein silbernes Stirnband handelte. Es war so eines, wie man es im Winter umband, um die Ohren warm zu halten, nur war es ziemlich leicht und würde bestimmt nicht so warm geben. „Vielleicht hilft es dir ja, damit kannst du dein Mal abdecken und wirst nicht ständig daran erinnert, wer du bist.“ Skeptisch nahm ich es entgegen. „Dann lass ich dich mal in Ruhe den Kuchen essen.“ Sie zog sich zurück und liess mich alleine zurück. Ich legte das Stirnband beiseite und wandte mich dem Kuchen zu. Schlecht gelaunt oder nicht, ich konnte so einem Kuchen einfach nicht widerstehen. Im Nu hatte ich ihn bis auf den letzten Krümel aufgegessen. Ich stellte den Teller auf meinen Schreibtisch und nahm das Stirnband in die Hand. Es hatte den gleichen silbernen Glanz wie mein Mal und war ziemlich dünn. Probehalber zog ich es an, und es passte wie angegossen. „Nein, wie könnte so ein Stück Stoff mich vergessen lassen, wer ich bin?“, fragte ich mich. Ich liess mich in mein Kissen sinken. Es würde nichts daran ändern, dass ich versagt hatte.









Teamwork?


„Willkommen zu eurer ersten Stunde im Simulator“, begrüsste uns Mr. Lakefield am Dienstagnachmittag. Wir hatten die Stunden am Morgen hinter uns gebracht und standen nun im Simulationsraum. Vorne befand sich ein Schaltpult mit einem riesigen Display, in dem die Lehrer uns während der Simulation beobachten konnten. Der Rest des Raumes wurde von dreissig Liegen eingenommen, die jeweils als Dreiergruppen beieinanderstanden. So konnten bis zu zehn Teams oder dreissig Leute gleichzeitig an Simulationen teilnehmen. Die Liegen könnt ihr euch wie die Stühle beim Zahnarzt vorstellen, nur dass es am Kopfende noch zwei Stangen gab, die an den Schläfen angesetzt wurden. Und ausserdem gab es neben den Liegen ein kleines Tischchen, auf das man eine Waffe oder sonstige kleinere Gegenstände legen konnte, die man mit in die Simulation nehmen wollte. „Geht in eure Teams, legt euch auf die Liegen und dann legt eure Waffe auf das Tischchen neben euch!“, wies er uns an. Als alle auf ihren Plätzen lagen, fuhr er fort: „Heute werde ich euch auf eine Mission von Stufe zwei schicken, ihr werdet euch gleich in ein paar engen Gassen wiederfinden. Dort warten drei kleine Kriecher auf euch, findet sie und dann macht sie unschädlich.“ Macht sie unschädlich bedeutete so viel wie: Schickt sie in die Hölle. Kriecher waren echsenähnliche, etwa hundegrosse Viecher, die ziemlich schnell waren. Ich legte meinen Sensor und mein Schwert auf das Tischchen. Regulus liess ich in meiner Tasche, da es mir sowieso nichts nützen würde. „Da nun alle bereit sind, wünsche ich euch viel Glück für eure Mission. Ach, und noch ein Hinweis: Falls ihr in der Simulation sterben solltet, werdet ihr ziemlich unsanft aus der Simulation geschmissen, und die Mission ist für alle gescheitert. Was Verletzungen angeht, werdet ihr keine Schmerzen spüren, zumindest nicht wirklich starke, aber eure Fähigkeiten werden der Verletzung entsprechend eingeschränkt sein.“


Als die Simulation begann, spürte ich ein Gefühl im Magen, als würde ich Achterbahn fahren, und als ich die Augen öffnete, stand ich in einer dreckigen, etwa drei Meter breiten Gasse und rechts und links von mir standen Ice und Fly. Wir trugen alle die Kleidung der Jäger. Schwarze Hosen aus dämonenverstärktem Stoff, schwarze Stiefel, ein T-Shirt aus dämonenverstärktem Stoff und eine silberne Jacke mit speziellem Futter, das sogar Pistolenschüsse aufhalten würde. Trotzdem war sie nicht dicker als eine Windjacke. Auch die Rune auf der rechten Brust fehlte nicht, aber der Pfeil fehlte, was nicht weiter verwunderlich war. Dann überprüfte ich, ob mein Sensor und das Schwert da waren, wo sie hingehörten. Der Sensor hing wie immer um meinen Hals und das Schwert war in der dafür vorgesehenen Tasche an meinem linken Bein.
„Es sieht alles so echt aus und die Kleider fühlen sich auch richtig echt an“, stellte Fiona erstaunt fest.
„Dann hoffen wir mal, dass sich der Tod nicht so echt anfühlen wird.“
„Du hast ja gehört, was Mr. Lakefield gesagt hat, Ice.“
„Anstatt hier blöd in der Gegend herumzustehen, sollten wir uns lieber auf die Mission konzentrieren.“
„Wir sollten uns aufteilen und die Kriecher suchen, sie müssen hier irgendwo sein“, schlug Ice vor. „Habt ihr eure Sensoren dabei?“ Beide suchten vergeblich danach. „
Verdammt, ich hab vollkommen vergessen, das Ding auf das Tischchen zu legen.“
„Dann fällt die Möglichketi wohl weg, dass wir uns aufteilen. Erstens habt ihr keine Sensoren und könntet von den Dämonen überrascht werden und wenn einer auf alle drei gleichzeitig trifft, sieht es nicht gut aus.“
„So ein paar Kriecher mache ich doch locker platt.“
„Ach ja, du hattest ja noch nie das Vergnügen und auch sonst hast du noch keinen Dämon getötet.“
„Das bringt jetzt auch nichts, am besten, wir sehen uns einfach gemeinsam um.“


Da hinter uns eine Sackgasse war, folgten wir der Gasse. Dann kamen wir an eine Kreuzung. Ich spitzte wortwörtlich meine Ohren und konzentrierte mich auf alle Geräusche in meiner Umgebung. Irgendwo links von mir raschelte es, doch dann hörte ich ein Miauen und ein aufgeregtes Fiepen und ein Scheppern, wahrscheinlich ein Mülltonnendeckel, der auf den Boden krachte. Rechts hörte ich das Hupen von Autos und das Getrampel von Fussgängern.
„Was machst du denn da, Sky? Ich dachte wir suchen nach den Kriechern.“
„Was denkst du denn, mache ich hier gerade. Ihr zwei könntet mir ruhig etwas helfen.“ Dann konzentrierte ich mich auf die Umgebung vor mir. Dort hörte ich nichts, es war still, zu still. „Da lang“, sagte ich und deutete nach vorne. Kaum hatten wir ein paar Schritte in diese Richtung gemacht, schlug mein Sensor Alarm. Als wir noch weiter vordrangen, konnte ich ihn auch wahrnehmen, es war nur einer. „Fühlt ihr das auch?“
„Was denn, ich fühle überhaupt nichts.“
„Jetzt, wo du es sagst, nehme ich es auch wahr.“
„Los, streng dich an, Ice! Der Kriecher ist in der Gasse direkt vor uns.“ Etwas stimmte jedoch nicht, ich war mir hundertprozentig sicher, dass der Kriecher kurz vor uns war, doch sosehr ich meine Augen auch anstrengte, ich konnte ihn nicht sehen – und an den schlechten Lichtverhältnissen konnte es nicht liegen. „Was für Fähigkeiten hat dieses Ding eigentlich, weiss das einer von euch?“ Ice schüttelte den Kopf.
„Du bist doch hier der Experte für diese verdammten Dämonen“, entgegnete er. Fiona schloss die Augen.
„Ich glaube, mal gelesen zu haben, dass sie sich vollkommen lautlos bewegen können und immer aus dem Hinterhalt angreifen. Und ausserdem können sie sich an schattigen Orten unsichtbar machen.“ Das war die Lösung! Deswegen konnte ich ihn nicht wahrnehmen.
„Und wie bekämpfen wir etwas, das wir nicht sehen können?“
„Entweder wir bekommen irgendwo Licht her oder wir vertrauen auf unseren Instinkt.“


Wir durchsuchten unsere Taschen, aber da wir keinen Einsatzgürtel hatten, fanden wir nur unsere eigenen Waffen, Ersatzschwerter und ein paar Netzbälle. „Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als uns auf unseren Instinkt zu verlassen.“
„Wenn ihr mir etwas Zeit gebt, kann ich aus den beiden Sachen so was wie ’ne Blendgranate bauen.“
„Meinst du das ernst, Ice?“ Er grinste breit und das genügte mir vollkommen als Antwort.
„Der Kriecher ist allein und ich glaube nicht, dass er seelenruhig zusehen wird, wie du hier bastelst. Ich werde mir den hier schon mal ohne deine Blendgranaten vornehmen.“ Ich verwandelte mich und schloss dann die Augen. Nach den Schwingungen des Sensors war er noch ein paar Meter entfernt. Unbewaffnet wollte ich mich dem Kriecher nicht nähern. Also aktivierte ich zum zweiten Mal überhaupt meine Waffe. Mit geschlossenen Augen näherte ich mich dem Kriecher. Nach jedem Schritt, den ich tat, konnte ich die Energie des Kriechers besser wahrnehmen. Doch dann entfernte sie sich wieder, der Kriecher zog sich weiter in die Gasse zurück. Ich folgte ihm immer weiter in die Gasse, bis ich kurz vor einer Sackgasse stand. Die Energie blieb an Ort und Stelle. Blindlings schlug ich in die Richtung, in der ich den Kriecher vermutete. Dann traf mein Schwert auf Widerstand und es stiess ein lautes Zischen aus. Durch die Wunde, die ich ihm zugefügt hatte, war er nicht länger unsichtbar. Ich hatte ihm das linke Vorderbein abgeschlagen und nun starrten mich zwei wütende schwarze Augen an. Seine Zunge zischte in meine Richtung. „Du bist nicht mehr länger unsichtbar, was, dann sieht es nicht gut für dich aus.“ Mit den verbliebenen Gliedmassen war es nicht schnell genug, um meinem zweiten Schwerthieb auszuweichen, und so trennte ich ihm nun auch noch den Kopf ab. Schwarzes Blut sickerte auf das Pflaster und das Viech war tot. So blieben noch zwei übrig, die wir finden und ausschalten mussten.


Zufrieden drehte ich mich um und wollte gerade zu den anderen zurückgehen, als mich etwas zu Boden riss und mir das Schwert aus der Hand schlug. Wo zum Teufel war der Kriecher hergekommen? Ich muss zugeben, dass ich mich zu sehr über meinen Sieg gefreut hatte und so meine Umgebung aus den Augen, oder besser aus dem Sinn verloren hatte. Durch meine Unachtsamkeit lag ich nun unbewaffnet auf dem Boden und der Kriecher stand auf mir. Er war nun sichtbar und schnappte nach meinem Gesicht. Obwohl er nicht grösser als ein Rottweiler war, hatte er unglaubliche Kräfte. Nur mit Mühe gelang es mir, seine Zähne von meinem Gesicht fernzuhalten. Es gelang mir jedoch nicht ganz; mit seinen Krallen zog er eine Kratzspur quer über meine linke Wange. Soweit ich wusste, verfügten sie über kein Gift, das mir hätte gefährlich werden können. Das änderte aber nichts daran, dass die Kratzer höllisch brannten. Eine Weile rangen wir am Boden miteinander, bis es mir gelang, das Viech von mir zu schleudern. Hastig sah ich mich nach meinem Schwert um. Es lag zwei Schritte von mir entfernt. Langsam schob ich mich in die Richtung des Schwertes und liess den Kriecher dabei aber keine Sekunde aus den Augen. Doch anstatt mich jetzt anzugreifen, verschmolz der Kriecher wieder mit der Dunkelheit. Was sollte das denn, warum machte er sich jetzt wieder aus dem Staub. Ich schloss die Augen, um ihn wieder aufzuspüren. Rechts von mir schoss der Kriecher vorbei und dann nahm ich noch eine andere Energie wahr, den letzten Kriecher. Beide schossen aus der Gasse heraus, direkt auf Ice und Fiona zu. „Verdammt!“, stiess ich aus, wirbelte herum und jagte den beiden hinterher. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich so weit von ihnen entfernt hatte. Nach ein paar Metern wurde mir klar, dass ich sie nicht mehr einholen konnte. „Passt auf, sie kommen direkt auf euch zu, verschwindet von dort!“ Ice kauerte am Boden und hantierte mit den Einzelteilen der Netzbälle und Ersatzschwertern herum. Fly stand neben ihm und sah sich mit gespanntem Bogen hektisch um. Worauf warteten sie denn noch, der Bogen war nutzlos, solange sie sie nicht sehen konnte. „Sie sind gleich bei euch, verschwindet endlich!“
„Vertrau mir, Sky, ich bin gleich fertig!“, schrie er zurück.


Kurz bevor sie bei ihnen waren, stand er auf, aktivierte seinen Speer und schleuderte etwas in meine Richtung. „Augen zu!“ Trotz geschlossener Augenlider brannte das rötliche Licht in den Augen. Die Kriecher hatten ihre Augen nicht geschlossen und waren uns nun blind und sichtbar ausgeliefert. Ice erledigte den einen mit einem gezielten Wurf seines Speeres und Fly tötete den anderen durch einen ihrer Pfeile. Kaum waren sie tot, endete die Simulation und wir befanden uns wieder im Simulationsraum. Auch die Verletzung auf meiner Wange war verschwunden, ebenso wie das Brennen, das sie mit sich gebracht hatte.
„Das war doch nicht fair, Mr. Lakefield, sie hatten diese coolen Blendgranaten.“ Bryson und sein Team waren auch schon aus der Simulation, aber wie sie aussahen, hatten sie die Mission nicht erfolgreich beenden können.
„Sie hatten die gleichen Mittel zur Verfügung, wie ihr auch Bryson. Nur haben sie sich nicht von ihnen überraschen lassen und sind blind durch die Gegend geirrt.“
„Wie sollte man die nur bekämpfen, wenn man sie nicht sehen kann? Sky hatte doch nur Glück und seinen Sensor.“
„Der Sensor zeigt nur an, ob ein Dämon sich in der Nähe aufhält und wie nahe er sich etwa befindet. Wo genau er sich aufhält, hat er durch seinen Instinkt herausgefunden.“
„Ich habe auch was wahrgenommen, aber wo genau sich die Kriecher aufhielten, konnte ich nicht bestimmen“, sagte Grace.
„Das liegt daran, dass man sehr lange trainieren muss, um die Energie zu einem exakten Bild zusammenfügen zu können, und selbst dann gelingt es nicht allen.“
„Warum konnte Sky denn so genau bestimmen, wo der Kriecher war?“, fragte Niclas.
„Das liegt daran, dass es ein paar Katzendämonen gibt, die die Fähigkeit besitzen, von Geburt an die Energien wahrnehmen zu können. Und da Sky zu einer Familie gehört, die bekannt dafür ist, ein besonders sensibles Gespür zu besitzen, ist es nicht weiter verwunderlich, dass er sie so genau ausfindig machen konnte.“


Mr. Lakefield wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Monitor zu. Vier Teams steckten immer noch mitten in der Mission. Noah und sein Team bekamen gerade Gesellschaft. Keiner von den dreien konnte sie genau ausmachen. Auf dem Bildschirm waren die Kriecher sichtbar und gerade dabei, die drei einzukreisen. Da sagte Noah etwas, was, konnte ich allerdings nicht hören, da kein Ton eingestellt war. Egal, was Noah gesagt hatte, Matt und Isabell kamen näher zu ihm und stellten sich Rücken an Rücken auf.
„Was soll das denn werden, spielen sie da die drei Musketiere oder was?“, höhnte Bryson.
„Sie arbeiten im Team, sie wissen das alle drei Kriecher in der Nähe sind, sie wissen nur nicht, wo genau sie sich aufhalten.“ Plötzlich reichten sie sich die Hand und begannen sich im Kreis zu drehen. Dabei hielten sie die andere Hand mit dem Schwert ausgestreckt.
„Der Todeskreisel“, stiess ich überrascht aus.
„Richtig erkannt, Sky.“
„Was zum Teufel ist ein Todeskreisel“, fragte Bryson.
„Das, was die drei hier eben so eindrücklich vorführen. Diese Technik ist besonders effektiv, wenn man es mit mehreren Gegnern zu tun hat. Eigentlich dreht sich dabei nur einer.“ Mittlerweile konnte man nur noch Schemen von ihnen ausmachen, so schnell drehten sie sich. Die Kriecher mussten echt dämlich sein, sie griffen trotz Todeskreisels an. Bevor sie die drei erreichten, wurden sie von den Schwertern in Stücke geschnitten. Sie wurden langsamer und hörten dann ganz auf, sich zu drehen. Noah blieb bolzengerade stehen, während Matt und Isabell durch die Gegend taumelten. Die Simulation endete und sie öffneten die Augen. Noah setzte sich gleich auf, Isabell und Matt blieben noch liegen. Ich ging zu ihnen rüber.
„Wie bist du auf den Todeskreisel gekommen?“ Er grinste fast so breit wie Ice.
„Ganz einfach, mein Grossvater hat die Technik erfunden.“ Hätte ich mir eigentlich denken können, der Erfinder hiss Carter Black. Noah trug denselben Nachnamen. „Seht ihr Leute, das hat doch super funktioniert.“
„Das machen wir nie wieder, mir ist hundeübel“, jammerte Matt.
„Stell dich nicht so an, Matt, wenigstens haben wir es geschafft“, sagte Isabell. Wir warteten, bis auch die restlichen drei Teams die Simulation beendet hatten, erfolgreich oder nicht. Insgesamt hatten es dann vier Teams geschafft und zwei waren durchgefallen.
„Für eure erste Stunde im Simulator habt ihr euch nicht schlecht geschlagen. Eines habt ihr dabei sicher festgestellt, im Team ist das Ganze wesentlich einfacher.“ Dann sprach er noch mit den beiden Teams, die die Mission nicht erfolgreich abgeschlossen hatten. Er wies sie auf ihre Fehler hin und sagte ihnen, was sie verbessern konnten. „Am Donnerstag werdet ihr weitere Missionen im Simulator erledigen. Denkt aber auch an die Runen, ich bin schon gespannt auf eure Antworten.“
„Ist doch klasse gelaufen.“
„Naja, ich bin auf jeden Fall froh, dass es nur eine Simulation war“, sagte Fly. Ich konnte mich ihr da nur anschliessen. Nur weil ich mich durch meinen Sieg über den Kriecher hatte ablenken lassen, hatte mich der andere überraschen können. Das durfte mir nicht noch einmal passieren.
„So ein paar Kriecher hätten wir doch locker plattgemacht. Wenn wir gewusst hätten, was auf uns wartet, wäre es noch einfacher gewesen“, sagte Ice später im Bus.
„Wenn du später mal auf Dämonenjagd gehst, weisst du auch nicht immer, was auf dich zukommt.“
„Ja schon, aber trotzdem bin ich dann besser ausgerüstet. Ich hätte mein Werkzeug dabei gehabt, dann hätte ich nicht meine Fingernägel als Schraubenzieher nutzen müssen.“
„Nächstes Mal könntest du es ja mit in den Simulator nehmen.“
„Gar keine schlechte Idee, zu Hause werde ich gleich ein praktisches Set zusammenstellen.“ Ich würde mich an die Runen-Aufgabe und den Aufsatz machen, wenn wir erst wieder zu Hause waren. Das tat ich dann auch. Den Aufsatz hatte ich schnell einigermassen schön abgeschrieben, doch bei den Runen blieb ich hängen. Wie sollte ich auch eine passende Rune finden? Während ich darüber nachdachte, blätterte ich gedankenverloren im Buch. Als die Rune Utal auftauchte, hielt ich inne und überlegte. Die Rune bedeutete Erbe und Stärke. Mit der konnte ich arbeiten. Obwohl ich eigentlich nur eine halbe Seite hätte schreiben müssen, schrieb ich eine ganze. Es konnte ja nicht schaden, wenn ich in dem Fach eine gute Note bekommen würde. Als ich fertig war, legte ich die erledigten Arbeiten auf den Schreibtisch. Mal sehen, wie Ices Aufsatz bei Mr. Elsworth ankommen wird.


Runenkunde ging wie immer schnell vorbei, aber in Waffenkunde schien die Zeit stehen zu bleiben. Mr. Elsworth nahm sich die Zeit, direkt im Unterricht den Aufsatz zu lesen. Als er die Blätter auf seinen Schreibtisch legte, sah er für einen Moment überrascht aus.
„Sky ich muss zugeben, dass dieser Aufsatz zweifelsfrei eine Eins verdient hat. Allerdings bezweifle ich sehr, dass du ihn geschrieben hast.“ Ice hätte eben doch nur ’ne Zwei schreiben sollen. Die Eins würde meine Note von einer Sechs gewaltig verbessern.
„Wie kommen sie darauf, dass nicht ich diesen Aufsatz geschrieben habe?“
„Kannst du mir denn sagen, was du geschrieben hast?“ Verdammt, ich hätte den Aufsatz eben doch ganz lesen sollen! So blieb mir nichts anderes übrig als zu improvisieren.
„Ich habe über die Entwicklung der Waffentechnik im Laufe der Jahre geschrieben, genau wie Sie es gesagte haben.“
„Geht es auch etwas genauer?“ Fieberhaft versuchte ich mich an die beiden Sätze zu erinnern, die ich gelesen hatte.
„Die Entwicklung der Waffentechnologie ging nur langsam voran. Doch in den letzten hundert Jahren hat sie einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Das sind die ersten beiden Sätze, weiter habe ich keine Ahnung mehr, was ich geschrieben habe.“ Bevor Mr. Elsworth rufen konnte, dass er es doch gewusst hätte, redete ich weiter. „Ice hat mir ein paar Bücher über das Thema geliehen, alles, was da steht, habe ich von denen. Natürlich habe ich mir nicht gemerkt, was da stand.“ Er kniff die Augen zusammen und musterte mich.
„Na gut, Sky, ich lasse dir die Eins, aber eines sage ich dir, so eine Chance bekommst du nicht noch einmal.“ Noch eine Chance oder nicht war mir ziemlich egal, im Moment war meine Note so gut wie gerettet.


In der nächsten Simulationsstunde bekamen wir es mit Dämonenratten zu tun. Die mussten wir nicht ausschalten, sondern einfangen. Denn eigentlich waren es normale Ratten, die von einer dämonischen Aura besessen waren. Wenn man sie gefangen hatte, konnte man die Aura neutralisieren und aus den katzengrossen Ratten wurden wieder ganz gewöhnliche. Für diese Mission fanden wir uns in einer Lagerhalle wieder. Da diese Dämonen sichtbar waren, war diese Mission wesentlich einfacher als die erste. Mr. Lakefield war sehr zufrieden und so sollten wir schon nächste Woche anstatt in den Simulator in der Arena gegen ein paar echte Dämonen antreten. Das alles ging mir irgendwie zu schnell. Kaum hatten wir eine Mission im Simulator bestanden, schon sollten wir in die Arena. Und dann würde es nicht mehr lange dauern, bis wir auf eine richtige Mission gehen würden. Am Sonntag war dann auch noch das Spiel, aber da ich ja eh nicht aufgestellt war, ging ich nicht zum Spiel, sondern warf für mich ein paar Körbe bei mir zu Hause. Ich war immer noch sauer auf den Coach, obwohl ich wusste, dass er im Grunde recht hatte. Noah erzählte später voller Begeisterung von dem Spiel. Sie hatten knapp 44 zu 40 gewonnen. Shadow hatte sich nicht ins Team einfügen können und war im zweiten Viertel vom Coach aus dem Spiel genommen worden. Wenn er so weiterspielen würde, war er nicht mehr lange im Team. Dann hätte mein Vater doch recht gehabt, was das anging. Aber im Moment konnte mir Dad echt gestohlen bleiben. Seit er meine Testergebnisse gesehen hatte, erwartete er von mir, dass die erste Mission ein voller Erfolg werden sollte, und wenn ich dabei versagte, hatte er mir mit Extra-Training gedroht. Bevor wir jedoch die erste Mission antraten, bekamen wir es mit alten Bekannten zu tun, den Kriechern.


Die Arena war eigentlich nur eine grosse Halle, mit Kampfplatz, ein paar Bänken für Zuschauer und Käfigen für Dämonen. In der Arena würden wir mit den richtigen Uniformen kämpfen. Jeder von uns erhielt seine eigene Uniform, wenn mal etwas kaputt ging, wurde es von der Schule wieder ersetzt. Bei den Kriechern handelte es sich um solche, die von den Drittklässlern gefangen worden waren. Das gehörte nämlich später auch dazu, Dämonen zu fangen, damit die Jüngeren damit üben konnten. Luk Kingstons Team hatte die Dämonen gefangen, und so überwachten auch sie den Kampf in der Arena. Luk Kingston, Kristian Skynight und Ellen Brighton zählten zu den besten „Nachwuchstalenten“ unter den Jägern. Obwohl Kristian zu der Familie Skynight gehörte, hatte Luke das Kommando im Team übernommen. Man sah Luk gar nicht an, dass er so ein genialer Jäger war. Er war der einzige Katzdendämon, den ich kannte, der eine Brille trug. Doch nicht etwa, um seine Sehkraft zu verbessern, ganz im Gegenteil, die Brille verschlechterte sein Sehvermögen. Ohne Brille sah er so gut, dass er jeden Adler alt aussehen liess. Wenn er wollte, konnte er sogar durch Wände sehen. Nur hatte das einen Haken: Die enorme Sehstärke machte seine Augen schnell müde. Daher trug er immer eine spezielle Brille, die seine schokoladenbraunen Augen noch grösser wirken liessen. Ich fand die grossen Augen irgendwie gruselig, doch die Mädchen flogen reihenweise darauf. Genug von Luk und zurück zu den Kriechern!


Wir drei standen jetzt also in unserer Uniform mitten in der Arena und warteten darauf, dass sie die Dämonen freiliessen. Die Arena war extra für die Kriecher abgedunkelt worden, damit sie sich unsichtbar machen konnten. Uns hatten sie nicht gesagt, mit wie vielen wir es zu tun bekommen würden. Da die Kampffläche nicht all zu gross war, konnten sie sich vor mir nicht verstecken. Das Signal für den Beginn des Kampfes ertönte und zwei Kriecher wurden in die Arena gelassen. Beide befanden sich auf der gleichen Seite.
„Bleibt hier stehen, ich kümmere mich um die beiden.“ Ich wollte gerade mit meinem Schwert auf sie los, da hielt mich Ice an der Schulter fest.
„Warte mal Sky, wir können das auch einfacher machen.“ Er zog einen Netzball aus seiner Tasche. „Nach der Simulation habe ich gleich meinen Prototyp von der Blendgranate in die Tat umgesetzt.“
„Du hast so ein Ding hier?“, fragte Fiona.
„Aber klar doch, gehört zu meiner Standardausrüstung.“
„Na dann, wirf mal, sie werden langsam ungeduldig.“
„Schon vergessen, ich habe keine Ahnung, wo sie sich befinden, wirf du!“, er gab mir die Blendgranate. Fiona kniff die Augen zusammen und spannte ihren Bogen. Ich schloss die Augen und machte sie noch einmal genau ausfindig.
„Augen zu!“, warnte ich das Publikum und warf. Das Licht dieser Granate war nicht rot, sondern strahlend weiss und ich musste meine Augen auch noch mit meinen Armen abschirmen. Den Kriechern hatte das überhaupt nicht gefallen, sie wanden sich am Boden und stiessen gequälte Laute aus.
„Los, schiesst sie ab, ich will den Viechern nicht zu nahe kommen.“ Fly erschoss einen und Ice spiesste den anderen mit seinem Speer auf.
„Das war ja wirklich eine blendende Vorstellung“, sagte Kristian Skynigt. Er lachte wie immer über seinen eigenen Witz.
„Lass die Spässe, Kriss, du solltest ihnen lieber gratulieren“, sagte Ellen. Kristian Skynight war zwar ein guter Jäger, aber auch ein hoffnungsloser Komiker. Seine Fähigkeit, seinen Körper in Brand zu setzen, machte ihn für viele Dämonen zu einem schwierigen Gegner. Wie bei den Skynights üblich, hatten seine schwarzen Haare einen Blaustich, und seine Augen funkelten in den Farben des Regenbogens. Seine kleine Schwester sah ihm wirklich sehr ähnlich. Sie ging genau wie ich in die erste Klasse. Ich hatte sie ein paarmal in der Cafeteria gesehen.
„Schon gut, Ellen, ich habe ihnen ja gratuliert.“ Mr. Lakefield kam jetzt auch noch zu uns.
„Ihr solltet euch jetzt die Energie der Dämonen zu eigen machen, ihr werdet die Stärke sicher auf eurer Mission morgen gebrauchen können.“ Mir fiel die Kinnlade herunter und Kristian konnte sich seinen Spruch nicht verkneifen.
„Er kriegt die Tür nicht mehr zu.“ Vollkommen hoffnungslos.
„Wir sollen morgen auf unsere erste Mission gehen, aber die drei Wochen sind doch noch gar nicht abgelaufen.“
„Jeder Lehrer wurde vom Direktor angewiesen, das beste Team aus seiner Klasse auszuwählen und ihnen eine Mission zuzuteilen.“ Dad, war ja klar, dass würde er mir büssen. „Damit ihr euch auf die Mission vorbereiten könnt, werde ich euch heute schon sagen, womit ihr es zu tun bekommen werdet. Bald stehen die Maisernten an, und das heisst, dass besonders viele Kaishin ihr Unwesen auf den Feldern der Farmer treiben. Wir haben alle Hände voll zu tun, die Kaishin zu vernichten und die Ernten der Farmer zu sichern. Deshalb werdet ihr morgen auf einer Farm nördlich von hier den Kaishin töten. Ihr seid bereits als Schädlingsbekämpfer bei dem Besitzer der Farm angekündigt.“


Als Schädlingsbekämpfer, grossartig, das war eine Standardmission für die Schüler in der ersten Klasse. Nur hatten die immer ein paar Wochen mehr Zeit gehabt, um sich darauf vorzubereiten. „Ich werde euch morgen persönlich an den Einsatzort fahren.“
„Da habe ich noch einen Tipp für euch, Kaishin können Feuer nicht ausstehen“, sagte Luk.
„Ich wäre ihnen viel zu heiss.“
„Halt die Klappe, Kriss“, fuhr ihn Ellen an. Der Kaishin wurde auch Vogelscheuchen-Dämon genannt, und das, weil er immer als Vogelscheuche in Erscheinung trat. Um an ihn heranzukommen, musste man erst an seinen treuen Dienern vorbei, vier riesigen Raben. Ich hätte nur zu gerne einmal im Simulator gegen einen Kaishin gekämpft, doch Mr. Lakefield schickte uns nach Hause, damit wir uns vorbereiten konnten. Mein Vater war natürlich hellst begeistert, dass ich auf eine Mission gehen würde. Er beriet mich sogar bei der Wahl meiner Ausrüstung.
„Ich würde einen Feuerbogen mitnehmen, der ist optimal, um die lästigen Vögel aus dem Weg zu räumen. Dazu kannst du aber auch Netzbälle verwenden.“ Er suchte beides aus unserer Ausrüstungskammer und packte es in meine Gurttaschen. „Beim Kaishin selbst kommst du mit einem Bogen nicht weit, zumindest nicht mit den Bögen, die ihr im Moment besitzt. Da würde ich mit dem Schwert auf ihn losgehen. Da er nicht besonders schnell ist, solltet ihr ihn eigentlich erwischen.“ Dann mischte sich meine Mum auch noch ein.
„Hast du ihm auch eine Medizinausrüstung mitgegeben?“
„Nein, Victoria, aber das ist eine gute Idee.“ Sie kamen jetzt so richtig in Fahrt. Sie wollten mich mit Peilsender, Fallen und Tausenden Zweitwaffen ausrüsten.
„Stopp, halt, Schluss!“ Überrascht hörten die beiden auf, noch mehr Zeug zusammenzusuchen und drehten sich zu mir um. „Schön, dass ihr mir wenigstens jetzt zuhört. Ich gehe nur auf eine ganz normale Mission, auf keine Geheimagentenweltrettungsmission.“
„Wir haben vielleicht etwas übertrieben, aber wir wollen doch nur, dass du gut ausgerüstet bist.“
„Ich weiss, Mum, aber es reicht. Ein paar Sachen reichen vollkommen aus.“ So bestand meine Ausrüstung schliesslich aus einem Sensor, Netzbällen, einem Bogen, einem Dolch, meinem Schwert, Regulus und der Medizinausrüstung. Obwohl ich Regulus immer noch nicht benutzen konnte, wollte ich es doch dabei haben.


Meine Eltern liess ich die restlichen Ausrüstungsgegenstände wieder wegräumen und schaute mal, was Ice alles so zusammenpackte. Ice hatte insgesamt vier Gürteltaschen vollgepackt. Da schien er wohl mehr wie meine Eltern zu sein.
„Was hast du denn alles da drin?“
„In der einen Tasche ist mein Werkzeug, dann in der andern habe ich das Medizinset, in der dritten habe ich Zusatzwaffen und in der letzten viele verschiedene Spielzeuge.“
„Na, dann haben wir ja genug Zeug dabei, jetzt müssen wir es nur noch richtig einsetzen.“ Er klopfte mir auf die Schulter.
„Wir kriegen das schon hin, ich habe da schon ein paar super Ideen.“ Nicht schon wieder! Wenn ich eines wusste, dann war es, dass Ices Ideen nie gut gingen. Bis jetzt hatte ich es aber noch nicht über mich gebracht, ihm das direkt ins Gesicht zu sagen, da ich ihn nicht kränken wollte.
„Solange diese Ideen meinem Vater keinen weiteren Grund liefern, mir Extra-Trainingsstunden anzudrohen.“
„Wann haben dich meine Ideen je in Schwierigkeiten gebracht?“ Auf diese Frage antwortete ich lieber nicht.
„Ich lass dich dann mal wieder weiter packen.“ Um etwas Ruhe vor meinen Eltern zu haben, zog ich mich in mein Zimmer zurück. Meine Ausrüstung lag bereit und auch Regulus befand sich in seiner Tasche. Warum hatte mir Grossvater das Schwert vermacht, wenn ich doch nicht einmal in der Lage war, seine Kraft zu nutzen. Was hatte er sich nur dabei gedacht, er hätte mir wenigstens eine Gebrauchsanweisung hinterlassen können. Ich schloss die Augen und rief mir das Bild meines Grossvaters vor Augen. Obwohl ich sein Gesicht schon lange nicht mehr gesehen hatte, erschien es gestochen scharf vor meinem inneren Auge. Die dunkelblonden Haare, seine türkisfarbenen Augen, die von Lachfalten umgeben waren, sein Lachen und sein Bart, der schon von grauen Haaren durchzogen war. Da fiel mir ein, dass ich ja ein Foto von ihm hatte. Ich durchwühlte die Truhe am Ende meines Bettes, bis ich auf einen alten Schuhkarton stiess. Hier drin bewahrte ich nicht nur das Foto von meinem Grossvater auf, wie er mich auf seinen Schultern trug, sondern noch eine Menge anderer Fotos und Krimskrams. Der Bilderrahmen mit dem Foto meines Grossvaters lag zu oberst. Lange Zeit hatte es auf meinem Schreibtisch gestanden, bis ich es nicht mehr hatte sehen können. Ich nahm es aus der Schachtel und stellte es an seinen alten Platz auf dem Schreibtisch zurück. Zusammen mit der Schachtel setzte ich mich auf mein Bett und kippte den Inhalt vor mir aus.


Meine Aufmerksamkeit richtete sich zuerst auf den Stapel Fotos. Es waren allesamt Bilder von meinem sechsten Geburtstag. Ich hatte ihn mit meiner und Fionas Familie zusammen im Manhattan-City-Stadtpark gefeiert. Das erste Bild war ein Gruppenfoto, auf dem nächsten waren Fly, Ice, Flys Bruder und ich zu sehen, wie wir im See planschten. Marcus war damals sechzehn gewesen. Ich wusste noch, wie er uns in die Luft katapultiert hatte. Auch auf den meisten anderen waren wir vier zu sehen. Nur auf den letzten beiden waren nur noch Fly und ich zu sehen. Wir hatten Stunden am und im See gespielt, doch Fiona und ich hatten einfach nicht mehr gehen wollen. Auf dem letzten Bild standen wir Hand in Hand, tropfnass und in Badeanzügen vor dem See und strahlten um die Wette. Dieses Foto war kurz bevor wir uns gestritten hatten aufgenommen worden. Ich legte die Fotos beiseite und nahm eine Kette mit einem halben, blauen Katzenauge in die Hand. Eigentlich war es ein blauer Stein, der aussah wie ein Katzenauge. Naja, jetzt war es nur noch die Hälfte, die andere hatte Fly. Dieser Stein war der Auslöser für unseren Streit gewesen. Wir hatten ihn zusammen am See gefunden, doch jeder wollte ihn für sich haben. Unser Streit ging so weit, dass mein Vater entschied, den Stein zu behalten. Das führte jedoch nur dazu, dass wir heulend bettelten, er solle uns den Stein wieder geben. Da kam mein Grossvater und hat ihn kurzerhand zerbrochen. Er hatte uns je ein Stück in die Hand gedrückt und gesagt:
„Jetzt habt ihr beide gleich viel.“ Von da an haben wir die Stücke immer bei uns getragen und sie zusammengehalten, wenn wir das Auge hatten sehen wollen. Es war sowas wie unser persönlicher Schatz gewesen. Doch nachdem ihre Eltern und ihr Bruder gestorben waren, hatten wir keinen Kontakt mehr zueinander gehabt und ich hatte angefangen sie zu vergessen.


Aber warum hatte ich angefangen, beinahe völlig zu vergessen, dass es sie gab? War sie doch so etwas wie eine Schwester für mich gewesen. Jetzt waren wir drei ja wieder im selben Team. Ganz wie früher war es jedoch nicht. Sie hatte sich sehr verändert. Früher hatte sie sehr viel geredet und heute sprach sie kaum ein Wort. Manchmal hatte man das Gefühl, dass sie gar nicht da war. Ihr super Zahlengedächtnis war mir vorher nie aufgefallen. Auch äusserlich hatte sie sich verändert, ihre Haare hatte sie immer offen getragen und ausserdem waren sie wesentlich kürzer. Und auf den Fotos waren ihre Haare eindeutig rotbraun und nicht schwarz. Die Haare waren nicht das Einzige, was sie neuerdings schwarz trug. Bis jetzt hatte ich sie auch nur in schwarzen Klamotten gesehen. Kein Wunder, dass ich sie erst nicht wieder erkannt hatte. Wir würden ja auch nicht im Sandkasten Sandkuchen backen oder im See planschen. Jetzt würden wir auf Dämonenjagd gehen. Ich legte alles wieder in den Schuhkarton zurück und versorgte ihn dann wieder in meiner Truhe. Also morgen, morgen wurde es ernst. Irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl bei der Sache, aber da wusste ich ja auch noch nicht, wie recht ich mit diesem Gefühl hatte.


Ich kam mir ziemlich dämlich vor, als ich in voller Montur vor dem Farmer stand. Der jedoch schien das alles gar nicht wahrzunehmen.
„Sie müssen die Schädlingsbekämpfer sein, die gestern angerufen haben. Ich werde Ihnen gleich die betroffenen Felder zeigen, damit Sie mit ihrer Arbeit beginnen können.“ Der Mann im karierten Hemd und den ölbefleckten Jeans schien sich überhaupt nicht zu wundern, dass drei Teenager in seltsamer Kleidung auf seiner Farm aufgetaucht waren. Die dämonische Aura, die uns umgab, trug sicher etwas dazu bei. Aber ich war mir ganz sicher, dass meine Mum auch noch etwas damit zu tun hatte. Mr. Lakefield hatte uns wie versprochen mit seinem Auto, sofern man seinen fahrbaren Untersatz als Auto bezeichnen konnte, zu unserem Einsatzort gefahren. Ice hatte die ganze Fahrt über Angst gehabt, dass der alte VW Käfer auseinanderbrechen würde. Ich hatte mich zusammen mit Ice auf die enge Rückbank quetschen müssen. Das Ding war so alt, dass es nicht mal Sicherheitsgurte besass, und wir waren heilfroh, als er uns bei der Farm absetzte und uns viel Glück wünschte.


Nun führte uns der Farmer zu einem Maisfeld, das ungefähr so gross wie zwei Fussballfelder war.
„Hier treiben die Schädlinge ihr Unwesen.“ Ich war mir nicht ganz sicher, aber kümmerte sich ein Farmer normalerweise nicht selbst um Schädlinge? Das tat zwar hier nichts zur Sache, aber interessieren tat es mich trotzdem.
„Dann werden wir uns darum kümmern, sie sollten sich aber so lange von dem Feld fernhalten. Ohne spezielle Schutzanzüge kann das Gift echt gefährlich sein.“
„Kein Problem, ich lasse Sie hier Ihre Arbeit machen.“ Der Farmer wollte gerade gehen, als mir noch etwas einfiel.
„Haben sie auf diesem Feld eine Vogelscheuche aufgestellt?“
„Nein, inwiefern ist das wichtig?“
„Naja … ich … ich erschrecke mich nur immer so vor ihnen, deshalb wollte ich das wissen.“ Der Farmer hob eine Augenbraue, schüttelte den Kopf und sagte dann:
„Da können sie ganz beruhigt sein, ich stelle nie welche auf. Wenn sie mich jetzt entschuldigen würden.“


Kaum war der Farmer verschwunden, lachte Ice los.
„Ist dir nichts Besseres eingefallen, wie zum Beispiel: Von dort könnten die Schädlinge kommen’?“
„Nächstes Mal kannst du ja fragen und ausserdem hätte uns das die Suche erleichtert. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als das ganze Feld abzusuchen.“
„Wieso musst du das alleine machen?“
„Na, weil ich der Einzige von uns dreien bin, der die Dämonenauren orten kann.“
„Ich kann dir helfen, wenigstens die ungefähre Richtung sehe ich.“ Fly und ich schlossen die Augen und ich konzentrierte mich auf das Feld.
„Und was mache ich in der Zwischenzeit?“ Ich muss zugeben, dass ich Ice etwas zu grob anfuhr, aber ich war einfach angespannt.
„Am besten, du hältst die Klappe und passt auf, dass uns nichts überrascht.“ Dann kümmerte ich mich nicht weiter um ihn und wandte mich wieder dem Feld zu. Um bessere Sinne zu bekommen, liess ich etwas von meiner dämonischen Seite raus. Ganz verwandelte ich mich nicht, weil dann die Gefahr bestand, dass uns der Dämon zuerst wahrnahm. Ich suchte das Feld von links nach rechts ab und je näher ich zur Mitte kam, desto genauer konnte ich die dämonische Aura sehen. Als ich ihn ganz erfasst hatte, konnte ich sogar zwischen der Aura des Kaishin und der der Raben unterscheiden. Es war schon erstaunlich, wie leicht es mir fiel, die Auren wahrzunehmen. Ich konnte schon fast die Dämonen sehen, sie hatten zwar keine Farben, schimmerten aber bläulich. Plötzlich tauchten auch noch zwei rote Gestalten direkt neben mir auf. Fast hätte ich danach geschlagen, doch dann fiel mir im letzten Moment ein, dass das ja Fly und Ice waren.


Mein Vater war bis jetzt der Einzige gewesen, der sogar die Auren der Katzendämonen wahrnehmen konnte, wenn sie nicht einmal verwandelt waren. Wie es schien, hatte ich doch mehr von meinem Vater geerbt, als ich zunächst angenommen hatte. Und gleichzeitig wurde mir klar, wie er mich immer beim Versteckspiel gefunden hatte. „Konzentrier dich auf die Mitte des Feldes, Fly, dann müsstest du sie wahrnehmen!“
„Du hast recht, da muss eindeutig was sein, auch der Sensor deutet in die Richtung“, stimmte mir Fly zu.
„Und was jetzt?“
„Wir werden uns aufteilen und von verschiedenen Seiten her angreifen, zuerst werden wir seine Handlanger aus dem Weg räumen. Verwandelt euch erst, wenn das erledigt ist, sonst könnte es sein, dass er uns wahrnimmt. Über Funk werden wir uns Zeichen geben, wenn wir ihn sehen.“
„Ja, ja, verstanden, Boss.“ Ice wollte gerade los, als ich ihn zurückhielt.
„Keine Alleingänge, klar?“ Er verdrehte die Augen und ging los. Fly näherte sich von links, Ice von rechts, und ich kam von vorne. Es war gar nicht so einfach, sich einen Weg durch den Mais zu bahnen und dabei kein Geräusch zu verursachen. Vor allem hatte es ein paar Tage nicht geregnet und das Feld war staubtrocken. So leise wie möglich schlängelte ich mich durch das Maisfeld. Unentdeckt kam ich so nahe heran, dass ich den Kaishin sehen konnte. Die Vogelscheuche hatte Arme und Beine aus Stroh, trug Latzhosen und ein zerfetztes Hemd. Auf seinem Kürbiskopf trug er einen Strohhut und in den Kürbis war ein ziemlich fieses Grinsen geschnitzt. Die vier riesigen Raben sassen dicht aneinander gedrängt auf seinen Schultern. Ich tippte kurz auf das kleine Funkgerät in meinem Ohr und sagte fast lautlos Fly und Ice Bescheid, dass ich meine Position erreicht hatte. Als auch sie mir bestätigten, dass sie bereit waren, spannte ich den Bogen. Auf ein weiteres Signal von mir schossen wir. Drei Vögel vielen tot zu Boden. Der vierte schaffte es irgendwie, drei weiteren Pfeilen auszuweichen und in den Himmel aufzusteigen. Auch die nächsten Pfeile trafen ihn nicht. Was wir jetzt tun sollten, wusste ich nicht, weiter als bis hier ging mein Plan nicht.


Der Kaishin schien nicht gerade erfreut darüber zu sein, dass die meisten seiner Handlanger tot waren. Der letzte Rabe hielt direkt auf Fly zu und wurde, während er auf sie zuraste, noch grösser. Ich wollte ihr gerade zu Hilfe eilen, als mich der Kaishin angriff. Er griff mit wirklich spitzen Strohnadeln an. Die erste Salve konnte ich gerade noch mit meinem Ärmel abwehren, dass würde zwar ein paar blaue Flecken geben, aber durch den Stoff drangen sie nicht. Verwandelt gelang es mich auch noch, den nächsten beiden auszuweichen; doch ich konnte Fiona nicht helfen. Sie war gerade dabei, vor dem Raben durch das Maisfeld zu stolpern, der schon wieder ein Stück gewachsen war und nun die Grösse einer Kuh erreicht hatte. Wo zum Teufel steckte Ice, er hätte ihr doch helfen können. So blieb mir nichts anderes übrig, als weiter wie ein Irrer durch die Gegend zu hüpfen, um den verdammten Nadeln auszuweichen.
„Sky, geh und hilf Fly, ich kümmere mich um den hier!“, brüllte mir Ice zu und tauchte aus dem Nichts auf.
„Wo hast du denn so lange gesteckt?“
„Ich musste was vorbereiten, tut mir leid.“ Etwas vorbereiten, naja, wenigstens war er jetzt hier. „He, du alte Vogelscheuche, hier bin ich!“, rief er und fuchtelte mit den Armen. Der Kaishin hielt mit seinem Beschuss inne und drehte sich zu Ice um. Ich hatte keine Ahnung, ob er verstanden hatte, was Ice da gesagt hatte. Aber auf jeden Fall schoss er jetzt auf Ice. Hoffentlich wusste er, was er da tat. Ich hatte jetzt aber keine Zeit, ihm zu helfen, der Rabe hatte Fly jetzt bald erreicht. Ich nahm den Bogen und schoss auf den Kuh-Raben, wie ich ihn nannte. Obwohl ich nicht damit gerechnet hatte, ihn zu treffen, erwischte ich doch ein Bein. Wütend heulte er auf und bremste etwas ab, das gab mir genügend Zeit, ihn zu überholen. Der Kuh-Rabe landete vor uns und ich aktivierte mein Schwert. Dummerweise schlug er mir dieses mit einem seiner Flügel aus der Hand. Wenigstens verletzte er sich dabei selbst den Flügel. Leider machte ihn das nur noch wütender.


Fly war vollkommen erstarrt, sie würde mir bestimmt nicht helfen können. Ich war auf mich alleine gestellt. Da schnappte er mit seinem Schnabel nach mir und ich wehrte den Angriff mit meinem Arm ab. Verdammt, tat das weh, als er richtig zubiss! Zu meinem Glück hatte er keine Zähne und auch durch die Jacke drangen die scharfen Ränder seines Schnabels nicht – fragte sich nur, wie lange. Der Kuh-Rabe zerquetschte mir regelrecht den linken Arm, und ob mein Knochen das noch lange aushielt, wollte ich lieber erst gar nicht wissen. Mit meiner rechten Hand tastete ich nach meinem Dolch, da ich mein Schwert nicht erreichen konnte.
„Ahhhhh!“ Gerade als ich den Dolch gefunden hatte, brach mein Knochen. Jetzt war ich aber sauer, voller Wut stach ich zu. Ich stach ihm ein Auge aus, er liess von mir ab und wollte fliehen. „Vergiss es, du kommst mir nicht davon!“ Die Schmerzen in meinem Arm ignorierend sprang ich auf den Rücken des Vogels und drückte ihm von hinten die Luft ab. Da schrumpfte das Tier auf normale Rabengrösse und ich hielt einen kreischenden Raben in der Hand. „Was?“ Ich starrte dem Raben in sein verbliebenes Auge und hatte plötzlich Mitleid mit ihm. Das war aber nicht das Einzige, irgendetwas hatte sich an ihm verändert. Bevor ich das jedoch genauer untersuchen konnte, hörte ich eine Explosion hinter mir. Der Mais war zwar schon an vielen Stellen niedergetrampelt, aber trotzdem konnte ich nicht erkennen, was da vor sich ging. „Pass auf den Raben auf, wenn du kannst, kümmere dich um seine Verletzungen, er wird dir nichts mehr tun.“ Ich drückte ihr den Raben in die Hand, sammelte mein Schwert ein und rannte los. Den Dolch steckte ich wieder zurück in die Tasche, gebrauchen konnte ich ihn sowieso nicht. Mit meinem verletzten Arm würde ich Ice keine grosse Hilfe sein und Fly hatte ja nicht mal etwas gegen den Raben ausrichten können. Es sah wirklich übel aus, es sei denn, Ice hätte noch irgendetwas im Ärmel. Als ich Ice erreichte, ging schon wieder etwas in die Luft. Irgendetwas hatte dem Kaishin beide Arme abgesprengt. Da warf Ice noch etwas, doch der Kaishin wich aus, und die Explosion sprengte einen kleinen Krater in das Feld. Er hatte tatsächlich Haftgranaten mitgenommen. Gerade als ich mich darüber freuen wollte, dass der Kaishin keine Arme mehr hatte und so auch nicht mehr mit seinen Nadeln um sich schiessen konnte, fingen sie an, wieder nachzuwachsen. „Echt jetzt?“ Das gab es doch nicht, konnte ich denn nicht einmal Glück haben? „Hast du noch mehr von den Granaten?“
„Nein, ich habe alle verbraucht.“ Verdammt, verdammt, verdammt! Ich atmete tief durch und überlegte. Wenn die Arme erst wieder nachgewachsen waren, würde es noch weit schwieriger werden, an ihn ranzukommen.
„Wenn das nur nicht schiefgeht“, murmelte ich und stürzte los.


„Sky, was machst du da, hast du nicht selbst gesagt, keine Alleingänge?!“ Ja, daran konnte ich mich noch allzu gut erinnern, aber es half nichts, ich musste ihn in Stücke hacken, bevor die Arme wieder nachgewachsen waren. Da ich nur mit einem Arm zuschlagen konnte, war ich nicht so schnell, wie ich es mir gedacht hatte. So sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht. Wenn ich den einen Arm wieder stutzte, wuchs der andere und umgekehrt. Unausweichlich wuchsen die Arme nach und der Kaishin schleuderte mich mit einem kräftigen Hieb von sich.
„Uhhaaarrrgg.“ Der Schlag hatte mir die ganze Luft aus der Lunge gepresst und mich in hohem Bogen ein paar Meter wegbefördert. Die Maispflanzen bremsten den Aufprall ein wenig, was aber nicht hiess, dass es eine angenehme Landung war.
„Sky! Jetzt reicht es, ich werde dir Feuer unterm Hintern machen!“, schrie er den Kaishin an. „Bleib einfach dort liegen, ich kümmere mich jetzt endgültig darum. Dafür ist die Feuerbombe, die ich gestern Abend noch gebaut habe, genau das Richtige. Die wird den Kaishin in null Komma nichts in Brand stecken.“ Ich hatte eigentlich gar nicht vorgehabt aufzustehen, doch als ich das Wort Feuerbombe hörte, schwante mir Übles. Erstaunlicherweise hatte ich mir nicht sämtliche Knochen im Leib gebrochen, trotzdem musste ich mich mühsam hochrappeln. Ich hielt mir meinen Arm und schaute mich um. Das Feld war wirklich überaus trocken, wenn hier etwas in Brand geriet, dann würde der ganze Mais abbrennen.
„Ice, warte, du darfst ihn nicht in Brand setzen!“
„Du hattest deine Chance, Sky, jetzt bin ich an der Reihe.“ Dachte er im Ernst, ich wollte die Kraft des Dämons für mich? Die war mir doch herzlich egal, aber das Feld…
„Du verstehst nicht, das Feld…“, weiter kam ich nicht.


Er hatte mich ignoriert und seine Bombe geworfen. Sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Nach wenigen Sekunden stand der Kaishin lichterloh in Flammen. Nur blieb der Kaishin nicht das Einzige, was brannte. Der Dämon wälzte sich am Boden, um die Flammen zu löschen, und steckte so die ersten Pflanzen in Brand. Rasend schnell breitete sich der Brand aus, und wir mussten zusehen, dass wir hier verschwanden. Ice wurde von den Flammen eingeschlossen, und durch den Rauch konnte ich nicht sehen, ob es ihm gut ging. „Ice, wo bist du!“
„Hier, aber ich kann nichts sehen!“, rief er hustend. Ich zog mir das T-Shirt über das Gesicht und stürzte mich in die Flammen. Dank seiner Aura fand ich Ice, packte ihn an der Hand und zog ihn hinter mir her. Dann machte ich Flys Aura ausfindig. Sie befand sich immer noch am selben Ort, an dem ich sie mit dem Raben zurückgelassen hatte. Mit Ice im Schlepptau ging ich zu ihr und zusammen flohen wir vom Feld. Die Bilanz dieser Mission war nicht allzu berauschend. Der Dämon war zwar tot, aber das war auch schon alles. Ice und ich, von oben bis unten mit Russ verschmiert, und Fly total neben der Spur standen vor einem lichterloh brennenden Feld, das wir eigentlich hätten retten sollen.







Die Kobolde



Unsere Mission hatten wir schliesslich zu einem Drittel erfüllt. Denn nach dem Brand war von dem Feld noch gut ein Drittel übrig geblieben. Immerhin noch besser, als wenn wir gar nicht aufgetaucht wären, denn dann hätte der Dämon die komplette Ernte vernichtet. Der Farmer hatte anstelle unseres Kampfes ein gewaltiges Gewitter gesehen, das dann mit einem Blitzeinschlag das Feuer auslöste. Wir hatten dem Farmer geholfen, den Brand mit Eimern in Schach zu halten, bis die Feuerwehr eingetroffen war. Mr. Lakefield war sofort hergefahren, als er von der Farm her eine Rauchwolke aufsteigen sah. Er hatte uns zur Schule zurückgefahren, wo wir erst mal medizinisch versorgt wurden. Fly hatte nichts abgekriegt und heilte meine und Ices Brandwunden. Auch um die kleineren Schnittwunden von Ice kümmerte sie sich. Doch schon diese Wunden zu heilen, kostete sie so viel Kraft, dass sie kaum noch stehen konnte. Deshalb lehnte ich ab, als sie sich um meinen Arm kümmern wollte. Mein Arm wurde verbunden und geschient; in drei Tagen würde er wieder wie neu sein. Ice hatte noch ein paar tiefere Schnittwunden an den Beinen abbekommen, auch er würde drei Tage brauchen, bis er wieder vollkommen geheilt war.


Wir waren aber nicht das einzige Team, das auf der Krankenstation gelandet war. Auroras Team war auch hier. Trevor wurde gerade das Bein eingegipst, es schien ihn übel erwischt zu haben.
„Was habt ihr denn angestellt?“, fragte ich sie.
„Naja, wir sollten Dämonenratten in einer Lagerhalle jagen, genauso wie in einer Simulation. Nur leider waren es ein paar mehr und wir haben aus Versehen einen Teil der Halle in die Luft gesprengt.“
„Ich war nicht schnell genug und eine ziemlich schwere Kiste ist mir auf das Bein gefallen“, ergänze Trevor.
„Ihr seht aber auch aus, als wäre nicht alles glatt gelaufen.“
„Nicht ganz, wir sollten einen Kaishin ausschalten und haben dabei fast das ganze Feld abgefackelt.“ Aurora lachte.
„Und welcher Idiot hat mit Feuer gespielt?“ Ice lief feuerrot an und senkte den Kopf.
„Du solltest lieber nicht über andere lachen, Aurora! Wer hat denn diese wahnwitzige Idee gehabt, mit Sprengstoff auf Rattenjagd zu gehen?“, fragte Trevor.
„Es hätte funktioniert, hätte ich die richtige Mischung erwischt.“
„Was für Sprengstoff hast du denn benutzt, etwas von den Menschen oder was Dämonisches?“ Ich dachte zuerst, ich hätte mich verhört, aber es war tatsächlich Ice, der etwas gesagt hatte. Seine Neugier musste über seine Scheu gesiegt haben. Ebenfalls überrascht drehte Aurora den Kopf zu ihm.
„Wusste gar nicht, dass du reden kannst, Snowflake.“ Wenn man noch röter hätte werden können, dann wäre es Ice jetzt geworden. Sie liess sich neben ihn auf das Bett fallen, von denen übrigens eine ganze Menge rumstanden. „Aber nett, dass sich mal wer dafür interessiert, hat mich eine Menge Zeit gekostet, die Mischung anzufertigen. Ich habe Sprengstoffe von den Menschen mit denen von uns kombiniert.“


Dann fing sie an von Sachen zu reden, die ich nicht im Geringsten verstand. Ice jedoch schien hell begeistert von der Idee zu sein. Jetzt war er bestimmt noch mehr in sie verknallt. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Aurora genau so ein Technikfreak wie Ice war. Fly lehnte an der Wand und sah ziemlich fertig aus.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Mir geht es gut, aber das mit dem Arm ist allein meine Schuld. Ich hab nicht mal auf den Raben geschossen, vor Angst war ich wie gelähmt.“
„Das mit dem Arm war nicht deine Schuld, wir alle haben Fehler gemacht. Immerhin war das die erste Mission, da kann man doch nicht erwarten, dass alles perfekt läuft.“ Wobei genau das mein Vater tat, aber darüber wollte ich mir im Moment keine Gedanken machen. Ihre Miene hellte sich wieder etwas auf. „Wo ist eigentlich der Rabe geblieben?“
„Er hat sich davongemacht, nachdem ich seine Blutung gestillt hatte; das Auge habe ich leider nicht retten können. Aber wie es scheint, verfolgt er dich“, sagte sie und deutete hinter mich. Tatsächlich, draussen auf dem Fenstersims sass der einäugige Rabe. Das rechte Auge war milchig weiss und darüber hinweg ging eine schmale Narbe. Gerade als ich das Fenster öffnen wollte, kam mein Vater in das Zimmer, blieb aber sofort wieder stehen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf den Raben. Er nahm die Aura des Dämons war, genau wie ich. Ich wollte ihn gerade beruhigen, als sich sein Gesichtsausdruck entspannte.
„Wie es scheint, hast du einen Handlanger des Kaishin gezähmt, Sky.“ Fragend sah ich zwischen meinem Dad und dem Raben hin und her. „Seine Aura ist schwächer als die von normalen Dämonenraben, dass heisst, dass er sich von seinem alten Meister getrennt hat und nicht weiter unter dessen Aura steht.“ Jetzt fiel mir auf, was sich an der Aura des Raben verändert hatte. Sie fühlte sich nun ähnlich wie meine an. Moment mal, hiess das, dass meine Aura schwächer als die des Kaishin war?
„Willst du etwa damit sagen, dass ich schwächer als dieser Kaishin bin, Dad?“
„Im Moment bist du das auch, aber wenn du dich verwandelst, nimmt deine Aura auch an Stärke zu. Die Kraft des Raben hängt in gewisser Hinsicht mit der des jeweiligen Meisters zusammen.“ Ich öffnete das Fenster und der Rabe hüpfte herein. „Normalerweise lernt man erst in der zweiten Klasse, wie man ein Dämonentier zähmt, und selbst dann ist es eine Anspruchsvolle aufgabe. Das liegt daran, dass man die Auren der Dämonen sehr gut sehen muss, um sie zu beeinflussen. Aber ich glaube, für dich ist das kein Problem, oder?“
„Aber ich habe die Aura des Raben nicht beeinflusst.“
„Doch, dass hast du. Du hast die Aura des Kaishin mit deiner verdrängt.“
„Und wann bitte soll ich das gemacht haben?“
„Als du gegen ihn gekämpft hattest, da hast du ihn direkt berührt, oder?“
„Ja, ich wollte ihn erwürgen.“
„Genau da hast du es getan! Um die Aura zu verdrängen, ist direkter Kontakt das Beste. Nur muss man meistens gegen den Dämon kämpfen, indem man ihn berührt. Und so tötet man ihn meist, bevor es einem gelingt, die Aura seines vorherigen Meisters zu verdrängen oder einfach nur seine eigene aufzuzwingen.“


Während mein Dad redete, flog der Rabe auf meine Schulter. „Am besten, du gehst mit dem Tier zu Mr. Darkwood. Er kann dir ein paar Tipps geben. Meistens ist er im Stall, dort solltest du zuerst nachsehen. Wenn du das geklärt hast, komm zu mir ins Büro, dann nehme ich dich mit nach Hause. Ice, Fiona, wenn ihr wollt, fahre ich euch auch gleich.“
„Nein danke, Mr. Halfmoon, ich gehe zu Fuss nach Hause“, lehnte Fly ab.
„Danke für das Angebot, Onkel, aber ich nehme den Bus.“ Dann blieb wohl nur noch ich, aber zuerst würde ich zu Mr. Darkwood gehen. Ich verliess die Krankenstation und machte mich auf den Weg in den Stall. Wie mein Vater es gesagt hatte, war er dort und warf gerade einem Greif ein Stück Fleisch zu. Ein Greif ist ein Fabelwesen, das den Körper eines Löwen, die Flügel und den Kopf eines Adlers hat. So ein Greif ist schon ein majestätisches Tier. Ausser den Greifen fand man im Stall noch Einhörner, jegliche Art von Dämonentieren und Kelpie. Klingt jetzt vielleicht ein bisschen klischeehaft, aber Einhörner gab es wirklich. Für mich waren das eigentlich ganz normale Pferde denen ein Horn aus der Stirn wuchs. Kelpies waren pferdeähnliche Wassergeister, die anstatt Fell Fischschuppen hatten. Normalerweise lockten sie Wanderer ins Wasser und verspeisten sie dann. Aber wenn es einem gelang, ihnen ein Zaumzeug anzulegen, mussten sie einem dienen.


„Mr. Dakwood, mein Vater hat mich zu Ihnen geschickt, Sie könnten mir ein paar Tipps für den hier geben“, sagte ich und deutete auf den Vogel.
„Sky Halfmoon, was für eine Überraschung! Wie ich sehe, wolltest du nicht bis nächstes Jahr warten, um meine Bekanntschaft zu machen.“ Er richtete seinen Blick auf den Raben auf meiner Schulter. „Wie lange hast du das Tier schon? Nach der Verletzung zu urteilen, mindestens seit einer Woche.“
„Erst seit heute.“ Skeptisch kam er näher und liess den Vogel auf seine Hand hüpfen.
„Wie kann das denn sein, das Auge sieht ziemlich gut verheilt aus.“
„Fiona Firelight hat ihn geheilt.“
„Verstehe, dann ist alles klar, aber ich muss dich verbessern, der Rabe ist eine Sie.“ Wie hätte ich das auch wissen sollen, ich hatte einfach angenommen, dass es sich um einen Er handelt. „Es ist äusserst selten, dass es einem Erstklässler gelingt, einen Dämon zu zähmen. Der Letzte, dem das gelungen ist, war kein Geringerer als dein Urgrossvater. Aber bei einem Halfmoon muss man sich nicht weiter wundern. Und da du ja nicht nur das Blut der Halfmoons, sondern auch noch das der Snowflakes in dir hast, müsstest du so gut wie alles schaffen.“ Ich hatte eigentlich nur ein paar Tipps zum Umgang mit dem Dämonenraben gewollt. Und nun fing Mr. Darkwood an, darüber zu reden, was für eine Macht ich doch hatte. Na gut, wenn man meine Erbgrundlagen ansah, hatte ich wirklich sehr gute Voraussetzungen. Von der Halfmoonseite hatte ich eindeutig die gute Wahrnehmung geerbt. Was ich jedoch von Seiten der Snowflakes geerbt hatte, war mir nicht ganz klar.

Ich war nie und nimmer so athletisch und geschickt wie Ice. Bis jetzt hatten sich bei mir auch noch keine Anzeichen gezeigt, dass ich ein besonders guter Überredungskünstler war. Diese Fähigkeit war bei meiner Mutter ja besonders ausgeprägt, aber Kevin konnte auch ganz schön überzeugend sein.
„Vielleicht haben Sie recht, aber deswegen bin ich nicht hier.“
„Du musst mich entschuldigen, ich habe mich etwas reingesteigert. Zurück zu ihr!“, sagte er und führte mich durch den Stall. Vor einem grossen Schrank blieb er stehen und holte einen Sack Vogelfutter heraus. „Der sollte für eine Weile reichen und den hier kannst du in deinem Zimmer aufstellen.“ Er reichte mir das Vogelfutter und einen Vogelkäfig.
„Ich soll sie einsperren?“
„Nein, aber ein fester Platz, an dem sie schlafen kann, ist wichtig. Sonst kann ich dir keine weiteren Tipps geben. Du scheinst ganz gut alleine klarzukommen.“ Ich verabschiedete mich von Mr. Darkwood und machte mich mit dem Vogelfutter und dem Käfig unterm Arm auf zu meinem Vater. Ehrlich gesagt, sah ich ziemlich wie der letzte Idiot aus, als ich mit einem Vogelkäfig unter dem Arm vor dem Büro auf meinen Dad wartete.
„Wie ich sehe, hat dir Mr. Darkwood ein paar Dinge mitgegeben.“
„Sie scheint aber lieber auf meiner Schulter zu sitzen statt in dem Käfig.“


Auf dem Weg zum Auto schwiegen wir beide, erst als Dad losfuhr, fing er an, mich über die Mission auszufragen.
„Habt ihr mir wenigstens die Kraft des Dämons eingefangen?“
„Ice hat kurz bevor die Feuerwehr gekommen ist die Kraft auf seinen Speer übertragen und die drei Raben haben wir unter uns dreien aufgeteilt.“
„Die Mission habt ihr nicht ganz erfolgreich zu Ende geführt, aber da du einen Dämon gezähmt hast, will ich noch einmal darüber hinwegsehen.“ Ich wollte gerade etwas sagen, überlegte es mir jedoch nochmals anders. Solange ich jetzt nicht wieder mit ihm trainieren musste, war mir seine Meinung egal. „Es wird nicht allzu lange dauern, dann bekommt ihr eure nächste Mission.“
„Warum das denn?“
„Wie du sicher auch mitbekommen hast, treiben in letzter Zeit mehr Dämonen ihr Unwesen. Sie kommen so nahe an das Viertel heran wie schon lange nicht mehr. Im Moment sind es nur Dämonen von Stufe eins bis drei.“
„Was meinst du mit ‚im Moment’?“
„Wir können nicht sicher sein, dass keine mächtigeren Dämonen auftauchen. Deshalb ist es auch so wichtig, jeden einzelnen Dämon auszulöschen, der dem Viertel zu nahe kommt.“ Es schien wirklich viele Angriffe zu geben. Neulich hatte ich in den Nachrichten gesehen, dass es ziemlich viele Einbrüche, Brände und Überfälle gegeben hatte. Die Dämonen hatten diese Dinge nicht direkt selbst getan, ihre Aura beeinflusste die Menschen. Solche, die einen schwachen Charakter hatten, wurden leicht dazu verleitet, schlechte Dinge zu tun.


„Haben die vielen Dämonen etwas mit den Treffen der Kobolde zu tun?“ Mein Dad schüttelte den Kopf.
„Wir sind uns noch nicht ganz sicher, aber es wurden nur in den seltensten Fällen Kobolde und Dämonen an einem Ort gesehen.“ Wenn er das sagte, musste es auch so sein. Mich ärgerte nur, dass ausgerechnet in dem Jahr so viele Dämonen auftauchten mussten, in dem ich meine Ausbildung als Jäger begann. Manche würden sich sicher darüber freuen, denn in manchen Jahren gab es so wenige Dämonen, dass man sich regelrecht um Missionen prügeln musste.
„Sag mal, Dad, was war eigentlich damals deine erste Mission?“ Ich hatte ihn noch nie danach gefragt, ich wusste nur über Grossvaters erste Mission Bescheid.
„Woher das plötzliche Interesse?“
„Ach weisst du, es nimmt mich nur wunder, wie du deine erste Mission geschafft hast.“
„Du willst irgendeinen Fehler von mir finden, habe ich recht? Da muss ich dich leider enttäuschen, mein Sohn.“
„Darauf wollte ich doch gar nicht hinaus.“ Vielleicht ja doch, aber das würde ich ganz sicher nicht zugeben.
„Du weisst ja, dass ich mit deinem Onkel Kevin in einem Team war, oder?“ Ich nickte, so hatte er meine Mum kennengelernt. „Das dritte Mitglied im Team war Shawn McCall.“
„Shawn McCall – habe ich ihn schon einmal gesehen?“
„Ganz sicher nicht, ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen.“ Ich schien einen wunden Punkt meines Vaters gefunden zu haben. „Shawn tut jetzt nichts zur Sache. Also wir drei waren damals ein Team. Und wie es der Zufall so will, hatten wir genau dieselbe Mission wie du.“ Ein Zufall ganz bestimmt nicht, das hatte er doch extra so eingefädelt. „Die Raben waren in wenigen Sekunden ausgeschaltet, keiner ist uns entwischt. Dann haben wir uns zusammen den Kaishin vorgenommen. Ich habe ihn abgelenkt und Shawn und Kevin haben ihn in Stücke gehackt. Bevor wir ihn verbrannt haben, haben wir ihn ein Stück weg vom Feld getragen.“ Natürlich hatte er seine Mission perfekt bestanden. Wir bogen in die Auffahrt ein und ich ging mit samt dem Käfig in mein Zimmer. Dort stellte ich den Käfig neben das Bild meines Grossvaters auf den Schreibtisch. Ich füllte ein paar Körner des Vogelfutters in den im Käfig befestigten Futternapf und holte sogar etwas Wasser. Dabei sass sie die ganze Zeit auf meiner Schulter.
„Meine Schulter wird ganz bestimmt nicht dein neuer Schlafplatz, klar.“ Vorsichtig nahm ich sie von meiner Schulter und setzte sie in den Käfig. Das schien ihr aber gar nicht zu gefallen, sie krächzte und hüpfte wieder aus dem Käfig und ich setzte sie wieder hinein. Dieses Spiel wiederholten wir ein paar Mal und dann reichte es mir. „Hör mir mal genau zu, ich hätte dich auch töten können und das könnte ich immer noch. Bleib um deinetwillen in dem Käfig, verstanden?“ Sie hörte auf, herumzuhüpfen und zu krächzen. Mit schiefgelegtem Kopf sah sie mich mit ihrem gesunden Auge an und blieb tatsächlich im Käfig sitzen. „Warum denn nicht gleich so?“ Eigentlich hätte ich überhaupt keine Lust gehabt, sie jetzt noch zu töten. Schon das Auge tat mir leid. Ihr könnt mich gerne für einen Feigling halten, aber ich finde, man muss nicht gleich jeden Dämon umbringen. Von meinem Bett aus beobachtete ich, wie sie ein paar Körner pickte und sich dann auf die Stange setzte. Eine Weile beobachtete ich sie und dabei fiel mir ein, dass sie einen Namen brauchte. „Wie soll ich dich nennen?“
„Kraaa…kraaa.“
„Du bist mir keine grosse Hilfe.“ Was würde zu ihr passen, es musste doch etwas geben. Die Narbe bei ihrem Auge brachte mich schliesslich auf die Idee. „Scar, das ist doch keine schlechte Idee. Ja, ich glaube, ich nenne dich Scar, was hältst du davon?“
„Kraaa … kraaaa … kraaa.“
„Ich werte das einfach mal als Ja. Hoffentlich werden wir ein gutes Team, etwas Unterstützung könnte ich nämlich gut gebrauchen.“


Bevor wir unsere nächste Mission bekamen, verbrachten wir die Zeit damit, uns weiter im Simulator oder in der Arena mit Dämonen herumzuschlagen. Meine Verletzungen waren nach drei Tagen vollkommen ausgeheilt und so war das kein Problem. Auch versuchte ich aus Scar schlau zu werden. Was mehr oder weniger erfolgreich war. Sie war immer noch nicht sehr begeistert von ihrem Käfig und am liebsten sass sie auf meiner Schulter. Wenn ich in der Schule war, schaute sie meist vom Fensterbrett aus zu. Als Haustier war sie ja ganz passabel, aber im Kampf nützte sie nicht wirklich viel. Ich hatte bis jetzt noch nicht herausgefunden, wie ich sie dazu brachte, in den Kuh-Modus zu wechseln. So nannte ich die Form, in der sie so gross wie eine Kuh war. Wenigstens schaffte ich es, ihr mit meiner Aura gewisse Befehle zu geben. Zum Beispiel schaffte ich es, ihr zu übermitteln, wohin sie fliegen sollte. Scar kam mit jedem aus meiner Familie klar, ausser Ice. Wenn er ihr zu nahe kam, pickte sie nach ihm. Ich hatte keine Ahnung, warum sie das tat.


Zwei Wochen nach unserem ersten Einsatz bekamen wir einen ganz einfachen Auftrag. Wir sollten in der Nähe des Viertels auf Patrouille gehen und nach Dämonen Ausschau halten. Nur war an dem Tag nicht gerade viel los und ich schickte Scar los, um sich in der Luft etwas umzusehen. Sie würde mir hoffentlich Bescheid geben, wenn sie was entdeckte.
„Kannst du mir erklären, warum mich der Vogel nicht mag? Schliesslich warst du es, der ihr ein Auge ausgestochen hat, und auf dich hackt sie nicht ein.“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Ice. Vielleicht liegt es an deiner Aura oder daran, dass du keine wahrnehmen kannst.“
„Was ist denn an meiner Aura nicht in Ordnung?“ Seine Aura konnte man sehr gut von anderen unterscheiden, sie fühlte sich irgendwie kühler an.
„Naja, sie fühlt sich kühler an als die von den anderen.“
„Was soll daran denn nicht in Ordnung sein?“
„Scar scheint das nicht zu gefallen. Was bauen du und Aurora eigentlich zusammen?“ Seitdem die beiden herausgefunden hatten, dass sie beide dieselben Interessen hatten, verbrachten sie sehr viel Zeit zusammen und arbeiteten an irgendeinem verrückten Plan.
„Das ist streng geheim, lieber Cousin.“
„Komm schon, Ice, mir kannst du es doch verraten!“ Er schüttelte den Kopf.
„Vergiss es, du wirst es noch früh genug sehen.“
„Sie versuchen, eine Brille zu entwickeln, die Dämonenauren wahrnehmen kann“, sagte Fiona.
„Woher weisst du das?“
„Ganz einfach, ich habe mit Aurora zusammen Bogenschiessen und dabei haben wir uns über das Projekt unterhalten.“
„Ihr wollt ein Gerät entwickeln das Dämonenauren wahrnimmt? Dafür gibt es doch den Sensor.“
„Unser Projekt geht aber ein bisschen weiter, damit soll man die Dämonenauren so gut erkennen können wie du.“
„Wie wollt ihr das schaffen, ich kann die Auren auch durch Wände wahrnehmen.“
„Wir haben erst angefangen. Wenn sie fertig ist, dann kannst du sie gerne testen.“

Dann kam Scar zurück und krächzte aufgeregt. Ich liess sie auf meinem Arm landen.
„Was hast du denn gesehen, dass du so aufgeregt bist. Zeig uns die Richtung!“, wies ich sie an und liess sie wieder fliegen. Wir folgten ihr und je weiter wir ihr folgten, desto düsterer wurde die Gegend. Sie führte uns zu einem grossen Hinterhof. Als ich die vielen Auren wahrnahm, blieb ich vor Schreck wie angewurzelt stehen und Ice stiess mit mir zusammen.
„Alter, was bleibst du einfach so stehen?“ Ich legte ihm eine Hand auf den Mund und zog ihn und Fly zurück in die Gasse, aus der wir gekommen waren. Keine Sekunde zu früh! Kaum hatten wir uns in den Schatten der Gasse zurückgezogen, füllte sich der Hinterhof mit Kobolden. Es mussten mindestens dreissig von ihnen sein. Dreissig kleine, grüne Männchen – mit spitzen Ohren und langen Nasen –, deren Kleidung aus zerrissenen Lumpen bestand, drängten sich im Hinterhof zusammen.
„Was haben die den hier verloren?“, flüsterte Fiona. Ich zuckte mit den Schultern und signalisierte den beiden, dass sie bloss keinen Laut mehr von sich geben sollten.
„Warum hat uns Delwowar hierher bestellt, könnte das mal einer von euch Mosalder verraten?“ Die Stimme dieses Kobolds könnt ihr euch so vorstellen, als hätte er Helium eingeatmet.
„Delwowar will, dass wir unsere neu gewonnenen Kräfte ausprobieren und den Kätzchen etwas zu tun geben, aber das sollte Mosalder doch längst wissen“, antwortete ihm ein anderer, dessen Stimme nicht im Mindesten besser klang.
„Ja, ja, Braisvor, Mosalder erinnert sich wieder.“
„Dann hättest du Braisvor nicht fragen müssen.“ Die Kobolde redeten ziemlich merkwürdig, und aus dem Inhalt des Gespräches wurde ich auch nicht schlau.
„Dann sollten Mosalder und Braisvor lieber Iardler helfen, diese Kobolde dazu zu bringen, ihre Kräfte zu bündeln.“
„Mosalder wird dir ja helfen.“
„Braisvor ist auch schon dabei. Keine Sorge, Iardler!“


Langsam, aber sicher ging mir die Weise, wie sie redeten, auf die Nerven, fast noch mehr als ihre Stimmen. Und erst ihre Namen! Wer hatte sich die bloss ausgedacht? Die drei Kobolde, die bis jetzt geredet hatten, brachten das Geschnatter der anderen zum Erliegen, und eine unheimliche Stille breitete sich auf dem Hinterhof aus. Doch noch unheimlicher als die Stille war die Aura, die sich von den Kobolden her ausbreitete. Ich hatte keine Ahnung, was sie da taten, nur eines wusste ich, sie sollten uns lieber nicht erwischen. Wir mussten in eine dieser Versammlungen geraten sein, von denen meine Eltern erzählt haben. Bis jetzt waren die Kobolde dabei, aber noch nie so nahe an das Viertel herangekommen. Jetzt befanden wir uns in einem Übergangsgebiet vom Halfmoon-Viertel in das Gebiet der Menschen. Während ich noch darüber nachdachte, nahm die Intensivität der Aura wieder ab.
„Gute Arbeit, Kobolde, Delwowar wird stolz auf euch sein! Wir sind bald soweit, dann haben wir unser so lang ersehntes Ziel erreicht. Iardler wird gleich dem Meister Bericht erstatten.“ Die Kobolde verschwanden wieder so schnell, wie sie aufgetaucht waren. Erst als auch die letzte ihrer Auren verschwunden war, nahm ich die Hand von Ices Mund. Er holte erst mal tief Luft und fing dann gleich an, sich zu beschweren.
„Willst du mich ersticken oder was? Ich hab schon kapiert, dass ich ruhig sein soll.“
„Tut mir leid, aber ich hatte keine Lust, mich mit einer Horde Kobolden anzulegen.“
„Hat einer von euch beiden eine Ahnung, was die hier wollten?“, fragte Fly. Wir schüttelten beide die Köpfe.
„Hast du die seltsame Aura wahrgenommen?“, fragte ich sie.
„Ich war mir nicht ganz sicher, aber wenn du auch etwas gespürt hast …“
„Dann habe ich mich nicht geirrt.“
„Wovon redet ihr denn da, ich habe gar nichts gemerkt.“


„Von den Kobolden ging gerade eine seltsame Aura aus, nicht von jedem Einzelnen, sondern von der Gruppe. Sowas sollte doch gar nicht möglich sein, dazu hätten sie ihre Auren verschmelzen müssen.“ Soweit ich wusste, hatten das schon viele versucht, doch bisher waren fast alle daran gescheitert. Denn um die Auren miteinander zu verschmelzen, musste man absolut im Einklang sein, und keine Aura durfte Überhand nehmen. Bei Scar war das so, ich unterdrückte ihre Aura mit meiner.
„Wie es aussieht, hat es ihnen nicht viel gebracht, es ist gar nichts passiert.“
„Auf jeden Fall war es sehr merkwürdig, wir soll…“ Ich hörte mitten im Satz auf zu sprechen und schob die beiden noch etwas weiter in die Gasse hinein.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“
„Psssst!“ Kamen die Kobolde wieder zurück? Nein, das waren keine Kobolde, das war eine Aura, und zwar eine ziemlich mächtige. Auch Fiona schien sie bemerkt zu haben, denn aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. Bevor ich erraten konnte, zu welchem Dämon die Aura gehörte, tauchte er auf dem Hinterhof auf.
„Ein Simeikolon“, flüsterte Fly neben mir.
„Ein Dämon, dass trifft sich doch gut, jetzt kannst du deinem Vater beweisen, dass du ein guter Jäger bist. Und ich will Shadows Gesichtsausdruck sehen, wenn er erfährt, dass wir den hier plattgemacht haben.“
„Bist du verrückt geworden, ein Simeikolon ist ein Dämon auf Stufe sieben. Er ist eindeutig eine Nummer zu gross für uns, wir sollten lieber von hier verschwinden“, zischte Fly Ice zu.
„Du fürchtest dich ja vor jedem Dämon“, sagte er abfällig. „Das hier ist unsere Chance und ich werde sie mir auf keinen Fall entgehen lassen.“
„Ice, du verstehst nicht …“ Er hörte mir gar nicht erst zu, sondern aktivierte seinen Speer und rannte aus der Gasse. Ich hoffte dass wenigstens Fly vernünftig sein würde, doch Ices Spruch eben schien sie wütend gemacht zu haben.
„Wenn er es so haben will“, sagte sie und folgte ihm.


Das durfte doch nicht wahr sein, die beiden hatten den Verstand verloren! Von Ice hatte ich eigentlich nichts anderes erwarten können, doch das nun auch noch Fly gegen den Simeikolon antreten wollte, überraschte mich. Sie schien genau zu wissen wie gefährlich er war, seine Aura nahm auch sie wahr und trotzdem griff sie ihn an. Bevor ich mich blindlings in den Kampf stürzen würde, versuchte ich mich daran zu erinnern, was mir mein Vater über diesen Dämon erzählt hatte. Der Simeikolon war etwa so gross wie ein Auto, wenn nicht etwas grösser, und sah grob gesagt wie eine Gottesanbeterin aus. Nur besass er noch zwei paar Flügel und einen langen Schwanz, an dessen Ende ein dünner Stachel sass. Dieser Stachel war hochgiftig und wenn man von ihm getroffen wurde, war man so gut wie tot. Es gab zwar ein Gegenmittel, das verlangsamte aber nur die Ausbreitung des Giftes. Um das Gift loszuwerden, musste man das gesamte Blut filtern, ich glaube diesen Vorgang nennt man Dialyse. Nur meistens dauert das zu lange und das Gift tötet einen. Das waren ja nicht gerade die besten Voraussetzungen, aber ich konnte sie ja auch nicht im Stich lassen. Für Scar war das zu gefährlich, ich wies sie an, zurück nach Hause zu fliegen. Als ich in den Kampf eingriff, hatten Ice und Fly bereits einen Flügel zerstört. Wenigstens war der Simeikolon nicht allzu schnell. Ohne Verwandlung hätten wir zwar ziemlich Mühe gehabt, aber so ging es. Aber nicht umsonst war er ein Dämon auf Stufe sieben. Man musste höllisch aufpassen, dass man nicht von den Scheren zerquetscht wurde. Da wir zu dritt waren, konnte sich der Simeikolon nicht entscheiden, wen er nun attackieren sollte. Diese Unschlüssigkeit nutzten wir aus und versuchten ihn zwischen den Panzerplatten zu treffen. Ich kam erst gar nicht nahe genug heran, um es zu versuchen. Doch auch Fly und Ice richteten nicht gerade viel Schaden an, ihre Angriffe fühlten sich für den Simeikolon nur wie kleine Nadelstiche an.
„Was sollen wir denn noch machen, das scheint ihm alles nichts auszumachen!“, rief ich den anderen zu.
„Er hat eine besonders grosse Schwachstelle, und zwar zwischen zwei Panzerplatten an seinem Kopf!“, teilte uns Fly mit. Daran zu kommen, war so gut wie unmöglich, und erst recht in unserer Situation. Dann entschied er sich auch noch für einen von uns. Und wie könnte es anders sein, er hatte es nun auf mich abgesehen! Die riesigen Insektenscheren konnte ich mit dem Schwert abwehren, aber durch die Panzerung kam es nicht, es blieben nur ein paar oberflächliche Kratzer zurück. Als ich einem weiteren Schlag ausweichen wollte, blieb ich mit meiner Jacke hängen. Um nicht von der anderen Schere erschlagen zu werden, zog ich die Jacke aus und brachte mich mit einer Hechtrolle in Sicherheit. Nur leider musste ich dabei auch mein Schwert zurücklassen. Der nächsten Schere konnte ich nicht ausweichen. Wenigstens schaffte ich es, den Schlag mit meinem Dolch abzufangen. Trotzdem beförderte mich der Schlag auf ein paar Mülltonnen.
„Verdammt, ich gehöre noch lange nicht auf den Müll!“ Ich rappelte mich auf und musste schon gleich dem nächsten Schlag ausweichen. Scheppernd wurden die Mülltonnen aus dem Weg geschlagen. Nachdem ich noch ein paar weitere Male den Scheren entkommen war, suchte er sich ein neues Opfer.


Nun jagte er Fiona hinterher und ich konnte mir eine kurze Verschnaufpause gönnen. Während der Simeikolon hinter Fly her war, versuchte ich mit Ice zusammen ihn zur Strecke zu bringen. Die Scheren verfolgten zwar Fiona, aber der Schwanz mit dem Giftstachel versuchte immer wieder Ice oder mich aufzuspiessen. Wie konnte dieses Viech gleichzeitig Fly nachjagen und uns in Schach halten? Und dann passierte etwas, was nicht hätte passieren dürfen, Fly stolperte. Das nutzte er schamlos aus. Ich hatte vollkommen vergessen, dass er den Stachel auch schiessen konnte. Fly würde es ganz sicher nicht mehr schaffen auszuweichen, und bevor mein Hirn begriffen hatte, was ich tat, hatte ich mich schon vor sie geworfen. Im Nachhinein gesehen war das nicht meine klügste Entscheidung gewesen. Ich hatte meine Jacke zurücklassen müssen und so war mir nichts geblieben, das mich hätte vor dem Stachel schützen können. Erstaunt blickte ich auf die Spitze des Stachels, die aus meiner rechten Schulter ragte. Sofort fing das Gift an zu wirken; ich spürte, wie es sich von der Wunde aus in meinem Körper ausbreitete. Eines kann ich euch sagen, es brannte höllisch und so konnte ich auch ganz genau fühlen, wo sich das Gift befand. Im Moment befand es sich noch bei meiner rechten Schulter. Ich kippte auf die Seite und versuchte mich nicht zu bewegen. Denn eines wusste ich, je mehr ich mich bewegte, desto schneller würde sich das Gift in meinem Körper ausbreiten.
„Sky! Skyyyy! Du verdammter Dämon!“ Ice schien ziemlich wütend zu werden und das beeinflusste auch seine Aura. Sie wurde mächtiger und kälter. „Fly, hilf ihm, ich werde mich um den Dämon kümmern. Stirb mir jetzt ja nicht, hörst du, Sky!“


Fiona schleifte mich so weit wie möglich weg und lehnte mich gegen eine Wand. Durch die Bewegung wurde der Schmerz noch verstärkt. Ich biss die Zähne zusammen und gab keinen Laut von mir. Das Gift wanderte unterdessen meinen rechten Arm hinab. Hektisch wühlte sie in der Medizintasche und zog die Spritzen mit den Gegengiften heraus. Sie wählte eine aus und rammte sie mir gleich neben dem Stachel in die Schulter.
„Grrrrrr, bist du sicher, dass das die richtige war.“ Sie nickte.
„Jetzt muss ich den Stachel rausziehen, sonst gelangt noch mehr Gift in deinen Körper. Leihst du mir mal deinen Dolch?“, sie deutete auf den Dolch, den ich immer noch fest umklammerte.
„Willst du mich etwa aufschneiden?“
„Nein, ich muss zuerst das T-Shirt aufschneiden.“ Sie nahm mir den Dolch ab und trennte das T-Shirt auf. Dann fuhr sie den Dolch ein und steckte ihn mir zwischen die Zähne.
„Beiss da drauf, das wird jetzt ziemlich wehtun.“ Fly wickelte das T-Shirt um den Stachel und dann zog sie. Wenn ich nicht kurz das Bewusstsein verloren hätte, dann hätte ich vermutlich wie am Spiess geschrien. Die nächsten Minuten nahm ich nur verschwommen wahr. Ich spürte, wie die Wunde anfing zu bluten und wie Fiona die Blutung zum Stillstand brachte. Vom Kampf bekam ich immerhin so viel mit, dass ich mir sicher war, dass Ice noch lebte. Bei etwas war ich allerdings nicht ganz sicher: Ob mir mein Hirn durch das Gift oder die Schmerzen einen Streich spielte. Ice schien irgendwoher lange, bläulich schimmernde Krallen bekommen zu haben. War das eine neue Erfindung von ihm oder verlor ich wirklich langsam den Verstand. Das Stoppen der Blutung hatte Fly so viel Kraft gekostet, dass sie neben mir zusammensackte.


Um unser Team stand es nicht gerade gut, zwei Mittglieder waren kampfunfähig und das dritte kämpfte gegen einen zu mächtigen Gegner. Trotz der Spritze breitete sich das Gift weiter aus, mittlerweile hatte es fast meine ganze rechte Seite eingenommen. Es blieb wohl jetzt an mir hängen, Hilfe zu rufen. Fly war bewusstlos und Ice war beschäftigt. Langsam, aber sicher musste ich handeln – das Gift brannte nicht nur höllisch, es lähmte auch. Meine rechte Seite konnte ich nicht mehr bewegen und meine Lunge wurde auch in Mitleidenschaft gezogen. Mit meiner linken Hand kam ich noch an das Funkgerät und wählte den Kanal der Zentrale. Dort meldete sich irgendein Mann, den ich nicht kannte.
„Hier … spricht Sky Halfmoon … wir …“
„Sprich deutlicher, Junge, ich verstehe dich kaum!“
„Würde ich … ja gerne, aber mit Simeikolons Gift … im Blut ist das … nicht so einfach.“ Der Mann schaltete sofort.
„Was war eure Mission?“
„Gewöhnliche … Patrouille, an der Grenze … des Viertels“, keuchte ich.
„Verstanden, ich habe euch jetzt auf dem Schirm. In Kürze wird Verstärkung eintreffen.“ So ein Funkgerät mit Peilsender war schon eine feine Sache.
„Ich … wäre Ihnen … sehr verbunden, w…enn sie sich beeilen … würden.“ Der Mann antwortete irgendetwas, was ich allerdings nicht verstehen konnte, da es vom Brüllen des Simeikolon übertönt wurde.


Ice war gerade dabei, seinen Speer zwischen die Panzerplatten des Dämons zu treiben. Der versuchte ihn abzuwerfen, was ihm aber nicht gelang. Mit einer ungeheuren Kraft stach er den Speer durch die Panzerung. Samt Ice auf seinem Rücken krachte der Simeikolon zu Boden. Ice hatte es tatsächlich geschafft, er hatte ihn besiegt. Anstatt über seinen Sieg zu jubeln, liess er den Speer stecken und wankte zu uns herüber. Neben mir sank er auf die Knie. Ich röchelte ganz schön und bekam kaum noch Luft. Wenn es so weiterging, würde ich ersticken, noch bevor das Gift mein Herz erreicht hatte.
„Ich muss Hilfe holen, jemand muss dir helfen.“ Er wollte mit seinem Funkgerät die Zentrale erreichen.

„Hab … i…ch … sch…on gemacht.“
„Wo bleiben die denn, sie sollen sich beeilen!“ Langsam, aber sicher schien er durchzudrehen. Er stand auf und rüttelte Fiona und schrie sie dabei an. „Du musst ihm helfen, wach auf! Du musst ihm helfen!“ Am liebsten hätte ich ihn jetzt angeschrien, dass das nichts nütze, nur musste ich meine Luft für wichtigere Dinge aufsparen. Erschrocken kam Fly langsam zu sich. Sie schien eine Weile zu brauchen, bis sie begriff, wo sie sich befand. „Fly, mach irgendetwas, er erstickt!“
„Ich kann nichts mehr für ihn tun, gegen dieses Gift bin ich machtlos. Ich kann es nicht aus seinem Körper holen.“
„Dann halt es wenigstens auf!“, brüllte Ice sie an. Das schien sie auf eine Idee gebracht zu haben. Wieder legte sie mir die Hände auf die Brust, wie sie es getan hatte, um die Blutung zu stillen. Plötzlich hörte das Brennen in meiner Lunge auf, sich weiter auszubreiten. Ganz im Gegenteil, es zog sich zurück. Endlich konnte ich wieder tief durchatmen. Es zog sich immer weiter zurück, bis es nur noch bei meiner rechten Schulter war.
„Was hast du gemacht?“
„Dir etwas Zeit verschafft“, sagte sie, bevor sie wieder das Bewusstsein verlor.
„Was hat sie getan?“
„Das Gift zurückgedrängt, aber ich kann spüren, wie es sich bereits wieder ausbreitet. In ein paar Minuten werde ich wieder im gleichen Zustand sein wie vorhin und noch ein Mal wird sie es nicht schaffen, das Gift aufzuhalten.“ Die Behandlung hatte mir genau zehn Minuten Erleichterung verschafft, waren diese vorbei, rang ich schon wieder um Luft.


Von der Verstärkung, von der der Mann gesprochen hatte, war noch nichts zu sehen oder zu hören. „Sieht nicht … gut aus … Ice.“
„Hör auf so zu reden, ich habe diesen verdammten Dämon besiegt und du wirst das hier überleben, verstanden!“ Wenn ich noch gekonnt hätte, hätte ich jetzt salutiert, aber so konnte ich nur ein unverständliches
„Ay, Ay, Captain“ röcheln. Ich kannte Ice wirklich schon mein ganzes Leben lang und hatte ihn bis jetzt noch nie weinen sehen. „Heulst … du et…wa?“ Er gab mir keine Antwort, sondern starrte mich nur wütend an. Mir war im Moment eigentlich auch zum Heulen zu Mute. Ich hatte nicht vorgesehen, so früh zu sterben, wollte ich doch meinem Vater noch beweisen, dass ich etwas taugte. Wenn ich jetzt so über mein Leben nachdachte, hatte ich eigentlich immer versucht, meinem Vater zu gefallen. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdachte, stellte ich mir die Frage: Hat sich das gelohnt?
„Ein Helikopter, hörst du das, Sky, sie kommen!“ Mir entglitt langsam, aber sicher mein Bewusstsein, die Luft reichte einfach nicht mehr aus.
„Sky, Skyyy …“ Ices Gebrüll rückte immer in weitere Ferne und auch dass er mich schüttelte und ohrfeigte, nahm ich nicht mehr wahr.


Ich habe mal irgendwo gehört, wenn man nur knapp dem Tod entgeht, sehe man sein bisheriges Leben noch einmal an einem vorbeiziehen, ein weisses Licht oder sogar Engel. Nichts von alledem habe ich gesehen und ich muss schon sagen, ich war wirklich ziemlich nahe dran, zu sterben. Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern, in der Zeit, als ich halb tot war, war einfach alles schwarz. Mein Körper hielt so lange durch, bis die Dialysemaschine ihre Arbeit tat. Alleine hätte ich nicht durchgehalten. Ice erzählte mir, dass sie mich zweimal mit dem Defibrillator wieder zurückholen mussten. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf der Krankenstation und hing an der Dialysemaschine. Obwohl das Gift schon etwas nachgelassen hatte, konnte ich meinen rechten Arm nicht bewegen. Und wie erst die Wunde wehtat, die der Stachel hinterlassen hatte! Insgesamt fühlte ich mich auch jetzt noch mehr tot als lebendig.
„Sky, du bist endlich wieder wach.“
„Mum, ich dachte du musst heute ein paar Menschen überzeugen.“
„Du warst zwei Tage weggetreten, Cousin.“ Jetzt war Ice wieder der alte, mal abgesehen davon, dass unter seiner Mütze ein blauer Verband hervorleuchtete.
„Ich war zwei Tage lang bewusstlos?“
„Das Gift hat dir sehr zugesetzt. Bis jetzt habe ich noch niemanden gesehen, der so lange mit dem Gift überlebt hat. Egal, wie du das geschafft hast, ich bin mehr als froh, dass du noch lebst“, sagte meine Mum und erdrückte mich fast.
„Mum, wenn du willst, dass ich noch etwas länger lebe, solltest du aufhören, mich zu drücken.“ Sie liess mich los und strich die Bettdecke glatt.
„Tut mir leid, Schatz.“
„Ohne Fly wäre ich jetzt bestimmt nicht hier, sie hat das Gift aufgehalten. Wie geht es ihr?“
„Sie war nach drei Stunden wieder so weit auf den Beinen, dass sie nach Hause gehen konnte.“ Sehr gut, dann hatten wir diesen Wahnsinn überlebt und den Dämon zur Strecke gebracht. Woher war der Simeikolon so plötzlich aufgetaucht? Das mit den Kobolden konnte doch kein Zufall sein!
„Ice, hast du schon alles erzählt, was vorgefallen ist?“
„Ja, angefangen bei den Kobolden und endend mit deinem Beinahe-Tod.“
„Was hältst du von der ganzen Sache, Mum?“ Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schüttelte den Kopf.
„Ehrlich gesagt, ich weiss nicht, was ich davon halten soll. So wie mir das Ice geschildert hat, werde ich nicht schlau aus der Sache. Die Kobolde haben vorher nie solche Versammlungen abgehalten und auch die Dämonen benehmen sich äusserst seltsam. Langsam, aber sicher können wir uns das nicht länger ansehen.“ Ich wusste, was das bedeutete, jeder kampffähige Jäger würde in Alarmbereitschaft versetzt werden, um die Grenzen des Viertels sichern. Jeder Dämon oder sonstige Wesen würde diese Begegnung nicht überleben. Das war schon von jeher die Verteidigungsstrategie, sobald die Dämonen zu nahe an unser Gebiet herankamen, zeigten wir ihnen, wo sie hingehörten. So hatten wir bis jetzt immer wieder für Ruhe und Frieden sorgen können.


„Dann werden auch alle Schüler die Grenzen sichern?“
„Nein, alle Erstklässler werden weiterhin den Unterricht fortsetzen. Ihr habt noch nicht genug Erfahrung und nach eurer Mission will dein Vater keine Risiken mehr eingehen.“ Wie aufs Stichwort kam mein Vater in die Krankenstation. Sein Blick verhiess nichts Gutes und seine Aura bestätigte mir meinen Eindruck.
„Wie ich sehe, geht es dir wieder besser, du hattest grosses Glück. Aber du kannst dich nicht immer auf dein Glück verlassen. Durch deine Leichtsinnigkeit hast du das ganze Team in Gefahr gebracht.“ Ice wollte etwas sagen, doch ich brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Etwas enttäuscht war ich dann schon. Ich bin froh, dass es dir gut geht; ich habe mir Sorgen um dich gemacht.
„Ja, Dad, ich freue mich auch, dich zu sehen.“ Sein Ausdruck wurde für ein paar Sekunden etwas weicher, doch dann glich er wieder einem aufziehenden Sturm.
„Ein Team muss sich immer auf seinen Anführer verlassen können. Es muss immer sicher sein, dass er die richtige Entscheidung trifft. Du scheinst nicht fähig zu sein, ein Team zu führen. Ich bin enttäuscht von dir. Sobald es dir besser geht, wirst du mit mir höchstpersönlich Extra-Trainingsstunden haben. Eigentlich wollte ich das nicht, aber es scheint, als bräuchtest du diese Zusatzstunden, und deshalb ist Basketball fürs Erste gestrichen.“ Mit all dem hatte ich gerechnet, aber dass er mir Basketball strich, dass ging zu weit.
„Ich gebe zu, ich habe dich enttäuscht. Tut mir leid, dass ich nicht so bin, wie du es dir gewünscht hast. Grossvater und du, ihr habt beide in der ersten Klasse einen höherstufigen Dämon getötet, und das ganz alleine. Nur bin ich nicht so stark.“
„Du bist ein Halfmoon, das kannst du nicht leugnen, es steht dir auf die Stirn geschrieben. Wenn du jetzt nicht stark genug bist, werde ich dich eben stark machen. Das Basketball ist gestrichen, und dabei bleibe ich.“
„Nein, das kannst du mir nicht verbieten!“
„Und ob ich das kann, ich bin dein Vater.“
„Nur weil ich ein Halfmoon bin, heisst das noch lange nicht, dass ich der geborene Jäger bin. Gefragt hat mich auch niemand, ob ich überhaupt Dämonen jagen will!“


Irgendwie kam ich jetzt so richtig in Fahrt und vergass dabei, dass ich nicht aufstehen sollte. Ich sprang aus dem Bett und riss dabei die Schläuche der Maschine ab. Auch gingen meine beiden Wunden an meiner Schulter wieder auf. Meine Mutter fing mich auf, bevor ich auf den Boden knallte. „Samuel, raus hier!“, fuhr meine Mum Dad an. „Über das Basketballtraining unterhalten wir uns noch. Und jetzt geh, Sam, Sky braucht Ruhe!“
„Victoria, ich …“
„Ich weiss, Sam, aber jetzt geh!“ Ich kapierte nicht, was meine Eltern da redeten, im Moment fiel mir das Denken allgemein schwer. Mit Hilfe der Stationsärztin schlossen sie mich wieder an und versorgten die Wunden. „Sam will nur das Beste für dich, Sky. Ruh dich jetzt aus!“ Bevor sie ging, drückte sie mir noch einen Kuss auf die Stirn.
„Wieso hast du deinem Dad nicht gesagt, dass das alles meine Schuld war?“
„Weil mein Vater recht hat, ich habe als Anführer versagt.“ Ice liess sich auf den Stuhl fallen, auf dem meine Mum eben noch gesessen hatte.
„Seit wann bist du der Anführer.“
„Ganz einfach, du bist wohl der geborene Techniker und Fly die Medizinerin. Da bleibt mir wohl nur noch der Posten des Anführers, oder denkst du, ich wäre besser geeignet als Techniker oder Mediziner?“ Ice grinste.
„Ich glaube nicht, dass du mich oder Fly in unseren Gebieten nur ansatzweise schlagen könnte.“ Er wurde wieder ernst. „Aber es war nicht deine Schuld. Von nun an werde ich lieber auf dich hören.“
„Das Wichtigste ist, dass wir das ganze überlebt haben! Und jetzt geh, du hast sicher Besseres zu tun, als hier bei mir rumzusitzen.“
„Da hast du recht, ruh dich aus, Sky.“


Neue Kräfte



Während ich eine Woche lang auf der Krankenstation verbringen musste, fingen die anderen Mitglieder der Urfamilien an, ihre Kräfte zu entdecken. Ice war der Erste, ich hatte mich nicht geirrt, was die bläulich schimmernden Krallen anging. Es handelte sich dabei um eisähnliche Krallen. Als er mir auf der Krankenstation vorführte, wie diese Krallen auch schiessen konnten, musste ein Fenster dran glauben. Seit diesem Vorfall hatte er Besuchsverbot. Als nächstes entdeckte Star Skynight ihre Kräfte. Ihre Fähigkeit war nicht direkt für den Kampf, sie konnte durch eine Illusion die Gestalt jeder beliebigen Person annehmen, sobald sie diese einmal gesehen hatte, sei es auch nur auf einem Foto. Mich konnte sie mit diesem Trick jedoch nicht täuschen, sie konnte vielleicht ihr Aussehen ändern, die Aura blieb jedoch stets dieselbe. Ich fand diese Fähigkeit jedoch immer noch viel besser als die von Aurora, sie konnte sich in einen Panther verwandeln. Naja, die anderen Schüler beneideten uns trotzdem schon immer um diese Kräfte. Auch wenn es sich dabei um einen Fluch vom Teufel persönlich handelte. Die bisher mächtigsten Kräfte bekam Shadow. So ungern ich es auch zugab: So wie Ice es mir schilderte, waren seine Fähigkeiten äusserst beeindruckend. Er konnte, so wie es Kristian mit Feuer konnte, seinen Körper unter Strom setzen. Das alleine war aber nur im Nahkampf gefährlich, nur war er in der Lage, so wie Zeus Blitze zu werfen. Kristian hatte es auch nach unzähligen Versuchen nicht geschafft, das Feuer von seinem Körper zu lösen. Warum musste er so eine Fähigkeit besitzen, sein Vater konnte ja auch nur aus dem Nichts ein Schwert rufen. Gut, so hatte er zwar immer eine Waffe, aber wirklich gut war das nicht.

Mein Dad hatte da die besseren Kräfte, er war nicht nur super stark, sondern auch ziemlich robust. So schnell haute ihn nichts um. Ices Vater konnte durch eine Berührung mit seiner Handfläche eine sehr ätzende Säure abgeben. Ich hatte meine Kräfte bis jetzt noch nicht entdeckt. Wie auch? – schliesslich lag ich hier einfach nur rum. Nach dieser Woche war das Gift vollständig aus meinem Körper und ich konnte nach Hause. Auch nahm ich wieder am Unterricht teil, zwar nur in den Fächern, in denen man sich nicht gross bewegte, aber immerhin war ich wieder da. Denn obwohl das Gift aus meinem Körper war, heilten die Wunden des Stachels nur sehr langsam und konnten leicht wieder aufreissen. Zwei Wochen nach dem Kampf fand die Krankenschwester auf der Station, dass ich wieder im Sport und Schwertkampf teilnehmen könnte. Fly war da anderer Meinung. Sie fand, dass ich noch eine Woche warten sollte, bevor ich wieder so richtig mitmachte. Deshalb fand auch mein Vater, dass er mir noch eine Woche gebe, bevor er mit dem Extra-Training anfinge. Was das Basketballtraining anging, hatte sich meine Mutter nicht durchsetzen können, und Dad hatte mich aus der Mannschaft genommen. Noah erzählte mir, dass der Coach darüber nicht sehr erfreut war. Der Coach war aber nicht der Einzige, der sich darüber ärgerte. Das Stirnband, das ich auf meinem Schreibtisch hatte liegen lassen, trug ich nun. Vielleicht hatte meine Mum recht und ich konnte dadurch etwas Abstand gewinnen.

Die Schule war recht leer, da alle anderen Schüler an den Grenzen Wache hielten. Normalerweise sassen immer ältere Schüler auf dem Brunnenrand, doch da sie nicht da waren, hatten wir drei den Platz nun für uns beansprucht. In einer Pause kamen Shadow und sein Team direkt auf uns zu marschiert. Shane und Susan flankierten ihn wie immer. Bis jetzt hatte ich es geschafft, ihm aus dem Weg zu gehen, doch jetzt würde ich nicht einfach davonlaufen.
„Halfmoon, wie ich sehe, bist du doch nicht abgekratzt. Warst schon lange nicht mehr beim Training? Ach, ich vergass, dein Vater hat dich ja aus dem Team geschmissen.“ Sie lachten und Shadow baute sich vor mir auf.
„Wieso verzieht ihr euch nicht einfach wieder und lasst uns in Ruhe?“
„Wo bleibt da der Spass?“, konterte er meine Frage. „Was trägst du da eigentlich für ein lächerliches Stirnband, Sky? Eiferst du etwa deinem Cousin nach, was dämliche Kopfbedeckungen angeht.“ Ice fuhr hoch und stellte sich dicht vor Shadow.
„Verschwinde einfach, klar? – bevor ich mich vergesse!“
„Willst du mir etwa drohen, Snowflake?“ Wieder einmal wollte Ice auf Shadow losgehen und wieder hielt ich ihn zurück. Doch dieses Mal, nicht um einen Kampf zu verhindern, sondern um selbst gegen ihn zu kämpfen. Meine ganze Wut brach aus mir heraus, und bevor jemand reagieren konnte, hatte ich Shadow mit einem kräftigen Schlag in den Magen in den Brunnen befördert. Seine beiden Handlanger waren so überrascht, dass sie sich nicht einmal bewegten. Shadow spuckte einen Schwall Wasser aus und stieg triefend vor Wasser aus dem Brunnen. Shane wollte sich schon auf mich stürzen, als Shadow ihn mit einer Handbewegung zum Stehen brachte. „Warte, Shane, Halfmoon gehört allein mir.“ Mit den Fäusten gingen wir aufeinander los. Die anderen wichen zurück, um nicht getroffen zu werden. Shadow schien zu meinem Glück nicht gerade ein Meister im Faustkampf zu sein. Ich nutzte den Schwung von einen seiner Schläge und schleuderte ihn über meine Schulter. Er hatte aber immer noch nicht genug. Als er sich aufrappelte, fing es an zu knistern. Ich konnte die elektrische Spannung fühlen, die sich um ihn aufbaute. „Dann wollen wir doch sehen, was mit dir passiert, wenn du einen kleinen Stromschlag abbekommst, Halfmoon.“

Von nun an musste ich all seinen Schlägen ausweichen, um nicht einen Elektroschock zu erleiden. Als ich doch einen Hieb abblockte, durchfuhr mich ein elektrischer Stoss. Für eine Weile fühlte sich mein rechter Arm taub an. Um nicht noch mehr Volt abzubekommen, machte ich einen Satz rückwärts. „Läufst du jetzt davon! Gib auf, du hast keine Chance gegen mich!“ Auf keinen Fall würde ich jetzt aufgeben, eher würde ich mich von ihm rösten lassen. Klingt ziemlich dämlich, aber ich liess mich in dem Moment allein von meiner Wut leiten. Ich konnte ihn vielleicht nicht mit meinen Händen anfassen, aber mit meinen Füssen ging das sehr wohl. Meine Turnschuhe besassen Gummisohlen, und so viel wusste ich, Gummi leitete nicht. Um mehr Kraft zu bekommen, verwandelte ich mich.
„Vergiss es, Flashlight, nur weil du ein bisschen Strom hast, bist du mir noch lange nicht überlegen!“ Geradewegs rannte ich auf ihn zu und versetzte ihm einen Tritt. Wieder landete Shadow im Brunnen. Siegessicher wandte ich mich von ihm ab und ging auf Ice und Fly zu. „Lasst uns gehen, Shadow nimmt noch ein Bad.“ Fionas Augen weiteten sich vor Schreck.
„Sky, pass auf, hinter dir!“, rief mir Ice zu. Ich wirbelte herum und schaffte es im letzten Moment, beiseite zu springen. Wo ich eben noch gestanden hatte, schlug ein Blitz ein und liess einen schwarzen Brandfleck zurück. Schadow stand auf der Spitze des Brunnens und hielt einen weiteren Blitz in der Hand. Jawohl, ihr habt richtig gelesen!
„Jetzt werde ich dir zeigen, was ich wirklich kann!“ Er schleuderte den Blitz und ich wich wieder aus. Weitere Blitze folgten und ich sprang durch die Gegend. „Ich erwische dich, Halfmoon!“ Es würde sehr unangenehm werden, wenn mich so ein Ding erwischen würde.

Als ich einem weiteren Geschoss auswich, musste ich ein Rad schlagen. Dabei spürte ich ein unangenehmes Ziehen in meiner Schulter. Nicht das auch noch! Ausgerechnet jetzt ging meine Wunde wieder auf. Bald rann mir das Blut den Arm hinab; nach einer Weile hatte es meine Hand erreicht und tropfte auf den Boden. Shadow stellte seinen Beschuss nicht ein, er warf immer noch weiter.
„Hör auf, siehst du nicht, dass er immer noch verletzt ist!“, rief Fly. Die Verletzung machte mich langsamer, und das wurde mir zum Verhängnis. Ich war nicht schnell genug und schaffte es nicht mehr, einem der Blitze auszuweichen. Um mich zu schützen, riss ich die Arme nach oben und wartete auf den Einschlag. Doch nichts passierte, der Blitz wurde durch eine unsichtbare Kraft beiseite geschlagen. Die Kraft, die dabei freigesetzt wurde, riss mich von den Füssen und schleuderte mich zurück. Aber nicht nur ich wurde weggeschleudert, auch Shadow wurde von der Spitze des Brunnens gestossen. Katzen landen bekanntlich immer auf den Füssen. Irgendwie gelang das auch mir, ich landete auf allen vieren. Shadow platschte zum drittenmal in den Brunnen.
„Wie hast du das gemacht, der Blitz hätte dich treffen müssen!“, brüllte mich Shadow an. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, ich hatte eine Energie durch meinen Körper jagen gespürt, aber wie ich das gemacht hatte, wusste ich nicht. „Wenn du nicht antworten willst, werde ich mir eben selbst eine Antwort holen!“ Wieder flogen die Blitze. Mein Glück wollte ich aber nicht noch weiter herausfordern und so wich ich wieder aus. Da tauchte plötzlich Mr. Lakefield auf und wehrte den nächsten Blitz mit seinem Schwert ab.
„Was treibt ihr hier?“, fragte er. Die elektrische Spannung verpuffte und Shadow liess den Blitz, den er in der Hand gehalten hatte, verschwinden.
„Nichts, Sir“, antwortete er.
„Nach nichts sieht es mir aber nicht aus, du bist von Kopf bis Fuss platschnass und ausserdem sieht der Platz hier aus, als hätten Blitze eingeschlagen. Ausserdem sehe ich hier Blutstropfen.“ Er wandte sich an mich. „Sky, du solltest dich besser auf der Krankenstation verarzten lassen. Ice, Fiona, begleitet ihn doch bitte.“ Sie nickten, packten mich an den Armen und zogen mich mit sich.
„Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, jetzt ist die Wunde schon wieder aufgegangen!“
„Reg dich ab, Fly, er hat Shadow ganz schön nass gemacht.“ Ihr Blick verfinsterte sich. Wenn es um die Gesundheit ging, verstand sie überhaupt keinen Spass.
„Und war es das wert?“ Ich war eigentlich der Meinung, dass es das wert gewesen war, doch ich hielt lieber die Klappe. Ice war nicht so klug.
„Klar war es das wert, Shadow hat ziemlich dämlich geschaut, als er im Brunnen gelandet ist.“ Fly verpasste ihm einen ziemlich üblen Tritt vors Schienbein. „Für was war das denn?“, fragte er auf einem Bein hüpfend.
„Das weisst du ganz genau, Ice, und jetzt kommt, das muss wieder verbunden werden.“ Sie stapfte davon und Ice und ich folgten ihr.

Auf der Krankenstation, legte mir Fiona persönlich einen Verband an, war ich doch den letzten erst vor zwei Tagen losgeworden.
„Kannst du das denn nicht einfach schnell heilen?“
„Könnte ich, werde ich aber nicht. Du bist selbst schuld.“
„Na gut, vielleicht hätte ich noch ein paar Tage warten sollen, bis ich mich prügle.“ Sie schüttelte den Kopf und verliess ohne ein weiteres Wort die Krankenstation. „Was hat sie denn?“ Ice reichte mir meine Jacke, das T-Shirt konnte ich in den Mülleimer werfen.
„Weisst du, sie macht sich grosse Vorwürfe, was deine Verletzung angeht. Sie gibt sich die Schuld daran, schon als du von Scar verletzt wurdest.“
„Das war doch gar nicht ihre Schuld, ich habe einfach nicht genug aufgepasst.“
„Wenn jemand schuld ist, dann ich. Schliesslich war ich es, der es jedesmal vermasselt hat“, sagte Ice.
„Nein, du hast es nicht vermasselt, ohne dich wären wir jetzt alle tot. Du hast den Simeikolon erledigt.“ Ich zog mir die Jacke über und auch wir verliessen die Krankenstation.
„Ohne mich hätten wir erst gar nicht angegriffen.“
„Weisst du, was, wir sollten aufhören, einen Schuldigen zu finden, einverstanden?“ Er nickte.
„Sag mal, wie hast du eigentlich Shadows Blitz abgewehrt?“ Ich zuckte mit den Schultern, ein stechender Schmerz erinnerte mich daran, dass ich das lieber lassen sollte.
„Keine Ahnung, da war so eine Energie und dann wurde ich auch schon zurückgeschleudert.“
„Du weisst also auch nicht, wie du das gemacht hast?“
„Ja, ich habe keinen blassen Schimmer. Lass uns jetzt in den Unterricht gehen, der hat schon lange begonnen.“

Nach dem Kampf mit Shadow brauchte meine Schulter noch ein paar Tage mehr, bis sie wieder vollkommen geheilt war. Erst am dreissigsten November fand Fly, dass sie wieder voll ausgeheilt war. Nun gab es nichts mehr, was mich vor den Extrastunden mit meinem Vater retten konnte, und so durfte ich, wenn ich von der Schule nach Hause kam oder am Mittwochnachmittag, noch weiter trainieren. Er brachte mir nichts über Dämonologie, Gifte oder sonstige Sachen bei, er konzentrierte sich allein aufs Körperliche. Im Keller hatten wir einen Trainingsraum mit vielen verschiedenen Trainingsgeräten. In der ersten Stunde mit meinem Vater liess er mich zwei Stunden auf dem Laufband laufen – und nicht etwa gemütliches Joggen, sondern gehetztes Rennen. Ohne Verwandlung hätte ich es vermutlich nicht überlebt. In der zweiten Stunde war Gewichtheben an der Reihe. Nach einer Woche mit diesem Training fühlte ich mich, als hätte mich ein Zug überfahren. Shadow hielt sich nach dem Kampf von mir fern, doch ich wusste genau, dass er auf einen zweiten Kampf brannte. Ich würde ihn aber sicher nicht herausfordern, denn im Moment konnte ich nicht gegen ihn gewinnen. Deshalb fing ich an, das Positive an dem Training zu sehen. Dadurch würde ich die Chance bekommen, Shadow zu schlagen. An manchen Tagen trainierte Ice mit uns, doch immer wollte er nicht mitmachen. Bei einer Trainingsstunde bekam ich immer besonders viele blaue Flecken ab. Das war bei der Stunde, in der es im Kampf um Mann gegen Mann ging. Mein Dad trainierte mit mir schon lange den Kampf ohne Waffe, nur mit blossen Händen. In unserm Fall waren es dann die Krallen, aber die benutzen wir beim Training nicht. Die Katzendämonen hatten ihre ganz eigene Kampfsportart entwickelt; mein Vater sagte, dass sie Ähnlichkeiten mit japanischen Kampfsportarten hatte. Wir hatten einige Würfe und Techniken von Kampfsportarten wie Judo und Karate übernommen und doch war es etwas ganz anderes. Es gab mehr oder weniger keine Regeln, keine Verbote. Dad war mir schon immer weit überlegen gewesen. Ich war einfach nicht geschaffen für diese Art von Kampf, im Schwertkampf hatte ich weitaus mehr Talent. Ein paar Würfe merkte ich mir dann doch, sie würden mir sicher mal gute Dienste leisten. So kämpften wir draussen im Garten gegeneinander. Es war zwar bitterkalt, aber immerhin federte der Schnee die Würfe etwas ab. Ich hatte schon seit einer Stunde keine Lust mehr, weiter zu trainieren, doch mein Dad bestand darauf. Zu allem Übel hatte er mich wieder einmal ziemlich in der Mangel. Vergeblich versuchte ich mich wieder von ihm zu befreien.
„Dad, lass mich los!“
„Versuch dich selbst zu befreien, ein richtiger Gegner wird dich auch nicht einfach loslassen!“ Ich drehte und wand mich, doch losreissen konnte ich mich nicht. Dann versuchte ich ihn von mir zu stossen, doch anstatt ihn ein wenig zu schupsen, katapultierte ich ihn direkt auf die neulich erst wieder reparierte Gartenlaube zu. Die Holzwand konnte ihn nicht aufhalten und er riss ein Loch hinein. Meinem Dad hatte das sicher nichts anhaben können, doch die Laube war schon wieder baufällig.
„Verdammt noch mal, ich bin doch erst gerade mit der Reparation fertig geworden. Du hättest mich ruhig in eine andere Richtung werfen können“, beschwerte er sich, während er aus den Trümmern stieg.

„Warte mal, wie hast du das gemacht?“ Ich wusste es nicht, ich hatte kurz vorher wieder diese Kraft durch meinen Körper jagen gespürt.
„Keine Ahnung, Dad.“ Dann sagte er etwas, was mich ziemlich überraschte.
„Na dann versuch es gleich noch einmal.“
„Ich soll dich nochmals in die Gartenlaube schiessen?“ Er nickte und stellte sich vor mir auf.
„Nur keine falsche Scheu, die Laube muss ich ohnehin wieder reparieren.“ Ich stellte mich vor ihn und legte ihm meine Hände auf die Brust.
„Und jetzt, was soll ich machen?“
„Das musst du nicht mich fragen, allein du weißt, wie du das gemacht hast.“ Nun wusste ich es aber nicht. Wo hatte diese Welle angefangen? Mit geschlossenen Augen versuchte ich das herauszufinden. Nach einer Weile fand ich den Ausgangspunkt, meine Füsse. Von dort her leitete ich die Energie durch meinen Körper, bis zu meinen Händen. Dort angekommen, liess ich sie frei. Es war ein ziemlich mickriger Energiestoss, mein Dad konnte sich mit einem Schritt nach hinten wieder ins Gleichgewicht bringen. Enttäuscht liess ich die Arme sinken.
„Sehr gut, du hast dich nicht bewegt und trotzdem hab ich einen Stoss abbekommen. Jetzt musst du nur noch etwas an der Härte arbeiten, gleich noch mal.“

Nach zwanzig Versuchen war immer noch keine Verbesserung zu sehen. „Mach weiter, Sky, gleich hast du es.“
„Nein, Dad, das hat keinen Sinn.“ Egal, wie sehr ich mich konzentrierte, es blieb bei dem kleinen Stoss. Ich wollte gerade gehen, da zog er mich zurück.
„Gib nicht so schnell auf, sonst wird das nie was.“
„Nein heisst Nein!“, sagte ich und wirbelte herum. Als ich mich aus seinem Griff befreien wollte, löste ich aus Versehen wieder so eine Welle aus. Diese war jedoch wesentlich mächtiger als die vorherigen. Mein Dad flog durch die Luft und schlug neben dem ersten noch ein zweites Loch in die Wand.
„Was hab ich gesagt, das war doch was.“ Er warf ein Brett beiseite und klopfte sich den Schnee ab. „Wut scheint ein Auslöser zu sein.“ Immer erst wütend werden zu müssen, um diese Kraft einsetzten zu können, hörte sich nicht gerade berauschend an. „Von nun an muss ich aufpassen, sonst fliege ich jedes Mal durch die Luft, wenn du wütend bist.“
„Dad, ich werde dich sicher nicht angreifen.“ Wir gingen hinein, da es zu schneien anfing.
„Ich würde es dir nicht mal übelnehmen. Wenn du diese Fähigkeit wirklich beherrscht, kann sie sehr mächtig sein.“
„Im Moment ist das aber ganz und gar nicht der Fall.“
„Dann werden wir die nächsten Trainingsstunden damit verbringen, deine Kräfte zu trainieren. Für heute reicht es allerdings, ich muss sowieso noch an eine Sitzung.“
„Was für eine Sitzung?“
„Die verschiedenen Teams berichten von ihren Einsätzen, und wir sehen, wie wir weitermachen werden.“

„Wie sieht die Lage denn im Moment aus, Dad?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich will dich nicht anlügen, Sky. Es scheint, als würden sich alle Dämonen nach und nach hier versammeln. Ich habe mit unseren Aussenposten auf der ganzen Welt geredet, dort scheinen in letzter Zeit fast keine Dämonen aufgetaucht zu sein.“
„Soll das heissen, alle Dämonen versammeln sich bei uns?“ Er nickte.
„Genauso ist es, Sky. Wir haben noch keinen Anhaltspunkt, warum sie das machen.“
„Was ist mit den Kobolden, sie haben sich doch auch sehr merkwürdig verhalten.“
„Nein, Kobolde verfügen zwar über die Macht, Dämonen zu sich zu rufen, aber ihre Kraft reicht bei weitem nicht aus, so viele und dann noch so mächtige herbeizurufen. Ausgeschlossen, dass sie dahinter stecken.“ Ich gab es auf, wenn sich mein Dad etwas in den Kopf gesetzt hatte, liess er sich nicht mehr so schnell davon abbringen. Er hatte auch nicht die Kobolde reden gehört.
„Wie du meinst, Dad, ich werde dann mal duschen gehen.“ Nach der Dusche fing ich mit ein paar Hausaufgaben an.
„Was habt ihr da draussen denn angestellt, es hat sich angehört, als hättet ihr etwas abgerissen.“ Ice ging durch die Tür und liess sich auf mein Bett fallen.
„Sagen wir mal so, die Laube muss wieder repariert werden. Mein Dad ist durch die Wand gekracht.“
„Wie hat er das denn angestellt?“
„Er hatte etwas Hilfe, du bist nicht der Einzige, der besondere Kräfte besitzt.“ Interessiert hob er eine Augenbraue.
„Du hast deine Fähigkeit entdeckt? Was kannst du, ist es super Stärke, wie bei deinem Dad?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Ganz sicher bin ich mir noch nicht, worum es sich handelt. Auf jeden Fall hat es mächtig Power, da gibt es aber noch einen kleinen Haken.“
„Und der wäre?“
„Naja, ich kann sie nicht kontrollieren. Das mit Dad war ein Versehen, willentlich habe ich es noch nicht geschafft.“
„Mach dir nichts draus, Sky, wenigstens weisst du jetzt, dass du ziemlich starke Kräfte hast. War eigentlich auch nicht anders zu erwarten.“ Ich legte das Buch beiseite, in dem ich gerade gelesen hatte, und sah ihn fragend an. „Schau nicht so, immerhin sind wir verwandt, und da ich so coole Kräfte besitze, musst du ja praktisch auch welche haben.“ Typisch Ice, wenn jemand von sich eingenommen war, dann er.
„Sag mal, Ice, würdest du dich als Testperson zur Verfügung stellen?“
„Als Testperson?“
„Ja, als Testperson, ich will diese Kräfte beherrschen.“ Er schien darüber nachzudenken.
„Na gut, ich tu dir den Gefallen, aber dafür habe ich dann was gut bei dir.“
„Geht klar, ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen.“

Das Training ging weiter, mein Vater hatte zwar nicht mehr so viel Zeit, da er damit beschäftigt war, die Grenzen zu sichern. Deshalb trainierte Ice dann mit mir. Nach ein paar Tagen fand ich heraus, je schneller ich die Wellen durch meinen Körper wandern liess, desto stärker wurden die Schockwellen. Die Grenze der Kraft lag genau bei der Stärke, mit der ich Dad in die Laube geschossen hatte. Eine Woche brauchte ich, bis ich diese Schockwellen willentlich erzeugen konnte. Zwar benötigte ich dazu noch fünf Sekunden, was eindeutig zu lange war. Ich musste viel schneller werden, wenn ich einen Dämon damit treffen wollte. Ice hatte die grandiose Idee, mich mit seinen Eisnadeln zu beschiessen. Er meinte, dadurch würde ich mich mehr anstrengen. Es half tatsächlich; ich verbesserte mich von fünf auf drei Sekunden. Als mich jedoch so eine Nadel am Bein erwischte, verbot uns meine Mum allerdings, dies noch einmal zu tun. Auch nach Ices Aussage, dass es doch nur ein Streifschuss gewesen war, wollte sie nicht nachgeben. Da die Nadeln nun verboten waren, nahm Ice eben Bälle. Jedoch auch das untersagte sie uns – nach ein paar Versuchen. Gut, wir hatten ein paar Blumentöpfe und Fensterscheiben zertrümmert. Ausschlaggebend war aber der Ball gewesen, der Mum ins Gesicht getroffen hatte.
„Ice, Sky, hört sofort mit diesem Unsinn auf!“, schimpfte sie und wedelte mit dem Ball vor unseren Nasen herum. „Ich kann nicht mehr in den Garten gehen, ohne mich gleich in Lebensgefahr zu begeben.“
„Tut uns leid, Mum, wir werden in Zukunft besser aufpassen.“
„Vergesst es, damit ist jetzt endgültig Schluss!“
„Aber Mum, wie soll ich denn weitertrainieren?“
„Du solltest dich nicht nur auf deine Fähigkeiten konzentrieren.“
„Mit Dad trainiere ich doch auch noch die anderen Sachen“, erwiderte ich.
„Soweit ich weiss, schreibt ihr nächste Woche einen Test in Dämonologie, wie wäre es, wenn ihr euch hinsetzt und lernt? Dann macht ihr wenigstens nichts kaputt.“ Es hatte keinen Sinn, mit ihr darüber zu diskutieren, deshalb fügten wir uns unserem Schicksal und klemmten uns hinter die Bücher. Der Test würde wirklich nicht einfach werden, man musste jede Kleinigkeit über die Dämonen wissen. Ihre Schwachstellen, ihre Besonderheiten, ihre Stufe, in welchen Gebieten sie häufig anzutreffen waren und so weiter. Obwohl Ice und ich schon seit wir denken konnten Dämonologie hatten, wussten wir manches nicht. Fly glänzte hier, sie wusste einfach über alles Bescheid.

Ice blätterte gelangweilt in seinem Buch.
„Jetzt hätte ich gerne Flys Buch, dann müsste ich nicht alle Informationen heraussuchen.“
„Da hast du recht, Ice, ihr Buch ist wirklich genial“, sagte ich und kraulte Scar, die auf meiner Schulter sass. Fiona besass ein kleines Buch, in dem sie schon seit Jahren Dämonen zeichnete und dann alle wichtigen Details aufschrieb. Ihr Ziel war es, einmal ein umfassendes Werk über die Dämonen zu verfassen. Sie selbst kannte jeden Dämon, den sie in das Buch eingetragen hatte, in- und auswendig. Doch sie traute sich das selbst gar nicht zu. Immer wenn wir sie etwas gefragt hatten, hatte sie in ihrem Büchlein nachgeschlagen.
„Vielleicht leiht sie es uns aus, wenn wir sie darum bitten.“
„Ich glaube kaum, das Buch ist ihr Heiligtum.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Dann soll sie eben gleich mit uns lernen.“ Scar hüpfte auf mein Buch und pickte auf meinen Handrücken ein.
„Du kriegst jetzt kein Futter. Weisst du eigentlich, dass du ziemlich verfressen bist?“
„Krächz … krächz.“
„Ich vermute, das heisst nein.“ Sie legte ihren Kopf so schräg, dass sie mich mit ihrem Gesunden Auge sehen konnte. „Schau nur so lange du willst, jetzt gibt es nichts.“ Beleidigt krächzte sie und flog dann in ihren Käfig, um dort auch noch das letzte Körnchen aufzupicken.
„Das Viech ist ziemlich frech; du solltest ihr Manieren beibringen.“
„Ach was, sie ist ganz in Ordnung. Was das Lernen angeht, lass uns doch morgen in der Pause noch etwas lernen, heute habe ich keine Lust mehr.“
„Na gut, wie du meinst.“

In der nächsten grossen Pause standen wir, in unseren Jacken eingepackt, in einem Kreis vor dem Brunnen, und Fly fragte uns ab. Es war wirklich bitter kalt und ich hätte mich am liebsten verwandelt, um ein warmes Fell zu haben.
„Welche Stufe hat ein kleiner Feuerdämon?“
„Das ist leicht, ein kleiner Feuerdämon ist auf Stufe drei“, antwortete Ice.
„Richtig! Und welche Schwachstellen hat er?“
„Auch leicht, natürlich Wasser.“
„Und was noch?“
„Ist Wasser denn nicht alles?“
„Nein, ist es nicht, Ice, jeder Naturdämon verfügt über einen Kern. Wenn man den trifft, ist er erledigt“, ergänzte ich.
„Reicht denn eine Schwäche nicht?“ Fly schüttelte den Kopf.
„Was machst du, wenn du einem Feuerdämon gegenüberstehst und kein Wasser zur Verfügung hast?“
„Naja, ich überleg mir was – und ausserdem, irgendwo wird sich schon Wasser auftreiben lassen.“
„Besser wäre es doch, wenn du ganz einfach seine zweite Schwachstelle kennen würdest, seinen Kern.“ Ice hob abwehrend die Hände.
„Schon gut, ich merk’s mir ja.“
„Gut, zur nächsten Frage. Wo wir schon einmal bei Naturdämonen sind, was sind die nächsten Verwandten vom Feuerdämon?“
„Wasser, Erde und Luftdämonen.“
„Sieh an, die Streber lernen fleissig.“ Musste es der Typ immer wieder herausfordern? Mir war schon klar, dass er noch einen Kampf gegen mich wollte.
„Wenn du beim Test durchfallen willst, dann ist das deine Sache“, sagte Ice.

Shadow lachte abfällig und kam mit seinen beiden Teamkameraden näher.
„Im Gegensatz zu euch Versagern habe ich es nicht nötig, zu lernen.“
„Dann verzieh dich wieder, Shadow.“ Doch daran dachten sie erst gar nicht, sie rückten uns noch weiter auf die Pelle.
„Was haben wir denn da für ein schönes Büchlein?“, fragte er und hatte es auch schon im nächsten Moment Fiona aus der Hand gerissen.
„Gib es mir zurück, Shadow!“
„Seht euch das an, was sind denn das für niedliche Zeichnungen“, sagte er und zeigte es den andern beiden. Fly ging auf ihn zu und wollte ihm ihr Buch wieder abnehmen, doch sie wurde von Susann aufgehalten. „Ist wohl ziemlich wichtig für dich, was?“ Shadow holte aus und warf es in hohem Bogen Richtung Brunnen. Das konnte ich nicht zulassen, der Brunnen lief zwar nicht mehr, aber etwas Wasser hatte es immer noch drin, und das war leider nicht gefroren. Wenn es da reinfallen würde, wäre es vollkommen ruiniert. Ich sprang dem Buch hinterher und landete im Wasser. Es gelang mir noch, in letzter Sekunde das Buch aufzufangen. Verdammt, war das kalt, ich zitterte wie Espenlaub, als ich aus dem Brunnen stieg.
„Hier, ihm ist nichts passiert“, sagte ich und gab ihr das Buch zurück.
„Halfmoon, musstest du mir in die Quere kommen?“
„Du hattest deinen Spass und jetzt verschwinde!“ Shadow knurrte, liess es aber dann gut sein und zog samt seinem Gefolge ab.

„Sky, was soll das! Du hättest ihm deine neuen Kräfte mal demonstrieren können. Warum hast du ihn einfach gehen lassen?“
„Ich hatte keine Lust, gegen ihn zu kämpfen, mir ist bitterkalt. Bevor ich noch irgendetwas tue, gehe ich mich umziehen.“ Umziehen konnte ich mich nicht wirklich, das einzige, was ich anziehen konnte, waren meine Turnsachen.
„Danke, Sky, du hast mein Buch gerettet.“
„Keine Ursache, aber jetzt lasst uns reingehen, sonst erfriere ich hier noch!“ Auch als ich in meinen trockenen Turnklamotten steckte, war mir noch immer kalt.
„Zieh dir den über“, sagte Ice und reichte mir seinen leuchtend orangen Pullover.
„Ist dir denn nicht kalt, nur so im T-Shirt?“
„Mir ist nie kalt, ich trage nur so warme Klamotten, weil meine Mutter mich sonst nicht aus dem Haus lässt.“ Da war was dran, auch wenn es noch so kalt war, schien es Ice nicht viel auszumachen. Der Pullover hatte zwar nicht unbedingt meine Farbe, aber immerhin gab er schön warm.



Ein alter Bekannter



„Wie sind eure Testergebnisse ausgefallen?“, fragte uns Kathrin.
„Ich habe achtzig von hundert Punkten erreicht, Mum“, sagte Ice.
„Was ist mit dir Sky? Wie ich dich kenne, warst du bestimmt etwas besser.“
„Mum, du solltest zu deinem Sohn halten“, schimpfte Ice. „Aber du hast recht, er war besser.“
„Vierundneunzig Punkte hab ich erreicht. Richtig klasse war aber Fly, sie hat hundert Punkte gemacht.“
„Dann gratuliere ich euch zu den tollen Ergebnissen“, sagte meine Mum, die gerade mit einer Lasagne aus der Küche kam. „Setzt euch, das Essen ist fertig, es gibt euer Lieblingsessen.“ Lasagne war so ziemlich das einzige, was Ice und ich beide gern hatten. Zum Beispiel liebte Ice Pilze, ich konnte sie aber nicht ausstehen. Ich mochte hingegen Fisch, was Ice nicht ausstehen konnte.
„Essen Dad und Kevin denn nicht mit?“
„Nein, sie haben noch eine Menge mit den Vorbereitungen des Festes zu tun“, antwortete mir Cloud. „Na dann, bleibt mehr für uns“, sagte Ice.

Jedes Jahr am einunddreissigsten Dezember fand ein grosses Strassenfest statt. Dort gab es allerlei Leckereien, Spiele und Musik. Bei diesem Fest verabschiedeten wir das alte Jahr. Die meisten Familien feierten dann den Beginn des neuen Jahres zu Hause, es gab aber auch welche, die dort weiterfeierten. Früher war ich dort gerne hingegangen, doch heute waren es mir zu viele Leute, und das Feuerwerk am Abend konnte ich mir auch von weitem ansehen.
„Hoffentlich habe die wieder, diese leckere Zuckerwatte.“
„Die solltest du lieber nicht essen, wenn du mit Aurora da hingehst“, sagte ich.
„Ach, du gehst mit Aurora Sunwheel zum Fest, das wusste ich ja noch gar nicht.“ Ice funkelte mich böse an.
„Ice, du hast doch gesagt, du gehst mit mir hin“, quengelte Cloud.
„Schon gut, Schwesterchen, das habe ich natürlich nicht vergessen.“
„Sky, gehst du denn nicht hin?“
„Nein, ich mache mir einen gemütlichen Tag hier zu Hause.“
„Da sind wir ja schon zwei“, sagte meine Mum.
„Du lässt Dad ganz allein da hingehen?“
„Keine Sorge, Sky, ich werde schon auf deinen Vater aufpassen“, lachte Kathrin.
„Dann kann ich ja ganz beruhigt endlich mal das Buch fertig lesen, bei den Vorfällen in der letzten Zeit bin ich einfach nicht dazu gekommen.“
„Hoffentlich wird das im neuen Jahr besser und wir haben endlich wieder etwas Ruhe!“

Nach dem Essen, machten sie sich auf den Weg und ich half meiner Mutter beim Aufräumen.
„Bist du sicher, dass du nicht hingehen willst?“
„Ich verpasse doch nichts, nächstes Jahr gibt es schliesslich wieder eines und dann kann ich ja immer noch hingehen.“ Sie stellte die abgewaschenen Teller zurück in den Schrank.
„Wie du meinst, ich habe Sam gesagt, er soll uns ein paar von den sauren Bonbons mitbringen.“
„Die Grünen, die so sauer sind, dass es dich fast umhaut?“
„Genau die.“ Meine Mum und ich liebten diese Dinger.
„Ob er es auch nicht vergisst?“
„Ich glaube nicht, er hat es mir versprochen. Gib mir mal die Schüssel da drüben.“ Ich reichte sie ihr und spülte dann ein paar Gläser ab. „Ist deine Schulter eigentlich wieder in Ordnung?“
„Ja, ausser einer Narbe ist nichts mehr geblieben. Sie lässt sich wieder einwandfrei bewegen.“ Probehalber liess ich sie kreisen. Alles wieder in bester Ordnung, Fly hatte wirklich gute Arbeit geleistet.
„Es gibt nicht viele, die eine Vergiftung von einem Simeikolon überlebt haben. Ich bin froh, dass du einer von ihnen bist.“
„Schon gut, Mum, ich lebe noch, es braucht schon mehr als nur ein bisschen Gift, um mich zu töten.“ Wütend schlug sie mir mit dem Löffel, den sie gerade in der Hand hielt, auf den Kopf.
„Du hörst dich schon genauso an wie dein Vater.“
„Ist doch gar nicht wahr, ich bin nicht so wie er.“ Wieder schlug sie mir auf den Kopf.
„Ihr seid euch viel ähnlicher als du dir vorstellen kannst, Sky. Ich könnte dir ziemlich viele Gemeinsamkeiten aufzählen.“
„Da bin ich aber mal gespannt.“
„Na gut, da wäre erst mal die Tatsache, dass ihr beide Morgenmuffel seid.“
„Was sagt das schon, das sind doch viele Leute.“ Schon wieder bekam ich den Löffel zu spüren. „Wofür war das jetzt?“
„Dafür, dass du mich unterbrochen hast. Das, worin ihr euch am meisten ähnelt, ist jedoch euer Starrkopf. Wenn ihr euch mal irgendetwas vorgenommen habt, kann euch nichts mehr davon abbringen.“ In gewisser Weise hatte sie recht, doch für mich waren wir immer noch grundverschieden. „Fertig, alles ist wieder blitz und blank“, sagte sie und stellte noch das letzte Geschirr weg.
„Krächz … krächz“, machte Scar und flog von ihrem Platz am Fenster auf meine Schulter.
„Du scheinst wirklich gut mit ihr auszukommen.“
„Ja, sie ist wirklich in Ordnung. Nur, bis jetzt ist sie mehr oder weniger einfach ein Haustier.
„Du wirst schon noch herausfinden, wie sie dir bei einem Kampf helfen kann. Das wichtigste ist, dass sie dir vertraut.“ Ich liess sie auf meinen Arm hüpfen und kraulte sie dann.

„Ich werde mich jetzt auf die Couch legen und endlich dieses Buch fertig lesen“, sagte sie.
„Gut, ich gehe nach oben und füttere erst mal, Scar.“ Wir verliessen die Küche und Mum liess sich auf die Couch fallen und fing gleich an zu lesen. Ich war schon ein paar Stufen nach oben gegangen, da klingelte es an der Tür. „Lies du nur weiter, Mum, ich geh schon!“, rief ich und sprang die Stufen wieder runter. Scar mochte keine fremden Menschen, und so flog sie auf das Treppengeländer und wartete dort. Ich öffnete die Tür, draussen stand ein ziemlich grosser Mann. Um ihm ins Gesicht zu sehen, musste ich nach oben schauen. Der Mann hatte dunkelbraune, gewellte Haare, die bis zu seinen Schultern gingen. Seine Augen waren so dunkel, dass man die Pupillen fast nicht erkennen konnte. Auffällig war aber die seltsame Rune, die sein linkes Auge umgab. Er trug einfache Jeans und eine hellbraune Lederjacke.
„Hallo Junge, das hier ist doch das Haus der Familie Halfmoon, oder?“ Den Kerl mochte ich nicht, nicht nur, dass er mich Junge genannt hatte, auch seine Aura gefiel mir ganz und gar nicht. Er war zweifelsfrei ein Katzendämon, nur war seine Aura irgendwie dämonenhafter.
„Ja, da liegen sie richtig, was führt sie her?“ Er ging erst gar nicht auf meine Frage ein, sondern stellte selbst eine.

„Dann bist du Sams Sohn, habe ich recht?“ Ich nickte bloss.
„Sky, wer ist es denn?“, fragte meine Mutter und tauchte gleich darauf hinter mir auf. „Shawn, bist du das?“, fragte sie überrascht.
„Victoria, lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Du hast dich kaum verändert, du bist immer noch so schön wie früher.“ Was war das für ein Kerl, tauchte hier auf und machte meiner Mutter Komplimente? Hatte sie ihn Shawn genannt, war das etwa Shawn McCall?
„Du hast dich aber auch nicht verändert, Shawn. Wie ich sehe, hast du meinen Sohn Sky bereits kennengelernt.“ Bei dem Wort Sohn verfinsterte sich sein Gesicht etwas, aber nur so kurz, dass ich mir dessen gar nicht sicher war.
„Ja, wirklich ein reizender Junge. Wie alt ist er denn?“
„Vierzehn.“
„Dann geht er wohl schon auf die Cats School.“
„Ja“, antwortete sie. Sie sprachen über mich, als wäre ich gar nicht anwesend.
„Ist Sam hier?“
„Nein, er ist auf dem Fest.“
„Ach, das Fest, das hatte ich ja vollkommen vergessen. Wie schade! – ich hätte ihn gern wieder einmal gesehen.“ Für mich sah er gar nicht aus, als wäre er gross darüber enttäuscht, dass Dad nicht hier war. Meine Mutter schüttelte ungläubig den Kopf.
„Ich kann gar nicht glauben, dass du wirklich hier stehst. Wie viele Jahre sind seit dem Streit vergangen?“
„Achtzehn Jahre, und das auf den Tag genau.“
„Wo hast du dich die ganzen Jahre herumgetrieben?“ Er trat etwas näher.
„Wenn du mich hinein bittest, dann erzähle ich es dir“, sagte er und setzte ein Lächeln auf.
„Aber natürlich, draussen ist es bitterkalt, komm doch herein!“ Sie machte den Weg frei und zog mich gleichzeitig beiseite. „Kann ich dir irgendetwas anbieten, eine Tasse Kaffee oder Tee?“
„Wenn es keine allzu grosse Mühe macht, wäre eine Tasse Kaffee ganz nett. Habt ihr kein Personal mehr?“, fragte er und hängte seine Jacke an die Garderobe.
„Nein, schon seit Jahren nicht mehr.“

Irgendwie kam es, dass ich mit meiner Mum und Shawn im Wohnzimmer sass und an einem Glas Saft nippte. „Erzähl schon, Shawn, wo hast du dich herumgetrieben?“ Er stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch und erzählte.
„Nach dem Streit bin ich nach Hause und habe meine Sachen gepackt, dann bin ich zur Schule und habe Wirbelwind geholt. Wir sind einfach losgeflogen und haben uns nicht darum gekümmert, wohin es uns verschlug. Fünf Jahre zogen wir so durch die Gegend und kämpften gegen Dämonen, die es auf uns abgesehen hatten.“
„Wo ist Wirbelwind jetzt?“
„Ich konnte schlecht auf ihm hierherfliegen, ich habe ihn bei einem Freund gelassen.“ Nach einem Schluck Kaffee erzählte er weiter. „Aber nach und nach wurden wir berühmt unter den Dämonen und sie stellten uns eine Falle. Mindestens hundert von ihnen erwarteten uns bei unserem Unterschlupf.“ Wieder setzte er dieses Lächeln auf.
„Wenn mir eine Frage gestattet ist, wer ist Wirbelwind?“
„Ich vergass, du kennst ihn ja nicht. Wirbelwind ist ein Pegasus, ich habe ihn mit sechzehn gezähmt und seitdem ist er mein bester Freund.“
„Sie haben einen Pegasus?“ Soweit ich wusste, waren Pegasuse noch viel seltener als Einhörner, man bekam praktisch nie einen zu Gesicht.
„Ja, Wirbelwind fliegt schneller als alles andere.“
„Wie seid ihr so vielen Dämonen entkommen?“
„Wir sind nicht davongelaufen, wir haben sie erledigt.“ Seelenruhig trank er noch einen Schluck Kaffee. Der Typ war mir schon vorher unheimlich gewesen, aber jetzt, da ich wusste, dass er hundert Dämonen alleine beseitigt hatte, war er mir noch unheimlicher.
„Du hast gegen die Dämonen gekämpft und gewonnen?“ Shawn nickte.
„Alle musste ich nicht besiegen, sie haben sich mir unterworfen, nachdem sie einsehen mussten, dass sie keine Chance gegen mich hatten. Nur leider ist bei den Kämpfen mein Schwert verloren gegangen, seither muss ich mich mit einer einfachen Ersatzwaffe durchschlagen. Weisst du Victoria, ich wusste schon immer das wir Katzendämonen dazu geschaffen sind, die Anführer der anderen Dämonen zu sein.“

Langsam liess er sich ins Polster zurücksinken und zeigte auf die Rune, die sein Auge umrahmte. „Wisst ihr, was diese Rune bedeutet? Victoria, du solltest das eigentlich wissen. Sie bedeutet Meister, die Dämonen haben sie mir als Zeichen der Anerkennung gegeben.“ Meine Mum stellte ihre Tasse weg und versteifte sich.
„Dann hast du deine Meinung also auch nach all den Jahren nicht geändert. Du bist immer noch gleicher Meinung wie vor achtzehn Jahren.“ Ich verstand nicht, wovon meine Mum da redete.
„Nein, Victoria, du täuscht dich, ich habe meine Meinung geändert.“ Sie runzelte die Stirn.
„Du hast also nicht mehr vor, dich mit den Dämonen zu verbünden und die Menschen zu versklaven?“ Ich verschluckte mich fast am Saft. Was wollte Shawn, die Menschen versklaven? Das Half-Moon-Viertel war doch auch gegründet worden, um die Menschen vor den Dämonen zu beschützen – und er wollte sie versklaven.
„Samuel hatte damals recht, die Menschen würden es nicht einfach so hinnehmen, dass man sie versklavte, sie würden sich wehren. Es würden zu viele von uns sterben.“
„Was willst du dann mit den Dämonen?“ Er stellte die leere Tasse auf den Tisch und lächelte.

„Bei einem habe ich meine Meinung jedoch nicht geändert, ich denke immer noch, dass wir Katzendämonen die Krone der Schöpfung sind. Wie Sam gesagt hat, die Menschen würden sich nicht versklaven lassen, deshalb müssen sie alle vernichtet werden!“, rief er und sprang auf. Zum Glück hatte ich mein Glas auf den Tisch gestellt, sonst wäre es mir wahrscheinlich aus der Hand gefallen. Jetzt wollte er sie nicht mehr versklaven, sondern gleich vernichten. Dieser Mann sollte tatsächlich einmal der beste Freund meines Vaters gewesen sein. Auch wenn mein Vater nicht perfekt ist, er würde niemals auf die Idee kommen, seine Macht auszunützen, um Menschen etwas anzutun. Mum sprang auf, sie sah wütend und enttäuscht zugleich aus.
„Warum nur Shawn bist du so geworden, früher warst du doch auch nicht so. Wenn du wirklich so denkst, dann verschwinde von hier!“ Shawn ging auf meine Mutter zu und schüttelte dabei den Kopf.
„Victoria, Victoria, du weisst ganz genau, warum ich die Menschen so hasse. Sie haben mir immerhin die Eltern genommen!“ Er kam Mum immer näher. Langsam war mir das hier nicht mehr ganz geheuer. Ich stand auch auf und fragte:
„Was wollen Sie eigentlich hier?“ Seine Augen bohrten sich in meine.
„Du willst wissen, warum ich hierhergekommen bin, Junge? Wie du willst, dann komme ich jetzt eben gleich zur Sache. Die Vorfälle, die euch so beschäftigen, gehören alle zu meinem Plan. Ich schare die Dämonen um mich, ich erschaffe eine ganze Armee.“
„Eine Armee, Sie sammelst diese ganzen Dämonen?“
„Unterbrich mich nicht, Junge, dann erfährst du es schon!“, fuhr er mich an. „Ich brauchte eine Weile, bis ich mir den Respekt der Dämonen erkämpft hatte und sie auf meine Befehle hörten, deshalb habt ihr ein paar Probleme bekommen. Das spielt jetzt aber keine Rolle, ich bin hier, um euch ein Angebot zu machen.“

Shawn legte eine Kunstpause ein und fuhr dann fort: „Schliesst euch mir an, zusammen mit den Dämonen wird es ein leichtes, die Menschen auszulöschen. Bevor sie wissen, wie ihnen geschieht, haben wir sie bereits beseitigt.“
„Niemals, du bist wahnsinnig, Shawn. Das Half-Moon-Viertel wurde gegründet, um die Menschen zu beschützen, und nicht um sie zu vernichten!“ Plötzlich stand er hinter ihr, ich hatte nicht einmal gesehen, wie er sich bewegt hatte.
„Wirklich schade, Victoria, mit dir an meiner Seite wäre es wesentlich einfacher gewesen. Deine Fähigkeiten wären mir von grossem Nutzen gewesen.“ Bevor meine Mum auch nur reagieren konnte, hatte er ihr eine Spritze in den Arm gejagt. Sie fiel in sich zusammen und Shawn fing sie auf.
„Was hast du mit ihr gemacht!“ Ohne, dass ich es eigentlich wirklich wollte, verwandelte ich mich. „Ganz ruhig, Junge, ich will dir nicht wehtun Deiner Mutter geht es gut, sie wird nur eine Weile schlafen.“ Er warf sie sich einfach über die Schulter. „Ich werde sie mitnehmen, als kleine Absicherung. Hör mir jetzt gut zu, Junge, was ich dir jetzt sage, ist von grosser Bedeutung für sie.“ Er konnte sie doch nicht einfach so mitnehmen, das konnte er nicht machen. „In genau zehn Tagen, am elften Januar, will ich eine Antwort. Wenn ihr euch mir anschliesst, bringe ich sie wieder zurück. Wenn ihr euch mir nicht anschliesst, seht ihr Victoria nie wieder. Ausserdem muss ich euch dann leider auch aus dem Weg räumen. Jeder, der sich mir anschliessen will, ist herzlich willkommen. Ich werde um Mitternacht hinter der Ostgrenze auf eure Antwort warten. Ach, und fast hätte ich es vergessen, besorgt mir eine anständige Waffe!“ Dann beachtete er mich nicht weiter und ging Richtung Tür.

Wenn ich jetzt nichts unternahm, konnte ich Dad nicht mehr in die Augen sehen. Mit dem Schwert sprang ich auf ihn zu, doch er wirbelte einfach herum und packte mich am Hals. Mit Leichtigkeit hob er mich hoch. Ich liess das Schwert fallen – im Nachhinein keine kluge Entscheidung – und packte seinen Arm.
„Gib dir keine Mühe, du hast keine Chance gegen mich.“ Egal, wie ich mich anstrengte, ich kam nicht von ihm los. Er schleuderte mich auf den Wohnzimmertisch, der unter meinem Gewicht zusammenbrach. Keuchend rang ich nach Luft und rappelte mich wieder hoch. So hatte ich wirklich keine Chance. Jetzt blieb mir nur eines: meine Schockwellen. Auch wenn ich Mum treffen würde, besser, als wenn er einfach mit ihr verschwand. Doch Shawn wich der Schockwelle einfach aus und sie zertrümmerte stattdessen eine Kommode. Dank dem, dass ich verwandelt war, konnte ich seine Bewegungen nun sehen. Seine Geschwindigkeit war jener der Bladestormfamilie ebenbürtig, und er war noch nicht mal verwandelt. „Nicht schlecht, Junge, aus dir kann mal ein grossartiger Jäger werden. Nur jetzt habe ich genug von dir.“ Er tauchte hinter mir auf und schlug mich nieder. Das Letzte, was ich sah, bevor ich das Bewusstsein verlor, war, wie Shawn mit Mum über der Schulter durch die Tür verschwand. „M…Mum.“

„Sky … Sky, komm schon, wach auf!“ Das war doch Dads Stimme, oder irrte ich mich da? Dann bekam ich links und rechts eine gescheuert.
„Was ist hier nur passiert? Die Kommode ist vollkommen hinüber.“
„Ice, du solltest dich lieber um deinen Cousin Sorgen machen, durch die Kopfwunde hat er eine Menge Blut verloren“, sagte Kathrin besorgt. Mein Schädel fühlte sich an, als würde er gleich platzen, und ich hätte mich nur zu gerne wieder wegsacken lassen wollen. Doch eines hielt mich davon ab, Mum.
„Dad … er hat … er hat sie … mitgenommen“, hauchte ich.
„Sam, komm schon, wir müssen ihn auf die Krankenstation bringen“, sagte Kevin.
„Ich mach das schon. Seid mal still, er versucht mir etwas zu sagen.“ Ich öffnete die Augen und kämpfte gegen dieses verdammte Schwindelgefühl an.
„Shawn, er hat Mum … mitgenommen. Es … es tut mir leid, Dad, ich … ich hatte keine … Chance gegen ihn.“
„Shawn? Meinst du Shawn McCall?“
„Ja.“
„Victoria, er hat Victoria mitgenommen, aber warum, Sky, warum?“ Ich konnte ihm nicht antworten, ich brachte einfach kein Wort mehr heraus.
„Es hat keinen Sinn, Sam, bringen wir ihn zur Krankenstation.“
„Ich rufe Fiona an, sie kann ihn am schnellsten wieder auf die Beine holen, dann erfahren wir auch, was mit Victoria passiert ist.“
„Gut, Ice, du kommst mit mir. Kevin, Kathrin, könntet ihr mir den Gefallen tun und hier etwas aufräumen?“
„Klar, Sam, wenn ihr wieder kommt, sieht es hier wieder aus wie früher.“

Dad wickelte mir ein Handtuch um den Kopf und verfrachtete mich mit Ice zusammen auf den Rücksitz des Autos.
„Hallo, Fly, wir brauchen deine Hilfe. Ich habe keine Zeit für Erklärungen, nur eines, Sky steckt wieder einmal in Schwierigkeiten. Komm so schnell du kannst zur Krankenstation.“
„Kommt sie zur Station?“
„Ja, sie wird dort bereits auf uns warten.“ Ich bekam kaum mit, wie wir die Schule erreichten und sie mich vom Auto zur Krankenstation brachten. Dann liessen die Schmerzen plötzlich etwas nach.
„Wie hat er das denn zu Stande gebracht?“
„Das wissen wir selbst noch nicht.“
„Ich werde die Wunde schliessen und seine Schmerzen lindern, mehr kann ich auch nicht tun.“ Eine Ärztin legte mir einen Zugang für eine Bluttransfusion. Nach und nach fühlte ich mich besser. Als ich wieder ganz zu mir kam, sass Dad an meinem Bett und Fly schlief auf dem Bett nebenan.
„Sky, du bist aufgewacht. Fiona hat wirklich äusserst nützliche Fähigkeiten. Nun erzähl schon, was ist passiert?“ Ich richtete mich etwas auf.
„Shawn McCall stand wie aus heiterem Himmel vor der Tür. Mum hat ihn zu einer Tasse Kaffee eingeladen. Er hat uns erzählt, was er all die Jahre gemacht hatte, in denen er sich nicht hatte blicken lassen. Ich mochte den Typ von Anfang an nicht, seine Aura … sie war seltsam.“
„Dann benutzt er diese Technik also immer noch.“
„Welche Technik?“, fragte ich.
„Das erkläre ich dir später, jetzt erzähl weiter.“
„Er sagte, er habe sich den Respekt der Dämonen verdient und seit dem Streit mit dir habe er seine Meinung geändert. Ich weiss ja nicht genau, worum es in dem Streit zwischen euch ging, aber er sagte, dass du damals recht gehabt hattest.“ Ich erzählte ihm von Shawns Plan und was er von uns forderte. „Mum hat natürlich sofort abgelehnt, sie hat gesagt, dass die Katzendämonen niemals für so eine Sache kämpfen würden.“
„Da hat sie absolut recht, so etwas werden wir nie zulassen.“
„Daraufhin hat er ihr irgendein Mittel gespritzt, das sie in Tiefschlaf versetzt hat. Mir hat er aufgetragen, dir auszurichten, dass er am elften Januar bei der nördlichen Grenze auf eine Antwort warten wird. Er will wissen, ob wir uns ihm anschliessen; dann sehen wir Mum wieder und wenn nicht, dann …“ Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. „Ich schwöre dir, Dad, ich habe alles getan, was ich konnte, um ihn aufzuhalten. Doch er war viel zu schnell, ich hatte nicht den Hauch einer Chance.“ Dad fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
„Schon gut, Sky, Hauptsache, er hat dich nicht auch noch mitgenommen. Im Moment können wir nichts tun, das Fest ist in vollem Gange und ich will es den anderen nicht auch noch versauen. Die Ratsversammlung werde ich erst am zweiten Januar einberufen.“
„Aber Dad, was bringt diese Versammlung? Wir müssen Mum finden!“
„Wenn das nur so einfach wäre. Glaub mir, Sky, mir gefällt das genau so wenig wie dir, aber wir können nicht einfach blindlings losrennen.“

Langsam erhob er sich und ging im Zimmer hin und her. „Ich glaube nicht, dass er ihr etwas antun wird. Allerdings ist er nicht mehr derselbe, deshalb kann ich das nicht garantieren. Im Rat werde ich beantragen, dass wir auf sein Treffen eingehen. Vielleicht kann ich ihn dann umstimmen.“
„Ich verstehe das alles nicht, was war das für ein Streit damals?“ Er hörte auf, im Zimmer auf und ab zu gehen, und setzte sich wieder.
„Da wir sowieso nichts unternehmen können, erzähle ich dir davon. Wir waren damals zu viert auf dem Fest: Shawn, Kevin, Victoria und ich. Seitdem Shawns Eltern bei einem Einsatz von den Menschen getötet worden waren, war er immer stiller geworden. Auf dem Fest eröffnete er uns, womit er sich die ganze Zeit beschäftigt hatte. Er meinte, dass wir Katzendämonen doch zu Höherem bestimmt waren, als immer nur diese schwachen Menschen zu beschützen. Wir seien den Dämonen schliesslich viel ähnlicher als den Menschen.“
„Ist das wahr?“ Energisch schüttelte er den Kopf.
„Das entscheidet jeder selbst durch das, was er tut. Shawn hatte eine Technik entwickelt, mit der man seine Kräfte um ein Vielfaches verstärken konnte. Daneben liess er es zu, dass seine dämonische Seite ganz zum Vorschein kam.“ Die dämonische Seite, wie sollte das gehen?
„Wie meinst du das, das verstehe ich nicht.“
„Wenn du dich verwandelst, spürst du doch die Energie, die durch dich hindurchfliesst. Du ziehst die Kraft aus irgendeiner Art Quelle. In dieser Quelle befindet sich nur die reine Energie. Wenn du jedoch noch viel tiefer gräbst, stösst du auf eine Barriere. Natürlich waren schon viele vor ihm darauf gestossen, nur hatte es keiner gewagt, diese Barriere jemals zu öffnen.“
„Und er hat es getan?“
„Ja, und das Ergebnis war erstaunlich, du hast ja selbst gesehen, wozu er fähig ist. Diese Macht hatte allerdings einen grossen Nachteil, sie veränderte seinen Charakter. Immer wenn er sie nutzte, wurde er aggressiv und angriffslustig. Nachdem seine Eltern gestorben waren, schloss er die Barriere gar nicht mehr, er nutzte sie die ganze Zeit. Da nur er jemals diese Barriere geöffnet hat, wissen wir nicht, ob sie auf jeden von uns so einen negativen Einfluss hat oder nur auf schwache Charaktere.“ Von dieser Macht hatte ich noch nie etwas gehört. Die Angst davor musste wirklich gross sein, wenn es niemand wagte, sie zu nutzen.

„Dir ist bestimmt aufgefallen, dass seine Augen fast ganz schwarz waren, habe ich recht?“ Ich nickte. „Das ist die Bestätigung dafür, dass er sie nutzt, denn normalerweise hat er grüne Augen. Aber nun zurück zu unserem Streit. Er sagte uns, dass er sich mit den Dämonen verbünden und gemeinsam mit ihnen die Menschen versklaven wolle. Daraufhin hatten er und ich einen Streit, der in einen Kampf ausgeartet war. Darin habe ich selbst seine Macht zu spüren bekommen. Zu meinem Glück war Shawn noch nie ein guter Kämpfer, und ich hatte Kevin und Victoria auf meiner Seite.“
„Was habt ihr getan, ihn verprügelt?“
„Nein, er hat schnell eingesehen, dass er keine Chance gegen uns alle drei hat, und hat deshalb aufgegeben. Aber seinen Plan wollte er nicht aufgeben, er ist davongestürmt und seitdem haben wir ihn nicht wieder gesehen.“ Warum hat er denn zurückkommen müssen?
„Wie soll man gegen so jemanden kämpfen, ohne selbst solche Kräfte zu haben?“
„Weisst du, Sky, die Kräfte verstärken das am meisten, was man bereits gut kann. Bei mir wäre es wahrscheinlich meine Stärke. Shawn war schon immer schnell, doch mit den Kräften ist er einfach unglaublich schnell. Wenn du dich aber auf seine Aura konzentrierst, kannst du ihn stoppen.“ Natürlich, seine Aura, darauf hätte ich doch selbst kommen müssen. Dann hätte ich gesehen, wenn er vorgehabt hätte, sich zu bewegen. Kurz vor jeder Bewegung, die man mit seinen dämonischen Kräften verstärkt, lässt sich ein kleines Ausschlagen der Aura feststellen. Um diese zu sehen, mussten die Meisten jahrelang trainieren, doch mir war das schon in die Wiege gelegt worden. Aber was nützte mir das, wenn ich es nicht gebrauchte. Mein Vater beherrschte diese Technik einfach perfekt, deshalb sah es manchmal so aus, als könne er Gedanken lesen.

„Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich habe auch nicht damit gerechnet, jemals gegen einen von uns kämpfen zu müssen.“
„Damit hatte niemand gerechnet. Shawn war schon immer ein Träumer, er ist immer irgendwelchen Träumen hinterhergejagt, anstatt sich auf die Dämonenjagd zu konzentrieren. Trotzdem waren wir ein gutes Team.“ Dad sah ziemlich fertig aus, Shawn war einer seiner besten Freunde gewesen und jetzt hatte er ihn verraten.
„Was machen wir wegen der Waffe, die er haben will?“
„Ich weiss es nicht, Sky, zuerst müssen wir die Entscheidung des Rates abwarten. Lassen wir für heute das Thema, gehen wir lieber nach Hause.“
„Ist Ice schon gegangen?“
„Ja, er wollte seinen Eltern helfen gehen. Kannst du alleine gehen?“

Vorsichtig stand ich auf, kurz drehte sich alles etwas, doch dann ging es. Fiona war einfach unglaublich, ohne sie hätte ich viel länger gebraucht, um wieder zu stehen. Sie selbst war so fertig, das sie es nicht einmal merkte, als sie mein Vater aufhob. „Wenn du selbst gehen kannst, können wir sie gleich bei Raymond abliefern. Ich habe ihn ohnehin schon eine Weile nicht mehr gesehen.“ Fly wohnte nicht weit weg von der Schule in einem kleinen grünen Häuschen mit einem kleinen Garten. Mein Vater trug sie zur Tür und überreichte sie einem grossgewachsenen Mann mit streng zurückgekämmten schwarzen Haaren und stahlgrauen Augen. Als er auf meinen Dad zuging, um ihm Fiona abzunehmen, zog er das linke Bein stark nach. „Bitte richte ihr aus, wenn sie wieder aufwacht, dass ich ihr sehr dankbar bin. Sie hat Sky wirklich sehr geholfen.“
„Samuel, was für eine Überraschung! Wir haben uns lange nicht mehr gesehen und ich hatte nie die Gelegenheit, dir zu danken, dass du sie mir anvertraut hast. Ohne sie hätte ich mich wahrscheinlich schon längst aufgegeben. Willst du nicht noch mit reinkommen?“
„Tut mir leid, aber im Moment ist es gerade schlecht. Ich habe aber gehört, dass du wieder Bowlen gehst. Wenn sich alles wieder beruhigt hat, würde ich mich sehr darüber freuen, wenn ich dich begleiten dürfte.“
„Abgemacht, ich komme darauf zurück.“ Mein Vater dachte daran, bowlen zu gehen? Mir kam das in der momentanen Situation ziemlich absurd vor.

Zu Hause hatten die anderen die Kampfspuren bereits beseitigt, die Kommode und der Tisch fehlten. Vom Blut war noch ein dunkler Fleck geblieben. Eines Fehlte jedoch, Mum. Diese Neujahrsfeier war vollkommen ruiniert, ich schaute mir nicht einmal das Feuerwerk an, sondern verkroch mich gleich in mein Bett. Mein Kopf tat immer noch weh und ausserdem wollte ich diesen Tag einfach vergessen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein, vor meinen Augen hatte er sie mitgenommen und ich hatte rein gar nichts dagegen machen können. Ich wischte mir die Tränen weg und stand auf. Es nützte jetzt auch nichts, aufzugeben; ich wollte bei dieser Versammlung dabei sein. Dad sass mit Kevin und Ice zusammen im Wohnzimmer.
„Sky, ich dachte, du hättest dich hingelegt.“
„Dad, ich habe eine Bitte an dich, ich will an dieser Ratsversammlung teilnehmen.“
„Da spricht nichts dagegen, jedes Mitglied ist berechtigt, an den Versammlungen teilzunehmen – egal, welches Alter man hat.“
„Wenn er dabei ist, dann will ich auch mitkommen“, schaltete sich Ice ein.
„Wie Sam schon sagte, jedes Mitglied der Familie darf an den Versammlungen teilnehmen.“









Die Ratsversammlung



Die Versammlung fand, wie mein Vater gesagt hatte, am dritten Januar statt. Für die Versammlungen der Urfamilien war ein grosses Gebäude gebaut worden, in dem ein Raum allein den Versammlungen diente. Das Zimmer war kreisrund, besass zahlreiche Sitzplätze, die eigentlich immer leer waren, und fünf Rednerpulte. Hinter jedem dieser Pulte stand der Vertreter der jeweiligen Familie. Die Halfmoon-Familie vertrat natürlich mein Vater, Bloom stand rechts hinter ihm und ich hatte mich auf einen der Sitzplätze gesetzt. Für die Familie Snowflake sprach Kevin, seine ganze Familie sass auf den Plätzen hinter ihm. Die anderen drei Familien waren weniger zahlreich vertreten, es waren nur jeweils ihre Abgesandten anwesend. Maximilian Flashlight, wie immer in einem schwarzen Anzug gekleidet, stand mit vor der Brust verschränkten Armen und starr nach vorne gerichtetem Blick hinter seinem Pult. Seine langen, pechschwarzen Haare passten so gar nicht zu seinem sonstigen Erscheinungsbild. Charlotte Sunwheel sah genauso wie ihre Tochter aus, nur dass sie die Haare noch etwas länger trug. Zu guter Letzt wartete noch Benjamin Skynight auf die Eröffnung der Versammlung. Er trug khakifarbene Shorts und ein Hawaiihemd. Sie alle schienen sich zu fragen, warum so viele von unseren Familien anwesend waren.

„Da nun alle anwesend sind, will ich keine Zeit verschwenden und gleich zur Sache kommen. Shawn McCall ist nach mehr als zehn Jahren wieder aufgetaucht.“
„Du hast nur wegen einer Person eine Sitzung einberufen?“, fragte Maximilian verächtlich. „Das ist reine Zeitverschwendung, was interessiert mich Shawn, er hat sich dafür entschieden zu gehen, ausserdem kann er tun und lassen, was er will.“ Dad klammerte sich mit beiden Händen am Pult fest, um nicht die Beherrschung zu verlieren.
„Lass mich ausreden, dann wirst du das hier keineswegs mehr für eine Zeitverschwendung halten. Wie ich bereits sagte, ist Shawn McCall wieder aufgetaucht, und es hat sich herausgestellt, dass er für die Vorfälle mit den Dämonen verantwortlich ist.“
„Unmöglich!“, stiess Benjamin aus.
„Das kann doch gar nicht sein“, sagte Charlotte.
„Was soll das denn heissen, wie soll ein so schwacher Kerl für die Dämonenvorfälle verantwortlich sein?“ Ich sah, wie Dad tief Luft holte.
„Lasst ihn doch einfach ausreden, dann wird sich das alles klären“, unterstütze ihn Kevin.
„Shawn ist keineswegs mehr so schwach wie früher. Er hat die Kraft der Barrieren nun vollkommen unter Kontrolle und hat sich mit dieser Kraft den Respekt der Dämonen verdient.“
„Kann jemand bezeugen, dass er wirklich so stark ist?“ Shadows Vater war auf eine gewisse Art genauso nervig wie Shadow selbst, aber wie hiess es so schön, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. „Mein Sohn hat Shawns Kräfte am eigenen Leib erlebt.“
„Ist das wahr?“, fragte er und sah dabei mich an. Ich wusste nicht so recht, ob ich jetzt antworten sollte. Doch als mir mein Vater zunickte, tat ich es.
„Ja, Shawn bewegt sich schneller als jeder andere, und ausserdem schaffte er es, mich nur mit einem Arm aufzuhalten. Er hat mich niedergeschlagen, bevor ich mich auch nur rühren konnte.“
„Nun gut, aber wo ist er jetzt?“
„Er ist wieder verschwunden. Wie Sky bereits sagte, konnte er ihn nicht aufhalten. Doch bevor er verschwunden ist, hat er uns ein Ultimatum gestellt.“ Warum erwähnte er denn Mum nicht? Es war doch etwas vollkommen anderes, wenn man wusste, dass er eine Geisel hatte. „Entweder wir schliessen uns ihm und den Dämonen an und vernichten gemeinsam die Menschen, oder wir lassen es und er sieht sich gezwungen, auch uns auszulöschen.“

Zuerst herrschte Totenstille im Saal, doch dann fing Maximilian Flashlight an zu lachen. Er kriegte sich gar nicht mehr ein, jetzt war mir endgültig klar, warum Shadow so war, wie er ist.
„Wovor hast du Angst, Samuel, wie will ein einzelner Katzendämon uns vernichten? In diesem Raum befinden sich im Moment die stärksten Kämpfer unserer Art, jeder von uns nimmt es mit Hunderten von Dämonen auf. Auch bezweifle ich, dass er überhaupt so viele Dämonen unter seiner Kontrolle hat.“ Mit Hunderten von Dämonen? Ich hätte gerne gesehen, wie er es mit hundert Basilisken aufgenommen hätte. Basilisken waren vielleicht etwas übertrieben, aber es würde ziemlich schwierig werden, wenn man es mit höherstufigen Dämonen aufnehmen musste. Zwar gab es keine Zweifel daran, dass alle hier aussergewöhnlich stark waren, aber auch sie konnten nicht gegen alle Dämonen gewinnen.
„Vielleicht nehmen wir es mit so vielen Dämonen auf, aber was ist mit dem Viertel? Es würden uns bestimmt welche entkommen und ins Viertel vordringen – und nicht alle sind so starke Kämpfer. Selbst wenn wir es mit den Dämonen aufnehmen könnten, was ist mit Shawn? Alleine um ihn zu besiegen, braucht es einen unglaublich starken Kämpfer.“
„Mach dich nicht lächerlich, Shawn könnte genauso gut die Vorfälle für seine Zwecke nutzen und uns täuschen. Vielleicht hat er den Verstand verloren, das ist gut möglich; immerhin nutzt er die Kräfte der Barriere schon seit Jahren.“ Benjamin Skynight nickte zustimmend.
„Ich kenne Shawn, wenn er etwas plant, dann weiss er, was er tut. Deshalb bin ich mir ganz sicher, dass er uns nichts vormacht.“
„Wo liegt denn das Problem, wir haben noch acht Tage Zeit. Uns sind ein paar Punkte bekannt, bei denen sich eine Menge Dämonen versammelt haben. Wenn wir nach und nach alle diese Punkte auslöschen, bleibt nichts mehr übrig, womit er uns angreifen kann“, sagte Benjamin.
„Das ist nicht möglich, wir können nichts gegen ihn unternehmen.“
„Und warum, wenn man fragen darf?“

Jetzt würde er endlich damit rausrücken, dass er Mum mitgenommen hatte.
„Shawn war bei uns zu Hause aufgetaucht und Victoria hat ihn zu einer Tasse Kaffee eingeladen. Doch dann hat er sie ausser Gefecht gesetzt und Sky die Botschaft für uns übermittelt. Um sich abzusichern, hat er Victoria mitgenommen.“ Benjamin und Charlotte sahen bestürzt aus, in Maximilians Gesichtsausdruck änderte sich überhaupt nichts.
„Er hat Victoria entführt?“
„Ja, er hat sie mitgenommen.“ Nun meldete sich auch Kevin zu Wort.
„Habt ihr jetzt endlich verstanden, wie ernst die Lage ist? Wir können ihn nicht einfach so angreifen. Das Risiko wäre viel zu gross, dass er ihr dann etwas antut.“ Ich konzentrierte mich schon die ganze Zeit auf die Auren im Raum, und bei der Aura von Maximilian Flashleight änderte sich etwas. Es war jedoch kein Entsetzen, ganz im Gegenteil, er schien sich zu freuen. Dad musste das auch wahrnehmen, denn seine Aura loderte vor Wut.
„Nun, das ändert die Situation natürlich erheblich, aber sagtest du nichts selbst, dass dir das Wohl des Viertels am Herzen läge?“ Höhnisch grinsend fuhr er fort. „Für das Viertel wäre es das Beste, wenn man ihn jetzt angreift, denn so ist die Gefahr wesentlich kleiner, dass sie uns angreifen können. Du musst doch zugeben, was ist ein Leben im Vergleich zu Hunderten?“ Nun kochten auch die Auren von den Snowflakes.
„So etwas muss ich mir nicht gefallen lassen, Flashlight; immerhin habe immer noch ich hier das Sagen!“, brüllte mein Vater und schlug mit voller Kraft auf den Pult vor ihm. Dieser konnte der Kraft meines Vaters jedoch nicht einmal annähernd standhalten und zersplitterte in tausend Teile. Auch Kevins Pult wurde in Mitleidenschaft gezogen, seine Hände frassen sich nach und nach in das Holz.

Diese Taten schienen ihn nur noch mehr zu erfreuen.
„Nana, meine Herren, wir wollen doch nicht das Mobiliar beschädigen. Bitte beherrschen sie sich!“ Seine Arroganz war einfach grenzenlos, seine Aura strotzte nur so davon. „Samuel, du hast uns gerade vortrefflich demonstriert, dass du nicht in der Lage bist, in dieser Situation richtig zu entscheiden. Du hast durch Victoria eine zu nahe Bindung mit diesem Fall, dass Gleiche gilt für dich, Kevin.“ Mein Dad hätte wahrscheinlich wieder auf den Pult eingeschlagen, wenn der nicht schon vollkommen zerstört gewesen wäre. Er hatte doch genau damit gerechnet, dass mein Vater die Beherrschung verlieren würde. Wie immer hatte er es auf den Vorsitz des Rates abgesehen, was auch sonst.
„Ich bin sehr wohl in der Lage, in dieser Situation die richtige Entscheidung zu treffen.“ Äusserlich wirkte er jetzt ruhig und gefasst, doch in seinem Innern tobte ein Kampf. „Deshalb übergebe ich dir, für dieses eine Mal die volle Befehlsgewalt.“ Nun war nicht nur in Maximilians Aura seine Überraschung zu sehen. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, so einfach die Befehlsgewalt zu bekommen, und ehrlich gesagt, ich auch nicht. Niemand hatte damit gerechnet.
„Ist das dein Ernst?“, fragte Charlotte. Ihr schien gar nicht zu gefallen, dass Flashlight nun die Führung übernehmen sollte.
„Sehr vernünftig von dir, Samuel“, sagte er, nachdem er sich wieder gefasst hatte. „Nachdem diese Einzelheiten nun geklärt sind, kann die Versammlung endlich richtig beginnen.“ Ich verstand das nicht, warum hatte er das getan? Auch wenn es eine einmalige Angelegenheit war, wie konnte er Mums Leben in seine Hände legen? Ice schien genauso zu denken. „Benjamins Vorschlag gefällt mir sehr gut und so will ich das auch umsetzen. Wir werden nach und nach die Dämonen vernichten. Uns sind drei Punkte bekannt, bei denen sich viele Dämonen versammelt haben. Das bedeutet, dass wir drei Trupps zusammenstellen und die Punkte auslöschen.“
„Wie du willst, Max! Ich werde hier ja nicht weiter benötigt. Mum, würdest du den Rest hier übernehmen und mich später über alle Einzelheiten aufklären?“

Bloom nahm den Platz ihres Sohnes ein und Dad ging. Was sollte das, hatte er Mum aufgegeben? So hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich bekam gar nicht mit, wie die Versammlung weiterging. Schliesslich hielt ich es hier nicht mehr länger aus und stürmte aus dem Saal. Ich rannte meinem Dad hinterher und holte ihn auf dem Parkplatz ein.
„Was sollte das eben?!“ Er drehte sich zu mir um.
„Fahren wir einfach nach Hause, alles andere übernimmt Max.“ Gemeinsam gingen wir zu seinem Wagen.
„Aber Dad, du legst das Leben von Mum einfach so in seine Hände?“
„Steig ein.“
„Nein, erst will ich wissen, warum du das getan hast!“
„Ich sagte, dass du einsteigen sollst!“, brüllte er mich an. Ohne ein weiteres Wort öffnete er die Hintertür, packte mich und stiess mich ins Auto. Wäre die andere Tür nicht geschlossen gewesen, wäre ich wohl auf der anderen Seite wieder aus dem Auto geflogen. So knallte ich unsanft nur gegen die Tür. Dad stieg gemütlich vorne ein und fuhr los, als wäre nichts gewesen. Einen Moment lang spielte ich mit den Gedanken, aus dem fahrenden Auto zu springen, doch dann überlegte ich es mir doch noch anders. Schweigend verbrachten wir die Fahrt nach Hause. Keiner von uns hatte Lust mit, dem anderen auch nur ein Wort zu reden.

Zu Hause angekommen, ging Dad nicht ins Haus, sondern in den Garten. Eigentlich hatte ich in mein Zimmer gehen wollen, doch der plötzliche Lärm liess mich in den Garten gehen. Dort war Dad gerade dabei, die Gartenlaube endgültig in Einzelteile zu zerlegen. Mit blossen Fäusten schlug er die Bretter zu Kleinholz. Bis auf die Grundmauern riss er sie nieder, auch die Möbel im Innern mussten daran glauben. Als wäre er vom Teufel besessen, machte er einfach alles dem Erdboden gleich. Warum machte er das, er hatte die Laube doch für Mum gebaut. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie stolz er sie ihr präsentiert hatte. Auch wenn sie über die Jahre immer wieder in Mitleidenschaft gezogen worden war, hatte sie Dad immer wieder repariert. Nun zerstörte er sie aber vollkommen. Erst als wirklich jedes einzelne Brett unwiderruflich zerstört war, hörte er auf. Schwer atmend drehte er sich zum Haus um. Mit wutverzerrtem Gesicht ging er darauf zu. Dreht er jetzt vollkommen durch, er konnte doch nicht auch noch das ganze Haus abreissen. Ich stellte mich schützend davor, ich durfte ihn nicht durchlassen.
„Dad, hör auf, das bringt doch alles nichts!“
„Geh mir aus dem Weg, Sky!“ Er meinte es also wirklich ernst, wenn er mich erst einmal erreicht hatte, konnte ich ihn sicher nicht mehr aufhalten. Sicherheitshalber streckte ich einen Arm aus, stütze ihn mit meinem anderen und nahm einen sicheren Stand ein.

„Ich warne dich, Dad, noch einen Schritt und ich puste dich weg!“ Das schien ihn überhaupt nicht zu beeindrucken, er verzog keine Miene und machte noch einen Schritt auf mich und das Haus zu. „Ich habe dich gewahhhhrnt!“, brüllte ich und schoss die stärkste Welle, die ich besass, auf ihn. Wie ein Blatt, das von einem heftigen Windstoss erfasst wurde, segelte er durch die Luft. Mit voller Wucht knallte er gegen der Stamm der Eiche, diese war jedoch standfester als die andere, und so bereitete sie seinem Flug ein jähes Ende. Vielleicht hatte ich, was die Kraft anging, etwas übertrieben. Dad blieb bewusstlos am Fuss des Stammes liegen, zumindest hoffte ich, dass er bloss bewusstlos war. Ich rannte zu ihm und liess mich neben ihn auf die Knie fallen. Gott sei Dank, er lebt noch, durchfuhr es mich, als ich seinen Puls spürte.

Aber was machte ich jetzt mit ihm, hier liegen lassen konnte ich ihn jedenfalls nicht. Falls er sich ernsthaft verletzt hatte, konnte ich ihn nicht bewegen. In der Situation fiel mir nur eine einzige Person ein: Fiona. Schnell lief ich ins Haus und holte mein Handy. „Geh schon ran, mach schon“, flehte ich.
„Sky, was ist los?“
„Keine Zeit für Erklärungen, du musst schnell zu mir nach Hause kommen!“
„Was habt ihr dieses Mal angestellt? Hat sich Ice jetzt den Kopf gestossen, oder was?“ Dad hatte ihr erzählt, dass wir im Haus Football gespielt hatten und ich unglücklicherweise auf den Tisch geknallt war.
„Nein, ich habe meinen Dad bewusstlos geschlagen.“
„Du hast was?“
„Frag nicht, komm einfach.“
„Na gut, ich komme“, sagte sie und legte auf. – Ungeduldig ging ich auf der Auffahrt auf und ab, bis endlich Fly mit ihrem Rad auftauchte. „Wo ist er?“
„Hinten im Garten. Ich weiss nicht, ob ich ihm sonst noch etwas getan habe.“ Ich führte sie zu ihm und sie legte ihm ihre Hand auf die Stirn.
„Ihm wird höllisch der Schädel brummen, wenn er wieder zu sich kommt, sonst fehlt ihm nichts. Am besten, wir bringen ihn erst mal nach drinnen und legen ihn hin.“ Verwandelt wuchtete ich ihn mir auf die Schulter und trug in bis zur Couch. Dort legte ich ihn nieder und machte Fiona Platz. Wieder legte sie ihm die Hand auf die Stirn. Während sie ihm half, loderte ihre Aura auf. Als sie die Hand wieder wegnahm, sagte sie: „Er schläft jetzt, du solltest ihn einfach für eine Weile in Ruhe lassen.“ Schwankend stand sie auf und liess sich dann in einen Sessel fallen.

„Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben?“
„Klar, ich bring dir eins.“ Nachdem ich ihr das Glas Wasser gebracht hatte, liess auch ich mich auf eine Couch fallen.
„Sag schon, wie ist das passiert und was habt ihr mit der Laube angestellt?“ Am besten, ich erzählte ihr alles, von Anfang an.
„Um das zu verstehen, muss ich ein paar Tage zurückgehen. Weisst du, ich habe mich gar nicht am Tisch gestossen, ich wurde niedergeschlagen. Ein alter Freund meiner Eltern ist hier aufgetaucht.“ Ich erzählte ihr die ganze Geschichte, samt Mums Entführung. Auch von der heutigen Ratsversammlung erzählte ich ihr. „Dad wollte nicht, dass jemand davon erfuhr, deshalb hat er diese Geschichte mit dem Football erfunden.“
„Aber wieso war dein Vater bewusstlos?“
„Nach der Versammlung ist er ausgerastet, er hat die ganze Gartenlaube dem Erdboden gleichgemacht, doch dann wollte er auch noch das Haus niederreissen.“
„Dein Vater hat die Laube zerstört?“
„Ja, ich weiss auch nicht, was in ihn gefahren ist. Auf jeden Fall konnte ich doch nicht zulassen, dass er das Haus irgendwie beschädigt. Deshalb habe ich meine Kräfte gegen ihn eingesetzt, nur habe ich dabei etwas übertrieben.“ Fly stellte das leere Glas auf den Tisch.
„Du kannst doch nicht einfach deinen Vater angreifen, wahrscheinlich hättest du jeden anderen sehr schwer verletzt, wenn nicht sogar getötet.“
„Das ist mir vollkommen klar, aber ich musste ihn aufhalten, er hat schon Mums Laube zerstört!“ Bevor ich Fiona noch weiter anbrüllte, beruhigte ich mich wieder, sie hatte ja gar nichts damit zu tun. Sie schien aber schon wütend zu sein.
„Deine Mutter lebt noch, wenn ich dich wäre, würde ich alles dafür tun, sie wieder zu finden! Ich habe nicht die Chance, meine Mutter je wieder zu sehen, aber du schon!“ Sie sprang auf und stürmte aus dem Haus. Verdammt noch mal, jetzt verspürte auch ich die Lust, irgendetwas kurz und klein zu schlagen.

Von dem Lärm war mein Vater aufgewacht.
„Was ist denn hier los, mein Kopf fühlt sich an, als hätte ich damit eine Mauer gerammt“, sagte er und setzte sich auf. „Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder, du hattest mich ja gewarnt.“ Langsam liess er sich wieder zurücksinken und massierte sich mit den Fingern die Schläfen. „Ach übrigens, tut mir leid, dass ich so die Beherrschung verloren habe. Gut, dass du mich aufgehalten hast, ich wüsste nicht, was ich sonst noch angestellt hätte.“
„Mir tut es leid, dass ich dich dabei bewusstlos geschlagen habe.“ Er winkte ab.
„Schon gut, eine Mütze Schlaf, und ich bin wieder wie neu.“ Ich liess ihn weiterschlafen und ging in mein Zimmer. Dort wartete ich, bis die anderen von der Versammlung zurückkamen.

Ice sah nicht gerade zufrieden aus, als er in mein Zimmer kam.
„Und, was hat er beschlossen?“
„Im Grunde weisst du alles schon, die drei Gruppen bestehen aus den besten Kämpfern unseres Viertels. Angeführt werden die Gruppen von Flashlight, Sunwheel und Skynight.“
„Was ist mit unseren Familien?“
„Er hat gesagt, dass er uns da raushalten will und dass wir ohnehin nicht gebraucht würden. Dieser eingebildete, arrogante Schnösel! Wieso hat dein Vater ihm das Kommando überlassen?“ Ich zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen. Hoffentlich weiss er, was er da tut.“ Ice klopfte mir auf die Schulter.
„Er ist immerhin ein Halfmoon.“ Warum dachte eigentlich immer jeder, dass ein Halfmoon alles konnte. Es war zwar wahr, dass alle überaus gute Kämpfer und Strategen waren, ausser mir natürlich, aber deshalb waren wir noch lange keine Götter. Heute war wohl die kürzeste Ratsversammlung gewesen, an der ich je teilgenommen hatte. Wenn das hier alles gut ging, würde ich irgendwann den Rat leiten. Ich hatte zwar nicht unbedingt Lust, einmal den Rat zu leiten, aber trotzdem hoffte ich, dass alles gut ging.



Auf eigene Faust



Da die Planung der Aktion in vollem Gange war, hatten wir eine Woche frei bekommen. Die meisten Schüler wussten gar nicht, in welcher Gefahr sie schwebten, und freuten sich über die Ferien. Normalerweise hätte ich mich auch über ein paar freie Tage gefreut, aber unter diesen Umständen konnte ich das nicht. Die freie Zeit machte das sogar noch schlimmer. Da ich mich nicht auf den Unterricht konzentrieren musste und auch keine Aufgaben mehr hatte, blieb viel Zeit, um über die Entführung von Mum nachzudenken. Am fünften Januar hielt ich diese Untätigkeit nicht mehr länger aus. Shawn hatte mich sogar bis in meine Träume verfolgt, besonders stach mir seine Rune ins Auge. Diese Rune, so eine hatte ich bisher noch nicht gesehen. Sie war sicher keine Rune von uns, denn dann hätte ich sie erkannt, also musste es sich dabei um eine Rune der Dämonen handeln. Immerhin hatte er gesagt, dass die Dämonen sie ihm gegeben hätten. Um ganz sicher zu sein, dass diese Rune nicht doch eine der unseren war, wälzte ich alle Bücher, die ich in unserer Hausbibliothek dazu finden konnte. Die Bücher türmten sich bereits auf meinem Schreibtisch und doch fand ich sie nicht. Jetzt war ich mir vollkommen sicher, dass ich Shawns Rune nicht bei den unseren finden würde. Ich wusste zwar, dass auch manche Dämonen gewisse Runen besassen, aber wie sollte ich herausfinden, zu welchen Dämonen sie gehörten? Schliesslich gab es Tausende. Wütend wischte ich die Bücher von meinem Schreibtisch und erwischte dabei auch das Bild meines Grossvaters. Der Rahmen zersprang und das Glas bekam einen Riss. Als ich die Einzelteile zusammensammelte, fiel ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus dem Rahmen. Ich legte es beiseite, räumte erst die Bücher vom Boden und stapelte sie wieder auf dem Tisch. Den Rahmen konnte ich wohl vergessen, vielleicht konnte ihn mir Ice reparieren oder einen neuen bauen. Damit das Bild nicht beschädigt wurde, räumte ich es in eine Schublade meines Schreibtisches. Was suchte ein Blatt Papier in dem Rahmen? Neugierig faltete ich es auseinander und starrte überrascht auf das Papier. Wenn mich nicht alles täuschte, war das die Handschrift meines Grossvaters. Aber warum versteckte er diesen Brief in einem Bilderrahmen? Grossvaters Handschrift war genauso schön wie die von Ice, nur zum Lesen war sie nicht allzu angenehm. Nach und nach konnte ich seinen Brief dann doch entziffern.

Lieber Sky

Wenn du diesen Brief liest, bin ich wahrscheinlich schon tot. Ich hätte nie damit gerechnet, so früh zu sterben, genauso wenig wie wir alle mit dem Auftauchen der Basilisken gerechnet haben. Meine Verletzungen sind schwerwiegender, als ich zuerst angenommen hatte, und mein Körper wird sich davon nicht mehr erholen. Zu meinem Pech ist bei dem Angriff fast die gesamte Familie Firelight ausgelöscht worden und ihr jüngstes Mitglied ist noch nicht in der Lage, mir zu helfen. Was schreibe ich da, nicht nur ich hätte ihre Hilfe dringend nötig. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit und ich würde nichts lieber tun, als dich aufwachsen zu sehen. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, etwas zu tun, was noch kein Katzendämon vor mir getan hat: ich werde meine gesamte Kraft auf mein Schwert Regulus übertragen. Da es noch niemand vor mir gewagt hat, weiss ich nicht, ob mir das Schwert als Ersatzkörper dienen kann und ob das Schwert meine Energie überhaupt aufnehmen kann. Rein theoretisch sollte es gehen, immerhin bin ich ein halber Dämon. Wenn alles klappt, sollte ich in dem Schwert weiterleben können. Nach meinem letzten Willen solltest du das Schwert an deinem vierzehnten Geburtstag erhalten. Sky, ich habe dir einmal etwas von deiner Energie abgenommen und werde diese so einsetzen, dass nur du das Siegel brechen und das Schwert nutzen kannst. Um seine Kräfte zu aktivieren musst du etwas von deiner Energie in Regulus fliessen lassen. Denk dabei an deine Aura, dehne einfach deine Aura aus, dann wirst du es schaffen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass mein Vorhaben gelingt. Du fragst dich sicher, warum ich dir diesen Brief nicht einfach mit Regulus zusammen hinterlegt habe, aber im Grunde, du weisst doch, dass ich solche Spiele liebe.


Liebe Grüsse, dein Grossvater


PS: Sollte dieser Brief von jemand anderem gefunden werden, ist er unverzüglich an Sky Halfmoon weiterzureichen.


Diesen Brief zu lesen, war, als würde ich seit langer Zeit wieder mit meinem Grossvater sprechen. Ich wischte mir eine Träne aus dem Gesicht und legte den Brief auf den Tisch. Der Inhalt des Briefes war aber fast unglaublich. Konnte es wirklich sein, dass er sich in seinem eigenen Schwert eingeschlossen hatte? Er hatte mir also doch eine Gebrauchsanweisung hinterlassen. Es gab nur einen Weg herauszufinden, ob es mein Grossvater geschafft hatte. Ich zog Regulus aus der Tasche und schloss meine Hand darum. Etwas Energie übertragen, die Aura ausdehnen, hätte er nicht genauer beschreiben können, wie ich das anstellen sollte. Mit geschlossenen Augen machte ich meine eigene Aura ausfindig, was viel schwerer war, als die von jemand anderem zu sehen. Sie umgab mich vollständig, liess aber das Schwert aus. So weit, so gut, aber wie dehnte man seine Aura aus? Ich umschloss das Schwert mit beiden Händen und versuchte die Aura darüber zu ziehen. Doch das funktionierte nicht, wie sollte man auch eine Aura ziehen? Um weiterzukommen, musste ich meine Taktik ändern. Ein Schwert besass schliesslich auch eine Aura. Ich machte die von Regulus ausfindig und behielt gleichzeitig meine im Auge. Es war gar nicht so einfach, zwei verschiedene Auren gleichzeitig im Blick zu behalten. Noch viel schwieriger war es jedoch, die beiden Auren zusammen zu bekommen. Immer wenn ich meine über die von Regulus legen wollte, wich sie zur Seite aus. Nur mit meiner gesamten Willenskraft schaffte ich es, meine Aura mit der des Schwertes zu verbinden. Genau in dem Moment, als sich die Auren verbanden, wurde eine Energie freigesetzt. Nun besass das Schwert zwei Auren und eine fühlte sich wie die eines Katzendämons an.


Sky, endlich hast du mich befreit. All die Jahre mit niemandem reden zu können, war nicht gerade ein Vergnügen.“ Diese Stimme, das war doch Grossvaters Stimme. Irritiert sah ich mich im Zimmer um, doch ich konnte ihn nirgends ausmachen. „Dort suchst du vergebens, ich bin in deinem Kopf.“
„Grossvater?“ Hatte ich jetzt den Verstand verloren, oder war er das wirklich.
Du bist nicht verrückt, mein Plan hat funktioniert. Ich habe es geschafft, meine ganze Energie auf das Schwert zu übertragen. Seit fast sieben Jahren habe ich alles von diesem Schwert aus verfolgt.“
„Du kannst da drin etwas sehen?“ Grossvater?“
„Ach, ich vergass, du kannst mich ja nicht sehen, ich habe eben genickt.“ Sollte das etwa ein Witz sein? „Sky, seit wann bist du denn so griesgrämig?“
„Im Moment ist mir nicht nach Spässen zu Mute.“
„Es ist wegen Victorias Entführung, habe ich recht? Du machst dir schon die ganze Zeit Vorwürfe.“
Woher wusste er das, das konnte doch gar nicht sein. „Ich kenne alle deine Gedanken, schliesslich hast du mich, seit du Regulus hast, immer nahe bei dir getragen.“
„Du hast also seit meinem Geburtstag meine Gedanken verfolgt?“
„Nicht nur deine Gedanken, ich habe auch alles gesehen, was um dich herum passiert ist.“
Da kam mir eine Idee, vielleicht kannte mein Grossvater die Rune in Shawns Gesicht. „Da muss ich dich leider enttäuschen, ich habe mich noch nie sonderlich gut mit Runen ausgekannt.“
„Langsam wird mir das ganze unheimlich, kannst du nur mit mir so reden?“
„Ich weiss es nicht, seit die Barriere aufgehoben ist, habe ich nur dich gesehen.“
Ich legte mich auf mein Bett, behielt aber das Schwert in meiner Hand. Das war wirklich Grossvater, irgendwie konnte ich das gar nicht fassen. Wie konnte so etwas sein? Eigentlich müsste er doch tot sein. „Mein Körper ist tot, aber ich lebe noch. Zumindest so lange, wie dieses Schwert besteht.“


„Sky, kommst du mit in die Schule, ich will ein paar Bücher aus der Bibliothek ausleihen.“ Das war die Gelegenheit, so konnte ich gleich in der Schulbibliothek nach einem Buch mit der Rune suchen.
„Ich komme mit, ich muss selbst noch ein paar Bücher haben.“ Nebeneinander gingen wir die Treppe hinunter.
„Ice ist wirklich auch ziemlich gewachsen, aber früher war er immer grösser als du.“
„Hast du gerade irgendetwas gesagt?“ Dann war ich also wirklich nicht verrückt und Grossvater steckte tatsächlich in diesem Schwert.
„Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht verrückt bist. Ice, wenn Sky mich nicht vorstellen will, dann werde ich es eben selbst machen. Du erinnerst dich sicher noch an mich, ich bin Sky Halfmoon, Skys Grossvater.“ Ice blieb abrupt auf der Treppe stehen und starrte mich an.
„Wie zum Teufel machst du das, wie kommst du in meinen Kopf? Ich finde das überhaupt nicht lustig, also hör auf mit dem Blödsinn.“
„Ich bin das nicht, es ist wirklich Grossvater.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mich an.
„Willst du mich auf den Arm nehmen, dein Grossvater ist tot.“
„Warte hier, ich bin gleich wieder da.“ Ich rannte zurück in mein Zimmer und schnappte mir den Brief. Vielleicht würde er mir glauben, wenn er den Brief gelesen hat. „Hier, lies den“, sagte ich und reichte ihm den Brief. Während er den Brief las, wanderten seine Augenbrauen immer weiter nach oben.
„Wo hast du den gefunden?“
„In dem Bilderrahmen, in dem das Fotos meines Grossvaters und mir war. Apropos Bilderrahmen, leider ist er dabei in Mitleidenschaft gezogen worden. Wenn du ihn dir später mal ansehen könntest.“
„Klar, aber ist er wirklich in deinem Schwert?“ Ich nickte und reichte es ihm.
„Glaubt ihr mir jetzt endlich, ich bin es wirklich. Es ist ziemlich anstrengend, so lange mit euch zu reden.“
„Wie meint er das, es ist anstrengend?“
„Ich brauche sehr viel Energie, um euch meine Gedanken zu zeigen. Lasst mich eine Weile schlafen, dann bin ich wieder ausgeruht.“ Die Aura meines Grossvaters wurde schwächer, bis sie kaum noch wahrnehmbar war. Ice gab mir das Schwert und den Brief wieder zurück.

„Unglaublich, das eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Stell dir mal vor, so können Katzendämonen, die kurz vor dem Tod sind, in einer Waffe weiterleben. Vielleicht ist es sogar möglich, eine Art Roboter zu bauen.“ Jetzt war er wieder vollkommen in seinem Element.
„Ich weiss nicht, Ice, würdest du wirklich in einer Waffe weiterleben wollen? Ausserdem ist es doch gar nicht klar, ob das auch wieder funktionieren würde“, sagte ich und steckte den Brief und das Schwert in meine Tasche.
„Es ist auf jeden Fall eine grossartige Erkenntnis, so etwas hat es noch nie zuvor gegeben.“
„Eine Frage, warum hast du laut mit ihm gesprochen?“ Er sah mich fragend an.
„Wie meinst du das?“
„Ganz einfach, er kann alle meine Gedanken lesen und so kann ich auch mit ihm reden.“ Ice schüttelte den Kopf.
„Bei mir ist das nicht möglich, ich konnte ihn zwar hören, aber nur mit Gedanken konnte ich nicht mit ihm reden.“
„Wahrscheinlich liegt das daran, dass auch nur ich alleine das Schwert gebrauchen kann, da nur mit meiner Aura die Barriere gebrochen werden kann, die er als Sicherheit eingebaut hat.“
„Könnte sein, sag mir Bescheid, wenn er sich ausgeruht hat. Ich muss unbedingt mehr davon erfahren.“ Die Sache hatte sein volles Interesse geweckt, so schnell würde er nicht mehr davon abweichen. Dad und Grossmutter würden wahrscheinlich auch sehr daran interessiert sein, immerhin konnten sie so wieder mit ihm reden.


„Lass uns jetzt endlich losfahren.“ Ich schnappte mir meine Winterjacke und den Rucksack und schob schon mal mein Rad aus der Garage. Besonders oft benutzen wir unsere Räder nicht, deshalb sahen sie auch noch aus wie neu. Mein Fahrrad war schlicht und einfach schwarz, Ice hatte natürlich ein knall-oranges aussuchen müssen. Auch seine Winterjacke war nicht gerade unauffällig; in dem Neongelb erkannte man ihn schon von weitem. Ich würde mich wohl nie an seinen farbenfrohen Stil gewöhnen. Auf den Rädern brauchten wir eine halbe Stunde bis zur Schule. Dort gingen wir gleich in die Schulbibliothek. Diese war einfach riesig und es gab eine ganze Menge Bücher, von Büchern, die Menschen geschrieben hatten und zur Unterhaltung dienten, bis zu den dicksten Wälzern der Dämonologie. Ausser der Bibliothekarin konnte ich niemanden sehen. Ice steuerte natürlich gleich auf die Abteilung mit den technologischen Büchern zu. Ich hatte diese Bibliothek so gut wie nie betreten, nur ab und zu hatte ich in ein paar Büchern gelesen, die Menschen geschrieben hatten. Manches Mal hatte ich mich darüber amüsiert, wie sich die Menschen meine Welt vorstellten. Wie sie sich die verrücktesten Geschichten ausdachten, eine Zauberschule, Drachenreiter, Vampire und Werwölfe. Alles vollkommener Humbug, nichts von dem existierte so, wie sie es sich vorstellten. Vampire und Werwölfe waren beides Dämonen, die von Menschen Besitz ergriffen hatten. Es waren keinesfalls friedfertige Wesen. Um sie loszuwerden, musste man entweder den Menschen töten, der die Dämonen beherbergte, oder man trieb sie ihm aus. Knoblauch und Silber konnte man dabei aber vergessen, damit würde man rein gar nichts erreichen. Weihwasser war da schon besser geeignet, aber am besten war es, sie mit seiner eigenen Aura aus dem Körper zu zwingen.


Weil ich keine Ahnung hatte, wo ich die Abteilung der Runen fand, fragte ich die Bibliothekarin.
„Entschuldigen Sie bitte, aber wo finde ich die Abteilung mit den Büchern über Runen?“
„Ganz hinten links, dort solltest du alles finden, was dein Herz begehrt.“
„Vielen Dank!“ Wirklich, in der hintersten Ecke der Bibliothek fand ich die Runen. Alle Bücher, die von den Runen der Katzendämonen handelten, liess ich links liegen, und so blieben nur noch ein paar wenige Bücher übrig. Ich begab mich mit dem Stapel Bücher in der Hand zu der Leseecke mit den gemütlichen Sesseln. Dort hatte ich die meisten Bücher gelesen, weil das mein Vater nur für Zeitverschwendung gehalten hatte. Die Bücher liess ich auf den Tisch vor mir fallen und begann in dem ersten Buch auf dem Stapel zu blättern. Wenigstens hatten die Bücher über Runen sehr viele Bilder, und so blieb es mir erspart, alles zu lesen. Trotzdem konnte ich in den ersten drei Büchern nichts finden und es blieb nur noch eines übrig.
„Ah, hier steckst du, ich habe dich schon überall gesucht. Brauchst du noch lange? Ich habe meine Bücher gefunden.“
„Wenn du willst, kannst du schon mal vorgehen, ich muss noch dieses Buch hier durchsehen.“
„Was suchst du denn überhaupt?“
„Ach weisst du, ich interessiere mich nur für die Runen und suche nach dem richtigen Buch.“
„Wenn das da das letzte ist, lese ich so lange noch.“
„O.k., ich beeil mich.“ Ice machte es sich in einem der Sessel bequem und fing an, ein dickes Buch über Speichermöglichkeiten für Dämonenkräfte zu lesen. Ich nahm mir noch das letzte Buch vor, das in Frage kommen könnte. Als ich schon langsam die Hoffnung verlor, entdeckte ich die Rune dann doch noch. Fast auf der letzen Seite des Buches war sie abgebildet. Am liebsten hätte ich jetzt auf der Stelle das Buch gelesen, aber ich wollte Ice nicht noch länger warten lassen.
„Wir können gehen, ich habe das Buch gefunden.“
„Zeig mal her, wonach hast du denn so lange gesucht?“ Ice sah sich den Titel des Buches an.
„’Die Kultur der Kobolde’, von Victoria Snowflake. Ich wusste gar nicht, dass Victoria ein Buch geschrieben hat.“ Mir war der Titel bis jetzt auch nicht aufgefallen, und dass Mum ein Buch geschrieben haben soll, hatte ich auch nicht gewusst.
„Was für ein Zufall, das ist mir ja gar nicht aufgefallen!“ Wir leihten die Bücher aus und machten uns dann wieder auf den Rückweg.


„Willst du nachher deinem Vater von Grossvater erzählen?“ Eigentlich hatte ich ja das Buch lesen wollen, aber Ice hatte recht, meinem Dad musste ich irgendwann von Grossvater erzählen.
„Ist keine schlechte Idee, bis dann sollte er sich genügend ausgeruht haben.“ Die Fahrräder stellten wir wieder in die Garage und dann suchte ich Dad. Ich fand ihn schliesslich im Garten, er war gerade dabei, die Laube wieder aufzubauen. Das zerstörte Holz hatte er bereits beiseite geschafft und schnitt jetzt die neuen Bretter zu. „Dad, hast du mal eine Minute für mich Zeit!“, rief ich, um den Lärm der Maschine zu übertönen. Er legte das Brett beiseite und stellte die Maschine ab.
„Was hast du gesagt?“
„Ob du eine Minute Zeit für mich hast.“
„Klar, schiess los“, sagte er und schob die Schutzbrille hoch.
„Grossvater, kannst du mich hören?“ Seine Aura nahm wieder zu, sie war jetzt wieder deutlich wahrzunehmen. Dad sah sich erstaunt um, er schien seine Aura auch wahrzunehmen. Ich nahm das Schwert aus der Tasche und hielt es meinem Vater entgegen. Erstaunt nahm er das Schwert und starrte es an.
„Samuel, du reparierst die Laube wieder, weisst du noch, wie ich dir früher dabei geholfen habe?“
„Dad, bist du das?“
„Ja mein Sohn, dieses Mal hat es sie aber wirklich schlimm erwischt. Leider kann ich dir nicht mehr helfen, es sei denn, du brauchst ein Schwert.“
„Sky, wie ist das möglich, wie kann es sein, dass ich Vaters Aura in diesem Schwert spüre?“ Ich reichte ihm den Brief. „Verstehe, er hat seine Energie auf das Schwert übertragen. Hat jemand davon gewusst?“
„Bloom – schliesslich musste jemand den Brief im Bilderrahmen verstecken.“
„Mum wusste davon, aber warum habt ihr nie etwas gesagt?“
„Weisst du, Sam, Sky musste das alleine herausfinden. Ausserdem wussten wir bis heute nicht, ob es wirklich funktionieren würde.“
„Das glaube ich einfach nicht, du hast sieben Jahre lang alles von diesem Schwert aus beobachtet?“
„Ja, und das werde ich auch weiterhin tun, ich werde Sky beobachten.“
„Du willst ihm Ratschläge erteilen?“
„Im Grunde werde ich ihn einfach weiter beobachten und mich soweit raushalten. Ab und zu ein nettes Gespräch, das ist auch schon alles. Denn ich finde, bis jetzt hat er seine Sache ganz gut gemacht.“
„Nur um ihn zu beobachten, hast du das ausprobiert? Ich verstehe“, sagte mein Vater und lächelte.
„Was ist denn jetzt in ihn gefahren?“
„Ach weisst du, Sky, er freut sich ganz einfach, dass jemand auf dich aufpasst.“
Dad gab mir das Schwert wieder zurück.
„Pass gut darauf auf, immerhin lebt jetzt dein Grossvater da drin.“
„Ich werde jetzt wieder weiterschlafen, ruf mich, wenn du mich brauchen solltest.“ Die Aura schrumpfte wieder zusammen und ich verstaute ihn in meiner Tasche. Ich sollte mir mal etwas überlegen, wie ich ihn am besten mit mir herumtrug, denn schliesslich konnte er in der Tasche ja nichts sehen.
„Deine Mum würde sich sicher auch darüber freuen, wenn sie wieder einmal mit ihm reden könnte, die beiden haben sich gut verstanden. Weisst du, was sie auch freuen würde, wenn die Laube steht, wenn sie wieder kommt.“ Wie konnte er nur so optimistisch sein! Mum würde sicher nicht von ganz alleine zurückkommen.
„Na gut, ich helfe dir ein wenig.“ So arbeitete ich den ganzen Nachmittag mit ihm zusammen an der Laube, und am Abend hatten wir schon ein gutes Stück geschafft. Erst dann kam ich endlich dazu, das Buch zu lesen. Es interessierte mich eigentlich nur die Stelle mit der Rune und deshalb fing ich auch gleich dort an zu lesen.


Auch die Kobolde verfügen über eine Runenschrift, diese unterscheidet sich jedoch stark von der unsrigen. Sie haben mit den Jahren ihre vollkommen eigene Schrift entwickelt. Die Runen sind bei ihnen auch im Alltag zu finden, z.B. wird der jeweilige Rang durch eine Rune verdeutlicht. Davon gibt es insgesamt drei. Beginnend mit dem untersten Rang, dem gemeinen Volk, dem ist überhaupt keine Rune zugesprochen. Weiter geht es mit den wenigen Kobolden, die das Volk überwachen. Sie tragen eine Rune auf der rechten Schulter. Als letztes gibt es den Anführer, er ist der alleinige Herrscher der Kobolde. Er bestimmt ihr Verhalten. Regiert ein gutmütiger Kobold sein Volk, treiben sie weniger Schabernack. Der jeweilige König wird durch einen Kampf ermittelt. Der Gewinner übernimmt so lange den Posten, bis er von einem anderen Kobold besiegt wird. Der König trägt die Rune über dem linken Auge.


Weiter musste ich gar nicht lesen, das hier reichte vollkommen aus. Shawn war tatsächlich der Anführer der Kobolde geworden. Eines verstand ich jedoch nicht, wer war dann Delwowar, von dem hatten die Kobolde doch die ganze Zeit gesprochen. Es gab aber keinen Zweifel daran, dass Shawn die Rune des Kobolden-Anführers trug. Wenn das wirklich alles stimmte, dann könnte er Mum bei den Kobolden festhalten. Irgendwo in diesem Buch musste doch stehen, wo sich das Versteck der Kobolde befand. Gespannt schaute ich im Inhaltsverzeichnis nach und tatsächlich, ich fand es. Schnell blätterte ich auf die angegebene Seite und überflog den Text. Der Eingang zum Reich der Kobolde befand sich unter dem Manhattan Town Center, einem der grössten Einkaufszentren in Manhattan. Unter einem Einkaufszentrum, naja, es würde wohl stimmen, was da stand. Die Kobolde lebten in der Kanalisation, was für eine Überraschung! Langsam, aber sicher nahm ein Plan in meinem Kopf Gestalt an. Auch wenn die Chance sehr gering war, dass Mum tatsächlich bei den Kobolden war, musste ich das doch herausfinden. Fly hatte vollkommen recht, ich musste alles tun, um sie zu finden. Jetzt hatte ich eine Spur, und die musste ich verfolgen. Dad wäre sicher nicht begeistert von dieser Idee, also war es am besten, wenn er erst gar nichts davon erfuhr. Ich informierte mich noch genau darüber, wie genau man ins Reich der Kobolde kam. Im Grunde war das ziemlich einfach, man musste nur einen Kanaldeckel wegschieben und hinunter in die Kanalisation gelangen. Von dort aus würde jeder, der durch den Schleier sehen konnte, zu den Kobolden finden. So einfach, wie das hier beschrieben war, würde es sicher nicht werden, immerhin würde es dort nur so von Kobolden wimmeln.


Bevor ich mir Gedanken darüber machte, wie ich an den Kobolden vorbeikam, musste ich mir zuerst mal überlegen, wie ich an den eigenen Leuten vorbeikam. Die Grenzen wurden jetzt noch viel strenger bewacht, und jeder der sie überqueren wollte, brauchte eine Genehmigung. Den Schülern war es strengstens verboten worden, das Viertel zu verlassen. Das war doch einfach nicht zu fassen, ich konnte nicht mal das Viertel verlassen! Frustriert schlug ich das Buch zu. Scar krächzte fragend und flog von ihrem Käfig auf meine Schulter.
„Du könntest ganz einfach über die Grenze hinweg fliegen, so weit oben, dass dich keiner bemerken würde. Moment mal, das ist die Lösung!“, rief ich und sprang auf. Um nicht von meiner Schulter zu fallen, schlug sie wie verrückt mit den Flügeln und krächzte protestierend. „Scar, du bist die Lösung, wenn du dich verwandelst, dann kannst du mit mir ganz einfach über die Grenze fliegen.“ Irgendwie musste ich sie doch dazu bringen, sich in den Kuh-Modus zu begeben. Hier drinnen mit ihr zu üben war aber keine gute Idee, deshalb ging ich raus in den Garten. Dad und Ices Eltern waren an einer Versammlung und Ice war sicher sehr mit seinen Erfindungen beschäftigt und würde nichts bemerken. Ich setzte Scar vor mir auf den Boden ab und ging ein paar Schritte zurück. Sie flog sofort wieder auf meine Schulter. „Nein, bleib dort sitzen!“, befahl ich ihr. Erst beim fünften Versuch blieb sie schliesslich an Ort und Stelle sitzen. „Gut, braver Rabe.“ Was redete ich da für einen Schwachsinn, Scar war schliesslich kein Hund. Ich musste das ganz anders angehen, sonst würde das nichts werden. Mit meiner Aura hatte ich es bisher schon geschafft, ihr mitzuteilen, wohin sie fliegen sollte. Dann musste es doch auch gehen, dass sie sich verwandelte. Ich ging vor ihr in die Hocke und konzentrierte mich auf ihre Aura. Ihre Aura war nicht gerade umwerfend, im Moment war sie mehr ein Rabe als ein Dämon. Vielleicht verwandelte sie sich, wenn ich es auch tat. Langsam liess ich meine Aura an Kraft gewinnen, und wie ich es mir gedacht hatte, nahm auch ihre zu. Als ich mich dann vollkommen verwandelt hatte, fing sie an zu wachsen. „Genau das wollte ich, sehr gut, Scar!“ Auch wenn ich mich dazu verwandeln musste, so würde es gehen. Wenn wir hoch genug flogen, würden sie die Aura nicht weiter wahrnehmen. Der erste Teil war geglückt, jetzt musste ich noch auf ihren Rücken steigen und sie zum Fliegen bringen. „Na gut, jetzt tauschen wir mal die Plätze, klar? Ich setze mich jetzt auf deine Schulter.“ Ich hatte keine Ahnung, ob sie mich verstanden hatte, aber immerhin blieb sie ruhig stehen, als ich auf ihren Rücken kletterte und mich irgendwie dort festhielt. Sie erstarrte, als ich ihr die Arme um den Hals schlang. Wahrscheinlich erinnerte sie sich daran, wie ich sie damals fast erwürgt hatte. „Keine Angst, ich tue dir nichts. Entspann dich und flieg los!“ Wie ich ihr schon ein paarmal Anweisungen gegeben hatte, wohin sie fliegen sollte, tat ich das auch jetzt wieder. Nach kurzem Zögern fing sie an, mit den Flügeln zu schlagen. Um beim Start nicht von ihrem Rücken zu fallen, musste ich mich ziemlich anstrengen. Erst als sie etwas an Höhe gewonnen hatte und waagrecht durch den Himmel glitt, konnte ich mich etwas entspannen. Ich hatte ihr befohlen, einfach über dem Haus zu kreisen.


Unglaublich, ich hätte mir nie gedacht, dass ich einmal fliegen würde. Scar schien es nach einer Weile sogar zu geniessen, mit mir zu fliegen, mein Gewicht machte ihr anscheinend nichts aus. Ein paar Runden liess ich sie noch fliegen und dann befahl ich ihr, wieder zu landen. Vorsichtig liess ich mich von ihrem Rücken gleiten und verwandelte mich zurück. Kaum hatte ich mich zurückverwandelt, schrumpfte auch Scar wieder auf ihre normale Grösse zusammen. „Komm her, du hast dir jetzt ein paar Extra-Körner verdient.“ Ich liess sie auf meiner Schulter landen und ging mit ihr wieder zurück ins Haus. Gut, so würde ich das Viertel verlassen können, ohne das es jemand mitbekam. Als nächstes musste ich meine Ausrüstung zusammensuchen. Ohne richtige Vorbereitung würde ich dort ziemlich aufgeschmissen sein. Jetzt war die Gelegenheit günstig, die Ausrüstung in mein Zimmer zu bekommen, ohne dass Dad Wind davon bekam und unangenehme Fragen stellen konnte. Ich gab Scar die versprochenen Körner und ging dann nach unten, um unserem Lagerraum einen Besuch abzustatten. Ganz sicher würde ich meine Uniform brauchen, sie nahm ich als erstes heraus. Weiter nahm ich ein Medizinset und ein paar zusätzliche Waffen aus dem Schrank. Sonst kam mir nichts mehr in den Sinn, was ich noch hätte gebrauchen können. Angestrengt dachte ich nach, was brauchte man gegen eine Horde von Kobolden? Fallen und dergleichen würden mir nicht viel nützen. Ich kannte mich damit einfach nicht aus und mit Sprengkapseln wollte ich nicht herumexperimentieren. Mein Funkgerät konnte ich nicht mitnehmen, das würden sie in null Komma nichts geortet haben. In einer Ecke entdeckte ich noch ein Seil, und Seile konnte man schliesslich immer gebrauchen. Also nahm ich es mit. Für den Fall, dass ich irgendwo übernachten musste, steckte ich auch noch einen Minischlafsack und eine Tagesration ein. Die ganze Ausrüstung hatte in vier Gürteltaschen Platz, und ich fragte mich, ob das ausreichte.


Gerade als ich wieder nach oben gehen wollte, fiel mir auf, dass die Uniform nicht gerade unauffällig war. Der silberne Glanz würde selbst im Dunkeln leicht zu erkennen sein. Ich schaute mich im Lager nach einer Möglichkeit um, das silberne Glitzern zu verbergen, und fand ein paar schwarze Kapuzenumhänge. Perfekt, die kamen jetzt wie gerufen, dachte ich. Kurzerhand schnappte ich mir einen und brachte alles in mein Zimmer. Dort versteckte ich das ganze Zeug in meinem Kleiderschrank. Inzwischen war es schon ziemlich spät geworden und ich hielt es für keine gute Idee, jetzt noch aufzubrechen. Bis morgen Abend musste ich mich noch gedulden, dann würde ich aufbrechen und Mum suchen.
„Das ist viel zu gefährlich, Sky, und du bist nicht einmal sicher, dass sie wirklich dort ist.“
„Grossvater, hast du etwa die ganze Zeit meine Gedanken gelesen?“
„Nein, aber genug Zeit, um zu merken, was du vorhast.“
Es war zwar schön, dass er wieder da war, aber dass er meine Gedanken lesen konnte, war weniger praktisch.
„Damit musst du leben und als dein Grossvater verbiete ich dir diese Aktion.“
„Tut mir leid Grossvater, aber du kannst mich nicht aufhalten, ich habe mich längst dazu entschieden.“
„Sky, dass lasse ich nicht zu! Ich werde deinem Vater sagen, das er dich ja nicht gehen lässt.“
Dazu durfte ich ihm keine Gelegenheit geben, wenn er nicht in Dads Nähe kam, konnte er ihm auch nichts sagen. „Wage es ja nicht!“ Auch wenn ich mir dabei irgendwie schäbig vorkam, legte ich das Schwert in meine Schreibtischschublade. Dann entfernte ich mich immer weiter davon. „Hol mich sofort hier raus! Dir sollte man die Ohren langziehen! Sky, komm sofort her, Sky, Sk…“ Die Stimme in meinem Kopf riss ab, als ich meine Aura möglichst gering hielt und gut drei Meter entfernt auf meinem Bett lag. Ich wusste, dass er mich noch hören konnte.
„Tut mir wirklich leid, Grossvater, aber es ist zu deinem Besten; du bleibst so lange da drin, bis ich aufbreche.“ Jetzt würde ich mir eine Mütze Schlaf holen. In den letzten Tagen hatte ich ja nicht sonderlich gut geschlafen und es war sicher besser, wenn ich ausgeruht aufbrach.


Ich wachte erst um drei Uhr nachmittags auf, was aber nicht weiter tragisch war, da ich sowieso erst am Abend aufbrechen konnte. Niemand hatte mich geweckt, da wir frei hatten. Um etwas Essbares in der Küche zu suchen, machte ich mich auf den Weg nach unten, und als ich an der Schublade vorbeikam, konnte mein Grossvater für ein paar Sekunden sprechen.
„Ich warne dich, Sky! Ich schneide dir deinen Schreibtisch auseinander. Hörst du mir überhaupt zu, Sk…“
„Mach, was du willst, ich habe nichts Wertvolles da drin.“ Trotzdem hoffte ich, dass das nur eine leere Drohung gewesen war, denn ich hatte keine Lust, meinem Vater zu erklären, warum mein Schreibtisch in Stücke gesägt worden war. Da Mum nicht da war, gab es auch kein Rührei zum Frühstück und ich musste mich mit einer Schüssel Cornflakes zufriedengeben. Eigentlich hätte ich mir auch selbst eines machen können, aber dazu hatte ich dann auch wieder keine Lust. Ich verstand nicht, warum Ice so scharf auf die Dinger war, mir schmeckten sie nicht so wirklich.


„Hey, Sky, bist du auch endlich aufgestanden?“
„Ja, aber was sollte ich denn sonst machen? Einfach nur so rumzusitzen macht mich noch wahnsinnig.“ Ice holte einen Basketball hinter seinem Rücken hervor.
„Wie wäre es dann mit einem kleinen Match?“
„Na gut, wenn du unbedingt verlieren willst“, sagte ich und nahm ihm den Ball ab. Ich verpasste Ice eine saftige Abreibung, zwanzig zu null.
„Ich dachte, nachdem du eine Weile nicht mehr gespielt hast, hätte ich eine Chance gegen dich.“
„Falsch gedacht, Cousin, ich hab zwar schon eine Weile nicht mehr gespielt, aber trainiert habe ich trotzdem.“ Dads Training hatte schon etwas gebracht, so viel Ausdauer hatte ich noch nie gehabt. Aber ich wusste, dass Ice auch nicht wirklich gespielt hatte. Zwanzig zu null zu verlieren, das war sogar unter seinem Niveau. Er wollte mich wahrscheinlich nur aufheitern, und das war ihm gelungen. Ausserdem hatte ich dadurch wieder etwas Zeit herumgebracht.
„Am achten Januar haben sie die Angriffe geplant, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Unsere Familien sollen die Leitung der Grenzüberwachung übernehmen für den Fall eines Gegenangriffs. Nur die Schüler ab der zweiten Klasse dürfen daran teilnehmen, wir übrigen müssen in der Schule warten.“ Ice schien der Gedanke gar nicht zu gefallen. „Aber genug davon, lass uns wieder die Freizeit geniessen!“ Ice hatte recht, ich konnte sowieso nichts anderes tun, deshalb konnten wir ruhig noch mal entspannen. So ging die Zeit bis zum Abend viel schneller vorbei. Ungeduldig wartete ich darauf, dass alle schlafen gingen. Die Ausrüstung trug ich bereits, und wie ich herausfand, war der Umhang nicht einfach ein Umhang. Er musste aus einem speziellen Material bestehen, denn mit ihm verschmolz man fast mit der Dunkelheit.


Grossvater hatte ich wieder aus der Schublade befreit und trug ihn jetzt wie ein Anhänger um den Hals.
„Du willst das also wirklich durchziehen! Ich sehe schon, du bist genau so stur wie mein Sohn. Es bringt nichts, wenn man mit dir redet, also werde ich jetzt einfach ein Schläfchen halten. In der Schublade war es ja nicht gerade angenehm.“ Wie es schien, hatte er sich jetzt damit abgefunden. Lautlos war ich aus meinem Fenster in den Garten hinuntergesprungen. Scar flog mir hinterher und landete auf meiner Schulter. Ich ging etwas weiter nach vorne, damit sie genügend Platz hatte.
„Komm schon, Scar, genau wie gestern, ja?“ Wieder konzentrierte ich mich auf ihre Aura und verwandelte mich. Zum Glück klappte es auch dieses Mal. Gerade als ich auf ihren Rücken steigen wollte, sagte jemand etwas.


„Du wolltest also tatsächlich alleine gehen, dabei bist du doch so vollkommen aufgeschmissen.“ Erschrocken fuhr ich herum.
„Ice?“
„An wen hast du denn sonst gedacht?“, fragte er und strich die Kapuze zurück. „Ausserdem habe ich noch jemanden mitgebracht“, sagte er und deutete neben sich. Erst als auch Fiona ihre Kapuze zurückstrich, konnte ich sie sehen. Wo kamen sie so plötzlich her und woher hatten sie diese Umhänge?
„Was macht ihr hier?“
„Das Selbe könnten wir dich fragen“, konterte Fly.
„Wir wissen genau, was du vorhast, ich habe dich gestern den ganzen Tag beobachtet. Aber du warst ja so beschäftigt, dass du das gar nicht gemerkt hast. Bei so einem Vorhaben können wir dich doch nicht alleine gehen lassen.“ Wie hatte ich nur so unaufmerksam sein können? Wenn mein Dad mich erwischt hätte!
„Ice hat mir alles erzählt und da ihr ja andauend in Schwierigkeiten steckt, habe ich mich entschlossen, euch zu begleiten. Wer sonst flickt euch wieder zusammen, wenn ihr euch verletzt?“ Die beiden meinten das wirklich ernst, ich musste sie irgendwie davon überzeugen, dass das viel zu gefährlich war.
„Ihr könnt mich nicht begleiten, das muss ich alleine machen. Ausserdem weiss ich nicht, ob uns Scar alle tragen kann.“
„Alles nur Ausreden, Sky, ich gehöre auch zur Familie und Scar schafft das schon.“
„Und ich gehöre zum Team und eine Medizinerin sollte man immer dabei haben.“ Im Grunde hatten sie recht, ohne ihre Hilfe war ich ziemlich aufgeschmissen. Ich wurde sie ohnehin nicht los, und bevor uns Dad doch noch erwischte, sollten wir lieber aufbrechen.
„Na gut, wenn ihr unbedingt wollt, dann begleitet mich. Aber beeilt euch, sonst erwischt uns noch jemand!“ Zu dritt sich auf Scars Rücken festzuhalten, war gar nicht so einfach. Als sie sich in den Himmel hochschraubte, wurde ich von Fiona und Ice fast von ihrem Rücken gerissen. Ich klammerte mich an Scar fest, Fly an mir und Ice an Fly. Dieses Mal befahl ich ihr, viel höher hinauf zu fliegen, ehe sie waagrecht weiterfliegen sollte. Wir konnten uns erst entspannen, als sie ruhig durch die Luft glitt. Wenn mein Vater nichts unternahm, dann musste ich eben selbst etwas unternehmen. Jetzt würde ich auf eigene Faust versuchen, Mum zurückzuholen.



Im Untergrund



Nachdem wir die Grenze des Viertels überflogen hatten, versuchte ich zu erkennen, wo genau wir uns befanden. Nur war das gar nicht so einfach. Erstens war es mitten in der Nacht und neblig – trotz meiner Katzenaugen konnte ich so nicht alles genau erkennen –, zweitens war es etwas ganz anderes, wenn man sich von der Luft aus orientieren musste. Ich hatte die Strecke zwar schon mit dem Auto zurückgelegt, aber geflogen war ich sie noch nie.
„Sky, wir fliegen in die falsche Richtung, wir müssen nach Osten“, brüllte Ice zu mir nach vorne. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, in welche Himmelsrichtung wir gerade flogen. Überhaupt hatte ich gar keine Ahnung, in welcher Richtung Osten war.
„Wo ist Osten?“, brüllte ich zurück.
„Du musst dich rechts halten“, kam die Antwort. Ich lenkte Scar in die angegebene Richtung. Nach einer Weile rief er wieder etwas. „Jetzt musst du etwas mehr nach links und dann einfach noch geradeaus, dann müssten wir gleich dort ankommen.“ Ice hatte recht, es ging nicht lange und das Manhattan Town Center tauchte unter uns auf. Das war ja wieder eine tolle Leistung von mir, ohne ihn wäre ich wahrscheinlich noch die ganze Nacht über Manhattan gekreist. Ich hätte vorher eine Karte studieren sollen. Ob das dann so gut rausgekommen wäre, wusste ich nicht. Mit Karten hatte ich mich noch nie sonderlich ausgekannt.

Scar liess ich an einer Stelle landen, an der die Strassenlampen nicht so stark leuchteten und uns niemand entdeckte, falls überhaupt jemand um diese Zeit noch unterwegs war. Sobald wir von ihrem Rücken gesprungen waren, schrumpfte sie wieder auf ihre normale Grösse und ruhte sich auf meiner Schulter aus.
„Wie hast du gewusst, wohin wir fliegen mussten?“ Mit einem breiten Grinsen zeigte er mir das Gerät an seinem Handgelenk.
„Mit Hilfe dieses praktischen Geräts. Ich habe vorsorglich eine Karte von ganz Manhattan hier drauf gespeichert, ausserdem verfügt das Teil über einen Kompass.“ Wenn ich mich recht erinnerte, war das einmal seine Uhr gewesen. Mich erstaunte es immer wieder, wie er aus solchen Sachen ganz einfach neue Geräte baute.
„Dann kannst du mir ja sicher auch sagen, wo sich der nächste Einstieg zu Kanalisation befindet.“
„Dazu brauche ich keine technischen Hilfsmittel, der befindet sich gleich dort drüben“, sagte er und zeigte auf einen etwa zwanzig Meter entfernten Kanaldeckel. Ich verdrehte die Augen, was er aber nicht sah, und ging auf den Kanaldeckel zu. Normalerweise benutze man ein Stemmeisen, um solche Deckel zu öffnen. So eines hatte ich natürlich nicht dabei. „Brauchst du so eines?“, fragte mich Ice und hielt mir ein Mini-Stemmeisen unter die Nase. Warum hatte er nur an alles gedacht und ich nicht? Sein Angebot anzunehmen, war ich dann doch zu stolz.
„Nicht nötig, das kriege ich auch so hin.“ Meine Finger schob ich in die Löcher und zog. Das erste Mal passierte rein gar nichts, ich hatte das Teil wohl unterschätzt. Beim zweiten Versuch legte ich etwas mehr Kraft rein und da bewegte er sich. Der Deckel musste mindestens fünfzig Kilo wiegen. Ich hob in hoch und schob ihn dann beiseite. „Siehst du, hat doch einwandfrei geklappt“, sagte ich zu Ice und rieb meine schmerzenden Finger. „Klettert schon runter, ich schiebe am Schluss den Deckel wieder zu.“ Ice liess sich als Erster in den Schacht hineingleiten und Fly folgte ihm.

Bevor ich mich ebenfalls auf den Weg nach unten machte, schickte ich Scar zurück nach Hause. „Das hier ist nichts für dich, da unten ist es viel zu eng. Flieg zurück nach Hause und pass auf, dass du nicht abgeschossen wirst.“ Sie musterte mich kurz und flog dann los.
„Sky, wo bleibst du denn?“
„Ich komme schon“, rief ich nach unten und kletterte in den Schacht hinein. Ich stütze mich mit den Füssen an den Seiten des Schachtes ab und schob den Kanaldeckel zurück an seinen Platz. Gerade rosig duftete es hier unten ja nicht, aber was hatte ich erwartet, wir befanden uns schliesslich in der Kanalisation. Als ich mich die letzten Zentimeter hinunterfallen liess, landete ich zu meinem Erstaunen im Trockenen. Plötzlich blitzte ein Licht auf und ich musste meine Augen schützen. Ice hatte das Licht eingeschaltet, er trug eine Stirnlampe. „Hättest du uns nicht vorher warnen können?“, beschwerte sich Fly. Nachdem ich mich an das Licht gewöhnt hatte, sah ich mich um. Der Gang, in dem wir gelandet waren, war gerade so hoch, dass wir aufrecht stehen konnten. Das Abwasser floss in einer Rinne an uns vorbei, deshalb waren wir nicht nass geworden. Uns blieben genau zwei Möglichkeiten, in welche Richtung wir gehen konnten, entweder links oder rechts. Auf beiden Seiten waren keine weiteren Abzweigungen zu sehen.
„In welche Richtung sollen wir gehen?“, fragte mich Ice. Ich schaute nach links und nach rechts, doch wieder hatte ich keine Ahnung, wo es langging. „Was ist jetzt, links oder rechts?“
„Etwas Geduld, ich versuch gerade, das herauszufinden.“ In beiden Richtungen suchte ich nach einer Aura, die mir den richtigen Weg verraten würde. Rechts nahm ich überhaupt nichts wahr, doch in der anderen Richtung war irgendetwas. „Wir gehen hier entlang“, entschied ich und bog links ab.
„Bist du dir da sicher?“
„Ich weiss nicht, ob das die richtige Richtung ist, aber dort ist irgendetwas. Vertraut mir, ich habe einfach das Gefühl, dass das die richtige Richtung ist.“ Sie stellten keine weiteren Fragen und folgten mir. Bis auf das Hallen unserer Schritte und das Plätschern des Wassers war es totenstill.

Immer weiter gingen wir den Gang entlang, und mir erschien es wie eine Ewigkeit, bis wir die nächste Abzweigung erreichten. Hier entschied ich mich für die rechte Seite. Ich folgte einfach meinem Instinkt und hoffte, dass ich richtig lag. Noch etliche weitere Male wählte ich so die Richtung aus. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir schon hier unten herumirrten, bis ich die Aura ganz deutlich wahrnahm. Kaum hatte ich die Form der Aura genau ausgemacht, blitzen uns auch schon zwei schwarze Augen entgegen. Erschrocken wichen Ice und Fiona zurück.
„Keine Angst, es ist nur eine Ratte!“, beruhigte ich sie. Eine normale Ratte war es zwar nicht, aber ich war schliesslich ein Katzendämon, also brauchte ich mich vor Ratten nicht zu fürchten, auch wenn sie so gross wie eine Katze war. Die Ratte sass mitten auf dem Weg. Sie sah nicht so aus, als würde sie freiwillig aus dem Weg gehen. „Aus dem Weg, ich habe keine Zeit, mich mit dir aufzuhalten, tu besser, was ich sage!“, warnte ich sie. Unbeeindruckt von meinen Worten blieb sie an Ort und Stelle sitzen. Sie wollte es ja nicht anders, ich fauchte wie eine Katze und bleckte dabei meine Zähne. Angst blitze in ihren Augen auf und sie suchte das Weite. Jetzt war die Ratte zwar aus dem Weg, doch sie war das gewesen, was mich hierher geführt hatte, oder irrte ich mich da?
„Beeindruckend, Sky, der hast du es ordentlich gezeigt“, sagte Ice. „Ich habe schon gedacht, dass ein Kobold auftaucht.“ Vielleicht wäre das besser gewesen, dann hätte er uns zu ihrem Versteck führen können. Wir konnten doch nicht vollkommen falsch sein, wir mussten einfach weitergehen. Einfach weiter, irgendwann mussten wir sie doch finden. Warum hatte Mum nicht einfach den Weg beschreiben können. Links abbiegen, so lange dem Kanal folgen, bis sie an der dritten Abzweigung vorbeigekommen sind, dann rechts halten. Wäre das wirklich so schwer gewesen? Wenn wir sie gerettet hatten, würde ich ihr ordentlich meine Meinung sagen. Nun hatte ich aber keinen Plan und musste mich weiterhin auf meinen Instinkt verlassen. Ich versuchte, so genau wie möglich in meiner gesamten Umgebung nach irgendeinem Hinweis zu suchen, der uns endlich den Weg verraten würde.

Dann entdeckte ich plötzlich einen roten Pfeil, der geradeaus zeigte.
„Seht ihr den Pfeil da auch?“, fragte ich, um ganz sicher zu gehen, dass ich mich nicht irrte. Ice richtete seine Lampe darauf und ging ganz dicht ran.
„Jetzt, wo du es sagst. Der ist mir vorhin gar nicht aufgefallen.“ Auch Fly hatte in bis jetzt nicht bemerkt. Wir gingen ein Stück zurück und entdeckten tatsächlich noch weitere von diesen Pfeilen.
„Warum sind uns die denn vorher nicht aufgefallen, dass verstehe ich nicht. Wenn diese Pfeile von den Kobolden stammen, dann sind wir auf dem richtigen Weg.“
„Du hast die auch nicht gesehen, woher wusstest du dann den Weg?“, fragte mich Fly. Ich zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, ich bin einfach meinem Instinkt gefolgt.“
„Ist doch jetzt auch vollkommen egal, lasst uns weitergehen! Wenn wir diesen Pfeilen folgen, führen sie uns sicher geradewegs zum Versteck der Kobolde.“ Wir folgten den Pfeilen, und auch bei den nächsten Abzweigungen zeigten uns welche die Richtung an. Mir kam es so vor, als würden wir kilometerweit durch die Kanalisation laufen. Als ich schon dachte, die Pfeile führten uns in die Irre, tauchte wie aus dem Nichts eine verrostete Eisentür auf. An ihr hing ein Schild, auf dem stand: Zutritt nur für Dämonen.
„Wenn da schon steht, dass nur Dämonen rein dürfen, müssten wir hier richtig sein. Und da wir schliesslich auch Dämonen sind, lasst uns reingehen“, sagte ich und stiess die Tür auf. Mit einem hässlichen Quietschen schwang sie erstaunlicherweise ganz leicht auf. Auf der andern Seite der Tür schienen wir uns an einem ganz anderen Ort zu befinden. Es war kaum zu glauben, dass wir immer noch in der Kanalisation waren. Wir standen auf einer Plattform und sahen auf eine riesige Stadt hinab. „Ice, mach dein Licht aus, sonst sieht uns noch jemand“, wies ich ihn an. Obwohl Ice sein Licht löschte, war es hier unten nicht vollkommen dunkel, in der Stadt leuchteten Tausende von Lichtern. Der Anblick war einfach atemberaubend. Von hier, etwa dreissig Meter über der Stadt, hatte man eine herrliche Aussicht. Die Häuser bestanden aus irgendwelchen schwarzen Steinen und waren nicht besonders gross.

Ein Gebäude stach jedoch aus den anderen hervor. Es war riesig, sogar im Vergleich mit unseren Häusern. Es sah wie eine Burg ohne Türme aus. Ich hätte überhaupt nicht gedacht, dass die Kobolde in Häusern wohnten. Eigentlich hatte ich mir nie gross darüber Gedanken gemacht, wie die Kobolde überhaupt lebten. Mir war gar nicht klar gewesen, dass auch sie über eine Infrastruktur verfügten. Einfach unglaublich, sie besassen sogar Felder! Ich wusste zwar nicht, wie hier unten etwas wachsen sollte, aber es war schlichtweg beeindruckend. Dass so etwas Grosses hier unten existierte, wussten vermutlich nur die wenigsten. Ice und Fly starrten genau so fasziniert wie ich auf die Stadt hinunter.
„Warum lernen wir über solche Dinge eigentlich nie etwas im Unterricht? Ich wusste gar nicht, dass es so etwas überhaupt gibt“, sagte Ice.
„Ich glaube nicht, dass viele darüber Bescheid wissen.“ Mir wäre auch nie in den Sinn gekommen, dass so viele von ihnen an einem Ort lebten. Ich hatte immer gedacht, dass nur ganz wenige zusammen lebten. Anscheinend hatte ich mich da grundlegend geirrt. Ice zog ein Fernglas aus seiner Tasche und schaute hindurch. „Wo hast du nur all diese Dinge her? Mal im Ernst, wer nimmt ein Fernglas mit in die Kanalisation?“
„Man kann nie wissen, Cousin, du siehst ja selbst, dass man nie genug Zeugs dabeihaben kann.“ Er liess seinen Blick über die ganze Stadt schweifen.
„Und, kannst du irgendetwas da unten sehen?“
„Ist nicht wirklich viel los in dieser Stadt, ab und zu sieht man einen Kobold, aber das ist auch schon alles.“ Fiona schüttelte den Kopf und nahm ihm das Fernglas ab.
„Wo schaust du denn hin, lass mich mal.“ Ice liess sie gewähren und sie schaute sich mit dem Fernglas in der Stadt um. „Wusste ich es doch, schaut mal in die Mitte der Stadt, dort auf dem grossen Platz“, sagte sie und reichte mir das Fernglas. Ich brauchte eine Weile, bis ich die richtige Stelle gefunden hatte. Auf dem Platz schien gerade eine Versammlung stattzufinden, Hunderte Kobolde drängten sich dort zusammen. Ich reichte Ice das Fernglas weiter.
„Was die da unten wohl machen?“, fragte Fly.
„Sie scheinen irgendeine Versammlung zu haben. Das trifft sich doch ausgezeichnet, so ist die Stadt praktisch leer und wir können uns leichter unbemerkt bewegen.“ Während Ice die Kobolde mit dem Fernglas beobachtete, suchte ich nach einem Weg hinunter in die Stadt. Gut versteckt fand ich schliesslich einen schmalen Pfad, der sich an der Wand entlang nach unten schlängelte.

„Gehen wir weiter, wir sind schliesslich nicht zum Vergnügen hier!“ Der Pfad war wirklich nicht besonders breit, wir mussten hintereinander, dicht an die Mauer gepresst hinuntergehen. Je näher wir der Stadt kamen, desto deutlicher war zu erkennen, wie klein diese Häuser waren. Als wir direkt vor einem der Häuser standen, konnten wir fast mit der ausgestreckten Hand die Dachkante erreichen. Für die Kobolde reichte diese Grösse natürlich vollkommen aus. „Von jetzt an müssen wir besonders aufmerksam sein, kein Kobold darf uns sehen. Auch wenn uns die Umhänge vielleicht verbergen würden, dürfen wir kein Risiko eingehen.“ An Fly gewandt fügte ich noch hinzu: „Konzentrier dich auf deine Umgebung, uns darf keine Aura entgehen.“ Ice konnte nach wie vor keine Auren wahrnehmen und verzog deshalb grimmig das Gesicht.
„Irgendwann werde ich dank meiner Technik die Auren genauso sehen können“, murmelte er. Das die Stadt trotz der zahlreichen Lichter dunkel und düster wirkte, kam uns sehr gelegen. Vor allem, dass die Häuser aus schwarzen Steinen gebaut waren, machte es uns leicht, uns eng an den Mauern durch die Gassen zu schleichen. Da ich nicht sicher war, ob Kobolde Auren wahrnahmen, verzichtete ich darauf, mich zu verwandeln. Auch so reichte meine Wahrnehmung aus, um ein Gebiet im Umkreis von etwa zwanzig Metern zu überprüfen. Vor allem konzentrierte ich mich darauf, die Aura meiner Mutter zu finden. Nur würde das mehr als schwer werden, wenn sie immer noch unter dem Einfluss irgendwelcher Mittel stand. Solange die Person, die man zu finden versuchte, schlief, war die Aura nicht mehr als ein kleines Leuchten, das man sehr einfach übersehen konnte. Wir schlichen so lange durch die Stadt, bis wir sehr nahe an die Versammlung der Kobolde herangekommen waren.
„Näher sollten wir nicht herangehen, sonst ist die Gefahr viel zu gross, dass sie uns entdecken. Suchen wir erst einmal in den anderen Teilen der Stadt weiter.“ Weiter suchte ich nach der Aura von Mum und zweimal mussten wir uns vor ein paar vorübergehenden Kobolden verstecken. Langsam, aber sicher schwand meine Hoffnung und ausserdem wurde ich müde. Das schien nicht nur mir so zu gehen, auch Fly sah ziemlich erschöpft aus. Immerhin suchten wir schon seit über drei Stunden und diese Versammlung war immer noch im Gang. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es so anstrengend war, nach Auren Ausschau zu halten.

In einer besonders dunklen Gasse ruhten wir uns, an die Hausmauer gelehnt, etwas aus.
„Fängst du jetzt langsam an einzusehen, dass das keine gute Idee gewesen war?“
„Nein, wir werden sie noch finden und wenn wir dazu in jedem einzelnen Haus nachsehen müssen.“ Fiona sprang überrascht auf.
„Habt ihr das gerade auch gehört, da hat jemand gesprochen.“ Ich sah Ice an.
„Hast du ihr davon nichts gesagt?“ Er schüttelte den Kopf. „Setz dich wieder hin, Fly, das war bloss mein Grossvater.“
„Bloss mein Grossvater! Wenn ich noch Arme hätte, würde ich dir jetzt deine Ohren langziehen.“
„Aber ich dachte, dein Grossvater wäre nach dem Angriff gestorben.“
„Das dachte ich auch, aber wie du hörst, ist er noch äusserst lebendig“, sagte ich und zog die Kette mit dem Schwert unter meiner Jacke hervor. „Er hat seine gesamte Energie auf sein Schwert übertragen und ist so immer noch am Leben, auch wenn sein Körper längst tot ist.“ Ungläubig musterte sie das Schwert.
„Ist das möglich, kann man seinen Geist auf ein Schwert übertragen?“
„Es hat einwandfrei funktioniert. Du musst Fiona Firelight sein. Wie konntet ihr euch nur auf so eine gefährliche Aktion einlassen? Von meinem Enkel hatte ich eigentlich nichts anderes erwartet, aber von euch beiden hätte ich doch etwas mehr erwartet.“
„Wir konnten ihn doch nicht alleine losziehen lassen, ohne uns hätte er nicht einmal hierher gefunden“, sagte Ice.
„Das habe ich mitbekommen, den Orientierungssinn muss er wohl von seinem Vater geerbt haben.“
„Du musst gerade etwas sagen! Ich erinnere mich noch, wie wir zusammen einen Ausflug machen wollten und du dich hoffnungslos verfahren hast.“

„Genug geplaudert, wir müssen weitersuchen“, sagte ich und liess das Schwert wieder verschwinden. Mein Grossvater verzichtete darauf, weiter mit uns zu reden. Irgendwo hier unten musste doch meine Mutter stecken und ich würde sie finden. Ich musste sie finden! Obwohl es längst hell sein müsste, blieb es hier unten dunkel. Was konnte man auch anderes von einer Stadt erwarten, die so tief unter der Erde lag. Für immer hier unten leben zu müssen, war kein angenehmer Gedanke. Wir waren gerade dabei, auch die äussersten Häuser zu durchsuchen, als plötzlich jemand etwas sagte, und es war nicht mein Grossvater.

„Seid ihr Freunde von Delwowar, ihr seht genauso aus wie er.“ Wer hatte das gesagt? Hektisch schaute ich mich um, doch entdecken konnte ich niemanden.
„Da drüben“, sagte Ice und deutete auf einen kleinen Kopf, der hinter einer Hausmauer herausschaute. So einen kleinen Kobold hatte ich noch nie gesehen. Normalerweise reichten die Kobolde mir gut bis zum Bauchnabel, doch der hier reichte mir gerade mal bis zu den Knien.
„Kirlander hat euch gefragt, ob ihr Freunde von Delwowar seid. Wollt ihr Kirlander nicht antworten?“ fragte er erneut. Die Stimme dieses Kobolds war sehr viel tiefer als die der anderen. Konnte das sein, dass der hier noch ein Kind war. Bevor ich etwas antworten konnte, tat es Ice.
„Wir sind ganz sicher keine Freunde von Delwowar“, sagte er. Hatte er jetzt den letzen Funken Verstand verloren, warum sagte er das. Doch der kleine Kobold erstaunte mich. Anstatt davonzulaufen und um Hilfe zu rufen, trat er hinter der Mauer hervor. Er war wirklich nicht allzu gross, er trug eine schäbige braune Kutte, die ihm fast zu gross war. Seine spitzen Ohren ragten aus einem Gestrüpp aus braunen Haaren und er schaute uns mit riesigen grünen Augen an.
„Dann seid ihr Freunde von der weisshaarigen Frau?“ Meinte er damit etwa meine Mutter?
„Ja, weisst du wo sie ist?“ Der kleine Kobold sah sich um und sagte dann:
„Wir können nicht hier reden, ihr müsst Kirlander folgen! Kirlander wird euch zu sich nach Hause bringen.“

Konnten wir dem kleinen Wicht trauen, immerhin könnte es genauso gut eine Falle sein. Aber Kirlander könnte auch unsere Chance sein, Mum zu finden und von hier zu verschwinden. „Kommt mit Kirlander! Die Versammlung endet in Kürze und die anderen werden wieder zurückkommen.“ Ice und Fly sahen mich an, sie schienen von mir eine Entscheidung zu erwarten.
„Wir folgen ihm, das könnte unsere Chance sein.“ Wir folgten ihm und er führte uns zu einem Haus, das zu den äussersten Häusern der Stadt gehörte.
„Da ist Kirlander zu Hause, kommt doch herein“, sagte er und verschwand mühelos durch die etwa ein Meter zwanzig hohe Tür. Um mir nicht den Kopf anzustossen, musste ich mich bücken. Im Haus selber konnte ich wenigstens wieder aufrecht stehen. Die Einrichtung des Hauses war ziemlich überschaubar. In der Mitte befand sich eine kleine Kochstelle mit Töpfen und Löffeln und rechts davon befand sich eine Schlafstelle mit einer schäbigen Decke. Sonst gab es keine weiteren Gegenstände.
„Lebst du hier ganz alleine?“, fragte Fiona.
„Kirlander lebt schon lange alleine, macht Kirlander nichts aus.“ Nachdem wir uns um die Kochstelle gesetzt hatten, fragte ich ihn:
„Was weisst du über die weisshaarige Frau?“
„Sie hat Kirlander das Leben gerettet, Sie ist eine sehr friedfertige Person. Nicht so, wie die Anführer sagten – nicht böse. Delwowar ist böse, dank ihm dürfen wir den Menschen keine Streiche mehr spielen, müssen nur noch Dämonen herbeirufen. Kirlander hat keinen Spass mehr, keine Spässe mehr, nicht einmal einen ganz kleinen.“ Was redete der Kobold da, hatte ihm wirklich meine Mutter das Leben gerettet.
„Weisst du, wo sich die weisshaarige Frau jetzt aufhält?“
„Delwowar hat sie mit seinem geflügelten Pferd in ein Haus gebracht, sie hat so ausgesehen, als würde sie schlafen. Kirlander hat sie gerufen, doch sie hat Kirlander nicht geantwortet. Delwowar hat mich davongejagt, Delwowar ist ein böser Mann. Viele Erwachsene sagen, dass alle Katzendämonen böse sind, ihretwegen müssen wir uns fürchten, nach oben zu gehen. Seit Jahren unterdrücken sie uns und jagen uns immer wieder in den Untergrund zurück. Dabei wollen wir doch den Menschen nur Streiche spielen, wir tun ihnen nichts Böses.“

Der Kleine wusste also wirklich, wo sie Mum hingebracht hatten. Dann konnte er uns bestimmt zu ihr führen. „Die Erwachsenen sagen, das Delwowar uns die Macht verleiht, uns endlich zu befreien.“ Behandelten wir die Kobolde wirklich so schlecht? Meine Mum hatte zwar ein paar erwähnt, gegen wir zu hart vorgehen würden. Aber dass sie so einen Hass gegen uns hegten, hätte ich nicht gedacht. „Aber Kirlander kann gar nicht glauben, dass sie wirklich so schlecht sind. Die weisshaarige Frau ist ganz anders.“
„Kannst du uns zeigen, in welches Haus sie gebracht wurde?“ Misstrauisch schaute er uns an.
„Erst müsst ihr Kirlander beweisen, dass ihr wirklich Freunde von ihr seid.“ Ice schob seine Kapuze zurück und nahm seine Mütze ab. „Du hast ja auch weisse Haare, wie die Frau.“
„Reicht das als Beweis?“, fragte Ice und setzte sich seine Mütze wieder auf.
„Na gut, Kirlander wird euch zu ihr führen. Aber ihr müsst Kirlander versprechen, dass ihr der Frau nichts Böses wollt.“
„Wir werden ihr nichts tun, versprochen! Und jetzt bring uns bitte zu ihr.“ Kirlander schüttelte den Kopf.
„Nicht jetzt, die Versammlung ist wahrscheinlich beendet worden und alle gehen nach Hause. Wir werden warten, bis alle schlafen.“ Aber es war doch erst mitten am Tag, da mussten wir ja ewig warten.
„So lange können wir nicht warten, wir müssen jetzt los.“
„Nach den Versammlungen gehen alle schlafen, eine Stunde, und wir können gehen.“ Eine ganze Stunde! Wenn es nach mir gehen würde, wären wir jetzt sofort aufgebrochen. Kirlander liess sich jedoch nicht dazu überreden. Wenn wir hier schon festsassen, dann würde ich die Zeit nutzen und Kirlander noch etwas ausfragen.
„Wie du willst, dann werden wir hier eben eine Weile warten.“

Der kleine Kobold erwies sich als sehr gastfreundlich und bot uns irgendeine Brühe an, die er als Delikatesse bezeichnete. Mit der Ausrede, dass wir ihm nichts wegessen wollten und selbst etwas zu Essen dabei hätten, lehnten wir das Angebot ab. Auch fragte er uns nach unseren Namen, seinen hatte er uns ja schon genug oft gesagt. Während Kirlander seine Brühe ass, knabberten wir an ein paar Keksen und Trockenfleisch.
„Sag mal, was ist das für eine Versammlung, von der du da gesprochen hast?“
„Delwowar hat sie einberufen, er gibt uns die letzten Anweisungen. Wir sollen noch mehr Dämonen herbeirufen. Ausserdem hatte diese Versammlung irgendetwas mit dem dunklen Fürsten zu tun.“ Der dunkle Fürst, das war doch eine andere Bezeichnung für Luzifer, den Teufel.
„Weisst du Genaueres darüber?“
„Heute Nacht soll ein Ritual stattfinden, um den dunklen Fürsten herbeizurufen.“
„Unmöglich!“, entfuhr es Ice.
„Das kann nicht sein, den Teufel kann man nicht herbeirufen, er ist seit Jahren in der Hölle gefesselt“, fügte Fly hinzu. „Du musst dich irren, Kirlander niemand kann den Teufel befreien.“
„Delwowar sagt, dass genügend von uns den Teufel von seinen Ketten befreien und ihn zu ihm rufen können.“ Nein, das war vollkommen unmöglich, das konnte nicht sein. Shawn konnte nicht so wahnsinnig sein, um Luzifer zu befreien. Er würde uns nie verzeihen, dass wir ihn betrogen und in seinem eigenen Reich eingesperrt hatten. Würde er je wieder freikommen, dann würde er uns vernichten. Wie sollten auch ausgerechnet die Kobolde in der Lage sein, ihn von seinen Ketten zu befreien?
„Wo findet dieses Ritual statt?“
„Im grossen Tempel, dort wird das Ritual stattfinden.“
„Meinst du das riesige Gebäude hier in der Stadt?“ Kirlander nickte. Ich sah Ice und Fly an. „Wenn das wirklich stimmt, müssen wir etwas dagegen tun, der Teufel darf sich nie von seinen Ketten befreien.“
„Wie willst du das ganz alleine schaffen, Sky? Uns bleibt keine Zeit, um Hilfe zu holen. Ausserdem müssen wir Victoria retten“, sagte Ice.
„Um welche Zeit soll das Ritual stattfinden?“
„Um Mitternacht, Kirlander ist jedoch nicht sicher.“
„Ice, wie spät ist es jetzt?“ Er warf einen Blick auf sein Gerät, das wohl die Zeit immer noch anzeigte.
„Halb zehn“, antwortete er dann.
„Dann bleiben uns bis Mitternacht noch dreizehneinhalb Stunden Zeit.“ Das musste doch reichen, um meinem Vater Bescheid zu sagen.

Aber jetzt wieder zurückzugehen und Mum einfach im Stich zu lassen, kam nicht in Frage.
„Findet ihr den Weg zurück?“, fragte ich sie.
„Sky, was hast du vor?“
„Ich werde mit Kirlander zusammen Mum befreien und ihr werdet so schnell wie möglich zurück ins Viertel gehen und Sam Bescheid sagen.“
„Auf keinen Fall, du kannst doch nicht alleine hier bleiben, das ist viel zu gefährlich! Was ist, wenn sie dich auch erwischen?“
„Dann seid ihr ja mit Hilfe hierher unterwegs. Ausserdem kann keiner von euch alleine gehen.“ Ice verschränkte die Arme vor der Brust.
„Warum denn nicht?“
„Ice, du nimmst keine Auren wahr und würdest den Kobolden wahrscheinlich in die Arme laufen.“ Er knirschte mit den Zähnen, widersprach mir aber nicht. „Fly, für dich wäre es viel zu …“, ich hielt inne, als sie mich erwartungsvoll ansah.
„Was wäre es für mich?“, fragte sie, liess mich aber gar nicht zu Wort kommen, „zu gefährlich, zu riskant?“
„Nein … ich … ähm … ich wollte nicht …“
„Natürlich wolltest du das sagen, aber du bist nicht der Einzige, der trainiert hat. Ich werde nicht mehr davonlaufen!“ Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet, aber sie schien fest entschlossen zu sein. Ice grinste breit.
„Ich versichere dir, Sky, ich habe mit ihr zusammen im Simulator trainiert und sie hat wirklich grosse Fortschritte gemacht.“
„Aber im Simulator ist es doch etwas ganz anderes als …“ Ihre Augen bohrten sich in meine und ich erkannte, dass ich, egal was ich sagte, sie nicht davon abhalten konnte. Ich seufzte und erwiderte ihren Blick. „Na gut, aber sei vorsichtig, lass dich erst gar nicht erwischen.“ Dann tat sie noch etwas, was mich überraschte, sie fiel mir in die Arme.
„Pass lieber du auf, dass ich dich nochmals zusammenflicken muss“, sagte sie und liess mich wieder los.
„Keine Sorge, dieses Mal musst du mich gar nicht zusammenflicken“, versprach ich ihr. Wir packten unsere Sachen zusammen und zogen uns unsere Kapuzen tief ins Gesicht. „Kirlander, können wir jetzt los, du musst uns verstehen, wir haben nicht viel Zeit.“
„Gut, wie Kirlanders Freunde wünschen, Kirlander wird sie jetzt zu der weisshaarigen Frau bringen.“

Bevor wir nach draussen gingen, schaute Kirlander nach, ob sich irgendwer in der Nähe befand. Erst als er uns ein Zeichen gab, folgten wir ihm. Vor seiner Tür trennten wir uns, Fly lief zurück zum Pfad und Ice und ich folgten Kirlander. Jetzt war es viel schwerer, sich unbemerkt in der Stadt zu bewegen. Immer wieder mussten wir Umwege gehen, um nicht einem Kobold in die Arme zu laufen.
„So kommen wir nie ans Ziel, gibt es denn nicht einen Weg, der weniger auffällig ist?“, fragte ich ihn.
„Nein, das Haus steht mitten im Zentrum, da gibt es keine Schleichwege“, antwortete er. Ice sah sich um und deutete dann auf das Dach.
„Wie wäre es, wenn wir von Dach zu Dach springen würden, die Häuser sind nicht besonders weit voneinander entfernt, da kommen wir locker rüber. Ausserdem ist es so dunkel, dass sie uns mit den Umhängen nicht sehen würden“, schlug er vor.
„Kirlander kann nicht so weit springen“, sagte der Kobold.
„Das ist kein Problem, ich werde dich tragen, du musst mir einfach die Richtung sagen“, sagte Ice und hob ihn hoch.

Mühelos sprang er auf das zwei Meter hohe Dach und ich kletterte hinterher. Als ich gerade oben ankam, sprang Ice bereits auf das nächste Dach und deutete mir von dort an, ihm zu folgen. Ich holte so viel Anlauf, wie es möglich war, und sprang ihm hinterher. Doch wieder unterschätzte ich meine Kräfte und wäre fast vom Dach gefallen, hätte mich Ice nicht am Umhang festgehalten.
„Du musst nicht gleich zwei Dächer überspringen, eines würde vollkommen ausreichen“, zischte er mir ins Ohr.
„Tut mir leid, ich habe meine Kräfte unterschätzt.“
„Dann pass in Zukunft besser auf“, sagte er und sprang weiter. Bei den nächsten Sprüngen ging es besser und schliesslich wären wir auch bei Helligkeit kaum noch zu sehen gewesen. Auf dem Dach des Hauses, das jenem genau gegenüber stand, in dem Mum gefangen sein sollte, legten wir uns hin. Vor der Tür waren zwei grimmig aussehende Kobolde aufgestellt, die eine metallerne Rüstung und mittelalterliche Schwerter trugen.
„Bist du dir ganz sicher, dass sie da drin ist?“, fragte ich ihn. Kirlander nickte und deutete auf die Wachen. „Diese Wachen, stehen vor dem einzigen Eingang. Dieses Haus besitzt nur diese eine Tür und keinerlei Fenster.“ Dann blieb uns nichts anderes übrig, als an diesen Wachen vorbeizugehen. „Kirlander, du solltest jetzt lieber gehen, wenn die uns zusammen sehen, bekommst du Ärger. Vielen Dank, das du uns hergeführt hast.“

Ice half ihm vom Dach und kam dann wieder zu mir zurück.
„Wie kommen wir an denen vorbei, ohne gross Lärm zu machen? Es muss auf jeden Fall schnell und leise sein.“ Ich spielte mit dem Gedanken, vom Dach zu springen und den beiden ordentlich die Köpfe zusammenzuschlagen. Nur war dabei das Risiko ziemlich hoch, dass ich versagte.
„Schnell und still sagst du, da habe ich genau das Richtige“, sagte Ice und zog etwas aus seiner Tasche. Er hielt mir etwas entgegen, was genau wie die Sprengfallen aussah. Wollte er im Ernst das Haus in die Luft jagen, das war aber alles andere als leise. „Keine Sorge, dass ist keine Sprengfalle, sondern eine Gasgranate“, sagte er, als er meinen besorgten Blick bemerkte. „Wenn du das Zeug einatmest, bist du in weniger als einer Minute k.o. und stehst nicht mehr so schnell wieder auf.“
„Und was ist, wenn wir selbst dieses Zeug einatmen?“
„Im Gegensatz zu dir habe ich an alles gedacht.“ Ice zog tatsächlich zwei Gasmasken aus seiner Tasche und reichte mir eine davon. „Setz die auf, dann kann dir das Gas nichts anhaben.“ Als wir beide die Masken aufhatten, warf Ice die Granate. Die Granate verfehlte ihre Wirkung nicht. Bevor die Wachen sich auch nur wundern konnten, was mit ihnen geschah, sackten sie auch schon zusammen. Schnell sprangen wir vom Dach und nahmen ihnen die Waffen ab. Das Haus, in dem meine Mutter gefangen sein soll, hatte nicht einmal ein richtiges Schloss. Das Einzige, was die Tür sicherte, war ein einfacher Riegel. Ich schob ihn beiseite und stiess die Tür auf. Ice zerrte hinter mir die beiden Wachen herein und schloss dann die Tür wieder hinter mir. Dann erhellte Ices Stirnlampe den stockdunklen Raum.
„Mum“, flüsterte ich und riss mir die Maske vom Gesicht.

Da lag sie! – an Händen und Füssen gefesselt und mit einem Knebel im Mund auf einem Haufen Säcken. „Mum, kannst du mich hören?“ Ich kniete mich neben sie und befreite sie von ihren Fesseln. Ihre Aura war äusserst schwach. Kein Wunder, dass ich sie nicht hatte orten können. Sie musste immer noch unter dem Einfluss irgendeines Betäubungsmittels stehen. „Mum, komm schon, du musst aufwachen.“ Ich schüttelte sie leicht, und da öffnete sie die Augen.
„Sky …, bist du … das?“
„Ja, wir holen dich jetzt hier raus.“
„Wie …, du solltest … gar nicht hier sein“, sagte sie und trat wieder weg. Wie es aussah, würde sie wohl kaum selber laufen können. Bevor wir gingen, fesselten wir die beiden Kobolde, damit sie sich ganz sicher nicht mehr rühren konnten. Ice half mir, Mum auf meinen Rücken zu heben und dort festzubinden. Als wir das Haus verliessen, schoben wir den Riegel wieder vor.
„Jetzt lass uns von hier verschwinden, wir sollten keine Zeit mehr verlieren!“



Gefangen

Ich versuchte möglichst nicht hinter Ice zurückzufallen, aber mit meiner Mutter auf dem Rücken war das gar nicht so einfach; sie brachte mich aus dem Gleichgewicht. Irgendwie kam mir das Ganze viel zu einfach vor. Wir jagten hier über die Dächer, und nicht ein Kobold war zu sehen. Das konnte doch gar nicht sein! Wo waren all die Kobolde geblieben, die wir auf dieser Versammlung gesehen hatten? Was dachte ich überhaupt darüber nach: Solange sie uns nicht in die Quere kamen, konnte mir das doch eigentlich egal sein, oder nicht? Meine ganze Konzentration lag darauf, Ice zu folgen. Ich schaffte es nicht, mich auch noch auf irgendwelche Auren zu konzentrieren. Eine Aura konnte ich jedoch gar nicht übersehen. Es war dieselbe finstere Ausstrahlung wie bei unserer ersten Begegnung. Kein Zweifel, Shawn verfolgte uns.
„Ice, lauf!“, brüllte ich ihm zu und versuchte selbst noch schneller zu rennen. Ich musste schneller rennen, er durfte uns nicht einholen, wir hätten in einem Kampf nicht den Hauch einer Chance. Doch Shawn kam immer näher, er liess sich einfach nicht abschütteln. Panik überkam mich, unser letzter Kampf war mir nur noch zu gut in Erinnerung. Unausweichlich kam er immer näher und mir war bewusst, dass er uns gleich einholen würde. Wenn jemand von uns entkommen wollte, dann musste sich einer von uns Shawn in den Weg stellen. Ich gab alles, um zu Ice aufzuschliessen, und schnitt gleichzeitig das Seil durch, das Mum auf meinem Rücken befestigte. „Ice, nimm Victoria und renn so schnell du kannst, verschwinde so weit wie möglich von hier!“, rief ich und warf ihm Mum zu.
„Sky, was soll das?“, fragte er und fing sie auf.
„Geh, Shawn hat uns gleich eingeholt!“ Kaum hatte ich das gesagt, da war er auch schon bei uns.

Mit aktiviertem Schwert wirbelte ich herum und schlug nach ihm. Shawn wich meinem Schlag nicht aus, wie ich es erwartete hätte. Er erwiderte ihn mit seinem eigenen Schwert. Die Wucht des Zusammenpralls schob mich mehrere Meter zurück und beförderte mich fast über die Kante des Daches. Während ich mit aller Macht seiner Kraft standzuhalten versuchte, schien es Shawn kaum anzustrengen, mein Schwert von sich fernzuhalten.
„Nicht schlecht Junge, ich hätte nicht gedacht, dass ich dich so schnell wieder sehen würde.“
„Darauf hätte ich auch verzichten können“, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Wenn ich ihn in ein Gespräch verwickeln konnte, gab das Ice Zeit zu verschwinden.
„Wie ich sehe, wollt ihr nicht einmal bis zum vereinbarten Termin warten, schade! Diese Kobolde sind zu nichts zu gebrauchen, diese Nichtsnutze hätten nichts bemerkt und euch einfach so entkommen lassen.“
„Warum musstest du dich auch einmischen!“
„Nana, ich muss zugeben, dass ihr mich erstaunt habt, ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet Kinder auf mein Versteck kommen.“ Es funktionierte, er fiel wirklich darauf herein. „Wer so ein auffälliges Mal trägt, muss damit rechnen, dass man ihn findet.“
„Ach was! Nicht viele wissen über die Kultur der Kobolde Bescheid und eine der Wenigen hatte ich in meiner Gewalt.“ Als wir von Mum redeten, wurde ihm bewusst, dass er ja eigentlich hatte verhindern wollen, dass wir sie befreien. „Unser kleines Gespräch müssen wir auf später verschieben, jetzt muss ich erst einmal deinen kleinen Freund einfangen.“ Er liess mich einfach stehen und lief los. Da konnte ich doch nicht einfach so zusehen. Ich feuerte eine Schockwelle auf ihn ab, auch wenn ich nicht damit rechnete, ihn zu treffen. Shawn hatte anscheinend auch nicht damit gerechnet und die Welle schleuderte ihn gegen die nächste Hauswand. Nur schien ihm das nicht viel ausgemacht zu haben, nach wenigen Sekunden stand er wieder aufrecht.

„Wie du willst, Junge, dann werde ich mich eben zuerst um dich kümmern.“ Einem Kampf konnte ich jetzt wohl nicht mehr ausweichen und ich musste Ice so viel Zeit wie möglich verschaffen. Was hatte mein Vater noch mal erzählt, wie man gegen so einen Gegner kämpfen konnte? Seinen Bewegungen konnte ich kaum folgen, aber in seiner Aura konnte ich lesen, wann er angreifen würde. So schaffte ich es, seinen Angriffen knapp auszuweichen und mich etwas von ihm zu entfernen. Als ich einem weiteren Schlag auswich, traf es die Hausmauer hinter mir. Die Wucht des Schlages riss ein Loch in die Mauer und ich mochte gar nicht daran denken, was mit mir passiert wäre, hätte er mich erwischt. Ich hatte keine Chance, selbst einen Angriff zu starten. Ich bekam es ja gerade mal hin, seinen Angriffen auszuweichen. Je länger ich seinen Schlägen auswich, desto wütender schien Shawn zu werden. Die Wand hinter mir würde gleich zusammenfallen, so viele Löcher hatte sie bereits. Lange würde ich dieses Tempo aber nicht mehr durchhalten, ich musste mir etwas einfallen lassen. Während ich weiter auswich, sammelte ich alle meine Kräfte für eine weitere Schockwelle.
„Nimm das!“, brüllte ich und gab alles. Shawn wurde von den Füssen gerissen und krachte in die gegenüberliegende Haustür. Diese konnte dem Aufprall nicht standhalten und brach aus den Angeln. Vom Rückstoss wurde ich gegen die ohnehin schon kaputte Wand geschleudert. Dieser letzte Schlag gab ihr den Rest, und sie stürzte über mir zusammen. Mein Plan war vollkommen nach hinten losgegangen, jetzt lag ich unter einem Haufen Steinen begraben. Wenigstens hatte ich mir nichts gebrochen und ich wurde auch nicht k.o. geschlagen. Bevor ich mich jedoch selbst aus dem Schutthaufen befreien konnte, packte mich Shawn an einem Bein und zog mich unter den Steinen hervor. Kopfüber hing ich nun da und sah einem wirklich wütenden Mann ins Gesicht. Blut tropfte ihm aus der Nase, die Schockwelle hatte wirklich gesessen. Was mir aber jetzt auch nicht viel nützte.
„Das reicht jetzt, ich habe genug von deinen Spielchen!“ Gerade als ich ihm noch eine Schockwelle entgegenschleudern wollte, drehte er mir die Hände auf den Rücken und hielt mich fest. So konnte ich ihn nicht mehr treffen und mich aus seinem Griff zu befreien, war unmöglich. „Du hättest besser nicht herkommen sollen, Junge. Da du deinem Freund und Victoria zur Flucht verholfen hast, wirst du als Ersatz dienen.“

Vom Kampf angelockt, waren die Kobolde aus ihren Häusern gekommen und hatten sich um uns versammelt.
„Ihr seid ja reichlich früh dran, bringt mir ein Seil!“ Sie fesselten mich und warfen mich in das gleiche Haus, in dem auch meine Mum gefangen gehalten worden war. Vorher nahmen sie mir noch meine gesamte Ausrüstung ab, Regulus vergassen sie jedoch. Nachdem sie die Tür geschlossen hatten, befand ich mich in vollkommener Dunkelheit, und selbst verwandelt konnte ich kaum etwas erkennen. Ich drehte mich in eine einigermassen angenehme Position, soweit das überhaupt möglich war.
„Siehst du jetzt langsam ein, dass das ein bescheuerter Plan gewesen ist.“
„Das hilft mir aber auch nicht weiter und immerhin konnten Ice und Mum fliehen.“
„Schön und gut, aber nun steckst du in der Klemme.“
Er hatte recht, ich steckte wirklich in der Klemme. Moment mal, Grossvater war doch ein Schwert.
„Ich bin kein Schwert, ich lebe in einem.“
„Schon gut, aber es läuft aufs selbe hinaus.“ Ich versuchte, irgendwie das Schwert unter meiner Jacke hervorzuziehen. Tatsächlich gelang es mir und ich nahm es in den Mund. Das Schwert zu aktivieren, erwies sich als gar nicht so einfach.
„Lass mich das machen!“ Wie von Zauberhand aktivierte sich das Schwert und ich konnte damit beginnen, mich freizuschneiden. Um an das Seil zu kommen, musste ich mich ziemlich verbiegen, doch schliesslich gelang es mir. Das Licht, das vom Schwert ausging, reichte aus, um etwas sehen zu können. Die Fesseln war ich zwar los, aber frei war ich noch lange nicht. Wahrscheinlich hätte ich die Tür mit einer Schockwelle aufsprengen können, aber dabei hätte ich viel zu viel Lärm gemacht. Was sollte ich nur machen? Shawn würde in Kürze den Teufel befreien, und ich sass hier fest. Genau genommen wusste ich nicht einmal, wie spät es war.

Vielleicht wussten die beiden Kobolde, die mich bewachen sollten, irgendetwas Interessantes. Ich ging zur Tür und drückte mein Ohr dagegen. Zuerst hörte ich eine Weile gar nichts, doch dann schienen die beiden doch noch gesprächig zu werden. Auch wenn die Stimmen genauso nervig waren wie bei den anderen Kobolden.
„Warum müssen Orgur und Talor überhaupt hier stehen? Der Kleine entwischt uns sowieso nicht. Ausserdem wäre Talor gerne bei der Zeremonie dabei.“
„Ist Talor verrückt? Den dunklen Fürsten zu befreien, ist viel zu gefährlich! Orgur jedenfalls denkt, dass es besser wäre, wenn der dunkle Fürst bleibt, wo er jetzt ist.“
„Delwowar will es nun einmal so und Orgur weiss doch, dass Delwowar böse wird, wenn wir nicht das tun, was er von uns Kobolden verlangt.“ Die Kobolde taten also nur das, was Shawn sagte, weil sie sich vor ihm fürchteten und weil sie sich an uns rächen wollten. Sie liessen sich von einem der unsrigen unterdrücken, um gegen uns zu kämpfen. Das war doch absurd! Ich verstand zwar, dass sie sich nicht länger hier unten verstecken wollten. Aber sich deshalb mit dem Feind zu verbünden, war doch einfach verrückt. Meine Mum hatte recht, wir hatten diese Kobolde für niedere Wesen gehalten, für Tiere. Dabei waren sie uns viel ähnlicher, als wir gedacht hatten. Kein Wunder, dass sie sich an uns rächen wollen! Gerade als ich mich wieder von der Tür entfernen wollte, kam noch jemand.
„Was hat Kirlander hier zu suchen?“
„Kirlander will einem Freund helfen. Tut Kirlander leid, aber er muss seinem Freund helfen.“ Dann hörte ich, wie etwas zusammengeschlagen wurde und wie etwas wie ein nasser Sack auf dem Boden aufschlug. Hatten sie Kirlander etwa niedergeschlagen? Der arme Kerl, was musste er sich auch mit ihnen anlegen!

Der Riegel wurde zurückgeschoben und die Tür ging auf. Schützend hielt ich das Schwert vor mich. Doch es waren nicht etwa die Wachen, die hereinschauten, es war Kirlander. Dieser Kobold überraschte mich doch immer wieder, wie um Himmels willen hatte er die beiden erledigt.
„Keine Angst, Kirlander ist hier, um zu helfen.“
„Kirlander, wie hast du die beiden Wachen ausgeschaltet?“ Er schwenkte einen Hammer, der im Vergleich zu ihm selbst riesig wirkte. Wenn er ihn hinstellte, reichte ihm der Stiel sogar bis unters Kinn.
„Kirlander sieht zwar nicht so aus, aber er ist stark. Alle Kobolde sind stark. Keine Zeit verlieren, müssen zum grossen Tempel, der dunkle Fürst darf nicht befreit werden.“ Unglaublich, diese Kobolde steckten wirklich voller Überraschungen. Ich deaktivierte das Schwert, behielt es aber in der Hand.
„Weisst du, wo sie die Sachen von Gefangenen aufbewahren?“, fragte ich ihn. Mit meiner Ausrüstung und meinen Waffen hätte ich mich etwas besser gefühlt. Kirlander schüttelte den Kopf.
„Kirlander weiss nicht, wo sie diese Dinge aufbewahren. Sky und Kirlander müssen los, Delwowar hat das Ritual vorverlegt, es wird jeden Moment beginnen.“ Der hatte wirklich Nerven! Was konnten wir schon gegen eine Horde Kobolde und Shawn ausrichten? Wenigstens mussten wir nur so lange verhindern, dass das Ritual stattfinden konnte, bis Fly mit der Verstärkung hier eintraf.
„Gut, gehen wir.“

























In letzter Sekunde



Die Stadt war so gut wie ausgestorben, da sich alle Kobolde im grossen Tempel versammelt hatten. Niemand hinderte uns daran, bis zum Tempel zu gelangen. Und auch davor hielt niemand Wache. Im Tempel konnte ich jedoch eine unglaubliche Anzahl an Auren ausmachen. Es war der reinste Wahnsinn, da einfach so reinzuspazieren. Vor allem, nachdem ich gesehen hatte, wie stark so ein Kobold wirklich war. Da fragte ich mich doch, warum sie immer davonliefen, wenn sie uns begegneten.
„Sag mal, Kirlander, warum lauft ihr vor uns davon? Ihr seid doch stark, wieso kämpft ihr dann nicht?“
„Weil wir Kobolde nicht kämpfen wollen, wir sind friedliebende Wesen. Wir setzen unsere Kräfte nur dann ein, wenn wir unser Leben verteidigen müssen. Kirlander hat seine Kräfte eingesetzt, um seinem Freund zu helfen.“ Er bezeichnete mich immer als Freund, obwohl wir uns noch nicht lange kannten.
„Du sagst, ihr seid ein friedliebendes Volk. Warum tut ihr dann, was Shawn, ich meine Delwowar, von euch verlangt? Wenn ihr mit uns geredet hättet, dann müsstet ihr nicht kämpfen.“ Eigentlich hörte es sich ziemlich dämlich an. Wir hätten ihnen wohl kaum die Chance gegeben, mit uns zu reden.
„Delwowar hat uns gezeigt, wie wir unsere Kräfte um ein Vielfaches steigern können. Er hat uns gezeigt, wie wir mächtiger werden. Die Dämonen greifen uns schon lange an, sie halten uns für Schwächlinge.“ Das verstand ich jetzt nicht, warum wurden die Kobolde von den Dämonen angegriffen? Ich dachte sie konnten sie sogar beeinflussen.
„Könnt ihr nicht Dämonen herbeirufen?“
„Alleine können wir nur schwache Dämonen kontrollieren. Und selbst dann ist es nicht garantiert, dass sie uns gehorchen. Manchmal kommt es vor, dass sie uns angreifen. Kirlanders Eltern haben diese Gefahr auch unterschätzt.“ Dieses Gespräch lief ja nicht gerade in eine erfreuliche Richtung, also wechselte ich das Thema.
„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte ich ihn. Im Einschätzen von Kobolden war ich nicht wirklich gut.
„Kirlander ist fünfzehn Jahre alt, vor wenigen Tagen hat Kirlander gefeiert.“ Der kleine Wicht war älter als ich, irgendwie komisch.
„Wenn wir das hier überleben, dann werden Katzendämonen und Kobolde ihre Differenzen überwinden, dass verspreche ich dir!“

Aus dem Tempel leuchtete uns helles Licht entgegen und die Säulen, die den Eingang stützten, warfen lange Schatten. Wir schlichen uns an den Eingang heran und verbargen uns im Schatten einer der Säulen. Von dort aus konnten wir alles verfolgen, was im Innern vor sich ging. Die riesige Halle im Tempelinnern war voll von Kobolden. Shawn stand auf dem Altar und neben ihm stand ein geflügeltes Pferd. Das musste sein Pegasus sein, wirklich ein beeindruckendes Tier.
„Da nun alle hier versammelt sind, werden wir schon bald mit dem Ritual beginnen. Heute ist nun endlich der Tag gekommen, an dem der dunkle Fürst befreit und an unserer Seite kämpfen wird!“, rief er in die Menge. Was liess ihn glauben, dass der Teufel auf seiner Seite sein würde? „Nach dem heutigen Tag wird uns nichts mehr aufhalten können, wir werden zuerst die Katzendämonen und dann die Menschen für immer auslöschen. Sie haben es nicht verdient, zu existieren!“ Jetzt drehte er vollkommen durch, schliesslich war er selbst ein Katzendämon. Wie hatte er so werden können, so wie Dad ihn beschrieben hatte, war er früher einmal ein ganz netter Kerl gewesen.

„Ihr bekommt eure Rache für all die Jahre, die ihr euch fürchten musstet. Für all die Jahre, in denen ihr als lästige Schwächlinge abgestempelt wurdet. Es bietet euch die einmalige Chance, ihnen zu beweisen, dass ihr mehr wert seid als sie!“ Die Kobolde flüsterten miteinander. Für mich sahen sie nicht gerade begeistert aus. „Nun lasst uns keine Zeit mehr verschwenden und endlich mit dem Ritual beginnen!“ Plötzlich herrschte vollkommene Ruhe im Saal und die Kobolde schienen sich alle aufs Höchste zu konzentrieren. Genau wie bei dem Einsatz, bei dem Simeikolon aufgetaucht war, begann ich diese seltsame Aura wahrzunehmen. Auf diesem verlassenen Hinterhof war sie aber nicht annähernd stark gewesen wie jetzt. Es wirkten auch wesentlich mehr Kobolde mit, Sie schien stärker zu werden, je mehr von ihnen dabei waren. Das musste die Macht sein, die ihnen Shawn gezeigt hatte. Er musste ihnen beigebracht haben, wie sie ihre Auren zusammenschlossen. Erstaunlich, wie gut sie das beherrschten! Diese Technik gehörte zu einer der schwierigsten. Bei den Katzendämonen beherrschten diese Technik nur sehr wenige, da man, um mit einer anderen Aura zu verschmelzen, vollkommen mit dieser Person im Einklang sein musste; keine Aura durfte die andere überschatten. Meine Mum und mein Dad beherrschten diese Technik wie kein anderer. Sie schafften es, in wenigen Sekunden eine Verbindung herzustellen und so ihre Kräfte zu vervielfachen. Deshalb musste man sich eigentlich auch keine Sorgen machen, wenn sie zusammen kämpften. Aber mehr als zwei Personen hatten es noch nie geschafft, ihre Auren miteinander in Einklang zu bringen. Das war schlichtweg nicht möglich. Jedenfalls hatte ich das bis jetzt gedacht.

Es mussten sich mindestens vierhundert Kobolde in dieser Halle aufhalten und sie alle verbanden ihre Auren. Diese Macht war einfach unglaublich, auch wenn ein Kobold nur einen Bruchteil von der Stärke der Aura eines Katzendämones hatte. Zehn Kobolde waren nötig, um die gleiche Ausstrahlung zu haben wie ein Katzendämon. Mit jeder Sekunde gewann die Aura an Stärke. Aber was brachte das Ganze, was wollten sie mit so einer Aura erreichen? Sie konnten zwar so besonders starke Dämonen herbeirufen, aber den Teufel höchst persönlich? Er war tief unten in der Hölle angekettet. Und auch wenn sie ihn riefen, er konnte wohl kaum seinen Fesseln entkommen. Diese Barriere konnten sie unmöglich brechen, ganz ausgeschlossen. Oder konnten sie es etwa doch? Wenn sie es tatsächlich schafften, dann konnte ich doch nicht einfach so hier rumstehen und dabei zusehen. Egal, was es kostete, man musste verhindern, dass Luzifer aus seinem Gefängnis entkam.

Ich wollte in die Halle gehen und die Kobolde unterbrechen, aber meine Beine wollten sich nicht bewegen. Alles in mir sträubte sich, denn ich wusste genau, dass das glatter Selbstmord war. Warum konnte ich denn nicht einfach ein ganz normaler Mensch sein, ein ganz normales Leben führen und in einer ganz normalen Welt leben? In diesem Moment wäre ich alles andere lieber gewesen als ein Katzendämon. Und damit meine ich wirklich alles. Vielleicht denkt ihr jetzt, dass ich nicht mehr ganz dicht bin. Denn wer würde schon nicht gern diese Kräfte besitzen und so ein aufregendes Leben führen? Aber eines sage ich euch: Niemand würde gern vierhundert Kobolden und einem irren Katzendämon gegenüberstehen. Wenn ich es mir wenigstens hätte aussuchen können! Aber nein, ich war da einfach mitten hineingerutscht. Mein ganzes verdammtes Leben war vorbestimmt.
„Jetzt hör schon auf, dich selbst zu bemitleiden! Du hast noch die Chance, etwas aus deinem Leben zu machen. Denk ja nicht, dass du nur, weil du einen Halbmond auf deiner Stirn trägst, irgendetwas Besonderes bist. Jeder andere Katzendämon ist genauso dazu bestimmt, Dämonen zu jagen und dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen. Nur weil du gerade in einer misslichen Lage steckst, musst du noch lange nicht denken, dass die Welt untergeht. Die Menschen sind es, die du bemitleiden solltest! Sie wissen nicht einmal, in was für einer Gefahr sie schweben. Jetzt beweg verdammt noch mal deinen Arsch da raus und kämpfe!“ So hatte mein Grossvater noch nie mit mir geredet, aber im Grunde hatte er recht. Eigentlich hatte ich mir noch irgendeine Strategie zurechtlegen wollen, doch mein Grossvater schien etwas anderes vorzuhaben.

Ich wusste zwar nicht, wie er es anstellte, aber irgendwie wurde ich von dem Schwert in meiner Hand nach vorne gerissen. Und gleichzeitig wurde es aktiviert. So stand ich jetzt mitten im Saal und hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Durch das Geräusch, das entstand, als ich versuchte, nicht hinzufallen, wurde die Aufmerksamkeit der Kobolde auf mich gelenkt, und die Aura verpuffte. Anscheinend forderte es höchste Konzentration, sie aufrechtzuerhalten. Dutzende Augenpaare starrten mich an und das Beste, was mir einfiel, war das:
„Hey Leute, wie geht’s denn so?“ Naja, wenigstens sagte ich überhaupt etwas. Die Kobolde schienen ja nicht gerade gesprächig zu sein und Shawn schäumte vor Wut.
„Du schon wieder! Wie bist du aus dem Haus entkommen und woher hast du dieses Schwert?“ Sollte ich ihm jetzt antworten oder nicht? Wenn ich es tat, dann würde ich wenigstens etwas Zeit schinden.
„Ach weisst du, ich hatte etwas Hilfe.“ Shawn sah sich ihm Saal um, er schien nach jemandem zu suchen.
„Wer hat dir geholfen? Ich sehe nur dich.“
„Wenn du nach einem Katzendämon suchst, muss ich dich leider enttäuschen.“ Kirlander kam ebenfalls hinter der Säule hervor und umklammerte seinen Hammer. Die Erkenntnis, dass es sich bei dem Helfer um einen Kobold handelte, schien die anderen Kobolde weit mehr zu beeindrucken als Shawn. Aufgeregt riefen sie durcheinander und steckten die Köpfe zusammen.
„Nehmt den Verräter gefangen!“, befahl er. Die Kobolde zögerten, sie schienen keinen von ihnen gefangen nehmen zu wollen. Das war die Gelegenheit, auf sie einzureden.
„Ihr wollt doch alle gar nicht kämpfen! Das, was ihr wollt, sind doch einfach nur eure Spässe mit den Menschen treiben und in Frieden leben! Keiner von euch will doch wirklich gegen die Menschen kämpfen, habe ich recht? Es ist gar nicht euer Ziel, sie auszulöschen! Denn dann hättet ihr niemanden mehr, den ihr ärgern könnt – und das ist doch eure Natur! Was lasst ihr euch von ihm Befehle erteilen, ihr könntet ihn doch einfach gemeinsam bekämpfen!“

Das Stimmengewirr wurde noch grösser und ein besonders grosser Kobold trat aus der Menge.
„Was du sagst, ist war Katze. Wir wollen nicht kämpfen, und gegen die Menschen haben wir erst recht nichts. Aber ihr seid es doch, die uns dazu zwingt. Lykander spricht für alle. Wenn Lykander sagt, dass die Katzendämonen uns dazu zwingen!“ Ein paar Kobolde nickten zustimmend.
„Ach ja? Wenn wir es sind, die euch dazu bringen, warum verbündet ihr euch dann mit einem von uns?“ Darüber musste er erst einmal eine Weile nachdenken, ehe er antwortete.
„Delwowar hat uns Macht gegeben. Delwowar hat uns nicht unterdrückt!“
„Wirklich? – und warum fürchtet ihr euch denn so vor ihm? Ich glaube nicht, dass er euch wirklich so gut behandelt, wie du sagst. Ich habe selbst gehört, wie er euch Nichtsnutze genannt hat.“
„Nein, Delwowar würde uns nie als Nichtsnutze bezeichnen“, sagte er überzeugt. Da trat ein weiterer Kobold aus der Menge.
„Da muss Hulier Lykander widersprechen! Hulier ist dabei gewesen, als wir als Nichtsnutze bezeichnet wurden.“ Ich lächelte überlegen und sah zu Shawn hinüber. Der stand wie eine Statue auf dem Altar und schien sich nicht bewegen zu wollen.
„Da hört ihr es, er will euch nur ausnutzen! Wenn ihr den dunklen Fürsten befreit habt, wird er euch einfach fallen lassen, dann seid ihr für ihn wertlos. Kämpft gemeinsam mit mir gegen ihn, zusammen können wir gegen ihn gewinnen!“
„Warum sollten wir einem Kind trauen? Wenn wir dir helfen, dann wird deine Art uns einfach weiter unterdrücken und uns in den Untergrund verbannen.“ Ich schüttelte energisch den Kopf. Jetzt, da ich wusste, wie die Kobolde wirklich waren, hatten sie die Chance verdient, von uns angehört zu werden und nicht weiter im Untergrund leben zu müssen. Was kümmerte es uns, wenn sie den Menschen Streiche spielten! Solange diese unser Leben nicht gefährdeten, hatten wir nichts dagegen. Unser Eingreifen war viel zu hart gewesen. Sobald ein Kobold gesichtet worden war, hatte man Jagd auf ihn gemacht.

„Nein, das was wir euch angetan haben, ist unverzeihlich, und unser Vorgehen war viel zu hart. Wir hätten euch erst näher kennen lernen sollen, bevor wir euch verurteilten. Die Menschen könnten ruhig ein paar Streiche vertragen. Immerhin bekommen sie so vielleicht etwas zu spüren, dass noch etwas anderes existiert. Nur haben wir einen vollkommen falschen Eindruck von euch bekommen und diesen von Generation zu Generation weitergegeben.“ In den Unterrichtsstunden war uns gesagt worden, dass die Kobolde nichts weiter als Witzbolde und Tiere waren. Die einzige, die das Volk etwas näher betrachtet hat, war Mum. „Vielleicht kennt ihr eine weisshaarige Frau? Ihr müsst sie doch in eure Stadt gelassen haben, oder?“ Lykander nickte.
„Ja, so eine Frau ist uns bekannt. Sie kam und wollte mehr über uns erfahren und wir liessen sie ohne Fragen zu stellen in unser Reich. Delwowar aber sagte uns, dass sie uns verhext und uns so geblendet habe.“
„Das glaube ich nicht, meine Mutter hat ganz sicher nicht ihre Kräfte eingesetzt. Sie wollte ernsthaft eure Kultur näher kennen lernen. Hat sie euch jemals irgendetwas Böses getan?“ Der Kobold konnte keinen Vorfall nennen, er musste zugeben, dass sie sie stets geachtet hatte. „Genauso wie sie will auch ich euch besser kennenlernen und nicht gegen euch kämpfen!“, rief ich zum Schluss.

Stille herrschte ihm Saal, die Gespräche waren verstummt und alle hatten meinen Worten gelauscht. Dann durchbrach ein Klatschen die Stille. Shawn klatschte und fing dann auch noch an, höhnisch zu lachen.
„Wie rührend, Junge! Aber denkst du im Ernst, die nehmen dir das ab? Denkst du wirklich, du kannst hier grosse Reden schwingen und die Kobolde würden sich auf deine Seite stellen? Langsam, aber sicher gehst du mir auf die Nerven, Junge. Nehmt die beiden jetzt endlich fest und fahrt mit dem Ritual fort!“ Ein paar Kobolde wollten seinem Befehl nachkommen, doch Lykander hielt sie auf.
„Wartet, gebt der Katze eine Chance, uns zu beweisen, dass seine Rasse ihr Wort wirklich halten wird.“ An mich gewandt fuhr er fort: „Nun gut, Katze, sprich!“ Sie hörten mir tatsächlich zu. Ich stand kurz davor, sie zu überzeugen. Aber was sollte ich nun sagen? Wie konnte ich sie davon überzeugen, dass wir wirklich auf ihrer Seite standen? Angestrengt dachte ich nach.
„Zeig ihnen dein Mal, vielleicht kann sie das davon überzeugen.“
„Bist du dir sicher Grossvater?“
„Ob es funktioniert, findest du nur heraus, wenn du es versuchst.“
Grossvater hatte recht, wenn ich es nicht versuchte, würde ich auch nicht wissen, ob es klappte.
„Dann hört mir zu! Ich verspreche euch, dass wir ein Abkommen aushandeln werden. Ich verspreche euch das als Vertreter der Halfmoon-Familie“, sagte ich und zog mein Stirnband aus. Die Kobolde wichen einen Schritt zurück. Sie schienen das Mal zu kennen und nun Angst vor mir zu haben.
„Du gehörst wie die Frau zu den grossen fünf. Du bist aber sicher noch viel zu jung, um eine führende Position einzunehmen.“
„Mein Name ist Sky Halfmoon und ich werde eines Tages der König der Katzendämonen sein!“ Ich muss zugeben, das mit dem König war zwar leicht übertrieben, aber es schien zu wirken. Kirlander kam mir auch noch zu Hilfe.
„Kirlander bürgt für Sky Halfmoon, er ist genauso gütig wie seine Mutter. Onkel, bitte hör auf ihn! Ein Kampf gegen die Menschen ist vollkommen sinnlos.“ Lykander ist Kirlanders Onkel, vom Namen her hätte man eigentlich darauf kommen können. „Der Prinz der Katzendämonen gibt uns sein Wort. Wenn sie es jetzt nicht halten, verraten sie ihre eigene Ehre. Niemand von uns will wirklich den dunklen Fürsten befreien. Er ist der schlimmste Dämon von allen.“
„Ihr verlasst euch auf das Wort eines Kindes, wie erbärmlich! Überlegt, bevor ihr irgendetwas beschliesst! Fahrt jetzt mit dem Ritual weiter und beachtet den Jungen nicht weiter! Um ihn können wir uns später kümmern!“

Die Kobolde schienen sich jedoch endgültig von ihm abgewandt zu haben. „Seid ihr taub? Ich habe euch etwas befohlen, und nun führt es aus!“ Shawn verlor langsam die Beherrschung, seine Augen wurden noch schwärzer. „Ich bin euer König! Erst wenn mich jemand besiegt, bin ich das nicht mehr!“ Obwohl die Kobolde nicht kämpfen wollten, schien die Tatsache, dass Shawn ihr Anführer war, sie zu beeinflussen. „Wie ihr wollt, dann werde ich mich eben persönlich um den Jungen kümmern. Wenn ich mich um den Störenfried gekümmert habe, werdet ihr mit dem Ritual fortfahren!“ Shawn sprang vom Altar und die Kobolde wichen vor ihm zurück. Keiner wagte es, sich ihm in den Weg zu stellen, und sie machten ihm Platz. Unaufhaltsam kam er auf mich zu. Mir kam es so vor, als würde er sich in Zeitlupe bewegen. Kirlander, der bis jetzt hinter mir gestanden war, rannte mit erhobenem Hammer auf Shawn zu.
„Sky hat Kirlander versprochen, dass sich Katzendämonen und Kobolde nicht weiter bekämpfen werden!“ Mit einem kräftigen Hieb wollte Kirlander Shawn stoppen. Blitzschnell wich er jedoch einfach zu Seite aus. Der Schlag verfehlte sein Ziel und zertrümmerte stattdessen eine Bodenplatte.

Bevor Kirlander seinen Hammer auch nur wieder anheben konnte, versetzte ihm Shawn einen Tritt. Der junge Kobold wurde direkt in die Menge geschleudert und riss noch vier andere Kobolde mit sich zu Boden.
„Kirlander!“
Was dachte er sich auch dabei? Er hatte nicht die geringste Chance, so stark er auch sein mochte. Mit Shawns Geschwindigkeit konnte er nicht mithalten. Anstatt es einfach gut sein zu lassen und liegen zu bleiben, stand er wieder auf.
„Es braucht schon mehr als einen Tritt, um einem Kobold etwas anzuhaben!“, rief er, bevor er einen erneuten Angriff startete. Dieses Mal schaffte er es nicht einmal mehr, überhaupt zuzuschlagen. Wie er es mit mir gemacht hatte, packte er den Kobold am Hals und hob ihn hoch. Kirlander war jedoch nicht so blöd und liess seine Waffe fallen. Er versuchte mit seinem Hammer auf Shawn einzuschlagen und sich so aus seinem Griff zu befreien. Shawn fing den Schlag ab und riss ihm den Hammer aus der Hand.
„Für dich mickrige Kreatur brauche ich noch nicht einmal mein Schwert. Wollen wir doch einmal sehen, wie viele Schläge so ein Kobold wegstecken kann! Na, was meint ihr?“ Seine freie Hand schnellte vor und traf Kirlander direkt in die Magengrube. Der röchelte und krümmte sich unter der Wucht des Schlages zusammen. „Das war Schlag Nummer eins. Wie sieht es aus, Kobold, bist du immer noch so selbstsicher?“
„Das … macht Kirlander nichts aus“, stiess er hervor. Zwei weitere Schläge folgten, beide wieder direkt in den Magen. „Hinter deinen Schlägen … steckt keinerlei Kraft.“
„Na, wenn das so ist, macht es dir ja auch nichts aus, wenn ich weitermache.“ Weitere Schläge folgten, doch er beliess es nicht nur bei Kirlanders Körper, jetzt schlug er ihm auch ins Gesicht. Bald lief ihm Blut aus Mund und Nase und trotzdem gab er keinen Laut von sich. „Zehn Schläge, nicht übel, Kleiner! Doch jetzt bettelst du sicher um Gnade, habe ich recht?“
„Kirlander … denkt … nicht einmal … daran“, sagte er und spuckte Shawn ins Gesicht. Seine Mundwinkel zuckten, als er sich die Spucke aus dem Gesicht wischte.
„Jetzt reicht es, du bist zu weit gegangen!“, brüllte er den Kobold an und schlug erneut zu. Dieser Schlag war zuviel für Kirlander. Er verdrehte die Augen und verlor das Bewusstsein. Das hielt Shawn aber nicht davon ab, weiter auf ihn einzuschlagen.

„Zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, … siebzehn“, zählte er jeden seiner weiteren Schläge. Ihm schien es überhaupt nichts auszumachen, dass er hier auf ein lebendiges Wesen und nicht auf einen Boxsack einschlug. Mein ganzer Körper bebte vor Wut und Abscheu. Mit geballten Fäusten stand ich da und schaute zu. Kirlander lebte noch, seine Aura konnte ich noch wahrnehmen. Aber wie lange er noch leben würde, das wusste ich nicht.

„Aufhören! Das reicht, lass ihn in Ruhe! Du verdammter Feigling, kämpf gegen mich! Das ist es doch, was du wolltest!“, brüllte ich und fuchtelte dabei wie wild mit den Armen. Ich kannte diesen Kobold zwar erst seit ein paar Stunden, aber irgendwie mochte ich den kleinen Kerl. Auch wenn er seltsam redete und mir das ganz schön auf die Nerven ging. Kirlander hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um mich zu beschützen. Jetzt konnte ich nicht einfach dabei zusehen, wie Shawn ihn umbrachte. „Hör auf!“ Shawn hielt inne und drehte sich zu mir.
„Sieh an, du empfindest tatsächlich Mitleid für diese erbärmliche Kreatur? Dieser Jämmerling war einfach zu schwach und hat seine Grenzen nicht gekannt. Das hat er nun davon!“
„Lass ihn los!“, fauchte ich.
„Du willst, dass ich ihn loslasse, dann fang!“, rief er und schleuderte mir Kirlander entgegen. Ich fing ihn zwar auf, wurde aber mit ihm zusammen zu Boden gerissen. Vorsichtig legte ich ihn auf den Boden und richtete mich wieder auf. Sein Gesicht konnte man kaum noch erkennen, sosehr hatte Shawn darauf eingeschlagen. Lykander war der erste, der sich bewegte. Doch dann kam auch Bewegung in die anderen Kobolde. Sie wollten sehen, wie es um ihn stand.
„Er lebt noch, aber er braucht dringend Hilfe. Wenn ihr irgendwelche Heiler oder so etwas habt, dann helft ihm“, bat ich sie. Ein weiblicher Kobold trat aus der Menge und kniete sich neben Kirlander hin.
„Nihalir wird sich um Kirlander kümmern“, sagte sie. Für ihn konnte ich nichts mehr tun, die Kobolde mussten sich jetzt um ihn kümmern. Wie konnte jemand so grausam sein und immer noch dabei lächeln!

Shawn war wirklich wahnsinnig. Keiner, der noch bei Verstand war, würde so etwas tun, da war ich mir sicher. Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu und zeigte dann mit ausgestrecktem Arm auf ihn.
„Shawn McCall, ich fordere dich zum Duell heraus! Wenn ich gewinne, werde ich der Anführer der Kobolde und du wirst für immer von hier verschwinden!“
„Einfach köstlich, ich werde von einem kleinen Jungen herausgefordert.“ Er nahm meine Herausforderung gar nicht ernst, warum sollte er auch? Ich war bei Weitem noch nicht stark genug. Gegen so einen Gegner hatte ich keine Chance. Vielleicht konnte ich ihn eine Weile beschäftigen, aber gewinnen konnte ich nicht. Meine Schockwellen mochten zwar stark sein, doch sie waren viel zu langsam. Auch wenn Shawn diese Kräfte nicht hätte, würde ich wahrscheinlich gegen ihn verlieren. Er trainierte viel länger als ich und hatte wesentlich mehr Erfahrung.
„Das nenne ich einmal Selbstvertrauen. Es ist zwar nicht schlecht, wenn man nicht zu viel davon hat, aber du besitzt überhaupt keines. In diesem Fall musst du kämpfen, auch wenn du keine Aussicht darauf hast zu gewinnen.“ Wieder hatte Grossvater recht! Ich musste kämpfen, egal was passierte. Kirlander hatte gekämpft, obwohl er noch weniger Chancen als ich hatte. Was für ein Feigling musste ich sein, wenn ich jetzt davonlaufen würde? Entschlossen umklammerte ich mein Schwert. Ich würde nicht davonlaufen. Ich würde kämpfen, schliesslich war das mein Schicksal.

„Nimmst du meine Herausforderung nun an oder kneifst du?“ Er nahm sein Schwert und sagte:
„Wenn du unbedingt sterben willst, Junge. Ich mache dir noch ein letztes Mal ein Angebot. Willst du nicht lieber an meiner Seite die Menschen vernichten? Du könntest ein grossartiger Kämpfer werden. Es wäre Verschwendung, dich jetzt zu erledigen. Was sagst du, schliesst du dich mir an?“
„Niemals, so lange ich lebe, werde ich mich dir nie anschliessen!“ Shawn schüttelte den Kopf, er sah sogar ein bisschen enttäuscht aus.
„Schade, äusserst schade! So bleibt mir keine andere Wahl, als dich aus dem Weg zu räumen.“ Die Kobolde wichen zurück und machten uns Platz; sie wollten uns nicht in die Quere kommen. Ich hob das Schwert, schloss die Augen und konzentrierte mich nur auf seine Aura. Mit dieser Methode hatte ich die besten Chancen, möglichst lange durchzuhalten. Wie bei unserem letzten Kampf legte ich alles daran, seinen Schlägen auszuweichen. Dank dem Umstand, dass ich schon im Voraus wusste, wann er angreifen wollte, schaffte ich es trotz seiner Geschwindigkeit, nicht getroffen zu werden. Wenn ich aber immer auswich, konnte ich ihm keinen Schaden zufügen. Und über kurz oder lang würde er mich treffen. Regulus war eines der mächtigsten Schwerter, die es im Moment gab. Warum sollte ich es dann nicht einsetzen?

Shawn unterschätzte mich immer noch, das merkte man an seinen Bewegungen: Sie waren nicht so schnell, wie sie hätten sein können. Diese Arroganz nutzte ich aus und griff selbst an. Der Hieb überraschte ihn und es gelang mir, sein Schwert zu zerschlagen. Jetzt stand er ohne Waffe da und ich liess einen Hieb nach dem anderen auf ihn niederprasseln. Er wich allen aus und liess mich Löcher in die Luft schlagen.
„Bleib verdammt noch mal stehen!“ Wütend schoss ich nun auch mit Schockwellen auf ihn. All meinen Angriffen wich er mit Leichtigkeit aus und schlug dabei sogar noch ein Rad. Schwer atmend stand ich da und Shawn grinste wahnsinnig.
„Komm schon, Junge, zeig mir, was du drauf hast! Ich will endlich wieder einmal eine Herausforderung. Lass deine dämonische Seite raus, du willst mich doch schlagen, oder etwa nicht?“
„Ahhhhhhh!“, rief ich und stürzte mich auf ihn. Warum musste so ein Kerl solche Kräfte besitzen? Egal wie ich mich anstrengte, ich konnte ihn einfach nicht treffen. Shawn schien sogar langsam Spass daran zu haben, er spielte nur mit mir.

„Warum bringst du es denn nicht einfach zu Ende, wenn du mich sowieso aus dem Weg räumen willst?“
„Ach weisst du, ich hatte schon lange keinen Gegner mehr, der mich überhaupt verletzen konnte. Du hingegen hast mich überrascht, deine Kräfte sind wirklich faszinierend. Wirklich schade, dass du Sams Sohn bist! Hätte er mir Victoria nicht weggenommen, könntest du mein Sohn sein.“ Was meinte er damit, ich könnte sein Sohn sein? „Aber nein, Victoria hatte ja immer nur Augen für Sam. Mich hat sie nicht einmal angesehen, wenn er in der Nähe war. Ich stand immer nur in seinem Schatten, nur weil ich nicht so stark war. Doch heute bin ich der Stärkere von uns beiden, jetzt besitze ich mehr Macht als alle anderen.“
„Meine Mutter hat sich vollkommen richtig entschieden. Mein Vater ist zwar nicht immer perfekt, aber er würde nie und nimmer seine Macht missbrauchen. Du glaubst, dass du stärker bist als er. Da liegst du falsch, du wirst nie stärker als mein Vater sein!“ Seine Miene verdüsterte sich, sein Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.
„Genug gespielt, jetzt wird es Zeit, dass wir endlich mit dem Ritual beginnen!“ Zum ersten Mal verwandelte er sich und seine Kraft stieg um ein Vielfaches an. Seine Augen waren vollkommen dunkel. Auch das Weisse seiner Augen war nun pechschwarz. Die Aura, die ihn jetzt umgab, war dunkel, wirklich dunkel. So viel Hass und Dunkelheit hatte ich noch nie in irgendeiner Aura wahrnehmen können. Gegen diese Kraft musste ich mich erst gar nicht wehren, da konnte ich gleich aufgeben. Bevor er Grossvater noch zerstörte, würde ich lieber ohne Waffe kämpfen. Ich steckte das Schwert zurück in meine Tasche und schloss die Augen.

Gleich würde er wieder angreifen und wahrscheinlich konnte ich dann nicht mehr ausweichen. Am besten, ich stellte mich schon einmal auf einen mächtigen Aufprall ein. So früh zu sterben, war eigentlich nicht mein Plan gewesen. Ich hätte lieber noch etwas gelebt, um wenigstens zu versuchen, die Erwartungen meiner Familie zu erfüllen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als sich Shawn in Bewegung setzte. Obwohl er sich unwahrscheinlich schnell bewegen musste, kam es mir so vor, als würde sich seine Aura in Zeitlupe nähern. Ich war so sehr auf Shawns Aura konzentriert, dass ich nicht bemerkte, wie sich von der anderen Seite her noch eine näherte. Gerade als er mich fast erreicht hatte, prallten die beiden Auren aufeinander und Shawn wurde quer durch den Saal geschleudert.
„Finger weg von meinem Sohn!“ Fly hatte es also geschafft, sie hatte Hilfe geholt.
„Dad, du kommst buchstäblich in letzter Sekunde.“
„Ist mit dir alles in Ordnung, Sky?“, fragte Fly.
„Mir geht es gut, aber Kirlander wurde schwer verletzt. Bitte kümmere dich um ihn!“ Sie nickte und ging zu ihm.

Nicht nur mein Vater und Fly waren gekommen, auch Kevin, Ice und meine Mum waren da.
„Mum, geht es dir wieder gut?“
„Ja, Fiona hat sich um mich gekümmert.“
„Was ist mit den Kobolden, haben sie dir irgendetwas getan?“, fragte mein Vater und sah sie misstrauisch an.
„Nein, Dad, sie sind nicht unsere Feinde, sie haben mir geholfen. Shawn ist unser Feind, er bekämpft uns, nicht sie.“
„Wie schön! Die ganze Familie ist nun versammelt, dann kann der Spass ja beginnen.“ Shawn hatte sich schnell von dem Schlag erholt, normalerweise stand man nicht so schnell wieder auf, wenn Dad seine volle Kraft einsetzte. Er klopfte sich den Staub von den Kleidern und richtete sich auf. Mum und Dads Auren waren miteinander verbunden, deshalb hatte er mit Shawn mithalten können.
„Shawn, es ist wirklich traurig, dass so etwas aus dir geworden ist! Du bist mehr Dämon als Mensch. Auch wenn du einmal mein bester Freund gewesen bist, muss ich jetzt gegen dich kämpfen.“
„Lass dieses sentimentale Gesäusel über die Vergangenheit! Heute sind wir keine Freunde mehr. Glaubst du wirklich, dass du mich so einfach besiegen kannst wie das letzte Mal? Da täuscht du dich gewaltig, in den Jahren, in denen ich gegen Dämonen gekämpft habe, bin ich einiges stärker geworden.“
„Du kämpfst ganz alleine, Shawn! Gib auf, du kannst nicht gewinnen! Errichte die Barriere wieder und blas den ganzen Irrsinn hier ab! Noch kannst du wieder mit uns zusammen nach Hause gehen.“ Er bot ihm wirklich an, wieder im Half-Moon-Viertel zu leben. Gut, sie waren Freunde gewesen. Wenn Ice jetzt dort stehen würde, würde ich auch alles versuchen, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen.
„Ich habe kein Zuhause mehr, das haben mir die Menschen genommen. Und das verzeihe ich ihnen nie! Seht das doch endlich ein! Kämpft an meiner Seite gegen die Menschen, vernichtet sie mit mir gemeinsam! Wir könnten wieder ein Team sein, genauso wie früher.“ Mein Vater schüttelte traurig den Kopf und atmete tief durch.
„Es wird nie wieder so wie früher sein! Ich bin für das Wohl des Viertels und das meiner Familie verantwortlich.“
„Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als zu kämpfen!“ Dad und Shawn gingen aufeinander los und mit ihnen prallten zwei mächtige Auren aufeinander.



Das Tor zur Macht



So einen Kampf würde ich wahrscheinlich nie mehr im Leben sehen. So viel Macht hatte ich noch nie gesehen, es war beängstigend. Sie bewegten sich so schnell, dass man sie mit den Augen fast nicht mehr sehen konnte. Die Auren der beiden waren so stark, dass sie eine Art Rüstung bildeten und sie vor Schaden beschützte. In dieser Form konnte man die Auren mit blossem Auge sehen. Normalerweise schimmerten sie rötlich, doch bei Shawn war sie schwarz. Diese Technik funktionierte nur, wenn man seine Aura absolut im Griff hatte und sie auch eine gewisse Stärke besass. Ich wusste nicht, ob Shawn diese Technik auch beherrschte oder ob ihn einfach seine ungeheure dämonische Macht beschützte. Ihre Schläge blockten sie gegenseitig ab und keiner schien dem anderen irgendwelchen Schaden zufügen zu können. Mein Vater kämpfte ohne Schwert oder sonstige Waffen. Es schien fast so, als wollte er Shawn nicht ernsthaft verletzen. Jeder Schlag, der sein Ziel verfehlte, zertrümmerte das, was getroffen wurde. Mum und Kevin mischten sich bis jetzt noch nicht in den Kampf ein. Sie schienen erst abzuwarten, ob Dad nicht auch alleine klarkam. Dad kämpfte gut, auch traf er Shawn mehr, als er selbst getroffen wurde. Nur schienen ihm die Treffer einfach nichts auszumachen, sie konnten seinen Schild nicht durchdringen.
„Er kann seinen Schild nicht durchdringen, ich werde ihm helfen“, sagte Kevin und griff nun selbst in den Kampf ein. Shawn, der sich vollkommen auf Dads Angriffe konzentrierte, merkte gar nicht, wie sich Kevin von hinten näherte.

Die meisten Kobolde waren schon aus dem Tempel geflohen. Nur ein paar wenige waren noch da und sahen bei dem Kampf zu, unter ihnen auch Lykander und Nihalir. Unter Einsatz all seiner Kräfte gelang es Kevin, Shawn von hinten zu packen und festzuhalten. Seine Säure frass sich langsam, aber sicher durch die Aura und traf dann auf Shawns Kleidung, die sie ihm im Nu zerfrass. Als sie dann seine Haut verätzten, brüllte Shawn und versuchte sich mit aller Macht von Kevin zu befreien. Dieser Gegenwehr konnte er nicht lange standhalten, er spielte einfach nicht in derselben Liga. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fuhr er zu Kevin herum und verpasste ihm einen kräftigen Tritt. Um den Tritt abzublocken, hob Kevin schützend seine Arme. Das nützte ihm aber nicht wirklich viel, die Wucht des Aufpralls riss ihn einfach von den Füssen und fegte ihn gegen die Wand.
„Dad!“, rief Ice und wollte auf Shawn losgehen.
„Du kannst ihm nicht helfen“, sagte Mum und hielt ihn fest. Ices Vater konnte genauso wie Ice selbst keine Auren sehen und deshalb auch keinen Schutzschild erzeugen. Der eine Treffer reichte aus, um ihn ausser Gefecht zu setzen. Kevins Einsatz war aber nicht umsonst gewesen, er hatte dadurch Shawns Schild fast vollkommen ausgeschaltet. Das gab Dad die Gelegenheit, Shawn endlich irgendwelchen Schaden zuzufügen. Endlich zeigten seine Schläge Wirkung. Nicht lange jedoch, und seine Aura schützte ihn wieder. Zwar hatte er jetzt üble Verätzungen an beiden Armen und ein paar Zähne weniger, aber nun konnte Dad ihm wieder nichts anhaben. Die Kräfte der beiden waren beinahe gleich gross und so konnte sich keiner der beiden einen Vorteil verschaffen.

Ich wusste nicht, wie lange die beiden immer wieder aufeinander losgingen und versuchten, irgendwie die Oberhand zu gewinnen. Ice hätte noch immer am liebsten in den Kampf eingegriffen, doch blieb er neben meiner Mutter stehen. Nach einem weiteren Schlagabtausch, sprang Shawn ein paar Schritte zurück, um einen Moment Ruhe zu haben.
„Ich muss zugeben, dass ihr zusammen wirklich erstaunlich stark seid. Aber was ist, wenn du ganz alleine kämpfen musst, Sam, was machst du dann?“, fragte er. Shawn nahm Mum ins Visier und rannte auf sie zu. Dad war ihm zwar fast ebenbürtig, doch mit seiner Geschwindigkeit konnte er nicht mithalten. Bevor er Shawn erreichen würde, würde dieser Mum erreichen. Ich selbst stand auch viel zu weit weg und konnte sowieso nichts ausrichten. Es gelang ihr, den ersten Schlägen auszuweichen, doch dann packte Shawn sie. Obwohl Fly sie behandelt hatte, musste ihr das Medikament immer noch zusetzen.
„Lass sie in Ruhe, der Kampf ist zwischen dir und mir!“, brüllte mein Vater und stürmte auf Shawn zu.
„Es tut mir leid, meine Liebe, aber ich muss dich jetzt ausser Gefecht setzen.“ Ohne irgendeine Furcht griff Ice an. Seine Faust schimmerte bläulich, wahrscheinlich war sie von Eis umschlossen. Man konnte ihn mutig oder einen Narren nennen. Selbst wenn er die Macht seiner Aura nicht wahrnehmen konnte, seine Rüstung musste er doch sehen. Zu meiner Überraschung traf sein Schlag.
„Nimm das!“, rief er und legte sein ganzes Gewicht in den Hieb. Zuerst sah es so aus, als würde er an dem Schild scheitern, doch dann durchdrang er ihn irgendwie. Ice erwischte ihn direkt unterm Kinn. Wann hatte er gelernt, mit dem Eis seinen Körper zu überziehen? Ich hatte bis jetzt nur gesehen, wie er Eisnadeln geschossen hatte. Shawns Kopf flog zurück und er liess Mum los.

Nun packte er Ice, brach ihm blitzschnell den Arm und warf ihn wie ein Stück Abfall von sich. Nachdem er Ice losgeworden war, wandte er sich wieder Mum zu und schlug sie mit einem Schlag in den Nacken bewusstlos. Das alles ging so blitzartig, dass Dad nicht schnell genug da war. Als Mum in sich zusammensackte, liess augenblicklich die Intensität von Dads Aura nach.
„Jetzt wollen wir doch sehen, wie du dich ganz alleine schlägst.“ Sie kämpften weiter und die Verteilung der Kräfte war nun überhaupt nicht mehr ausgeglichen. Da Mum Dad mit ihrer Aura nicht mehr unterstützte, hatten seine Kräfte deutlich nachgelassen. Trotz diesem unausgeglichenen Kräfteverhältnis schaffte es mein Vater irgendwie, weiter Shawns Angriffen standzuhalten.
„Shawn, werd doch endlich vernünftig! Was hast du davon, wenn du die Menschen vernichtest?“
„Ich muss sie nicht mehr ertragen, sie haben mir alles genommen!“ Er setzte ein wahnsinniges Lächeln auf. „Ausserdem habe ich die Macht dazu, wenn du es doch einfach nur ausprobieren würdest! Du ahnst ja nicht, was für eine Macht in dir steckt.“
„Sieh dich doch an, das hat diese Macht aus dir gemacht. Du bist ein Monster geworden!“ Shawn fletschte die Zähne.
„Dann muss ich dir leider mitteilen, dass deine Zeit abgelaufen ist.“

Wieder gingen sie aufeinander los. Nur dieses Mal schien es Shawn wirklich ernst zu meinen. Bald hatte er Dads Schild ausgeschaltet. Und wenn er jetzt treffen würde, kam er nicht mehr ohne Verletzung davon. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er verlieren würde. Und mit Verlieren meinte ich Sterben. Vollkommen gelähmt stand ich da und sah dabei zu, wie mein Vater immer mehr Schläge einstecken musste. Sosehr ich mich bewegen wollte, mein Körper gehorchte mir nicht. Lange würde er sich nicht mehr wehren können. Mein Vater musste schon zahlreiche gebrochene Knochen haben und trotzdem kämpfte er weiter. Und ich stand hier wie angenagelt. Wie war die ganze Sache eigentlich so ausser Kontrolle geraten? Noch vor wenigen Tagen war noch alles in Ordnung und mein grösstes Problem waren die Prüfungen gewesen. Jetzt sah ich zu, wie mein Vater von Shawn immer übler zugerichtet wurde.
„Das wird wohl reichen, du wirst nirgends mehr hingehen“, sagte er und liess Dad fallen.
„Wollen wir uns doch erst einmal dem restlichen Besuch widmen.“
„Lass … die Kinder … aus dem … Spiel“, sagte er und hielt Shawn am Knöchel fest.
„Keine Sorge, Sam, du kommst noch früh genug an die Reihe!“

Er riss sich los und ging direkt auf Fiona zu, die genauso gelähmt wie ich neben den Kobolden stand. Sie sah so aus, als würde sie gleich umkippen. Wahrscheinlich war sie vollkommen erschöpft. Kirlander sah schon wesentlich besser aus und das musste sie grosse Mühe gekostet haben.
„Sieh an, eine Firelight! Und ich dachte, ihr seid alle bei dem Angriff vor sieben Jahren umgekommen. Wie es scheint, habe ich mich da geirrt. Du bist äusserst lebendig und deine Fähigkeiten sind beeindruckend.“ Als wäre sie ein Produkt, das er kaufen wollte, ging er um sie herum und begutachtete sie von allen Seiten. Vor ihr blieb er dann wieder stehen und packte sie am Kinn.
„Finger weg von ihr!“ Ice, er stand wieder und seine linke Faust schimmerte bläulich. Sein rechter Arm sah wirklich übel aus, so genau wollte ich da gar nicht hinsehen.
„Eines muss man euch Kindern lassen, so schnell gebt ihr nicht auf.“ Wollte er wirklich noch so einen Angriff starten? War ihm ein gebrochener Arm denn nicht genug?
„Ich sagte, du sollst sie loslassen! Sky, was stehst du da rum, wir müssen etwas unternehmen!“
„Ich … ich kann nicht“, stotterte ich. Dad hatte ihm nichts anhaben können, Mum und Kevin waren bewusstlos und Ice war auch verletzt. Meine Beine gaben nach und ich fiel auf die Knie.
„Da habe ich mich wohl geirrt, Junge! Du fällst ja gleich in Ohnmacht vor Angst“, sagte er und lachte höhnisch.
„Sky, reiss dich verdammt nochmal zusammen und steh auf!“
„Nein, nein, nein, nein …“, flüsterte ich. Mit beiden Händen hielt ich meinen Kopf. Das alles konnte nur ein übler Albtraum sein, das konnte nicht wahr sein! Gleich würde ich aufwachen und alles würde wieder gut sein. Doch ich wachte nicht auf, der Albtraum ging weiter und ich musste einsehen, dass das Ganze kein Albtraum, sondern harte Realität war. Da ich mich nicht bewegte, griff Ice ohne mich an. Was ich von seinem Angriff mitbekam, war, dass Ice in hohem Bogen zurückgeschleudert wurde. Er gab aber noch immer nicht auf. Immer wieder griff er an und immer lief es auf dasselbe hinaus.
„Du verdammter … Mistkerl“, stiess er hervor und wollte wieder aufstehen. Doch sein Körper konnte nicht mehr.
„Anscheinend bist du jetzt am Ende. Jetzt wird es langsam Zeit, dass endlich das Ritual fortgesetzt wird.“

Shawn wandte sich wieder an Fiona.
„Heile meine Wunden, dich werde ich verschonen. Deine Fähigkeiten sind viel zu wertvoll, um sie endgültig auszulöschen.“ Flys Gesichtsausdruck entgleiste.
„Was … was meinst du … du mit endgültig?“, fragte sie und ihre Stimme zitterte vor Wut.
„Ach, das vor sieben Jahren war ein kleiner Testlauf, der leider ausser Kontrolle geraten war. Eigentlich wollte ich, dass die Kobolde nur einen Basilisken herbeirufen. Dabei sind versehentlich ein paar mehr gekommen. Nur wollte ich nicht alle alleine erledigen und so habe ich sie ins Half-Moon-Viertel geschickt.“ Wir hatten nie herausgefunden, warum die Basilisken uns angegriffen hatten. Nun wussten wir es.

Die Aura meines Grossvaters war wieder voll da, er schäumte vor Wut. Immerhin hatten die Basilisken sein Leben beendet.
„Duuuu, du bist schuld am Tod meiner Familie!“
„Nana, ich habe sie nicht umgebracht. Was schickt man auch die besten Mediziner in den Kampf. Sie hätten sich lieber um die Verwundeten kümmern sollen, anstatt sich in den Kampf einzumischen.“
„Du hast sie umgebracht, das ist alles deine Schuld!“
„Wenn ich mich richtig entsinne, sind deine Grosseltern genauso in einem Kampf gefallen. Deine Familie scheint einfach nicht das Zeug dazu zu haben, zu kämpfen. Glaube mir, ich hatte nicht vor, deiner Familie zu schaden. Dafür sind eure Fähigkeiten viel zu wertvoll.“ Fly liefen Tränen vor Wut die Wangen hinunter. Wenn sie jemanden noch mehr hasste als die Basilisken, dann war es die Person, die für den Angriff verantwortlich war. „Genug geplaudert, jetzt wirst du meine Wunden heilen.“
„Niemals, nicht einmal einen Kratzer werde ich dir heilen!“ Hinter ihrem Rücken aktivierte sie einen Dolch.
„Stell dich nicht so an, Kleine“, sagte er und rückte noch dichter an sie heran.
„Vergiss es!“, rief sie und stach zu. Shawn hatte nicht mit dieser Reaktion gerechnet und wich ihrem Dolch nicht aus. Vielleicht dachte er, dass sein Schild ihn vor dem Dolch schützen würde, doch da hatte er sich verschätzt. Der Dolch drang tief in seine linke Schulter ein. Brüllend verpasste er Fly eine Ohrfeige und zog den Dolch heraus.
„Ungezogene Göre, du wirst dich mir schon noch anschliessen“, zischte er und presste seine Hand auf die Wunde. Fiona wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das aus ihrer aufgeplatzten Lippe strömte, und die Wunde schloss sich wieder.
„Vorher sterbe ich!“ Sie sah mich an. „Sky, steh auf, du musst kämpfen. Er ist weitaus schlimmer verletzt, als er zugeben will. Wenn du ihn jetzt angreifst, hast du eine Chance!“
„Das würde ich lieber lassen, Junge! Auch wenn ich noch so angeschlagen bin, gegen dich werde ich nicht verlieren.“ Er warf den Dolch von sich und ging auf mich zu.

Alles um mich herum war stockfinster. Hatte er mich schon erledigt? Konnte das sein, ich war ganz alleine. Plötzlich tauchte vor mir ein Tor auf, so eines, wie man es in vielen Auffahrten sehen konnte. Rechts und links von dem Tor tauchten wie aus dem Nichts Wände auf. Das alles leuchtete und brachte Licht ins Dunkle. Ich schien zu schweben, zumindest berührte ich den Boden nicht. Da fiel mir erst auf, dass es überhaupt keinen Boden gab. Was war hier los, wo war ich hier?
„Du weisst wirklich nicht, wo du bist?“ Wer hatte das gesagt, ich konnte niemanden erkennen. „Ich bin hier“, sagte die Stimme erneut und irgendwie kam sie mir bekannt vor. Jemand trat, oder besser gesagt schwebte auf der anderen Seite des Tores aus der Dunkelheit. Um ganz sicher zu sein, rieb ich mir die Augen. Stand da wirklich ich selbst hinter dem Tor? „Deine Augen trügen dich nicht, ich bin du und du bist ich. Wir sind ein und dieselbe Person, mit einem Unterschied.“ Wie war das möglich, ich konnte doch nicht zweimal existieren. Mein zweites Ich kam noch näher an das Tor heran, blieb aber eine Handbreite davor stehen. „Ich besitze weitaus mehr Macht als du! Nichts kann mich aufhalten, naja, fast nichts.“ Unmöglich, warum sollte er mehr Macht besitzen als ich, wenn wir ein und dieselbe Person sein sollten? „Dieses Tor trennt uns voneinander und du bist der einzige, der es öffnen kann. Öffne es und meine Macht wird auch deine sein. Wir stecken ganz schön in Schwierigkeiten, da könnte etwas Power nicht schaden, habe ich recht?“
„Wo sind wir hier?“
„Hast du das etwa immer noch nicht kapiert, wir sind in deinem Innersten.“ In meinem Innersten, dann war das hier … Mein zweites Ich lächelte. „Wie ich sehe, hast du es jetzt begriffen. Nun sag schon, wie lautet deine Entscheidung?“ Ich hatte mir die Barriere, die mich von meiner dämonischen Seite trennte, ganz anders vorgestellt. Warum war mir bis jetzt nicht aufgefallen, dass mein zweites Ich pechschwarze Augen hatte? Hinter dem Tor nahm ich eine ungeheure Kraft wahr, diese musste unglaublich mächtig sein. Täuschte ich mich, oder war diese Energie noch viel stärker als die, die ich bei Shawn gespürt hatte?
„Ganz richtig, wir besitzen weitaus mehr Macht als diese Witzfigur. Shawn ist schwach und genau so schwach sind seine dämonischen Kräfte. Mit unseren kann er sich bei Weitem nicht messen.“ Weitaus mächtiger, musste ich also nur dieses Tor öffnen, um ihn besiegen zu können? „Ich weiss ganz genau, dass du Shawn vernichten willst. Immerhin hat er deine Familie und deine Freunde schwer verletzt und nun will er dich töten. Jetzt magst du noch schwach sein, aber wenn du das Tor öffnest und dich mit mir vereinst, kann uns nichts mehr aufhalten.“ Das Tor besass ein Schloss, wie sollte ich das öffnen? „Komm schon, Sky, schliess endlich dieses Tor auf“, sagte er ungeduldig.
„Aber wie soll ich …?“ Da hatte ich plötzlich einen grossen, silbernen Schlüssel in der Hand, der genau ins Schloss des Tores zu passen schien.
„Öffne es und alle deine Probleme werden sich in Luft auflösen.“ Mein Verstand sagte mir, dass das keine gute Idee war, doch jede Faser meines Körpers sehnte sich nach der Macht auf der anderen Seite des Tores. Wie von selbst schwebte ich auf das Tor zu und hielt kurz davor an. Was tat ich hier, hatte ich etwa vergessen, was aus Shawn geworden war? Er war ein Monster geworden.
„Willst du sterben? Ich glaube kaum, also öffne dieses Tor!“ Ohne dass ich es wirklich wollte, steckte ich den Schlüssel in das Loch und drehte. Geräuschlos öffnete sich das Tor und ich wurde auf die andere Seite gezogen.

Als ich die Augen öffnete, kniete ich immer noch im Tempel am Boden. Meine Angst war weg. Ich konnte es kaum noch erwarten, gegen Shawn zu kämpfen. Während ich aufstand, verwandelte ich mich und liess die neue Kraft durch meinen ganzen Körper strömen. Lächelnd blickte ich Shawn in die Augen und er blieb wie angewurzelt stehen.
„Du bist nicht der einzige, der sich traut, die Barriere zu öffnen.“
„Verstehst du jetzt, was ich damit gemeint habe, wir seien die Krone der Schöpfung? Mit dieser Macht kann uns niemand aufhalten. Wenn wir uns zusammenschliessen würden, wären wir unbesiegbar.“ Dachte er wirklich immer noch, dass ich mich ihm anschliessen würde? Wie erbärmlich, warum sollte ich mich jemandem anschliessen, der nicht annähernd so stark war wie ich? Meine Stärke übertraf seine bei weitem.

„Shawn, wie kommst du darauf, dass ich mich dir anschliessen würde? Du wolltest meinen Vater und mich selbst töten, und ausserdem hast du Fiona grosses Leid zugefügt. Mit dem Angriff der Basilisken hast du nicht nur ihr die Eltern genommen, sondern auch mir meinen Grossvater. Warum sollte ich dir das je verzeihen?“
„Ich habe keinen dieser Leute getötet. Was bildest du dir überhaupt ein, mich besiegen zu können, auch wenn du jetzt über die gleichen Kräfte verfügst.“ Über diesen Vergleich konnte ich nur lachen.
„Wenn du dir so sicher bist, dass du gewinnen wirst, dann greif mich an!“, rief ich.

Ohne weitere Worte kam er auf mich zu. Ich bewegte mich rasend schnell. Noch bevor er mich überhaupt erreicht hatte, stand ich schon an einem ganz anderen Ort. Lachend bewegte ich mich so durch den Raum. Kaum wollte ich mich bewegen, stand ich schon dort, wo ich hinwollte. Unglaublich! – sich so bewegen zu können, war einfach nur grossartig. „Hey Shawn, fang mich doch, wenn du kannst!“ Genauso wie er mit mir gespielt hatte, spielte ich nun mit ihm. Immer kurz bevor er mich erwischte, verschwand ich und tauchte hinter ihm wieder auf. Er hatte nicht die geringste Chance. Durch seine Verletzungen war er viel zu geschwächt und auch ohne hätte er wahrscheinlich nicht besser dagestanden. Ich liess ihn eine ganze Weile durch die Gegend springen und ich konnte nicht leugnen, dass es mir Spass machte.

Aber dann reichte es mir. Es wurde Zeit, ihm alles zurückzuzahlen, was er getan hatte. Als erstes warf ich ihn zu Boden und hielt ihn dort fest.
„Das hier ist für Kirlander!“, rief ich und schlug zu.
„Das hier ist für Mum! Dad! Ice! Kevin!“ Für jeden verpasste ich ihm eine.
„Und das hier ist für mich!“
Nach diesen Schlägen rührte er sich schon nicht mehr, aber ich war noch lange nicht fertig mit ihm. Aus der Tasche holte ich das Schwert und aktivierte es. Auch wenn er mich nicht mehr hören konnte, redete ich weiter. „Der Angriff der Basilisken war allein deine Schuld! Du bist schuld daran, dass Fiona ihre Eltern verloren hat! Du bist schuld daran, dass mein Grossvater sterben musste!“ Ich hob das Schwert.
„Sky, was hast du vor?“, fragte Fiona.
„Wonach sieht es denn aus? Ich gebe ihm, was er verdient hat.“
„Du willst ihn töten?“ Eigentlich wollte ich das nicht und doch nickte ich.
„Das kannst du nicht machen, ihm muss zuerst der Prozess gemacht werden.“
„Ha, er hat keinen Prozess verdient! Hast du schon vergessen, was er dir angetan hat? Du willst ihn doch genau so tot sehen wie ich.“ Sie wich meinem Blick aus und sagte dann:
„Er hat sie ja nicht getötet. Wenn ich jemanden tot sehen wollte, dann wären das die Basilisken. Nur sind die schon tot.“ Sie kam näher und wollte mir das Schwert aus der Hand nehmen.
„Nein!“ Ich stiess sie von mir und übertrieb wohl etwas, denn sie krachte auf den Boden. „Shawn hatte seine Chance und er hat sie verspielt.“

Ich richtete die Spitze auf Shawns Brust. Was tat ich da eigentlich? Ich war gerade dabei, jemanden umzubringen. Und was war mit Fly, hatte ich sie verletzt? Tu es, verdammt nochmal, er hat es verdient! Ich schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich wollte das Schwert von Shawns Brust nehmen, doch es ging nicht. Bring es zu Ende, eine bessere Gelegenheit wirst du nie wieder bekommen! Nein, was war hier los? Mein Körper gehorchte mir nicht, da war dieses zweite Ich. Ich übernehme hier, du bist zu schwach, wenn du ihn nicht tötest, wirst du das dein ganzes Leben lang bereuen. Das zweite Ich hatte mich vollkommen unter Kontrolle und ich versuchte vergeblich, mich zu wehren. Streng dich nicht an! Das Einzige, was du tun solltest, war das Tor zu öffnen; den Rest überlässt du mir. Bevor ich mich irgendwie wehren konnte, stach ich Shawn das Schwert tief in die Brust.

„Nein, nein, nein“, flüsterte ich. Wieder befand ich mich in dieser Dunkelheit, doch ich stand hinter dem Tor. Mein zweites Ich stand direkt vor mir und grinste zufrieden.
„Ich sagte doch, dass ich alle deine Probleme beseitigen werde.“
„Was hast du getan!“
„Du meinst, was wir getan haben? Schon vergessen? Du bist ich und ich bin du“, sagte er und lachte.
„Nein, wir sind nicht dieselbe Person und werden es auch nie sein!“, rief ich und stiess ihn von mir. Ich zog das Tor zu und drehte den Schlüssel im Schloss.
„Nicht, sperr mich nicht wieder weg, wir gehören zusammen!“ Ohne weiter auf seinen Protest zu hören, schloss ich ab. In dem Moment, in dem das Tor wieder verschlossen war, verlor ich das Bewusstsein.



Epilog



Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war, wie Shawn auf mich zu gekommen war. Alles, was danach geschehen war, wusste ich nicht mehr. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war, wie wir gegen Shawn dann doch noch gewinnen konnten. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf der Krankenstation und hatte keinen Kratzer. Da fragte ich mich doch, wie das möglich war, denn mein Vater, der neben mir im Bett lag, erzählte mir, dass ich Shawn aufgehalten hatte. Meine Schockwellen hätten den Tempel zum Einstürzen gebracht und Shawn dabei unter sich begraben. Nachdem er besiegt gewesen war, hatten die Kobolde die Dämonen wieder zurückgeschickt, wo auch immer sie hergekommen waren. Denn während wir im Untergrund gegen Shawn gekämpft hatten, waren die anderen damit beschäftigt gewesen, die Dämonen nicht ins Viertel vordringen zu lassen. Bei den Kämpfen war erstaunlicherweise niemand umgekommen, doch waren einige schwer verletzt worden. Fiona tat alles, um den Verletzten zu helfen, obwohl sie selbst vier gebrochene Rippen hatte. Sie ging ein paarmal sogar so weit, dass sie das Bewusstsein verlor. Nur konnte ich mich nicht daran erinnern, dass sie verletzt worden war. Es war wirklich frustrierend, sich nicht erinnern zu können, was geschehen war. Vor allem, wenn man nicht einmal eine Beule am Kopf hatte! Mein Dad hatte doch gesagt, dass ich auch von den Trümmern getroffen worden war. Aber als ich ihn fragte, warum ich denn keine Verletzungen hatte, antwortete er, dass Fiona mich vollständig geheilt hätte. Aber das wäre doch vollkommener Schwachsinn gewesen. Den anderen hatte sie auch nur so viel geholfen, dass ihre Verletzungen schneller heilten.

Shawn war noch nicht gefunden worden und trotzdem machte sich niemand Sorgen. Mir blieb zum Glück wenig Zeit, da ich mich um andere Dinge kümmern musste. Da Dad sich von seinen Verletzungen erholen musste und die Kobolde nur mir zu vertrauen schienen, leitete ich die Verhandlungen mit ihnen. Da ich Shawn besiegt hatte, war eigentlich ich der neue König der Kobolde, nur wollte ich diesen Posten nicht übernehmen. Schon allein um den Posten wieder loszuwerden, brauchte ich eine ganze Woche. Lykander übernahm ihn schliesslich nach langem Hin und Her, und die richtigen Versammlungen konnten endlich beginnen. Die Kobolde hatten die Dämonen vertrieben und so verhindert, dass es doch noch irgendwelche Verluste gab. Deshalb waren die meisten Ratsmitglieder leicht zu überzeugen, dass die Kobolde Verbündete und keine Feinde waren. Nur Maximilian Flashlight tat alles, um die Kobolde schlechtzumachen. Doch, da er ganz alleine da stand, wurden die Kobolde dann als offizielle Verbündete bekannt gegeben. Ich schaffte es, dass es den jungen Kobolden gestattet wurde, zu Dämonen-Jägern ausgebildet zu werden, sofern sie das wollten. Es meldeten sich zwar nur zehn Kobolde, darunter auch Kirlander, aber das war trotzdem ein grosser Schritt. Vielleicht würden sich noch mehr dazu entschliessen, und das Vertrauen zwischen Katzendämonen und Kobolden würde wachsen. Bei den Schülern lösten die Neuen aber auch gemischte Reaktionen aus. Shadow und seine Freunde verspotteten sie, doch viele akzeptierten ihre Anwesenheit. Ab jetzt würde sich Einiges ändern. Die Kobolde besassen Fähigkeiten, die es uns erleichtern würden, Dämonen zu jagen. Alle feierten mich als Helden, weil ich Shawn besiegt und das Vertrauen der Kobolde gewonnen hatte. Irgendetwas stimmte jedoch nicht: die fehlenden Erinnerungen, die lückenhaften Antworten. Die Wahrheit würde ich schon noch herausfinden. Bald war das erste Jahr vorbei und hey, ich hatte es überlebt. Ich war zwar ein paarmal fast umgekommen, aber ich lebte noch. In meiner Welt ist das schon etwas wert. Drei weitere Jahre lagen noch vor mir und dann würde ich mein restliches Leben damit verbringen, Dämonen zu jagen. Mein Name ist Sky Halfmoon und mein Schicksal ist es, einmal einer der besten Jäger aller Zeiten zu werden.

Impressum

Texte: Deborah Urech
Bildmaterialien: ThousandpointoneMusicFreak
Tag der Veröffentlichung: 07.02.2015

Alle Rechte vorbehalten

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