Und an dem einen der Höllentore dort unten stand zu lesen:
Ich führe dich zur Stadt ...
zum Leid ...
zum Volke
der Verlorenen.
Dann las Dante die noch immer so bekannten und bald hier und da zitierten Worte, deren literarische Herkunft aber nur noch wenige Menschen kennen:
Lasst,
die ihr eingeht,
alle Hoffnung fahren!
So geschah es irgendwann in einer Göttlichen Komödie hier unten auf Erden in diesem einen von unzähligen Kosmen.
Mein Name ist Olaf, doch was rede ich da nur für wirres Zeug - das müssen die Wirkungen all dieser Medikamente sein -, du weißt, wie ich heiße, denn mein Name steht auf dem Cover.
Doch, wenn da eine Lüge stünde und mein wahrer Name gänzlich anders lautete, was wäre und wer bin ich dann? Bin ich ein Mensch? Oder hat mich ein Mensch nur geschrieben, erfunden, aus seinem Geist erschaffen? Oder aber bin ich doch ein Mensch wie du, der aber im Unterschied zu dir dies alles niederschrieb, weil er es erlebte - genau so, so ungefähr - oder doch ganz anders? Denn du weißt ja, »Dichter lügen«, sprach Friedrich Nietzsche einst. Und das tun bekanntlich nicht nur Dichter, sondern alle Menschen, und nicht nur wir, sondern auch Schimpansen und andere soziale Tiere innerhalb ihrer Gemeinschaft. Nicht nur wir wurden aus dem Paradies geworfen. Wir alle sind ...
Und wenn es so ist, wenn ich denn ein Mensch bin, der in deiner Welt, liebe(r) LeserIn, lebt, dann wunderst du dich vielleicht, wie es mir gelang, meine Texte zunächst als Buch in diesem Nitzsche Verlag unterzubringen, wo der doch laut eigener Aussage und jahrelanger Selbstausbeutung für andere vor Kurzem nur noch seine eigenen Bücher veröffentlichte und jetzt gar nichts Neues mehr verlegt. »Wie hast du denn das geschafft?«, könntest du mich fragen, wüsstest du, wo ich bin.
Doch ich verrate es dir auch so. Ja, den Verleger, diesen Herrn Nitzsche mit dem seltsamen Vornamen »Rainar« (mit zwei »a«, wo sonst »e« stehen, wie er immer so schön sagt), den kenne ich ein wenig. Ohne Vitamin B geht heutzutage ja hierzulande und andernorts - zu allen Zeiten, in allen Welten? - gar nichts mehr, da bleiben oft nur Resignation (Manuskripte stapelweise im PC und die Ausdrucke auf dem Schreibtisch). Zuschussverlag, Eigenverlag oder als letzter Ausweg Strick, Sprung, der Goldene Schuss in den Kopf oder die Medikamentenüberdosis - ein leichterer Weg für Kranke, für die, die sind wie ich. Halt, jetzt gibt es ja auch die Möglichkeit, E-Books selbst zu veröffentlichen, die den Autor, die Autorin gar nichts kosten. Doch wie auch immer, die Flut ist gewaltig! Und irgendwo mittendrin existiert dieses Werk, auch als Buch sogar, das erst wenige Menschen kennen - und so wird es wohl auch bleiben - für alle Zeit - in Ewigkeit?
Ja, ich erinnere mich jetzt. Und die Bilder und Klänge und auch die Gerüche werden immer deutlicher. So fing alles an. Wir schrieben das Jahr 2017 christlicher Zeitrechnung. Jetzt und hier gebe ich dir meine Bilder von den Höllen, die ich sah. Lies und höre und schau die Schreie der gequälten Kreatur - und verzweifle nicht so sehr, wie ich es tat und tue und immer tun werde!
Höllenqualen
Nicht irgendwo im Feuer brutzeln,
sondern immer und immer wieder
und wieder und wieder wiedergeboren werden
mit allen möglichen Gebrechen,
versklavt, geprügelt, gefoltert,
mit Ehekrieg und Kinderterror –
das alles und vieles mehr
sind die wahren Höllen – in dir.
Hinab mit dem Fahrstuhl, dem Aufzug, der dann also ein Abzug ist. So geht’s aber auch mit der Klospülung: So gelangst du ins Unterwasserreich. Hinab mit dem Paternoster, so geht’s auch. Doch beten zu GOTT, dem Herrn, nützt dir da gar nichts. Hinab auf der Rolltreppe, mit dem A-Grav-Lift gar, den du aber gar nicht brauchst, denn die Gravitation zieht dich ohnehin nach unten.
Horizontal (und ein wenig bergauf, bergab) könntest du hoch zu Ross reiten, auf Rädern oben auf dem Kutscherbock sitzen oder im Innern der Pferdekutsche reisen, doch auch auf dem Ochsenkarren, auf dem Rücken des Dromedars oder eines der alten/neuen Dinosaurier. Dann gibt es da ja schon seit über 100 Jahren das Automobil, das es für die meisten Besitzer noch immer nicht ist. Denn es bewegt sich nicht selbst, sondern benötigt noch immer einen Menschen zu seiner Bedienung. Vielleicht gehst du ja auch einfach zu Fuß, auf zwei Beinen, auf allen Vieren, Sechsen, Achten, Zehnen oder auf 375 Paaren, je nachdem, in welchem Körper du stecken magst: Mensch, Vogel, Säuger, Insekt, Spinne, Krebs oder Tausendfüßer. Barfuß magst du sein oder mit Strümpfen und Schuhen gekleidet, spätestens dann, wenn dir Sprit oder Gas ausgegangen ist. Auf Rollschuhen, Inline Scaters, Scateboards könntest du geteerte Straßen entlangsausen, sofern da nicht zu viele Schlaglöcher sind und der Teer noch nicht geschmolzen ist. Dies aber wird geschehen, wenn sich die Straße neigt und dein Lauf immer schneller wird und die Erde sich auftut und dich verschluckt, sodass dich niemand mehr schreien hört. Oder auf dem Sitz deines Motorrades, sei es ein Roller oder eine wirklich große Maschine, die du niemals wieder alleine aufrichten kannst, sollte sie einmal zur Seite gekippt sein, könnte deine Reise beginnen.
Ach, welch wahrhaft höllenhafte Abenteuer du doch auf deinem Weg von der Erdoberfläche nach unten in die tiefsten Tiefen der Erde erleben könntest, auch durchs Wasser hindurch, beginnend im Brunnen, Teich, See oder Meer - oder in der Badewanne, mit der Klospülung gar.
Aus höchsten Lüften im Ballon, im Zeppelin oder Flugzeug oder an Fallschirm/Paraglider hängend kommst du selbstverständlich auch hinab, und hinein geht’s in diese/deine Unterwelten!
Allein,
die zu den gelben Quellen reisen,
gehen in tiefe Dunkelheit
und kehren nicht zurück.
Noch bist du oben.
Einer unter den Reichen, Schicken und Feinen, den Präsidenten, Kanzlern, Königen und Kaisern?
Nein.
Auch bist du nicht auf dem höchsten Gipfel des Himalaja, schon gar nicht in der ISS im Orbit weit über allen Wolken, nicht in den Lüften, noch nicht einmal im obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers - und wäre es nur das Restaurant oben im Rathausturm, um den einst Manfred flog, als er sich in einen Magier verwandelte.**
Noch bist du einfach nur oben, nämlich auf der Oberfläche dieser, deiner Mutter Erde.
Doch nicht nur in den Träumen der Nacht, am Morgen, wenn du dir den Schlaf aus den Augen reibst, sondern zunehmend auch bei Tag tun sich Höllen in dir auf.
Höllen?
Ja, wahre Höllen sind es für Wesen, die einst aus Afrika kamen, in Hitze aufwuchsen und doch heute schon bei 30 °C im Schatten aufstöhnen und jammern und nach Ventilatoren, Eis, kühlen Swimmingpools, Bädern, Seen, Flüssen und Meeren verlangen. Höllen sind es für dich, denn du bist solch ein Wesen. Du bist ein Mensch. Denn diese Höllen in dir sind Feuermeere, sind Lavaglut.
Dann aber findest du dich in eisigen Meerestiefen wieder. Tiefseekälte dringt in dich ein. Von dort folgst du dem Ruf und rast hinauf ins Sternenmeer, in den »leeren« Raum, wo Weltraumkälte herrscht. Kahle Wüsten findest du auf der Mondin, dem Mars und auf so vielen anderen Welten.
Heiße und eisige Wüsten sind sie alle, dort unten, dort oben, Wüsten sind sie alle für dich, der du nur ein Mensch bist und nicht mehr.
Wüsten umgeben mich, halten mich gefangen, denkst du einen Augenblick, denkst du immer wieder. Ringsum, unten und oben. In mir träumen sie, warten auf mich, warten darauf, mich einzusaugen. Von überall dringen sie in mich ein und schleudern mich ins Gestern zurück oder voraus ins Morgen. Wahnsinn, Gier und Besessenheit lauern überall.
Und während du all dies denkst und keine Wendeltreppe gehst, auch nicht die Treppe hoch zu deiner Wohnung im ersten Stock, während du dich nicht im Auto, in der Eisenbahn befindest, in keinem Bergwerk, keiner Höhle, weder in einem Flugzeug in vielfacher Kilometerhöhe noch in einem Schiff auf hoher See oder gar in einem Atom-U-Boot oder Weltraumschiff, während du all dies denkst, stehst du nur in einem Aufzug einer Stadtbibliothek. Die aber liegt in der Innenstadt von Kaiserslautern, einer Stadt in der Pfalz, einem Teil von Rheinland-Pfalz, einem Bundesland von Deutschland, einem Land innerhalb der EU, in Europa, das nur ein Teil von Eurasien ist, einem Kontinent auf der Erde, der nicht immer ein Kontinent war, auf dem dritten Planeten eines kleinen Sonnensystems am Rande einer Galaxie, die wir Menschen Milchstraße nennen.
Fortsetzung s. ABZUG (1)
*: Die Rahmenhandlung von einem, der in einem Aufzug hinab ins Erdinnere rast und sich dabei an mancherlei Dinge aus seinem Leben erinnert, vielleicht aber auch nur erträumt, gehört thematisch zu Unterwegs zu Land, zu Wasser und in den Lüften. Sie ist in sieben Abschnitte aufgeteilt und nach folgendem Schlüssel über das gesamte Buch verteilt: OBEN vor die erste Geschichte mit A, ABZUG (1) vor F, ABZUG (2) vor K, ABZUG (3) vor P, ABZUG (4) vor U und ABZUG (5) vor Z, ABZUG (6) bildet den Schluss. Wohl sollten hier zwischen jedem Rahmenteil jeweils fünf Buchstaben des Alphabets liegen. Vielleicht aber bedeutet AFKPUZ ja in irgendeiner Sprache zu irgendeiner Zeit irgendwo irgendetwas - und seine Entschlüsselung entscheidet über das Schicksal einer Welt.
**: Rainar Nitzsche: Der Leuchtende Pfad des Magiers
Ich saß gerade im Zug, ...
»Olaf Olsen, melden Sie sich bitte bei ... (unverständlich). Es liegt eine Mitteilung für Sie vor!«, meinte der Lautsprecher oder irgendwer dahinter, entfernt, also am Mikrofon, an diesem Morgen auf dem Bahnhof in Kaiserslautern.
Was also sollte ich tun? Was hättest du an meiner Stelle getan? Der Zug würde gleich losfahren.
Nach kurzem Überlegen stand ich doch auf, stieg aus und fand erstaunlicherweise nach kurzem Suchen und Fragen den nicht verstandenen Ort in der Schalterhalle.
Dort lag tatsächlich eine Mitteilung für mich vor, die da lautete:
Lieber Olaf,
du hast soeben deinen Zug zur Arbeit verpasst.
Dies und andere Dinge werden sich wiederholen.
Sag schon mal deinem Job ade.
Den brauchst du nämlich bald nicht mehr.
Kalte Grüße aus der Hölle!
Und dann war da irgendwo so etwas wie Gelächter: ein Grölen und Gekicher, überall ringsum.
Also drehte ich mich einmal um die eigene Achse im Kreis herum.
Doch auch irgendwo da tief in mir drehte sich alles.
Und ich sagte, so blass, wie ich jetzt war, nur das eine deutsche Wort, das in früheren Zeiten niemals gedruckt wurde, das man einfach nicht in den Mund nahm -»Fäkalsprache« hieß das damals hier bei uns -, und das auch andernorts, jenseits des großen Teiches, im TV ausgepiepst wurde und das da lautet: »Scheiße!«
Das ist nur ein kurzer Name für die persischen Worte Angru Mainyu, die da bedeuten Böser Geist.
Du bist der Antischöpfer, das Böse und der Erzeuger der 9999 Krankheiten.
Dein Zuhause ist die Unterwelt voll Finsternis, die immer schon war.
Rauch und Schwärze, Unheil und Tod bringst du aus ihr in die Welt der Menschen mit.
Dein Symbol ist die Schlange. Tiere werden dir geopfert. Löwenköpfig und von einer Schlange umhüllt ist dein Bild in der Menschenwelt.
Ewig sollst du den Heiligen Geist leugnen und die Kräfte des Lichts und der Wahrheit bekämpfen.
So steht es geschrieben, so sei es, so ist es!
Wenn das alles nur ein Traum ist, wünsche ich mir nur das eine und das ist: jetzt zu erwachen. Das denkst du und - schreist, weil es einfach nicht geschieht, dein Wunsch nicht in Erfüllung geht, weil du in diesem Alb gefangen bleibst. »O mein Gott, hier komm ich niemals wieder raus«, weinst du.
Dann aber, wie lange mag es wohl gedauert haben, bist du doch geschockt, denn es wird nicht nur irgendwann geschehen oder geschieht endlich, nein, es ist schon längst geschehen: Du hast es geschafft, du bist draußen, bist dem Alb entflohen.
Doch was ist das, das du da jetzt rings um dich herum wahrnimmst?
»O mein Gott! Da war mein Traum ja das reinste Paradies!«, brüllt deine Seele auf, schreien Hirn und Kehlkopf, Zunge und Mund synchron in einem Krächzen aus dir raus.
Denn dies hier ist die Höllenwirklichkeit, die du dir niemals, weder jetzt noch niemals zuvor, erträumtest, erträumen konntest. Denn dazu reicht dein Winzlingsmenschenhirn niemals aus.
Überall humpeln hier Greise auf Krücken dahin und schreien vor Schmerzen, gehen achtzigjährige Paare mit weißem Haar und faltiger Haut sich an den Händen haltend, versuchen Beinlose auf selbstgefertigten Holzkarren vorwärts, nicht etwa hinab oder geradeaus, nein, einen Abhang hinauf zu kommen - und rollen immer wieder zurück. Einbeinige springen so lange, bis sie nicht mehr können, und fallen schließlich einfach um. So viele Menschen siehst du gebückt mit krummem Rücken den Berg emporkriechen.
Denn dort oben ist irgendetwas, das alle zu sich ruft.
Offene Brüche, Knochen und Sehnen und Bänder und Schreie und Blut. Beulen an Schädeln, blutende zerquetschte Nasen, blaue Flecke von Schlägen, von Peitschenhieben zerfetzte Haut, Striemen und Narben von Wunden und Operationen aus der Vergangenheit.
Du erinnerst dich daran, wie du im dunklen Raum dort unten im Keller erwachtest, ziemlich verkabelt - voller Schläuche, Sauerstoff in der Nase, piepsende, leuchtende Monitore ringsum. Ach ja, ich wurde ja operiert. Dort und andernorts, wann und wo, wie oft und warum überhaupt? Doch das alles war, geschah, ist längst Vergangenheit.
Jetzt gehst du mitten unter all den anderen, bist nur einer von Vielen in der Masse. Auch du bist, wie alle hier, vollkommen nackt, wie du jetzt erst bemerkst.
Wir alle, die wir eine endlos scheinende, sich in Serpentinen den Berg hinauf schlängelnde Reihe bilden, kommen nur langsam voran. Immer wieder müssen wir schnaufend verharren, die Luft einsaugen, das letzte bisschen an Sauerstoff in diesen nach faulen Eiern stinkenden Schwefelwasserstoffdämpfen atmen, wie auf dem Weg zum Pico del Teide auf Tenerife einst, erinnerst du dich.
Einmal drehst du dich noch um.
Dort unten ist alles rot. Feuer brennen dort. Lavaströme quellen aus der Erde, wo fester Fels ist, dort quellen die Massen aus Erdlöchern heraus.
Andernorts aber ist alles rot vom Blut der Menschen, färbt sich schnell dunkel mit dem Gerinnen. Dort also liegen die Bomben- und Granatenzerfetzten, die Abgeschlachteten. Doch auch sie ..., du weißt es, auch sie sind längst aus ihrem Erdentod in einer anderen Hölle erwacht und streben vielleicht dort der Tiefe entgegen, wer weiß?
Du stellst das Denken ein, sondern trottest einfach weiter, immer weiter und weiter mit all den anderen deinem Ziel dort oben entgegen.
»Raus aus der Unterwelt und hin zum Licht«, flüstert eine Stimme in dir.
Einen Augenblick lang sieht du einen strahlenden Himmel in den höchsten Bergeshöhen, die dort die Wolken überragen. Dann erlischt dieses Bild, die Realität hat dich wieder. Du trottest weiter, Schritt um Schritt, immer weiter. Jetzt musst du auch auf deine Füße schauen. Denn immer wieder liegen dort welche, die es nicht schaffen werden, die einfach umfielen und doch noch leben und sich ein wenig regen. Noch versuchst du, nicht auf sie zu treten. Doch als einer nach dir langt und sich an deinem Bein festklammert, befreist du dich von seiner Hand und polierst ihm mit deiner Rechten die Fresse: einmal, zweimal, dreimal. So ist’s gut, so muss es sein! Hier kann nur der Stärkste überleben. Und das ist der, der sich vorwärts drängelt, der die anderen zur Seite schubst und sie niedertritt und zu Brei zerstampft.
In dir hallt es aus anderer Zeit: »Und diffamiert, lügt und betrügt, bestiehlt, niederschlägt und meuchelt.«
»Wieso kannst du das so gut?«, flüstert wieder die Stimme in dir. »Frage dich das!«
Du aber hörst nicht weiter hin. Ist dir jetzt alles scheißegal. Du willst Sieger sein, willst nach oben kommen, hin zum Licht - aus der Hölle raus! So gehst du weiter und weiter. So steigst du immer höher auf. So schaffst du es als einer Ersten und einer der wenigen, über die Wolken zu gelangen.
Dort siehst du es.
»NEIN!!!«, schreist du, brüllst du immer wieder: »Nein, nein, nein!«
Denn alles war vergebens. Hier gibt es keine Sieger, sondern nur Verlierer. Und du bist einer von vielen.
Und das ist es, was du siehst und riechst und hörst: Hier oben brennen die Höllenfeuer, die du von unten kennst.
Du öffnest Ohren und Augen und Nase und Mund. Du erwachst aus einem Traum, einem Alb von einem Traum. Doch was ist das, das du da jetzt rings um dich herum wahrnimmst?
Doch was ist das, das du da jetzt rings um dich herum wahrnimmst?
»O mein Gott! Da war mein Traum ja das reinste Paradies!«, brüllt deine Seele auf, schreien Hirn und Kehlkopf, Zunge und Mund synchron in einem Krächzen aus dir raus.
Denn dies hier ist die Höllenwirklichkeit, die du dir niemals - weder kürzlich noch niemals zuvor - erträumtest, erträumen konntest. Denn dazu reicht dein Winzlingsmenschenhirn niemals aus.
Überall humpeln hier Greise auf Krücken dahin und schreien vor Schmerzen, gehen achtzigjährige Paare mit weißem Haar und faltiger Haut sich an den Händen haltend, versuchen Beinlose auf selbstgefertigten Holzkarren vorwärts, nicht etwa hinab oder geradeaus, nein, einen Abhang hinauf zu kommen - und rollen immer wieder zurück. Einbeinige springen so lange, bis sie nicht mehr können, und fallen schließlich einfach um. So viele Menschen siehst du gebückt mit krummem Rücken den Berg emporkriechen.
Denn dort oben ist irgendetwas, das alle zu sich ruft.
Schrecklich bist du, Anat.
Du watest im Blut und trägst die abgeschlagenen Hände und Köpfe der Menschen wie Schmuck.
Deinen Bruder und Mann Baal hast du gerächt. Denn Mot, den Todesgott zerstückelte dein Schwert in der Unterwelt. So gabst du Baal das Leben zurück, und er stand wieder auf.
Das tatst du einst vor langer Zeit, so tut es auch später dann Isis bei Osiris.
Menschen, Magier und Leoparden aber, wir denken da an Manfred und Moyo, wurden geboren, also leben und sterben sie und kehren niemals als dieselben zum selben Ort zurück.*
*: Rainar Nitzsche: Der Leuchtende Pfad des Magiers, Wandlungen der Drei, Wüsten-Berges-Himmels-Weiten
Du läufst auf die Wand zu.
Diesmal klappt’s, denkst du. Also gehst du immer weiter.
Doch die Wand öffnet sich nicht. Da siehst du weder Spalt noch Fenster noch Tür noch Tor. Da ist nur die glatte Wand, die sich endlos nach beiden Seiten hin erstreckt. Wo sollten da auch so mir nichts dir nichts Öffnungen in einer massiven Substanz auftauchen?, fragst du dich mit Recht. Schließlich leben wir im beginnenden 21. Jahrhundert, wo Häuserwände aus Holz, Blech, oder aus Stein und Mörtel und Farbe sind, also immer aus totem festen Material, doch niemals nie - noch nicht lebendig.
Und mit der Magie alter und anderer Zeiten ist’s heutzutage auch vorbei, auch wenn sie in der Literatur, im Film und in der Religion wieder im Kommen ist.
Also fällst du nicht durch das Eiswerbeplakat mit der Grazie darauf und fällst im Jenseits auf die Schnauze, sondern stößt dir die Nase platt?
Nein. Du gehst einfach durch die Wand. Denn ungeheuer groß ist die Leere in den Atomen. Du durchschreitest sie, denn du bist ...
Was oder wer bin ich?
Bin ich wer?
Wer bin ich - jetzt?
Dort, wo du jetzt bist - also hier, hier auf der anderen Seite sind weder Schutz noch Heim noch Wohnung noch Abend noch rotes Lampenlicht, kein TV, kein Kopfhörer und auch nicht dein Bett, auf dem du vor Kurzem noch lagst. Hier liegst du nicht, hier sitzt du nicht, hier stehst du nicht, hier fällst du empor in Schwärze.
Weit unter dir bleibt es zurück, wird kleiner und immer kleiner, verglüht dann ganz: das gleißend-weiße Licht.
Denn du fällst empor. Du, der du das Licht so liebst, steigst empor, immer weiter von ihm weg.
Doch auch du, der andere von der anderen Seite, der du zur gleichen Zeit die Welt der Menschen betratst, als der eine sie verließ, doch auch du, der du ein schwarzes Wesen aus der Schwärze bist, das die Schwärze des Alls so liebt, verlierst den Halt und fällst - doch nicht empor, sondern hinab.
Immer weiter weg von deiner schwarzen Heimat Nacht tauchst du nun in den leuchtenden Sommersonnenerdenhimmel ein.
Ja, schwarz und schreiend sind die Höllen für stille Menschen.
Still und schwarz sind die Höllen für lachende Jugend.
Sonnenhell und jubilierend aber sind sie für Dämonen.
Dort brennt das ewige Licht.
Dorthin ruft dich deine Seele voller Sehnsucht.
Aufgehen im Âtman, das ist dein Ziel.
Doch wie ist der Weg?
Jetzt nach dem Tod deines menschlichen Körpers beginnen die Läuterungen.
»Hier im Zwischenbereich bist du nicht in himmlischen Paradiesen mit goldenen Palästen, lotosbedeckten
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Rainar Nitzsche, Rainar Nitzsche Verlag (1. Auflage 2005)
Bildmaterialien: Rainar Nitzsche
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2017
ISBN: 978-3-7438-0175-2
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
All denen, die in tiefste Höllen fielen, hier unten auf Erden und andernorts