Nachher?
Es war wieder mal ein Donnerstag, wie es immer einer ist, wenn sich einer dieser Donnerstage ankündigte. Die Sonne ging auf, irgendwo, und sie ging unter, auch irgendwo.
Es war einer dieser Donnerstage, an denen ich aufwachte und sofort wusste, dass das ein merkwürdiger Tag werden wird. Einer von denen, die mir nicht gefallen, einer dieser, an denen ich mich merkwürdig fühlte. An solchen Tagen weiß ich nicht, ob es mir gut geht oder schlecht, das kann ich dann nicht sagen, ich weiß nur, dass ich mich wie auf einem Teppich fühle, der mir ständig unter den Füßen weggezogen wird...
„Ich habe gerade Besuch, ich rufe dich nachher an!", sagte er und legte auf.
Ich setzte mich in Zeitlupe auf den Küchenstuhl und sah das Telefon angewidert an. Mal wieder... mal wieder zu oft wartete ich. Wartete auf ein „Nachher". Ein Nachher, das viel verspricht und am Ende doch nichts hält, da es nie eintrifft. Nicht in meinem Universum.
An diesem Donnerstag ist nicht viel passiert, was aber geradezu das Typische daran ist. Typisch und heimtückisch zugleich. Ich begann, an der Existenz des Nachhers zu zweifeln. Hat es je jemand zu Gesicht bekommen? Niemand hat jemals einen Dialog mit einem Nachher geführt. Ich kam also zu der Erkenntnis, dass das Nachher irgendwo dort sein musste, wo sich auch das „Später" und das „Nachdem" befand. Irgendwo, wo ich natürlich keinen Zugang hatte. Ein geheimer Ort, dessen Zutritt mir verwehrt war.
Ich überlegte, welche Zeitspanne ein Nachher umfasst. Eine Stunde, zwei? Einen Tag., eine ganze Woche? Mein derzeitiges Nachher war schon fast zwei Wochen alt... So ist das halt manchmal im Leben. Ich glaube, dass man da einfach durch muss. Manche Donnerstage sind halt einfach so. Tage ohne Sinn und Verstand, Tage, die nichts wollen, Versprochenes nicht einhalten können und nur deprimieren. Eine leise Vorahnung von der Dauer der Ewigkeit vermögen wir in den Minuten zu verspüren, in denen wir auf einen heißersehnten Anruf warten.
Normalerweise versuche ich das Nachher zu überlisten, ihm einfach zuvorzukommen und nicht darauf zu warten. Dieses erweist sich jedoch jedes Mal als ein großer Fehlschlag.
So ein Nachher war listig und es hatte einen Plan. Wenn ich ihm mutig gegenübertrat, es einfach nicht beachtete und nicht darauf wartete, dass es sich in Form eines Anrufes von ihm zeigte, dann schlug es mir mit einem gemeinen Grinsen ins Gesicht. Versucht man ein Nachher zu überlisten, muss man feststellen, dass der Eigentümer des Nachhers und das Nachher selbst, gemeinsame Sache machen. Ein Nachher lässt sich nicht überrumpeln und der Besitzer macht einem deutlich, dass man es missachtet hat.
Auch heute, an diesem Donnerstag, hatte ich das Nachher wieder überrumpeln wollen. Nach meiner Zeitmessung war es jetzt nämlich kein Nachher mehr, sondern ein Irgendwann und ich wollte nicht mehr warten. Ich rief an und bekam sofort die Folgen meines unbedachten Handelns zu spüren. Unpassend... wie fast immer, wenn ich mich nicht an die Gesetze des Nachhers hielt.
Ich starrte also immer noch auf das Telefon und überlegte intensiv, wann das Gefühl und das Nachher Feinde geworden sind. Seit wann war das Nachher nicht mehr auf meiner Seite? Früher waren wir höflich zueinander, wir respektierten einander. Das Nachher erschien als Nachher und ließ den Gefühlen ihren Raum. Doch irgendwann fing dieses Wort an, das Gefühl zu verhöhnen. Mich auszulachen und zeigte mir die Lächerlichkeit seiner Tat. Die Macht des Nachhers und die Machtlosigkeit des Gefühls meinerseits.
Mein Verstand schaltete sich plötzlich ein. „Hör auf zu jammern und sieh die Tatsachen!", schimpfte er, „Das Nachher ist nicht dein Feind. Du hast es auch schon benutzt, und auch deine Nachhers dauerten lange und dauern teilweise heute noch!" Die meisten Frauen vergessen, dass es nur in seltenen Fällen dem Manne Vergnügen macht, sich im Nachher mit der Frau zu unterhalten.
Ich starrte unbeirrt auf das Telefon. Ich wollte das einfach nicht glauben, wollte nicht, dass er so viele Nachhers besaß, weil er mich nicht anrufen wollte. So langsam hasste ich dieses Wort und seine gesamte verdammte Verwandtschaft. Verdammt, ich will eine Welt, in der man nicht mit einem Wort auf die Wartebank geschickt wird. Ein Wort, das einen handlungsunfähig macht, wollte man nicht als klammernd und abhängig dastehen um damit den Anlass zu geben, dass aus diesem Nachher ein höherentwickeltes „Geh weg!" entsteht.
So ein uneingelöstes Nachher tut weh, macht hilflos und vermittelt das Gefühl von Wertlosigkeit. Ob vorher oder nachher - bezahlen muss man immer.
Ich will diesen Mann. Aber das Nachher schießt immer wieder scharf auf meine Wüsche und immer öfter, ohne Vorwarnung, per Luftangriff auf meine Gefühle. Ich nahm das Telefon in die Hand und ließ die Bomben darauf fallen. Stand schließlich auf und legte es weit weg, damit ich in Sicherheit blieb. Dieses Nachher musste doch besiegbar sein – irgendwie....
Also, entwarf ich einen Plan. Einen Plan, der dem Eigentümer der Nachhers zeigen sollte, dass ich ihn nicht brauchte, dass er mir egal war, dass ein Leben ohne ihn auch völlig in Ordnung war, dass alles andere wichtiger war als er. Ich beschäftigte mich, nutzte einfach das bombensichere Handy und sprengte somit die leichten Wege zu ihm in die Luft. Ich baute Schutzwälle, trug kugelsichere Kleidung um dann festzustellen, dass sie nicht einmal einen lausigen Gedanken an ihn standhielten. 100% Baumwolle...
* pffft *
Dann blieb ich einfach still, still in dem Wissen, dass ich sowieso nichts tun konnte. Meine Gefühle hissten die weiße Fahne und das Nachher grinste siegesgewiss. Die angekündigten Kopfschmerzen an diesem Donnerstag kamen nicht und Schmerzmittel hätte ich griffbereit gehabt. Also was soll's? Da muss man durch, hab ich mir gesagt, und hab's dann auch gemacht. Gut....
Tag der Veröffentlichung: 13.01.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für all die armen Seelen, die mitten in einem Nachher stecken... Ihr seid nicht alleine!