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1.

»Ah!« Er liebte es, am Morgen neben einem bettwarmen Körper aufzuwachen, vor dem Aufstehen kurz inne zu halten, um sanft über die nackte Haut zu streicheln, ihre weiblichen Konturen nachzubilden, den ausströmenden Duft tief einzuatmen, und sich dem angehenden Arbeitstag zu widmen. »Wieder hat sich die Natur der Vollkommenheit verpflichtet«, dachte er sich. Behutsam stieg er aus dem Bett, um sie nicht zu wecken und ging auf leisen Sohlen ins Bad.
Schon riss ihn das Klingeln seines Natels (schweiz. ugs. für Handy)

aus seinem fantastischen Nachglühen. »Ich höre... ...Ja... ...aha... ...klingt nach frühmorgendlicher Routine... ...Gut, ich mach mich frisch und dann gleich auf den Weg...«
»Schatz? Wo bist du? Was machst du?«, hörte er sie vom Bett aus rufen.
Er trat vor sie hin. »Schatz?! D u nennst mich Schatz, bereits nach der ersten gemeinsamen Nacht?! - Ich muss zur Arbeit. Da liegt der Schlüssel. Wenn du gehst, wirf ihn nach dem Abschliessen in den Briefkasten! Adieu! War nett, dich kennen gelernt zu haben.«
» S o hast du dir das also vorgestellt?! Aber nicht mit mir! Ich bin keine bloss für einen One-Night-Stand! Du kommst jetzt sofort zurück!«
Er würdigte sie keines Blickes mehr und liess die Tür hinter sich ins Schloss fallen.

2.
Johannes Frauenäckerer, Postenchef einer Kantonalen Polizeistation auf dem Lande, stand breitbeinig im Türrahmen, bestaunte seinen Schattenwurf und verschaffte sich einen Tatort-Überblick. Es roch nach Blut, Schweiss und Tränen. »Quatsch!«, murmelte er vor sich hin, »es riecht nach Beziehungsdelikt, Blut, Tod und Panik!«
Eine junge Frau lag nackt und regungslos mit Blut verschmiertem Brustkorb auf dem Fussboden, eine Blutlache neben ihrem linken Oberkörper. Frauenäckerer konnte ihr Gesicht nicht sehen, ihr Kopf war wie bei einer Puppe unnatürlich verdreht. »Vielleicht warst du nur zu hübsch zum Leben«, murmelte er vor sich hin.
Rechts der Leiche fiel ihm ein Gerät auf, das aussah wie ein tragbarer CD-Spieler, der noch Geräusche von sich gibt: »Analyse! Den Patienten nicht berühren! Kein Schock empfohlen! Falls erforderlich, mit Beatmung und Herzdruckmassage beginnen! Der Patient kann jetzt wieder berührt werden!«


Frauenäckerer trat auf diese Einladung rasch näher und wunderte sich über zwei dünne Kabel, die zur Frau führten.
»Halt! Hände weg! Berühren Sie die Tote nicht! Und die Kabel schon gar nicht!«, vernahm er eine scharfe Stimme hinter sich.
»Wer sind denn Sie, dass Sie glauben, mir Befehle erteilen zu können?! - Ja, der Herr Notarzt! - Bloss weil Sie ab und zu eine Leiche im Sortiment führen, wollen Sie mir meinen Job erklären?!«
»Wo denken Sie hin? Da hätte ich Wichtigeres zu tun!«
»Wieso stehen Sie dann noch am Tatort herum? Hier können Sie definitiv nichts mehr ausrichten, alle ärztliche Kunst vergebens. Das sehe ich doch auf den ersten Blick! Gehen Sie nach Hause!«
»Gerne, aber zunächst lasse ich das EKG an der Leiche ableiten. Null-Linie, mindestens 9 Minuten lang, vorschriftsgemäss. Jedes Mal aber, wenn jemand wie Sie am Elektrodenkabel rüttelt, werden Ausschläge aufgezeichnet. Diese halten einer Überprüfung durch den Regionalen Qualitätsverantwortlichen nicht stand! Er befürchtet dann ein Lazarussyndrom...«
»...Lazarussyndrom! Ha! Wenn ich das bloss höre! Ist Ihnen je eine so übel zugerichtete Leiche begegnet, die von selbst wieder aufgestanden wäre? Nun stellen Sie endlich offiziell den Tod fest und lassen mich und meine bald eintreffenden Kollegen unsere Arbeit machen! Den medizinischen Kram übernimmt der Rechtsmediziner. Wie ich vernommen habe, sind Ihre Legalinspektionen nicht sehr berühmt, Herr Notarzt!«
»Das kann ich nur bestätigen, 'Monsieur 10'000 femmes'.«
»Bitte? Was soll diese Anspielung?«
»Sie stehen im Ruf, bis zu Ihrer Pensionierung mit mindestens 10'000 Frauen geschlafen haben zu wollen; wie Ihr Vorbild, 'Commissaire Maigret'.«
»'Commissaire Maigret'?! Literaturbanause! Sie meinen Georges Simenon, dessen literarischer Vater. Ja, der hatte mit Frauen was am Hut! Nun, mein Sexualleben tut hier nichts zur Sache! - Was sind das für weisse Kleber am Brustkorb der Toten? Genau im Bereich einiger Stichwunden. Wollten Sie etwa noch Blutungen stillen?!«
»Unsinn! Das sind Klebeelektroden zur EKG-Ableitung.«
»Erwischt! Änderung der Spurenlage! Fälschung von Beweismitteln!«
»Die Elektroden sind vorschriftsgemäss angebracht! Die Würgemale liessen wir unberührt, den mutmasslichen Genickbruch haben wir ebenfalls nicht reponiert! Das sollte Ihnen wohl genügen!«
»Und diese blutigen Sohlenabdrücke, die sich in immer grösseren Abständen von der Leiche entfernen? Sie führen genau zur Haustür und sind mir schon beim Betreten des Tatorts aufgefallen.«
»Sieht nach S3-Sicherheitsschuhen der Rettungs- Sanitäter aus.«
»Die Rettungssanitäter haben den Tatort fluchtartig verlassen?! Das macht sie zu Tatverdächtigen, bis zum Beweis des Gegenteils! - (Frauenäckerer greift zu seinem Funkgerät) - Schnell, wie heissen die beiden?! Ich lasse sie sofort zur Fahndung ausrufen!«
»Blödsinn, Herr Wachtmeister! Die beiden wurden zu einem Verkehrsunfall mit mehreren Schwerverletzten gerufen.«
»Und warum sind Sie nicht ebenfalls dorthin ausgerückt? Ich werte das als unterlassene Hilfeleistung!«
»Was noch?! Für die Region, in der der Unfall passiert ist, bin nicht ich zuständig, sondern ein anderer Notarzt. Sie wissen, ein Notarzt, der in einer fremden Region wildert - Krrrr (er fährt mit der flachen Hand unter seinem Kinn durch) - einen Kopf kürzer!«
»Also zwei Verdächtige weniger! Fängt das Ganze wieder von vorne an.«
»Sie zum Beispiel hätten ein Motiv, Herr Wachtmeister.«
»Bitte?!«
»Vielleicht wollten Sie die Tote beschlafen...«
»...ich schlafe sicher nicht mit einer Toten!«
»Als sie noch lebendig war, natürlich!«
»Herr Notarzt, ich sehe diese hübsche Frau zum ersten Mal in meinem Leben.«
»War nur so ein Gedanke. Reine Routine, meine Fragerei. Was, wenn sie Sie hätte abblitzen lassen, und Sie hätten sie deswegen umgebracht? - Verletzter Stolz eines Casanovas. - Oder sie verbrachten zusammen eine unvergessliche Nacht, und sie wollte danach mehr von Ihnen. Dadurch wären Ihre langjährigen Pläne zunichte gemacht worden.«
»Nicht schlecht kombiniert, 'Lieutenant Columbo', aber weit daneben! Es kommt regelmässig vor, dass eine Frau wiederholt mit mir schlafen will, was durchaus für meine Qualitäten spricht. Daraus ergibt sich jedes Mal ein flotter Dreier mit einer Neuen. Sie sehen, ich habe kein Motiv, diese Frau umzubringen. - Und, was ist mit Ihnen? Vielleicht wollten Sie einen Kunstfehler vertuschen?«
»Sehe ich aus wie einer, dem Kunstfehler unterlaufen?!«
»Kein Kommentar, Herr Notarzt! - Nun, Ende der Diskussion! Ich entferne jetzt diese Klebeelektroden und erledige meinen Auftrag!«
»Nicht an den Kabeln rütteln! Jetzt erinnert es an ein Kammerflimmern!«
»Das soll ein Kammerflimmern sein?! Das nehme ich Ihnen nicht ab!« - »Wiederbelebungsmassnahmen beenden! Den Patienten nicht berühren! Analyse! Schock empfohlen! Hände weg! Zurück treten! Den Patienten nicht berühren! Rote Schocktaste drücken! – Kein Schock empfohlen! Entladung! Falls erforderlich, mit Beatmung und Herzdruckmassage beginnen! Der Patient kann jetzt wieder berührt werden!«

- »Was soll das nun wieder?« Frauenäckerer erschrak heftig und trat rasch einen Schritt zurück.
»Sie haben mit Ihrem unautorisierten Handgriff an die Elektroden das Analyseprogramm des Automatischen Defibrillators aktiviert, Herr Wachtmeister! Gerade rechtzeitig hat die Software festgestellt, dass doch kein Kammerflimmern vorliegt und die interne Entladung aktiviert. Sollte dies dem Qualitätsbeauftragten auffallen, werde ich ihm ausführlich erklären müssen, warum wir dennoch nicht defibrilliert haben. Als Notarzt darf ich nämlich den automatischen Modus eines Defibrillators übersteuern.«
»So! Ende der Vorstellung und Ihrer Monologe, Herr Doktor. - Die Elektroden sind unwiderruflich entfernt! Ihr Qualitätsverantwortlicher kann mich mal...! - Wer hat Sie übrigens aufgeboten? Und weshalb?«
»Die Kantonale Notrufzentrale, natürlich. Der Sanitäts- Disponent war der Ansicht, dass wir noch etwas ausrichten können, NACA-Score 5. Leider gab es für uns nichts mehr zu tun.«
»Ausser dem Verändern der Spuren. - Wer hat den Vorfall der Alarmzentrale gemeldet?«
»Ein anonymer Anrufer, soweit mir bekannt ist.«
»Anonymer Anrufer? Im Zeitalter der digitalen Telefonie gibt es keine anonymen Anrufe mehr! Und in der Schweiz müssen alle Mobiltelefon-Nummern namentlich registriert sein! Denn nur so kann die Allgemeine Ordnung aufrecht erhalten werden! Das erleichtert unsere Arbeit ungemein! Denken Sie bloss an all die Dealer mit ihren Drogenverkäufen per Natel!«
»Meine telefonische Rückfrage mit dem Disponenten bis zu Ihrem Eintreffen am Tatort, Herr Wachtmeister, hat ergeben, dass mit dem Natel der Toten, vermutlich aus einem fahrenden Auto aus, angerufen wurde. Also doch anonym.«
»Ich tippe auf ein Beziehungsdelikt, das Häufige bleibt häufig. Sagt mir meine Berufserfahrung. - Wollen wir wetten, Herr Notarzt? Ehemann oder Liebhaber?«
»Ich tippe auf den Ehemann. Er kam dahinter, dass sie einen Geliebten hat und wollte sie vor Arbeitsantritt zur Rede stellen. Im anschliessend eskalierten Streit würgte er sie und stach in Rage wild mit einem zufällig herum liegenden Küchenmesser auf sie ein. Sie fiel nach hinten und brach sie sich nebenbei das Genick. Glatter Overkill, sozusagen.«
»Solche Details kann eigentlich nur der Täter wissen. Das macht Sie erneut verdächtigt, Herr Notarzt. Wie kamen Sie überhaupt zum Tatort? Fuhren Sie mit dem Krankenwagen vor oder mit dem Taxi?«
»Nein, mit meinem NEF.«
»NEF?«
»Notarzteinsatzfahrzeug.«
»Waren Sie allein im Auto? Ich vermisse Ihren Fahrer.«
»Ich lenke mein NEF persönlich.«
»Und, wo haben Sie es parkiert? Ich habe es bei meiner Ankunft nicht bemerkt.«
»Strategische Anfahrt, ohne Blaulicht und Sirene, verdecktes Parkieren; alle Sicherheitsvorschriften in Bezug auf Eigenschutz befolgt, Herr Frauenäckerer.«
»Sie haben Recht, Herr Doktor. Ich streiche Sie von meiner Verdächtigenliste. Und wer, glauben Sie nun, hat alarmiert?«
»Der Geliebte natürlich. Die beiden waren verabredet, erfüllender Sex stand an; er fand sie tot auf dem Fussboden liegen, geriet in Panik, behändigte unbewusst ihr Natel und rannte aus dem Haus. Auf der Flucht plagten ihn Gewissensbisse - vielleicht war sie doch nicht tot - und er alarmierte mit ihrem Mobiltelefon die Rettungskräfte. Das war's!«
»Üble Sache Maloney, üble Sache!«
»Maloney?«
»Kennen Sie etwa 'Philip Maloney' nicht, Herr Notarzt?«
»Die Hörspiele mit dem Privatdetektiven und dem namenlosen Polizisten?«
»Genau die! Die höre ich mir jeden Sonntagmorgen im Radio DRS an.«
»Währenddem Sie promiskuiden Sex praktizieren, Herr Frauenäckerer?«
»Sicher nicht, während der Nachglühphase natürlich! Das erfrischt und inspiriert mich! - Übrigens, wir zwei, Herr Doktor, gäben doch ein gutes Ermittlerpaar ab. Sie verwischen die Spuren, machen mir das Arbeitsleben schwer, und ich kläre die Fälle auf! Das ganze als Hörbuchreihe publiziert!«
»Nicht übel durchdacht, Frauenäckerer. Und, wir würden nicht einmal plagiieren. Sie wären Wachtmeister Johannes Frauenäckerer, und ich der namenlose Notarzt.«
»Sobald wir diesen Fall gelöst haben, kommen wir zum Geschäftlichen. - (Er kratzt sich nachdenklich am Kinn) - Der Ehemann also. Ich werde gleich eine Grossfahndung veranlassen. - (Frauenäckerer nimmt mit der Einsatz- Zentrale Funkkontakt auf) - So, erledigt. Die Kollegen vom KTD und der Rechtsmediziner sollten eigentlich schon längst da sein. Sie wurden zeitig aufgeboten, nachdem klar war, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelt.«
»Vermutlich stehen sie im Stau, wegen des Unfalls, der sich auf der Hauptverkehrsachse ereignet hat. Und Sie, Herr Wachtmeister, arbeiten Sie auch sonst alleine? Lieber mit zwei Frauen im Bett als mit einem Kollegen am Tatort? Wie nahe kommen Sie denn Ihren weiblichen Mitarbeiterinnen, Herr Frauenäckerer?«
»Kein Kommentar! Polizistinnen im Dienst sind tabu!«
»Folglich arbeiten Sie überwiegend alleine. Ihre Finger könnten sich ja verselbständigen...«
»Quatsch! Meine Kollegen sind zum Verkehrsunfall ausgerückt. Ich frag gleich nach, wie weit deren Untersuchungen fortgeschritten sind. Inzwischen können Sie Ihre Gerätschaften verschwinden lassen. Sind ja keine Beweissstücke.«
»Gerne, geht schnell, dank Ihrer Vorarbeit.«
»Die Kollegen melden, dass eines der Unfallopfer der Ehemann der Toten ist. In seinem Fahrzeug wurde ein blutiges Messer gefunden. Unsere Grossfahndung war also ein voller Erfolg. So schnell ging uns schon lange kein Mörder mehr ins Netz.«
»So kann man es natürlich auch sehen...«

3.
Frauenäckerer kehrte am Abend voller Stolz nachhause zurück. »Fall perfekt gelöst!«, jubelte er.
Die Haustür war unverschlossen. Im Flur konnte er noch ihr Parfüm riechen. »Hat sie meine Anordnungen beim Weggehen also nicht befolgt, dieses Rasseweib! Hoffentlich wurde nichts gestohlen!«, murmelte er vor sich hin und betrat sein Schlafzimmer.
Sie lag immer noch in seinem Bett und empfing ihn mit dem süssesten und unschuldigsten Lächeln, das ihm je entgegengebracht wurde.
»Ich dachte, du seist schon längst über alle Berge verschwunden?«, wunderte er sich.
»Frauenäckerer, wo denkst du hin?! Ich hatte schon lange keinen so guten Sex mehr! Da habe ich gleich meine beste Freundin eingeladen - (gefolgt von einem Kichern unter der Bettdecke) - Freu dich auf eine endlos sinnliche und erotische Nacht zu dritt!«
»Was für ein Tag!«, triumphierte Frauenäckerer und ging ins Bad, um sich frisch zu machen.

Impressum

Texte: Alle Rechte beim Autor ...und die Linke auch.
Tag der Veröffentlichung: 30.11.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich bin unschuldig! Ich kann nichts dafür, es überkam mich einfach! Ich danke ichbins, alpeko456, schneeflocke., ralfduring, marieluise und siegesschlange für die Inspiration.

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