Die Luft roch kalt, das war nun mal so.
Der Schnee bedeckte die einst grüne Landschaft und verhüllte den Schrecken in der Nacht.
Der Mond ließ Myriaden von Schneeflocken, so dicht gedrängt wie Steine in einer Mauer, wie ein Meer aus Diamanten glitzern.
Eine runde Scheibe am schwarzen Himmel. So blass wie ... warte!
Jemand stapfte durch den Schnee. Die großen, schwarzen Stiefel ließen Eiskristalle brechen und zerstörten die Wunderwerke der Natur.
Obwohl der schwarze Mantel nicht mehr war als ein Kleidungsstück, so trug er doch zum Allgemeinbild des Fremden bei. Niemand sah ihn in der sternenlosen Nacht. Niemand hörte ihn.
Doch jemand bemerkte sein Kommen.
Sie trug ein weißes Kleid, so dass sie sich nicht von der einsamen Schneelandschaft abhob.
Ihre Kleidung war nicht angemessen, aber dennoch war es eben dieses Kleid, das sie wollte.
Sie wartete. Stille lag über der vereisten Decke aus gläsernem Schnee.
Niemand hörte ihr Klagen.
Aber sie wartete. Und dachte noch an ihren Geliebten, der sie in die Arme nehmen würde, um sie vor der schneidenden Kälte zu bewahren. In diesem Zusammenhang war die Welt verschoben. Der Mond war nicht mehr die blasse Scheibe, sondern ein Spiegel, der die unzertrennliche Liebe zweier Menschen ausdrückte, die sich in seinem Licht zum letzten Male küssen würden.
Der Schnee war nunmehr eine Kulisse, die nur dem Zweck diente, den Eindruck von Frieden auf der Welt zu verstärken.
Sie lächelte, als sie ihn erblickte.
Er lächelte, als sie ihn erblickte. Er breitete die Arme aus und empfing das jauchzende Mädchen.
Schwarz zu weiß.
Ihre Silhouetten schnitten scharf gegen den Mond ab. Wie in einem Bild lagen sie sich in den Armen, wie in einer Geschichte war das Leben...
...vorbei.
Sie sah ihn an. Versank in seinen schwarzen Augen. Er lächelte immer noch.
Doch ihr Lächeln brach.
Es war der Glanz von Enttäuschung, der ihre Augen nun verdunkelte, sie so schwarz werden ließ, wie die seinen, die sich darin spiegelten.
Verzweiflung war es, die sie ihre Hände lösen ließ. Doch er hielt sie weiter fest. Noch wollte er sie nicht loslassen. Nein.
Und dann war da etwas anderes in ihren Augen. Etwas, das keiner Erklärung bedurfte.
Er fasste den Griff noch fester und drehte das Messer in der Wunde herum.
Ein Lächeln verlosch in ihrem Gesicht.
Er riss das Messer aus ihrem Rücken heraus.
Stille.
Ewige Stille.
Und er lächelte. Der Schnee bedeckte den kalten Körper. Die Decke aus eisigen Kristallen schloss sich über dem Mädchen.
Der Schnee war rot.
Es regnete. Der Frühling ließ seine ersten Vögel ihr fröhliches Lied anstimmen und einige Krokusse sahen schon aus der nassen Erde hervor. Die weiße, prächtige Landschaft war einfach weggewaschen worden. Schnee war im Regen geschmolzen und Eis von Wasser abgetragen.
Doch die ungeheure Fröhlichkeit wurde überschattet von diesem einen Ort.
Schwarze Schirme standen wie Pilze in der Landschaft. Alle in einem Kreis.
Der Stein war nass. Wasser glitzerte darauf.
Eine schwarz gekleidete Frau sank an dem Grab nieder und schluchzte. Eine weiße Blüte segelte wie ein vom Blitz getroffener Schmetterling in die Grube und landete auf dem hellen Holz des Sarges.
Hände klopften auf eine zitternde Schulter.
Leute verließen das Gesamtbild der Trauer.
Niemand beachtete das kleine Mädchen, das am Rand der Versammlung stand.
Es weinte nicht um seine Schwester.
Das Mädchen wusste, dass der liebe Gott auf alle guten Seelen acht geben würde.
Das meinten die Leute.
Man versuchte, das Mädchen zu trösten, doch es schwieg.
Kein Wort drang über ihre Lippen.
Viel später, als schon die letzten Tränen gefallen waren, drehte sich das Mädchen um und schlich sich davon.
Niemand beachtete ein kleines Mädchen, das die Trauerfeier verließ und nach Hause ging.
Das Mädchen war alleine.
Das Mädchen dachte nach. Einsam saß sie in einer Ecke ihres Zimmers und versuchte eine Antwort zu finden.
Doch es gab keine. Auch ihr Teddy Mr. Knuddels wusste nicht weiter.
Er war sowieso keine sehr große Hilfe bei solchen Dingen. Es war schließlich nicht seine Schwester, die von irgendjemandem umgebracht worden war.
Dann fasste das kleine Mädchen einen Entschluss.
Vorsichtig stand es auf und ging in den Park. Das Gras war trocken und die Vögel waren schon wieder da. Doch das kleine Mädchen war zu sehr damit beschäftigt, keine Angst u haben, dass sie gar nicht bemerkte, wie die Vögel versuchten, ihre Aufmerksamkeit von sich zu lenken.
Sie merkte auch nicht, wie sich ihr ein Schatten näherte.
Ihre Abscheu vor der Angst jedoch machte sie vorsichtig.
Sie begann zu lächeln.
Ein Kinderlachen erfreut die Welt, so sagt man.
Der Mann dachte an den Winter. Und an den roten Schnee. Rot wie...
„Hallo. Wer bist du?“, fragte das Mädchen.
„Wie hast du mich bemerkt? Ich war doch so leise. Oder hast du so gute Ohren?“ der Mann war überrascht. Wie zum Teufel hatte das kleine Biest ihn gehört?
„Hallo“, sagte das Mädchen noch einmal, „Wer bist du?“
„Ich bin... ein Freund. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Kleine.“ Er lächelte so sympathisch, wie es ging.
Die Kleine grinste erfreut. Ihr Lächeln wurde zu einem Lachen.
„Was machst du denn hier, meine Kleine?“
Das Lächeln verschwand. Das Lachen verstummte. Zwei kleine Kinderaugen funkelten ihn an.
„Du hast meine Schwester umgebracht“, flüsterte sie.
„Was? Ich... aber... ich habe doch...“
Fassungslosigkeit.
„Wie kannst du... aber du...“
Verwunderung.
„Du bist die kleine Schwester von Sam?“
Erkennen.
„Du bist Lia?“
„Du hast Sam umgebracht!“, schrie das kleine Mädchen, „Du hast meine Schwester ermordet!“
Erleichterung.
„Wie willst du das beweisen? Du bist ein kleines Mädchen! Wer wird dir schon glauben?“
„Mr. Knuddels! Hilf mir!“
Mit einer Handbewegung schleuderte sie dem Mann ihren Teddy ins Gesicht. Unbeeindruckt fuhr dieser jedoch fort: „Du hast nicht einmal Beweise!“
Das Mädchen grinste boshaft. Mit einer Hand nahm es den zu Boden gefallenen Teddy.
Die andere rammte sie in einen Riss am Plüschbauch und kramte darin herum.
Entsetzen.
Silber blitzte und funkelte im Licht der Mittagssonne.
Ein Knall zerriss die natürliche Stille der Umgebung. Vögel flogen in Schwärmen auf.
Rauch quoll aus dem Pistolenlauf.
Das Mädchen senkte die Waffe.
„Du hast Sam umgebracht“, flüsterte sie, „das ist für dich.“
Die berühmten letzten Worte versuchten, sich durch die zusammengepressten Lippen des Mannes zu quetschen, doch der Tod wartet nicht gerne.
Der tote Körper schlug dumpf auf dem Grasboden auf.
Stille folgte.
Das Mädchen schleuderte die Pistole davon. Sie flog etwa zwei Meter weit und begrub einen frühen Löwenzahn unter sich.
Ein Schrei. Eine Frau rannte auf das kleine Mädchen zu und nahm es fest in die Arme.
„Was ist passiert?“, fragte die verzweifelte Mutter. Tränen stiegen ihr in die Augen.
Das Mädchen schluchzte. „Mamaaah! Der Mann da war ganz böse.“
Die Mutter schaute auf die Leiche. Ihr Blick wanderte über die Landschaft und blieb schließlich an der Pistole hängen.
„Der böse Mann hat sich das Ding an den Kopf gehalten und es war dann ganz laut und dann ist er umgefallen.“ Ihre Stimme überschlug sich und sie schluchzte nochmals.
Die Mutter drückte ihre verbliebene Tochter. Dann griff sie zum Handy und rief die Polizei an.
„Mama?“
„Was denn, mein Schatz?“
„Der böse Mann hat Mr. Knuddels putt gemacht. Machst du ihn wieder heile?“
Die Mutter nickte. Sie hätte jetzt alles gemacht.
Die Polizei war verwundert. Nach der Zeugenaussage des Mädchens hatte der Mann sich selbst umgebracht. Aber es waren keine Fingerabdrücke von hm auf der Waffe zu finden.
Noch dazu hatte die Mutter Angaben über ein Messer gemacht, mit dem der Täter, das spätere Opfer, ihre Tochter bedroht haben soll, aber es gab im Umkreis von einigen Kilometern keine Tatwaffe, auf die eine solche Beschreibung hätte zutreffen können.
Und zum Allgemeinen Erstaunen fand man an der Pistole Reste von Wolle.
Keiner konnte sich einen Reim auf das alles machen.
Tag der Veröffentlichung: 02.08.2011
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