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Kaitel 1


Der Aufbruch

Die Sonne blinzelte über den hohen, schneebedeckten Goldzack, als der junge Hentschit gerade sein zweites Frühstück beendete.
Den Aspen, Menschen sehr ähnlich aber etwas kleiner, genügten keine drei Mahlzeiten am Tag. Sie aßen gerne und sie aßen viel. Über den ganzen Tag aßen sie und für ein Häppchen zwischendurch war immer Zeit. Natürlich musste jede Speise gut zubereitet sein, denn Aspen waren wahre Feinschmecker. Das hielt sie häufig davon ab, ferne Reisen zu unternehmen. Ein gutes Mahl konnte man am besten Daheim zubereiten.
In dem kleinen Haus, umgeben von blühenden Wiesen, lebte Hentschit zusammen mit seinem Großvater, ein paar Ziegen, Hühnern und so mancher frechen Maus, mit denen sich Hentschit besonders gut verstand.
Das lag vor allem daran, dass die fleißigen Tierchen für eine volle Speisekammer sorgten sowie für Ordnung und Sauberkeit im Haus. Nur wenn Hentschit Fisch essen wollte, musste er selbst zum Fluss laufen, da die Mäuse mit Wasser auf Kriegsfuß standen.
So ein Tag war heute. Hentschit packte ein paar Brote ein und machte sich auf den Weg zu seiner Lieblingsangelstelle am felsigen Ufer des Rulan, einem fischreichen Fluss, ganz in der Nähe seines friedlichen zu Hauses. Schnell, wenn man bei Aspen von schnell reden kann, schließlich waren sie etwas kleiner als Menschen, zumeist dick und verdammt faul, hatte er dieses ruhige, schattige Plätzchen erreicht, setze sich und wurde schläfrig.
Etwas später wachte er unsanft von mehreren Wasserspritzern auf, die mitten in seinem Gesicht landeten und hörte ein leises „Aua“ aus dem Fluss. Er traute seinen Augen kaum, aber in seiner Leine hatte sich eine Meerjungfrau verheddert, die sich mit ihrer Schwanzflosse wild umher schlagend zu befreien versuchte.
Hentschit rappelte sich auf und rief: „Bleib ruhig, ich werde dich losmachen, aber dafür musst du einen Moment still halten.“
Scheu, wie Meerjungfrauen nun mal waren, versuchte sich dieses schöne, braunhaarige Wesen nun erst recht mit Gewalt loszureißen und dabei auch noch abzutauchen. Am Ende war sie hoffnungslos in die Angelschnur verwickelt und konnte sich kaum noch bewegen.
Hentschit, leicht angesäuert aufgrund seines wahrscheinlich nun ausfallenden Fischtellers, wusste nicht so recht, was er machen sollte.
„So etwas wie dich hatte ich noch nie an der Angel. Du siehst nicht aus, als ob du schmecken würdest, was also kann ich sonst mit dir anfangen?“
Etwas verwundert erhielt er prompt Antwort: „Sieh zu, dass du mich losmachst, sonst brate ich dir mit meinem Schwanz eins über“.
Braten hört sich gut an, dachte Hentschit. „Wenn ich dich losmachen soll, muss ich meine Schnur zerschneiden. Dann kann ich nicht mehr angeln und weiß nicht, wie ich an Fische fürs Abendessen kommen soll. Ich schlage vor, dass du verspricht, mir als Gegenleistung ein paar Fische zu besorgen, wenn du erst einmal frei bist.“
„Du verstehst gar nichts“, erwiderte sie schnippisch. „Wie könnte ich dir meine kleinen Freunde in der Gewissheit geben, dass sie in deinem dicken Bauch landen werden. Eher bleibe ich hier liegen, bis ich verschimmle oder bis ich von einer meiner Schwestern befreit werde.“
„Schwestern? Gibt´s von deiner Sorte etwa noch mehr?“ Hentschit schaute sie sichtlich verwundert an.
„Und ob!“, keifte die schöne Gestalt zurück, „und Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, wenn mich erst einmal Mondauge, Sternenreiter oder Glitzerfeder hier entdecken.“
Was für eine Zicke, sagte Hentschit zu sich selbst und kratze sich am Ohr. „Komische Namen für halbe Fische, wie heißt denn du?“
„In eurer Sprache dürfte ich Sonnenlicht heißen, bei uns nennt man mich Aniala. Die echten Namen meiner lieben Schwestern werde ich dir nicht verraten, du Holzkopf! Je weniger du über uns weißt, desto besser für dich und uns. Das ist bei uns in den Tiefen des Rulan eine eiserne Regel, also Gesetz. Niemand sollte Kontakt zu Wesen außerhalb des Flusses haben. Das kann nur Ärger geben.“
Hentschit lachte: „Nun, Ärger hast du wohl, wenn ich mir anschaue, wie verknotet du daliegst. Frech bist du auch, sonst würdest du mir nicht auch noch drohen, so hilflos wie du gerade bist. Nun gut, ich schneide dich los. Dann bist du mir aber einen Gefallen schuldig und versprichst, mich nicht mit deinem Schwanz zu hauen.“
Nach kurzem Zögern nickte Aniala und Hentschit fing an, die Schnur zu lösen.


Fortsetzung



Das Buch ist als Ebook im Sarturia- Verlag erschienen. Sollte Euch der Anfang gefallen haben, freuen wir uns, wenn Ihr es auf einer der gängigen Plattformen herunterladet.

Liebe Grüße

Maike und Peter Kraemer


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.06.2012

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