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1. Neue Klasse, neues Glück

Alexandra schlug das Herz bis zum Hals, als sie ihrer neuen Klassenlehrerin den Korridor entlang folgte. Wie war gleich nochmal ihr Name? Hm, nicht einmal das hatte sie sich auf die Schnelle merken können. Alles war so neu und so fremd, dass es Alexandra schon ein bisschen Angst machte. Die junge Lehrerin legte so ein flottes Tempo vor, sodass Alexandra noch nicht einmal die gemalten Bilder von den Schülern anschauen konnte, die die grauen Wände verzierten. "Gleich sind wir da!", drehte sich die Lehrerin nochmal kurz zu ihr um. Nervös klemmte sich Alexandra eine blonde Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrem kurzen Pferdeschwanz gelöst hatte. Schon von weitem hörte sie lautes Stimmengewirr und Gekichere von pubertierenden Schüler aus einem Klassenraum, wo die Tür einen Spalt weit offen stand. 

 

"Frau Rose kommt!", hörte sie einen einen Jungen mit einem blonden Lockenkopf rufen, der auf seinen Platz flitzte. Mehr als die Hälfte der Klasse tat es ihm gleich. Über zwanzig Schüler rannten durcheinander und stießen dabei fast zusammen. Alexandra fiel sofort eine Mädchenclique auf, die auf der Fensterbank saß. "Ach, wären nur Jasmin und Sarah hier!", dachte sie sehnssüchtig. Ihre beiden besten Freundinnen musste sie in ihrer alten Heimatstadt zurücklassen. "Guten Morgen, Frau Rose!", begrüßte die Klasse die Lehrerin. "Guten Morgen, liebe 8c! Wie ihr seht, bekommen wir zum neuen Halbjahr eine neue Mitschülerin. Das ist Alexandra Siedler und ist vierzehn Jahre alt" Alexandra fielen zwei Jungs auf, die sich gegenseitig aufzogen und sich freundschaftlich kabbelten. "Friedrich und Wilhelm, ich sezte euch auseinander, wenn ihr weiterhin so viel Blödsinn macht!", wieß die Klassenlehrerin die beiden Störenfriede zurrecht. Danach startete die Vorstellungsrunde. Zuerst musste sich Alexandra vorstellen. Vor einer fremden Klasse war das nicht so einfach, vor allem wenn vier Jungs dauernd kicherten und herum alberten. Alexandra spürte, dass ihr eine gewisse Röte ins Gesicht stieg und sie kaum in der Lage war vernünftig zu sprechen. "Verdammt, ich stottere mir hier einen zusammen!", dachte sie beschämt. "Friedrich, Stefan, Wilhelm und Thorsten, es reicht endgültig!", klang Frau Roses Stimme gereizt, "Es ist grob unhöflich, wie ihr euch gegenüber eurer neuen Mitschülerin verhaltet"

 

Unschlüssig stand Alexandra vor den ganzen Tischen. Wo sollte sie sich hinsetzen? "Setz dich neben Frieda, Charlotte und sie sind Klassensprecherinnen und werden dir in der Pause die Schule zeigen", ging Frau Rose zu ihr hin, "Normalerweise sitzt Charlotte neben ihr, aber sie scheint noch nicht gekommen zu sein" In der vorletzten Reihe war wirklich noch ein Platz frei. "Frau Rose, Charlotte hat sich eine grippale Infektion mit Husten, Schnupfen und Fieber eingefangen. Sie wird noch die ganze Woche zuhause bleiben", zeigte ein Mädchen mit kinnlangen rotbraunen Haaren auf. "Danke für die Info, Wilma", klappte Frau Rose das Klassenbuch auf. "Hi, ich bin Frieda Goldmann", wisperte Alexandras Tischnachbarin. "Hi!", erwiderte Alexandra schüchtern und lächelte Frieda an. Ihre Sitznachbarin hatte pechschwarzes kurzes Haar, das ihr gerade einmal bis zu den Ohrläppchen reichte und dunkelbraune, fast schwarze Augen, die geheimnisvoll funkelten. "Was für ein hübsches Mädchen!", dachte Alexandra bei sich. Sie selbst fühlte sie hingegen wie ein hässliches Entlein. Ihre langweiligen glatten honigblonden Haare reichten ihr bis zu den Schultern. Ihre Augenfarbe konnte sich nicht zwischen grün und braun entscheiden. Ihre leicht mollige Figur versteckte sie in weitausgeschnittenen Pullovern und Hosen. Die grässliche Zahnspange und die verdammten Pickel gaben ihr den Rest. Hübsch, fand sie sich bei weitem nicht. 

 

"Du musst dir bei den Pygmäen gar nichts denken, Alexandra", tickte Frieda sie an, als Frau Rose kurz den Klassenraum verließ, um Arbeitsblätter zu kopieren. "Ja, sie sind alle vierzehn oder schon fünfzehn, aber ihre geistige Reife liegt bei drei Jahren", sagte ein Mädchen, dass links neben Alexandra am Nachbartisch saß. "Ach ja, das ist Melanie, genannte die schöne Melanie oder Melli", stellte Frieda sie vor. "Manno, dass du das immer herum posaunen musst!", moserte die hübsche Blondine und schmollte ein wenig. Melanie war ein großes schlankes Mädchen mit langen weißblonden Locken, die ihr den Rücken herunter hingen. Dazu hatte sie hellblaue strahlende Augen und ein hübsches herzförmiges Gesicht. Alexandra fand, dass sie von Anfang an launisch und leicht zickig wirkte. Da war Frieda schon sympatischer. "Miss Rose is back!", krakelte ein leicht pummliger Junge, der ein Basecap trug. "Das ist Steve", murmelte Melanie, "Würde er nur die Hälfte Süßkram und Fastfood in sich hineinstopfen, wäre er zehn Kilo leichter" "Mensch Melli, sei doch nicht so gemein!", raunte Frieda. 

 

"Komm mit, ich werde dich ein bisschen herumführen", nahm Frieda sie mit, als es zur ersten großen Pause klingelte. "Wo sind eigentlich deine Freundinnen?", wollte Alexandra wissen. "Ach, die sind wahrscheinlich in der Cafeteria oder sie treffen sich mit den Pygmäen an der Tischtennisplatte", erwiderte ihre Klassenkameradin, die zuerst die Schülerbücherei ansteuerte. "Wer in alles in der Welt sind die Pygmäen?", zog Alexandra die Stirn kraus. "Das sind unsere Manchmalfreunde und Manchmalfeinde", antwortete Frieda knapp, als wollte sie nicht mit allem rausrücken. "Hä? Wovon sprichst du?", war Alexandra ganz durch den Wind. "Pass mal auf, die Pygmäen sind eine Jungenbande, mit denen wir anfangs verfeindet waren und mit denen wir mittlerweile befreundet sind", holte Frieda aus, "Ihre Mitglieder sind Fred, Willi, Steve und Torte" "Bedeutet es, dass ihr auch eine Bande seid?", hakte Alexandra nach. "Richtig erraten", nickte ihr Gegenüber, "Wir sind die wilden Hühner" Mehr sagte Frieda nicht und Alexandra war es unangenehm dauernd neue Fragen zu stellen.

 

Stattdessen konzentrierte sich Frieda mehr darauf ihr die Schule und die Fachräume zu zeigen. Am Getränkeautomaten in der Pausenhalle trafen sie eine von Friedas Freundinnen. "Hallo Alexandra, ich bin Trude", gab ihr das braunhaarige Mädchen mit der Brille die Hand. Trude war genauso groß wie Alexandra und etwas untersetzt, aber nicht dick. "Frieda, die anderen fragen schon nach dir", sprach Trude weiter. "Ich habe diese Pause keine Zeit, ich führe Alexandra herum", blockte diese ab. "Okay, ich richte es ihnen aus", verschwand Trude wieder zwischen den Schülermassen. Nun ging es nach draußen. Frieda wollte ihr noch den Schulgarten und die Sporthalle zeigen. Da es ziemlich kalt war, zogen die beiden Mädchen ihre Schals noch enger und kuschelten sich in ihre dicken Jacken. "Wenn es wenigstens noch schneien würde", murmelte Frieda, die ihre Schirmmütze aufgesetzt hatte. "Oh ja, diese Kälte finde ich auch fürchterlich", pflichtete sie ihr bei, "Ich mag den Sommer am liebsten. Da ist es schön warm, die Tage sind lang und ich habe zudem im August Geburtstag"

 

"Meine Güte, wo bist du so lange geblieben?", empfing Melanie sie, als sie wieder in den Klassenraum kamen. "Ich wollte Alexandra nur alles gezeigt haben", meinte Frieda. "Aber dafür braucht man doch nicht eine ganze Pause", zog Melanie die Stirn kraus, "Bestimmt habt ihr euch festgequatscht" "Na und? Wer verbietet uns das?", gab Frieda bissig zurück. "Wilma, Trude, die Pygmäen und ich haben vergebens an der Tischtennisplatte auf euch gewartet", ärgerte sich Melanie und warf ihre langen seidigen Haare zurück. Was war das bloß nur für eine Ziege? In Alexandras Augen war sie jetzt schon eine dumme Pute und Frieda schien auch noch mit ihr befreundet zu sein. Melanie hatte bereits jetzt verblüffende Ähnlichkeiten mit Victoria, die in ihrer alten Klasse das Zickenkleeblatt anführte. "Ich hätte die Neue nicht alleine lassen können", nun klang Frieda so, als wollte sie sich rechtfertigen. Wie sich das schon anhörte, "Die Neue"! Bevor sich Alexandra mehr Gedanken darüber machen konnte, kam ein Lehrer in die Klasse. Herr Staubmann, ihr Deutschlehrer, kam auf sie zu und gab ihr die Hand. "Guten Morgen, bitte schlagt das dritte Kapitel auf, wir wollen weiterlesen", sagte er zu den anderen Schülern. Matilda, ein kleines blondes Mädchen, begann vorzulesen. Momentan las die Klasse Wilhelm Tell. Da Alexandra keine Lektüre hatte, durfte sie bei Frieda mitlesen. Deutsch machte ihr bereits in ihrer alten Schule viel Spaß und Herr Staubmann gestaltete den Unterricht sehr lebhaft, indem er die Szenen nachspielen ließ. Hierbei legte sich ganz besonders Wilma ins Zeug, die neben Trude saß. Fast wirkte sie wie eine professionelle Theaterschauspielerin. 

 

"Hallo Lexi, wie war die Schule?", wollte ihre Mutter beim Mittagessen wissen. "Ganz in Ordnung", nickte sie, "Der Unterricht macht mir Spaß und die meisten Mitschüler sind ganz nett" "Das freut mich!", lachte ihre Mutter und sah sie aus ihren blauen Augen an. Alexandra spießte eine Nudel auf und merkte erst jetzt, wie hungrig sie war. Vorhin in der Schule hatte sie vor Aufregung ganz vegessen ihr Pausenbrot und ihre Mandarine zu essen. Gegenüber von ihr saß ihre zehnjärige Schwester Mia, die munter von ihrem ersten Tag in der fünften Klasse erzählte und dass sie bereits jetzt schon einige Freundinnen gefunden hatte. Alexandra erzählte nur von Frieda. Die anderen Namen hatte sie wieder komplett vergessen. Nachdem Essen verzog sie sich auf ihr Zimmer. Sie war ganz erschlagen von diesen vielen fremden Gesichtern und den neuen Eindrücken, die sie heute Vormittag gesammelt hatte. Erstmal legte sie sich auf ihr Bett und schrieb sie mit ihrem Handy ein paar lange Nachrichten an Sarah, Jasmin und ihre anderen alten Freunde, die sie zurückgelassen hatte. "Schätzchen, gehst du gleich mit Lümmel spazieren?", klopfte ihre Mutter an die Tür. "Ja Mama, warte doch einen Augenblick", rief Alexandra leicht genervt. Lümmel war ihr einjähriger Corgiehund, den sie erst seit wenigen Monaten hatten. 

2. Sprotte, das Oberhuhn

Alexandra fand sich in ihrer neuen Schule schnell zurrecht und gewöhnte sich in den ersten Tagen an die neuen Leute. Dem Unterricht zu folgen fiel ihr besonders leicht, da sie viele Themen bereits in ihrer alten Schule behandelt hatten. So schaffte sie es in Latein einen fehlerfreien Vokabeltest zu schreiben und ihr Biologielehrer Herr Grübaum lobte sie wegen ihrer guten Vorkenntnisse, die sie durch viele Bücher und Wissenssendungen erworben hatte. Selbst in Sport verblüffte sie ihre Mitschüler. Alexandra war eine waschechte Sportskanone. Hockey, Joggen, Trampolinspringen, Radfahren und Schwimmen zählten zu ihren Hobbys.  "Ich wusste gar nicht, dass du so schnell rennen kannst!", lobte einer der Jungs, mit dem sie im Team war, als sie eine Partie Fußball spielten. Schon mehrfach hatte sie dem dicken und unbeweglichen Steve den Ball abgenommen und ihn geschickt umspielt. Lob von Jungs war Alexandra gar nicht gewohnt. Eher kannte sie es, dass sich ihre Klassenkameraden über ihr Aussehen lustig machten. 

 

Am Montagmorgen im Matheunterricht klopfte es zwanzig Minuten nach Unterrichtsbeginn an der Tür. Ein schlacksiges Mädchen mit langen gewellten rotblonden Haaren stand im Raum. "Charlotte, wann gewöhnst du dir es endlich ab, dass du ständig zu spät kommst?", sah Frau Rose von ihren Unterlagen auf. "Sorry, Frau Rose, ich musste noch die Hühner füttern und das Gatter hat geklemmt", begann das Mädchen hastig zu erzählen. "Du denkst dir immer neue Ausreden aus", brummte die Klassenlehrerin und machte einen roten Strich hinter ihren Namen. Einige Schüler, die das Szenerio kannten, kicherten hinter vorgehaltenen Händen. "Ich könnte Nicole, Hanna und Nora die Hälse umdrehen, sodass ihnen das Lachen vergeht", fauchte Melanie leise. Das rothaarige Mädchen steuerte auf den Tisch zu, an dem Alexandra und Frieda saßen. "Charlotte, setz dich am besten zwischen Nora und Stefanie hin. Vielleicht würdest du dann mal mehr vom Unterricht mitbekommen, wenn du nicht ständig mit deinen Hühnerfreundinnen quatscht", deutete die Mathelehrerin auf einen freien Platz in der zweiten Reihe. Alexandra sah, dass diese Charlotte gar nicht begeistert aussah und die Lippen zusammen presste. Es war schon hart, wie die Lehrerin mit ihr sprach und es wirkte schon fast bloßstellend. 

 

In der großen Pause lief Alexandra Frieda und Trude hinterher, die einen Tisch in der Cafeteria ergattern wollten. "Juhu, unser Lieblingstisch am Fenster ist frei!", freute sich Trude. Zu dritt ließen sie sich nieder und hielten die restlichen Stühle frei. "Warum hockt die wieder bei uns rum?", rümpfte Melanie die Nase, die Wilma und die Rothaarige im Schlepptau hatte. "Lass sie doch, sie ist neu", entgegnete ihr Trude. "Ich habe nichts gegen Alexandra, aber sie ist nun mal kein wildes Huhn", trat nun Wilma vor. "Was heißt wildes Huhn?", betonte Alexandra jedes Wort einzeln und sah die Mädchen fragend an. "So so, du bist Alexandra, die mir den Platz neben Frieda weggenommen hat", räusperte sich die Rothaarige und sah sie düster an. "Ja, ich bin Alexandra", bejahte sie und fügte hinzu, "Ich habe dir nicht den Platz weggenommen, Frau Rose hat mich neben Frieda gesetzt" "Trotzdem ist das eine ganz miese Nummer, du hättest dich auch woanders hinsetzen können", fuhr das Mädchen im schnippischen Tonfall fort, "Frieda ist meine allerbeste Freundin und ich habe schon immer neben ihr gesessen" Nun war Alexandra sprachlos. Warum war sie so feindsehlich zu ihr? Sie hatte ihr doch gar nichts getan. "Sprotte, hör mal zu, nur weil ich jetzt neben Alexandra sitze, sind wir immer noch die besten Freundinnen der Welt", legte ihr Frieda beruhigend die Hand auf den Arm. 

 

Sprotte, was war das nur für ein Name! Existierte er überhaupt? "Du heißt nie und nimmer Sprotte", platzte es aus Alexandra heraus, die mittlerweile nicht mehr so eingeschüchtert war. Den richtigen Namen des Mädchens hatte sie bereits vergessen. "Heiße ich sehr wohl!", fauchte Sprotte. "Blödsinn, so einen komischen Namen gibt es nicht", schüttelte Alexandra den Kopf. "Checkst du nicht, dass es ihr Spitzname ist?", zickte Melanie sie an. "Wie heißt sie in Wirklichkeit?", bohrte Alexandra nach. "Charlotte", murmelte Trude, wofür sie sich einen bösen Blick von dem rothaarigen Mädchen einfing. "Du weißt anscheinend immer noch nicht, wer wir sind", holte Melanie tief Luft, "Sprotte, Wilma, Trude, Frieda und ich sind die wilden Hühner. Falls du denkst, du könntest dazughören, dann hast du dich aber geirrt. Wir sind komplett!" "Ganz genau!", nickte Wilma, "Sprotte ist unser Oberhuhn und sie entscheidet, wer in die Bande aufgenommen wird" "Müsst ihr auch alles ausplaudern, ihr Klatschbasen!", fuhr Sprotte herum und sah noch verärgerter aus als gerade eben. Zu Alexandra sagte sie noch, "Es wäre nett, wenn du uns jetzt alleine lässt. Wir besprechen ein paar Dinge, die dich nichts angehen"

 

Alexandra trollte sich ohne etwas zu sagen. Sie war wütend, verletzt und schockiert zugleich. Vor allem diese Sprotte war mindestens genauso schlimm wie Melanie. Noch enttäuschter war sie von Frieda, die nicht am Ende nicht mehr richtig Partei für sie ergriffen hat. Anscheinend war sie der Eindringling, den die wilden Hühner nicht dabei haben wollten. Mit hängenden Kopf schlich Alexandra in der Pausenhalle herum. Plötzlich war sie wieder ganz auf sich alleine gestellt. Sie beschloss in die Schülerbücherei zu gehen, wo sie auf Matilda und Kerstin traf, die ihr nur kurz zu nickten. Alexandra nahm sich ein Buch, setzte sich auf einen alten Ohrensessel und schlug den Roman auf. Sekunden später war sie in der Sciencefictionwelt verschwunden und raffte erst als Matilda sie ansprach, dass die Pause vorbei war. Schnell lieh sie sich das Buch aus und eilte ihren beiden Klassenkameradinnen hinterher. 

 

Es überraschte Alexandra sehr, dass Sprotte am nächsten Morgen vor ihr da war und auf dem Tisch hockte, an dem sie und Frieda saßen. "Setz dich gefälligst woanders hin!", fuhr Sprotte sie als erstes an und hatte ihre bunt geblümte Tasche auf Alexandras Stuhl gelegt. "Aber hier sitze doch ich", erwiderte Alexandra verdattert. "Du kannst doch einfach deinen Platz mit Sprotte tauschen", schlug Wilma vor. "Gute Idee", stimmte Melanie zu, "Wir verstehen uns nicht mit den Zicken, aber du vielleicht schon" Was sollte das nun wieder heißen? Frieda las in einem Buch und tat so, als bekäme sie nichts davon mit. Trude saß abseits von ihren Freundinnen und hörte Musik mit ihrem MP3-Player. Alexandra ließ sich nicht vertreiben und blieb neben der Tischreihe stehen. "Das machst du richtig, lass dich nicht von den Mädchen verscheuchen", meinte Willi, der neben Melanie saß. Huch, das war ja einer der Pygmäen, der mit ihr sprach. Offenbar waren die Jungs, die sie für alberne Kindsköppe hielt, doch freundlicher als die Mädchen. Nun kam Frau Rose herein. "Charlotte, mögest du dich an deinen richtigen Platz begeben?", sagte sie als erstes und begann die Tafel zu putzen. Sprotte murmelte etwas Undeutliches und schlurfte zu ihrem richtigen Platz. 

 

Es vergingen Tage und Wochen. Draußen war es nicht mehr ganz so kalt und ungemütlich, sodass Alexandra mit ihrem Mountainbike zur Schule fahren konnte. Obwohl sie in den ersten Klassenarbeiten gute Noten schrieb mit den Lehrern gut zurrecht kam, vermisste sie eine richtige Freundin. Früher konnte sie immer nach der Schule etwas mit Sarah und Jasmin unternehmen, aber nun wohnten sie zu weit weg. Anstatt mit ihrem Freundinnen um den Block zu ziehen, ging sie mit Lümmel Gassi. Ihr Hund war über die große Aufmerksamkeit ihrerseits sehr erfreut. Stundenlang streiften sie durch Wald und Feldmark. "Hallo Alexandra, was machst du denn hier?", hörte sie eine Stimme über sich. Verwirrt schaute sie nach oben. Über ihrem Kopf war ein massives Baumhaus. Nun kam Torte die Strickleiter herunter geklettert. "Ich glaube du bist beim Bandenquartier der Pygmäen gelandet", sagte er grinsend. "Oh, das wollte ich nicht", wurde sie rot. "Macht nichts, hier laufen ganz normale Spaziergänger vorbei", meinte Willi, der hinter einem Busch hervor kam. "Wusstest du, dass die Mädchen ihr Bandenquatier ganz in der Nähe haben?", fuhr Torte fort, "Wenn du den Weg weiterläufst, kommst du automatisch zu ihrem Wohnwagen" "Torte, du Idiot, plauder doch nicht gleich alles aus", boxte Willi ihn in die Seite, "Ich könnte sonst Probleme mit Melli kriegen" Alexandra setzte ihren Weg fort. Tatsächlich fand sie den Wohnwagen der Wilden Hühner am Waldrand. An dem Gatter des Zaunes, der das Grundstück umgab war ein Schild angebracht. "Privat, Grundstück betreten strengstens verboten", las sie. 

3. In der Eishalle

 Egal, wie freundlich Alexandra zu den Wilden Hühnern war, sie mieden sie trotzdem. Besonders Sprotte und Melanie gaben ihr zu verstehen, dass sie keine von ihnen war. Mit Nora, Nicole, Hanna und den Rest der Zickenclique hatte sie sich gar nichts zu sagen. Matilda und Kerstin waren zwar ganz nett, aber sie passten halt nicht richtig zu ihr. Mittlerweile war Alexandra in jeder Pause in der Bücherei und las. Sie hatte keine Lust darauf, dass jeder sah, dass sie eine Außenseiterin war und einfach keinen Anschluss fand. Ihr größter Wunsch war es immer noch mit Frieda befreundet zu sein. Frieda, die überall beliebt war und sogar von den Lehrern geschätzt wurde. Leider wurde sie von ihren Hühnerfreundinnen so in Beschlag genommen, dass keine Chance hatte, eine Pause alleine mit ihr zu verbringen. So war eine Freundschaft quasi unmöglich. 

 

Nach der Schule traf Alexandra Frieda alleine am Vertretungsplan. Erstmal vergewisserte sie sich, ob sie alleine war oder ob noch eine von ihren Freundinnen im Hintergrund lauerte. "Frieda!", tickte sie ihre Mitschülerin von hinten an. "Ach, du bist es", zuckte sie erschrocken zusammen, "Was gibt es?" Nun musste Alexandra all ihren Mut zusammen nehmen. "Hast du Lust mit mir in die Stadt oder ins Kino zu gehen?", fragte sie. "Warum nicht? Das ist eigentlich eine ganz coole Sache", lächelte Frieda, "Heute hätte ich keine Zeit, dafür aber morgen" "Das freut mich, ich hätte Lust in einen Kinofilm zu gehen", sagte sie. "Super, das ist eine tolle Idee", nickte Frieda begeistert, "Soweit ich weiß, kommt morgen Abend um 18 Uhr ein guter Film" "Klasse, dann können wir uns eine halbe Stunde eher vor dem Kino treffen", freute sich Alexandra. "Ich muss jetzt unbedingt los, ich muss meinen jüngeren Bruder aus der Kinderbetreuung abholen. Mein älterer Bruder drückt sich mal wieder davor", sah ihre Klassenkameradin auf ihr Handy und rauschte davon. Alexandra hätte vor Freude fast einen Luftsprung gemacht. Frieda wollte sich tatsächlich mit ihr verabreden. Anscheinend war sie doch ganz nett, wenn sie nicht ihre Bandenmädchen dabei hatte. Wie gesagt, Frieda hatte noch kein einziges Wort gegen sie gerichtet oder war gemein zu ihr. Gleichzeitig traute sie sich nicht ihren Freundinnen Paroli zu bieten, wenn sie zu gemein wurden. 

 

Am nächsten Abend trafen sich Alexandra und Frieda vor dem Kino. "Ich wusste doch, dass du kommst", strahlte Alexandra. "Klar, als ob ich dich hängen lasse", erwiderte Frieda und umarmte sie zur Begrüßung. Drinnen kauften sie sich die Karten und deckten sich mit Popkorn und Limonade ein. Als sie den Kinosaal betraten, trauten sie den Augen nicht. "Was? Seid ihr auch da?", stieß Wilma aus und riss ihre Augen weit auf, die ihr saß Trude. "Was für ein Zufall!", begann Frieda zu kichern und kriegte sich kaum wieder ein. "Ihr könnt euch gerne neben uns setzen", sagte Trude, "Diese Vorstellung wird nicht ausverkauft sein" "Wie kommt es, dass du mit Alexandra hier bist?", löcherte Wilma Frieda weiterhin. "Sie hat mich gestern nach der Schule gefragt und dan konnte ich nicht nein sagen", meinte sie und ließ sich neben Wilma nieder. Was wollte Frieda mit ihr Aussage andeuten? Verwirrt blieb Alexandra im Gang stehen. Hatte Frieda ihrer Verabredung nur zugestimmt, weil sie nur höflich und nett sein wollte? "Alexandra, das habe ich nicht so gemeint", berührte sie Frieda sie am Arm, "Natürlich gehe ich gerne mit dir ins Kino" Sie schien bemerkt zu haben, dass Alexandra leicht verunsichert war. Andererseits hasste es Frieda anderen Leute vor den Kopf zu stoßen. Schweigend setzte sie sich neben Frieda und begann ihr Popkorn zu knabbern. Es wurden zahlreiche Werbefilmchen abgespielt, bevor der richtige Film kam. Alexandra lehnte sich in ihrem Kinosessel zurück und beschloss den Augenblick mit Frieda und den anderen beiden Wilden Hühnern zu genießen. Fast fühlte es sich ein an, als wäre sie auch ein echtes Wildes Huhn.

 

Nach dem Kinobesuch fragte Frieda sie sogar, ob sie nächsten Samstag Lust hätte, zur Abtauparty zu kommen, die jedes Jahr am letzten Märzwochenende in der Eishalle stattfand. "Cool, da bin ich natürlich dabei", freute sie sich. Schlittschuhfahren hatte sie immer schon geliebt. Die Zeit bis Samstag konnte nicht schnell genug vergehen. Im Gegensatz zu den meisten Eishallenbesuchern hatte Alexandra ihre eigenen Schlittschuhe und musste sich nicht stundenlang beim Schlittschuhverleih anstehen. Beschwingt drehte sie ihre ersten Runden. Mit Frieda machte es garantiert noch mehr Spaß. Dahinten war sie! Freudig winkte sie ihrer neuen Freundin zu, die heute eine dunkelrote Strickmütze trug. "Hi, ich musste nur eben meine Schlittschuhe anziehen", lächelte sie, als sie gemeinsam zur Eisbahn gingen. Die Musik wummerte aus den Lautsprechern, bunte Lichter blinkten um die Wette, eine große Discokugel drehte sich über ihren Köpfen und dutzende Leute drehten ihre Runden. Alexandra freute sich riesig darauf mit Frieda Hand in Hand über das Eis zu gleiten. Gerade als sie Friedas Hand nahm, räusperte sich jemand lautstark hinter ihnen. "Melli, du hast du uns aber erschreckt!", kreischte Frieda fast los. "Frieda, wie kommt es, dass du mit diesem Anhängsel unterwegs bist?", spukte Melanie ihrer Freundin fast ins Gesicht und warf Alexandra einen abschätzigen Blick zu. "Ich habe sie gerade zufällig getroffen", erwiderte Frieda. "Komm mit, Sprotte sucht dich schon", zog Melanie Frieda von ihr weg. "Alexandra, wir sehen uns nachher bestimmt noch im Eiscafe", winkte ihr Frieda hinterher. 

 

Verwirrt blieb Alexandra zurück und war jetzt ganz alleine. Das hatte Melanie toll hingekriegt, dass sie wieder mutterseelenallein war. Diese dumme Nuss! Alexandra hätte sie am liebsten geohrfeigt oder ihr den Hals umgedreht. All die Vorfreude war gänzlich verpufft. Am liebsten würde sie sich zuhause in ihr Bett verkriechen und heulen. Da sie immerhin 5 Euro Eintritt bezahlt hatte, wollte sie unbedingt noch ein paar Runden fahren. Zu allem Überfluss fuhren die fünf Wilden Hühner Hand in Hand an ihr vorbei. Sprotte konnte es nicht unterlassen, ihr einen siegesgewissen Blick zu zuwerfen. Tränen der Enttäuschung brannten in Alexandras Augen. Das war ein richtiger Reinfall! War das von Frieda etwa so geplant? Wollte sie sie wirklich aufs Glatteis führen? Wenn das so gewollt war, war ihr es wunderbar gelungen. Nein, Frieda war keine echte Freundin! Alexandra war so in düsteren Gedanken vertieft, dass sie nicht merkte, wie ihr zwei Jungs in Eishockeymontur entgegenkamen. Mit einem Mal prallte sie mit dem Gesicht voran auf den harten Untergrund. "Kannst du nicht aufpassen?", fauchte sie und biss vor Schmerzen ihre Zähne aufeinander. Es tat mächtig weh, sodass sie gekrümmt auf dem Eis liegen blieb. Gegen ihren Willen lief ihr eine Träne über die Wange. "Sorry, Alexandra, ich wollte dich nicht umfahren", hörte sie Freds Stimme über sich. Wie hypnotisiert schaute sie in seine strahlenden grünen Augen. Solche grüne Augen hatte sie noch nie gesehen! "Alexandra, brauchst du Hilfe?", tauchte nun Steve neben Fred auf. "Komm, wir tragen sie zur Tribüne", beschloss Fred. Alexandra nickte unter Tränen und schniefte. Verdammt, ihre Nase blutete! 

 

Die Pygmäen versorgten sie kameradschaftlich und Willi gab ihr ein Taschentuch für ihre blutende Nase. "Seid ihr gar nicht mit Sprotte und Melanie hier?", fragte Alexandra, als sie sich wieder beruhigt hatte. "Klar, ich bin schon vorher ein paar Runden mit Sprotte gefahren", nickte Fred, "Komm wir gehen ins Cafe! Ich gebe dir eine Waffel aus. Es wäre nicht so cool, wenn Sprotte uns beide hier sieht" "Von mir aus", nickte sie und folgte ihm. Im Cafe Eiszeit im oberen Rang der Tribühne konnten sie die Eisläufer sehr gut beobachten. Fred brachte zwei Waffeln und zweimal Apfeltee an ihren Tisch. "Ich verstehe nicht, warum mich Sprotte und co nicht dabei haben wollen", seufzte sie traurig, als sie unten auf der Eisfläche Sprotte mit Frieda und Melanie ihre Runden drehen sah. "Es ist so, dass Sprotte wirklich nicht einfach zu verstehen ist", begann Fred, "Es hat viel damit zu tun, was sie bereits erlebt hatte. Ihr Vater machte sich aus dem Staub, als sie ein Baby war und kam ohne Vorwarnung nach dreizehn Jahren zurück. Das war vor einem halben Jahr. Sie kam damit überhaupt nicht klar und weigerte sich ihren Vater zu sehen, bis sie sich irgendwann doch dazu überwinden konnte. Gerade als sie sich mit dem Gedanken angefreundet hatte, wieder einen Vater zu haben, reiste er für mehrere Monate nach Neuseeland" Bis zu einem gewissen Grad konnte Alexandra Sprottes merkwüdriges Verhalten verstehen. "Dann war Sprotte bis zu ihrer Bandengründung sehr viel alleine. Sie hatte nur eine einzige Freundin und das war Frieda. Die anderen Kinder ließen sich von ihrer mürrischen Art schnell abschrecken. Sprotte war deswegen so schlecht gelaunt, weil sie Tage lang bei ihrer strengen Großmutter verbringen musste", fuhr er fort. 

 

"Alexandra, ich habe eine kleine Bitte an dich", hob Fred nach einer kleinen Pause an, "Du bist in allen Fächern relativ gut in der Schule. Könntest du mir Nachhilfe in Englisch, Mathe und Physik geben? Natürlich zahle ich pro Stunde 2 Euro" "Gerne, aber nur wo?", erwiderte sie. Fred wollte sie gerne helfen. Im Gegensatz zu den Hühnern waren er und seine Kumpels richtig nett. Fast hatte sie mehr Lust ein Pygmäe zu werden, als ein Wildes Huhn. "Okay, es gibt neben der Bücherei einen neuen Hausaufgabenraum mit Computern. Wie wäre es, wenn wir uns dort nach der Schule treffen?", schlug Fred vor. "Einverstanden!", nickte sie, "Aber ich muss nur gucken, wann ich kann und wie lange" "Cool, das klingt nach einem tollen Deal!", gab er ihr einen Highfive. Zum ersten  Mal konnte Alexandra wieder richtig strahlen und fühlte sich durch Fred gestärkt. Er war doch nicht der oberlächliche Macho, den er noch bis vor kurzem gab. "Nimm dir Sprottes Eifersucht nicht so zu Herzen", gab er ihr auf den Weg, "Sie kann ziemlich überreagieren, wenn sie das Gefühl hat, dass jemand ihr Frieda oder mich streitig macht. Dann kann sie auch schon mal eine kleine Diva sein"

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Tag der Veröffentlichung: 20.09.2015

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