Ja unsere Kinder
sie fallen wie Sterne
aus den Himmeln
Sie steigen auf
Flammen
aus tiefsten Höllen
»Ich will!«
schreien sie und weinen
Sie lächeln uns an
»Morgen«
singen ihre strahlenden Augen
Und diese langsame Spinne
die im Mondschein kriecht
und dieser Mondschein selber
und ich und du im Torwege
zusammen flüsternd
von ewigen Dingen flüsternd
müssen wir nicht alle schon da gewesen sein?
Friedrich Nietzsche
Das Herz in deinem Innern
ist voll eines Friedens
dem klaren Mondschein gleich
der die Welt durchflutet
Bassui
Ich träumte, ich träume.
Was träume ich? Was träumte ich?
Nur einen Teil.
Und du und er und sie und es träumen von anderen Dingen, erträumen andere Teile.
Wir alle sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen sie.
Wir alle sind Teile des Ganzen. Auch du und ich. Wir alle nehmen teil.
Schau und höre! Beginne zu lesen! Träume weiter deine Träume!
In dieser Nacht schläfst du nicht ein, denn es ist Sommer und warm und voll scheint die Mondin dort oben. Noch ist Tag, schwindender Tag. In der Dämmerung dieses Abends - werdende Nacht - lässt du dich nieder auf einer Bank, einer unter vielen rings um ein bepflanztes Zentrum. Den äußeren Kreis bilden Platanen, die die Bänke bewachen. Der Name des Ortes ist Platz. Doch es ist ein kleiner Park. Wie wundervoll passend zu deinem kleinen Zimmer unter dem Dach dieser kleinen Stadt mit Namen Kaiserslautern.
Du bist allein. So lauschst du dem Brummen der Motoren und dem Murmeln der Stimmen, die immer leiser so fern verklingen. Du lauschst dem Säuseln des Laubes über dir. Dann hebst du dein Haupt, in den Nacken sinkt dir dein Kopf, deine Augen schauen empor in die Äste, Zweige und Blätter dieses einen Baumes. Du siehst den Nachtwind sanft die Blätter berühren, unter seinem Atem tanzen sie.
Während du aber schaust - starr deine Augen - fließen Bilder heran, Träume vielleicht, Gedanken? Von irgendwoher kommen sie singend geflogen, schweben auf weiten Flügeln, die mantagleich schlagen ohne Laut. Du hörst ein schwarzes Wesen ein Lied singen, dort unten in der Tiefe. Du siehst Schwärme von schwarzen Faltern, Schwärme von Schwärmern sich erheben aus dem Schädel eines Toten. Du betrachtest still tauglitzernde Spinnennetze. Am Eingang ihrer Höhle lauert die Tarantelfrau. Ach, dieser lautlose Flug der Eule. Der Uhu ruft. Fledermäuse durchjagen die warme Nacht dieses einen Sommers, der nie mehr wiederkehren wird. Und du weichst flatternd ihnen aus. Du siehst, du hörst, du fühlst, du ... blickst auf, der Vollen Mondin ins Gesicht.
Hexen ziehen auf Besen und Böcken reitend vor ihr/an dir vorüber.
Von fern ein Brüllen wie von tausend Wölfen. Der Werwolf stand auf, und nun beginnt er seine Jagd.
Du spürst tief in dir, wie die Schlangendrachen erwachen. Jetzt werden Mondkälber geboren, denkst du, - und die Kinder der Mondin. Die einen mit zwei Köpfen, die anderen groß und schlank, mit grauen Augen in blassem Gesicht, werden viel Glück im Leben haben.
Wirf die Knotenschnur über deine linke Schulter und deine Warzen heilen.
Die Mondin ruft dein Gestern dir zurück, die Volle Mondin ruft ihre Kinder.
Menschen wandeln mit ausgestreckten Armen über den Dächern dahin.
Ja, sie lockt die Diebe aus ihren Löchern, zu rauben, zu plündern und zu morden.
Was aber tun all die anderen Menschen?
Nein! Nicht du! Nicht ich!
Die anderen! Ja, die! Was tun sie?
Sie sitzen zuhause vor ihren Flimmerkisten und in den Kneipen der Städte. Sie sitzen inmitten winziger tagähnlicher Inseln, die sie sich schufen als Schutz vor der Nacht und vor der Ohnmacht des Auges vor der Schwärze. Doch sie ist in ihnen. Ja, sie könnte schlafen, noch immer schlafen. Aber wehe, wenn sie erst erwacht! Eines Tages vielleicht?
Eines Nachts mit Sicherheit wird sie aufstehen, wird sich die Dunkelheit erheben und das Licht für Äonen verlöschen.
All das ist es, was du siehst und riechst und hörst und fühlst, hier draußen inmitten der Stadt.
Tore öffnen sich dir in andere Räume und Zeiten.
Und alles beginnt wie ein Traum im Traum eines Traumes ...
Ohne Anfang, ohne Ende, ein Traum, der ewig währt.
Ich
bin der Tag!
Und du
meine Schwester
die Nacht?
Der Wächter der Nacht
(Meinem Teddybären, der bei Nacht über mich wacht)
Bin ich ein Penner?
Jedenfalls befinde ich mich irgendwo in irgendeiner Stadt und sitze auf einer Bank. Es ist Abend. Dann werde ich also hier auf dieser Bank die Nacht verbringen. Ich lege mich hin. Ich schlafe ein.
Irgendetwas muss mich geweckt haben. Im Halbschlaf sehe ich drei Männer. Sie kommen näher, direkt auf mich zu.
Mensch, denke ich, ob es die sind, die Penner abstechen, nur so zum Vergnügen, als Freizeitspaß und -sport, nach dem Motto Weg mit dem Dreck!? Grad’ heut’ davon gelesen, in ‘ner weggeworfenen Bild.
Mist! Sie sind es! Ihre Messer springen auf. Die Klingen leuchten im bläulichen Licht der Vollen Mondin.
»Scheißpenner!«, brüllen sie, »Drecksgesindel! Jetzt wird saubergemacht!«, und stürzen auch schon heran.
Ich will aufspringen, davonrennen. O Scheiße, Mann, verdammt noch mal! Starr vor Schreck! Kann mich nicht bewegen. Das war’s wohl, denke ich noch. Ade, Scheißwelt, ade!, und schließe die Augen ...
Dann ertönt da ein tiefes Brummen dicht neben mir. Ich höre Schreie: »Nichts wie weg!«, und wildes Davonstürzen.
Ich öffne die Augen, sehe nur noch Rücken. Die rennen ja, als ginge es um ihr Leben, denke ich verwundert und drehe mich um.
Neben meiner Bank steht aufgerichtet ein gewaltiger Bär.
Nanu, stutze ich, dann ist mir alles klar. »Danke!«, sage ich schlaftrunken.
Er scheint zu nicken und legt sich wie ein Hund neben mich auf den Boden nieder. Ein Bär, der ‘nen Penner bewacht. Dinge gibt’s, denke ich und schlafe wieder ein, meinen Rotweinrausch aus.
Träume gibt’s, denke ich am Morgen, wache im Bett in meinem kleinen Zimmer unterm Dach auf. Also ist ja alles okay. Dann gehe ich aufs Klo, nach unten, eine halbe Treppe tiefer und schaue dort durch das kleine Fenster in den Hof. Und was sehe ich da? Dort unten im Garten liegt - ein Bär. Jetzt öffnet er die Augen. Er blinzelt mir zu.
Ich betrachte ihn still. »Dich gibt’s?«, frage ich laut und denke leise: Mensch, wie viel der wohl frisst - sorry, isst? Was der wohl kostet, wenn er länger bei mir bleibt?
Ne Menge, antwortet er in meinem Geist.
O je, das wird ja immer besser: Erst der Pennertraum, dann ist da tatsächlich ein Bär und jetzt auch noch Telepathie.
Mein Wecker piepst. Ich wache auf. Es ist 6.20 Uhr. Aufstehen! Alles klar zum Start! Heute geht’s los zum Sprachfest nach Braunschweig.
Tanz in den Nächten
(Für H. P. Lovecraft, inspiriert von: Die Katzen von Ulthar)
In der Nacht erwacht. Über dir leuchten grüne Augen, schimmern bleich im fahlen Licht der Mondin. Weiches Fell streift zitternd über deinen Mund. Ein sanftes Schnurren hüllt dich ein in einen Traum: Du folgst dem lautlosen Ruf von Hirn zu Hirn. Weit geht dein Flug. Unter dir siehst du die Erde schwinden. Weit ins Sternenmeer schwebst du. Dort, hinter den blauen Wolken aus Staub im roten Licht auf weißem Sand siehst du sie tanzen. Es sind die Katzenseelen. Schnurrend und singend in der Nacht bilden sie den magischen Kreis, Millionen sind es, alle Katzen der Erde.
Erwachend finde ich mich im Zentrum des Kreises.
Stumm schauen mich die Seelen der Katzen an.
Ich sehe sie.
Sie sehen mich.
Wir sehen durch uns hindurch.
Wir sehen.
Dann rast der Gedankenstrom heran.
Hand und Pfote sind im Geist verbunden. Wir singen, während ein endloses Meer herniederstürzt, Wasser, Urquell und All, während die Erde bebt unter Pfoten und Füßen, während du gähnend erwachst, Schildkröte, die du uns alle erträumst, uns Lebewesen der Erde.
Rasendes Drehen
Ein Traum.
Du stehst auf einem Bein im Wald.
Jetzt beginnst du dich zu drehen, rasend um dich selbst zu drehen.
Ein einsamer Wolf springt an dir vorüber - in Richtung deines Bruders.
Du rufst ihm zu, ein Ruf, der verhallt.
Aus der Drehung heraus der Schlag deines leuchtenden Schwertes, der die schwarzen Dämonen fällt.
Aus der Drehung heraus der Blitz deiner roten, leuchtenden Augen aus schwarzem Gesicht, der die weißen Engel in Höllenfeuer brät.
Die Drehung, Kreis ohne Anfang und Ende.
Du wandelst dich in einen bunten, schillernden Kreisel.
Ewigkeit! Unsterblichkeit!, denkst du, spiegelt dein Körper deine singende Seele.
Irgendwann
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG Texte: Rainar Nitzsche Alle Rechte vorbehalten Widmung:Impressum
Bildmaterialien: Berthold Mallmann
Tag der Veröffentlichung: 05.04.2017
ISBN: 978-3-7438-0644-3
Andrea, Julia, Meike
und allen anderen Frauen dieser Erde,
die mit der Mondin leben,
sowie den Wesen der Nacht.