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3. Buch
Kapitel 1-Neubeginn
Als sie erwachte, hörte sie noch Stimmen. Sie spürte Berührungen auf ihrer Stirn, auf ihren Händen. Es war warm. Doch dann war es kalt, eiskalt. Sie wollte die Augen so schnell wie möglich öffnen, doch sie war zu langsam. Als sie sich aufsetzte, war niemand mehr da. Sie befand sich am Waldrand. Da vorne war die Brücke, doch sie konnte sie kaum sehen. Es war Winter und der Schnee war tief. Die Kälte schnitt sich in ihre Beine. Die Hände wurden ihr taub und sie hatte Mühe die beiden Säcke aufzuheben.
Magic, Aarin, Enjen, Erine und die Oberheilerin hatten sich nicht einmal verabschiedet sondern einfach so im Wald liegen gelassen.
War das Alles? War sie aus einem langen Traum erwacht und nichts war davon mehr übrig? Doch; jemand hatte ihr eine Kette um den Hals gehängt. Es war eine schöne Kette mit einem Blumenanhänger. In der Mitte der Blume befanden sich kleine weiße Kristalle. An der Brücke stand jemand; ihre Mutter. Sie rannte auf sie zu.
Susanne Mur schloss ihre Tochter in die Arme und gab ihr ihren Mantel. „Oh Schatz, ich bin ja so froh, dass du wieder zurück bist. Sie haben mich angerufen, dass du hier sein wirst. Ich warte schon seit Stunden.“

„Welcher Tag ist heute?“ fragte Lola gebrochen.
„Der erste Dezember. Du bist rechtzeitig zu deinem Geburtstag zurück.“ Es stimmte, in zwei Wochen würde sie achtzehn Jahre alt werden.
Genau diesen Weg war sie gelaufen, an dem Tag, an dem sie nach Ninina gebracht worden war. Zu ihrer linken war ein Maisfeld gewesen. Jetzt sah man nur eine etwas unebene Schneefläche. Rechts waren ein paar Bäume und weiter hinten sah man den Bauernhof, der schon an der Straße lag. Hier waren die ersten Häuser. Große stolze Gebäude denen die Schneelast auf dem Dach nichts ausmachte. Nur noch um die Ecke, sie machte ein paar Schritte weiter und konnte es sehen. Im Haus brannte kein Licht. Die Blumenkisten waren leer. Ein paar mit Reisig ausgelegt. Die Einfahrt war leergeschaufelt, Lola ging wie im Traum darauf zu. Ja, hier war sie zuhause. Die Tür war aus Holz und sie traten ein. Schlagartig begann es in ihren Fingern zu kribbeln; hier war es warm. Mit dem Besen kehrte sie den Schnee von ihren Füßen und hängte den Mantel in der Garderobe auf. Rechts waren das Gästezimmer und das Zimmer ihrer Mutter. Geradeaus, hinter dem Hobbyraum, war ihres. Es sah fast genauso aus wie an dem Tag, an dem sie es verlassen hatte. Doch im Gegensatz zum Sommer war es aufgeräumt und man sah, dass schon lange niemand darin gewohnt hatte.
Frau Mur schlang ihr von hinten die Arme um den Hals. „Zieh dir einen warmen Pullover über und dicke Socken. Ich mache uns oben Kaffee.“ Sagte sie und ging hinaus. Lola öffnete die Sockenlade und zog ihre Selbstgestrickten an. Danach ging sie hinauf in die Küche.
Mutter und Tochter setzten sich zum Ofen, der zwischen Küche und Wohnzimmer war, um ihr klammen Finger aufzutauen. Susanne hingen noch Schneeflocken in den Haaren. Sie schmolzen und zu ihren Füßen sammelte sie eine kleine Wasserlache. Es irritierte Lola, dass ihre Mutter wie sie selbst eine normale Augenfarbe hatte. Es hatte sich in ihrem Gesicht zumindest oberflächlich nicht viel verändert. Ihre Augen waren groß und grünbraun. Sie hatte dieselbe mittelbraune Haarfarbe wie Lola, aber sie trug sie kürzer und mit Stirnfransen. Ihre Brille war grau und umrahmte die freundlichen Augen. Ihr Gesicht war sehr weich und rund. Die Haut war blass vom Winter und es zeigten sich erste Falten obwohl ihre Mutter noch sehr jung für eine fast erwachsene Tochter war. Susanne Mur hatte ihre Tochter schon im Alter von zwanzig Jahren bekommen. Die beiden strahlten sich an und umarmten einander. Nichts auf der Welt war so eine gute Erfindung wie die eigene Mutter. Sie war so schön, dachte Lola bei sich. So schön war sonst niemand.
Lola wusste nicht ob es ein guter oder schlechter Tag war. Gut weil sie bei ihrer heißgeliebten Mutter zurück war oder schlecht, weil sie eine Menge an Freunden zurückgelassen hatte. Jedenfalls würde sie den Tag nie vergessen können. „Danke, Mum,“ flüsterte Lola und gab ihr die längste Umarmung der Welt.
Es war schon spät am Abend. Lag es daran, dass sie sehr lange gereist war, oder weil die Tageszeit Nininas und St. Franzens sich unterschied, sowie auch die Jahreszeiten ein bisschen verschoben waren? Das Pulver zeigte noch immer Wirkung. Ihre Mutter brachte sie zu Bett, sie konnte kaum mehr gehen. „Danke Gott, danke alle alle Menschen die ich kennen lernen durfte.“ Sie fiel in einen tiefen, an Bewusstlosigkeit grenzenden Schlaf.
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Als sie aufwachte, lag sie in ihrem, mit blauer Wäsche bezogenen Bett. Es war ihr warm und kuschlig zumute. Ihre Mutter strich ihr mit einem Finger über die Wange. Sie hatte ihr Kakao mitgebracht und drückte nun auf ihrem CD-Player Gerät auf „Play“. Sie lachten gemeinsam über eine Erinnerung, die sie mit dem Lied „Guten Morgen Sonnenschein“ verbanden, und nahmen einander in die Arme.
Sie lief in die Küche und roch den Kuchen schon auf der Stiege. „Er ist bestimmt schon fertig!“ rief ihre liebste beste Mutti von unten, die einen Durchzug machte um frische Morgenluft ins Haus zu lassen. Lola holte den Gugelhupf aus dem Rohr und stellte ihn auf den Tisch. „Das ist das beste was ich je gegessen habe“, sie seufzte theatralisch und schnitt den Kuchen an. „Lass ein paar Stück für den Besuch heute Nachmittag übrig“, sagte ihre Mutti als sie in die Küche kam und sich auf ihrem Stuhl niederließ.
„Besuch??? Wer??? Alles was ich will ist mit dir kuscheln, den ganzen Tag lang.“
„Jetzt flipp doch nicht gleich aus, Moni. Denk mal scharf nach! Wem hast du fast so sehr gefehlt wie mir?“
„Oh… es ist Maria, stimmts? Wem anderen würde ich nie erlauben mich an meinem allerbesondersten Tag meines Lebens zu stören… Wie geht es ihr denn?“
„Sehr gut, stell dir vor, sie hat auf der letzten Matheschularbeit einen Einser geschrieben. Ich hab eine Woche lang jeden Tag mit ihr geübt.“
„Mir hast du nie bei was geholfen oder mir was beigebracht, Mami.“ Sie zog eine Grimasse und langte nach dem nächsten Stück Kuchen und krönte es mit einer Portion Schlag.
„Von wegen, wie war das mit deinem Reliportfolio, deinem Englischaufsatz über Shakespeare und, warte mal, hab nicht sogar ich dein Motivationsschreiben für deinen ersten Ferienjob geschrieben?“
Sie lachten beide und räumten ihre Teller in den Geschirrspüler. Es war genauso wie früher und wie es sein sollte. Sie schaltete das Radio an und setzte sich ans Keyboard um zu sehen ob ihr die Finger noch gehorchten. Währenddessen ging ihre Mutter einkaufen, sie selbst traute sich nicht, da sie jemanden aus ihrer Klasse oder sonstige Bekannte begegnen könnte. Nicht einmal von Nachbarn wollte sie gesehen werden, doch es bestand keine Gefahr darin eine Runde im Garten zu gehen, es schneite stark und sie würde von niemand entdeckt werden wie sie sich im Kreis drehte und mit der Zunge Schneeflocken einfing.
Nach dem Mittagessen (Gemüselasagne!) inspizierte sie das ganze Haus ob es Veränderungen gab und putzte ein bisschen, obwohl alles blitzblank war. Sie wollte wieder ganz begreifen, dass sie jetzt hier war und fand es passend, etwas zu tun, was normal war. Dann holte sie ihren alten Laptop vorsichtig aus der Kommode heraus und ihr Herz machte einen Hüpfer als sie ihn aufklappte. Ihr Computer war noch genauso elegant und tiefschwarz wie sie ihn in Erinnerung hatte. Nachdem sie ihn gestartete hatte, klickte sie zwischen alten Dokumenten herum und überflog sie. Beinahe alles hatte sich in ihrem Leben um die Schule und die Freunde, die sie dort hatte, gedreht. Unter der Rubrik „Musik“ fand sie Lieder die sie schon ewig nicht mehr gehört hatte und schaltete den Radio aus um die Boxen an den Laptop zu stecken und freute sie über den Klang von altbekannten Liedern. In „Bilder“ fand sie in einem Ordner Fotos von ihren kleinen Cousins und von einem Klassenausflug nach Italien. In einem anderen Ordner fand sie Fotos von Maria und ihr. Sie druckte eins aus, und schrieb ein „Dankeschön für deine Freundschaft." auf die Rückseite. Um Punkt drei Uhr klingelte es an der Haustüre.
Nach einer herzlichen Umarmung futterten sie die letzten Reste des Gugelhupfs und Maria wollte alles über Ninina hören, aber Lola zog es vor, nicht darüber zu sprechen. Also erzählte Maria von sich und ihrem kleinen Brüderchen. Ihren Vater erwähnte sie mit keinem Wort und Lola bewunderte sie dafür. Am Abend sahen sie sich den ersten Teil von „Herr der Ringe“ auf Französisch an. Eigentlich hatten sie es für den letzten Tag der Sommerferien vorgehabt, doch der war schon lange vorbei. Es war der 2. Dezember und es fehlten nur noch ein paar Wochen bis zu den Weihnachtsferien.
Maria blieb über Nacht und stand am nächsten Tag früh auf um vor der Schule noch nach Hause zu gehen und ihre Hefte zu holen. Auch ihre Mutter musste in die Schule um zu unterrichten.
Der Vormittag verging recht schnell. Sie stand erst um 10 auf und kochte dann das Mittagessen um ihre Mutter damit zu überraschen. Auch Maria tauchte zum Essen auf, musste dann jedoch gleich wieder weg weil sie an den Nachmittagen ebenfalls Unterricht hatte. Am Abend brachte sie ihren kleinen Bruder, Niklas, mit, sie quatschten über alte Zeiten und spielten dann Pirat und später Ritter. Niklas war ein sehr ängstlicher Junge und obwohl er sich an Maria erinnern konnte, brauchte er sehr lange um aufzutauen.
Am 4. Dezember pflückte sie einen Zweig vom Kirschbaum und sagte den Spruch der heiligen Barbara. Am Tag darauf gingen sie zum Kramperlfest und passten auf, nicht windelweich geschlagen zu werden. Am 6. Dezember, dem Nikolaustag, fand sie Schokolade, Nüsse und Orangen am Fensterbrett. Es gab nichts über die alten Bräuche.
Die Tage vergingen schnell und das Wochenende war schneller da, als erwartet.
Am Samstag kam es auch endlich zu einer Aussprache. Lola spürte die Unruhe ihrer Freundin und Mutter, weil sie kein Wort über Ninina verlor. Das Einzige, was sie ihnen verraten hatte war, dass man sie auf die Erde zurückgeschickt hatte, damit sie ihre Matura machen konnte. Nun machte sie sich ein paar Notizen über die Sachen, die sie erzählen wollte. Im Prinzip erzählte sie dann nur von den beiden Häusern und dass sie in Zaubern unterwiesen worden war. Sie erzählte von den Energiestrahlen die zumeist aus den Handballen, Knöcheln oder Fingern kamen. Die Abtrünnigen erwähnte sie ebenso wenig wie ihre Gabe, oder von der Fähigkeit der anderen Zauberer sich in Raben zu verwandeln. Danach begann sie zögernd von ihren Freunden und den Oberen zu erzählen. Sie sagte, dass die Oberheilerin die absolute Autoritätsperson war und dass man auch von ihr erwartet hatte, zu gehorchen, aber sie hatte es nicht getan. Dann gab sie zu, dass sie mit ihrem „Aufpasser“ Aarin eine Beziehung eingegangen war, aber dass es zu große Differenzen zwischen ihnen gegeben hatte, weil auch er der Oberheilerin mehr oder weniger treu ergeben war.
Als typisches Mädchen, das gerne über Beziehungen diskutierte, wollte Maria sofort alles über Aarin wissen. Sie erzählte von ihm und seiner Schwester. Dann sagte sie, dass sie sie es war, die Schluss gemacht hatte. Ihre Mutter streichelte ihr über das Haar. Es war offensichtlich, dass es ihr weh tat darüber zu reden und Lola war dankbar, dass sie nicht nachfragte. Maria war nicht ganz so verständnisvoll und warf ihr einen ungläubigen Blick zu. „Wie konntest du nur, er hat dir doch nichts getan und dich geliebt.“
„Vielleicht hat er mich geliebt, ja. Aber er hat mich zumindest teilweise seiner Interessen wegen benützt und schließlich ist er auch ein Zauberer, wurde während seiner gesamten Jugend also einer tüchtigen Gehirnwäsche unterzogen.“
„Eine einzigartige Ausbildung zu einem Zauberer ist nicht dasselbe wie eine Gehirnwäsche. Außerdem hast du vergessen, dass er sozusagen aus einer anderen Kultur kommt. Interkulturelle Beziehungen gestalten sich immer als… schwierig.“ Maria tat als war sie Expertin auf diesem Gebiet obwohl sie nicht einmal genau wusste, wer Aarin war.
Jetzt schaltete sich ihre Mutti ein und hieß die beiden zu schweigen. „So ein Blödsinn aber auch. Streitet euch wegen nichts und wieder nichts, ihr habt doch keine Ahnung von wirklicher Liebe.“ Frau Mur hatte es in einem scherzhaften Ton gemeint, dennoch wurde sie von den beiden Mädchen entrüstet eines besseren belehrt, sodass sie sie dann hinaus scheuchte. „Kühlt eure Gemüter gut ab, bevor ihr wieder hier auftaucht. Versprecht mir das.“
Frau Mur schloss die Haustür hinter den beiden und wandte sich erleichtert dem Telefon zu. Jetzt konnte sie in endlich den lange anstehenden Anruf tätigen.
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Der Spaziergang führte sie wie von selbst zum kleinen Zauberwäldchen. Es dämmerte schon, doch durch den weißen Schnee wirkte es nur halb so dunkel. Maria wollte alles ganz genau wissen. Wie war es gekommen, dass sie entführt worden war, was hatte sie gefühlt und wo genau war es gewesen. Lola erinnerte sich an die meisten Details, doch viele waren ihr schon entfallen. Als sie die Brücke überquerten, sahen sie einen Hasen in den Wald hoppeln und freuten sich darüber. Maria zeigte ihr die Briefbox unter einem der Steine, in der ihre Nachrichten gelegen hatten. Als Ausgleich zeigte Lola ihr die Stelle, wo sie Aarin zum ersten Mal gesehen hatte und sie beschlossen am nächsten Wochenende im Wald nach den Brombeersträuchern und dem kleinen Schlüsselanhänger zu suchen. Für diesen Tag war es schon zu dunkel dafür und morgen stand hoher Besuch an.
Am nächsten Tag gingen sie alle auf Zehenspitzen und sprangen bei den leisesten Geräuschen in die Höhe, Frau Mur bekämpfte ihre Nervosität indem sie schon um zehn Uhr am Vormittag zu kochen begann. Maria tauchte etwas später auf, da sie noch mit ihrem Vater gefrühstückt hatte. Sie ging direkt zu Lola ins Zimmer und sie verbrachten die meiste Zeit vorm Fenster und hielten Ausschau nach Schemen in dem dichten Schneetreiben. Obwohl es Mittag war, waren die Straßenlaternen eingeschalten und in den Radios wurde durchgesagt, dass, wenn es so weiterging die Schule am Montag im ganzen Land ausfallen würde. Zuerst hatten sie das Klopfen an der Haustüre nur für eine Einbildung gehalten. Doch dann fragte eine männliche Stimme deutlich „Noch nie was von einer Klingel gehört?“ und eine Sekunde später läutete die Glocke Sturm, sodass sich Frau Mur vor Schreck einen Finger verbrannte und einen Schmerzensschrei ausließ. Maria holte schnell eine Verbrennungssalbe und Lola lief schnell die Treppe hinunter um die Tür zu öffnen. „Miracle! Magic!“ sie fiel ihnen um den Hals und bat sie ins Haus herein.
„Wir sind immer noch sauer auf dich, bilde dir ja nicht ein, dass alles gut ist.“ Miracle sah sie herablassend an. Im nächsten Augenblick jedoch schon zwinkerte er ihr zu und kniff sie scherzhaft in die Wange. Dann ging er selbstbewusst in die Küche um die beiden Frauen zu begrüßen, die etwas schüchtern da standen. Lola nütze den Moment um nochmal ihre zweite beste Freundin zu umarmen. Dann folgte sie Miracle in die Küche und zog Magic hinterher.
„Sieh mal, er hat meinen Finger geheilt.“ Ihre Mutti konnte es nicht fassen und starrte abwechselnd ihren Finger und Miracle an. „Hab ich dir doch gesagt, dass ich im letzten Halbjahr Freunde gefunden habe, die auf mich aufgepasst haben.“ meinte Lola lachend und bot den beiden buntäugigen Gästen Sitzplätze an. „Naja eigentlich haben eher wir dich gefunden, Lola. Du tust so, als hättest du lange nach uns Ausschau gehalten und gewusst, dass wir existieren.“ Sie begannen eine lockere, leichte Unterhaltung in der Miracle ganz klar das Wort führte. Maria und Frau Mur lauschten ihm gebannt. Die Welt, von der er erzählte, war ihnen gänzlich unbekannt. Nicht unbedingt die Parallelwelt an sich, sondern vor allem das Leben als Zauberer war für sie spannend. Frau Mur fragte sich insgeheim wie Aarin sein musste, wenn schon dieser Miracle einen perfekten und aufregenden Schwiegersohn abgab obwohl sie seine dunkelgrünen Augen gewöhnungsbedürftig fand. Magic und Lola wechselten einen amüsierten Blick, die beiden anderen Frauen waren von den Erzählungen wirklich sehr gefesselt, Maria sabberte fast, sosehr eiferte sie, jedem von Miracles Worten genau zu folgen.
Lola übernahm es den Salat fertig zu richten und fünf Minuten später war das Essen fertig. Es blieb einiges übrig und Frau Mur packte es in eine Alufolie um es den beiden später mitzugeben. Sie begann mit dem Abwasch während die Jugend auf Lolas Zimmer ging um sich zu unterhalten. Es gab nicht viel Neues von den Freunden aus ihren Häusern und Aarin war immer noch am Trübsal blasen, wie Miracle mit hochgezogenen Brauen hinzufügte. Magic schaute betreten auf den Boden, Lola spürte ein bisschen Wut gegen Aarin in sich und fragte sich, warum er die Trennung so viel schwerer verkraftete als sie. Maria bemerkte gar nicht, dass die Stimmung gerade umgeschwungen war und fragte Miracle unschuldig wie alt er war und ob er bestimmt auch nächste Woche wiederkam. Die erste Frage beantwortete er mit „zweihundertfünfzig“, verriet sich jedoch durch lautes Gelächter und antwortete die zweite Frage etwas wahrheitsgemäß; „Vielleicht. Wenn es sich ausgeht bestimmt. Aber es bahnen sich da drüben gerade ein paar Scherereien an.“
Lola ging Magics Stoß in seine Seite nicht, doch sie wollte nicht näher nachfragen. Sollten die Zauberer sich doch um ihren eigenen Kram kümmern, sie spürte eine gewohnte Wut gegen alles was mit den Häusern zu tun hatte in sich aufsteigen. Fast war sie froh, dass die beiden bald gehen mussten, da es schon dunkel wurde. Beim Abschied wurde sie wieder etwas melancholischer und überlegte sogar ob sie nicht noch schnell eine Notiz an all die Schüler schreiben sollte. Sowas wie „Hei, ich bins, Lola. Seid mir nicht böse, dass ich unbedingt weg wollte. Mir geht’s gut, passt auf euch auf. Ich komm euch bestimmt mal besuchen. “ Schnell verwarf sie den Gedanken wieder, in keinem Fall durfte sie nun weich werden. Sie hatte eine Entscheidung getroffen und vorerst würde sie es dabei belassen.
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Als die beiden gegangen waren, wurde sie von ihrer Mutter und ihrer Freundin noch lange über viele Sachen ausgefragt. Durch das Erscheinen von Miracle und Magic konnten sie sich etwas eher vorstellen, was Lola in der Parallelwelt erlebt hatte. „Und du hättest wirklich fliegen lernen sollen? Und heilen? Wenn ich du gewesen wäre, wäre ich nicht so einfach getürmt, das sag ich dir. Ist dir bewusst was du dir alles entgehen lässt? Ich würde all mein Taschengeld dafür geben um in deiner Position zu sein.“
Wieso war Maria jetzt immer so unsensibel? Sie verstand schon, dass Maria etwas eifersüchtig auf ihre Erlebnisse war, jetzt, da alles gut ausgegangen war. Doch es hätte genauso gut schief gehen können. Sie selbst war reifer geworden, das spürte sie und ihre Mutter hatte es ihr gestern auch gesagt als sie ihr den traditionellen „Gute-Nacht-Kuss“ auf die Stirn gedrückt hatte. Sie nahm es ihrer Freundin nicht übel. Dennoch war sie für den Rest des Abends schlecht gelaunt und ging früh zu Bett.
Sie musste noch viel über das nachdenken, was Miracle gesagt hatte. Aarin war noch immer nicht über die Trennung hinweggekommen. Am Nachmittag war sie wütend darüber gewesen, jetzt erkannte sie, dass sie wütend auf sich selbst gewesen war. Natürlich vermisste sie Aarin auch und eigentlich kam es ihr genau Recht, zu erfahren, dass es ihm nicht anders ging. Vielleicht sogar schlimmer, schließlich war sie alleine dadurch abgelenkt, dass sie nun wieder zuhause war und die Nähe ihrer Mutter alles wieder gut machte. Sie tröstete sich damit, dass es ja keine Trennung für immer sein musste. Es war lediglich eine Auszeit bis nach der Matura. Eine Auszeit von der Welt der Zauberer, eine Auszeit von Aarin, so hatte sie es genannt.
Die Gedanken verfolgten sie bis in den Schlaf. Sie träumte, dass sie vor dem Spiegel saß und weinte. ihre Mutter brachte ihr viele, viele Taschentücher und alle waren sofort durchnässt. Als ihre Augen endlich getrocknet waren, bemerkte sie im Spiegel, dass sie durch das Weinen lila Farbe angenommen hatten.
Mit einem Schrei fuhr sie hoch, erwachte und musste sie sich im Spiegel vergewissern, dass ihre Augen noch vom selben Blau waren wie vorher. Als ihr eine Träne die Wange hinunter kullerte murmelte sie ein „verdammt“ und ging in den Stauraum um sich ein Päckchen Taschentücher zu holen.
In der nächsten Woche hatte sie Geburtstag. Es war ein Tag wie jeder andere. Sie kochte, wusch ab und putzte das Haus. Sie fühlte sich schuldig weil sie ihre Mutter die letzten Monate allein gelassen hatte und sie versuchte es wieder wettzumachen, indem sie ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Susanne Mur hatte ihr einen Kalender fürs nächste Jahr und ein paar neue CDs gekauft. Ihre Freundin Maria brachte ihr einen neuen Bärchenschlüsselanhänger. Der andere war für immer im Wald verschollen; sie hatten ihn nicht gefunden. Zum Abendessen gab es kalte Platte. „Kann ich nicht am Montag schon in die Schule gehen? Es sind dann nur noch drei Tage bis Weihnachten und ich kann ankündigen, dass ich wieder da bin.“
„Okay, wenn du willst. Aber du musst selber erklären weshalb du frühzeitig aus San Francisco zurückbist.“
Lola war erleichtert. Es fiel ihr schwer so ohne richtige Aufgabe im Haus herumzusitzen. In den Häusern hatte sie immer viel zu tun gehabt und klare Ziele vor den Augen, auf die sie hinarbeitete. Jetzt musste sie sich wieder an die Schule angewöhnen und in den Weihnachtsferien würde sie den versäumten Stoff nachholen.

Als Magics Besuch am nächsten Tag ausfiel, war sie ernsthaft besorgt. Am nächsten Morgen, Montag, lief Lola noch vor der Schule zum Bach hinunter um nachzusehen, ob sie nicht wenigstens eine Botschaft bekommen hatte. Und wirklich, in der Dose unterm Stein war ein Brief an sie. „Liebe Lola, es tut mir so sehr Leid, dass ich nicht einmal die paar Stunden erübrigen konnte, die es dauern würde dich zu besuchen. Ich sag es dir, bei uns geht’s drunter und drüber weil diese Woche ein heikler Besuch der Regierung ansteht. Die prüfen, ob bei uns alles in Ordnung ist. Dein Abflug war wohl schlechte Publicity, aber mach dir deswegen keine Sorgen. Wir schaffen das und du bist uns keiner Hilfe schuldig. Bis nächsten Sonntag! In Liebe, Magic“
Darunter stand noch ein Ps., welches in Miracles Handschrift geschrieben war:
„Und Liebe Grüße von du weißt schon wem, der in seinen Träumen immer noch heult und deinen Namen murmelt… (Wehe du lässt ihn noch lange sitzen, aber nur kein Druck, vielleicht geschieht es ihm Recht.)“
Diese Neuigkeiten musste sie erst mal verkraften. Sie ließ ihre Beine von der Brücke baumeln und es machte ihr nichts aus, dass ihr Hinterteil dadurch ganz nass wurde. Es war, als ließ ihr erst dieser Brief all die Ausmaße ihres Fehlers bewusst werden. Dass es bis zur dortigen Regierung vorgedrungen war, dass sie aufgegeben hatte, haute sie sprichwörtlich um. Schnell versteckte sie einen Brief, den sie selbst geschrieben hatte, in der Box und hoffte, dass ihn schnell jemand finden würde.
Zuhause zog sie sich eine trockene Hose an und ging ins Gymnasium. Es war erst halb acht noch war kaum jemand außer ihr und Maria da. Sie gingen in die Direktion hinauf um ihre Anwesenheit zu melden. Dort trafen sie auch ihren Klassenvorstand an. „Wie schade, dass du aufgegeben hast. Du bekommst für die kurze Zeit zwar sicher kein Zeugnis in der High School, doch fordere bitte eine Bestätigung für die Kurse an, die du in San Francisco genommen hast.“ Lola nickte brav. Gut, dass sie nicht weiter nachfragten. Sie ging in ihr Klassenzimmer zurück.
Der Reihe nach trafen ihre Klassenkollegen ein, die Lola herzlich begrüßten. Sie waren von Maria vorgewarnt worden, dass sie wieder da war. Benni und Bernadette freuten sich besonders. Die beiden Tennisteams waren nun wieder vereint.
„Hast du dort gespielt? Wieso hast du uns nie Fotos geschickt?“ Bevor sie antworten konnte, trat ihr Englischlehrer ein.
„Hello Monika! Welcome back! Did you enjoy San Francisco?“ Er hieß sie zurück in Österreich herzlich willkommen und fragte sie, ob es ihr in San Francisco gut gefallen hatte.
Er war auf einmal auf einer Reise dort gewesen und fragte sie, in welchem Stadtteil sie gewohnt hatte und was ihr besonders gefallen hatte.
„I lived in the Western Part oft he city near the great bay. I liked the Golden Gate Bridge a lot!“ Sie sagte, dass sie im Westen der Stadt in der Nähe der Bucht gewohnt hatte und dass ihr die Golden Gate Bridge gut gefallen hatte. Ansonsten kannte sie ja auch nichts von der Stadt. Der Lehrer lobte sie, dass sie keinen, in seiner Meinung hässlichen, amerikanischen Akzent angenommen hatte und begann seine reguläre Klasse. Immer wenn jemandem ein Wort nicht einfiel, musste sie Wörterbuch spielen und erriet meistens das Richtige. Sie war stolz, dass sie die Sprache nicht verlernt hatte und so tun konnte, als wäre sie tatsächlich 4 Monate in Nordamerika gewesen.
Danach hatten sie Mathe und Lola hatte keinen blassen Schimmer um was es ging. Es war zum Verzweifeln. In der großen Pause wurden ihr hunderte Fragen gestellt und sie antwortete mit Lügen, die sie sich die Tage zuvor schon überlegt hatte. So war zum Beispiel die Festplatte mit Fotos am Rückflug kaputt gegangen und sie wusste nicht, ob sie sie jemals wieder in Stand setzten konnte. Sie erzählte, dass ihre Gastfamilie total zerstritten war und der Vater Alkoholiker. Außerdem nahmen ihre beiden Gastbrüder Drogen und der Hund pinkelte immer ins Vorzimmer.
Bernadette rümpfte angewidert die Nase und auch die anderen bemitleideten sie für die schreckliche Familie, die sie gehabt hatte. „Waren es zwei Brüder? Hast du nicht vorhin gesagt, es war nur einer?“ Benni war aufmerksam gewesen und sie musste sich noch tiefer in Lügen hineinreiten. „Naja eigentlich hatte ich einen Bruder und einen Stiefbruder, der aber erst im Oktober eingezogen ist. Seine Mutter war echt grässlich. Total die Tusse und das Kochen überließ sie immer mir.“
„Wie gut, dass du wieder da bist“, sagte Maria und bat sie mit zum Buffet zukommen und rettete sie damit vor noch mehr Fragen.
Als sie den Gang hinunter gingen lachten sie beide. „In drei Tagen ist alles vorbei. Da ist Weihnachten und über die Ferien haben sie schon alles vergessen.“, sagte Maria und Lola hoffte, dass sie Recht behielt.
Kapitel 2- Grund zum Feiern
Am nächsten Tag hatten sie schon kaum mehr normalen Unterricht und hatten in den meisten Fächern Weihnachtsstunden. In Französisch sangen sie das Lied vom kleinen Weihnachtsmann „Petit Papá Noél“ und in Rhetorik mussten sie Weihnachtsgedichte rezitieren. In Biologie aßen sie Weihnachtskekse und der Lehrer erzählte lauter unanständige Witze. Den Tag vor Weihnachten hatten sie nur noch Schulandacht und Kängurutest. Nach der Schule setzten sie sich in ein Café am Marktplatz und tranken heiße Schokolade. Im Radio lief „Wonderful Dreams“ und draußen glitzerte der Schnee im Sonnenlicht. Wenn der Wind nicht so stark gegangen wäre, hätte sie gerne einen Schneemann gebaut.
Maria bekam ein SMS auf ihr Handy, dass sie nach Hause kommen sollte. Ein Besuch von der Jugendfürsorge stand an. „So knapp vor Weihnachten, das ist echt gemein.“, sagte Lola, doch Maria schüttelte den Kopf.
„Es ist gut so, weil ich wegen Weihnachten alles geputzt habe und auch Schmuck aufgehängt habe. Trotzdem ist es besser, wenn ich nach Hause gehe und meinen Vater beruhige. Er wird so schnell jähzornig.“
Lola bot an mitzukommen, aber Maria lehnte ab. „Du würdest Dad noch mehr nervös machen. Aber ich informiere dich dann, wie es gelaufen ist.“
Sie zahlten und verabschiedeten sich; jede ging in eine andere Richtung nach Hause. Früher hatte Lola mehr mit Herrn Streissel zu tun gehabt. Er hatte die damals noch jüngere Maria oft vorbeigebracht, nachdem seine Frau gestorben war. Auch sie war früher oft alleine oder mit ihrer Mutter in deren Wohnung gewesen. Als Herr Streissel eine neue Freundin hatte, wurden die Besuche seltener, weil sie eine unangenehme Frau war. Sie hatten einen kleinen Sohn adoptiert und bald darauf war sie von ihrer Firma aus immer wieder ins Ausland gegangen. Mittlerweile kam sie sehr selten zurück und Maria und ihr Vater kümmerten sich abwechselnd um den mittlerweile vier Jahre alten Niklas. Der Bub litt wie auch sein Ziehvater unter einer Sozialen Phobie, die es ihm schwer machte sich mit anderen Kindern anzufreunden. Im Kindergarten hing er immer nur an der Hand der Tante und am liebsten saß er zuhause und spielte mit seinen Figuren. Er nässte noch das Bett und hatte einen schweren Sprachfehler. Maria hatte nicht nur mit ihm viel zu tun, sondern auch mit ihrem Vater. Dieser lebte sehr isoliert und arbeitete von zuhause aus für eine Softwarefirma. Seit ihn seine Freundin verlassen hatte trank er mehr als gut für ihn war und war auch ohne Alkohol im Blut sehr jähzornig.
Lola kam zuhause an. Ein Wagen stand vor der Tür. Oh nein. Tante Michaela hatte ihre Drohung wahrgemacht, sie kam sie über Weihnachten besuchen. Die beiden Kinder stürmten ihr entgegen. „Aber Michelle, schnell hinein mit dir, du wirst dich noch erkälten.“ Maximilian umarmte Lola und hieb seiner Schwester einen Schlag in den Bauch als diese beschloss, doch auch mit ins Haus zu kommen. Michelle ging schon in die erste Klasse Volksschule und Maximilian würde nächstes Jahr auch schon so weit sein. Onkel Max begrüßte Lola herzlich. Er war ein gemütlicher Mann und das Gegenstück zu Tante Michaela, die eher ein dickköpfiger Mensch war. Die ganze Familie saß nun um den Tisch; man hatte mit dem Mittagessen auf Lola gewartet und aß nun Fischstäbchen. Am Nachmittag fuhr Onkel Max mit den Kindern zum Förster um eine Tanne zu holen. Lola ging inzwischen mit ihrer Mutter in den Supermarkt um für die Festtage alles einzukaufen, während die Tante wegen ihrer Migräne zu Hause auf dem Sofa blieb.
Mutter und Tochter hatten sich somit für sich und gingen großzügig shoppen. Vor allem Lola machte es viel Spaß alles, was sie brauchten, zusammenzusuchen. Sie war schon viel zu lange in keinem Supermarkt mehr gewesen, wo es alles gab, was man sich wünschte. Beim Obst und der Feinkost achteten sie darauf, dass es biologisch war und in der Schokoladenabteilung wählten sie Fairtradeprodukte. Lametta und Kerzen hatten sie noch daheim und so brauchten sie nur wenig Christbaumbehang einzukaufen.
Zuhause bereiteten sie das Abendessen und stellten dann den Christbaum ins Wohnzimmer. Lola schlief mit ihrer Mutter in einem Bett, damit ihr eigenes für Onkel Max und Tante Michaela frei war. Die Kinder schliefen auf Matratzen auf dem Fußboden, aber nicht ohne vorher das Badezimmer unter Wasser zu setzten. Lola mochte die beiden eigentlich, aber sie waren total verzogen und niemand außer Onkel Max konnte mit ihnen umgehen.
Am nächsten Tag unternahmen sie eine zwei Stunden lange Autofahrt zu Max Schwester, die in der Hauptstadt Wien wohnte. Sie aßen bei ihr zu Mittag und waren aber rechtzeitig zur Kindermesse zurück in Sankt Franz. Die Bescherung am Abend ließ die beiden Kinder endlich still werden und sogar die hektische Tante wurde von der feierlichen Atmosphäre angesteckt. Sie packten die Geschenke aus und Lola freute sich über einen neuen Bademantel und zwei Karten für eine Musicalaufführung von „König der Löwen“ in Graz. „Heißt das, ihr ladet mich für den Rest der Weihnachtsferien ein?“
Frau Mur lächelte. „Keine Angst Schatz, ich komme mit und du brauchst nicht alleine Babysitten. Außerdem können wir dann die Ruinen erforschen.“
„Oh ja. Das wird sicher cool,“ sagte Lola, die auch schon daran gedacht hatte. Ihre Tante wohnte in dem Dorf, aus dem auch Mathias kam. Das heruntergekommene Schloss Ehrenfels lag etwas außerhalb des Dorfes und die beiden Ruinen ein paar Kilometer weiter im Osten, gut im Wald versteckt. Sie hatte sie früher vom Zug aus zwar sehen können, aber nur weil sie genau wusste, wo sie suchen musste.
Am nächsten Tag fuhren ihre Verwandte ab und sie räumten das Haus zusammen. Für den Abend kochten sie noch einmal groß auf, weil sie Herrn Streissel mit seinen Kindern eingeladen hatte. Der kleine Niklas hatte sich darauf schon sehr gefreut und auch Herr Streissel war gut gelaunt und der Abend verlief entgegen den Befürchtungen sehr unbeschwert. Maria durfte dann über Nacht bleiben es ging ein gelungener Christtag zu Ende.
Am Samstag kam Magic sie besuchen und trug ihren besten Rock und lange Leggins. Den Rollkragenpulli hatte sie unter und nicht über der Bluse an wie es für die Frauen Nininas üblich war und Lola wünschte sich insgeheim auch wieder diese weichen Stoffe zu tragen. Sie verbrachten den Nachmittag gemeinsam mit Maria indem sie Musik horchten und über Vergangenes redeten. Der Tag war viel zu schnell um und Magic flog als Rabe davon. Maria und Frau Mur sahen ihr gebannt nach, sie hatten sowas noch nie zuvor gesehen.
Silvester wurde mit vielen Raketen gefeiert und Benni machte bei sich zuhause eine Party von der sie aber schon früh nach Hause ging. Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn all ihre Freunde aus dem Nord- und Südhaus bei ihr sein hätten können um dieses besondere Fest mitzuerleben. Die letzten Tage der Ferien verbrachte sie bei Tante Michaela in Mautern. Es lag zwar kaum mehr Schnee, aber es war trotzdem zu kalt und gefährlich um die Ruinen zu besuchen. Das Schloss war zugesperrt und Lola beschloss auf die Gemeinde zu gehen um nach Schlüsseln zu fragen. Dort verwies man sie auf eine Baugesellschaft die den Auftrag hatte das Haus niederzureißen weil es von sehr starkem Schimmelpilz befallen war. Würden sie es wirklich tun?
Eine Stimme in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass ein Ort der mit der Geschichte der Zauberei in Berührung gekommen war nicht niedergerissen werden durfte. Sie als pausierende Zauberschülerin hatte die Verantwortung. Doch von außen wirkte das Schloss so kalt und abweisend, dass es ihr dann doch egal war. So verbrachte sie die Tage statt mit aufregenden Entdeckungen mit Mathe und Französisch lernen. Eine Woche nach Ferienende hatte sie die erste Schularbeit und so wie es aussah, würde sie sich total ins Zeug legen müssen um nicht zu versagen.
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Sie sah den Raben als Max von der Arbeit nach Hause kam und das Auto in der Garage parkte. Lola war kurz aufgestanden um sich etwas zu trinken zu holen als sie durchs Fenster den Vogel am Baum sah. Die anderen waren abgelenkt weil sie den Onkel begrüßten und sie schlüpfte durch die Tür hinaus. Der Rabe war verschwunden und Lola bekam Herzklopfen. Wer hatte sie hier gefunden und drohte ihr Gefahr? Vor allem wollte sie ihre Familie nicht mit hineinziehen, falls etwas passierte. Im Haus drinnen konnte sie sich nicht mehr auf Französisch konzentrieren und spähte immer wieder zum Fenster hinaus. Nach ein paar Minuten sah sie den Vogel wieder. Diesmal trug er etwas in seinen Krallen. Eine Rose? Oh nein, das konnte nicht wahr sein. Sie zog sich Stiefeln und einen dicken Mantel an und band sich ein Tuch um den Kopf. Der Rabe nahm auf einer der Mülltonnen Platz und sie stellte sich mit verschränkten Armen vor ihn.
„Bist du Aarin, dann zeige dich.“ Sagte sie bestimmt und im nächsten Augenblick stand er vor ihr. Sie hatte vergessen, wie schön er war. Er war groß und kräftig. Er war klug, zurückhaltend und geheimnisvoll. Er war alles, was sie wollte. Wortwörtlich. Kein einziges Wort kam über ihre Lippen als er ihr die Rose gab. Das Rot leuchtete und hob sich stark von dem weißen Schnee ab.
Aarin blickte auf sie hinunter und sie wurde nervös. Hätte sie wenigstens etwas anderes angezogen und nicht dieses altmodische Tuch am Kopf und in dem Mantel sah sie gewiss total dick aus. Oh ja, sie war noch immer genauso in Aarin verknallt wie am ersten Tag und konnte nichts dagegen machen.
„Ich muss dir was sagen. Ich werde für einige Wochen nach Sankt Franz ziehen um deine Welt besser verstehen zu lernen und um auf dich aufzupassen.“
„Ist das ein Auftrag von der Oberheilerin?“
Aarin wurde rot und antwortete mit „ja.“
„Es ist ein guter Auftrag“, sagte Lola. „Ich hoffe nur, du tust nicht etwas, was du nicht willst.“
„Ist das dein Ernst?“ Aarin entspannte sich ein wenig und lächelte.
Sie musste auch lächeln und wippte wie ein kleines Kind. „Tschüss.“, sagte sie, „Ich geh zurück ins Haus. Wir sehen uns dann in Sankt Franz.“
Aarin lächelte ihr hinterher und verwandelte sich wieder in einen Raben. Er plusterte sein Gefieder und Lola konnte nicht anders als umzukehren um ihn zu kraulen. Aarin verwandelte sich wieder in sich selbst. „Hör auf, tu das nicht. Da muss ich lachen.“
„Okay okay, ich geh ja schon“, sagte Lola und stapfte aufs Haus zu. Aarin winkte ihr nach und sie war sich sicher, dass jetzt wieder Frieden zwischen ihnen herrschte. Sie würden einen Neubeginn machen. Gut gelaunt trat sie ins Haus und ihre Mutter hatte ihre Nase gegen die Fensterscheibe gedrückt. „Ist er das?“ fragte sie und gaffte den Mann draußen ungeniert an. Aarin winkte ihnen und flog dann in Rabengestalt davon.
„Ja, das ist er. Gefällt er dir?“ Triumphierend streckte sie die Hände über den Kopf und tanzte einen Freudentanz. „Ich hab ihm verziehen. Und er mir glaub ich auch.“
„Na dann Glückwunsch, “ sagte Frau Mur. „Soll ich dich noch Französisch Vokabeln prüfen?
…………………………………………………………………………………………………………………………………………….... Am Samstag fuhren sie mit dem Zug nach Hause. Am Sonntag kam wieder Besuch. Diesmal von mehr Zauberern als gewöhnlich. Es kamen Erine, Anja, Kilin, Magic, Miracle und Arin. In ihren Klauen trugen sie Plastiksäcke mit Kleidung. „Wir quartieren Aarin im Gasthof ein, kommst du mit?“ Sie trugen dunkle Kontaktlinsen, die ihre Augen schwarz machten. Lola musste über den Aufmarsch ihrer Freunde lachen und rief Maria an, dass sie auch mitkommen sollte. Sie gingen über den Dorfplatz und Maria kam ihnen entgegengelaufen. Im Gasthaus waren noch mehrere Zimmer frei, aber sie brauchten nur eines und suchten das Schönste aus und räumten Aarins Sachen in den Kasten. Danach gingen sie hinunter in die Stube und bestellten Suppe, weil die Ninianer was Warmes gebrauchen konnten. Sie zogen zwei Tische zusammen, damit sie Platz hatten. Lola saß zwischen Maria und Magic. Andere Gäste sahen sie neugierig an. In den bunten Klamotten sahen sie wirklich so aus, als übten sie bereits für den Fasching. Aus Ninina gab es keine Neuigkeiten, nur dass ein Prozess gegen die Häuser lief, weil sie die Regierung nicht rechtzeitig von den Abtrünnigen informiert hatten, aber sie würden ihn bestimmt gewinnen.
Im Nordreich gab es neue Präsidentschaftswahlen und Erine war zu einer Geldstrafe verdonnert worden, weil sie mit einem Pferd, das einen Tag später jedoch wieder gefunden worden war, durchgebrannt war. Das Nordhaus hatte die Rechnung beglichen, aber Erine schien jetzt im internationalen Strafregister auf. Sie konnte darüber jedoch Lachen. Lola entschuldigte sich vielmals bei ihr und Maria wollte die ganze Geschichte hören. Monika log irgendetwas zusammen, weil sie die Wahrheit, dass sie auf eigene Faust Verbrecher gejagt hatte, nicht sagen konnte.
Ein kalter Luftzug kam herein und Maria an ihrer Seite wandte schnell das Gesicht ab; es war ihr Vater. Er hatte sie jedoch schon gesehen, schüttelte den Kopf und ging wieder hinaus. „Ich muss nach Hause, auf Niklas aufpassen.“, erklärte Maria und stand auf. „Kanntet ihr den Mann, der betrunken war?“ fragte Miracle und ihre Freundin wurde rot. „Er ist sozusagen mein Dad.“, sagte sie. Die anderen waren mitfühlend. „Dann gehst du vielleicht wirklich besser heim zu deinem Bruder.“, meinte Aarin. „Nächstes Mal kannst du ihn mitbringen, wenn du willst.“ Maria bedankte sich und auch die anderen standen auf um nach Hause zu gehen. Oder besser gesagt um nach Hause zu fliegen. Sie verabschiedeten sich von Aarin. „Mach´s gut Kumpel.“ „Pass auf unsere Prinzessin auf.“ Damit war wohl sie gemeint.
Aarin lächelte ihr ein wenig befangen zu. „Wir sehen uns dann morgen, schätz ich?“
„Ja, aber wehe du kommst in die Schule.“
„Versprochen. Ich kann so Zeugs wir Rechnen ja kaum.“ Er grinste verschmitzt. „Tschüss.“ Er nahm sie zum ersten Mal seit langem in die Arme und Lola störte es nicht. Sie löste sich und verschwand in der Dunkelheit und Kälte der früh beginnenden Winternacht.
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Kapitel 3-Nachbarn
Ihre Mutter war schon im Pyjama, aber saß noch am Schreibtisch und bereitete Schulstunden für den nächsten Tag vor. Monika setzte sich zu ihr und erzählte, dass Aarin jetzt da war und ihre Welt kennen lernen wollte. „Das ist schön.“, sagte Frau Mur. „Ich freue mich für dich. Du kannst ihn ruhig immer einladen wann du willst.“ Ihre frischgewaschenen Haare dufteten angenehm nach Pfirsich und Lola beschloss, sich das Shampoo auszuborgen, damit sie sich morgen besonders fit fühlte.
Der erste Schultag nach den Ferien war stofflich nicht besonders anstrengend, aber ihre Mitschüler waren unkonzentriert, sie waren mit Gedanken noch in den Ferien. Wie Maria vorausgesehen hatte, war es für die anderen selbstverständlich, dass Lola wieder da war. Man stellte ihr kaum nach Fragen über San Francisco, sondern darüber, was sie in den Ferien gemacht hatte. Eine Mitschülerin hatte „König der Löwen“ auch schon mal gesehen und sie tauschten sich darüber aus. Beide hatten es toll gefunden. Nach der Schule begegnete sie Aarin, der auf sie gewartet hatte. Weil sie alleine waren, wussten sie kaum, was sie miteinander sprechen konnten. Er lud sie zu einem Mittagessen im Gasthaus ein, aber sie wollte ihre Schultasche nach Hause bringen und außerdem hatte ihre Mutter schon gekocht. „Du kannst bei uns Essen, wenn du willst. Meine Mutter will dich kennen lernen.“
So gingen sie nebeneinander bis zu ihrem Haus. Die Knödel mit Linsen schmeckten Aarin sehr gut und er benahm sich sehr höflich und wohlerzogen. Er half nach dem Essen die Geschirrspülmaschine einzuräumen und lobte die Blumenstöcke im Wohnzimmer. Aarin verabschiedete sich, weil er die Kirche anschauen wollte. Lola vermutete als wahren Grund, dass er sie nicht bedrängen wollte und ihr Freiraum schaffen wollte. Sie zog sich in ihr Zimmer zurück und suchte ihr Tagebuch heraus.
Sie hatte schon lange nichts mehr hineingeschrieben. Ihren letzten Eintrag hatte sie kurz nach dem Schuleintritt in die Oberstufe geschrieben. Inzwischen waren fast vier Jahre vergangen und sie war nun schon volljährig. In Stichwörtern beschrieb sie ihre Erlebnisse in Ninina. Sie wollte sie nie vergessen. Nachdem sie fertig war, suchte sie nach der Kette, die sie beim Aufwachen aus dem Koma, in das sie bei ihrer Rückreise versetzt worden war, um ihren Hals vorgefunden hatte. Aarin freute sich bestimmt, wenn sie sie am nächsten Tag trug. Sie machte ihre Hausübungen und legte sich bald nach dem Abendessen hundemüde ins Bett.
Die nächsten Wochen verliefen alle in einem gleichmäßigen Muster. Sing ging zur Schule und danach kam Aarin zum Mittagessen. Manchmal kam er auch erst zum Abendessen, weil er tagsüber viele Ausflüge übernahm. Er interessierte sich für Geschichte und flog zu Museen, alten Kirchen und sonstige Sehenswürdigkeiten. Manchmal kam auch Lola mit und sie fuhren mit dem Zug wohin. Einmal gingen sie in ein klassisches Konzert und einmal ins Kino. Aarin war sowohl von der Musik als auch von der Filmtechnik begeistert gewesen. Doch mit der Zeit fand Aarin nicht mehr so viel um sich zu beschäftigen und hing so meist mit Lola ab. Einmal schlug er sogar vor, sich in der Schule anzumelden, aber Lola brachte ihn davon ab. Wenn er ihr Rechenheft sah, kannte er sich gerade mal mit den Plus und Minus Zeichen aus, weil sie in Ninina dafür andere Symbole benützten. Außerdem verwendeten sie andere Wörter in der Trigonometrie und zusätzlich konnte Aarin keine Fremdsprachen. Kurz vor den Semesterferien kam es zu einem peinlichen Zwischenfall.
Er wartete vor der Schule auf sie und eine Klassenkollegin von Lola fragte ihn auf Englisch nach seinem Namen. Aarin verstand natürlich nichts und das Mädchen sagte, dass es geglaubt hätte, er käme aus Kanada. „Nein, ich komme von viel weiter her“, sagte er und sie sah ihn schief an. „Das glaubst du doch selbst nicht. Bist du mit Lola zusammen? Sie spricht nicht viel über dich.“
„Wir sind Cousins.“
„Aber wieso wohnst du dann im Gasthaus? Wenn du willst, kannst du bei mir einziehen. Ich lebe in einer WG und wir können einen Mitbewohner gut gebrauchen.“
Zum Glück kam Lola aus dem Schulgebäude und rettete Aarin, indem sie sich knapp von Lisa verabschiedete und ihn mit sich zog. „So eine Schlampe aber auch. Macht sie sich glatt an dich ran während ich noch nicht da bin.“
„Keine Angst, du hast mich für dich alleine. Es genügt ein Wort und… “
„Ein Wort und was?“
„Ach, nicht so wichtig. Was gibt’s heute zum Essen?“ Aarin war der klassische Fall von einem Vielfraß, der viel essen konnte und trotzdem schlank und sportlich blieb. Im Vielessen konnte ihn nur Miracle schlagen, wenn er zu Besuch kam. Meistens kam Magic sonntags jedoch alleine, weil sie im Nordhaus viel zu lernen hatten. Die Prüfungen standen an und sie hatten dieses Jahr aufgrund der beiden Abenteuer mit Lola nicht so viel Zeit gehabt sich gründlich vorzubereiten.
In den Semesterferien fuhren sie gemeinsam nach Wien um sich die Stadt anzusehen und von dort aus zu ihrer Tante. Tante Michaela brannte darauf, Aarin kennenzulernen und das Wetter war besser als in den Weihnachtsferien. So konnten sie eine ausgedehnte Wanderung zu den Ruinen unternehmen. Der Aufstieg war schwierig und abenteuerlich, doch dank Aarins Verwandlungskunst verirrten sie sich wenigstens nicht. Manche Mauern waren schon eingestürzt, aber man konnte sich gut vorstellen wie die Magier darin gelebt haben mussten.
Aarin schickte ein paar Zauber aus um die Medaille zu finden, doch sie war nirgends. Den vorletzten Ferientag gingen sie mit Benni, Maria und Bernadette Schifahren. Im Schiverleih borgten sie für Aarin Schischuhe und Schi aus. Er lernte schnell und es gefiel ihm.
Nach den Ferien konzentrierte sie sich darauf, ihre Spezialgebiete für die Matura zu schreiben. Sie maturierte schriftlich in Mathe, Englisch, Französisch und Deutsch. Mündlich wählte sie Biologie, Englisch und Kunst. Zu Fasching nahm Frau Mur ihre Tochter beiseite und am nächsten Tag luden sie Aarin ein, bei ihnen zu wohnen. Er wollte zuerst noch mit Lola alleine sprechen, ob es ihr wirklich recht war und dann willigte er ein. Sie holten die Sachen aus dem Gasthaus und er bezog das kleine Gästezimmer direkt neben der Einganstür. Es reichte mehr schlecht als recht für den großen jungen Mann und er musste auch das Badezimmer mit ihnen teilen. Doch es war wie natürlich, dass er jetzt zu ihnen gehörte. Er übernahm auch ein paar Hausdienste und leerte zum Beispiel den Müll aus. Einmal schlug ihm Frau Mur vor, doch das ganze Haus mit Magie zu putzen und innerhalb von zwanzig Minuten war es erledigt. Aarins Aufgabe war nicht nur, so viel wie möglich von der Erde herauszufinden, sondern auch eine Arbeit darüber zu schreiben. Das meiste saugte er sich aus dem Internet, aber er unternahm nach wie vor noch viele Ausflüge um sich von den Dingen so zu überzeugen, wie sie waren.
Das Wetter wurde wärmer und der Boden war nur noch selten von Schnee und Eis bedeckt. Es tat gut, sich wieder mehr draußen aufzuhalten und sie zeigte ihm ihre Spaziergänge. Er kannte sie schon aus der Zeit, wo er sie beobachtet hatte, ob sie die richtige Person war um im Ninina das Zaubern zu lernen. Nachdem ihn Lola gefragt hatte, sagte er, dass er im Nachhinein nie an seinem Entschluss gezweifelt hatte. Er meinte, dass sie viel besser sei als er je gehofft hatte. Sie hatte schon nach einem halben Jahr für immer bleibende Eindrücke in den Häusern hinterlassen und vieles war noch dabei sich zu verändern.
Lola fand es nett, dass er das sagte. Schließlich hatte sie ihn in der Vergangenheit oft kritisiert. Am Sonntag kam sie wieder Magic besuchen und sie unterhielten sich alleine in ihrem Zimmer. Aarin war von einem Ausflug noch nicht zurückgekehrt.
Magic kicherte verdruckst und Lola spürte gleich, das etwas im Busch war.
„Also, du weißt schon. Jetzt wo Aarin auf der Erde ist….“ begann ihre Freundin. „Also was ich sagen möchte...“ sie brachte es nicht über die Lippen.
„Hat es was mit dir und Miracle zu tun?“
„Du hast es erraten!“ Magic kuschelte sich zu ihr. „Jetzt wo Aarin nicht mehr ständig herum ist, hat Miracle endlich Mut gefunden, sich an mich ranzumachen. Wir haben uns noch nicht geküsst, falls du das wissen willst. Immerhin bin ich die Schwester seines besten Freundes. Aber ich bin mir sicher, dass es nichtmehr lang dauern kann. Ich bin ja so verliebt. Und irgendwie haben es schon alle anderen vor uns gewusst. Also ich meine für Anja und die anderen kam es nicht mal überraschend, dass ich jetzt praktisch die ganze Zeit mit ihm zusammenstecke!“
Lola lachte. „Wenn ihr ehrlich bin hab ich schon seitdem ich euch kennen gelernt habe geglaubt, dass ihr ein Paar seid. Ich habe gedacht, ihr wollt es nur nicht öffentlich zeigen… Darf ich es Aarin erzählen?“
„Untersteh dich! Ich werde es ihm selbst irgendwann schonend beibringen. Aber erst wenn er wieder zurück ist. Außerdem weiß ich noch gar nicht, ob mich Miracle wirklich, naja, wirklich liebt.“
„Doch, bestimmt“, protestierte Lola. „Der mag dich total und er zeigt es dir ja auch, dass du ihm wichtig bist. Er ist ein netter Kerl und wenn ich nicht Aarin hätte, dann würde ich mich an ihn ranmachen.“
„Nein, ich glaube eher, du würdest dich an Enjen ranmachen. Zumindest er sich an dich!“
„Was redest du da für einen Mist! Er hat ja schließlich eine Freundin. Diese große blonde Tussi.“
Sie lachten Tränen, als Aarin ans Fenster klopfte. Er war noch Rabe und so direkt zu ihnen in den ersten Stock geflogen. Es wurde noch ein unterhaltsamer Nachmittag und am Abend verabschiedeten sich beide von Magic.
„Warum bist du wirklich gekommen, Aarin? Ich meine, haben dir die Oberen tatsächlich diesen Auftrag gegeben oder hast du es selbst vorgeschlagen.“
„Es war praktisch eine ausgeschriebene Stelle. Wir brauchen jemanden hier, der da ist, falls dich jemand hier finden sollte. Es gibt schließlich noch andere Abtrünnige, als die, die wir hinter Gitter gebracht haben. Außerdem gehört schon lange wieder ein Bericht über die Erde geschrieben. Es tut sich hier sehr viel und die Häuser sollten darüber Bescheid wissen.“
„Und du hast dich gleich angeboten, es zu tun? Wollte auch jemand anderer?“
„Ein paar hatten sich dafür gemeldet, aber niemand kennt dich so wie ich.“
Lola schwieg.
„Ich weiß. Das klingt vermessend. Doch falls es dich interessiert; ich wäre auch sonst gekommen. Nachdem, was ich dich durchmachen ließ, will ich dich nicht noch einmal alleine lassen. Außerdem ist dieses Jahr mein letztes als Schüler. Nächstes Jahr werde ich Praktika im Auftrag der Regierungen machen. Ich bin dann nicht mehr in den Häusern.“
„Bedeutet das, wir müssen die Zeit, die uns steht, nützen?“
Er strich ihr über die Haare und sie nahm sein Gesicht in ihre Hände. Sie küssten sich lange und gefühlvoll. Es bedurfte keiner Wörter mehr um auszudrücken, was sie fühlten. Sie waren dankbar, dass diese schwere Phase des Streits und der Trennung nun endgültig hinter ihnen lag. Die Vergangenheit und die Zukunft galten nichts. Nur was jetzt war, zählte.
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Kapitel 4-Unerwarteter Besuch
Draußen wuchsen die ersten Primeln und Krokusse. Die Schneeglöckchen und Frühlingsknotenblumen waren schon am Verblühen. Lola hatte zum letzten Mal Schularbeiten. Nach den Osterferien hatte sie nur noch eine Schulwoche und dann stand die Matura an. Lola lernte viel und konzentriert. Wenn nichts mehr dazwischen kam, hatte sie gute Chancen trotz ihrer langen Zeit in Ninina gut abzuschneiden. Aarin hatte noch schmutzige Finger, weil er seinem neuesten Hobby nachgegangen war. Er hatte in einer Werkstätte geholfen Autos zu reparieren. Jetzt vor dem Schlafengehen prüfte er sie Vokabeln ab. Auf einmal versteifte sich Aarin.
„Was ist los?“ fragte Lola.
„Ein Spürzauber. Ich bin mir nicht sicher. Aber was war es sonst? Wer kann es sein? Es ist mitten in der Nacht.“
„Komisch… Ich habe nichts gespürt.“
„Die Magie in deinem Blut ist gesperrt. Sie kann nicht erspürt werden. Damit kannst du aber auch niemanden fühlen.“
Sie warteten, ob der Zauber noch einmal kam. „Da! Schon wieder! Es ist ganz eindeutig ein Suchzauber.“ Aarin ließ einen Schild um sich hochschnellen. Dann ging er zum Fenster und rief etwas nach draußen. Doch niemand antwortete und es schwebte auch kein Rabe zum Fenster herein.
Auch Lola hatte diesmal etwas gespürt, doch sie wollte es nicht sagen. Vielleicht war doch nicht alle Magie in ihrem Blut gebannt. Sie hatte es nur ganz leicht, aber eindeutig gespürt, und zwar genau als Aarin den Schild um sich hochschnellen gelassen hatte. „Magic kommt erst in ein paar Tagen wieder. Vielleicht sollten wir eine Nachricht unter die Brücke stecken, wer es gewesen ist.“
Aarin stimmte ihr zu und verriegelte in dieser Nacht die Haustüre und auch die Fenster mit Magie. Wer immer es war, der sich da draußen herumschlich, sollte besser bleiben wo er war. Aarin war gewappnet und für einen Kampf bereit, falls es dazu kommen sollte. Lola wünschte sich ihre magischen Fähigkeiten zurück, aber man konnte eben nicht alles haben, was man wollte.
Sie schlief in dieser Nacht sehr unruhig, obwohl Aarin seine Arme um sie gelegt hatte und sie die gleichmäßigen Schläge seines Herzens hören konnte. Am Vormittag hatte sie Französischschularbeit und konnte sich nicht gut konzentrieren. Hoffentlich würde sie trotzdem eine gute Note bekommen. In der Mittagspause ging sie nach Hause, aber Aarin war nicht da. „Er wartet bei der Brücke auf eine Antwort.“ Sagte ihre Mutter und Lola aß die Nudeln mit Käsesauce. Danach hatte sie Nachmittagsunterricht und begleitete Maria zum Einkaufen. Die Arme hatte von ihrem Vater nicht einmal Geld genug für das Brot am nächsten Tag bekommen.
Als sie nach Hause ging, flog Aarin als Rabe neben ihr her. Er hatte keine Gelegenheit sich in einen Menschen zu verwandeln, weil zu viele Leute unterwegs waren. Als sie zuhause ankam, wirkte Aarin entspannter als am Tag zuvor. Er zeigte ihr den Brief. Darin stand, dass sie so eine Ahnung hatten, wer es gewesen sein könnte. Die Häuser seien der Sache aber bereits auf der Spur und sie sollten sich keine Sorgen machen. Einstweilen würde man das Portal für ein paar Tage abriegeln, dass sich der Vorfall nicht wiederholen konnte.
„Aber das bedeutet auch, dass wir nicht nach Ninina können, falls wir wollen.“
„Stimmt. Bleiben wir also hier.“
„Sehr scharfsinnig.“
„Danke sehr.“
Das Thema war fürs erste erledigt und sie gingen in die Küche um fürs Abendessen zu decken. Sie machten ein bisschen rum und ihre Mutter kam rein. Sie verzog keine Miene und sagte trocken, dass sie den Käse vergessen hatten. Als Nachtisch gab es Erdbeerschokolade. „Mum, es ist Fastenzeit. Ich esse kein Stück davon.“ Am Ende aber war sie es gewesen, die am meisten gefuttert hatte. Sie liebte Schokolade.
„Wo ist das Portal?“ fragte Lola als sie am nächsten Tag zur Schule ging und Aarin sie begleitete.
„Dort drüben.“, antwortete ihr Freund und zeigte nach Westen. „Circa eine halbe Stunde, wenn man fliegt. Man könnte auch 20 Kilometer sagen.
„Wie funktioniert es?“
„Man muss den Spruch kennen und das richtige Gefühl. Man muss mindestens einmal mitgenommen werden. Erst dann kann man´s alleine versuchen.“
„Lernst du´s mir mal?“
„Irgendwann bestimmt. Zuerst solltest du dich aber auf die Schule konzentrieren.“ Er bugsierte sie zum Schuleingang. Dort standen ein paar Polizisten. Als sie Aarin entdeckten, kamen sie auf sie zu. „Ihre Ausweise bitte.“ Lola zog ihren Schülerausweis heraus. Aarin hatte keinen. „Kommen Sie mit uns mit, es liegt eine anonyme Anzeige wegen Dealens vor.“
„Was?“ Lola ließ ihrem Ärger freien Lauf. „Er ist mein Freund und wohnt bei mir zu Hause, das hätte ich doch mitbekommen, wenn er dealt.“
Die Polizisten ließen sich nicht beirren. Welcher Trottel hatte diese Anzeige aufgegeben? Aarin hing zwar wirklich viel um die Schule herum ab, aber er war immer mit ihr zusammen und pflegte nur zu wenigen ihrer Mitschüler Kontakt. Man bat Aarin ins Polizeiauto einzusteigen.
„Ich komme mit“, sagte Lola sofort. Erstens musste sie Aarin helfen und zweitens war es auch für sie selbst sicherer. Seitdem Aarin die Suchstrahlen verspürt hatte, passte er doppelt gut auf sie auf. Es konnte ja wirklich sein, dass ein Abtrünniger ihr auflauerte.
Es war jedoch kein Platz mehr im Polizeiauto und so borgte sie Benni´s Fahrrad aus, das neben der Eingangstür lehnte. Sie radelt die Hauptstraße entlang bis zur Kirche. Dort bog sie links ab und radelte geradeaus weiter. Insgesamt brauchte sie zehn Minuten bis sie bei der Polizeistation ankam. Unruhig wartete sie, bis sie eingelassen wurde. Drinnen stellte ihr ein eifriger, junger Polizist Fragen über Aarin. Wer er war und woher er kam. Sie hatten sich einmal gemeinsam eine Story zurechtgelegt. Er war ein Freund der Familie, hatte sich mit seinen Eltern gestritten und wohnte jetzt bei ihnen und schrieb an seiner Diplomarbeit.
Der Polizist bot ihr einen Kaffee an und sagte, es bestehe kein Grund sich Sorgen zu machen. Man durchsuchte zwar gerade ihr Haus nach Drogen, aber wenn keine gefunden wurden, konnte sie ihren Freund wieder mit nach Hause nehmen.
Aus dem Zimmer, wo Aarin festgehalten war, kam ein anderer Polizist. „Mann, der weiß nicht einmal den Unterschied zwischen Speed und Heroin. Option eins, er ist wirklich so doof, Option zwei, er ist ein guter Schauspieler. Oops, Entschuldigung Kleine. Hab nicht bemerkt, dass du da bist. Solltest du nicht in der Schule sein? Naja besser hier als zu Hause, da wird gerade alles umgeräumt.“
Lola ballte ihre Hände zu Fäusten. Das hier hatte ihr gerade noch gefehlt. Was, wenn die Bullen draufkamen, dass sie letzten Herbst nicht in Amerika gewesen war, und dass Aarin auf der Erde einfach keine Identität hatte?
Ein Telefon klingelte. „Er ist gleich hier! Sollen wir das Mädchen in die Schule zurück schicken?“ „Soll sie doch hier bleiben. Sonst macht sie noch Ärger.“
Kurze Zeit später fuhr draußen ein großer schwarzer Wagen vor und ein großer Mann stieg aus. Er hatte eine Halbglatze und die übrigen Haare waren grau und dünn. Sie schätzte ihn zwischen Fünfzig und Sechzig. Die Polizisten öffneten ihm die Tür und begrüßten ihn respektvoll. Er hatte jedoch nur Augen für sie. „Monika, nicht wahr.“ Dann ging er in das Zimmer, wo Aarin war. Er kam nach ein paar Minuten wieder heraus. „Der Typ ist unschuldig, ganz klar. Im Haus finden sie auch nichts. Wir müssen ihn aber noch hierbehalten, bis das Gutachten fertig gestellt ist. Ich fahre das Mädchen nach Hause.“
„Herr Bezirksinspektor, sie hat ihr Rad dabei.“
„Ich habe einen großen Kofferraum.“ Er nahm das Mountainbike mit einer Hand und steckte es in den Kofferraum, ohne seinen sauberen Anzug dabei schmutzig zu machen. Dann hielt er ihr die Tür auf.
„Ich fahr nicht mit fremden Leuten.“
„Jetzt sei mal nicht albern.“
Als sie bei ihrem Haus ankamen stand die Türe weit offen und das Gartentor war mit einem rotweiß-gestreiften Absperrband blockiert und eine Crew aus Bullen verlud gerade große sabbrige Drogenhunde in einen Anhänger. Der Bezirksinspektor zerriss das Absperrband und sie folgte ihm ins Haus. Drinnen scheuchte er einen letzten Polizisten hinaus und ging dann in die Küche. Er schien schon mal hier gewesen zu sein. Alles sah normal aus, aber sie musste niesen. Ihre Hundeallergie schlug zu und sie klaubte ein paar Hundehaare aus dem Vorhang.
Er öffnete seine Aktentasche und holte ein paar Unterlagen heraus. „Ich bin gar nicht wegen ihm da.“ Er zog ein Schwarzweißfoto aus der Tasche, dass Aarin zeigte, wie er zwei Schlägertypen voneinander trennte. Das Datum war vor einer Woche angegeben und das Foto war von einer Überwachungskamera eines Nachtclubs aufgenommen worden.
„Davon hat er gar nichts erzählt.“ Sagte Lola.
Der Bezirksinspektor legte das Foto zur Seite. „Ich bin wegen dir gekommen.“, sagte er und zog ein paar weitere Zettel aus der Tasche.
Akte Monika Mur: Verschwand ohne vorherige Anzeichen Mitte Juli. Person nahm mit Mutter jedoch wieder Kontakt auf. Sagte, sie sei bei Freunden untergetaucht. Mutter vertuschte die Sache, gab an, sie absolviere ein High-School Jahr in San Francisco. Tochter tauchte Anfang Dezember wieder auf. Ab Jänner logierte ihr Freund Aarin im Gemeindegasthof, seit Februar wohnt er bei der Familie.
Monika sagte lieber nichts.
„Keine Angst, es kommt nicht an die Öffentlichkeit. Dafür sorge ich schon seit einem halben Jahr persönlich. Ansonsten würde deine Mutter, Susanne Mur, in Null Komma Nix ihren Lehrerposten verlieren. Sie könnte wegen Betruges angezeigt werden. Du hast echt eine wilde Henne als Mutter. Nicht viele Menschen haben das Glück, dass sich so jemand für sie einsetzt… Ich beobachte dich schon seit längerer Zeit. Schon vor deinem Verschwinden hatte ich Vermutungen, was dich betraf.“
„Achja?“
„Du wurdest auserwählt um nach Ninina zu gehen, nicht wahr?“
„WAS? Was reden sie da, ich habe keine Ahnung was sie meinen?“
„Wo warst du sonst das letzte Jahr. Und wenn Aarin kein Ninianer ist, was ist er dann?“
Lola schwieg wieder.
„Wenn du nicht mit mir reden willst, ist es mir ein leichtes diese Unterlagen an einen Kollegen weiterzugeben und deine Mutter verliert ihren Job und all deine Freunde und Lehrer erfahren, dass du gelogen hast, was San Francisco angeht.“
Sie saß in der Klemme. „Das ist Erpressung.“
Der Bezirksinspektor überhörte ihre Bemerkung. „Glaube nicht, dass es hier auf der Erde keine Zauberer gibt. Es sind zwar nicht viele, aber es gibt sie noch und sie geben ihr Wissen an ihre Kinder und Kindeskinder weiter. Die Häuser Nininas wissen nichts davon. Wir pflegen keinen Kontakt mehr zu ihnen, weil sie darauf pochen würden, dass wir uns wieder den Zauberergesetzen unterwerfen sollen und die Regierungen der Welt informieren müssten. Außerdem müssten wir dann eine Zaubererschule eröffnen, weil jede Person mit Magie im Blut die gleiche Ausbildung erhalten soll. Diese Aufgabe wollen sie dir jetzt zuschupfen, hab ich Recht?“
„Ähm, ja. Wenn ich älter bin. Nach der Matura gehe ich zurück nach Ninina und werde in der Magie fertig ausgebildet.“
„Sie haben dir die Energie gebunden, nicht wahr?“
Lola spürte ein sehr leichtes Kitzeln auf ihrer Haut.
„Immerhin die Flugkraft haben sie dir gelassen. Von einer vertraulichen Person weiß ich, dass du mit den Häusern nicht mehr gut gestellt bist. Du hast dich mächtig zerstritten, ist das wahr?“
Sie klärte ihn lieber nicht auf, dass sie erstens nicht fliegen konnte, und zweitens, dass sie zu den Häusern jetzt wieder loyal stand.
„Ich habe Kontakt zu einigen Ninianern, die zu den Abtrünnigen gehören. Du hast gegen ein paar von ihnen gekämpft. Üble Typen, die es verdienen jetzt hinter Schloss und Riegeln zu sitzen. Man sagt, du hast außergewöhnliche Kräfte.“ Er sah sie abwartend an. Draußen fuhr ein Polizeiauto vor. Man brachte Aarin nach Hause.
„Erzähle ihm nichts“, sagte der Inspektor. „Tust du es trotzdem, werde ich es erfahren. In Zukunft wirst du mich über alles informieren, was du machst. Denk daran, was sonst mit deiner Mutter passiert.“
Lola wollte laut protestieren. Dieser Mann erpresste sie glatt. Sie wollte keine Geheimnisse vor Aarin haben. Nichts sollte der gerade erst reparierten Beziehung mit ihrem Schatz in die Quere kommen.
„Ich wird´s ihm trotzdem sagen“, sagte sie böse. Aarin kam zur Tür hinein. „Hallo.“, sagte er und streckte dem Bezirksinspektor seine Hand hin. Dieser entschuldigte sich höflich für die Unannehmlichkeiten und fuhr dann mit seinem dicken schwarzen Wagen davon.
„Phu, das war knapp. Und dieser Mann, der hat vielleicht eine geheimnisvolle Aura. Als würde er etwas verstecken.“ Aarin schenkte sich Wasser ein.
„Du hast keine Ahnung“, sagte Lola. „Der Bezirksinspektor ist Zauberer. Er hat dich da rausgeholt. Dafür erpresst er mich jetzt.“
Aarin klappte die Kinnlade herunter und sie erzählte ihm alles. Er wollte sofort eine Botschaft für unter die Brücke schreiben, aber Lola hielt ihn davon ab. Sie erinnerte ihn daran, dass der Inspektor sie verpetzen würde, wenn er davon herausfand. Wiederwillig gab Aarin nach. „Glaubst du in den Häusern gibt es einen Spion der Abtrünnigen?“ Sie überlegten beide, wer es sein konnte, aber kamen zu keinem Ergebnis. „Sagen wir, es ist ein Späher von außerhalb. Es ist einfach nur schlecht, wenn wir jemanden Unschuldigen verdächtigen,“ schlug Aarin vor. Er hatte Recht.
Frau Mur nieste, als sie nach Hause kam, sie hatte auch eine Hundeallergie. „Vielleicht gibt es schon Pollen dieses Jahr.“ Sie nieste noch einmal und die beiden Jugendlichen verschwiegen, was am Vormittag vorgefallen war. Für den nächsten Tag, Freitag, fälschte Mona die Unterschrift ihrer Mutter, dass sie einen Schwindelanfall gehabt hatte und rief Benni wegen seinem Fahrrad an. Die halbe Schule sprach jedoch noch über den Polizeieinsatz am Vortag. Mona winkte beruhigend ab und sagte, dass Aarin nur ein paar Fragen wegen seiner Aufenthaltserlaubnis gefragt worden war. Ursprünglich war er nämlich aus Norwegen. Aber er war schon als kleines Kind weggezogen. Hoffentlich würde sie nicht eines Tages über ihre eigenen Lügen stolpern.
Maria verbrachte den Großteil des Wochenendes bei ihnen und brachte auch Niklas mit, der sich gut mit Aarin verstand. Am Sonntag blieb Magics Besuch schon wieder aus und sie schrieben einen Brief. Sie waren in großer Sorge, dass irgendetwas nicht passte. Aarin flog zum Portal, aber wie sie eine Woche zuvor erfahren hatten, war es verschlossen. Niemand antwortete auf den Brief. Nach zwei Tagen war der Brief noch immer unter dem Stein. Vielleicht war es bei der Schließung des Portals zur Schließung sämtlicher Kommunikationskanäle zwischen Ninina und der Erde gekommen. Es setzte ihnen sehr zu. Solange sie mit den Ninianern keinen Kontakt aufnehmen konnten, würden sie weiterhin glauben, dass etwas Schreckliches passiert war.
Am Abend bekam sie ein Email vom Bezirksinspektor. „Hallo Monika. Es tut mir Leid, dass wir nicht länger miteinander reden konnten und dass ich so unhöflich war. Es würde mich freuen, wenn wir weiterhin in Kontakt stehen. Aus Ninina bekomme ich schon länger keine Nachrichten mehr. Weißt du, was vorgefallen ist? Auch an Aarin liebe Grüße von mir, dem du sicher schon längst alles erzählt hast, du schlimmes Mädchen.“
Sie konnte über den Brief nur den Kopf schütteln. Was dachte sich dieser Mann nur…
Am Sonntag blieb der Besuch wieder aus. Den ganzen Tag warteten sie sehnsüchtig, doch am Abend hatten sie jede Hoffnung aufgegeben. Aarin flog zur Brücke und brachte den Brief mit, den sie vor einer Woche geschrieben hatten. Was nun?
Am nächsten Tag hatte sie die letzte Schularbeit, die Spezialgebiete hatte sie schon alle abgegeben. Am Freitag wollte Benni eine Party machen, weil sie dann offiziell keine Schüler, sondern Maturanten waren. Dienstagnachmittag kam überraschender Besuch. „Was machen Sie hier?“ Diesmal kam er nicht in einem großen schwarzen Auto sondern mit seinem Mountainbike.
„Ich dachte wir könnten biken gehen? Das machst du doch gerne?“
„Das Rad letzte Woche war von einem Freund geborgt.“ Aarin kam aus dem Haus und stellte sich schützend vor Lola. „Was wollen Sie?“ fragte er.
„Eine Einladung ins Haus, weil ich durstig bin?“ Er ging hinein und holte sich Saft aus dem Kühlschrank.
„Was machen Sie? Sie können doch nicht einfach so zur Tür hereinspazieren als wären sie ein alter Freund der Familie!“
„Bin ich aber. Ich kannte deinen Dad gut, bevor er nach Südamerika zurück ist, der Mistkerl. Und deine Mutter kenne ich auch. Sie hat mich für heute eingeladen. Ich war übrigens auch der Trauzeuge deiner Eltern.“
„Gibt’s nicht.“, sagte Lola und musste sich setzen. „Gibt’s echt nicht, du lügst mich an.“
In dem Moment kam ihre Mutter von einem Besuch bei Marias Familie nach Hause. „Hallo Alex! Freut mich, dass ihr drei euch inzwischen schon kennen gelernt habt.“
„Mum! Er ist Zauberer! Und ich glaub nicht, dass er auf unserer Seite ist! Wie konntest du nur! Sag ihm er soll raus gehen!“ Sie hielt es einfach nicht aus, diesen großkotzigen Polizisten in Radleroutfit an ihrem Tisch sitzen zu sehen.
„Lola? Kannst du Alex ein Bier aus dem Keller holen?“
„Ja.“, winselte sie. „Aber nenn ihn bitte nicht Alex.“ Gedemütigt ging sie in den Keller. Als sie wieder nach oben ging, fing Aarin sie auf der Stiege ab. „Was sollen wir jetzt tun?“ wisperten sie gleichzeitig. „Abwarten?“, wieder hatten sie gleichzeitig gesprochen. Sie atmeten tief durch und gingen in die Küche.
Der Bezirksinspektor und ihre Mutter unterhielten sich über Lola und was sie alles getan hatten, seit sie zurück waren. „Warst du mit Aarin schon mal fort? Du musst ihn mal in unser Nachtleben einführen.“
„Ihr seid so peinlich! Hört sofort auf euch in etwas einzumischen, was euch nichts angeht!“ Lola war echt sauer auf die beiden. Wäre dieser Alex wenigstens wieder in Anzug und Krawatte erschienen, hätte sie Respekt zu ihm aufbauen können. Der Bezirksinspektor bekam eine Nachricht auf sein Mobiltelefon. „Hey, das Portal ist wieder offen! Nicht, dass ich selbst weiß, wie man dort hinüberkommt, aber ich bekomme wenigstens wieder Neuigkeiten aus dem Reich der bunten Augen. Die Entwicklungen dort sind zurzeit atemberaubend. Wusstet ihr, dass der ehemalige Geschichtsprofessor des Südhauses zum Ministerpräsidenten des Nordreichs gewählt worden ist? Zum ersten Mal, dass ein Zauberer dieses Amt dort bekleidet.“
„Aber das ist doch verboten! Wir Magier dürfen keine hohen Ämter einnehmen. Wir dürfen nur beraten.“
„Das ist doch auch Manipulation. Wieso also nicht gleich das Amt übernehmen? Aber du hast Recht, vielleicht ist es doch bedenklich.“
Die beiden Zauberer diskutierten noch lange und Frau Mur warf ihrer Tochter immer wieder fragende Blicke zu. „Waren die Leute dort drüben in Ninina auch immer so kompliziert?“, schrieb sie ihr auf einen Zettel, den sie ihr zuschob. „Magier eben.“ Kritzelte Monika zurück und sie hörten noch eine Weile der Diskussion der beiden Zauberer zu. Immerhin erfuhr Lola somit, dass der Inspektor nicht allzu gefährlich war. Zumindest wusste er nicht viel über Ninina. Sie wusste nicht warum, aber es beruhigte sie. Er war wahrscheinlich deshalb so aufdringlich zu ihr, weil er mehr über die Welt erfahren wollte, in der Zauberer staatlich organisiert waren und öffentlich anerkannt.
Nachdem er gegangen war wussten Lola und Aarin nicht, was sie denken sollten. „Am besten, ich fliege gleich los zum Portal um nachzusehen, ob es tatsächlich offen ist.“
„Vielleicht ist es eine Falle? Vielleicht ist der Bezirksinspektor gerade deswegen gekommen? Um uns auszutricksen und voneinander zu trennen?“
Sie einigten sich darauf, dass Aarin ihr Haus unter all den Schutz stellte, den er wusste. Und wenn er morgen früh noch nicht zurück war, sollte sie nicht zur Schule gehen, sondern im Haus bleiben, bis er wieder zurück war. Aarin musste ihr versprechen, sich aus Ärger rauszuhalten und sie zu informieren, falls er etwas Gefährliches unternehmen wollte. Dann flog er los und Lola kuschelte sich zu ihrer Mutter ins Bett. Sie wollte nicht alleine schlafen müssen.
Kapitel 5- Wieder getrennt
Um halb acht war Aarin noch immer nicht zurück und Lola stellte sich schon darauf ein, zuhause zu bleiben. Sie tippselte Maria ein Sms. Gerade als sie es abschickte klingelte es an der Haustür. Ein Blick aus dem Fenster vergewisserte sie, dass es nur ihre Freundin war. Noch im Pyjama ging sie hinunter um die Türe zu öffnen. Maria war auch noch total müde und beschloss gemeinsam mit Lola zu schwänzen. Sie stellte ihre Schultasche auf den Boden und setzte sich aufs Sofa wo sie eine Viertelstunde später schon laut schnarchte.
Um Zehn Uhr wurden sie durch ein lautes Klopfen am Fenster wach. Sie öffnete den Fensterflügel und Aarin stand im Zimmer. Lola ging zum Waschbecken und wusch sich erst einmal das Gesicht. „Kannst du nicht wie jeder normaler Mensch zur Tür reinkommen? Du hast uns total erschreckt“, sagte sie und trocknete ihr Gesicht ab.
„Was? Keinen Willkommenskuss?“ Ihr Freund setzte dein Dackelgesicht auf.
Sie gab ihm ein Küsschen und drückte ihn fest an sich. „Ich bin froh, dass du da bist. Ich hab mich sehr gesorgt.“
„Also wirkt nicht so, als hättest du vor Sorge nicht schlafen können.“
„Zieh mich nicht auf. Wie war die Reise? Wie geht’s den anderen?“
„Lange Geschichte… Maria, machst du mal Platz auf dem Sofa?“
Maria rutschte zur Seite und gab Aarin einen der Pölster, als zu erzählen begann.
„Also gleichmal vorweg; heute Abend um circa sechs Uhr bekommen wir Besuch von Frau Heran. Früher geht’s nicht weil sie heute nach Anxato muss um Mariam als neue Sekretärin des eben angelobten Präsidenten einzuschleusen. Sie will dich um einen Gefallen bitten.“
Lola zog einen Schmollmund. Dass diese Frau hierherkam um ihr nachzuspionieren passte ihr nicht.
„Es geht allen gut, aber es gibt überdimensional viel Arbeit zu tun. Die Abtrünnigen sind hinter Schloss und Riegel. Die Nordhausschüler waren aber nicht ihre einzigen Opfer. Wie wir mitbekommen haben, haben sie eine ganze Reihe an Zaubererfamilien bedroht, aber niemand hat sich getraut sich an die Häuser zu wenden. Und das, weil diese Familien sogenannte wilde Zauberer sind. Bis jetzt konnten wir über zwanzig dieser illegal ausgebildeten Magier ausfindig machen und sie registrieren. Einige campen vor dem Nordhaus, sie wollen uns kennen lernen und wir sind dabei sie zu prüfen ob wir ihnen eine Ausbildung zu teil lassen können oder nicht. Die meisten verweigern aber jeden Kontakt zu den Häusern. Ich glaube sie lachen insgeheim über uns weil wir solange geglaubt haben die einzigen Magier in Ninina zu sein.“
Maria hatte den Mund weit offen stehen. „Ich höre gerade lauter Geheiminfo, oder?“
„Und dann gibt’s da noch den neuen Präsidenten den wir genau überwachen müssen. Er wurde in den Häusern ausgebildet, das Volk weiß nichts von seinen magischen Fähigkeiten. Als ehemaliger Geschichtslehrer verspricht er uns zwar, nicht die Fehler zu machen wie andere Zauberer vor ihm, aber dass er eine der wichtigsten Zaubererregeln missachtet hat, spricht nicht für ihn. Sobald sich eine Spur von Missbrauch seiner Macht zeigt, müssen wir ihn vor der ganzen Öffentlichkeit als Zauberer, der eine wichtige Regel missachtet hat, bloßstellen.“
„Wieso macht ihr das nicht gleich?“
„Die Oberen haben ihn als Kollegen sehr geschätzt, deshalb haben sie sich nicht eingeschalten, als er von seiner Partei als Kandidat aufgestellt wurde. Sie haben gedacht er wehrt sich, was er dann aber nicht hat. Er war erst letztens auf Besuch im Südhaus und hat sich wegen des Regelbruchs entschuldigt. Seine Erklärung war, dass die Partei sehr wichtig für ihn sei und er stolz ist, sie zu vertreten. Er tut so, als hat er nur das Beste fürs Land im Sinn. Vielleicht stimmt’s auch.
Noch etwas spricht dagegen, dass wir ihn enttarnen. Die Menschen wissen zwar, dass es Zauberer gibt, aber nicht wo und wie viele. Sie denken nicht viel an uns. Die Oberen haben Kontakte in der Regierung und der Wirtschaft. Einige auch im Sozialwesen. Lassen wir Herrn Milton auffliegen, würde das ein schlechtes Licht auf uns werfen. Die Leute würden sich zu fragen beginnen weshalb wir nicht mehr in der Öffentlichkeit stehen und weshalb wir uns in dieser Angelegenheit nicht früher eingeschaltet haben. Man würde Reporter auf uns ansetzen und es kämen dann auch noch ganz andere Probleme auf uns zu. Und jetzt zu dem wieso Frau Heran heute herkommt.
„ Sag nicht wir werden dem Präsidenten nachspionieren.“
„Oh doch.“ Aarin legte ein Foto auf den Tisch, das einen sehr beleibten Mann mit Halbglatze zeigte, der eine um sicher zwanzig Jahre jüngere Frau umarmte, die gewelltes blondes Haar und grellrote Augen hatte. „Das ist der ehemalige Obmann der Partei und bester Freund vom jetzigen Präsidenten. Vor einem Jahr hatte er ein Burnout und ist auch nach einem Erholungsaufenthalt in den Graubergen nicht in die Politik zurückgekehrt. Herr Milton hat die Partei in den Wahlkampf geführt und gewonnen. Fraglich ist, weshalb sein Freund nicht mehr aufgetaucht ist und auch nicht zur Angelobung erschienen ist. Offiziell heißt es, er unternimmt seit einem Monat mit seiner Frau eine Kreuzfahrt und ist nicht vor Ende des Winters zurück. Telefonisch oder bei Funk konnten wir ihn nicht erreichen. Die Oberheilerin ist mit Miracle auf dem Weg hierher. Sie bringt ihr Buch mit den großen Zaubern mit. Sie gibt dir für den heutigen Tag einen Teil deiner Fähigkeiten zurück und wenn wir es geschickt anstellen… Liegt da oben am Kasten nicht ein Fotoapparat?“
Lola verstand nicht auf was Aarin hinauswollte, aber sie reichte ihm die Kamera. Er drückte sie Maria in die Hand. „Ich habe einen geheimen Auftrag für dich.“ Er grinste verschwörerisch und erzählte ihnen seinen Plan.
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Es war bereits Abend. Das Wetter war grausig und es hagelte aufs Fensterbrett. Sie hatten alle Lampen im Haus eingeschalten um die Dunkelheit zu vertreiben. Dennoch herrschte im Haus eine düstere und angespannte Stimmung. Frau Heran las den Spruch laut vor. Es kamen darin viele Wörter vor, die Lola nicht verstand. Vielleicht handelte sich dabei um Phrasen aus einer alten Sprache Nininas. Draußen donnerte es. Das erste Gewitter des Jahres. War das ein böses Omen? Sie spürte ein warmes Gefühl durch ihren Körper fließen. So, als ob sie jetzt nach langer Zeit von etwas frei wurde. Sie streckte den kleinen Finger aus. Eine Flamme schoss daraus hervor. Sie lächelte und Aarin auch. Zaubern war schon was Schönes. Ihre Mutter und Freundin starrten sie aufgeregt an.
Sie blickte auf das vor ihr liegende Foto. Obwohl sie befürchtet hatte, nicht mehr in Form zu sein, war der Mann im Bruchteil einer Sekunde erschienen. Wie viele vor ihm, die zum ersten Mal gebeamt worden waren, viel es ihm schwer sich zu orientieren bzw. zu begreifen was geschehen war.
„Wir haben eine Frage an Sie. Befinden Sie sich tatsächlich auf einer Kreuzfahrt? Worden Sie von ihrem besten Freund Milton betrogen? Gibt es einen Grund zur Annahme, dass… „
Frau Heran wurde unterbrochen. „Ja! Milton! Wie geht es ihm, meinem alten Freund. Ist er hier?“ Der dicke Mann blickte suchend um sich und grinste blöde. „Er hat versprochen, dass er mich bald besuchen kommt.“
Es donnerte und alle zuckten zusammen. Frau Heran stellte noch ein paar Fragen. Jedes Mal antwortete der dicke Mann sehr ausweichend und grinste doof. „Auf welchem Schiff sind Sie? Wie heißt es?“ Der Gefragte zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber ich bin schon lange da.“
Auf der Oberheilerin ihren Wink hin, ließ Lola den Mann verschwinden. „Was war denn das?“ fragte Frau Mur. „Der hat nicht alle Sachen beinander, der ist doch total verwirrt.“ Alle stimmten ihr zu.
Frau Heran hatte die Stirn in Falten gelegt. “Ich kenne keinen Verwirrungszauber, hab auch noch nie davon gehört.“ Sie blätterte das Buch durch. „Hier ist ein allgemeiner Zauber zur Aufhebung von Flüchen. Ich werde es probieren.“
Lola zauberte den Herrn auf dem Foto wieder herbei, doch auch nachdem Frau Heran den möglichen Gegenzauber vorgelesen hatte, grinste er noch immer und hatte sich kein bisschen verändert. „Soll ich´s mit seiner Frau probieren?“ Lola wies mit ihrem Finger auf die blonde Frau am Foto.
„Okay, vielleicht erfahren wir von ihr, wo sie sich befinden.“ Sagte Frau Heran.
Die blonde Frau tauchte auf. Sie hatte einen ähnlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt wie ihr Mann. „Wie schön“, sagte sie und ließ ihren Blick durch das Wohnzimmer schweifen. „Welch originelle Einrichtung! Diese Lampe, wo habt ihr sie gekauft? Sie ist die schönste, die ich je gesehen habe“
Lola war überrascht, als ihre Mutter sich zu Wort meldete. „Es ist meine Lampe. Aber ich schenke sie dir gerne, ich brauche sie nicht mehr. Wohin soll ich sie dir bringen? Wo wohnst du?“
„Mein Mann und ich machen gerade eine Schiffsreise. Wir haben ein kleines Schiff gekauft und besuchen jeden Tag eine andere Insel wo es Papageien und Affen gibt. Es ist wunderschön und wir lernen gerade die Sprache der Eingeborenen. Vielleicht bleiben wir für immer hier.“
„Weißt du, wie die Inseln heißen?“ fragte Frau Mur vorsichtig nach.
Die Tussi schüttelte den Kopf. „Richtest du meiner Familie liebe Grüße aus?“ fragte sie. „Ich gehe jetzt Essen kochen. Auf Wiedersehen.“ Sie stand auf und ging durch die Tür in die Küche. Lola ließ sie verschwinden.
„Eindeutig ein Zauber.“ Sagte Aarin. „Können wir uns kurz draußen darüber unterhalten?“ Er sah die Oberheilerin an. Diese nickte.
Frau Mur protestierte. „Ihr könnt euch gerne hier unterhalten. Ich gehe mit Lola und Maria inzwischen in die Küche und sie helfen mir das Essen herzurichten.“
„Kommt gar nicht in Frage.“ Sagte Aarin und geleitete Frau Heran zur Tür hinaus. Er zwinkerte den Mädchen zu, die erleichtert aufatmeten und Frau Mur böse Blicke zuwarfen.
„Sag nichts,“ flüsterte Lola ihr zu, als Maria die Kamera herauszog. Zum Abschreiben hatten sie nicht genug Zeit. Zum Abfotografieren aber schon. Lola suchte die richtigen Seiten heraus und Maria knipste sie ab. Hoffentlich raschelten die Buchseiten nicht zu verräterisch.
Nach Fünf Minuten kamen die beiden Magier wieder ins Wohnzimmer zurück. Lola reckte den Daumen nach oben um Aarin zu signalisieren, dass sie es geschafft hatten. Doch er lächelte nur schwach. Etwas schien ihn zu bedrücken.
„Aarin wird mich nach Ninina begleiten. Wir brauchen dort jeden Mann. Schon jetzt werden die Erstabschnittler von den Zweitabschnittlern unterrichtet. Wenn ich jetzt auch noch die letzten verbliebenen Oberen aussende um den Ozean zu durchkämmen, braucht das Südhaus seine Hilfe umso dringender.“
Lola war ehrlich bestürzt. Die letzten Wochen waren nahezu perfekt gewesen und nun sollte er sie schon wieder verlassen? „Ich komme mit,“ sagte sie.
„Du bleibst schön brav hier und machst deine Prüfungen“, sagte die Oberheilerin streng. Mit einer etwas weicheren Stimme fügte sie hinzu; „In zwei Monaten ist bei dir alles vorbei. Wir freuen uns, falls du dann wieder zurück nach Ninina kommst.“
Aarin zog sie an seine Seite. Wie es aussah, hatten sie jetzt noch gerade mal fünf Minuten zusammen. „Pass auf auf dich“, sagte er. „ Halt die Ohren steif und schreib mir viele Briefe. Ich werde dich vermissen.“
„Ich dich auch, “ sagte sie. „Ich komm sobald wie möglich nach.“
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Kapitel 6- April

Vor genau einem Monat war Aarin nach Ninina zurückgeflogen. Inzwischen blühten die Apfelbäume draußen schon rosarot und die Wiese war bereits saftig und grün. Auch am Kirschbaum würden die Knospen bald aufspringen. Es regnete leicht und Lola saß auf ihrem Bett. Sie öffnete ihre Schachtel und holte das Papier heraus. Darauf standen die Zaubersprüche, die sie am Tag von Aarins Abflug fotografiert hatte. Die Fotos hatte sie von der Kamera und ihrem Computer gelöscht. Lediglich die zwei Sprüche die ihr ihre Zauberkraft wieder nehmen würde, hatte sie zuvor abgeschrieben und in der Schachtel aufgehoben. Sie würde sie anwenden, sobald sie nach Ninina zurückkehrte, damit ihr Schwindel nicht aufflog. Oft wenn ihr fad war, probierte sie die Zauber, die sie kannte, der Reihe nach durch. Sie gelangen ihr schon wieder so flüssig wie damals, als sie in Ninina unterrichtet worden war. Einige Male hatte sie Aarin durch beamen zu sich gerufen, aber immer nur in der Nacht, wenn er garantiert nicht beschäftigt oder unter Leuten war.
Sie kramte in der Schachtel und holte den Blumenanhänger heraus, den sie bekommen hatte, als sie nach Hause gebracht worden war. Er war durchsichtig bis auf die milchig weißen Kristalle in der Mitte der Blume. Vielleicht war es ein Amulett und hatte magische Kräfte. Sie legte es sich um den Hals und las die Briefe durch, die sie im letzten Monat von Aarin bekommen hatte. Sie waren mit Tinte und von Hand geschrieben. Am liebsten hätte sie sie eingerahmt und an die Wand gehängt.
Liebe Lola!
Es tut mir Leid, dass ich so überstürzt abreisen musste, aber sei froh, dass du nicht hier bist! Es ist nicht zu fassen, aber Magic und Miracle sind in unserer Abwesenheit zusammengekommen und schmusen nun in aller Öffentlichkeit rum! Es ist ja nicht so, als hätte mich Miracle nicht scheinheilig um Erlaubnis gefragt, ob er meine kleine Schwester knutschen darf, aber ich find´s trotzdem nicht okay… Aber jetzt zu dir; wie geht’s dir denn und wie war die Party bei Benni? Bitte sag, du hast dich nicht betrunken. Tut mir Leid, dass ich nicht dabei sein konnte. Da wollten wir ja ursprünglich gemeinsam hin. Wie geht’s Maria und feiert ihr diese Woche nicht Ostern? Das Fest von dem du mir erzählt hast? Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Eier suchen! Achja; Hat sich der Polizeiinspektor wiedermal gemeldet? Halt dich besser von ihm fern. Ich vermisse dich total. Liebe Grüße auch von den anderen (M&M wie sie sich jetzt nennen, Erine, Anja, Kilian und ein paar andere)Hier bei uns liegt noch Schnee. Der Frühling will einfach noch nicht kommen…
Alles Liebe, Aarin

***
Liebe Lola!
Weil du mich im letzten Brief gefragt hast; Die wilden Magier die vor unserem Haus campen sind alle bis auf eine Ausnahme aus dem Nordreich. Zauberer, ob abtrünnig oder nicht, haben immer schon gerne in der Nähe der Häuser gewohnt. Bei uns ist ja sozusagen das Zentrum der Zauberei und wir bewachen auch das Portal. Eine der Familien, die hier ist, ist aber aus der Wüste. Die Abtrünnigen haben sich viele Monate lang bei ihnen versteckt und bedroht. In Hanin herrscht seit einiger Zeit Einreiseverbot für Nordländer. Ein paar der Oberen sind als geheime Spione dort. Wer weiß was Frau Minna im Schilde führt. Momentan hat sie wohl Angst, wir könnten sie verpetzen. Aber falls sich eine Gelegenheit bietet, wird sie sicher nicht zögern, die Abtrünnigen zu befreien. Sie ist drauf und dran das Parlament zu entlassen und eine Diktatur zu errichten. Ich brauche dir gar nicht weiter zu sagen, wie viel Arbeit es für uns gerade gibt. Die anderen Zweitabschnittler geben Unterricht oder kümmern sich um die Wilden Magier vor unserem Haus. Ich selbst vertrete die Administration. Gestern musste ich nach Anxato fahren um Mariams Bericht abzuholen. Sie hat versprochen die Augen nach dem Verwirrungszauber offenzuhalten und zu checken ob sonst wer davon betroffen ist. Sie richtet dir liebe Grüße aus, hoffentlich passiert ihr nichts. Erzähl was von dir!
Liebste Grüße, Aarin
P.s.: Und natürlich viel viel Glück bei der Matura!! Auch wenn du dir in Französisch Sorgen machst; du packst das schon. Nachdem was ich dich an Vokabeln alles abgeprüft habe kann doch gar nichts mehr schiefgehen, oder?
***
Liebe Lola!
Ein Erstabschnittler hat Miracle im Unterricht den Arm gebrochen. Obwohl er sich sofort selbst heilen konnte, pflegt ihn Magic als wäre er schwerkrank. Er nutzt sie total aus! Hast du eine Idee wie ich ihm eine Lehre erteilen kann? Ich sitze die meiste Zeit im Büro und rufe verschiedenste Menschen an. währen Magic und Miracle gemeinsam Erstabschnittler unterrichten und verliebt umeinander turteln. Das ist so fies! Der Freund des Präsidenten heißt Lukander. Anja besuchte vor Kurzem die Familie seiner Frau. Sie wussten den Namen des Kreuzfahrtschiffes mit dem sie angeblich unterwegs sind… Administratorin Heinz ist mit zwei Kollegen unterwegs um die beiden zu finden. Bis jetzt waren sie nicht erfolgreich, aber sie sagen, es geht ihnen gut und sie genießen die Sonne des Südens. Der große Ozean befindet sich Südwestlich von unserem Kontinent und es gibt mehr als tausend Inseln darin. Sie werden wohl noch eine Weile unterwegs sein bevor sie die beiden finden. Ein bisschen Inselurlaub täte uns beiden auch einmal gut. Was meinst du?
Mit lieben Grüßen, Aarin
Vom Dorfplatz her hörte sie bereits die Kapelle spielen. Schnell legte sie die Briefe zurück in die Schachtel und schloss sie. Sie war mit ein paar Leuten aus ihrer Klasse zum Maibaumaufstellen verabredet. Die Regenjacke ihrer Mutter hing im Vorhaus. Sie zog sie über und ging los. Der Marktplatz war wegen des Regens nicht so voll wie die Jahre zuvor. Der Baum war riesig und der Wipfel leuchtete grün. Die Schleifen daran schienen vom Regen aber schon verwaschen zu sein. Neben der Kapelle entdeckte sie Benni. Er hielt sich die Ohren zu. Lola winkte ihm und sie stellten sich gemeinsam unter einen Baum der den Regen abhielt. „Was hast du?“ fragte sie ihn. Benni war ein netter Kerl und normalerweise ein Sonnenschein. Doch heute wirkte er betrübt. Sein kurzer blonder Iro war nicht gegeelt und ohne den gewohnten Igellook wirkte er jünger als sonst. „Sie hat mit mir Schluss gemacht. Und ich versteh nicht wieso. Sie hat nie so gewirkt als würde sie sich mit mir langweilen.“ Maria kam aus einer Seitengasse und erspähte sie sofort. Sie hatte den kleinen Niklas im Schlepptau und blickte Benni mitleidig an. „Ich hab´s schon gehört,“ sagte sie. „Aber ich wette fünf Mäuse, dass ihr spätestens bei der Maturareise wieder zusammenkommt.“ Der Regen hörte auf und die Stimmung besserte sich ein wenig. Der Baum befand sich bereits in einem fünfundvierzig Grad Winkel und alle schrien „Hau Ruck“. Ein paar anderer aus ihrer Schulstufe gesellten sich zu ihnen und sie diskutierten über die Maturareise. Lola war sich nicht sicher, ob sie mitwollte. Es fuhr nur die Hälfte der Klasse und zwar auf einen All Inklusive Urlaub in der Türkei. Andererseits würde sie ihre Klassenkameraden dann so schnell nicht mehr sehen. Wenn sie erst in Ninina war, konnte sie schlecht Kontakt halten. Außerdem waren es nur fünf Tage und das würde sie schon durchstehen. „Kommt schon, fahrt alle mit“, sagte Veronika, die alles organisierte.
Der kleine Niklas hustete. „Wieso hast du ihn mit rausgenommen obwohl es regnet?“ fragte Benni. „Vielleicht erkältet er sich.“ Maria grinste verlegen. „Es ist besser er geht bei Regen raus als bei Sonnenschein. Er hat eine ziemlich schlimme Pollenallergie. Im Liegen kann er manchmal kaum Schlafen weil seine Atemwege zu schwellen. Der Doktor verordnet ihm bereits Asthmamedikamente.“ Niklas drückte sein Gesicht in den Bauch seiner großen Schwester. Er war nicht gern unter Leuten. Vor allem nicht, wenn sie ihn anstarrten. „Komm, gehen wir darüber“, sagte Maria und zog sie zu einem anderen Baum wo weniger Menschen waren. Lola spann ein Kokon aus Wärmestrahlen um sie drei herum, damit der Kleine nicht doch krank wurde.
„Hallo Monika“, sagte jemand und sie fuhr rasch herum. Es war der Polizeiinspektor. Konnte er nicht jemanden anderen anheuern, der sie bespitzelte? Jemand der nicht dreimal so alt war wie sie und jemand, von dem sie wusste, dass er kein wilder Zauberer war?
„Ich schlage vor, du fährst auf Maturareise. Wer weiß, wann du wieder die Gelegenheit dazu hast unseren Planeten zu besichtigen?“
„Geht dich nichts an“, sagte sie und wandte sich wieder den anderen zu. Eine Hand auf ihrer Schulter hinderte sie daran. „Nur drei Worte, dann bist du mich los. Vergiss nichts was ich über deine Mutter gesagt habe und wie leicht sie ihren Job verlieren könnte.“ Lola hielt inne und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie verärgert sie war.
Sie folgte Inspektor Alex Soundso hinter einen kleinen Transporter wo sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden. „Du hast deine Zauberkräfte wieder. Oder glaubst du, ich habe die Wärme nicht gespürt?“ Sein Lächeln war schleimig aber auch unsicher. „Du hältst mich doch auf dem Laufenden? Wo ist Aarin?“
„Neben mir. Er ist unsichtbar.“ Sagte sie ironisch.
„Tatsächlich? Das geht?“ Er wirte erstaunt als hätte er noch nie was von einem unsichtbar machenden Schutzschild gehört. Lola spürte ein Kribbeln im ganzen Körper; er sandte Suchstrahlen nach Aarin. Vielleicht hatte er den Unsichtbar zauber nie gelernt.
„Er ist gar nicht da, oder?“
Lola antwortet nicht. „Was willst du?“ fragte sie geradeheraus. „Und wer ist dein Informant in Ninina. Du brauchst nicht erwarten, dass ich irgendwelche Geheimnisse preisgebe solange ich dir nicht vertraue.“
„Schade, eigentlich hatte ich gehofft, wir könnten ins Geschäft kommen. Ich habe schon viele Geschichten über die großen Zauber gehört. Offensichtlich besitzt du den, der Magie freisetzt.“ Der grauhaarige große Mann lächelte verlegen. Er war vielleicht groß und kräftig, aber sie hatte die stärkere Persönlichkeit und das wusste er. „Den hab ich verbrannt. Der einzige der mir bleibt ist der, mit dem man sie wieder bindet und der ist wohl kaum einen Tausch wert.“ Sagte sie mit fester Stimme. „Noch ein Wort über die großen Zauber und ich spreche nie wieder ein Wort mit dir.“
„Schade, ich hätte gerne mit dir getauscht.“, sagte der Inspektor gleichgültig. „Dann eben nicht. Bis bald und viele Grüße an deine Eltern!“
Lola war versucht sich noch einmal umzudrehen. Einerseits konnte sie nicht glaube, dass sie ihn tatsächlich abgeschüttelt hatte. Andererseits; wie konnte er es wagen sie zu verhöhnen und weshalb hatte er das letzte Wort betont? Welches Ziel verfolgte dieser Mann? Stand er in Kontakt zu ihrem Vater, zu dem sie schon seit Ewigkeiten den Kontakt abgebrochen hatte?
Ihr Vater war einer von drei Söhnen eines deutschen Paares, das in Ecuador lebte. Er war mit zwanzig Jahren nach Österreich gekommen um eine Ausbildung zum Hubschrauberpiloten zu machen. Er hatte ihre Mutter kennengelernt und sie waren Zusammengezogen. Bis Lola fünf war, hatte er als Rettungspilot für das Rote Kreuz gearbeitet. Ihre Eltern hatten sich gestritten und ihr Vater war zurück nach Ecuador gegangen um als Pilot für eine Chinesische Ölcompany im Amazonasregenwald zu arbeiten, weil er damit das Dreifache verdiente. Ihre Mutter wollte keinen einzigen Cent dieses, ihrer Meinung nach schmutzigen, Geldes sehen und hatte den Kontakt mit ihm abgebrochen.
Auch an Lola waren die Briefe aus dem Regenwald immer seltener geworden und mit der Zeit hatte sie begonnen ihn zu vergessen. Er besaß keine Bedeutung mehr in ihrem Leben und sie dachte kaum an ihn.
Die Leute applaudierten laut. Der Maibaum stand und die verschwitzten Feuerwehrmänner bekamen zur Belohnung riesige Humpen voll Bier. Ein paar Autos wurden rund um den Baum aufgestellt, damit er nicht von Nachbargemeinden gestohlen werden konnte. Maria und Niklas schleckten ein Eis, sie wollten bis es dunkel war noch auf den Spielplatz gehen. Lola hatte keine Lust mehr zu feiern und ging heim. In dem Schanigarten eines Cafés sah sie den Polizeiinspektor mit einer attraktiven Frau sitzen. Sie trug ein helles Sommerkleid bis zu den Knien mit einer roten Strickjacke und legte ihre Hand auf seine. Ihr Herz setzte aus, es war ihre Mutter. Sie drehte sich rasch zur Seite, damit die beiden sie nicht entdecken konnten. Dann sandte sie einen roten Strahl quer über die Straße. Der Kaffe ergoss sich über den ganzen Tisch und spritzte beide gleichermaßen an. Ohne Reaktionen abzuwarten stürmte sie los und rannte nach Hause. Was immer sie tun müsste um dieser Beziehung ein Ende zu bereiten, sie würde es tun.
Kapitel 7- Prüfungen
Morgen war Sonntag. Endlich würde sie Aarin wiedersehen. Wenigstens etwas auf das sie sich freuen konnte. Vor genau einem Monat, in der Woche nach dem Maibaumaufstellen, hatte sie die Noten der Schriftlichen Matura erfahren. Mathe und Englisch hatte sie einen Zweier bekommen, Deutsch und Französisch einen Dreier. Wenn sie bei der Mündlichen Matura die richtigen Fragen bekam, würde sie noch einen Guten Erfolg schaffen. Das hieß einen Notendurchschnitt von zwei erreichen. Am Mittwoch war es soweit. Den ganzen Vormittag über würde sie geprüft werden, am Abend war schon die Feier. Zum Glück hatte sie mündlich nur drei Fächer und es fiel es ihr leicht, sich abzulenken. Lola zückte ihren Stift. Sollte sie Aarin jetzt schon schreiben, was ihr gestern beim Inlineskaten passiert war?
Sie schrieb ein paar Zeilen und strich sie dann aber wieder durch. Es war so viel besser, wenn sie ihn Morgen damit überraschte und es ihm zeigte. Noch nicht einmal Maria hatte sie es erzählt.
Lola stellte sich vor den Spiegeln und dachte an das prickelnde Gefühl und bekam Gänsehaut. Es war Zeit für eine Trainingseinheit im Fliegen! Sie tauschte ihre Hausschlapfen gegen die Schuhe mit Rollen unten dran und skatete bis zum Bauernhof, der schon halb in der Schräge stand. Hier begann eine Straße, die circa hundert Meter steil bergab ging und dann ein Stück den Bach entlang, der ein wenig stromabwärts dann durch ihren Zauberwald floss. Es hatte gerade erst ein Sommergewitter gegeben und die Straße war noch naß. Trotz des heftigen Regengusses von vorhin hatte es nicht richtig abgekühlt und es war noch immer heiß.
Sie gewann an Geschwindigkeit. Die Härchen ihrer Arme stellten sich im kalten Abwind auf. Würde sie gleich wieder Schwingen bekommen? Oder zu einem Vogel schrumpfen und abheben? Es klappte nicht. Vielleicht durfte sie nicht so angestrengt an das Gefühl denken. Unten angekommen fuhr sie ein wenig weiter bis zum Ende der Straße, wo es einen Ponyhof gab. Ab hier war die Straße nichtmehr asphaltiert und sie musste umkehren. Beim bergauffahren der steilen Strecke kam sie ins Schwitzen. Die Straße war noch nass vom Regen davor und die Sonne war hinter einer großen grauen Wolke. Dennoch war es warm. Ein paar Mücken schwirrten um ihren Kopf. Sollte sie es noch einmal versuchen? Gestern war sie unabsichtlich an einem Stein hängengeblieben und fast gestürzt. In dem Moment hatte sie breite Schwingen bekommen die ihre geholfen hatten das Gleichgewicht zu halten. Absichtlich zu stürzen traute sie sich nicht. Aber sie wollte sowas von unbedingt Fliegen lernen! Dan würde man sie nie wieder berücksichtigen wenn die Magier auf eine Mission flogen und sie konnte dann alle überraschen!
Kurz entschlossen drehte sie sich um und ließ sich nocheinmal hinunterrollen. Sie machte keine einzige kleine Kurve, sondern fuhr im Schuss dahin. Es wäre sowas von göttlich wenn sie jetzt einfach abheben würde! Von unten kam ein Auto, die Straße war schmal und sie musste ganz an den Rand um den Auto auszuweichen. Die Wolke riss auf und die Sonne blendete ihre Augen. Ein Stückchen musste sie noch auf die Seite, damit sie nicht geradewegs in das Auto fuhr, das inzwischen schon bremste. Sie riss ihren Schuh herum und zischte knapp neben dem Seitenspiegel vorbei. Juhu, geschafft! Sie versuchte mit den schweren Rollschuhen zu springen und machte einen kleinen Hopser. Als sie mit den Schuhen wieder aufkam gab es einen Ruck in der Gegend ihres Bauchnabels. Etwas zog sie zusammen. Ihr Füße und Arme wurden zusammengestaucht. Ihr Kopf wurde in eine kleine Form gepresst und ihre Nase wurde zu einem krummen kleinen Schnabel. Das Einzige was gleichgroß blieb, waren ihre Augen, die alles viel Schärfer sahen.
Wild flatterte sie mit den Flügeln. Sie war mit so großer Geschwindigkeit die Straße runter gesaust, dass ihr nun kleiner Vogelkörper sich ernsthaft verletzen würde, falls sie auf die Straße aufprallte. Sie flog nur einen halben Meter über dem Boden dahin und sie tat das Beste um mehr Distanz zwischen sich und den Asphalt zu bringen. Ihre Schwingen bremsten den ärgsten Schuss ab, aber dennoch war sie noch sehr schnell. Sie wollte sich mit den Vogelfüßchen abbremsen, doch sie hatte keine Schuhe mehr an und es würde vermutlich total brennen oder sie würde sich überschlagen. Sie kippte zur Seite, was sollte sie tun? Eine Windböe erfasste sie und sie landete unsanft im feuchten, nach Gülle stinkenden Acker neben der Straße.
Ihre Schulter schmerzte nur wenig, am Asphalt wäre das viel schlimmer gewesen. Alles sah so groß aus! Und die Perspektive war so ungewohnt! So, als würde sie bäuchlings im Gras liegen und die Baumkronen waren weiter weg als sonst. Sie musste viele neue Sinneseindrücke verarbeiten. Ihre Ohren hörten besser; sie konnte einen Käfer den Grashalm hinaufklettern hören. Die Farben waren anders. Sie wusste nicht, ob sie heller oder dunkler waren. Doch alles hatte irgendwie einen Blaustich. Ihre Füßchen waren total klein. Sie hatte Krallen und eine davon war da wo sie eine Ferse vermutet hätte. Sie versuchte ein paar Schritte zu gehen. Es war schwierig und sie konnte nur mithilfe ihrer Schwingen das Gleichgewicht halten. Es fühlte sich an, als konnte sie ihre Arme nicht ausstrecken. Ihre Armknochen wurden durch ein breites Band aus Muskeln zusammengehalten wo die Federn feststeckten. Am Merkwürdigsten fühlte sich der Bereich an, wo sie ihre Hände vermuten sollte. Sie besaß pro Hand nur noch einzigen Knochen mit ein paar Knorpeln. Zusätzlich wurde dieser Knochen durch die Muskeln in einem merkwürdigen Winkel nach hinten gebogen.
Wenn sie nach etwas greifen wollte, musste sie also ihre Füße zu Hilfe nehmen. Sie versuchte einen kleinen Stein zu krallen. Sie konnte ihn nicht gut sehen und musste den Kopf komisch verrenken. Sie musste den Kopf jetzt dauernd verrenken um zu sehen, was sie sehen wollte. Ihr Schnabel war klein und sie versuchte etwas zu sagen. „Iiikr kreise Monikra“ krächzte sie. Immerhin schienen ihr die Stimmbänder zu gehorchen. Mit etwas Übung bekam sie das hin. Doch jetzt wollte sie fliegen. Es war schon spät und in spätestens einer halben Stunde würde es dunkel sein.
Sie stieß sich mit den Füßen vom Boden ab und flatterte einen Meter. Dann versuchte sie es noch einmal und noch einmal. Ein paar Meter konnte sie zwar fliegen, aber so richtig in die Luft aufsteigen konnte sie kaum. Ihre Muskeln waren die Bewegungen noch nicht gewohnt und außerdem fiel es ihr schwer, das Gleichgewicht zu halten. Der Wind fuhr ihr unter die Schwingen und wollte sie hochheben. Es überraschte Lola sehr und sie bekam es mit der Angst zu tun. Also zog sie die Schwingen an den Körper und plumpste zur Erde. Der Aufprall fühlte sich an, als würde sie explodieren und all ihre Glieder wurden durchgeschüttelt. Erst eine Sekunde später erkannte sie, dass sie wieder zu einem Menschen geworden war. Zitternd stand sie auf, wobei sie sich sehr anstrengen musste, weil sie wieder die Inlineskates trug. Langsam stapfte sie über den Acker zurück zur Straße, wo sie sich die nasse Erde und ein paar Steinchen aus den Rollen kratzen musste, bevor sie fahren konnte. Es fühlte sich gut an, wieder ein Mensch zu sein. So, als hätte sie sich aus einem engen Schlauch befreit und von der Raupe zum Schmetterling geworden.
***
„Aaaaakrin!“
„Was?“ Aarin wollte gerade auf die Klingel drücken als er sie im Fenster des ersten Stocks entdeckte. Seine Augen weiteten sich. „Bist das du?“
Sie nickte aufgeregt mit ihrem kleinen Vogelkopf. „Überkraaaschung!“ Wie ein Stein plumpste sie hinunter. Vielleicht nicht ganz so schnell. Mit den Flügeln steuerte sie ein bisschen auf die Seite und im nächsten Moment saß sie auf seinem Kopf.
„Au!“ schrie der Arme und sie rutschte hinunter auf seine linke Schulter.
„Tut mir leid, ich kran nix dakfür.“ Sie verlor endgültig das Gleichgewicht und krallte sich noch fester in Aarin´s Schulter. Er nahm sie schnell zwischen seine großen Hände und setzte sie auf den Boden wo sie auf und ab hüpfte. „Bist du beeindruckt?“
„Natürlich Schatz. Das ist ja fabelhaft!“ Er sah wirklich gut aus. Endlich konnte sie wieder in diese unendlich lila Augen blicken. Er trug ein weißes Shirt und die gewohnten schwarzen Hosen. Seine Haare waren von ihr so richtig durchgewuschelt worden und es hing eine ihrer Federn darin. Er ging in die Hocke damit er besser mit ihr reden konnte.
„Wie kronnte ik es nur zwei Kronate ohne dich auskralten!“ krächzte sie aufgeregt und schnabelte aufgeregt nach einem Ästchen das sie Aarin zuwarf. Diesen Trick hatte sie sich gerade oben in ihrem Zimmer mit einem Bleistift eingelernt.
Aarin war noch immer baff. „Ähm. Ja. Ich freu mich auch ganz ordentlich, dass ich dich wieder sehe. In, ähm, Vogelform.“ Er grinste.
„Achsro, du willst mit mir kruuuutschen, strimmts?“ Sie sprang in die Luft, streckte ihre Füßchen nach vorne und ließ sich auf den Rücken fallen. Mist. Vorhin hatte es funktioniert, dass sie sich dabei in einen Menschen verwandelt hatte. Jetzt lag sie wie ein Mistkäfer am Rücken und ihre Flügel waren eingeklemmt. Mit aller Kraft versuchte sie die Schwingen zu öffnen und sich so vom Boden wegkatapultieren. Es funktionierte genau in dem Moment , als Aarin sich über sie beugte und sie landete mit ihren Krallen genau in seinem Gesicht. Erschrocken ließ sie sich wieder zurückfallen und diesmal wurde sie wirklich zu einem Menschen.
„Aua.“ Aarin hatte ein paar dicke rote Striemen in seinem vor Schmerz verzerrten Gesicht, aber er war gerade dabei sie wieder zu heilen.
Lola schlug sich die Hand vors Gesicht. „Es tut mir total Leid, wirklich.“ Sie hätte vor Scham im Erdboden versinken können. Sie wollte sich aufrichten, aber Aarin kniete noch immer über ihr.
„Machst du das wieder gut? Krieg ich einen Kuss drauf?“ Er zeigte auf den letzten gerade verblassenden roten Strich.
„Macho“, antwortete Lola. Natürlich hatte sie gerade das vorgehabt. „Okay! Aber zuerst bekommst du die dickste Umarmung der ganzen Welt.“ Sie richtet sich halb auf und umarmte Aarin stürmisch. Er war aber nicht vorbereitet und landete neben ihr in der Wiese, wo sie noch eine Weile liegen blieben und Neuigkeiten austauschten.
„Was sagt deine Mutter dazu, dass du fliegen kannst?“
Ein Marienkäfer krabbelte über ihren Finger. Sie setzte ihn auf Aarins Knie. „Nichts. Ich habe es ihr nicht erzählt. Sie weiß nicht einmal, dass du hier bist. Sie ist bei Inspektor Alex.“
„Wie lange geht das schon so?“
„Erst seit kurzem. Ich glaube er will sich über sie an mich ranmachen, damit ich ihm irgendetwas verrate. Auf was er eigentlich hinauswill ist mir schleierhaft. Aufjedenfall erzählt meine Mutter ihm brühwarm alles was ich ihr sage.“
Wie auch schon den Tag zuvor war es heiß, aber auch schwül. Je höher die Sonne stieg, desto heißer wurde es. Sie gingen hinein, wo es kühler war. Am Boden lagen die Hefte, Mappen und Bücher, die sie fürs Lernen brauchte. „Wann genau ist die Prüfung?“ fragte Aarin.
„Am Mittwoch.“ Sie seufzte. Deutsch und Englisch kann ich schon. Aber Biologie ist sooo viel. Den Montag und Dienstag hab ich noch zum Lernen. Ich wird´s schon schaffen. Und wenn du mich nachher vielleicht ein paar Sachen abprüfst? Es macht mich nervös nichts zu tun.“
„Klar“, sagte Aarin und küsste sie.
Um ein Uhr stellten sie Wasser für Spagetti auf und Lola machte Käsesauce. „Ist, dass ihr endlich Lukander gefunden habt, der Grund dafür, dass du heute frei bekommen hast?“ Sie nahm Magie zur Hilfe um sich die Reibe für den Käse zu angeln. Geschickt fing sie sie auf. Aarin nickte anerkennend. Oder vielleicht nickte er auch als Antwort auf die Frage.
„Ja. Morgen trifft die Crew mit ihm in Anxato ein. Wir haben alles Vorbereitet und sind bereit den Präsidenten zur Rede zu stellen. Am wichtigsten ist, herauszufinden ob er hinter dem Verwirrungszauber steckt. Mariam hat noch nichts gefunden, aber wir nehmen an, dass er den Fluch plus Gegenzauber irgendwo versteckt hält. Ab Morgen wird also wieder die Hölle los sein.“
„Bedeutet da, dass du nicht zu meiner Matura kommen kannst?“
„Ich werde es probieren. Aber versprechen kann ich nichts. Welches Datum kommst du von der Maturareise zurück?“
„Wir fahren die ganze letzte Juniwoche. Hier ist ein Folder des Hotels.“ Sie reichte ihm Werbung für den All Inklusive Club. „Ich werde mein Handy eingeschalten lassen, falls du versuchst mich zu erreichen.“
Aarin steckte den Folder in seine Hosentasche. Fünf Minuten später servierte Lola das Essen. Es schmeckte lecker und danach lernte sie mit Aarin Biologie. Um fünf Uhr sahen sie in der Einfahrt das Auto des Inspektors. Aarin legte eine Schutzhülle um sie beide, damit er sie nicht entdecken konnte. „Es ist besser ich gehe, mir ist es lieber, dass deine Mutter es ihm nicht weitererzählt, dass ich hier gewesen bin.“ Er drückte sie an sich und flog dann zum Fenster hinaus.
***
Die Kette mit dem großen Blumenanhänger lag schwer um ihren Hals. Sie war kühl und beruhigte Lola. Es war ein Amulett, hatte ihr Magic bei einem ihrer Besuche hier in Sankt Franz erklärt. Es hielt angeblich alles Böse fern und Lola war sicher, dass es auch gegen Lampenfieber half.
Bitte waren es gute Fragen bitte waren es gute Fragen. Der Biologielehrer reichte ihr die Zettel und erklärte ihr die Fragestellungen. Gottseidank. Die Fragen waren beantwortbar. Falls man ihr keine trickreichen Zwischenfragen stellte, würde sie auch diese letzte Prüfung mit Bravour meistern. In Englisch und Deutsch hatte sie schon einen Einser, fehlte nur noch Biologie. Ihre Klassenkameradin Elisa war gleich fertig und sie war dran. „Klopf Klopf.“ Auf dem Fensterbrett saß Aarin. Sie strahlte, er war gekommen. Er verschwand wieder. Eine Minute später ging die Klassentür auf und er kam herein. Die Lehrer musterten ihn verstohlen, Lola warf ihm eine Kusshand zu. Ihr Spezialgebiet hatte sie über Vögel geschrieben. Der Professor bat sie zum Tisch und die Prüfung begann.
„Die Fähigkeit sich selbst im Spiegel zu erkennen ist nur ein Beispiel weshalb Raben die schlauesten aller Vögel sind. Sie wurden sogar schon dabei beobachtet wie sie Nüsse auf die Straße legten um sie von den Autos knacken zu lassen. Wenn die Ampeln dann auf rot schaltete holten sie sie sich wieder.“ Immer wieder streiften ihre Blicke zu Aarin. Er lächelte ermutigend.
Geschafft! Sie hatte es Geschafft! In allen drei Fächern mündlich einen Einser! Das bedeutete sie bekam einen Guten Erfolg! Die Professoren schüttelten ihr der Reihe nach die Hände. „Gehen wir was trinken?“ fragte die rothaarige Elisa und zog sie zur Tür wo Aarin und andere aus ihrer Klasse auf sie warteten. Am Gang wartete Maria, sie war gleich dran und furchtbar nervös. Lola sprach ihr Mut zu und rief dann ihre Mutter an um ihr zu sagen, dass es gut ausgegangen war. „Gehen wir was trinken?“ fragte Elisa noch einmal und sie sagte zu. Aarin kam auch mit und sah mit seinen dunklen Kontaktlinsen sehr geheimnisvoll aus. Elisa sah ihn immer wieder mit verstohlenen Blicken an. Es war also nicht nur ihr aufgefallen. Sie tranken einen Cocktail obwohl es erst Vormittag war und erzählte sich gegenseitig wie es ihnen bei welcher Frage gegangen war. Sie liebte dieses Hochgefühl, dass sie bis jetzt immer an den Enden ihrer bisherigen Abenteuer gehabt hatte; als sie aus der Gefangenschaft der Abtrünnigen gerettet worden war, als sie die Geiseln vom Blutschwur erlöst hatte und auch, als sie nach sehr langer Zeit nach Hause zurückgekehrt war. „Es ist gleich zwei Uhr, meine Mutter ist gleich zum Mittagessen zuhause. Sie bringt Pizza mit!“ Sie zahlten und machten sich Arm in Arm auf den Heimweg. Auch Aarin hatte super Laune.
„Du weißt ja, ich habe vermutet, dass ich so schnell nicht wiederherkommen kann. Aber die Oberheilerin mir eine kleine Mission hier auf der Erde verschafft!“ er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und sie gab ihm ein Küsschen auf die Wange. Es war heiß und er roch ein bisschen nach Männerschweiß.
„Erzähl! Und lass mich ja teilhaben an dieser Mission. Ich habe alle Energie der Welt und noch eine Woche Zeit bis zur Maturareise!“
„Okay. Zuerst ein Lagebericht aus Ninina. Der Premierminister meint, er hatte mit dem Verwirrungszauber nichts zu tun und er spielte sehr erschrocken, als er Lukander und seine Frau in diesem Zustand sah. Sein Büro wurde durchsucht und wir haben den Verwirrungszauber nirgends gefunden. Ein Team wurde zu den Abtrünnigen ins Gefängnis geschickt um aus ihnen herauszuquetschen, ob sie etwas über den Zauber wissen und ob sie an der Aktion beteiligt gewesen waren. Wir gehen aber trotzdem davon aus, dass der Premierminister dahinter steckt. Zwei Obere und Mariam überwachen jeden Schritt den er tut bis wir mehr wissen. Und genau deswegen bin ich hier. Du erinnerst dich daran, dass die Sammlung der Verbotenen Flüche hier auf der Erde entstanden ist und verloren ging? Wir gehen davon aus, dass dieser Verwirrungszauber aus dieser Sammlung stammt. Was wir mehr als alles andere brauchen ist vor allem ein Gegenzauber, damit wir Lukander fragen können, wer ihm den Fluch aufgehalst hat. Und; ich soll hier auf der Erde nach ihm suchen; vielleicht ist er wirklich hier!“
„Hört sich gut an“, sagte Lola. „Hast du schon einen Plan? Bitte sag mir, dass er spannend ist. Ich habe Lust auf Action.“
„Die Oberheilerin glaubt, dass ich die Ruinen und Umgebung durchsuchen werde. Das habe ich auch vor, aber zu aller erst will ich den Freund deiner Mutter checken. Sie ist davon überzeugt, dass er ein guter Mensch ist. Aber wir mögen diesen Alex-Inspektor Typen beide nicht. Es ist an der Zeit herauszufinden, wer er wirklich ist. Außerdem; du hast mir erzählt, er wollte dir beim Maibaumaufstellen einen Tauschhandel anbieten. Was ist, wenn er gar keinen großen Zauber besitzt sondern einen Fluch? Ich traue ihm sogar zu, dass seine Kontaktperson in Ninina Milton ist. Ich finde, wir sollten das herausfinden.“
„Ich bin voll dafür! Du hast Recht! Bis jetzt habe ich gar nicht daran gedacht, dass der Präsident Ninina sich mit jemanden wie Alex abgibt. Aber wenn ich´s überdenke war er als Schüler und später als Lehrer immer wieder in der Nähe des Portals. Zeit genug für ihn sich im Geheimen Kontakte zur Erde zu knüpfen.“
Sie bogen in ihre Straße ein und sie sah ihre Mutter aus dem Fenster winken. „Gratuliere Schatz!“ schrie sie so laut, dass es bestimmt die ganze Siedlung hören konnte.
***
Ihre Mutter hatte sich sehr darüber gefreut, Aarin wieder zu sehen und sie nach dem Essen taktvoll in Ruhe gelassen. Sie hatten einen Plan geschmiedet und Lola war ganz aufgeregt ihn am Abend in Tat umzusetzen. Doch jetzt aßen sie erst Jause und in einer Stunde musste sie zur Maturafeier wieder in der Schule sein.
„Tataaa hier ist die Torte.“ Sagte Susanne Mur und stellte ihre Eigenkreation aus Biskuitteig, Früchten und Topfencreme auf den Tisch. Obenauf war sie mit noch mehr Früchten, Schokostreuseln und Biskottenhälften garniert. Die Torte war geradezu typisch für ihre liebe, aber chaotische Mutter.
Schweigend aßen sie die Torte, während im Radio ein fröhliches Lied spielte. Noch eine Stunde bis zur Maturafeier. Inspektor Alex war von der Arbeit aus in der Hauptstadt Wien. Doch er hatte ihrer Mutter am Handy versprochen, dass er auf ihrer Maturafeier aufkreuzen würde. „Schön, dass du dich jetzt doch mit ihm verstehst und ihn sogar einlädst“, hatte ihre Mutter gemeint, die ihr plötzliches Interesse an ihrer Romanze falsch gedeutet hatte.
Aarin half ihr, sich das enganliegende Kleid aus glänzendem, dunkelgrünem Stoff anzuziehen. Sie hatte es extra für die Feier von ihrer Mutter bekommen und hatte sogar passende Schuhe. Aarin hatte sie noch nie so schick gekleidet gesehen und würde sobald nicht wieder die Gelegenheit dazu haben. Er sagte ihr, dass das Kleid toll aussah und sie fühlte sich richtig sexy.
Frau Mur, Aarin und Lola setzten sich neben die Familien von Maria und Bernadette. Maria hatte ebenfalls einen guten Erfolg geschafft und war wie die meisten ganz aus dem Häuschen. Nur zwei aus ihrer Klasse hatten die Prüfung vermasselt und waren zuhause geblieben. Ihr Klassenvorstand hielt eine Rede und lobte besonders die Leistung von der Tussi Lisa, die als einzige einen Ausgezeichneten Erfolg geschafft hatte und auch immer Jahresbeste gewesen war. Lola stupste Aarin an. Alex war noch nicht aufgetaucht. „Monika Mur!“ sagte ihr Klassenvorstand und sie stand auf um sie ihr Zeugnis zu holen. Sie ließ ihren Blick durch den Saal schweifen, aber der Inspektor war noch immer nirgends zu sehen.
Nun hielt der Vorsitzende der Prüfungskommission eine Rede und wünschte ihnen eine schöne Maturareise. Die begabte Elisa sang noch ein Lied und dann wurden sie zum Sektempfang eingeladen.
„Alex!“ Ihre Mutter warf sich dem Inspektor in Uniform in die Arme. War das peinlich, mussten gleich all ihre Mitschüler davon wissen? Immerhin war er gekommen. Jetzt mussten sie die beiden nur noch davon überzeugen, dass sie schon auf die Party in die Disco gingen und dass die Erwachsenen alleine auf dem Sektempfang bleiben sollten.
+++
Der Zug fuhr langsamer weil er eine Kurve fahren musste. „Nächster Halt Hagenhof“ sagte der Schaffner durch die Lautsprecheranlage und der Zug stoppte. Obwohl Hagendorf nur zehn Fahrminuten entfernt lag, kannte sie sich hier kaum aus. Sie beugte sich über die Straßenkarte und wies den Weg. Gute Fünf Minuten gingen sie parallel zu den Gleisen. Danach bogen sie Richtung Dorfzentrum ab. Es gab nur spärliche Beleuchtung und ihre Schritte hallten in dem kleinen Gässchen wieder. Sie bogen um eine Ecke und standen vor einer spitzen gotischen Kirche. Ab jetzt war der Weg leicht zu finden; sie brauchten nur noch bergab bis zu dem kleinen Plätzchen mit der großen Eiche in der Mitte gehen.
Der Baum war groß und dick. Ein Schild erklärte, dass er unter Naturschutz stand. Inspektor Alex besaß die Wohnung neben einer Anwaltskanzlei und eines der Fenster im ersten Stock war offen. Viele Leute schliefen im Sommer bei offenem oder gekipptem Fenster; sie mussten leise sein. Aarin spürte die umliegenden Häuser nach Zauberern ab. Ein Netz aus blauen feinen Fäden entstand rund um den Baum. Schade, dass man nicht unsichtbar zaubern konnte. Dann flog Aarin hinauf um einen Blick durchs offene Fenster zu erhaschen. „Es ist ein altes Ehepaar, es schläft tief und fest. Ich werde dir besser die Türe öffnen damit du mit deinen Flugkünsten nicht alle aufweckst.“ Phu, Glück gehabt, sie musste nicht fliegen. Eine halbe Minute später öffnete sich die Haustüre und sie schlüpfte schnell hinein. Die Wohnungstür zu Alex Wohnung stand offen. Innen sah es ein wenig chaotisch aus. Die Möbel waren bunt zusammengewürfelt und niemand hatte darauf geachtet die Farbe der Vorhänge und Teppiche aufeinander zustimmen. Sie übernahm das Wohnzimmer während Aarin das Schlafzimmer durchsuchte. Am Boden lagen einige Bücher, und eine bereits geöffnete Schachtel Keks lag dazwischen. Alex letzte Lektüre war ein Detektivroman auf Italienisch gewesen, für das er ein Wörterbuch benutzt hatte. Sie blätterte durch sie Seiten und entdeckte nichts Ungewöhnliches. Am Sofa stapelte sich frisch gebügelte Wäsche und ein Bügeleisen stand daneben. Über dem Sofa gab es eine kleine Leselampe die sie anknipste. Ansonsten gab es neben einem schon veralteten Fernseher einen Bücherschrank und eine Kommode mit einem alten Familienfoto obenauf. Alex hatte wie es aussah Zwillingsschwestern und einen Vater der ebenso hochgewachsen war wie er. Sie kümmerte sich zuerst um die Kommode, für den Schrank würde sie mehr Zeit brauchen wenn sie jedes einzelne Buch herausnehmen wollte. In der Kommode waren vor allem Erinnerungsstücke. Muscheln vom Meer, ein altes zusammengerolltes Poster von einem Rockstar, den sie nicht kannte, eine Sparbüchse in Form eines Motorrades und ähnliches. Sie öffnete die nächste Schublade. Sie erkannte Zeichnungen von Ninina. Hier war das Nordhaus und hier war Schloss Hanin abgebildet. Sie fand auch noch eine Zeichnung, das ein Mädchen mit braunen Locken und nachtblauen Augen zeigte. Sie konnte nicht sagen, ob es sich um eine Ninianerin oder eine Erdenbewohnerin handelte. Auf der Rückseite stand das Datum. „10. August 1980.“ Es war in etwa zehn Jahre vor ihrer Geburt gemalt worden. Ansonsten fand sie keine Hinweise auf Ninina in der Kommode und begann den Bücherschrank zu durchforsten. Inspektor Alex besaß viele Detektivromane. Manche davon waren schon sehr alt und bestimmt aus seiner Schulzeit, vielleicht hatte er sie auch von seinem Vater geerbt. Über Technik fand sie auch viele Sachen. Autos, Motorräder, Flugzeuge, bizarre Erfindungen, alles war vorhanden. Natürlich auch Bücher über Waffen, die für einen Polizisten wahrscheinlich Pflichtlektüre waren.
Der Fußboden hinter ihr knarrte. Sie hatte Aarin nicht gehört, der leise durch die Tür hereingekommen, vielleicht auch geflogen war. „Hast du was entdeckt?“
„Nein. Was wir bräuchten wäre ein Tagebuch. Irgendetwas, woraus wir erkennen können was für ein Mensch er ist und ob er die Flüche besitzt.“ Es stimmte. Eine Fluchsammlung würde er nicht offen herumliegen lassen. Ein Tagebuch aber eben so wenig. Außerdem konnte sie nicht glauben, dass Alex eins schrieb. Er war ein viel beschäftigter Mann.
„Begutachten wir seinen Computer“, sagte Aarin und fuhr ihn hinauf. Er hatte an ihrem Laptop geübt. Es gab zwei Benutzerkonten. Eines davon war für Besucher und ohne Passwort. Wahrscheinlich würden sie nichts finden, aber sie klickten trotzdem darauf. Sie fanden nicht viel, außer eine Galerie von gescannten Zeitungsausschnitten über diverse Verbrechen. Es hatte keinen Sinn mehr weiterzusuchen weil Alex schon jeden Moment zurücksein konnte. Sie glaubten zwar, dass er mit ihrer Mutter noch etwas trinken gegangen war, aber mit seinem Auto konnte er schnell zurücksein. Sie hatten durch das Warten auf den Zug viel Zeit vergeudet.
Was war das? „Hey! Ein Buch der alten Reihe!“ Sie hatte es in einem Stapel Bücher entdeckt, der auf dem Boden stand. Sie öffnete es und wollte es gleich zu lesen beginnen. Was es diesmal für Geheimnisse enthüllte. Das letzte Abenteuer hatte sie nur so glorreich überstanden, weil ihr das Buch ihrer Tante die Schlüsselidee geliefert hatte. Sie beschlossen es mitzunehmen und waren schlagartig besserer Laune.
Sie kehrten zurück zu der kleinen, ganz aus Stein gebauten Bahnhaltestelle. Sie hatten ein Buch der alten Reihe aufgespürt, einen kleinen Adrenalinschub bekommen und für kommende Missionen geübt. Es gab noch einen Nachtzug der um elf Uhr dreißig fuhr und sie mussten noch eine halbe Stunde warten. Die Luft war trotz der späten Stunde noch warm und es fühlte sich angenehm an. Die drückende Hitze des Tages war verschwunden. Auch der Stress fiel von ihr ab. Was für ein Tag; den ganzen Vormittag lang hochkonzentriert um die wichtigste Prüfung ihres bisherigen Lebens zu bestehen. Den Nachmittag mit Aarin Pläne schmiedend auf ihrem Zimmer verbracht, die Feier und jetzt noch diesen Ausflug. Sie war tod müde und legte ihren Kopf in Aarin´s Schoß. Er massierte ihre Kopfhaut und sie wäre bestimmt eingeschlafen wenn nicht alle fünf Minuten ein Güterzug vorbeigedonnert wäre. Das Buch hatte sie sich in ihrer Jacke eingeschlagen und am nächsten Tag würden Aarin und sie eine Lesestunde einlegen. Sie freute sich schon darauf.
Jemand näherte sich mit schlurfenden Schritten und sie erkannte durch halbgeöffnete Augen den Sandler, der sich immer einen anderen Bahnhof in der Umgebung zum Übernachten suchte und wie ein Wasserfall redete wenn er ein Opfer gefunden hatte. Er setzte sich auf die Bank gegenüber und quasselte Aarin zu, während sie weiterhin versuchte zu schlafen. „Ein feiner Typ der Inspektor. Hat mich aus dem Kittchen geholt und sagt dem Putzpersonal, dass sie mich bis sechs Uhr morgens schlafen lassen sollen.“ Aarin fragte den Sandler nach dem Inspektor aus. „Kannte seine Schwestern. Waren Zwillinge und kamen genau nach der Mutter. Wussten jedem Mann den Kopf zu verdrehen und heirateten ins Ausland. Sein Vater war komisch. Auch Inspektor und arbeitete rund um die Uhr. Besonders interessiert in alles was paranormale Fähigkeiten betrifft. Hatte eine Schraube locker.“ Der Obdachlose redete und redete. Lola war froh als der Zug einfuhr und sie ihn los wurden. Zuhause angekommen fragte Aarin sie, ob sie noch zur AfterMaturaParty wollte, aber sie war zu müde und musste sich echt zusammenreißen nicht in der Bahnhofshalle zu schlafen sondern mit dem Aarin- Vogel auf der Lenkstange nach Hause zu radeln.
***
„Guten Morgen Schlafmütze!“
„Lass mich Aarin, die Sonne ist bestimmt erst vor Fünf Minuten aufgegangen.“
„Nein; es ist schon Mittagessen und deine Mutter wartet auf uns.“
Murrend zog Lola sich Jeans an, die knapp unter den Knien aufhörten und ein schwarzes Spaghetti-Top. Sie hatte gestern kaum etwas getrunken aber ihr Kopf fühlte sich an, als würde er gleich zerplatzen. Vielleicht hatte sie einen Sonnenstich. Wo waren ihre Ohrringe? Sie hatte sie gestern gemeinsam mit dem geklauten Büchlein, das noch da war, auf dem Nachtkästchen abgelegt. Sie öffnete die Schublade wo sie ihren Schmuck aufbewahrte. Vielleicht eine tiefer wo sie ihre Unterwäsche aufbewahrte? Sie durchwühlte die Socken. Das konnte nicht sein, unten drunter bewahrte sie doch auch… „Aarin, hast du die Sprüche?“ Aarin, der geduldig in der Tür gewartet hatte trat zu ihr. „Oh Nein.“
Es war höchst illegal einen der großen Zauber zu kopieren. Sie hatten es getan, da es sicherer war, dass Lola wieder Zaubern konnte. Es hätte sein können, dass der Inspektor etwas Übles mit ihr vorgehabt hätte. Und jetzt waren die zwei verbliebenen Sprüche; die, die ihre Zauberkraft und ihre Gabe zu beamen bannte, verschwunden.
„Er hat sie“, zischte Lola. „Wie dumm konnte ich sein! Beim Maibaumaufstellen habe ich gesagt, ich hätte keine Sprüche die ihn interessieren; nur die die ich brauche um meine Zauberkräfte wieder zu bannen. Shit.“
„Wir müssen die Sprüche sofort wiederhaben! Am besten, wir brechen gleich auf“; sagte Aarin. Normalerweise brachte ihn nichts so schnell aus der Fassung, doch jetzt bemerkte sie einen dringenden Unterton in seiner Stimme.
„Essen fertig!“ schrie ihre Mutter von unten und ihrer beider Bäuche knurrten simultan.
„Okay, noch nicht gleich“, korrigierte Aarin und sie machten sich auf den Weg nach unten.
***
Die Lasagne hatte himmlisch geschmeckt und sie hatten jede Menge gegessen. Vor allem Aarin hat eine Riesenportion in sich hineingeschoben. Ihre Mutter hatte als Nachspeise Pudding gemacht. Beim bloßen Anblick wurde ihr schon schlecht. Überhaupt war ihr etwas übel, vielleicht hing es mit der Überanstrengung gestern zusammen. „Ich kann nicht mehr,“ seufzte sie und ließ sich zurücksinken während Aarin noch futterte. Oweia es wurde ihr nun wirklich übel, ihr Bauch krampfte sich zusammen. „War in der Lasagne irgendwas? Oder im Pudding?“ Aarins Gesicht hatte an Farbe verloren. Er war käseweiß.
Ihre Mutter grinste komisch. „Mum, wieso lächelst du so blöde?“ Im nächsten Moment wurde sie sich bewusst, dass sie das schon einmal gesagt hatte. Oh nein oh nein oh nein. „Mama!!“ schrie sie und stürzte sich auf ihre Mutter. „Was hat Alex mit dir gemacht! Sag´s mir!!“ Ihre Mutter antwortete nicht und sah sie bloß mit diesem schiefen Grinsen an. Oweia, warum war ihr das nicht vor dem Essen aufgefallen. „Aarin, was tun wir!“ rief sie verzweifelt und schmiss vor lauter Aufregung ein Glas um, das auf dem Tisch stand. Aarin verfolgte den auf sich zu rinnenden Saft mit langsamen Augen, aber tat nichts dagegen. Ohne Vorwarnung klappte er zur Seite und blieb reglos liegen.
„Komm raus du Mörder wo immer du bist!“ schrie Lola und richtete beide Fäuste gegen die Tür, bereit mit ihrem Stärksten Zauber zuzuschlagen falls Alex hereinkam. Die Tür bewegte sich nicht. Ihre Mum sah sie von der Seite her an, ohne irgendetwas zu verstehen. „Schatz, da ist ein Mann zum Fenster reingekommen. Kennst du ihn.“ Ein Sabberfaden hing ihr übers Kinn.
Lola hatte keine Zeit mehr sich umzudrehen. Eine dicke Schlinge legte sich um ihren Körper und hielt sie fest. Instinktiv versuchte sie sich mit den Händen zu befreien. Wusste sie einen passenden Zauber? Ohja. Einen der immer funktionierte. Rasch schloss sie ihre Augen und dachte an Magic. Es legten sich zwei Hände auf ihren Kopf und begannen einen Spruch zu sagen, den sie bereits kannte. „Die Kraft deines Blutes sei die Gleiche, aber gefangen hinter….“ In dem Moment als Alex ihr die Hände auf dem Kopf gelegt hatte, war das bunte Netz aus Strahlen aufgetaucht, die jedoch nicht leuchteten, und sie hatte gespürt, wie ihr Zauber versagte. Sie konnte sich nicht einen Millimeter rühren während sie sich in dem großen Zauber befand. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet, aber sie hatte einen Zipfel von Magics grünen Lieblingsrock gesehen.
„Wachaufwachaufwachauf“ dachte sie angestrengt während sie Aarin ängstlich beobachtete. Der Saft rann auf seinen Kopf hinunter. Hoffentlich war in dem Pudding kein ernsthaftes Gift gewesen. Es half nichts und sie betete ein Lückenhaftes Vater Unser, in der Hoffnung dass sich einer der Ältesten angesprochen fühlte und ihr zur Hilfe kam. Ein hellblaues Leuchten mischte sich zwischen die Strahlen. Was das das letzte Mal auch passiert, als die Oberheilerin ihre Zauberkräfte gebunden hatte? Alex schien es nicht merkwürdig zu finden und beendete den Spruch. Ohne eine Pause zu machen fischte er den nächsten Zauber aus seiner Brusttasche und las ihn vor. Es war der Spruch, der ihre Gabe binden sollte. Wenigstens sich in einen Raben verwandeln würde sie später noch können. Die Verwandlungszauber hatte sie nie besessen weil die Oberheilerin nicht geglaubt hatte, dass sie jemals fliegen lernen würde.
Alex war nun fertig mit ihr, fesselte sie mit Energiestrahlen und ging zu ihrer Mutter, die ihn ansah als wäre sie ein kleines Kind und er ein lustiges Spielzeug. Lola rastete aus. „Du elendes Aas! Wie konntest du, ich wusste von Anfang an du bist ein elendiges….“
Inspektor Alex drehte sich um zu ihr, er hatte tiefe schwarze Ringe unter den Augen. „Ich habe es nie geplant gehabt. Sei froh, dass ich dir nichts Schlimmeres antue. Und Susanne,“ „er nahm ihre Mutter bei der Hand, „bring ich auch wieder in Ordnung. Nachher. Und sofern du alles tust, was ich dir sage. Ansonsten halse ich dir denselben Zauber auf wie ihr.“ Seine Aktentasche lag auf dem Tisch. Sie musste unbedingt an sie herankommen. Neben ihr lag eine Gabel auf dem Boden. Sie schnappte sie zwischen die Zehen und schleuderte sie unter der Bank durch, dass sie gegen Aarin´s Kopf prallte. Er rührte sich ein bisschen, wachte aber nicht wirklich auf.
„Regel Nummer Eins, stör mich nicht bei meiner Arbeit“, sagte Alex und schickte aus seinem Handgelenk eine zusätzliche Fessel, die sich um ihr Fußgelenk wickelte. Alex drehte ihr seinen Rücken zu und inspizierte Aarin. Er legte ihm seine Hände auf den Kopf. Denk nach, Lola tu was! Susanne Mur stand auf und kam mit einem Messer in der Hand auf sie zu. „Aaaaaaaarh! NEIN MUTTIIIII!“ schrie sie in Panik. Ihre Mutter lächelte sie grausam an, sie war zu einem Zombie mutiert. „NEEEEEEEIIN.“ Alex drehte seinen Kopf nach ihnen um, aber er unterbrach den Zauber, den er an Aarin ausführte, nicht. Lola konnte samt Sessel ein kleines Stück auf die Seite rutschen, doch es war zu spät. Ihre Mutter ließ das Messer auf sie herabsausen- Und schnitt die Fesseln durch, die Lola an den Stuhl festbanden. Ein paar feine grüne Linien gingen von der Handfläche ihrer Mutter aus. Sie musste entweder instinktiv gezaubert haben, oder das Messer hatte von sich die Zauberstrahlen durchschnitten.
Sie reagierte im Bruchteil einer Sekunde, und stürmte auf Alex zu. Einem plötzlichen Einfall zufolge presste sie ihre Hände auf seinen, zur Hälfte kahlen Schädel. Ihre Energiestrahlen waren gebunden, sie konnte sie nicht mehr benützen, aber vielleicht half es, wenn sie den großen Zauber verlas. Aarin schlug die Augen auf. Das matte Strahlennetz um ihn verschwand und er konnte sich frei bewegen. Anders war es mit Lola und Alex. Sie waren durch ihre Handauflegung verbunden. Der Spruch lag auf dem Tisch und sie holte tief Luft. „…Zauber des Schlags, des Suchens, des Änderns, des Fangens, des Heilens, des Bindens, des Rufens, des Wetters, der Wärme, der Kälte, der Farben, der…“ Aarin hielt ihr den Spruch vor die Nase, damit sie besser lesen konnte. In Wirklichkeit machte er es dadurch schwieriger und sie musste schielen. „…und der Zauber sei erst wieder gelöst, an dem Tag, an dem der große Zwillingszauber…“ Nach einer weiteren halben Minute war der Zauber geschafft. Das bunte Strahlennetz war verschwunden. Aarin warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Inspektor. Der schrumpfte in aller Schnelle zu einem Raben und schaffte es sich frei zu krallen. Mit einem Satz sprang er auf den Tisch und schnappte sich mit den Klauen seine Tasche und flog Richtung Fenster. Lola schnappte mit beiden Händen nach ihm, und bekam immerhin seine Tasche und ein paar Schwanzfedern zu fassen, die ihm ausrissen. Der Rabe flog zum Fenster hinaus und um die Hausecke.
„Schnell! Zur anderen Seite des Hauses!“ schrie Aarin, der ins Wohnzimmer auf der anderen Seite des Gangs rannte und das Fenster aufriss um kurz darauf als Rabe hinauszufliegen. Der Inspektor schloss gerade die Autotüre seines großen schwarzen Wagens und Aarin konnte sie nicht schnell genug aufmachen. „Schick ihm einen Zauber nach!“ schrie Aarin Lola zu, die sich gerade erst verwandelt hatte und sich wie ein Probeller dem Erdboden entgegen schraubte. „Aber ik kran nicht! Er hat meine Zauberkräfte gekrauso gebannt wie dreine!“
„Das ist unmöglich! Du hast an ihm einen großen Zauber ausgeführt. Das bedeutet, dass deine Magie nicht gebannt sein kann!“
Lola verwandelte sich wieder in einen Menschen zurück. „Er hat zuerst meine Zauberkräfte gebannt und dann deine. Schau!“ Sie probierte die Flamme, die aber nicht funktionierte. Ihr Finger kribbelte jedoch ein bisschen wurde warm. Wie war das möglich?
Das Amulett, das sie um den Hals trug, sandte ein blaues Leuchten aus. Aarin starrte zuerst das blinkende Amulett an und dann sie. Er kam näher und berührte die Blume. Sie hörte zu blinken auf und das innere der Blume wurde wieder weiß. „Das Amulett des großen Schutzes“, sagte Aarin. „Ich glaube nicht einmal die Oberheilerin hat gewusst, dass es wirklich funktioniert.“
„Was hat es gemacht? Gibt es mir meine Zauberkräfte zurück?“
„Ich.. Ich weiß nicht. Ich vermute es hat den großen Zauber ein wenig aufgehalten weil es gegen deinen Willen geschah. Versuch die Flamme nochmal.“
Sie probierte es und vom Rand ihres Fingernagels sprang ein kleiner Funken. „Zumindest eine Restmenge an Magie habe ich noch“, sagte sie und versuchte einen Schlagstoß gegen das Gartentor. Es bewegte sich leicht, was jedoch auch am Wind liegen konnte. Einen Energiestrahl hatte sie nicht ausmachen können.
„Vorhin, als das Amulett geleuchtet hatte, hatte es sich komisch angefühlt.“ Sagte Lola. „So als wäre es lebendig.“ Am liebsten hätte sie es abgelegt und in ihrer Unterwäschelade versteckt. Besser nicht; daraus heute Nacht schon jemand etwas entwendet. Sie mussten Alex jagen gehen.
***
Alex Aktentasche lag am Küchentisch. Ihre Mutter hatte sie aufgemacht und und aß den Müsliriegel, den sie darin gefunden hatte. Lola öffnete die Mappe, Aarin schaute ihr über die Schultern. „Verdammt, der Verwirrungszauber ist nicht drinnen.“ „Aber ein Haufen anderer Akten. „Er wird zurückkommen um sie sich zu holen.“
Aarin setzte sich zum Tisch und stützte sein Kinn auf den Kopf. „Wie haben verschiedene Optionen. A) Wir warten bis er kommt um die Tasche zu holen und/oder uns mit einer Waffe kaltmacht. B) Wir verstecken uns und deine Mutter irgendwo, zum Beispiel bei deiner Tante, und warten bis uns aus Ninina wer zu Hilfe eilt. C) Wir verstecken deine Mutter und machen uns auf die Suche nach Alex und den Zaubern. Das ist die gefährlichste Variante, bei der allerdings niemand erfahren muss, dass wir die Zauber in erster Linie gestohlen haben.“
„Wie wär´s mit einer Variante aus B und C? Wir fragen Maria ob sie meine Mutter mit dem Auto zu meiner Tante fährt. Wir legen eine Nachricht in die Box unter der Brücke, dass wir uns auf einen Besuch von Magic und Miracle freuen. Die beiden werden und verzeihen, dass wir eines der größten Gesetzte der Zauberer umgangen haben. Und dann gehen wir Alex jagen. Uns wird schon nichts passieren.“ Sie hoffte inständig, dass Aarin nicht vorschlug, sie sollte sich auch bei ihrer Tante verstecken weil sie nicht gut fliegen konnte. „Auch wenn ich nicht fliegen kann, ich kann immerhin ein bisschen zaubern.“ Sie sah ihn mit zerknirschten Zähnen an.
Aarin zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. Dann begann er zu lachen. „Natürlich kommst du mit! Das wird unser gemeinsames Abenteuer und ich will nie wieder von dir getrennt sein. Wir haben mit dem Spruch gemeinsam Scheiße gebaut und jetzt bringen wir das wieder in Ordnung. Er wird uns schon nichts passieren. Wenn er uns den Tod gewollt hätte, wäre er heute Vormittag mit seiner Knarre aufgetaucht.“
Ihre Mutter Susanne begann zu kichern als ob sie etwas verstanden hätte. Die Situation war so skurril, dass Lola einstimmte. „Passt. Es wir unser erstes, richtiges gemeinsames Abenteuer.“ Aarin gab ihr ein Küsschen auf die Nasenspitze und sie hätte trotz der brisanten Situation Lust gehabt ein wenig rumzuknutschen.
Aarin war praktischer als sie veranlagt „Du organisierst Maria und ich schreibe die Nachricht“, schlug er vor und kritzelte etwas auf einen Zettel. Sie selbst griff zum Telefon und rief Maria an und dann ihre Tante an. Als sie die Schule anläutete um zu sagen, dass ihre ihre Mutter wegen pfeiffischen Drüsenfieber für die nächste Woche ausfiel, flog Aarin mit einer Papierrolle im Schnabel zur Brücke.
***
Schritt eins bestand darin, noch einmal Alex Wohnung zu durchkämmen. Lola wartete am Hagenhofer Bahnhof, bis Aarin zurückkam. Der Sandler war drinnen und so hielt sie sich draußen am Bahnsteig hinter einem Pfeiler versteckt, damit sie nicht mit ihm reden musste. Sie musste jedoch dringend aufs Bahnhofsklo und dazu musste sie den Warteraum durchqueren. Sollte sie oder sollte sie nicht. Ein Güterzug kam und im Schutz des Lärmes lief sie an dem Chips essenden Mann vorbei. Als sie rauskam schlüpfte sie schnell auf den Bahnsteig hinaus und atmete erleichtert auf. Im nächsten Moment wurde ihre Hoffnung jedoch zu nichte gemacht; sie hatte nicht bemerkt, dass der Sandler inzwischen aufgestanden und ebenfalls rausgegangen war. Seine Haare waren vor kurzem Geschnitten worden, aber sein Bart, in dem Chipskrümel hingen, war lang und wirkte ungepflegt. Er fing sofort an, etwas über Kaninchen und Frösche zu erzählen, was er in der Zeitung gelesen hatte. Dann wechselte er das Thema auf die Politik, wobei er glaubte, dass der vorvorige Kanzler noch immer das Amt inne hatte. Wenn sie schon mit ihm reden musste, konnte sie ihn genauso gut über Inspektor Alex ausfragen.
„Jaja. Haustiere hatten die zuhauf. Sie hatten bestimmt ein Dutzend Raben wobei die frei herumfliegen durfte und jeden Abend heimkehrten. Für sie ließen sie das Fenster immer offen stehen und kauften in der Tierhandlung jede Menge Würmer. Als die Zwillinge heirateten, nahmen sie die Raben jedoch mit. Ich glaube nicht, dass Alex sich einen behalten hat. Seine Eltern waren bestimmt froh drüber. Sie sind vor einigen Jahren gestorben. Sie waren aber auch schon sehr alt und wurden zuletzt von einer Polin zuhause betreut. Sie hatten sich geweigert in ein Heim zu gehen.“
Sie war schon zu lange in der Sonne und setzte sich in den Warteraum, wo es kühler war. Der Sandler folgte ihr.
„Man sieht ihn hier nicht mehr sehr oft. Seine Freunde hat er an seinem Arbeitsplatz in der Landeshauptstadt. Hat schon immer am meisten Täter erwischt und eingelocht. Ist ein Workoholiker und hat mindestens ein Training beim Geheimdienst hinter sich. Wird in schwierigen Fällen zu Rat gezogen. Weiß immer wo er nach Beweisen sucht, der gute Mann. War dreimal Polizist des Jahres bis er Inspektor geworden ist. Ist ein guter Mann. Ein Held ist er.“
Das war alles gut und schön, aber konnte Lola nicht wirklich überzeugen. Alex hatte ihnen die Zauberkräfte abgesprochen und das hatte hundertprozentig einen kriminellen Hintergrund zumal er den Verwirrungszauber von Milton besaß. Milton wurde momentan von Magiern des Hauses überwacht. Doch was ist, wenn er freikam? Sie mussten sich beeilen, dass sie rechtzeitig ihre Zauberkräfte zurückbekamen, den Verwirrungszauber plus seinen Gegenzauber, und am Besten sie bekamen Beweise für die Schuld von Milton. Und was würden sie mit Alex machen? Gefangen mit nach Ninina nehmen? Naja. Zuerst mussten sie ihn schnappen und wenn er wirklich dieser perfekt ausgebildete Cop war, mussten sie sich dabei gescheit ins Zeug legen.
Aarin meldete sich an, indem er einmal krächzend über ihren Kopf hinweg flog. Sie musste sich zusammenreißen ihn nicht zu begrüßen. Es ließ sie schmunzeln und als gleich darauf Aarin hinter der Gebäudeecke hervorkam konnte sie ein Lachen nur schwer zurückhalten. „Nichts Neues. Alles so wie gestern, er war inzwischen nicht zu Hause.“ Er gab ihr einen dicken Kuss und begrüßte danach den Sandler mit einem freundlichen Winken. Der alte Mann begann wieder zu reden. „Ich habe eine Idee, wie wir ihn leise stellen können.“ Flüsterte Aarin ihr ins Ohr. „Ja?“ Als Antwort bekam sie einen Kuss und sie stieg drauf ein. Der Zug würde zwar erst in fünf Minuten eintreffen, aber sie machten auch dann noch weiter, als der Sandler schon das Weite gesuchte hatte.
Der Zug rollte ein und sie nahmen Platz. Sie teilten sich den Wagon mit ein paar Schülern, die in Aufgaben vertieft waren oder sich unterhielten. Die Schüler waren auf dem Weg nach Hause, Aarin und Lola jedoch waren unterwegs zur Landeshauptstadt. Alex Büro befand sich im Bezirksinspektorrat und wenn sie ihn wo fanden, dann dort. Außerdem hatten sie so eine Ahnung, dass Alex die großen Zauber dort in einen Safe gesperrt, oder sonst wo inmitten all der Polizisten versteckt hielt. Der Zug bummelte gemütlich dahin.
„Aarin wieso liebst du mich?“
Es schien so, als müsste er seine Antwort erst mal überdenken und sie ließ ihm Zeit.
„Ich meine, zuerst hattest du mich als Auftrag. Also ich meine die Oberheilerin hat dir aufgetragen mich zu entführen, mich zu unterhalten, mir alles zu zeigen. Aber jetzt bleibst du doch freiwillig bei mir und du zeigst es mir ja immer wieder, dass du mich liebst. Warum?“
Aarin legte eine Hand um sie. Mit der anderen Hand streichelte er ihre Haare. „Zu Beginn, noch bevor du mich kennen gelernt hast und ich beobachtete, fand ich dich sehr aufregend. Du warst eine Erdenbewohnerin, du wusstest genau welche Musik du magst und welche nicht. Du verstandst dich gut mit deiner Mutter und kümmertest dich um Maria und Niklas. Du wirktest so zufrieden mit deinem Leben. Ich glaube viele Leute wünschen sich, dass um die Ecke ein anderes Leben wartet. Aber du hast deinen Alltag gut ausgefüllt und auch in der Schule diszipliniert gearbeitet. Diese Eigenschaften, dein gutes Herz und die Magie, die mehr als genug in deinen Adern fließt, waren die Hauptgründe weshalb wir beschlossen dich zu nehmen.“
„Und dann als ich dich mitnahm nach Ninina erkannte ich erst, was ich dir zumutete. Ich wollte das Beste für dich, aber du wurdest gleich am dritten Tag gekidnappt. Schon seit ich dich kannte, mochte ich total habe mit dem Gedanken gespielt mit dir zusammen zu sein. Aber erst die Angst um dich, als du gefangen warst, machte es mir so richtig bewusst, wie sehr ich dich liebte. Ich wollte nicht getrennt sein von dir und schenktest mir so viel Vertrauen, das ich nicht missbrauchen wollte.
Dann in der Zeit, als du den ersten Magieunterricht bekamst, wurdest du praktisch ein Teil von uns. Es war so, als wärst du schon immer hier gewesen und trotzdem erfrischen anders. Du hast uns allen sehr gut getan und auch die anderen Schüler fingen an sich mehr anzustrengen, sich besser zu benehmen. Sie wollten dich beeindrucken und zeigen, wie gut wir Ninianer sind. Dann kamen all die Probleme mit den Abtrünnigen und den Geiseln. Die Oberheilerin vereinnahmte mich voll für sich und ich wollte sie um keinen Preis enttäuschen. Sie hatte mir immer gesagt, ich sei eine große Hoffnung für die Häuser und ich wollte sie nicht durch Ungehorsamkeit dir zuliebe enttäuschen. Ich weiß, das mag für dich hart klingen und letzten Endes stellte sich heraus, dass ich mehr als falsch gelegen hatte. Doch zuerst verstand ich wirklich nicht, wieso du dich auf einmal quer stelltest. Du hattest dich so gut eingelebt und dann setztest du alles aufs Spiel indem du der Oberheilerin wiedersprachst und dich mit den Nordhäuslern verbündetstes, die ich, wie du weißt, nicht so besonders gut leiden konnte weil sie immer so lasch und * waren. Ich spürte, dass du dich um mich Sorgen machtest weil ich Frau Heran gehorsam leistete. Du hast vermutlich angenommen ich sei schwach und folge Befehlen ohne auf mein Herz und meinen Verstand zu hören. Ich hasste die Vorstellung, dass du so von mir denken könntest, aber ich wollte dir zeigen, dass dieser Gehorsam etwas Gutes war, das Frucht bringen konnte und wir als vereinte Magier die Geiseln sicher befreien konnten.“
„Es waren schon Monate seit der Geiselnahme vergangen und man wollte immer noch Warten. Man hat sich strikt geweigert meine Gabe zur Kenntnis zu nehmen und sie einzusetzen. Das hat das Leiden der Geiseln um vieles verlängert.“ Sagte Lola mit gerunzelter Stirne.
„Ich habe es bald verstanden und mir wurde klar, dass ich einen schlimmen Vertrauensbruch begangen hatte. Du hattest mir in den ersten Wochen in Ninina so viel vertraut. Ich wollte, dass du das wieder tun würdest und habe dabei übersehen, dass ich dafür auch die vertrauen musste. Ich überlegte, ob ich dich um Verzeihung bitten sollte, aber da warst du schon auf und davon nach Grein um in den Graubergen nach den Abtrünnigen zu suchen. Magic tröstete mich und es fiel mir nicht leicht, dass ich vor meiner um drei Jahre jüngeren Schwester zugeben musste, dass ich versagt hatte. Dann als es zu dem Kampf kam, hat es mir so viel bedeutet, dass du mich trotz allem was vor gefallen war, zu dir gerufen hast. Du hattest das größte Recht gehabt mich zu hassen und trotzdem bekam ich diese Chance etwas wieder gutzumachen. Kurz fürchtete ich, du wünschtest, dass ich umgebracht werden würde, oder, fast genauso schlimm, du riefst mich nur weil ich wahrscheinlich einer der begabteren Schüler bin.“ Er hielt in seiner Aussprache kurz inne als dachte er, sie hatte ihn damals nur wegen seinem Talent gerufen.
Sie beeilte sich ihn mit einem Scherz zu beruhigen. „Da bist du aber ganz schön bescheiden, du bist nicht nur ein begabter Schüler, sondern der Beste. Du hast die meiste Erfahrung, das beste Herz, du siehst am besten aus, hast das beste Charisma, das aufregendste Leben… Was willst du sonst noch hören?“ Sie wurde ein bisschen ernster. „Ich habe dich gerufen, weil ich wollte, dass du dabei bist. Weil du zu mir gehörst. Auch wenn wir zerstritten waren und ich wirklich wütend war auf dich. Ich wollte, dass wir diese Erfahrung des Kampfes gemeinsam hatten, wenn du mich schon auf meiner Reise nicht begleitet hast.“
„Ich habe gehofft, du würdest so etwas sagen.“ Meinte Aarin mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Er war die ganze Zeit über angespannt und auch als er fortfuhr, änderte sich nichts daran.
„Ich werde nie vergessen, wie ich mit dem kleinen Flugzeug nach Grein gereist bin und keinen einzigen Moment etwas anderes denken konnte, als dass du mich nie wieder mögen würdest. Es war dann zum Großteil wohl auch meine Schuld, dass du Ninina frühzeitig verlassen hast. Doch es war mir egal, dass ich von den verschiedensten Seiten her schwere Vorwürfe bekam. Ich war in dem Moment „geheilt“ worden, als ich dich am Rückflug in den Armen halten durfte. Du hast es wahrscheinlich kaum mitbekommen weil du zu erschöpft warst, aber ich durfte dich stundenlang einfach so in den Armen halten wie früher. Und wie ich es jetzt noch tue.“ Es stimmte, zum Beispiel jetzt gerade. Es war wie automatisch, dass sie sich an ihn schmuddelte sobald Zeit dafür war.
„Dann warst du weg auf der Erde und alles war so ungewiss. Als du alleine in Grein warst, machte ich mir Sorgen um deine Gesundheit, dass dich jemand angreifen könntest und dass du mich hasstest. Aber ich dachte, ich bekäme die Gelegenheit wieder Zeit mit dir im Südhaus zu verbringen und alles würde gut werden. Ich könnte zumindest in deiner Nähe sein, selbst wenn du mich nicht wolltest. Aber dann warst du auch der Erde und ich dachte nur daran abzuhauen um dich zu Besuchen. Dass du jemanden brauchst, der auf dich aufpasst war dann tatsächlich meine selbstsüchtige Erfindung, aber meine Freunde unterstützen mich dabei. Ein gewisser Schüler des Nordhauses, dessen Namen ich nich nicht gerne nenne, hat sich dann sehr aufgeregt, dass ich die Chance bekam wieder in deiner Nähe zu sein. Er warf mir zu Recht Selbstsucht vor, und sagte, du Lola hättest das Recht mich nicht sehen zu wollen und das war ja auch meine große Sorge. Maria hat es dir vielleicht verschwiegen, dass sie es war, die mir verraten hat, dass du in Mautern bei deiner Tante seist und ich flog durch all den Schnee zu dir. Es war einer der wichtigsten Augenblicke in meinem Leben, als du darüber gelacht hast, als ich dir die Rose brachte und du akzeptiertest, dass ich zurück in dein Leben trat. Ich wusste, dass die Wunde, dich ich dir zugefügt hatte, endlich wieder zu heilen begann.“
Ein circa zehnjähriges Volksschulkind saß im Abteil nebenan. Es hatte gelauscht und die Augen weit aufgerissen. Beschämt wandte es sich ab, als es Lolas Blick bemerkte. Lola drehte ihren Kopf um in Aarins Augen zu blicken. Er erwartete eine Absolution und die hatte er auch verdient. Sie spielte mit seinen Fingern und dachte nach, was jetzt die richtigen Worte waren. Wieder nur küssen ging nicht.
„Hey! Wir sind schon in Hyppolit!“ rief sie und stand rasch auf wobei sie Aarin ihre Handtasche unabsichtlich über den Rücken zog und die Metallschnalle sich sehr weh tat. „Es tut mir Leid,“ sagte sie erschrocken und sie gingen auf den Bahnsteig hinaus, wo sehr viele Menschen standen. Im Gedrängel bildete sich eine kleine Lücke und sie zog ihn hinein. Die Haare hingen ihr ins Gesicht und sie blickte in seine lila Augen.
„Über was haben wir gerade geredet? Aja.“ Das waren keine guten Worte um zu beginnen. Sie musste es besser machen. „Ich möchte dir sagen, dass mir das gerade sehr viel bedeutet hat, dass du mir das alles erzählt hast. Meine Seite der Geschichte sieht verallgemeinert so aus, dass ich mich wohl schon bei der Entführung in dich verliebt habe. Ich weiß, das spricht nicht sehr für mich, dass ich mich verliebt habe ohne dich zu kennen. Nur weil du eben sehr gut aussiehst und ein Wahnsinns Charisma hast. Und dann mochtest du mich auch und ich konnte es nicht fassen. Immer wieder hatte und habe ich das Gefühl, dass du zu Gut für mich bist. Dann war diese Geschichte mit den Geiseln und ich glaubte in deinem Verhalten zu erkennen, dass ich eben wirklich nicht genug für dich war und meine Ängste bestätigten sich. Außerdem war ich total sauer, wie du mich so hängen lassen konntest. Und ich wollte noch viel länger sauer auf dich sein, als ich es letztendlich war. Aber du versuchtest es wieder gut zu machen und ich wollte auch, dass du es wieder gut machst. Auch wenn wir in dieser Sache sehr verschieden gedacht haben, es kam mir nie in den Sinn, dass wir nicht zusammengehören. Wir haben uns wieder frisch verliebt, und selbst wenn diese Phase vorbeigeht, möchte ich bei dir bleiben und mit dir zusammen sein.“ Eine Träne trat in ihre Augen weil sie von der Wahrheit ihrer Worte überwältigt wurde. Sie wünschte jedem Mädchen auf der Erde einen Augenblick wie diesen. Ein Augenblick des Verstehens und der perfekten Zweisamkeit.
„Ähm. Danke, dass du mir das gesagt hast.“ Sagte Aarin. Er wischte ihr die Tränen aus den Augen. „Sieh mal. Wir haben Zuseher.“ Tatsächlich hatte sich ein Kreis um sie gebildet und mindestens zehn Leute warteten darauf, was als nächstes kam. „Ob er den Ring dabei hat?“ fragte eine alte Omi mit Dauerwelle ihre schwerhörige Freundin mit kleinem Schoßhündchen. Die beiden sahen wahrscheinlich jeden Nachmittag die Wiederholungen von „Sturm der Liebe“ und ähnlichen Serien. Ein Zug fuhr ein und die Leute im Kreis um sie herum mussten einsteigen. Sie verabschiedeten sich höflich und Lola und Aarin winkten ihnen nach, als der Zug abfuhr.
„Weshalb waren wir nochmal hier?“ fragte Lola mit gespielt naivem Unterton.
„Deine eigene Mutter und der eigentliche Ministerpräsident Nininas leiden unter akutem Gedächtnisschwund und wir wollen unsere Zauberkräfte wieder zurück. Beantwortet das deine Frage?“
„Heute ist der Tag der Antworten. Und er hat gerade erst begonnen.“ Sagte sie und sie erkämpften sich einen Weg zum Bahnhofsvorplatz wo Busse bereitstanden. Ein Blick auf die Uhr sagte ihnen zwar, dass der Fünfzehnte Juni in sechs Stunden schon vorbei war, aber Lola hatte trotzdem irgendwie recht. Sie würden gewiss noch lange wachbleiben.
***
Sie musste tief Luft holen. Dann erst traute sie sich das Gebäude zu betreten. Die Fassade war wie die eines gewöhnlichen Stadthauses, das seit mehr als hundert Jahren stand. Das bedeutete hohe Fenster, hinter denen es hohe Räume mit Kachelöfen, und die mit Stuck faziert waren. Das Tor war jedoch eine moderne Drehtüre, wie die eines Einkaufszentrums. Sie gingen durch und tatsächlich befand sich dahinter eine Art Einkaufsbereich mit ein paar Geschäften und einem Café, in dem eine Klavierspielerin ein jazziges Lied spielte. Sie gingen daran vorbei in einen modern verglasten Innenhof, in dem es noch ein paar Geschäfte gab und einen Lift. Man konnte aber auch durch den Hof durchgehen wie durch eine Passage und auf der Seite das Gebäude durch die Hintertür verlassen. Dort hing ein großes „Polizei“ Schild weil die Stadtwache hier untergebracht war. Ihr Ziel war jedoch weiteroben. Über den Büros des Stadtmagistrats gab es Anwaltskanzleien und auch die Inspektionsabteilung der Polizei. Sie stiegen in den Lift und rauschten nach oben. „Erster Stock, Meldeamt und Einwanderungsbehörde“ sagte die Leuchtanzeige. „Zweiter Stock, Rathaus und Bürgermeisteramt“, auch diesmal drückten sie nicht auf den Stopp Knopf. „Dritter Stock. Rechnungsabteilung, Notar und Inspektorat.“ Hier waren sie richtig. Am Gang begegneten sie einer Frau in grauem Anzug, die etwas kopierte. Sie lächelte freundlich und wies sie darauf hin, dass der Notar schon nach Hause gegangen war.
„Wir warten hier nur auf einen Freunden“ sagte Aarin. „Das Büro von Inspektor Alex befindet sich auch sicher in dieser Etage?“ fragte er mit einem unschuldigen Lächeln.
„Ah, Inspektor Alex besucht ihr also. Wenn ihr wollt kann ich ihm sagen, dass ihr da seid? Nein? Dann nehmt inzwischen auf diesen Stühlen hier Platz. Dort drüben gibt es auch einen Kaffeeautomaten. Vielleicht klopft ihr dann einfach selbst an seine Tür, wenn er noch länger braucht. Er ist erst vor etwa einer halben Stunde hier eingetroffen und hat nicht gesagt, ob er noch länger bleibt.“
Sie dankten der Dame und nahmen auf den Stühlen Platz. Die Büros hier befanden sich noch in dem modern ausgebauten Innenhof des Gebäudes. Es gab statt Fenstern nur große Glasflächen, und es beunruhigte Lola. Wenn sie fliehen mussten, konnten sie nicht einfach als Vögel hinaus hopsen und verschwinden sondern mussten den Lift oder das Stiegenhaus nehmen. „Kaffee?“ fragte Lola und sie gingen zum Automaten wo die Sekretärin sie nicht hören konnte. „Was machen wir? Noch fünf Minuten warten und dann einfach reingehen? Oder sollen wir warten, bis er verschwunden ist?“ Sie warf ein paar Münzen ein und ließ sich und Aarin einen „SchokiPlus“ herunter. Außerdem holte sie zwei Buttersemmerl aus der Tasche, die sie als Jause mitgenommen hatte.
„Besser wir gehen gleich. Wer weiß ob du genug Magie hast um ein verschlossenes Tor zu öffnen. Außerdem sind wir zwei gegen einen. Er wird hier kaum eine Szene machen, wo andere Leute anwesend sind.“
„Unterschätz ihn nicht, Aarin. Er hat nicht mit der Wimper gezuckt als er unsere Zauberkräfte gebannt hat.“ Sie kauten an der Semmel und dachten nach. Aarin stieg ihr auf die Fußspitze sie wollte schon laut fragen, was das sollte, als sie begriff. Als sie sich unauffällig umdrehte konnte sie nicht viel sehen, weil vor ihrer Nase eine Palme war und ihre Wedeln die Hälfte des Ganges einnahmen. Sie konnte zwischen zwei hindurch spähen und sah Alex eine Türe öffnen und schließen. Er ging aufs Klo. Wie praktisch. Jetzt oder nie. Die Sekretärin war nicht mehr da und sie traten ohne gesehen zu werden in Alex´s Büro. Es war groß und es war Platz für ein paar Sekretärinnen oder Mitarbeiter. Sie erkannten seinen Tisch daran, dass er der größte und dominanteste war. Außerdem hatte er darüber dasselbe Familienfoto hängen, dass auch in seinem Wohnzimmer auf der Kommode stand. „Verwandle dich gleich in Raben und versteck dich dort hinter dem anderen Schreibtisch“, wies Aarin sie an und sie gehorchte. Tapsend ging sie hinüber und versteckte sich hinter einem großen Topf in dem ein Gummibaum stand. Hoffentlich wollte Alex heute nicht mehr Blumengießen. Sie spähte hinter dem Topf hervor und beobachtete Aarin wie er die Akten auf dem Tisch durchblätterte. Am Gang waren Schritte zu vernehmen und Aarin schlitterte zu ihr hinüber während er sich verwandelte. Die Tür hatte ein Schnappschloss und weil sie sie geschlossen hatten, nachdem sie hereingeschlichen waren, musste Alex erst den Schlüssel ins Schloss stecken, bevor er sie öffnen konnte. Er trat ein, schaltete Musik an und machte sich an den Akten zu schaffen. Die meiste Zeit jedoch starrte er auf eine kleine Engelsfigur, die auf dem Tisch stand. Vielleicht war es sein Schutzengel und beruhigte ihn. Er hatte einen Kaffee mitgebracht und wärmte sich daran seine Hände. Es wirkte als wartete er auf jemanden. Vielleicht auf sie. Eine Viertelstunde war vergangen und nichts anderes passiert, als dass Alex den leeren Becher in den großen Mistkübel in der Ecke geworfen hatte. „Sollen wir warten, bis er nach Hause geht und dann das Büro durchsuchen?“ fragte Aarin. „Okray. Ich hrab auch nikrt wirklich dren Mumm dazru ihn direkt hekrauszufordern. Wrenn er wirklich seine Knarre dabei hat?“ „Schhht“, sagte Aarin, als die Musik leiser wurde. Als nächstes spielte der CD Player ein altes Französisches Chanson und sie fanden es beide lustig, dass Alex sowas hörte. In seiner Wohnung hatte sie den italienischen Detektivroman gefunden. Vielleicht wollte er mit diesem Lied sein Französisch auf Vordermann bringen. Sie wiegten sich im Takt dazu und sperrten bei den hohen Tönen die Schnäbel auf. Lola riss sich zusammen um nicht lautloszukichern, was sich in ihrer Rabengestalt dann wahrscheinlich so wie aufeinander schabendes Holz angehört hätte. „Krkr“ machte Aarin, der anscheinend auch Lachen musste.
Das nächste Lied war auch eine Ballade, aber nicht so schlimm. Sie kuschelten sich aneinander und wippten mit den Schwanzfedern im Takt. Auf diese Weise vertrieben sie sich die ganze nächste Stunde und fast kippte Lola zur Seite, als Alex die Musik abstellte. Er hatte offensichtlich genug gegen die Wand gestarrt und war zu dem Entschluss gekommen nach Hause zu fahren. Die Uhr an der Wand zeigte auf halb neun am Abend. Wenn sie mit dem letzten Zug fahren wollten… Egal, sie konnten auch Maria anrufen, falls sie von Mautern schon zurück war. Alex stand auf und öffnete eine Kastentür, hinter der sie nur weitere langweilige Ordner vermutet hätte. Es war ein kleiner Safe darin, wie man ihn in jedem Hotel hatte, um Wertsachen aufzubewahren. Lola konnte weder die Nummer erkennen, die Alex eintippte, noch was er reintat oder herausnahm. Sie meinte jedoch Papier rascheln zu hören, bevor ein piepsendes Geräusch versicherte, dass der Safe wieder geschlossen war. Der Professor blickte suchend durch das Zimmer, sie versteckten ihre Köpfchen wieder hinter dem Topf, bis sie ein paar Pieptöne von der Tür her hörten. War dort noch ein zweiter Safe? Oh nein, wie hatte sie nur so dumm sein können.
„Das weiße Krästchen da nebren der Tür ist eine Aklarmanlage. Sobald wir uns bewekren geht sie los, “ erklärte Lola mit gebrochener Vogelstimme. „Wras jetzt?“ Sie konnte Aarin´s Blick schwer deuten. Sein Köpfchen bewegte sich mit hektischen Bewegungen zwischen dem kleinen Kästchen an der Tür und dem Kasten, in dem der Safe war, hin und her. „Ich bin mir fast sicher, dass er die Sprüche da drinnen aufbewahrt. Bewegen wir uns vorsichtig und versuchen wir, den Safe zu öffnen. Sobald die Alarmanlage schrillt, verwandeln wir uns in Menschen, nehmen wir den ganzen Safe mit und schmeißen ihn das Stiegenhaus hinunter und hoffen, dass er aufbricht. Wir fliegen als Vögel hinterher, holen die Zauber raus und fliegen zu dem Kaffee, wo wir uns unter die Menschen mischen können.“
„Ikr kran kaum fliegen.“
„Du musst alles dransetzten als Vogel bis zum Café zu kommen. Vielleicht schaffst du es auch bis raus auf die Straße. Du kannst ja auch gehen und flattern. Alex ist der einzige, der uns dann erkennen könnte und der ist sicher schon abgefahren. Aber pass auf, dass du dich nicht direkt vor der Videokamera verwandelst.“
Lola gingen hunderte „aber“ durch den Kopf, doch es war der einzige Plan, den sie hatten. „Bist du bereit? Versuche, ob du den Safe mit Magie aufbekommst.“ Sagte Aarin und Lola nickte. Ihr Bauch war voller Ameisen und sie war noch nervöser als vor der Matura. Doch wenn sie nicht hier übernachten wollte, bis Alex wieder kam, musste sie tun was Alex sagte. Sie trippelten vorsichtig über den Fußboden zum Kasten und waren froh, dass der Alarm noch nicht losging. Aarin öffnete mit seinem Köpfchen die Schranktür und flatterte zum Safe hinauf. Lola hielt die Luft an und warf ihren kleinen Körper nach hinten. Das war ihre Methode wie sie es schaffte sich wieder zurück zu verwandeln und worüber Aarin immer so lachte. Möglichst nah an den Kasten gepresst, stand sie auf. Sie hatte keine Ahnung wo der Sensor für die Alarmanlage war und wollte nichts riskieren. Die Nummernkombination des Safes wussten sie nicht. Sie legte ihre Knöcheln dort an, wo das Schloss war und schickte einen Kräftigen Stoß in das Metallfach. Es kam nur ein kleines Blitzen aus ihren Knöcheln und sie zuckte mit der Hand zurück. Der Stoß war elektrisch gewesen. Nun versuchte sie es mit einem Schiebezauber. Es funktionierte ebenso wenig. Hilflos schaute sie sich im Zimmer um, als ob irgendwo ein Schlüssel verborgen wäre. Ihr Blick fiel auf den Mülleimer in der Ecke mit dem schwarzen Müllsack darin. Der Sack war bestimmt nicht sehr groß, der Safe aber auch nicht. Es konnte sich ausgehen. „Kannst du mir den Müllsack aus dem Eimer holen? Wir können den Safe einpacken und aus der Tür spazieren, als wäre nichts passiert.“ Aarin sagte nichts und ließ sich in die Ecke gleiten. In dem Augenblick begann es laut zu piepsen und sie riss wie ausgemacht den Safe aus dem Kasten und rannte zur Tür. Auch Aarin verwandelte sich in einen Menschen, und als sie den Gang betraten, ging ein Ohrenbetäubendes Lärmen los. Die Sekretärin von vorhin war noch da und kam verwirrt aus einem Zimmer raus. Sie lächelte ihnen zu und schrie über den Lärm hinweg; „Dieses Mal…..nicht… ich … Alarm ausgelöst. Wo …. Inspektor…“ Sie klappte ihren Mund zu, als sie den Safe in Lolas Armen bemerkte und begann daraufhin laut zu kreischen, was sie aber wegen der Alarmanlage nicht hören konnten. Aarin war schneller und riss ihr den Safe aus den Armen. Er hechtete um die Ecke und warf ihn das Stiegenhaus hinunter. Er hopste über die Brüstung, als wäre es kein Hindernis und war nicht mehr zu sehen. Ein Schatten wurde im Treppenhaus an die Wand geworfen, und falls die Sekretärin geistesgegenwärtig genug war, würde sie auch bald auftauchen. Sie musste es also wirklich tun. Sie schwang sich über die Brüstung, wobei sie hängen blieb. Bei Aarin hatte es so leicht ausgesehen. Sie breitet ihre Arme aus und ließ sich nach vorne fallen. Gott sei Dank stellte sich sofort dieses Gefühl ein, dass ihre Gliedmaßen zusammenschrumpften und ihre Hand nach hinten gebogen wurde. Sie stürzte im Sturzflug, Köpfchen voraus, nach unten, spannte nach ein paar Sekunden ihre Flügel ein bisschen, damit sie an Geschwindigkeit verlor und unten nicht Kopf voran in den Boden rammte. Es waren drei Stockwerke. Eins… Ein Mann rannte die Treppe hinauf, ein anderer rannte hinunter. Zwei… Sie breitete ihre Schwingen weiter aus, damit sie langsamer wurde und streifte an einem Geländer woraufhin sie ins Taumeln geriet. Drei…Wieso war sie noch immer nicht unten, gab es hier leicht noch einen Keller und … auweia sie blieb nocheinmal am Stiegengeländer hängen, drehte sich und kam auf dem Rücken auf. Ohne, dass sie etwas dagegen hätte tun können, verwandelte sie sich in einen Menschen zurück.
Im ersten Moment bekam sie keine Luft und blieb wie ein Käfer liegen. Dann rappelte sie sich auf und bewegte ihre Arme und Beine. Zum Glück hatte sie sich nicht wehgetan. Als sie am Boden angekommen war, war sie noch ein Vogel gewesen und Federn hatten ihren leichten Körper geschützt. Der Safe lag aufgebrochen neben ihr. Aarin saß als Rabe darauf und sah sie mit großen Augen entsetzt an. Die Alarmanlage war nur noch in der Ferne zu hören, aber sie hörte Schritte auf der Treppe näherkommen. Sie blickte kurz nach oben und erstarrte, Menschen hingen inzwischen über der Brüstung und sahen sie hier mit dem Aarinvogel und dem aufgebrochenen Safe sitzen. „Tu was!“ zischte Aarin und sie nahm beide Beine in die Hand und lief den Gang entlang. Er hatte einen Zettel in seinen Krallen, aber sie hatte unmöglich Zeit ihn zu fragen, welcher Zauber es war. Auf der rechten Seite war ein WC und ein Stücken weiter eine Tür, die zur Tiefgarage führte. Das war gut; sie würde sich im Schutz eines Autos in den Vogel verwandeln können. Sie öffnete eine schwere Tür und trat hinaus. Mist. Die Garage war abgesperrt, weil es schon spät war und über ihr hing eine Kamera. Sie musste zurück, aber das ging nicht. Was sollte sie nur tun? Aarin rief „hierher“ und flog voraus, wo eine kleine Tür war. Es war ein Notausgang und sie musste eine kurze Treppe hinauflaufen. „Versprich mir was. Wenn sie mich schnappen, gib dich nicht zu erkennen, “ sagte sie etwas keuchend und stieß die Falltür am oberen Ende der Stiege auf. Wo war sie? Es war dunkel rundum. Zu ihrer Rechten hing ein grün leuchtendes „Notausgang“ Zeichen und tatsächlich stieß sie an eine Tür. „Soll ich hierbleiben und mich in einen Vogel verwandeln und raus gehen?“ fragte sie Aarin, der auf ihrer Schulter saß. In genau diesem Moment wurde die Tür am unteren Ende der Treppe aufgemacht und sie sah mindestens eine schwarze Gestalt gegen das Licht, dass sie blendete. Mist. Sie hatte die Falltüre nicht zugemacht. Aarin erledigte das für sie. Er sprang von ihrer Schulter, verwandelte sich in einen Menschen, klappte die Falltür zu und stellte sich drauf. Das alles schaffte er in dem Bruchteil einer Sekunde, in der sie noch nicht einmal rausgefunden hatte, wie sie ihre Beine bewegen sollte. Fäuste hämmerten von unten gegen die Falltür. Sie konzentrierte sich auf den Notausgang und riss die Tür auf. Gott sei Dank. Sie war draußen an der frischen Luft. Die Tür war in einer Mauernische eingelassen und nur ein Schritt trennte sie vom Gehsteig. Es waren nur wenige Passanten hier und sie musste schnell wohin, wo es entweder mehr Leute waren, damit sie untertauchen konnte, oder keine, damit sie sich verwandeln konnte. Schräg gegenüber gab es ein asiatisch anmutendes Restaurant. Sie rannte hinüber und presste die Nase gegen die Scheibe. Es war beinahe leer und keine gute Tarnung. Nur fünfzig Schritte entfernt war die Hauptstraße, da würde sie ein anderes finden. Sie hörte eine Polizeisirene. An der Rückseite des Gebäudes war die Polizei stationiert. Mist! Also doch in das Chinarestaurant. Doch bevor sie die Tür erreichte, wurde sie schon von hellen Scheinwerfern geblendet und auch von der Hauptstraße her kam wer gelaufen, sie saß in der Falle. Wieso machten die sich so viel Mühe um ein kleines Mädchen zu jagen? Zugegeben, so klein war sich nicht mehr und sie trug schwarze Kleidung, aber sie hatte keine Maske oder sowas. Wenn sie geschickt war, konnte sie hinter diesen Busch springen und sich verwandeln. Dann war es so, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Das Licht blendete sie noch immer und sie hatte sich keinen Zentimeter von der Stelle gerührt. Wenn sie jetzt noch fliehen wollte, musste sie entweder drei in Nahkampf ausgebildete Polizisten niederrennen oder zwei Zivilisten. In diesem Moment hörte sie „Hände in die Höhe“, aber Aarin´s Stimme rief von irgendwoher „Lauf!“ Tatsächlich fasste sie den Mut und rannte Richtung Hauptstraße. Einer der Zivilisten wollte sie aufhalten, aber sie verpasste ihm einen Schlagstoß, der anscheinend funktionierte. Mist, da war noch jemand, der sie festhalten wollte, doch sie schickte einen erneuten Schlagstoß durch ihre Knöchel. Es funktionierte nicht, aber als sie die Person berührte, schaffte sie ein kleines blaues Blitzen, das ihnen beiden einen elektrischen Schlag gab. Woher kamen plötzlich all die Leute? Es waren mindestens fünf, die ihr den Weg versperrten. Alles Typen, mit denen nicht gut prügeln war. Einer davon schrie auf, als ihm ein Vogel an den Zottelhaaren zog und ihm dann seine Krallen in den Rücken rammte. Bravo Aarin! Sie fasste neuen Mut und begann sich, ihren Weg freizuschlagen, zu boxen und zu blitzen. Nach weniger als zehn Sekunden hatte sie es geschafft und sich alle aus dem Weg geräumt. Unglaublich, zu welcher Brutalität sie fähig war. Sie hatte hoffentlich niemandem einen ernsthaften Schaden zugefügt. Jetzt musste sie nur noch so schnell wie möglich hinter die Plakatwandlaufen und sich verwandeln. Doch wurde ihr ein Strich durch die Rechnung gemacht. Hatte sie etwa gar kein Glück? Jemand stieß sie grob in den Rücken und im Null Komma Nichts lag sie mit Gesicht zum Boden auf dem Asphalt ,während ihre Hände hinter dem Rücken mit Handschellen gefesselt wurden.
„Der Vogel! Er hat ihren Sack! Schießt!“ Wenn sie noch Luft in den Lungen gehabt hätte, hätte sie geschrien. Angsterfüllt wartete sie auf Schüsse, aber Aarin hatte sich anscheinend schon wo verstecken können. Tränen traten ihr in die Augen. Ihr Abenteuer war bis jetzt mehr als nur schief gegangen. Sie wartete darauf, dass eine ganze Schar Magier die Straße herunterkam und ihr den Weg freisprengten. Es war nicht schwer, morbide Gedanken zu haben, wenn einem jemand sein Knie in den Rücken rammte, und man nicht atmen konnte. Ein Polizist tastete sie nach Waffen oder Handys ab, fand jedoch nichts. Sie wurde hochgerissen und wieder blendete sie Licht. „Da haben wir die Räuberin“, sagte jemand. „Sie gehört zur Elite. Angeblich ist sie die Treppe hinunter gesprungen.“ „Eher eine Hexe, wenn ihr auch dein Vogel gesehen habt.“ „Seid professionell“ sagte eine dritte Stimme und ab da hörte sie nur noch ein paar Befehle, bis sie in einen Kleintransporter hineingehoben wurde.
***
„Willst du wissen, wo´s hingeht?“ Es war eine weibliche Stimme und Lola hatte nicht erwartet, dass außer ihr eine Frau in dem Transporter saß. Es gab zwar Licht, aber sie hatte bis jetzt nur auf ihre Fußspitzen gestarrt. Die Fahrerkabine war mit einem Gitter vom hinteren Teil des kleinen Busses getrennt. Hier waren an den beiden Längsseiten Bänke aus Plastik. Sie saß eingekeilt zwischen zwei Polizisten und richtig, genau ihr gegenüber saß diese Frau mi kurz geschorenen, orangen Haaren und noch eine andere Polizistin. „Wir bringen dich direkt in die Justizanstalt Mayern.“
Das erklärte, weshalb sie schon gefühlte zehn Minuten unterwegs waren. Man brachte sie nicht auf die Polizeiwache, wie sie gehofft hatte. In Gedanken war sie bei Aarin. Konnte er mit dem Gefährt mithalten? War ihm was passiert? Ging es ihm gut? Er ärgerte sich bestimmt total, dass sie es vermasselt hatte. Wenn sie erst im Gefängnis war, würde es schwer sein, abzuhauen. Sie müsste auf Hilfe von Ninina warten und Alex würde sie dort finden.
Das Auto fuhr jetzt sehr schnell und geradeaus. Entweder sie waren auf der Autobahn, oder auf einer geradlinigen Bundesstraße. Ihre Hände waren noch immer hinter dem Rücken gefesselt. Sie konzentrierte sich auf Energiestrahlen, mit denen sie die Handschellen lösen konnte. Zuerst schob sie, dann zog sie, versuchte einen Stoß und versuchte das Schloss aufzubrennen. Die Zauber funktionierten kaum und der Bulle zu ihrer Rechten packte sie am Oberarm, damit sie sich nicht mehr bewegte. Ganz vorsichtig experimentierte sie weiter. Und tatsächlich; sie bekam die rechte Schelle auf. Es war schwierig, ihre Hand auszufädeln, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Dann versuchte sie es mit der Schelle der linken Hand. „Sind lästig.“ Sagte die Frau mit orangen Stoppelhaaren. „Aber du bekommst sie bald runter.“
Was für ein netter Versuch mit einer Kriminellen ins Gespräch zu kommen, dachte Lola hämisch bei sich. Jetzt kamen Schritt zwei und drei ihres Fluchtversuchs. Sie musste die Tür öffnen, während sie sich die Polizisten vom Leib hielt und dann springen. Auch falls sie auf der Autobahn sein sollten; sie wollte nicht mehr länger warten und von der komischen Polizistin angestarrt werden. Sie wusste nicht, ob man den Riegel auch von innen öffnen konnte. Wenn sie sich wenigstens auf ihre Magie verlassen könnte….
„Wumm.“ Sie schickte nach links und rechts je einen Stoß und hechtete kopfüber zur Tür, wo sie sich hinkniete und mit den Händen nach dem Riegel tastete. „Wumm.“ Machte es noch einmal und die Tür sprang auf. Der Mann, der rechts von der Tür saß wollte sie zurückhalten. Mit seiner anderen Hand hielt er sich bei seinem Kollegen fest. Sie wollte in die Nacht hinaus springen, doch dazu musste sie sich erst losreißen. Der Transporter bremste, was jedoch bei mindestens hundert Km/h nicht so schnell ging. Hinter ihnen fuhr ein kleines Polizeiauto und bremste ebenfalls. Jedoch nicht schnell genug und es bestand die Gefahr, dass es auf den Transporter auffuhr. Lola schüttelte den Polizisten mit einem Stromstoß ab und sprang. Was sie gerade machte, war mehr als nur lebensgefährlich. Sie hatte die Arme zur Seite gestreckt und es musste für die Polizisten im nachfahrenden Auto so aussehen, als würde sie einen Bauchklatscher auf deren Windschutzscheibe machen. Im letzten Moment wurde sie zum Raben, und der Fahrtwind blies sie über das Auto hinweg.. Sie flatterte hilflos in der Luft. Wenn sie jetzt auf der Straße landete, würde sie innerhalb von Sekunden zu Dörrfleisch zerhackt. Die Autos bremsten zwar, damit es keine Massenkarambolage mit den Polizeiwagen gab, aber sie waren noch immer schnell unterwegs. Was sollte sie tun? Himmel Herr Gott sie hatte keine Chance! Ein LKW kam auf sie zu und sie würde zerschellen!! Etwas Schwarzes kam von der Seite her auf sie zugeschossen und rammte sie mit voller Wucht. Sie schrie und landete im nächsten Moment neben der kleinen Betonwand, die die beiden Fahrtrichtungen voneinander trennte. In jeder Seite der Betonwand gab es drei Spuren. Vom Aufprall war ihr noch ganz schwindlig und sie schüttelte ihre Federn wieder an den richtigen Platz. Einen Meter vor ihr kam ein Autoreifen quietschen zu stehen. Sie hatte mit ihrer Flucht einen Stau verursacht, toll. „Lola!!!“ Der Aarinvogel trippelte auf sie zu. „Hast du dir was getan?“ Er sah sie mit großen Augen an und sie konnte die Sorge darin sehen.
„Du krast mir das Leben gekretet!“ Krächzte sie und eine Rabenträne entwischte ihren Augen. „Dankresehr.“
„Du bist soooo mutig, dass du geflohen bist! Ich bin soooo stolz auf dich.“
Lola hätte ihm gerne gesagt, dass sie schon viel Erfahrung im Fliehen hatte, und dass es nicht so schlimm gewesen war. Sie hätte ihm auch gerne gesagt, dass es ihr so leid tat, dass sie im Inspektorat alles vermasselt hatte, weil sie nicht schnell genug reagiert hatte. Es war alle so viel gewesen. Ihr Hals war total trocken und das Krächzen strengte sie an. Deshalb sagte sie nichts. Jemand kam aus dem Auto um nachzusehen, was weiter vorne los war. Aarin nahm sie unter einen Flügel und zog sie zu sich. Sie gaben ein nettes Vogelpärchen ab. „Weißt du, was das ist?“ Aarin streckte sein Füßchen mit einer Papierrolle zwischen den Krallen in die Höhe. „Der Verwirrungszauber plus Gegenzauber. Wenn wir es geschafft haben, von der Straße runterzukommen und uns ausgeschlafen haben, brechen wir auf zu deiner Mutter. Versprochen. Dein Täschchen habe ich unterwegs an einen Baum gehängt. Ich hoffe ich finde sie wieder und es war nichts Wichtiges drin.“
„Krein.“ Krächzte sie. Es waren nur ihre Zugfahrkarten und ihre Jausenbox drinnen. Ihre Ausweise hatte sie vorausschauend zuhause gelassen und das bisschen Geld, dass sie mitgenommen hatte, war in ihrer Hosentasche.
Blaue Hosen kamen in ihr Blickfeld und von weiter hinten kamen noch mehr Polizeiautos. Suchte man nach ihrer Leiche, oder glaubte man, sie hatte den Sprung überlebt? Aarin hopste auf die kleine Betonwand. „Auf dieser Seite halten sie auch schon die Autos an. Vielleicht glauben sie, du bist auf die Gegenfahrbahn geplumpst.“ Lola überlegte, ob sie über die drei Spuren laufen sollte, solange die Autos noch standen. Bevor sie es vorchlagen konnte, ergriff Aarin das Wort. „Hier steht ein kleiner Laster. Siehst du ihn? Sollen wir ihn als Mitfahrgelegenheit nutzen? Wir fahren bis zur nächsten Tankstelle mit und nehmen von dort ein Taxi oder einen Nachtzug bis Mautern?“ Lola blickte nach oben. Tatsächlich sah sie über den Betonsockeln eine Lastwagenplane. Es war eine gute Idee. Sie hatte nicht die geringste Lust in der Nacht durch Wiesen und Felder zu hüpfen bis sie wieder in der Zivilisation angelangt waren. „Hilfst du mir?“ fragte Lola und Aarin kam zu ihr zurück und während sie flatterte stupste er sie von hinten, dass sie es über die Trennwand drüber schafften. Die LKW Plane war die nächste Herausforderung, aber sie konnte am Reifen hinaufklettern und sich dann an der Plane hinaufschwingen. Aarin half ihr wo es ging und für Außenstehende musste es sicher lustig aussehen. Das innere des Lastwagens war voller Schachteln und kletterten bis zu der vorderen Ecke, wo sie nach draußen sehen konnten, weil die Plane nur lose zusammengeschnürt war. „Krlettern wir aufs Drach?“ frage Lola einer Eingebung zur Folge. „Wie du willst“, sagte Aarin und sie kletterten hinauf. Oben setzten sie sich gleich hinter der Zugmaschine auf das stabile Dach und plusterten ihre Federn. Dafür, dass es bestimmt schon zehn am Abend war, waren noch viele Autos unterwegs und vor allem auf den Spuren der Gegenrichtung, wo sie aus dem Transporter gesprungen war, gab es Stau und die Autos konnten nur ab und zu ein paar Meter rollen. Hin und wieder sah man heillos überforderte Polizisten, die argwöhnisch in Autos hineinspähten und sie dann weiterwinkten. Der Laster auf dem sie saßen setzte sich langsam in Bewegung und sie mussten sich gut an der Kannte festkrallen, weil das Dach eher glatt war. Sie führen an Polizisten vorbei, die kurz die Plane anhoben, ob sich wer im Inneren versteckt hatte.
Niemand bemerkte sie als Vögel getarnt und Lola begann sich zu entspannen. Was für ein verrückter Tag… Der LKW durfte weiterfahren und sie gewannen an Geschwindigkeit. Sie hielt sich inzwischen auch schon mit den Schnabel fest um nicht weggeweht zu werden. Aarin verwandelte sich in einen Menschen und legte sie bäuchlings auf die Plane wobei er sich an der Kannte mit den Händen absicherte. Er nahm sie bei ihrer Flügelspitze und jetzt traute sie sich auch zu verwandeln. Sie lagen nebeneinander auf dem LKW Dach und lächelten sich an. Die Geschehnisse des Abends waren nervenzerfetzend gewesen. Jetzt konnten sie sich etwas entspannen wobei sie sich aber bestimmt verkühlen würden. Der Fahrtwind brauste um ihre Ohren und ihre Stirne war schon sehr kalt. Sie legte sich eine Hand schützend auf den Kopf. „Ein bisschen Wärme wäre nicht schlecht!“ schrie Aarin über den Wind, aber sie versuchte gar nicht erst Wärmestrahlen zu zeugen. Wenn sie nicht achtgab würde sie sich mit ihren schlecht funktionierenden Zauberer noch soweit elektrisieren, dass ihre Haare wie Igelstacheln vom Kopf abstanden. „Ich hasse es, das ich nicht zaubern kann!“ schrie Aarin und Lola nickte verständnisvoll. „Wenigstens können wir uns noch verwandeln!“ rief sie zurück. „Aber so in Natura hab ich dich viel lieber!“
Die letzten Stunden hatte sie mit Aarin als kleinen, aber gefinkelten Vogel verbracht. Jetzt genoss sie es, wieder ihren großen, muskulösen, schönen Aarin zurückzuhaben dessen Lächeln ihr so viel bedeutete. „Was ist, wenn sie uns mit einem Helikopter suchen und hier am Dach liegen sehen?“ schrie Lola. „Bestimmt nicht. So gut organisiert sind die nicht und was hast du schon getan? Einen sowieso leeren Safe ausgeraubt? Alex wird nicht preisgeben, dass er einen Zauberspruch darin aufbewahrt hat.“ antwortete Aarin. Im nächsten Moment fuhren sie unter einem Blitzer durch, der die Geschwindigkeit maß und von zu schnellen Autos ein Foto machte. Es blitzte über ihnen und man würde ihre Gestalten am Foto gewiss erkennen, weil das LKW Dach weiß war. „Tja, zu spät!“ sagte Lola und lachte. Aarin lachte auch und sie kuschelten sich aneinander weil sie froren. „Ich hab noch nie sowas verrücktes erlebt“, sagte Aarin. „Beruhigt mich, dass Verfolgungsjagden nicht auf deinem alltäglichen Programm stehen!“ sagte sie und schmuddelte ihr Gesicht in sein T-Shirt. Morgen hatte sie bestimmt eine Stirnhöhlenentzündung. Wie es wohl weiterging? Man hatte ihr Gesicht bestimmt auf Überwachungskameras. Würde die Polizei sie finden und wie sollte sie sie von ihrer Unschuld überzeugen? Man hatte bestimmt Fingerabdrücke von ihr. Sollte sie gleich nach Ninina gehen und ihre Mutter mitnehmen? „Wie sollen wir all das den Leuten in Ninina erklären?“ Aarin schien sich ähnliche Fragen zu stellen.„Zerbrechen wir uns morgen den Kopf darüber“, meinte Lola. Sie war müde und freute sich unheimlich viel auf ihr Bett. Der LKW war bei der Ausfaht Richtung Hyppolit vorbeigefahren und nahm jetzt aber eine, die Richtung „Haag Süd“ fuhr.
„Was ist das?“ fragte Aarin als sie ein Krachen hörten. „Vielleicht sind ein paar Schachteln umgefallen?“ Der LKW machte einen starken Schlenker nach rechts und schien von der Fahrbahn abzukommen. Er schaffte es dann doch in der Spur zu bleiben. Lolas Hände brannten, um ein Haar wäre sie vom Dach gefallen. Wieder krachte es. Lola hatte ein ungutes Gefühl. „Sollen wir abspringen? Als Vögel?“ fragte Aarin. Sie zögerte mit der Antwort. Sie war heute schon mal aus einem fahrenden Gefährt abgesprungen und wäre fast unter Rädern gelandet, wenn Aarin sie nicht gerettet hätte. Außer dem LKW gab es im Moment keine Autos hier auf der Bundesstraße, aber trotzdem. Ein anderer Lkw kam ihnen entgegen. Sollte sie, oder sollte sie nicht.
In diesem Moment krachte es noch einmal laut. Aarin befand sich schon als Vogel in der Luft. „Ein Reifen ist ab!“ schrie er aus voller Kehle, während der Lastwagen in eine gefährliche Schräglage kam. Es fühlte sich an als riss eine ihrer Handflächen auf und sie musste loslassen. Noch als Mensch schlitterte sie quer über das Dach. Ihre nackten Unterschenkel und Ellbogen schmerzten höllisch. Sie wurde in die Luft geworfen und endlich wurde sie zu einem Vogel. Der Lastwagen stand inzwischen quer auf der Landstraße und der andere LKW konnte nicht mehr bremsen. Sie flatterte wie verrückt und wusste nicht, wie sie sich vor dem, auf sie zurollenden, Ungetüm retten konnte. Wenn sie nicht schnell war, würde sie gegen die Windschutzscheibe prallen und im Anschluss zwischen den beiden LKWs zermanscht werden. Sie warf sich mit ganzer Kraft nach links. Der LKW war nur noch einen halben Meter von ihr entfernt. „Ratsch“, ihr Flügel streifte den Seitenspiegel. Es fühlte sich an, als würden ihr sämtliche Federn ausgerissen. Oder war es ihr Arm, der aufgerissen war? Sie war Mensch und fiel wie ein Sack zu Boden, während nur ein paar Schritte von ihr entfernt der Hinterreifen des LKWs zu stehen kam. „LOLAAA!“ Aarins Gesicht beugte sich über sie. „Was soll ich tun! Wie kann ich helfen!“ Sie hatte keine Ahnung. Auf einmal wusste sie nicht mehr wo sie war und was passiert war. War ihr rechter Arm noch dran oder nicht. Und weshalb lag sie so verrenkt am Boden? Ihre Knochen waren nicht mehr am richtigen Platz. Sie konnte nur die Fingerspitzen ihrer gesunden Hand bewegen. Etwas rollte über ihr Gesicht, aber sie wusste nicht was. Sie stand unter Schock „Ich muss ins Spital“, sagte sie. „Wenn es mir wieder besser geht, komm und hohl mich ab. Inzwischen hilf meiner Mutter, aber sag ihr nichts.“ Sie wollte noch sagen, dass er sich ein Handy der LKW Fahrer schnappen sollte und die Nummer 144 war. Doch sie konnte nicht mehr und hörte ein Auto näher kommen. Man würde ihr schon helfen. „Lass dich nicht sehen. Geh, “ sagte sie zu ihrem großen Freund. „Geh.“
Sollte sie dem Dunkel gehorchen, das wie eine Welle über sie hinweg schwappte? Von einer Sekunde zur anderen fühlte sie unglaubliche Schmerzen in ihrem rechten Arm, ihrer Hüfte, ihrem Kopf. Die Welle kam zurück, und diesmal gehorchte sie.
***
Sie schwebte über einer Frühlingswiese. Es blühten Krokusse und Himmelsschlüssel. Sie sah einen gelben Schmetterling der sich auf einen Grashalm setzte um von dem frischen Tau zu trinken. Die Wiese glitzerte wunderschön, weil die Sonne ihre Strahlen drauf warf. Sie legte sich in das Gras und sank darin ein wie in einem weichen Bett. Der Himmel strahle blau als gäbe es keine einzige Wolke auf dieser Welt. Woher kam dieser wunderschöne Traum? Ameisen kletterten an ihren Beinen hoch. Sie konnte sie nicht abschütteln. Eine große brummende Hornisse kam und stach sie in den Arm. Einmal, zweimal, noch einmal. Sie schrie, aber im nächsten Moment fiel etwas vom Himmel direkt auf ihre Stirn und sie konnte nicht mehr denken. Grauenvolle Geräusche drangen in ihre Ohren. Sie wollte sie zuhalten, aber ihre Arme waren einbetoniert. Sie schrie noch einmal, aber sie wusste, dass niemand sie hören konnte, weil all die anderen Geräusche so laut waren.
Ich wache auf. „Sie wacht auf.“ Wer hatte das gesagt? Sie selbst. Lola war verwirrt und öffnete kurz die Augen, nur um nachzusehen wo sie war. Es standen viele Leute um ihr Bett. Sie erkannte niemanden wieder, es waren nicht ihre Freunde. Diese Menschen konnten ihr gestohlen bleiben, sie wollte sie nicht sehen. Wieso standen die alle um sie herum? Achja richtig; das Krankenhaus. Wurde sie gerade operiert? Oh Nein bitte nicht. Wieso war sie dann wach wenn sie operiert wurde? Und wenn sie nicht operiert wurde, wieso waren die dann alle da? Ihr Mund wurde geöffnet und Wasser rann ihre Kehle hinunter. Es brannte. Wollte sie aufwachen oder nicht? Ihr Kopf drehte sich und tat weh. Ganz zu schweigen von ihrem restlichen Körper. Sie dachte an Heilstrahlen und schickte sie durch den Körper. Es half, zumindest verschwand all der Druck den sie spürte. Wenn sie wollte, konnte sie jetzt aufwachen, die Augen aufschlagen, denken, ins Leben zurückkehren. Aber wozu, wenn man keinen Grund dazu hatte? Sie würde erst aufwachen, sobald Aarin zurückkam und ihr vorschlug, was sie als nächstes unternehmen wollten. Ja, das war eine gute Idee. Hey Wiese! Komm zurück! Sie kehrte zurück auf die Frühlingswiese und sah ein paar Marienkäfern beim Spielen zu, während die Sonne ihre Strahlen bis auf den Grund ihrer Seele schickte.
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„Lola!“ flüsterte jemand. „Aarin?“ fragte sie leise.
„Nein, ich bin Alex. Hör mir gut zu. Ich habe deine Mutter, wieder zurückverwandelt. Du darfst hier um keinen Preis deine Identität preisgeben. Am besten du schweigst und sagst gar nichts. Man nimmt an, du kämest aus dem Ausland. Sie wissen noch nicht, wer du bist. Deine Akte habe ich vernichtet. Ein Freund von mir aus Ninina ist unterwegs und holt dich hier raus. Bis dann, sei tapfer.“
Alex war noch da, sie konnte ihn dicht neben ihrem Ohr atmen hören.
„Hast du mich verstanden? Bist du anwesend?“ fragte er.
„Ja“, sagte sie mit einer Reibeisenstimme. „Milton ist böse, Alex. Frag meine Mutter, sie weiß es.“ „Woher kennst du ihn? Woher weißt du das?“ Eine Tür öffnete sich. Alex verließ das Zimmer, während eine andere Person eintrat. Sie öffnete ein Lid und sah, dass es halb dunkel war. Gut, dann konnte sie weiterschlafen.
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„Wir wissen, dass du wach bist.“
Na toll, das wusste sie selbst auch. Was noch war; dass sie aufs Klo musste und zwar dringend. Man hatte ihr die letzten Stunden so viel Flüssigkeit eingeflößt, dass sie einen Wasserbauch hatte. Sie wollte sich so selbstbewusst und sicher benehmen, wie eine russische Spionin. Das war die Rolle, die sie sich ausgedacht hatte. Sie würde die meiste Zeit schweigen und nur gebrochenes Deutsch sprechen. Als sie die Augen öffnete, sah sie sich erst mal das Zimmer genau an. Es war ein Krankenhauszimmer, aber das Fenster war vergittert und vor der Tür stand jemand der wie ein Security aussah und eine Waffe hatte. „Du bist im Spitalstrakt der Justizanstalt Mayern,“ sagte eine Person in Anzug. Daneben stand jemand im Doktorkittel. Sie mochte keine Ärzte und wünschte sich Doc aus Ninina hierher. Ihn war sie schon gewohnt und er war so schön verrückt. „Du hattest dein Hüfte ausgekegelt, eine schwere Gehirnerschütterung und vor allem einen offenen Arm mit Verbrennungen vierten Grades. Wir mussten Haut von deinem gesunden Arm extrahieren um sie dir am verletzen einzupflanzen. Igitt, das hörte sich eklig an. Ihr Arm befand sich in einem Gips und sie spürte hundert Ameisen hinauf und hinunterlaufen. Die Gehirnerschütterung wirkte sich insofern aus, dass es sehr anstrengend war, die Augen offen zu halten. Und dass ihre Hüfte ausgekegelt gewesen war, fand sie sehr komisch Sie hatte nicht gewusst, dass sowas möglich war. Über dem Bett hin ein Steuerkästchen, mit dem sie das Bett so aufrichten konnte, dass sie saß. Sie trug ein Krankenhausnachthemd, das sich sehr nach Plastik anfühlte und schwang ihre Beine über den Bettrand. „Toilette“ sagte sie und eine Krankenschwester eilte ihr zur Hilfe. Einer ihrer Knöchel fühlte sich verstaucht an und ihre Beine waren aufgeschürft. Was hatte sie sich noch alles getan? Ihre Hüfte fühlte sich tatsächlich komisch an, als sie vorsichtig einen Schritt machte. Zum Glück hatte wenigstens ihre Wirbelsäule nicht dran glauben müssen. Das Bad war karg und kalt. Es gab keinen Spiegel damit sie niemanden damit weh tun konnte, aber auf einer Fliese klebte ein Stück Spiegelfolie.
Sie erschrak vor sich selbst. Es war klar, dass sie in ihrem Zustand nicht sexy aussah, aber sie war ja geradezu zu fürchten! Nach der Maturafeier und dem ersten Ausflug zu Alex hatte sie sich nur kurz Zeit zum Abschminken genommen. Sie hatte noch immer Schminkreste um die Augen und dadurch dunkle schwarze Ringe. Vor und über dem rechten Ohr hatte sie ein weißes Verbandspflaster, hier war sie mit dem Kopf am Boden aufgeprallt. Nachdem sie wieder zum Bett gehumpelt war, erklärte der Doktor, dass sie schon mehr als einen ganzen Tag hier war und heute Abend wieder eine Operation hätte. Ihr Arm brauchte unter dem Gips einen frischen Verband und das ging nur mithilfe von Narkose weil Verbrennungen besonders schwere Verletzungen waren.
Der Mann in Anzug sah sie auffordernd an. „Was ist in der Nacht vorgestern genau passiert nachdem du aus dem Transporter gesprungen bist? Du konntest mithilfe des LKWs mehr als dreißig Kilometer flüchten, und wenn es den Unfall nicht gegeben hätte, hätten wir dich wohl nie wiedergesehen. Ein Blitzbild zeigt dich und auch einen zweiten Schatten am Dach des LKWs. Der Lenker war nur leicht verletzt und gab an, dass er zwischen der abgesperrten Zone und dem Unfall keinen einzigen Zwischenstopp gemacht hatte. Wenn es tatsächlich ein Komplize von dir war, wo ist er abgestiegen oder wie hat er den Unfall überstanden. Wie hast du überlebt. Der LKW war mit sechzig Stundenkilometern unterwegs und du bist geradewegs auf den Asphalt geprallt. Du weist aber kaum innere Blutungen auf. Lediglich deinen Arm hat es schlimm erwischt.“
Sie hatte nicht vor ihm zu erzählen, dass sie zuvor noch gegen den anderen LKW geprallt war, und drückte auf den Knopf, der ihr Bett wieder eben werden ließ.
„Sie braucht Ruhe“, sagte der Arzt und sie stellte sich vor, wie der Mann in Anzug enttäuscht die Leine zog. Sie beschloss wieder zu schlafen, was ihr trotz der Schmerzen nicht schwer fiel, weil ihr Kopf brummte da sie ihre Augen noch immer nicht anstrengen durfte.
Sie wachte auf, schlief wieder ein, träumte von ihrer Zeit in Ninina, zählte Schäfchen und stellte sich vor, sie konnte genauso gut fliegen wie Aarin und unternahm mit ihm einen Ausflug zu einem See. Dann machte sie sich Sorgen, dass Milton sie vor Aarin fand und was sie dann machen sollte. Zwischendurch öffnete sie auch manchmal die Augen und ging alleine ins Bad um Grimassen zu schneiden und ihre Füße zu bewegen. Sobald sie wieder in ihrem Bett war, spielte sie die Statue und reagierte auf nichts. Lediglich die Krankenschwester lächelte sie an, sie war auch die einzige die etwas Sinnvolles arbeitete. Die anderen Menschen, Ärzte sowie Männer in Uniformen ignorierte sie. Sie waren wahrscheinlich Alex Vorgesetzte und wollten endlich wissen wer sie war. „Wie ist dein Name? Woher kommst du? Was hat es mit dem Vogel auf sich.“ Es kam nicht oft vor, dass sie von diesen Menschen alleine gelassen wurde. Sie kamen und gingen in regelmäßigen Abständen, als hatten sie nichts anderes zu tun als zu warten, dass sie sich endlich mit ihnen unterhielt. „Die Sekretärin des Notars hat uns deinen Komplizen beschrieben, wer ist er und für wen arbeitet ihr? Was war in dem Safe, das euch interessieren konnte?“ Sie nahmen ihr Fingerabdrücke und Speichelproben ab, machte Fotos von ihrer Iris und so weiter. Fast empfand sie Mitleid mit ihnen. Sie hätte ihnen gerne von Ninina und den Zauberkräften erzählt, dass sie nicht mehr so verwirrt waren. „Wenn sie trainiert wurde, ist es schon lange her. Ihre Muskeln sind nicht weiter entwickelt, als bei einem Mädchen ihres Alters, das Sport betreibt.“ Am Abend bekam sie eine teilweise Narkose und der nächste Tag verlief in ähnlichem Muster, außer, dass die Operation für den Morgen danach angesetzt war und sie zum ersten Mal so richtig duschen durfte.
Sie langweilte sich fast. Wenn da nicht die Sorge um Milton gewesen wäre und die Sorge, dass ihre Identität aufflog, hätte sie sich vielleicht entspannen können. Doch so war ihr Kopfweh nur doppelt so schlimm. Sie bekam wegen ihrem Arm Schmerzmittel, die sie jedoch in einem dauerhaft benommen Zustand versetzten. Um den Heilprozess zu beschleunigen, probierte sie es immer wieder mit Heilstrahlen, wusste aber nicht genau wie man sie anwendete. Freitag, hatte das Abenteuer in Hyppolit und der Flucht seinen Höhepunkt genommen. In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte Alex sie besucht und am Morgen danach war sie zum ersten Mal aufgestanden. Demnach war gerade Montagabend und am Donnerstag dem 23. Juni wollte sie auf Maturareise fliegen. Es war an der Zeit, dass sie gerettet wurde und dass ein ausgebildeter Zauberer im Besitz seiner magischen Kräfte ihren Arm heilte und auch die anderen Schrammen an ihrem Körper.
In der Nacht bekam sie tatsächlich Besuch. Jemand drückte ihr einen Zettel in die Hand. Sie switchte das Licht an und begann zu lesen. „Von einem Freund. Ich habe Milton geschrieben, ich habe hier alles unter Kontrolle, aber er kommt trotzdem. Er hat mich um den Gefallen gebeten, dass ich eure Zauberkräfte banne, weil ihr etwas Böses im Schilde führt. Als Belohnung wollte er mich in N. in seine Regierung aufnehmen. Du weißt, wie sehr ich mir wünsche dort einmal hinzugelangen und außer deiner Mutter habe ich kaum noch etwas, was mich auf der hier hält. Ich träume schon mein Leben lang, dass ich wie meine Schwestern nach N. gehen kann. Deine Mutter ist mittlerweile wieder Zuhause. Sie hat mir erzählt, was Milton mit Lukander gemacht hat und sie hat mir auch erzählt, dass es ein verbotener Fluch ist. Das hätte ich mir gleich denken können, es tut mir so leid, dass ich ihn an deiner Mutter angewandt habe, aber es war nur für kurze Zeit damit sie mir nicht in die Quere kommt. Ich will nicht, dass Milton mit dir dasselbe macht, wenn er hier auftaucht, vor allem weil ich den Auflösungszauber dafür nicht mehr habe, weil ihr ihn aus dem Safe gestohlen habt. Sobald A. bei deiner Mutter auftaucht, erzähle ich ihm, wo du bist. Inzwischen schicke ich dir das Einzige, womit ich dir gegen Milton helfen kann. Er ist aber immer noch mein Freund, sag ihm nicht, dass ich dir den großen Spruch zurückgegeben habe. Vernichte diesen Brief, Danke.“
Das Lesen hatte sie angestrengt und darüber nachzudenken was Alex ihr geschrieben hatte, strengte sie noch mehr an. Wo war Aarin und konnte sie Alex wirklich Vertrauen? Seine Meinung hatte sich sehr schnell geändert. Sie weichte den Brief in einem Glas Wasser ein, das auf einem Nachtkästchen stand. Auf einem zweiten Blatt Papier befand sich der Zauber zum Bannen von Magie. Wenn sie ihn gegen Milton einsetzen konnte bevor er ihr den Verstand wegzauberte, würde sie sich glücklich schätzen. Was Alex jedoch nicht wusste, war, dass sie ihre Zauberkräfte nur teilweise benutzen konnte. Wie konnte sie mit der bisschen Magie, die sie im Blut noch hatte Zauber ausführen, die nicht danebengingen?
Sie beruhigte sich; immerhin waren ihr damit zwei Fluchtversuche geglückt und Aarin würde sie mit Alex Hilfe vor Milton finden. Er sollte sobald wie möglich hier sein; dies hier war doch ihr gemeinsames Abendteuer. Sie mussten die großen Zauber vernichten bevor jemand aus Ninina es erfuhr und sie wussten jetzt, dass Alex der Schlüssel zu Milton war. Außerdem hatten sie als Beweis den Umkehrzauber zum Verwirrungsfluch. Das Rätsel war praktisch gelöst und sie sollten sich darüber gemeinsam freuen und das letzte Puzzleteil lösen. Stattdessen wartete sie hier untätig im Krankenhaus/Gefängnis und verwirrte Menschen, die ihr nichts getan hatten. Sie versteckte den großen Zauber in dem Bezug ihres Kopfpolsters und ging aufs Klo um dort Alex Brief hinunterzuspülen. Die Ablöse der Krankenschwester kam ins Zimmer und bot ihr Hilfe an, wieder ins Bett zu gelangen. Am Morgen wurde sie wieder aufgeweckt nur um gleich darauf wieder in Narkose versesetzt zu werden, damit ihr der Verband wieder gewechselt werden konnte. Wann hatte das endlich ein Ende? Sollte sie sich heute Nacht als Vogel raus schleichen? Aber selbst ein Vogel kommt aus einem fensterlosen Gefängnis schwer raus. Die Türen waren verschlossen und auch in Vogelform könnte sie erwischt und gefangen werden.
***
Sie war wieder auf der Wiese. Diesmal war sie nicht allein, sondern in Gesellschaft. Es waren Tiere, die ihre Freunde herbeibrachten. Aarin kam auf einem kleinen Pony angeritten. Maria saß auf einem großen Hasen und hielt sich an seinen Ohren fest. Magic kam auf einem dicken Schwein angeritten und hinter ihr saß Miracle. Sie rutschten ab und landeten in einer Grube voll Dreck. Enjen kam in dem er auf einem Flamingo saß, der so groß wie ein Strauß war und half den beiden heraus. Aarin würdigte sie keines Blickes, sondern kam direkt auf sie zugeritten. Das Pony wurde immer kleiner und verschwand, sodass Aarin das letzte Stück lief. Er hob sie hoch und drehte sie im Kreis. Immer höher und höher stiegen die beiden in der Luft und aus den Augenwinkeln sah sie, wie ihre Freunde ihnen beiden winkten. Der Traum schien ihr Mut zuzusprechen. Sie wachte mit einem Lächeln auf. Aarin wie er mit einem Pony, das viel zu klein für ihn war, zu ihre geritten kam… Milton war in dem Traum nicht aufgetaucht. Er würde nicht kommen. Sie konnte ruhig sein.
Die Tür ging auf. „Ratsch.“ Die Vorhänge waren aufgerissen worden. Wer war da? Sie machte die Augen auf. Die Krankenschwester saß mit geschlossenen Augen neben ihr und schlief. Ein unsichtbarer Besucher der ungestüm die Tür aufriss und dann die Vorhänge aufmachte? Oh nein. Verdammt. Sie fingerte mit nach dem Spruch in ihrem Kopfpolster. Wie dumm, dass sie nur eine Hand hatte, sie musste den Zettel zwischen ihren Knien einklemmen, die sie rasch anzog. Dann hielt sie sich die Hand über den Kopf, sie musste sich um jeden Preis vor dem Fluch schützen. „Zeig dich! Schurke!!!“ zischte sie wütend und verengte ihre Augen zu Schlitzen. Wenn sie wusste, wo er war, würde sie ihm alle Magie entgegen schleudern, die sie freisetzen konnte. Und wenn das bedeutete, dass sie das ganze Zimmer unter Starkstrom setzte und selbst dabei umkam. „Klick.“ Der Krankenschwester fiel ein Kugelschreiber aus der Hand. „Zeig dich!!!“ zischte sie noch einmal und ballte die Hand über dem Kopf. Jemand hielt ihre Faust fest und sie war drauf und dran einen Zauber loszulassen, als vor ihr ein lachendes Gesicht erschien. Es war schon ein paar Monate her, seitdem sie Miracle zuletzt gesehen hatte. Er wollte sie Umarmen, was ihr aber Schmerzen bereitete. Hinter ihm tauchte Aarin auf und jetzt begann sich auch auf ihrem Gesicht ein großes Grinsen auszubreiten. „Ihr seid gekommen, ich kann es nicht glauben!“ Miracle stülpte den von innen durchsichtigen Schild nun auch über sie und sie befanden sich zu dritt, samt Bett, in der Alukugel. Nun bestand keine Gefahr mehr, dass sie wer hörte. „Unglaublich, ich bin ja so froh!“ rief sie und rammte Miracle ihren Ellbogen in die Seite damit er Aarin Platz machte, dem sie die Hand entgegenstreckte. Er griff sie in beide Hände und sie wollte ihn zu sich ziehen, um ihn zu küssen. Das ging aber nicht, weil die Alukugel so eng war und Miracle im Weg stand. „Und ich habe geglaubt, es ist Milton der mit mir Abrechnen will! Alex hat gesagt, er ist auf dem Weg hier her!“ Miracle strahlte und tippte auf ihre nackte Schulter, ein warmes Gefühl lief langsam ihren verletzten Arm hinunter. Sie fühlte, wie ihre Haut Millimeter für Millimeter wieder zusammenwuchs und sich vom Verband löste, der die vorherigen Tage scheußlich in ihrer Wunde geklebt hatte. Endlich wurde sie von diesem nervigen Dauerschmerz erlöst… Die beiden waren genau rechtzeitig gekommen, sie hätte es keine Sekunde länger mehr ausgehalten, dachte sie jetzt wo es gleich vorbei war. Aarin griff nach dem Zettel zwischen Lolas Knie. „Dann ist Alex also doch auf unserer Seite, dass er dir den Spruch gegeben hat?“ „Ja, er hat mir den Bannzauber als Verteidigung gegeben. Er will, dass ich Milton besiege.“
Miracle zog seine Hand zurück. „Was ist? Mach weiter!“ sagte sie und griff mit ihrer gesunden Hand nach seinen Fingern. Er zog sie wieder zurück. Sein war geradezu unheimlich riesig geworden und er zeigte für ihren Geschmack zu viel Zähne. Was war??? War er verrückt? Hatte Milton die beiden zuerst erwischt und sie handelten verwirrt und in seinem Auftrag? Auch Aarin schaute verdutzt. Gott sei Dank, er würde sie retten.
Miracle stellte ihr eine Frage: „Du hast gesagt, Milton ist auf dem Weg hierher?“ Sie nickte. „Und kommt jetzt hier her?“ Sie nickte noch einmal. Das hatte er ja schon gefragt.
„Wehe, du willst sie als Lockvogel hierbehalten“, sagte Aarin, der es schneller als sie verstanden hatte. „Oh doch“, antwortete Miracle und er war von seiner Idee vollkommen begeistert. „Wir verstecken uns hier im Zimmer hinter dem Schild und sobald Milton kommt, zeigen wir es ihm.“
„Auf keinen Fall!“ sagte Aarin. „Verstehst du nicht, dieses Abenteuer hätte an dem Tag enden sollen, an dem wir Alex den Gegenzauber zum Verwirrungsfluch gestohlen haben. Lola wartet schon seit bald vier Tagen darauf, dass sie hier rauskommt. Wenn jetzt wieder was dazwischen kommt…“ Seine lila Augen musterten besorgt ihren Arm, der in dem Riesengips steckte, damit sie ihn nicht bewegen konnte.
„Lola soll erst einmal wissen, dass Mariam und die anderen Milton vor eineinhalb Tagen aus den Augen verloren haben. Seiner Partei, gaukelt er einen Besuch bei seiner Familie vor. Wenn er nicht bald zurückkommt, will die Oberheilerin dich wieder um Hilfe bitten. Magic und ich wollten euch gemeinsam in Sankt Franz besuchen, weil Aarin uns diesen mysteriösen Brief geschrieben hat und wir euch von den Neuigkeiten unterrichten wollten.
Als wir ankamen, unterhielt sich Aarin gerade mit deiner Mutter, die ihm erzählte, wo du warst und dass Alex sie noch am selben Nachmittag von dem Fluch erlöst hatte. Während er ihr nach Mautern nachflog, seid ihr in seine Wohnung und später in sein Büro eingebrochen. Alex hatte ihre Mutter gefragt, ob das mit Lukander stimmt und seitdem hat sie ihn nicht mehr gesehen.
Wir haben Magic mit dem Gegenzauber nach Ninina zurückgeschickt und ihr auch die Kamera mitgegeben. Sie ist bereit für euch beide dieses Wahnsinnsverbrechen zu wiederholen. Ich find´s geil, wenn ihr mich fragt.“ Miracle war ganz schön ausgeschweift und holte tief Luft. „Und wenn wir jetzt herausfinden, dass Milton hier auf die Erde kommt und weshalb… Dann sind wir Helden! Und vielleicht erfahren wir noch, woher Milton und dieser Alex den Fluch eigentlich herhaben.“
So sehr sie sich freute Miracle zu sehen, er strengte sie mit seinem Eifer an. Jetzt verstand sie auch, weshalb er ihren Arm nicht fertig heilen wollte. Sie würde vorerst hier unter der Aufsicht von den Ärzten und Inspektoren bleiben. Na toll. Aber ja, sie würde mitspielen.
Aarin war nicht so leicht zu überreden wie sie selbst und er stritt sich noch mit Miracle. Lola räusperte sich. „Wir müssen uns mit einer Entscheidung beeilen, bevor wer hereinkommt oder die Krankenschwester aufwacht.“
„Kein Grund zur Sorge, alles unter Kontrolle“, sagte Miracle und ließ die Energiestrahlen, die von seinen einzelnen Fingern ausgingen, aufleuchten. „Also was sagst du?“ fragte er.
Lola blickte ihm kurz ins leuchtende Gesicht, fixierte dann aber Aarin, als sie antwortet. „Erinnerst du dich, dass es unser gemeinsames Abenteuer werden sollte? Wir haben es fast geschafft und dann wurden wir getrennt. Wir bekommen gerade eine Chance es doch noch gemeinsam zu Ende zu führen. Es ist noch einiges ungeklärt geblieben. Sollen wir Miracle nicht auch noch sein Abenteuer gönnen?“ Sie glaubte, sie hatte ihn überzeugt.
„Nein“, sagte er. Also doch nicht? „Es ist nicht Miracle´s Abenteuer, sondern das von uns beiden.“ Er wandte sich zu Miracle. „ Wir bleiben hier, aber du hältst dich schön brav im Hintergrund und hilfst nur, wenn wir so gütig sind und es dir erlauben.“
„Tja dann erlaubt mal schnell weil ich bin zufällig der Einzige hier, der noch zaubern kann.“ Sie lachten und Miracle zog die Kugel um sie enger. Lola rutschte aus der Kugel hinaus und somit verschwanden die beiden Burschen aus ihrem Blickfeld. Die Digitaluhr an der Wand zeigte sechs Uhr morgens, bis zur erneuten Operation konnte sie noch etwas schlafen.
Ein paar Stunden später wurde sie zum Ersten Mal in ein anderes Zimmer gebracht. Zwei Polizisten begleiteten sie und die Schwester, als sie über den Gang in einen anderen Raum gingen. Auch am Gang waren Wachen aufgestellt, alleine hätte sie hier niemals fliehen können. Hoffentlich waren Aarin und Miracle ihnen nicht bis hierher gefolgt. Sie gab bestimmt einen jämmerlichen Anblick im Krankenhausnachthemd, immerhin hatte ihr gestern die Krankenschwester geholfen ihre Haare zu waschen. Wie die Tage zuvor wurde sie teilweise betäubt und der Gips aufgeschnitten. Das Schneidegerät wurde sofort wieder außer Reichweite gebracht, damit sie nicht dummes damit anstellte. Danach löste man mit einer stinkenden Tinktur den Verband von der Brandwunde. Lola traute sich nur aus den Augenwinkeln zusehen und selbst davon wurde ihr schlecht. Der Unterarm war noch ziemlich offen und blutig, ihr Oberarm sah schon besser aus.
Die Ärzte wirkten überrascht; Miracle hatte in den Sekunden, in denen er sie heilen wollte, anscheinend gute Arbeit gemacht. „Das gibt’s nicht! Das sollte erst in frühestens einer Woche so sein!“ „Hier ist ein Foto von vorgestern!“ „Unmöglich!“
Lola hatte ihr Pokerface aufgesetzt. Sie fühlte sich schlecht, dass sie nichts erklären konnte. All diese Leute um sie herum sollten sich keinen Gedanken an ihr verschwenden und sich anderen Patienten oder Gefangen zuwenden, die es mehr als sie brauchten. Vor einem Jahr hätte sie nie geglaubt, dass sie einmal einen Freund finden würde, der sie wirklich liebte. Sie hatte nun Aarin und er war mehr als sie sich jemals erträumt hätte. Mit ihm konnte sie, wenn es sein musste, in einer Hundehütte leben. Er schenkte ihr alle Aufmerksamkeit der Welt und in Ninina hatte sie sich zu einer Schlüsselfigur all der Veränderungen, die dort vorgingen, entwickelt. Und jetzt missbrauchte sie ungewollter weise auch hier auf der Erde Zeit und Energie von anderen Menschen. Nachdem neue Fotos von ihren Wunden gemacht worden waren, durfte sie in ihr Zimmer zurückgehen. Wegen der Betäubungsspritzen fühlte sich ihr Arm so an, als wäre er auf das doppelte aufgebläht und schlaff.
Im Zimmer wartete die Polizistin mit den orangen Stoppelhaaren auf sie, heute trug sie zivil und war unbewaffnet. „Hallo, mein Name ist Susi. Wir haben uns schon letzten Freitag kennengelernt, als wir unterwegs nach Mayern waren.“ Sie blickte um sich. „Wo wir jetzt sind.“
Toll, wie einfühlend, gleich im ersten Satz zu betonen, dass sie doch geschnappt worden war. Die Polizistin Susi streckte ihr die Hand zur Begrüßung hin. Erst nach einem kurzen Moment registrierte sie die Gipsschiene und Bandagen um ihren rechten Arm. Damit es für Susi nicht peinlicher wurde, bot sie ihr die andere Hand an.
Susi versuchte, wie schon viele vor ihr, sie ins Gespräch zu ziehen und setzte sich zu ihr ans Bett. Für eine Polizistin wohl ziemlich unprofessionell. Lola lächelte sie an und Susi freute sich über ihre Reaktion. Eine Weile saßen sie schweigend da. „Du siehst aus, als würdest du selbst unter Folter nichts preisgeben. Wenn du wenigstens irgendetwas sagen würdest.“
Draußen vor dem Fenster war ein dunkler Schatten, der sich bewegte. Ein rotes Band wickelte sich um das Gitter. Alex würde nie so unvorsichtig sein. Es war Milton. Sie setzte sich kerzengerade auf. Hoffentlich bekamen Miracle und Aarin mit, was los war. Was sollte sie bloß mit Susi, der Schwester und dem Typen an der Tür machen? Sie brauchte eine Ausrede und zwar schnell. „Kannst du kurz rausgehen, bitte.“
„Sie hat was gesagt!“ quiekte die Krankenschwester. „Soll ich auch rausgehend?“
Die Wache an der Tür machte einen Schritt nach vorne. „Wollen Sie vielleicht jemanden bestimmten sprechen?“
Der Schatten verschwand vom Fenster, aber bestimmt würde er gleich wiederkommen.
Sie schüttelte den Kopf. Keine der drei Personen bewegte sich vom Fleck, wieso hatte sie das erstbeste, was ihr durch den Kopf gegangen war, gesagt? „Kannst du mir bitte mein Wasserglas nachfüllen?“ fragte sie Susi, die sich argwöhnisch von ihr entfernte und ins Bad ging. Im selben Moment kamen grüne und rote Blitze aus der Zimmerecke. Miracle hatte die Krankenschwester, die Wache und Susi bewusstlos gezaubert und schubste sie mit Magie alle drei in das Badezimmer und verschloss die Türe. Sie konnte weder ihn noch Aarin sehen, sie waren unter ihrer Schutzhülle. Der Schatten kam wieder zum Fenster zurück und diesmal krachte es, das Gitter und das Plexiglas waren weg. Ein mittelgroßer Mann mit braunen Haaren und rosa Augen saß am Fensterbrett. So sah also der Mann aus, wegen dem viele Zauberer der Häuser nicht mehr ruhig schlafen konnten. Er winkte ihr zu und wirkte ungefährlich und nett. Er trug ein loses weißes Hemd und drollige rote Stiefeln, die nicht zum Wetter passten, aber ihm einen lustige Note verliehen. Sie verstand, weshalb seine ehemaligen Kollegen ihm zumindest noch ein bisschen Vertrauen schenkten.
„Hallo“, grüßte er sie. „War da nicht noch jemand Herrinnen?“ Sie schüttelte den Kopf und in diesem Moment ging eine Alarmanlage los. Milton spann einen Schildzauber, der sich exakt der Form des Zimmers anpasste. Nun konnten sie die Sirene nicht mehr hören. Hoffentlich würde Miracle noch warten, bevor er Eingriff. Sie wollte hören, was der Mann vor ihr zu sagen hatte. Milton kam noch immer lächelnd auf sie zu. „Keinen Schritt weiter, sonst machen Sie mich verrückt wie meine Mutter.“
Der Mann mit rosaroten Augen schüttelte seinen Kopf. „Wenn ich das wollte, hätte ich schon Alex damit beauftragt. Mir genügt es, dass du vorerst einmal nicht zaubern kannst. Darf ich?“ Er wies fragend auf ihren Arm und kam näher. Sie nahm ihre Fingerspitzen, die schlaff aus dem Gips heraushingen und heilte die Verbrennungen. Argwöhnisch beobachtete sie ihn. „Du bist der Premierminister vom Nordreich. Weshalb bist du hier? Was für einen Wert habe ich für dich, dass du dich um mich kümmerst?“
„Ich will dich hier herausholen, damit du mir bei einem sehr wichtigen Unternehmen hilfst. Schon seit meiner Kindheit interessiere ich mich sehr für Geschichte und Geographie. Die Erde, wie auch das Nordreich Ninina´s habe ich besonders ins Herz geschlossen. Lukander, den du für die Häuser aufgespürt hast, ist kein guter Mensch. Er pflegte enge Verbindung zu Hanin, einem Land, dessen Wirtschaft eng mit derer des Nordreiches verbunden ist, sich politisch aber völlig isoliert. Als Frau Minna ankündigte, dass Hanin keine Unterstützung der Häuser in ihrer Regierung wollte, und den magischen Berater aus ihrer Regierung schmiss, bekam sie die Unterstützung Lukanders. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass ich Zauberer war, er war damals in der Parteihierarchie noch nicht so weit aufgestiegen. Ein Jahr später trafen wir uns regelmäßig um über die Zaubererfrage zu diskutieren. Wir lernten uns gegenseitig zu schätzen weil im Prinzip beide von uns Recht hatten. Doch als er zum Parteichef ernannt wurde und ich zu seinem Berater wurde, musste ich das einzig Richtige tun. Was wäre sonst aus den Zaubern Nininas geworden? Man hätte uns jegliche finanzielle Unterstützung gestrichen und uns das Mitspracherecht in Parlament und Wirtschaft verweigert.“
Die Luft im Raum flimmerte. Das schmale Fenster fehlte samt Gitter und die Sonnenstrahlen konnten dadurch leicht eindringen. Der Schild war von innen durchsichtig und die Sonnenstrahlen, die durchfielen, wurden abgelenkt und am Boden bildete sich ein Regenbogen. Sie konnte nicht hören, was vor ihrem Zimmer los war, aber sie stellte sich vor, wie die Polizisten vergeblich versuchten, die Wand zu durchbohren oder sogar Löcher durch die Tür schossen.
„Ich habe nicht verstanden, was Sie mir gerade zu erklären versuchten“, sagte Lola. „Bevor sie mich hier rausholen will ich wissen, wozu sie mich brauchen. Ihr Verwirrungszauber ist gerade auf dem Weg zu den Häusern und sobald Lukander redet, werden Sie eingesperrt. Wenn Sie jetzt also auf der Flucht sind, was haben Sie vor und weshalb brauchen Sie mich? Sie haben ihre Tarnung als gewissenhafter Präsident auffliegen lassen nur damit sie Alex den Gefallen tun, um mich hier rauszuholen wobei er Ihnen zuerst den Gefallen getan hat und mir meine Zauberkraft abgesprochen hat? Irgendeinen Teil der Information habe ich verpasst. Wären Sie so freundlich mich aufzuklären?“
Milton lächelte und zupfte ihre Decke zu Recht. Wenn er nur eine falsche Bewegung machte weil er einen kleinen oder großen Zauber ausführen wollte, würden Aarin und Miracle aus ihrem Versteck kommen. Wo sie samt Schutzschild gerade waren? Ein Schutzschild, dass in einem anderen Schutzschild steckte. Die Zauberei war eine Wissenschaft für sich.
Milton schien keinen Stress zu haben, dass die Gefängniswärter den ganzen Raum in die Luft sprengten, weil sie nicht herein konnten. Wahrscheinlich war es ihm auch egal, wenn diese Leute herausfanden, dass er Zauberer war. Sein freundliches Lächeln und seine netten Augen konnten nicht verstecken, dass er ein Egoist war und es genoss, wenn sich alles um ihn drehte. Ein Politiker eben…
„Antwort Eins: Alex lernte ich schon als Jugendlicher kennen und schmuggelte seine Schwestern nach Ninina. Seine Familie war im Besitz des Verwirrungsfluches. Sobald die Eltern herausfanden, dass der Fluch Teil der verlorenen Fluchsammlung war, gaben sie Alex die Aufgabe, das Buch zu finden. Bis er es hatte, sollte er auf der Erde bleiben. Alex gefiel der Auftrag zu Beginn, war bei seinen Nachforschungen jedoch nicht erfolgreich. Seine Eltern verwehrten ihm den Wunsch nach Ninina zu gehen und er stürzte sich zwischenzeitig in die Aufgabe eines Polizisten. Er war ist nach wie vor sehr erfolgreich dabei Verbrecher zu schnappen. Er sieht es als seine Mission an, das Böse in seiner Umgebung zu beseitigen. Sehr einfältig, wenn du mich fragst. Es gibt größere Verbrecher als die, die in den Gefängnissen sitzen.“
Lola verkniff sich die Bemerkung, ob er damit Politiker wie sich selbst meinte.
„Du hast mit deiner Gabe Lukander ausfindig gemacht. Schon lange hatte ich eine Idee, wie ich dich für meine Interessen verwenden könnte, aber ich habe sie immer wieder verworfen, weil dich die Häuser wie ihren eigenen Augapfel behüten und dich selbst zu gut wehren kannst. Außerdem kann ich keiner Fliege etwas zu leide tun. Ich bin also nur teilweise wegen dir da; hätte mir Alex nicht diese Nachricht zukommen lassen, wäre ich nie gekommen.
Lola fand es bemerkenswert, dass Milton und Alex eine Gelegenheit gefunden hatten über Handy miteinander zu kommunizieren. Über Satellit war der SMS Verkehr bestimmt nicht abgewickelt. Wahrscheinlich steckte ein ähnlicher Spruch, wie der, der unter der Brücke den Postkasten aus Ninina eingerichtet hatte, dahinter.
„Milton. Lola hat Bannungszauber für Magie und Bannungszauber für ihre Gabe. Habe in ihrem Zimmer eine Kette mit weißer Blume gefunden und es als Zauberartefakt geprüft. Trifft auf Beschreibung des Schutzamulettes zu. Bringe es als Bezahlung mit nach Ninina?“
„Diese Nachricht hat er mir Alex im Mai geschickt. Obwohl er in deine Mutter verliebt ist, verfolgt er noch immer den Traum, nach Ninina zu gehen. Vielleicht stellt er sich vor, er kann Susanne mitnehmen weil sie seine Mutter ist. Ich erfinde schon seit Jahren ausreden, weshalb er nicht nach Ninina kommen kann. Meine Befürchtung war, dass ich meinen Status als Präsidentenberater verlieren würde, wenn rauskommt, dass ich in meiner Jugend illegal auf der Erde war um zu prüfen, ob es hier tatsächlich keine Magier mehr gab. Die Ausreden, die ich benützte waren, dass er sich die Reise nach Ninina erst verdienen musste und dass die Häuser eine Bezahlung forderten. Ich sagte ihm, die Magiergemeinschaft verlange von ihm, dass er die weiteren Flüche ausfindig machte. Als er deine Kette mithilfe des Buches als Schutzamulett identifizierte meinte er, einen Ersatz für die nicht vorhandenen Flüche gefunden zu haben. Als die Situation für mich brenzliger wurde, weil man Lukander gefunden hatte, forderte ich sowohl die beiden Bannungszauber, als auch das Amulett an. Das Buch der großen Zauber ist das wertvollste, was das Südhaus besitzt. Das Amulett wird nach der Tradition vom Nordhaus bewacht. Ich fand es als Wink des Schicksals, dass du sowohl zwei Zauber als auch das Amulett besaßest und ich forderte beides von Alex.
Sein Versuch dir das Amulett abzuluchsen ging daneben und den Verwirrungsfluch konntest du ihm auch abluchsen. Seit zwei Tagen schreibt mir Alex nicht mehr und ich kam zu dem Schluss, dass ich alles selbst in die Hand nehmen musste. Die Zauber habe ich noch nicht… aber das hier.“
Er zog ihre Kette aus seinem Stiefel und lächelte. Die Blütenblätter der Blume waren inzwischen wieder angeklebt, wahrscheinlich durch Magie. „Sie wird mich auf meiner Flucht schützen und zwar vor dir.“ Er legte sie um seinen Hals. Dank ihr wirst du mich nicht ausfindig machen können wenn du deine Gabe benützt, sofern Alex’ Buch recht behält. Ich danke dir recht schön.“ Er drehte sich um und ging zum Fenster. Er hatte gar nicht vor sie mit dem Verwirrungsfluch zu belegen? Und sie Dummerchen hatte sich die Chance entgehen lassen, ihm den Bannungsfluch aufzuhalsen. Jetzt musste sie alles Miracle überlassen. „Tschüss! Hat mich gefreut dich kennen zu lernen“, sagte Milton und wollte aufs Fensterbrett steigen, er stieß gegen eine Mauer aus Strahlen. „Was!!“ Miracle und Aarin blockierten das Fenster, Milton reagierte blitzschnell und feuerte auf Miracles Schutzschild, das nun auch von außen durchsichtig war. In nur einer Sekunde waren bestimmt mehr als zwanzig Zauber gefallen. Miracle bog sein Schutzschild an Milton vorbei und erweiterte esauf Lola. Milton zog seines enger, so dass es nur noch ihn bedeckte. Die Mauer über der Tür bröckelte und das Dach über dem Badezimmer schien einzustürzen. „ACHTUNG!“ schrie Lola und wies zur Tür. Miracle erweiterte seinen Schutzschild auf den ganzen Raum wie zuvor Milton der seine Chance erkannte und einen starken Zauberstrahl auf das Netz warf, mit dem Miracle das Fenster versperrte. Einen Augenblick später war er Vogel und flog zum Fenster hinaus. Miracle warf ihm Zauber nach, die er leicht abblockte. Dann veränderte er seinen Schutzzauber, sodass er unsichtbar wurde. Aarin, Miracle und sie Lola standen perplex mitten im Zimmer. „Ihm nach!“ schrie Lola, „Er hat das Amulett.“
„Es geht nicht! Das Badezimmer stürzt sonst ein, darin sind Leute!“ rief Aarin und sie erkannte, dass er Recht hatte. Entweder sie setzten die Krankenschwester, der orangehaarigen Polizistin und dem Wachmann der Gefahr aus, von den Trümmern zerschlagen werden, oder sie nutzten die Chance um Milton zu jagen. Aarin öffnete die Badezimmertüre und sie halfen zusammen die drei bewusstlosen Gestalten unter Lolas Krankenbett zu schieben. Dort würde ihnen schon nichts passieren. Jetzt war es Zeit zu fliehen. „Lola, ich weiß, dass es dich in deinem Stolz beleidigt, aber du kannst noch immer nicht fliegen“, sagte Miracle. Sein Witz war trocken und misslungen weil niemand von ihnen in der Stimmung war zu scherzen. Milton war ihnen knapp entkommen und sie hätten das Zauberduell besser planen müssen. Mit einem Stoßzauber zerbrach Miracle den Gips. Sie brauchte ihn nicht mehr, weil der Ex-Premierminister von Ninina sie geheilt hatte. Dann wickelte er ihren Verband ab und säuberte ihn magisch. „Was hast du vor?“ fragte Aarin als Miracle sich ein Ende davon in den Mund steckte. „Sie kann sich daran festhalten“, sagte er und verwandelte sich in einen Vogel. Aarin und Lola verwandelten sich ebenfalls und Aarin nahm das andere Ende des Verbands in den Schnabel. Lola krallte sich mit ihren Füßchen fest und flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Miracle zog sie hinauf zum zerstörten Fenster und legte den Schildzauber eng um sie drei. Hinter ihnen stürzte die Mauer der Türseite ein und bevor es da drinnen erst so richtig rund ging flogen sie los. Unter ihnen waren Menschen, die mit dem Maschinengewehr im Anschlag das Fenster bewachten. Sie zuckten nicht mit der Miene, als sie über die Gefängnismauer flogen, sie waren also unsichtbar.
„Ikr bin freeeeiiiii!“ kreischte Lola und musste lachen. „Krakrakra.“ Jetzt wusste sie, wie sich Lachen auf Rabisch anhörte und darüber musste sie kichern. „Krikrikri.“
„Geht’s dir gut?“ fragte Aarin, der das Verbandsende in eine Kralle genommen hatte um mit ihr sprechen zu können.
„Krikrikrikrakra ikr lach doch nur, krakrakra!“ Nun stimmten auch die beiden Jungs in das Gelächter ein und sie flogen fröhlich der Sonne entgegen.
***
Sie saßen locker lässig zusammen im Garten und aßen Eis. Aarin, Miracle, ihre Mutter, Inspektor Alex und sie selbst. Maria brachte nur eine Schachtel Eis von drinnen und setzte sich zu Aarin und ihr in die Hängematte, weil sie nicht so viel Gartenstühle hatten. „Und du kannst wirklich fliegen, Lola! Wieso hast du mir das nicht erzählt!“ Ihre Mutter war ganz begeistert davon, dass sie sich in einen Vogeln verwandeln konnte. Inspektor Alex saß ganz steif in seinem Sessel, er war der einzige, der den Nachmittag nicht genießen konnte. Es hatte noch eine Aussprache zwischen ihnen und ihm gegeben und sie glaubten ihm, dass er größtenteils Unschuldig war. Zumindest hatte er ihnen nichts Böses gewollt und als er von Miltons gemeinen Charakter gehört hatte, war er sofort auf ihre Seite übergelaufen. Jetzt hatte er Angst, dass Milton zurückkam und ihn strafte, weil er ihm die Zauber nicht gegeben hatte. „Iwo,“ sagte Miracle und stand auf um Ribiseln von einem Strauch zu pflücken. „Der ist inzwischen über alle Berge. Vielleicht ist er nach Ninina unterwegs. Hoffentlich trifft er unterwegs nicht auf Magic.“
Aarin, Lola und Maria wippten zu dritt in der Hängematte vor und zurück. „Hast du schon gepackt?“ fragte Lola Maria. „Nein, muss ich erst. Glaubst du wird dich die Polizei am Flughafen erkennen?“
„Nein. Ich glaube nicht. Zumindest nicht, wenn du mir die Haare schneidest?“ Sie holten eine große Schere und Maria schnitt ihr geübt die Haare kürzer. „Willst du sie dir nicht auch noch färben?“ fragte Aarin und lachte. „Ich finde, lila würde dir gut stehen.“ „Und ich finde, dir passt ein Irokesen schnitt, “ sagte ihre Mutter, die sich normalerweise über zu auffällig gestylte Menschen mokierte.
Alex meldete sich zu Wort „Sie werden Lola nicht erkennen. Der Flug ist zwar nicht innerhalb der EU, aber in der Türkei sind die Sicherheitsvorschriften nicht allzu streng. Und selbst wenn; ich habe ihre Daten vertauscht und gelöscht wo ich nur konnte.“
„Dann ist es ja gut“, sagte Lola, die sich deswegen keine Sorgen machte. „Und nach der Türkei geht´s ab nach Ninina.“ Alex biss sich auf die Lippen. Ihre Mutter sah traurig aus. Maria seufzte, sie wollte jetzt nach der Matura ein Jahr Auszeit nehmen und wo arbeiten. Lola fragte sich, ob sie die einzige Erdenbewohnerin sein würde, die Mitte Juli nach Ninina reisen würde. Sie hätte es gerne gesehen wenn ihre Mutter und ihre Freundin sie zumindest für ein paar Wochen begleiten dürften. Was Alex anging; sie würde die Oberheilerin fragen, was mit ihm geschehen sollte. Seine Zwillingsschwestern waren irgendwo in Ninina verheiratet und er wollte sie suchen gehen. Sein Amt als Inspektor hatte er bereits gekündigt.
„Monika Mur!!!“ rief ein Mädchen, das um die Hausecke in den Garten bog. Magic hatte einen knallgelben Rock an und ihre dunkelbraunen Haare fielen zerzaust ihren Rücken hinunter. „Tataaaa.“ Sie hielt ihre Kamera in die Höhe. „Wer will aller seine Zauberkräfte zurück!! Nein du nicht Schätzchen, “ sagte sie zu Lola, die ihr um den Hals fiel.“
Maria begleitete Lola hinein und half ihr beim Packen. Für eine Woche brauchte sie nicht allzu viel Gewand. Den Platz, der im Koffer freiblieb, füllte sie mit Sonnencreme, einem kleinen Lufttier, Badeschlapfen und anderen Dingen, die man für einen Badeurlaub brauchte. Sie suchte im Kasten nach ihren besten Tops und Röcken, für die abendlichen Feiern. Aarin hatte sie versprechen müssen, dass sie es nicht übertrieb, doch sie würde diesen Urlaub in ganzen Zügen genießen. Vielleicht war es die letzte unbeschwerte Ferienwoche hier in Österreich, bis sie wieder nach Ninina mit all seinen Problemen und Konflikten zurückkehren würde. Auf dem Nachtkästchen lag Alex´ Buch und sie packte es ein. Fast bekam sie ein schlechtes Gewissen sich selbst gegenüber. Aber es würde wohl kaum schaden, wenn sie sich in einem Strandkorb mit Blick aufs Meer, lesend auf die neuen, in Ninina auf sie wartenden Abenteuer vorbereitete.
Als sie mit Packen fertig waren kam Aarin zu ihr aufs Zimmer. Er wollte hier bleiben, bis sie von der Reise zurückkam. Am nächsten Morgen fuhr Frau Mur sie zum Flughafen. Aarin kam auch mit und verabschiedete sich von Lola mit einem langen Kuss. „Bis bald, meine Liebe. Ich werde jede einzelne Minute damit verbringen auf dich zu warten.“ Sie winkte ihm noch hinterher, als das Flugzeug schon längst abgehoben hatte und sie Richtung Osten flogen… der Sonne entgegen.
***

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.05.2011

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