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Hm… Diese erste Zeit in der anderen Welt war schon sehr spannend und lustig. Oft liege ich beim Einschlafen mit einem Lächeln auf den Lippen da und erinnere mich daran, wie es war. Zum einen Teil war es Schrecklich, manchmal träume ich dann auch von den Bösen, den Abtrünnigen. Doch ich fühlte mich nie in ernsthafter Gefahr. Schlimmer war die Zeit danach, die Zeit in der ich nicht sicher war, was ich denken sollte. Die Zeit in der ich nicht mehr zu Recht kam mit der neuen Person die ich war, die Rolle die ich spielen musste, die mir praktisch aufgezwungen wurde. Sollte ich mich dagegen wehren?
Zum Beispiel wenn deine Nachbarin dich bittet dem Kindergarten aus der Patsche zu helfen, der Weihnachtsmann ist abgesprungen. Natürlich möchtest du all den Kindern und der Nachbarin, die einem sehr am Herzen liegen, einen Gefallen tun. Du findest aber, dass du überhaupt keinen guten Weihnachtsmann abgibst weil du viel zu klein bist, und, in meinem Fall viel zu weiblich. Außerdem bist du Pro- Christkind und hast den Weihnachtsmann nie gemocht. Wirst du es trotzdem tun, obwohl du nicht gut darin wärst und dich obendrein nicht wie du selbst fühlen würdest?
Und wenn dann deine Nachbarin im Fasching einen Clown Braucht und zu Ostern einen Hasen? Dann sitzt du doch ganz schön in der Patsche, oder?

Kapitel 1: Versammlung
In dieser Nacht hatte sie einen entsetzlichen Traum. Sie stand auf der Erdkugel wie der kleine Prinz auf seinem Asteroid P612. Neben ihr war eine zweite Person, an deren Augen erkannte sie, dass es Aarin sein musste, er lächelt sie an. Nach und nach nahm die Erdkugel auf der sie standen lila Farbe an und sie schoss pfeilschnell durch das Weltall. Auf einmal gewahrte sie einen zweiten ebenso kleinen Planeten neben sich, darauf stand ihre Mutter und streckte schreiend die Hände nach ihr aus. „Komm zu mir!“ schrie sie verzweifelt. „Ja ich komme!“rief sie zurück und wollte hinüberspringen. Doch etwas hielt sie am Ellbogen fest. Sie drehte sich um und schaute in lila Augen. Die lila Augen wurden zu einem langen Tunnel und sie versuchte ans andere Ende zu kommen. „Jetzt bist du gefangen, Lola“ lachte eine gruslige Stimme. „Wer bist du?“ rief sie zurück. „Weißt du es nicht? Denk scharf nach…“ die Person lachte hämisch und sie wachte auf.
Jemand berührte sie am Ellbogen. „Aufwachen! Du kommst zu spät zum Frühstück!“ sagte Aarin. Müde blinzelte sie und öffnete die Augen, da schrak sie zusammen. „Was ist?“ fragte Aarin besorgt. Doch sie schüttelte nur den Kopf und versuchte den ganzen Tag lang seinem Blick auszuweichen.
Nach dem Frühstück nahm Magic sie zur Seite. „Meine Mutter hat mir neue Sachen geschickt. Du kannst sie haben wenn sie dir gefallen!“ Lola hatte schon vor einiger Zeit eine Bemerkung fallen gelassen, dass sie ihren Kleidungsstil auf Ninianisch umändern wollte. Zwei Leggins hatte sie schon und Magic hatte zwei Blusen und Röcke von ihrer Mutter geschickt bekommen. „Es ist meine Größe, aber sie passen die bestimmt auch.“
Lola zweifelte daran. Magic hatte trotz ihrer sehr weiblichen Figur, auf die man neidisch sein konnte, eine schmale Taille. Sie selbst hätte sich gerne als „sportlicher Typ“ bezeichnet, aber dafür aß sie zu viele Süßigkeiten. Der eine Rock war mit weißer Spitze und großen gelben Blumen. Der andere war dunkelblau mit den zurzeit modischen weißen Punkten. Sie probierte ihn an und er passte. Die dazu passende Bluse hatte Puffärmel und Bauchtasche, was schrecklich aussah. Magic band ihr ein dickes Band um die Hüfte was als Gürtel diente.
„Jetzt noch deine Haare auf“, befahl Magic und Lola löste ihren Zopf. Sie erkannte sich im Spiegel kaum wieder.
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Es waren nun schon zwei Wochen seit ihrer Rückkehr ins Südhaus vergangen. Drei, seitdem sie von Zuhause weggebracht worden war. Als Entführung rechnete sie ihre Reise nach der hiesigen Welt nicht mehr, dafür war sie viel zu positiv verlaufen und sie war froh darüber, hier etwas nützliches Lernen zu können; Magie. Anstatt in der Schule an Reizüberfluss zu leiden und sich in den Wirren der Welt nicht zurechtzufinden, hatte sie jetzt spannenden Magieunterricht und stellte sich in ein paar Fächern garnichtmal so ungeschickt an.
Ihre Fächer waren Heilkunde, Flugkunde, Weltenkunde, Geschichtskunde, Wirtschaftskunde und Magiekunde. Letzteres hatte sie jeden der fünf Schulvormittage. Die anderen Fächer waren über die Woche hinweg verstreut und belegte sie an den Nachmittagen.
Heilkunde hatte sie montags und sie wurde mit den Anfängern mitunterrichtet. Diese waren zwischen 15 und 16 Jahre alt und verhielten sich ihr gegenüber schüchtern, obwohl sie immer wieder versuchte sie in Gespräche zu verwickeln.
Flugkunde wurde ihr von einigen Schülern des zweiten Abschnittes beigebracht, die Dienstagnachmittag frei waren und nichts Besseres zu tun hatten. Sie hatte auch hier Mühe ein Gespräch zu führen, nicht, dass Aarins Freunde sie nicht zugequatscht hätten, doch sie hätte manchmal gerne über Ernsthafteres debattiert und sich mehr auf den Unterricht konzentriert. Sie hatte es noch nicht mal geschafft ihre Arme in gefederte Flügel zu verwandeln. Genaugenommen, hatte sie überhaupt keinen einzigen Fortschritt machen können und es war ihr peinlich. Unter den Schülern war es bereits allgemein bekannt, dass bei ihr „die Federn noch nicht wuchsen“ wie die Verwandlungskunst hier genannt wurde.
Dafür war sie in Welten-, Geschichts- und Wirtschaftskunde richtig gut. In Weltenkunde drehte sich alles um Unterschiede zwischen der Erde und „Ninina“, wie sie ihren eigene Planeten nannten. Es gab mehr, als man anfangs vermutete. Verschiedene Entwicklungen waren vollkommen verschieden abgelaufen wie auch das Donnerstagsfach, Geschichtskunde, bewies. Wirtschaftskunde war langweilig und bestand vor Allem aus Rechnen, es war jedoch wichtig, dass sie es lernten. Für das spätere Leben war es wichtig sich nicht im Nebel um die Wirtschaft und das Geld zu verlieren sondern feste Standpunkte einnehmen zu können.
Ihr Lieblingsfach war jedoch Magie. Es war das einzige Fach, welches sie zusammen mit den Schülern des zweiten Abschnittes belegte. Sie lernte Substanzen und Gegenstände zu verändern, das Wetter zu beeinflussen und als Aufgabe für den folgenden Tag hatte sie ein mit Magie angefertigtes Bild auf ein Blatt Papier zu malen.
„Kein gebeamtes Bild,“ hatte ihr der Lehrer zugezwinkert und auf ihre außergewöhnliche Fähigkeit, Leute beamen zu können, angespielt. Wenn sie sie nur zur Hälfte beamte, also „projizierte,“ bekam sie lediglich ein Bild von der Person, das sie zwar hören, aber nicht selbst mit ihr sprechen konnte. Doch auch diese Form des Personenbeamens hatte sich schon als nützlich bewiesen. Natürlich konnte sie kein „lebendiges Bild“ –wie sie diese Art des Beamens insgeheim nannte- auf ein Blatt Papier beamen und für immer dort festhalten. unterbrechen nur um ihn in ein Bild zu fesseln und konzentrierte sich so, etwas Sonnenlicht zu manipulieren und das Papier erst mal zum Glänzen zu bringen.
Als sie es halbwegs geschafft hatte, trat Aarin hinter sie und lies ein anerkennendes Pfeifen hören. „Kein Wunder, dass du den Sprung zu uns Zweitabschnittlern so schnell geschafft hast, gratuliere.“ Er küsste sie auf die Wange und nahm neben ihr Platz sodass sie zu zweit die warme Sommerluft in sich aufnehmen konnten und ihre Blicke über die weiten Felder schweifen ließen.
Weiter unten war circa die Hälfte der Oberen versammelt, auch viele Mitglieder des Nordhauses waren dabei. Sie übten es zu Kämpfen. Abwechselnd aus ihren Handballen und aus ihren Knöcheln ließen sie bunte Strahlen auf eine Holzfigur schießen. Gar so viel Geschick hatten sie darin nicht, da sie es früher nie für nicht notwendig empfunden hatten die Kampfkunst zu üben. Doch mit dem plötzlichen Erscheinen der Abtrünnigen hatte man es mit der Angst zu tun bekommen. Vor allem galt es, die Schüler des Nordhauses vom Blutschwur zu erlösen, dazu musste man die Urheber des Schwurs töten. Lola zuckte bei dem Gedanken unwillkürlich zusammen und sie fröstelte ein bisschen. Aarin legte seinen Arm um sie und sie lächelte ihm dankbar zu.

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„Ja ich hol sie schnell, wart kurz. -Monika!!!“
„Ich komm ja schon, keinen Stress!“
„Hallo Monika, ich finde wirklich, du könntest mehr Zeit zuhause verbringen, oder wenigstens ein neues Handy kaufen seitdem das Alte kaputt ist.“ Tönte die leicht verzerrte Stimme durch den Hörer.
„Jaah..“
„Also ja du wirst dir ein neues Handy kaufen damit ich in Zukunft öfter als einmal im Monat mit dir telefonieren kann?“
„Ähm, nein.“
„Also nein du wirst dir kein neues Handy kaufen oder nein du willst nicht mit mir telefonieren“
„Beides“
„Herrje bist du denn immer noch sauer auf mich? Was kann ich denn dafür, dass meine kleinen Schätze in den Osterferien dein Tagebuch in den Fluss geworfen haben?“
„Nichts“
„Also wirst du kommen oder nicht?“
„Nein.“
„Was nein?“
„Hat doch eh keinen Sinn mit dir zu reden. Tschüss.“ Sie hustete ein bisschen, schließlich war sie heiser.
„Also dass du so frech geword…“
Schnell legte Maria den Hörer auf und drehte sich um und blickte der Dame ins Gesicht.
„Sie hat es dir abgekauft?“ Frau Mur rückte den Stuhl zu Recht um sich zu setzen.
„Ja, du hast es ja selbst gehört, sie muss Lola echt gern haben, dass sie sie immer über den Sommer zum Babysitten will.“
„Vielleicht ja nächsten Sommer, wenn sie bis dahin zurück ist.“ Eine Träne lief Frau Mur über die Wange. „Und ich kann nicht einmal wem davon erzählen.“
„Du hast ja noch mich,“ sagte Maria und nahm die Mutter ihrer Freundin in den Arm.
„Genauso hat sie mich auch immer getröstet.“
„Und wird sie auch, wenn sie wieder zurück ist.“ Ergänzte Maria und stellte heißes Wasser auf um Tee zu machen.
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Schweigend genossen sie die warmen Sonnenstrahlen auf ihren Rücken, als die Alarmsirene schrillte. Aarins Gesicht nahm einen wachen Ausdruck an und er zog sie mit sich hoch und sie eilten gemeinsam zum Haus. Von überall her kamen die Schüler und Obere um sich zu Versammeln. „Es wäre ja nicht das erste Mal, dass wir uns im letzten Monat versammeln. Und immer geht es um den Erdmensch. Als.. .“ Das Mädchen verstummte als sie Lola direkt neben sich bemerkte und wandte sich schnell um.
Lola war peinlich berührt, die meisten Jugendlichen konnte sie hier zu ihren Freunden zählen. Doch eigentlich kannte sie ja gar nicht alle und wusste so nicht von jedem, wie er oder sie ihr gegenüber eingestellt war.
Ihr Grübeln wurde von einer lauten Stimme unterbrochen. In der Versammlung ging es um mehrfaches Öffnen und Schließen des Portals zur Erde, ohne dass man wusste wie und wann es geschehen war. Die Lage war ernst. Waren die unbekannten Magier samt ihren Geiseln auf die Erde geflohen? Woher wussten sie von der Benützung des Portals? Immer mehr Anwesende meldeten sich zu Wort um ihre Meinung kundzutun und neue Theorien zu präsentieren. Mona hielt gespannt den Atem an und wartete darauf, dass endlich jemand aussprach, was sie im Stillen erhoffte. Man hatte ihr und Aarin schon am Tag nach ihrer Rückkunft erklärt, dass man ihr Talent nur im äußersten Notfall anwenden wollte. Denn vielleicht war diese Gabe mit bis jetzt unbekannten Gefahren verbunden, so lautete die fadenscheinige Ausrede.
Endlich kam auch jemand anders außerhalb ihres Freundeskreises auf den gewünschten Gedanken „Und wenn wir Lola nachgucken lassen wo sie sind?“ schlagartig wurde es still, dann begann der Tumult von Neuem und man begann das Für und Wider abzuwägen. Aarin zwickte ihr in den Arm. „Diesmal schaffen wir es“ flüsterte er ihr zu. Sie nickte „Endlich, dass ich das einzig vernünftige tun kann wenn wir sie aufspüren wollen.“ Magic meldete sich von der anderen Seite her zu Wort. „Die haben eben zu viel Schiss davor zu sehen, wie dringend es ist, die Schüler aus den Klauen der Gauner zu befreien. Sie glauben sie sind noch nicht bereit dazu zu kämpfen.“
Schlussendlich kam es zu einer Abstimmung. Beinahe alle Schüler stimmten dafür, dass Lola ihr Talent ausprobieren solle. Die Hälfte der Oberen stimmte dagegen und die andere Hälfte entzog sich der Stimme. „Unter normalen Umständen,“ so sagte die Oberheilerin, „gelte die Stimme eines Schülers genauso viel wie die Stimme eines Oberen. Doch unter gegebenen Umständen soll man auf den Rat der Oberen vertrauen, die eben besser wissen was zu tun sei.“
Tumult brach aus. „Was soll das?“ rief ein erboster Zweitabschnittler, „habt ihr keinen Mumm die Nordhausschüler zu retten. Dann ziehen eben wir Schüler los. Lola ist auf unserer Seite, sie wird uns helfen.“ Viele die ähnlich dachten, begannen zu klatschen und begannen ebenfalls kundzutun was sie von der Feigheit der Oberen hielten.
„Oh weh oh weh das wird mit Hausarrest für alle und Zusatzaufgaben in den Abendstunden enden.“ Zum Glück behielt Magic nicht recht. Dennoch wurden sie von der Oberheilerin auf ihre Zimmer geschickt, man würde alles noch einmal in einer kleineren Runde überdenken und morgen früh die nächste Versammlung einberufen. Für den heutigen Tag bat man sie, in ihren Zimmern zu bleiben und einen kurzen Aufsatz mit Überlegungen zu den Vorfällen zu schreiben. Man wollte diese am nächsten Tag absammeln und einzeln besprechen. Man wollte so viele Überlegungen wie möglich sammeln. Lola hielt es für eine gute Idee: Die Schüler fühlten sich jetzt mehr ernstgenommen als zuvor und vor allem hatten sie jetzt eine wirkliche Chance die Oberen zu überzeugen. Insgeheim hoffte sie, dass sie in vielen Aufsätzen erwähnt werden würde. Es war für sie so einfach zu helfen, sie musste nur sehen wo sich der gelbäugige Marco und seine Kumpane aufhielten, und schon könnten sie aufbrechen um die Geiseln zu retten.
Sie setzte sich zu ihrem kleinen Tisch und begann zu schreiben. Darüber, wie die entführten Schüler jeden Tag aufs Neue unvorstellbaren Qualen ausgesetzt waren, fern von ihrer Familie, von ihrem Haus, unter den Verboten des Blutschwurs litten und so weiter. Als sie damit fertig war, vertrieb sie sich die restliche Zeit mit der Fertigstellung des magischen Bildes und einem sehnsüchtigen Warten auf Aarin. Als er nicht kam pinnte sie sein Bild in die Luft. Er zwinkerte ihr zu und reckte die Daumen nach unten, scheinbar war er verhindert. Dafür hatte Magic umso mehr Zeit und brachte auch ein paar Romane und etwas zu futtern mit. Bevor sie schlafen ging, las sie ihren Aufsatz noch einmal durch, eigentlich war er nicht sehr aussagekräftig, doch eines wusste sie: Auch wenn sie morgen noch immer keine Erlaubnis bekam, sie würde trotzdem Kontakt mit dem Gelbäugigen aufnehmen.
Beinahe kam es auch so, denn die Versammlung am nächsten Tag war miserabel verlaufen. Eigentlich hatte sie gut angefangen, wer wollte, durfte seinen Aufsatz vor all den Versammelten vorlesen und so trugen ein paar Burschen und Mädels aus dem ersten Abschnitt beherzte Ideen zur Rettung der Geiseln vor. Lola versuchte sich drei Namen besonders gut einzuprägen. Da war das Mauerblümchen Erine, die meinte, dass man selbst eine Geisel nehmen sollte, nämlich Frau Minna von Burg Hanin. Sie war ganz butterrot geworden als sie anerkennende Blicke einiger ihres Abschnitts erntete und noch röter als sie das Kopfschütteln der Oberen bemerkte. Dann war da noch der aufwieglerische Merwem, der vorschlug, dass Lola nur eine der Geiseln herbei beamen müsste. Diesem würde man dann eine Superwaffe mitgeben um die Abtrünnigen ins Jenseits zu befördern. Seine Freundin, die sehr dicken Lipgloss aufgetragen hatte, warf ihm bewundernde Blicke zu und las dann beinahe dasselbe noch einmal vor und bekam von ihm dafür Standing Ovation. Die Oberen zeigten sich nicht sehr begeistert und wiesen die Beiden dann darauf hin, dass Waffen in dieser Welt absolut verboten waren. Nur magische Kraft allein durfte in einem Kampf verwendet werden.
Lola hatte bis jetzt beide Ideen nicht sehr schlecht gefunden. Sie hätte den dreien, die sicher erst 15 Jahre zählten, nicht so viel Mut zugetraut so gegen die Oberen zu sprechen. Erine´s Plan scheiterte daran, dass Frau Minna eine politische Persönlichkeit darstellte und man keinen Krieg herausfordern durfte. Der Plan von Merwem und seiner Freundin schien ihr gar nicht so unmöglich. Sie fand es zwar gut, dass es in dieser Welt keine Waffen gab, jedoch sollte man Ausnahmen machen wenn es keine andere Wahl gab. Ob man durch Zauberei oder mit einer Waffe tötete, darauf sollte es schon nicht mehr ankommen, fand zumindest sie. Jedoch bekam sie ein schrecklich schlechtes Gewissen, wenn sie auch nur daran dachte, dass die Geschichte nur durch Morde an den Abtrünnigen gelöst werden konnte. Schließlich waren diese ja auch nur Menschen die wer weiß was durchgemacht hatten, um zu den bösen Personen zu werden die sie jetzt waren.
Dann meldeten sich ein paar Zweitabschnittler, unter ihnen Aarin, Magic und Miracle. Auch sie trugen einige Ideen vor, doch anders als ihre jüngeren Kollegen trauten sie sich nicht, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Auf diplomatische Art und Weise versuchten sie verschiedene Gesichtspunkte zu beleuchten, ohne die Oberen dabei zu provozieren. Im Prinzip war ihr eigener Aufsatz ähnlich ausgefallen, dennoch war sie ein wenig von ihren Freunden enttäuscht.
Dann stand eine Schülerin namens Annick auf, um ihren Aufsatz vorzulesen. Lola erkannte sie vom Vortag wieder, es war das Mädchen, das sich unangenehm über sie geäußert hatte. Auch jetzt sprach sie ihr nicht aus der Seele, im Gegenteil, sie schien die Oberen in all ihren Zweifeln zu bestätigen.
„Und genau deshalb, “ wiederholte die langbeinige Blondine, „dürfen wir keinen Kontakt mit diesen Geiseln aufnehmen. Erstens würden die Abtrünnigen es merken, wenn eine der Geiseln zum flackern anfängt, sie würden diese Geisel sofort töten. Zweitens können wir diesem Marco nicht vertrauen, ich würde wetten er ist eine Petze und er würde uns in die Falle locken sobald er die Möglichkeit dazu hätte. Sie wissen, dass unsere Streitkräfte nicht stark sind, sie würden alle vernichten die ihnen in die Quere kämen. Und drittens..“ Lola hörte gar nicht mehr zu. Annick hatte nie die Verzweiflung in Marcos Augen sehen müssen, sie hatte keine Ahnung wovon sie da sprach. Die Geiseln weiterhin ohne einen Hoffnungsschimmer am Horizont leiden zu lassen war gemein. Außerdem musste man doch wissen wo sie sich befanden, um überhaupt mit dem Pläneschmieden beginnen zu können.
Die Oberen zollten jetzt Beifall und auch einige Schüler klatschten.
Zitternd wollte Lola aufstehen um zu protestieren, doch Aarin zog sie zurück in den Sitz. „Es hat keinen Sinn mehr, sie hat schon gewonnen. Wenn du jetzt was sagst werdet ihr euch nur gegenseitig heiß reden.“
„Es ist mir wichtig, lass mich bitte, ja?“ Sie sah Aarin flehend an und er nickte. Doch als sie aufgestanden war, hatte schon jemand anders das Wort ergriffen und sie blieb sitzen wie den restlichen Abend auch.
Man entschloss sich noch ein Monat zu warten bis man Lola bitten würde, die Geiseln ausfindig zu machen, solange brauchten die Oberen noch für ihr Kampftraining.
Nach dem Mittagessen ging Lola geschlagen ins Zimmer, immerhin wurde sie von Aarin begleitet. „Das ist so unfair so unfair so unfair“, sie boxte auf ihre Matratze und ließ sich ein Taschentuch reichen um sich ein paar Zornestränen aus den Augen zu wischen. „Und ich mach es trotzdem, “ sagte sie und versuchte sich zu konzentrieren. Wie hatte dieser Marco noch mal ausgesehen? Ach ja, genau, sie konzentrierte sich auf die Wand und…
„Halt.“ Aarin griff sie am Ellbogen. Sie schüttelte ihn weg. „Lass mich doch…“
Doch diesmal wurde sie um einiges wirkungsvoller abgelenkt. Als sie seinen Mund auf ihrem fühlte, spürte sie die gewohnte Wärme in sich aufsteigen. Sie küsste ihn leidenschaftlich zurück und er wuschelte ihr durchs Haar. Sie lachte ein wenig verlegen und kuschelte sich an ihn.
„Weißt du, wir hatten in letzter Zeit nie sehr viel Privatsphäre.“ Jetzt schien auch er rot geworden zu sein.
Lola zog die Augenbrauen hoch. „Wir hatten noch nie sehr viel Privatsphäre.“ Sagte sie schnippisch.
„Meine Schwester ist immer so aufdringlich und… “ diesmal wurde er von Lola unterbrochen. Sie schüttelte mit dem Kopf und küsste ihn auf die Nasenspitze. „Heute hab ich mir schon genug den Kopf zerbrochen. Tun wir es einfach.“ Sie knöpfte sein Hemd auf und ging zur Tür um es mit einem Schlüssel abzuschließen. Woher sie das plötzliche Selbstvertrauen genommen hatte wusste sie selbst nicht mehr, sie hatte sich schon sehr, sehr geändert seitdem sie hier war. Und das hatte sie vor allem Ihm zu verdanken. Sie lächelte ihm zu und stieg zu ihm in die Bettnische.
Auch an diesem Abend lag sie noch lange wach da und dachte über ihr Glück nach. Was es auch immer für ein Engel gewesen war, der sie in Aarins Arme geführt hatte, sie dankte ihm von ganzem Herzen.
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Kapitel 2-Zusammen
Am nächsten Morgen gab es Pudding zum Frühstück, sie lud sich einen ganzen Teller voll auf und streuselte Schokolade darüber. Auch die anderen langten ordentlich zu und Lola warf einen strahlenden Blick von einem zum anderen. Nicht alle waren so gut aufgelegt wie sie, den meisten hing die Schlappe gegen die Oberen noch sehr nach. Doch sie selbst fand es gar nicht mehr so schrecklich. Dann würden sie eben noch ein Monat warten müssen, vorbei war ihr Kampfgeist. Manchmal war es besser aufzugeben und das Leben einfach zu genießen wie es war. Sie spürte Aarins Hand um ihre Hüfte, er zog sie enger an sich und küsste sie auf die Wange. Mona spürte wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, so in aller Öffentlichkeit war ihr das peinlich, schnell warf sie einen Blick zur Tafel der Oberen und musste feststellen, dass gerade einige Gesichter zu ihnen beiden gewandt waren, der Wirtschaftskundelehrer nickte Aarin anerkennend zu. Mann war das peinlich… „Du hast doch nichts dagegen wenn wir jetzt offiziell ein Paar sind?“ er lud ihr noch mehr Pudding auf den Teller und Miracle maulte, dass jetzt für ihn nichts mehr übrig war. „Nein, natürlich nicht.“, antwortete sie in einem Tonfall als wäre das selbstverständlich, jedoch etwas leise, als wäre es noch immer ein Geheimnis. Sie hoffte, dass niemand ihre kleine peinliche Unterhaltung gehört hatte. Doch eigentlich war es gar nicht so schlimm, als Michen, Anria und Meli Pu, die ein bisschen weiter oben am Tisch saßen, ihnen beiden zulächelten und viel Glück wünschten.
An diesem Tag war wieder offiziell Unterricht und sie nahm sich vor sich am Nachmittag näher mit Erine und Merwem bekannt zu machen, denn wie jeden Montag stand Heilkunde mit den Erstabschnittlern am Stundenplan. Zuvor jedoch hatte sie noch Magiekunde und begleitete Aarin noch schnell auf sein Zimmer da er sein Bild erst holen musste. Er hatte sie gezeichnet und bekam als Dankeschön dafür einen Kuss. Der Vormittag verlief ruhig und sie konnte gar nicht anders als in guter Stimmung zu sein solange sie an seiner Seite war. Auch die anderen steckte sie mit ihrer Fröhlichkeit an.
Auch nach dem Mittagessen war sie noch bester Laune und begab sich in den Unterrichtsraum der Erstabschnittler. Dort setzte sie sich auf ihren angestammten Platz in der ersten Reihe, doch anstatt wie sonst stumm den Lehrer zu erwarten, setzte sie sich seitlich auf den Sessel und versuchte in eine der Unterhaltungen einzusteigen.
Die Burschen hinter ihr waren zuerst sichtlich nervös, doch dann vergaßen sie ihre Scheu und sie führten ein aufgeregtes Gespräch über die kommenden Herbstferien. Sie freuten sich schon alle sehr auf Zuhause, aber gleichzeitig schmiedeten sie auch Pläne wer wen besuchen kommen könnte und ob sie nicht eine gemeinsame Reise organisieren sollten. Nach einer Weile stiegen auch Merwem, seine Freundin und ein paar andere Mädls ins Gespräch ein. Für einige, die das erste Jahr hier waren, würden es die ersten Ferien sein, andere wiederum waren schon das dritte Jahr hier und würden im Frühling eine große Prüfung ablegen müssen ob sie schon bereit für den zweiten Abschnitt waren. Wenn nicht, müssten sie noch ein weiteres Jahr bei den Anfängern bleiben. Aus lauter Angst wollten sie schon jetzt mit dem Büffeln beginnen und sogar während der Ferien hier im Haus bleiben. Mona meinte, dass sie keine Ahnung hätte ob sie nach Hause zurück dürfte oder nicht. Ein paar gewitzte meinten, sie könnte doch zu Aarins Familie fahren und warfen sich vielsagende Blicke zu. Sie musste lachen und freute sich darüber, dass der Lehrer ins Klassenzimmer trat. Nun würde sie von peinlichen Fragen verschont bleiben.
Die Klasse verbrachte den Nachmittag mit biologischen und chemischen Studien. Es ging um Pilze und ihre Giftstoffe. Nach der Pause brachte der Lehrer sie in das Labor und sie mussten eine Flüssigkeit zusammenmixen, die als Indikator für sämtliche giftige Pflanzen und Pilze verwendet werden konnte. Sie mussten zwar einzeln arbeiten, doch sie hatte den Versuchstisch direkt neben Erines ausgewählt, damit sie sie um Hilfe fragen konnte. Lola hätte eigentlich keine Hilfe gebraucht, doch sie wollte jede Möglichkeit nutzen um das schüchterne Mädchen etwas näher kennen zu lernen. Flugkunde am nächsten Tag verlief nicht ganz so reibungslos. Ihre Freunde versuchten es mit einer Schocktherapie und ließen sie von einem kleinen Baum springen. Angeblich kam es ja vor, dass ein Kind das Schwimmen instinktiv lernte nachdem es ins Wasser gefallen war. Lola fand diesen Vergleich zwar nicht sehr passend, aber sie wurde trotzdem zu einem Versuch gezwungen. Schreiend landete sie zuerst mit den Füßen am Boden, dann kippte sie nach vorne und wäre beinahe auf die Fresse gefallen wenn niemand sie aufgefangen hätte. Ihre Arme hatte sie noch weit zur Seite gestreckt, nach einem vergewisserndem Blick wusste sie, dass ihr noch immer keine einzige Feder gewachsen war. Es konnte sie keiner mehr dazu bringen es nocheinmal zu versuchen, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt diese unangenehme Situation mit Kratzbürstigkeit zu überspielen. Schließlich wurde sie von Aarin gerettet der sie vor all den anderen zu Küssen begann. Das war zwar auch peinlich, aber nicht so schlimm wie von einem Baum zu springen, also ließ sie es geschehen.
In Weltenkunde am nächsten Tag bekam sie als einzige eine Zusatzaufgabe, sie sollte ein Referat über die Erde gestalten und es nächste Woche vortragen. Überhaupt alle ihrer Lehrer trugen ihr in dieser Woche mehr Hausübung auf als sonst, vielleicht fand man, dass sie jetzt genug Zeit zum eingewöhnen gehabt hatte und man ihr mehr Arbeit zumuten konnte.
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Es klingelte an der Haustüre. Frau Mur steckte sich schnell die Haare hoch. Es war zu früh für Samstag, als dass es Maria war. Vielleicht war es ihre Nachbarin, der die Eier wieder einmal ausgegangen waren.
Sie drehte das Schloss in der Türe um und war nicht schlecht überrascht als ihr zwei kleine Kinder ins Vorhaus stürmten. „Jonas! Jakob! Nicht so schnell!“ rief sie ihnen nach doch die beiden waren schon im Wohnzimmer angelangt und suchten nach dem Steckenpferd, das hinter dem Kachelofen stand. Frau Mur´s Schwester, Michaela, musterte sie von oben bis unten. „Blass schaust du aus, Susanne.“ Sagte sie dann und ließ sich aus dem Mantel helfen. „Du bist auch dünner geworden, wir haben uns lange nicht gesehen.“ „Die Osterferien sind schon ein halbes Jahr her, wo ist Monika?“
Frau Mur zögerte mit der Antwort. „Nicht da. Wie lang bleibst du?“
„Nicht lang, ich komme nur auf einen Kaffee. Und ich will dir was für Monika geben.“
Susanne Mur nickte und leitete ihre Schwester in die Küche wo sie sofort begann den Kaffee zu kochen. So sehr sie sich über den Besuch freute, so ungelegen kam er ihr. Heute war Freitag, der Tag an dem Maria sie immer besuchen kam.
Michaela legte ein Paket auf den Tisch. „Das ist für Mona, da ist ein Buch drinnen.“ Susanne nickte. „Ich glaube, es wird sie sehr interessieren. Es ist eins der wertvollsten Bücher die ich besitze. Es soll nicht in die Hände anderer Leute gelangen.“ Frau Mur schaute ihre Schwester fragend an. Michaela begegnete ihrem Blick mit klaren ernsten Augen. „Ich weiß, dass du es zurzeit sehr schwer hast. Auch Lola hat es bestimmt nicht leicht. Ich habe mir gedacht, vielleicht hilft ihr dieses Buch.“
„Was. Was meinst du?“ Susanne goss ihrer Schwester Kaffe in die Tasse, ihre Hände zitterten leicht.
„Ich lese Zeitung. Mona hat den ersten Platz bei einem Wettbewerb gewonnen, sie hat ein Stipendium an einer Highschool für Basketball gewonnen. Warum hast du mir nicht gesagt, dass sie in San Francisco ist.“
Frau Mur schüttete ihren Zucker in die Tasse. „Ich hatte gehofft, sie überlegt es sich anders und kommt bald wieder.“
„Hoffe ich auch.“ Michaela schaute sie noch immer aus unergründlichen Augen an. Als wüsste sie mehr als sie zugab.
„Hat Maria dir was gesagt?“
„Nein, was leicht?“
Susanne zuckte mit den Schultern und sagte nichts.
„Ich würde mich freuen, wenn ihr beiden zu Allerheiligen zu mir kommt.“ Mein Mann wird zuhause bei seinen Eltern sein.
„Wir beide?“
„Ja, Maria und Du. Ich will euch was erzählen. Darüber wie es auf Highschools in Amerika so zugeht.“
Frau Mur kniff ihre Augen leicht zusammen. „Was weißt du eigentlich?“
„Dass Lola eine Niete in Basketball ist und Flugangst hat. Außerdem mag sie keine Hamburger und keine Häuser die höher als Kirchen sind.“
Susanne Mur räusperte sich verlegen. „Schon möglich. Warum erzählst du mir nicht, wie du das rausgefunden hast?“
„Ich habe gute Augen. Außerdem will ich gut auf meine kleine Schwester und auf meine Nichte aufpassen.“ Aus dem Wohnzimmer hörte man das Geräusch von einem umfallenden Sessel und einen Schmerzensschrei. Die beiden Kinder prügelten sich. Susanne fand nicht, dass ihre gute Schwester jemals gut im Aufpassen gewesen war.
„Sobald ihr bei mir seid, erzähle ich euch, was ich rausgefunden habe. Etwas, was mit Großmamas Büchern zusammenhängt. Mona wurden von Aliens entführt.“ sie wartete nicht mal auf eine Antwort sondern sprach gleich weiter. „Sie können Lola nicht durch Zufall ausgewählt haben. Falls du Kontakt zu Lola hast, bitte lass ihr das Buch zukommen, aber so, dass es kein Alien stehlen kann. Es wird sie sicher genauso interessieren wie es mich interessiert hat.“ Michaela fing ihre Kinder ein und trieb sie zur Tür hinaus. Sie schlug die Autotür hinter ihnen zu und setzte sich ans Steuer. Das Auto fuhr aus der Einfahrt und Frau Mur kratzte sich am Kopf. Welcher Teufel hatte ihre Schwester geritten.
Sie ging in die Küche hinauf und riss das Backpapier vom Buch und begann es zu lesen. Zwischen den Seiten war ein Brief an Lola. Später kam Maria zu Besuch und sie lasen das Buch gemeinsam weiter. Beide wussten sie nicht, was sie davon halten sollten. Gegen Abend verpackten sie das Buch wieder in Backpapier und brachten es gemeinsam zum Stein unter der Brücke.
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3. Kapitel-Besuch im Nordhaus
Zum ersten Mal seit sie hier war freute sie sich, als das Wochenende endlich gekommen war. Bis jetzt hatte sie den Unterricht unter der Woche immer sehr interessant und anregend gefunden, doch diesmal war sie einfach nur froh, sich wieder so richtig entspannen zu können. Am Samstag unternahm sie mit Aarin, Magic und einem weiteren Mädchen, Anja, einen lange Wanderung, sie wollten ihr schon lange das Nordhaus zeigen. Die Oberin schickte Aarin um etwas mit den dortigen Oberen zu besprechen und sie nützten den Vorwand für die Wanderung. Sie pflückten unterwegs Beeren und ließen den Picknickkorb zwischen sich herschweben, jeder steuerte ein bisschen was von seiner Kraft bei. Lola war schon gut darin den Kraftstrahl auszusenden. Er wand sich von ihrem Daumen ausgehend um den Henkel des Korbes und sie brauchte sich dabei nicht einmal mehr konzentrieren. Es war ein wunderschöner Tag und trotz der dicht stehenden Bäume wurden ihre Gesichter immer wieder von Sonnenstrahlen gekitzelt. Der Weg ging leicht bergan und sie mussten immer wieder Rast einlegen. Eine Weile lang gingen sie neben einem kleinen Bachverlauf entlang. „Ist das Sophica´s Fluss? Ich meine die Sophica mit der Medaille.“ fragte sie Aarin. Dieser schüttelte den Kopf. „Den Fluss gibt es nicht mehr, er ist ausgetrocknet.“ „Wirklich?“ Einige Blätter verfärbten sich schon herbstlich, auch in ihrer richtigen Heimat würde es schon Herbst sein. Welcher Monat gerade war? Vielleicht September? Vielleicht auch schon Oktober. Jedenfalls wurden die Tage kürzer und sie mussten die restlichen Sonnenstrahlen auskosten.
Im Uferbereich des kleinen Flusses lag ein großer Stein, sie brauchte nur ein paar Schritte bis dahin und stellte sich darauf. „Ich bin der König der Welt!“ rief sie laut und sie bekam sogar ein kleines Echo. Gleich darauf fühlte sie Aarins Hände um ihre Hüfte. „Der bin wohl ich, mit einer Prinzessin wie dir.“ Sagte er und drehte sie herum um ihr den schönsten Kuss seit langem zu geben. Anja und Magic warteten geduldig bis die beiden genug von der Schmuserei hatten. „Hei du da! Wer bist du?“ rief Magic einem Rabenvogel zu, der auf der anderen Seite des Ufers einen Wurm aus der Erde pickte. Lola und Aarin schracken zusammen als plötzlich ein Junge wie aus dem nichts auftauchte und sie finster ansah. „Das ist Enjen, der älteste Schüler aus dem Nordhaus,“ flüsterte ihr Aarin ins Ohr. Lola betrachtete den großen Jungen mit den orangen Augen. Er war mit Muskeln bepackt und sicher schon über zwanzig. Enjen hatte einige Mühe den Wurm auszuspucken, den er in Vogelgestalt hatte essen wollen. Vielleicht war seine Laune deshalb so mies als er sie grüßte.
„Dann seit ihr also ein Paar, sehr schön.“ Sagte er und watete durch den Bach auf sie zu. Das Wasser reichte ihm bis zum Bauch und die Strömung schien sehr stark zu sein, doch Enjen bemerkte es wahrscheinlich nicht einmal. Mit finsterem Gesicht kam er auf sie zu und schüttelte ihr die Hand. „Schön dich mal zu sehen, ich hab damals auch nach dir gesucht als sie dich entführt hatten, doch du wusstest dir ja gut selbst zu helfen.“ Seine Stimme klang nicht so böse wie er aussah.
„Freut mich auch,“ antwortete Lola mit einer etwas piepsigen Stimme. „Ich freue mich einen Nordschüler kennen zu lernen, wir sind gerade auf dem Weg zu euch. Enjen nickte und bot ihnen an sie zu begleiten. Lola fiel auf, dass er weder Aarin noch die beiden anderen gegrüßt hatte, sie schienen Luft für ihn zu sein. Es kam ihr komisch vor, dass die anderen schwiegen, doch niemand gebot ihr leise zu sein, als sie Enjen in ein Gespräch verwickelte. Zuerst antwortete der Bursche sehr distanziert, doch nach und nach gewann das Gespräch an Tiefe. Er erzählte ihr, wie sehr sie alle die verschwunden Schüler vermissten und die toten betrauerten. Sie waren jetzt nur noch zehn, sagte er. Als sie von dem Gelbäugigen erzählte, hielt er plötzlich inne. „Er ist mein bester Freund. Sein Name ist Eli, erzähl mir von ihm,“ forderte er sie auf. Je mehr sie mit Enjen redete, desto sympathischer wurde er ihr. Sie hatte gar nicht an die Möglichkeit gedacht, dass dieser Bär von einem Mann mit dem schüchternen Gelbäugigen befreundet sein könnte. Enjen hatte die Geschichte vom Blutschwur bestimmt schon von seinen Oberen gehört, doch es schien ihn sehr zu berühren sie aus ihrem Mund noch einmal zu hören. Er ballte seine Hände zu Fäusten. „Wir müssen endlich was tun! Wir müssen endlich kämpfen!“ sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. An dieser Stelle schaltete sich zum ersten Mal Aarin ein. „Sie sind noch nicht bereit, die Oberen,“ sagte er streng. Lola fuhr zusammen, sie hatte ihren Freund noch nie so reden hören. „Von wegen, sie haben nur nicht genug Mut. Aber wir, wir Schüler haben Mut.“
Sie kamen am Nordhaus an. Es stand auf einer riesigen Lichtung mitten im Wald. Der kleine Fluss trieb eine Mühle an, ansonsten war die Lichtung ein einziges großes Beet. Sie hatten drei Stunden gebraucht um hier herzukommen und jetzt ließen sie sich erschöpft auf einem der Jausentische, die im Garten standen, nieder. Es war kein einziger Schüler zu sehen. „Sie sind weiter oben, beim Wasserfall.“ Sagte Enjen. Lola konnte nicht anders als an Sophicas Fluss zu denken, doch sie schüttelte den Gedanken wieder weg, denn ein paar Obere kamen auf sie zu. Sie erkannte ihre Gesichter wieder, sie hatte sie einmal bei einer Versammlung im Südhaus angetroffen.
„Obermagier Ern“ stellte sich ein etwas älterer Herr vor, der ihr die Hand schüttelte. „Ich bin Monika Mur, sehr erfreut.“ Sagte sie etwas schüchtern und war froh, als er ihr nicht mehr in die Augen sah. Denn seine Augen waren von etwas verblichenem orange und hinterließen einen sehr freundlichen, aber auch einen sehr grusligen Eindruck. Nachdem sich auch die anderen höflich begrüßt hatten, bot der Obermagier ihnen eine Hausführung an. Obwohl sie alle müde waren, sagten sie zu. Er zeigte ihnen stolz die vielen Gemüsebeete. „Wir produzieren fast genauso viel Gemüse wie ihr an Obst.“ Erklärte er und Lola musste an die unzähligen Obstbäume denken, die bei ihnen rechts und links vom Weg wuchsen. Auch die Straße in die Stadt, die sich wie ein Wurm durch die waldlose Hügellandschaft zog, war von Birnen, Äpfeln, Marillen und Pfirsichen gesäumt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass das Fußballfeldgroße Beet drei Tonnen Gemüse produzierte, doch sie nickte artig. Das Haus war etwas kleiner als das Südhaus und die Küche befand sich am anderen Ende. Der Versammlungssaal war nicht so groß und es gab nur zwei Klassenzimmer. „Wir wollten Ausbauen, doch jetzt müssen wir zuerst unsere Schüler zurückbekommen, bevor es sich wieder auszahlt.“ Der Obermagier hatte versucht es wie einen Scherz klingen zu lassen, doch seine Stirn hatte sich gleichzeitig in Falten gelegt, er strahlte eine gewisse Traurigkeit aus. Er tat Lola leid, sie fand ihn sehr sympathisch. Die Oberheilerin hatte nie viel mit ihr gesprochen. Als sie von der Entführung zurückgekommen war, hatte sie sie ins Büro gebeten und sich bei ihr entschuldigt, dass man nicht besser auf sie aufgepasst hatte. Das war alles. Der Obermagier hingegen hatte sie herzlich begrüßt obwohl sie nur zu Gast war und führte sie nun persönlich durchs Haus. Er hatte es innerhalb weniger Minuten geschafft eine freundschaftliche Basis herzustellen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Der Obermagier betrachtete sie einmal verstohlen von der Seite, sie fragte sich, was er wohl dachte. Die Führung war schnell zu Ende. Der alte Magier ließ ihnen ihm Garten Kuchen und Saft servieren und ging danach mit seinen Kollegen ins Haus zurück. Aarin, Magic, Anja, Lola und Enjen genossen das Vogelgezwitscher und das Farbenspiel der Blätter. Bald würden die Bäume um einiges karger aussehen und die Vögel verstummen. Wie lange es noch bis zum Winter dauerte? Ein, zwei Monate? Schweigend waren sie nebeneinander gesessen und jeder hatte vor sich hinsiniert. Nach einer Weile rief man Aarin ins Haus, man hatte nun Zeit zur Besprechung. Magic und Anja standen auf um die leeren Kuchenteller und Gläser hineinzubringen. Auch Lola wollte helfen, doch Enjen trat ihr leicht mit dem Fuß ans Schienbein und fixierte sie mit seinem Blick. Sie verstand, dass sie sitzen bleiben sollte und war gespannt was er ihr unter vier Augen zu sagen hatte. Kaum waren die beiden Mädels und Aarin im Haus verschwunden beugte er sich leicht zu ihr vor. „Du bist anders, als ich gedacht hatte. Anders, als wir alle gedacht hatten. Du bist stark.“ Lola wurde rot doch Enjen bemerkte es genauso wenig wie er die Strömung im Fluss bemerkt hatte. „Euer Haus hat die stärkeren Magier und die besser ausgebildeten Novizen. Doch ihr habt zu viel zu verlieren, als dass ihr kämpfen wollt. Unser Nordhaus ist schwach, aber dennoch wollen wir kämpfen, wir haben keine Angst. Unsere Oberen denken, dazu bräuchten wir zuerst die Unterstützung des Südhauses. Doch jetzt denken wir, dass wir nur dich brauchen.“
Er hielt inne und lehnte sich zurück als Magic und Anja zurückkamen. Lolas graue Zellen arbeiten auf Hochtouren. Sie hatte sofort verstanden, wieso Enjen das Südhaus als schwach bezeichnete. Es hatte schon oft Anstoß an ihr genommen, dass ihre Oberen alles hinauszögerten. Doch andererseits waren sie doch wirklich noch zu schwach um einen Kampf mit den Abtrünnigen aufnehmen zu können. Hatte Enjen einen Plan? Bestimmt wusste er von ihrer Gabe. Hatte er eine Idee, wie sie sie einsetzen konnten? Ein Häschen hoppelte übers Beet, wohl auf der Suche nach einer Karotte. Eine Biene summte über ihrem Kopf und leckte dann Saftreste vom Tisch auf. Ein wahrhaft idyllischer Platz. In der Ferne hörte sie aufgeregte Stimmen. Um die Hausecke tauchten neun junge Burschen und Mädchen auf. Ein paar gingen gleich ins Haus um sich trockene Sachen anzuziehen, sie waren ins Wasser gefallen. „Wir haben Gold gefunden!“ jubelten die übrigen. „Enjen hast du Besuch mitgebracht?“ fragten sie und kamen auf sie zu. Sobald sie erkannt hatten, wer Lola war, verstummten sie. „Du bist also der Erdmensch, du bist die, die Menschen beamen kann.“ ein großgewachsenes Mädchen sah sie abschätzend an. Lola nickte. Es entstand ein unangenehmes Schweigen. „Ich glaube sie würde uns helfen.“ Enjen trat sie wiedermal gegens Schienbein. Sie wollte sich nichts vorschreiben lassen, doch sie nickte. Wenn es ein guter Plan war, würde sie ihnen helfen. Anja warf ihr einen fragenden Blick zu. „Lola tut nichts, wozu sie die Erlaubnis nicht hat“ sagte sie zu den anderen hin gewandt. „Danke, aber ich kann für mich selbst sprechen“, sagte Lola bissig obwohl sie nicht die Absicht hatte, Anja zu verletzen. Doch sie hatte es satt die ganze Zeit nur bevormundet zu werden. Es entstand wieder ein peinliches Schweigen. Es wurde von einem kleinen Burschen unterbrochen, der mit einem großen Handtuch aus dem Hauseingang stürmte. „Ihr glaubt mir nicht, wer da drin ist. Der Doofian aus dem Südhaus!“
Doofian? Lola konnte ihren Ohren nicht trauen. Niemand nannte ihren Freund einen Doofian, schon gar nicht so ein kleiner Knirps. Als niemand ihn zurechtstutze stand sie selbst auf um ihm seine Meinung zu sagen. „Jetzt hör mal! Haben sie dir hier keine Manieren beigebracht?“ fragte sie wütend und die Nordhausschüler wichen zurück, sodass der Kleine sie sehen konnte. „Ohoh. Und die Hexe ist auch da.“ sagte er mit weit aufgerissenen Augen. Als ihm einfiel, dass er gerade etwas sehr falsches gesagt hatte, schlug er sich die flache Hand auf den Mund. „Du kleiner Mistkerl,“ sagte Lola perplex und drehte sich zu Enjen um, sie erwartete Hilfe von ihm. „Redet ihr hier so über uns? Doofian und Hexe?“ sie rang um Fassung. Enjen fuhr den Kleinen an, er solle ins Haus hineingehen und habe Stubenarrest. Auch ein paar der anderen Schüler drehten sich um und gingen aufs Haus zu, das große Mädl von vorhin klopfte dem Kleinen anerkennend auf die Schultern. Zornige Tränen schossen in Lolas Augen und sie war nahe daran ihnen hinterherzulaufen und ihnen eine runterzuhauen.
„Was ist hier los?“ Aarin stand auf einmal in der Haustüre. Er roch sofort den Braten und ein Blick auf Lolas Gesicht genügte, um sich zu vergewissern. „Sie haben mich beleidigt,“ sagte Lola mit zitternder Stimme. Es war so totenstill, dass Aarin sie gut hören konnte. Genauso wie sie ihn vorher verteidigen wollte, verteidigte er nun sie. Nur halt auf seine Art. Er schrie etwas von „Gastfreundschaft“ und „kein gegenseitiges Vertrauen“ und „gemeine Bande.“ Da wurden auch die anderen Schüler wütend und schimpften zurück. Magic und Enjen mischten sich ein um Ruhe zu schaffen, doch sie machten es nur noch schlimmer. Lola begann fast zu heulen, sie konnte es einfach nicht fassen, dass man wegen ihr stritt. Anja streichelte ihr tröstend den Arm, und sie war ihr dankbar. Doch am liebsten wäre sie einfach zurück in ihre Welt gerannt und hätte sich bei ihrer Mutter ausgeheult. Der Gedanke war ihr in letzter Zeit schon öfters gekommen.
Der Streit flaute ab, als der Obermagier auftauchte. Alle bis auf Aarin senkten beschämt ihre Köpfe. „Habt ihr einen Wagen? Kann uns jemand nach Hause fahren, wir wollen nicht länger bleiben.“ Der Obermagier nickte und ein Oberer holte hinter dem Haus einen Wagen hervor. Lola rannten noch immer Tränen hinunter und Aarin schritt schnell auf sie zu, er nahm sie tröstend in den Arm und zog sie zum Auto.
Enjen folgte ihnen zögernd und reichte ihr die Hand. „Es tut mir Leid, es wäre schön, wenn wir trotzdem in Kontakt bleiben.“ Er betonte das Wort „Kontakt“ ganz sonderbar. Lola verstand und drückte ihm als Bestätigung die Finger etwas fester zusammen als notwendig. Noch immer Schluchzend stieg sie ins Auto. Es war ihr schrecklich peinlich in der Öffentlichkeit zu heulen. Zuhause auf der Erde hatte sie nicht einmal vor ihrer Mutter geweint. Sie hatte auch nie einen Grund dazu gehabt. Wie anders hier doch alles war…
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Kapitel 4- Der Plan
Als sie zuhause ankamen, ging Aarin schnurstracks zur Oberheilerin um ihr alles zu erzählen. Auch seine Besprechung mit den Oberen war nicht gut verlaufen. Lola ging derweil ins Zimmer, sie wollte allein sein und war dankbar, dass Magic draußen blieb. Sie weinte noch ein bisschen, dann gewann ihre Wut wieder Oberhand. Wieso lief in letzter Zeit alles verkehrt? Wieso hatte sie bei allem was sie tat ein schlechtes Gefühl. Alles fühlte sich so unecht an, als wäre es doch bloß Schauspielerei. Derweil ging es doch darum Menschen zu retten, die Geißeln mussten es jetzt schon über ein Monat ertragen den Abtrünnigen bei allen möglichen Straftaten zu helfen. Was immer Enjen für einen Plan hatte, sie wollte ihn unbedingt hören obwohl sie heute von seinen Freunden auf schlimmste Weise beleidigt worden war. Sie konzentrierte sich und ein verdutzter Enjen saß auf dem Boden, der Schreck hat ihn praktisch umgehauen. Doch er sammelte sich gleich wieder als er Lola erblickte. „Ähm, das ging aber rasch.“ Sie nickte, ihre Augen mussten noch immer rot und verschwommen sein, denn Enjen reichte ihr ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. Nachdem sie sich die Nase geputzt hatte, forderte sie ihn auf zu sprechen „Sag schnell, Aarin wird gleich wieder da sein.“ Der große Grizzlieartige Bursche stotterte zuerst ein bisschen rum, doch seinen Plan hatte er dann in ein paar Sätzen erklärt. „Es ist gefährlich gegen sie zu kämpfen, doch es würde sie irritieren wenn wir immer wieder verschwinden.“ „Du meinst also, ich soll mich irgendwo verstecken wo sie mich nicht sehen und euch dann abwechselnd herbeamen. Wenn ich sehe, dass ihr in Gefahr seid, lass ich euch wieder verschwinden.“ Ihr gefiel der Plan, er war einfach. Doch Enjen schüttelte den Kopf. „Nein, das wäre zu gefährlich für dich. Du kannst jedoch für uns ausfindig machen, wo sie sind. Danach gehe ich sie mit ein paar Freunden suchen. Wir machen uns eine Zeit aus, in der du uns abwechselnd hin und her beamst. Niemand würde wissen, dass du an der Aktion beteiligt gewesen bist.“ Lola dachte nach. „Doch würden sie. Aber es ist mir egal, ob sie es wissen oder nicht.“ Nun lächelten sie beide. „Ich habe gehofft, du würdest das sagen“, meinte Enjen anerkennend. Er ließ ein paar Flammen auf seinen Fingern tanzen. „Faszinierend, ich kann zaubern obwohl ich gebeamt bin.“ Lola lächelte. Sie hatte das beamen fleißig mit Aarin geübt. Anfangs hatte er nicht zaubern können weil sie nur die Person ohne ihre magischen Eigenschaften gebeamt hatte. Inzwischen war ihr Zauber jedoch präziser geworden und sie konnte ihn besser steuern. Sie hörte Schritte vor der Tür. „Heute Nacht machen wir Eli ausfindig, bis dann,“ flüsterte sie rasch und schon verblasste ihr Besucher.
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Aarin kam herein, sie wollte, dass er sie streichelte und tröstete. Stattdessen setzte er sich auf die Fensterbank und sah der untergehenden Sonne zu. Lola ging auf ihn zu, schmiegte sich an ihn. Alles war gut, wenn sie mit ihm zusammen war. Doch heute ging eine seltsame Unruhe von ihm aus. Als vertrug er ihre Berührung nicht. Er stand auf und ging im Kreis im Zimmer herum. Sie beobachtete ihn fröstelnd. Ihr war kalt und sie wickelte eine der Decken um sie herum. „Willst du mir was sagen?“ ihre Stimme war ruhig. Sobald es jemanden gab, der noch nervöser war als sie selbst, wurde sie ruhig. Sie hatte dann keine Zeit, sich um sich selbst zu kümmern. Aarin gesellte sich nun wieder zu ihr auf die Fensterbank. Seine Augen waren anders als sonst. Sie hatten das gleiche lila, doch sie wirkten... anders eben. „Es ist alles aus den Fugen geraten. Nichts passt mehr. Alles ist so ausweglos.“
Lola schenkte ihm ein schwaches Lächeln und strich ihm seine länger gewordenen Haare aus der Stirn. „Meinst du wirklich? Vielleicht müssen wir nur endlich Entscheidungen treffen die wir schon längst hätten treffen sollen. Keiner von uns kann ruhig schlafen bevor das Nordhaus ihre Schüler zurückhat.“
„Es ist nicht so einfach, wie du denkst, Lola. Die Oberheilerin… .“
„Lass sie aus dem Spiel, Aarin, sie ist im Moment keine große Hilfe für die Geiseln. Auch die anderen Oberen nicht. Enjen sagt wir….“
Jetzt unterbrach er sie. „Was Enjen sagt, tut gar nichts zur Sache. Er ist nur eifersüchtig weil ich den Job bekommen habe, dich hier herzubringen. Unser Haus hat eben mehr Einfluss und Macht, daher war es klar, dass ich den Job bekomme und nicht er. Unsere Häuser liegen sich noch immer im Clinch deswegen.“
„So ist das also, jetzt versteh ich, weshalb ihr heute nicht mit ihm reden wolltet. Das hättet ihr mir gleich sagen sollen, ich hab mich schon gefragt was mit euch los war.“ Lola versuchte nicht aufgeregt zu klingen sondern als wäre es eine sachliche Feststellung, damit Aarin nicht noch nervöser wurde. Es erschreckte sie direkt ihn so zu sehen; er war nur ein Schatten seiner selbst.
Er wechselte das Thema. „Die Oberheilerin will nicht mehr, dass du ins Nordhaus gehst, es ist gefährlich für dich. Es könnte dir was passieren, sie könnten dich auf falsche Gedanken bringen, sie wollen dort, dass du wieder auf die Erde zurückkehrst.“
Das war neu für Lola. Sie spürte, wie sie jetzt doch nervös wurde. Irgendetwas stimmte hier nicht.
„Ich geht jetzt,“ sagte Aarin. „Es ist Samstag, du musst deiner Mama einen Brief schreiben.“
Tatsächlich, das hatte sie beinahe vergessen. Sie ging zu ihrem Schrank um Papier und Kuli herauszuholen. Als sie sich wieder hinsetzte war Aarin bereits verschwunden. Ohne Umarmung, ohne nichts.
Der Brief an ihre Mutter fiel diesmal sehr knapp aus, sie wollte nicht in Selbstmitleid zerfließen. Es würde ihrer Mutter nicht helfen, wenn sie wusste, dass es ihrer Tochter nicht gut ging. Es war nämlich so, dass sie sich hier nicht mehr sehr wohl fühlte.
Danach ging sie noch schnell eine Runde mit Magic spazieren, obwohl es schon dunkel war. Sie wollte einen klaren Kopf bekommen. Zurück im Haus steckte sie den Brief an ihre Mutter in die Box, ging duschen und beamte Enjen in den Raum. Im Gegensatz zu ihr, war er gut gelaunt. „Also du hast vorhin gesagt, dass wir Eli suchen werden?“
Lola ließ sich seufzend in ihr Bett fallen. „Ja, aber ich bin müde, ich hab es noch nie zuvor versucht zwei Menschen aufeinmal herzuzaubern, aber ich bin mir sicher, dass ich es kann. Sei so lieb und rede du mit ihm, finde heraus wo sie sind.“ Damit auch ja nichts schief ging, hielt sie Enjen mit einer Hand fest. Dann konzentrierte sie sich auf die weiße Wand und schon war da Elis Bild. Er war sehr überrascht und ihm fielen die Augen fast aus dem Kopf. Als sie es endlich schaffte, ihn ganz hereinzubeamen, stürzten sich die beiden praktisch aufeinander. „Oh Eli! Wie geht es dir?“ Enjen drückte ihn mit seinen Pranken so stark, dass es wehtun musste. „Wie funktioniert das? Und was hat sie damit zu tun?“ Lola reichte ihm lächelnd die Hand. „Es tut mir Leid, dass ich dich bei meiner Flucht nicht mitnehmen konnte,“ sagte sie. Enjen begann seinen Freund auszufragen. „Wirst du gerade beobachtet? Weil das wäre blöd. Wie geht es euch? Wo seid ihr?“ nach ein paar Minuten begann Eli zu verblassen, sie hielt es einfach nicht mehr aus. Er bemerkte selbst, dass er zurück zu seinen Kumpanen gezogen wurde. Die Wirklichkeit holte ihn wieder ein, er schien verzweifelt. „Wie geht’s Mum?“ fragte er besorgt. Enjen streckte den Daumen nach oben. „Sie macht sich Sorgen, aber es geht ihr gut. Pass auf dich auf, Kleiner.“ Eli verschwand, auch Enjen konnte sie nicht mehr lange hier halten. Er lächelte sie an. „Danke Lola, es hat so unendlich gut getan, ihn wieder zu sehen.“ „Ihr seid Brüder? Heute Nachmittag hast du gemeint, ihr seid Freunde.“ Erjen zog eine Grimasse. „Halbbrüder, aber wir sind gemeinsam mit unserer älteren Schwester bei Dad aufgewachsen. Er ist der Obermagier.“ „Obermagier Ern? Er ist dein Vater? Und wer ist deine Schwester? Und deine Mutter?“ „ Meine Schwester kennst du nicht. Sie lebt in der Stadt. Meine Mutter ist Oberheilerin Heran, wir mögen uns aber nicht besonders. Eli´s Mum ist Frau Beans, die Köchin. Aber mein Vater hat sich inzwischen auch von ihr getrennt. Er ist einfach zu senil um irgendeine dauerhafte Beziehung einzugehen. Hat dich denn noch niemand in die Tratschgeschichten hier eingeweiht?“
Lola musste lachen. „Das sind interessante Neuigkeiten.“ Sie drückte ihm den Arm. „Ich kann nicht mehr, mach´s gut, Enjen.“
„Pass auf dich auf, Lola.“ Sagte er und verschwand.
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Am nächsten Morgen erwachte sie erst spät, der gestrige Tag war sehr ereignisreich gewesen und sie hatte noch lange nicht all die neuen Informationen verarbeitet. „Päckchen für dich!“ Aarin riss die Vorhänge auf und öffnete das Fenster wie jeden Morgen, er war also wieder ganz der Alte. Sie freute sich sehr über den Brief von ihrer Tante. „Deine Mutter hat mir erzählt, was los ist. Hiermit schicke ich dir ein Buch, das du brauchen kannst. Ich habe es in einem Antiquariat gefunden und er ähnelt dem von Sophica, welches du deiner Mutter zum Lesen geschickt hast. Sie riss das Backpapier vom Buch. Auch Aarin war sehr erstaunt, als er das Buch in den Händen hielt. „Es ist ein Buch der alten Reihe, ich werde es den Oberen erzählen. Welch ein Glück, dass deine Tante es gefunden hat.“ Sie kuschelten sich aneinander und begannen zu lesen. Den ganzen Tag lang sprachen sie kein einziges Wort über die gestrigen Vorfälle. Am Abend zögerte Aarin, als er aus ihrem Zimmer raus in sein eigenes ging. „Du Lola, vielleicht willst du nächstes Wochenende mit mir zu meinen Eltern kommen?“
Lola freute sich sehr. „Natürlich, ich möchte sie schon länger kennen lernen. Erzähl mir von ihnen.“
Die Woche verging gar nicht schnell genug, jeden Abend jedoch, nachdem Aarin gegangen war, zauberte sie Erjen und seinen jüngeren Bruder herbei. Sie lernte Eli so von einer ganz anderen Seite kennen. Er war nicht mehr der verbissene ernste Gelbäugige der sie vor Wochen entführt hatte. Sie zauberten auch seine Kumpane herbei, alle waren das erste Mal sehr überrascht und Enjen musste ihnen erklären, was vorging. Untereinander durften die Burschen nicht reden, sonst hätten sie gegen den Blutschwur verstoßen. Enjen versprach ihnen, dass er nach dem kommenden Wochenende mit ein paar Freunden abhauen würde um sie zu retten. Unter seinen Freunden waren auch das große Mädchen und der kleine Frechdachs. Lola freute sich schon sehr auf den Besuch bei Aarins Eltern. Sie freute sich auch schon sehr, dabei helfen zu können die Geiseln zu befreien. In den abendlichen Versammlungen schaffte sie es schon bis zu sieben Leute auf einmal in den Raum zu beamen. Jeden Tag wurde sie besser darin und ihre Konzentration stieg praktisch ins Unermessliche. Sie beteiligte sich auch an den Gesprächen. Insgesamt fünf waren es, die Mittwochnacht nach Süden aufbrechen wollten, um ihre Freunde zur retten. Denn die Magier waren in einem Land südlich von Hanin versteckt. Sie mussten also zuerst in die Stadt Anxato gelangen, von dort aus war es einen halben Tagesflug bis Hanin. Es würde nur wenige Stunden dauern das Fürstentum zu durchqueren. Am Fluß „Spagethi“ wollten sie rasten um danach durch die Wüste „Soße“ zu fliegen. Der Fluß und die Wüste trugen nur Spitznamen, genauso wie das Meer „Tinte“ und die Berge namens „Grauriesen,“ die noch weiter im Süden lagen. In den Grauriesen befanden sich die Magier, auf der Suche nach Sophicas Medaille.
Tatsächlich fand Lola diese abendlichen Versammlungen noch spannender als den Unterricht. Es tat viel zu gut, sich endlich darum zu kümmern, Elin und seine Kumpane zu befreien, als dass sie sich schlecht gefühlt hätte, weil sie es Aarin nicht erzählen durfte. Es kam ihr sogar Recht, dass sie ein Geheimnis vor ihm hatte. Sie war sich sehr sicher, dass er auch welche vor ihr hatte. So konnten sie halbwegs unbeschwert glücklich miteinander sein und sie hatte bald vergessen, dass er sich letztens so komisch verhalten hatte. Schließlich war ihr perfekter Freund, der sich um sie kümmerte wie noch niemand zuvor in ihrem Leben. Ihre Mutter vielleicht ausgeschlossen.
Am Mittwoch hatte sie ihr Referat in Weltenkunde. Sie erzählte von den Fünf Kontinenten die eigentlich sechs waren, wenn man den Südpol dazu zählte. Zur allgemeinen Erheiterung beamte sie einen Pinguin herbei. Als sie den Nordpol beschrieb, ließ sie den dafür geplanten Eisbären lieber weg. Dafür malte sie ihn auf die Tafel. Malen konnte sie sehr gut und so malte sie auch noch ein paar Musikinstrumente. Denn in dieser Welt kannte man nur die Musik aus dem Synthesizer. Für die folgende Woche bat man sie, sich ein paar Musikbeispiele von ihrer Mutter schicken zu lassen und Merwem bat sie auch um die Süßigkeit Schokolade. Als man sie fragte, ein paar typische Blumen an die Wand zu pinnen, schüttelte sie den Kopf. Sie hatte es schon oft versucht, doch sie konnte nur Lebewesen beamen.
Beim Abendessen war der Pinguin noch in aller Munde und sie musste ihn ein zweites Mal vorführen.
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Kapitel 5- Wende
Freitagabends brachen sie mit Magics Bus nach Anxato auf. Auch einige der verbliebenen Schüler des Nordhauses waren darunter und nickten Lola zu. Aarin versteifte sich und murmelte Lola ein paar beruhigende Worte zu, er hatte die Auseinandersetzung nicht vergessen. Wenn er wüsste, dass sich der Spieß inzwischen gedreht hatte und Lola ihnen bei der Ausführung eines sehr wagemutigen Planes half…
Sie fuhren jeden einzelnen Schüler nach Hause, ehe sie zu Aarin´s und Magic´s Wohnung aufbrachen. Endlich konnte sie nun die Eltern der Beiden kennen lernen.
Als sie unten an der Haustür klingelten, wurde sofort im zweiten Stock das Fenster aufgerissen und eine mittelalte Frau mit einer wilden Lockenmähne steckte den Kopf aus dem Fenster. „Kinder!!!“ rief sie aufgeregt und strahlte übers ganze Gesicht. Magic verwandelte sich sofort in einen Raben und flog ihrer Mutter pfeilschnell in die Arme. Sie wollte eigentlich an ihr vorbeifliegen, doch ihre Mutter hatte sie abgefangen und liebkoste den Vogel, der sich aufgeregt versuchte loszumachen. Ein paar Federn schwebten langsam auf Aarins und Lolas Köpfe herunter. Magic verwandelte sich am Fenstersims zurück in einen Menschen. Aarins Mutter verlor das Gleichgewicht und die beiden stürzten hintenüber und waren nicht mehr zu sehen.
Inzwischen ging jedoch die Tür auf und ein schon etwas älterer Herr klopfte seinem Sohn auf die Schulter. Er schüttelte Lola die Hand und zeigte ihr den Weg bis in den zweiten Stock wo sich Magic und ihre Mutter inzwischen wieder gefangen hatten.
Sie war vorgewarnt worden, die Wohnung sei klein. Vielleicht war sie das auch für die Verhältnisse dieser Welt. Es gab aber immerhin drei mittelgroße Schlafzimmer und ein großes Wohnzimmer, das man ruhig in zwei Zimmer unterteilen hätte können. Die Möbel waren überraschenderweise aus Holz, sie hätte fast das weiße Material der Häuser oder der Burg Hanin erwartet.
Aarins Mutter hatte einen großen Kuchen gebacken und Magic war schon dabei, Tee zu kochen. Der dunkle Holztisch war bereits bedeckt und in der Mitte stand ein Blumenstrauß. Auf dem Kühlschrank klebten ein paar Buchstaben. „Willkommen Daheim“ sagten sie. Lola schmiegte sich in Aarins Arme, sie fühlte sich tatsächlich willkommen und das „daheim“ verbannte sie schnell aus ihren Gehirnwindungen.
Aarins Vater hieß Mix und wirkte zwar ein wenig reserviert und streng, aber auch sehr weise und gütig. Lola hatte gehörigen Respekt vor ihm, obwohl er sich sehr nett erkundigte wie es ihr ging und ob sie sich im Südhaus wohlfühlte. Er ging offensichtlich schon auf die Sechzig zu und seine Haare waren von einem hellen grau. Zusammen mit seinen lila Augen ergab das eine ziemlich furchteinflößende Wirkung. Auch Aarin würde eines Tages vielleicht so aussehen, überlegte sie. Die Mutter hieß Hina und war um bestimmt zehn Jahre jünger, wenn auch wesentlich beleibter. Auch in ihren Haaren waren schon graue Strähnen, aus ihren hellbraunen Augen strahlte viel Wissen und auch viel Liebe. Ihre Wangen waren rot vor Aufregung darüber, dass ihre Kinder zurück waren. Auch Lola schenkte sie immer wieder ein liebevolles Lächeln. Sie musste Lachen. als sie sich eine schwarze Feder aus der Lockenmähne fischte. „Ein schöner Vogel bist du.“ Sagte sie zu Magic und steckte sie in den Blumenstrauß, was eine recht interessante Wirkung ergab.
Sie aßen den Kuchen und es wurde still um den Tisch herum, niemand wusste, wo man mit dem Erzählen beginnen sollte. Mix und Hina waren eindeutig sehr interessiert in Lola, die bis jetzt kaum etwas gesagt hatte. Sie warfen ihr immer wieder Seitenblicke zu und sie wurde davon immer schüchterner. Auf Mix Aufforderung hin, erzählte sie mit einer etwas brüchigen Stimme vom Unterricht in den Häusern und dann auch noch ein bisschen etwas von der Erde, von ihrer Mutter und von Maria. Überraschender Weise schien es ihr gut zu tun von Zuhause zu erzählen, es war als würde ein Druck von ihr Abfallen.
Dann erzählten Mix und Hina von Vorfällen bei der Arbeit. Mix war Bäckermeister und Hina Professorin für Geschichte. Beide waren als Jugendliche selbst in den Häusern unterrichtet worden. Mix war eine Zeitlang Obermagier gewesen und Hina Professorin für Welten und Geschichtskunde. Als sie in einem etwas reiferen Alter beschlossen hatten zu heiraten, nahm ihnen niemand übel, dass sie aus der Magie aussteigen wollten. Ihre Kräfte waren gebannt worden und sie lebten seither ein ebenso spannendes Leben in der Welt der Nichtmagier. Seitdem beide ihre Kinder in die Häuser gerufen worden waren, arbeiteten sie auch viel ehrenamtlich und hatten einen großen Freundeskreis aufgebaut. Man spürte förmlich, dass die beiden ein erfüllendes Leben führten und Lola ahnte, warum Aarin so bescheiden und autoritär zugleich wirkte. Er hatte es von seinen Eltern. Es war schon stockdunkel draußen als sie ihre Jause beendeten. Hanin fragte, wo sie Lolas Bett herrichten konnte. Aarin stupste seine Mutter danach in die Seite und diese rollte die Augen. „Na gut, ist schon okay“ sagte sie und Lola war froh, sich mit Aarin seine Bettnische teilen zu können, sonst hätte sie sich in der großen dunklen Wohnung einsam gefühlt.
Am nächsten Morgen machten sie einen Stadtrundgang. Dazu luden sie auch Miracle und seine Eltern ein, die Lola ebenfalls kennenlernen wollten. Miracle hatte einige jüngere Schwestern, was Lola sehr lustig fand. Die Jüngste bewegte sich keinen Zentimeter wenn sie nicht an Miracle´s Arm hängen durfte und die Älteste hatte zwei dicke schwarze Striche um die Augen aufgetragen und trug ein hautenges Trägerleibchen auf dem ein paar sehr unfeine Wörter standen. Sie warf verächtliche Blicke in die Runde, wahrscheinlich hatte man sie gezwungen mitzukommen.
Zuerst gingen sie in ein Kirchenähnliches Gebäude in dem eine Kinderausstellung über die verschiedenen Länder dieser Welt war. Lola erkannte Burg Hanin sofort und erriet auch den Fluß Spagethi sofort sowie die Wüste Soße. Enjen würde sie in einigen Tagen durchqueren müssen. Miracles Schwestern fanden es lustig, im Sand zu spielen und kletterten dann die Burg Hanin hinauf. Indessen setzten sich die älteren in das Café „Grau“, von dem aus sie einen guten Überblick über den Spielplatz hatten, wo die Kleineren herumtobten.
Am Nachmittag spazierten sie einen Fluss entlang der mitten durch die Stadt floss. Sie gingen an einem riesigen Gebäude vorbei aus dem abwechselnd kleine Flugzeuge und sehr schnelle Busse schossen. Züge schien es hier nicht zu geben. Boote auch nicht, obwohl der Fluss bestimmt tief und breit genug war. Sie kamen zu einem großen Park in dem es eine Art Freiluftkino gab. Die beiden Familien setzten sich ins Gras und beobachteten das Spektakel auf der Leinwand. Aarin zog Lola jedoch mit sich und sie setzten sich an den Rand des Flusses. Ihre Beine ließen sie nicht hinein baumeln, dafür war es schon zu kalt. Sie redeten lange über dies und das und Lola hatte das Gefühl, dass noch nie ein Augenblick so perfekt wie dieser gewesen war. Hier mit Aarin und seiner Familie konnte sie ganz sie selbst sein. Die ein wenig schüchterne, aber liebe Lola die sie auch Zuhause gewesen war. In den Häusern war sie anders. Da war sie der Fremdling von der Erde, der eine so seltsame Gabe hatte und auf dem alle Erwartungen ruhten. Demnach musste sie die Starke spielen und musste sich im Unterricht doppelt anstrengen.
Als sie nach Hause gingen, taten ihr die Füße schon weh. Aarins kleine Geschwister ließen sich abwechselnd von ihm tragen. Das ältere, schwarzgeschminkte Mädchen ging entgegen ihren Prinzipien Arm in Arm mit ihrer Mutter weil ihr kalt geworden war. Lola lächelte. Das Leben war hier wie da spannend und egal was aus ihrer Zukunft werden würde, sie freute sich darauf.
Am nächsten Morgen unternahmen sie nichts. Nach einem ausgiebigen Frühstück schrieb sie einen Brief an ihre Mutter. Diese Woche fiel er länger und vor allem fröhlicher aus. Gleich nach ihrer Rückkehr ins Südhaus würde sie ihn in die Box stecken. Die Abfahrt war noch vor dem Mittagessen. Mix und Hina umarmten sie und wünschten ihnen viel Glück. Bis zu den Winterferien waren es noch zwei Monate und dann würden sie sich wieder sehen.
Magic kurvte mit dem Bus wieder durch die ganze Stadt um die anderen Schüler einzusammeln, die nicht fliegen wollten. Wieder waren ein paar Schüler des Nordhauses darunter und warfen ihr bedeutungsvolle Blicke zu. Nur noch drei Tage, dann war es soweit. Sie grub ihre Fingernägel in die Oberschenkel, die altvertraute Anspannung war wieder da.
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Am nächsten Morgen kam Magic schon in aller Früh vorbei um ihr zu sagen, dass die Oberheilerin auf sie wartete. Stumm wartete sie vor der Tür, bis sie hineingerufen wurde. Drinnen fand gerade ein Gespräch statt. Sie erkannte die Stimme des Mannes sofort, es war Aarin. Sie drückt ihr Ohr an die Tür. „Vielleicht ist es wirklich am besten, wir laden ihre Mutter ein. Ich hätte nicht mehr tun können um sie abzulenken. Ich habe alles getan was Sie von mir verlangt haben. Ich bin mit Lola eine Liebesbeziehung eingegangen und habe mit ihr meine Eltern besucht. Ich habe mit den Lehrern geredet, dass sie ihr extra viele Hausübungen geben, etc. Und alles nur damit sie kein Heimweh hat, damit sie nichts Dummes tut, damit sie… „
War das wirklich Aarin der da sprach? Hatte er gerade gesagt, er spielte ihre Liebe nur, weil Oberheilerin Heran es befohlen hatte? Weil man sie von dummen Gedanken ablenken wollte? Das konnte nicht wahr sein. Ihr wurde heiß, sie glaubte ein leises Krachen zu hören, als ihr Herz auseinanderbrach. Alles in ihr zog sich schmerzhaft zusammen. Deshalb hatten ihr die Lehrer so viele Aufgaben gebegeben? Damit sie kein Heimweh hatte und damit sie nichts „Dummes“ tat? Hatte Aarin etwa herausgefunden, dass sie sich letzte Woche jeden Tag mit Schülern aus dem Nordhaus traf um die Rettungsaktion für die Geiseln zu planen?
Die Tür ging auf und Aarin trat heraus. „Ich hab´s gehört. Es war alles nur gespielt,“ wisperte sie mit Tränen in den Augen.
Er schaute sie entsetzt an. Doch sie gab ihm keine Zeit sich zu rechtfertigen. Schnell ging sie in das Büro und zog die Tür hinter sich zu, ihre Eingeweide brannten.
Die Oberheilerin tat, als hätte sie nichts bemerkt. „Wir haben bemerkt, dass du in letzter Zeit mit dir selbst im Zwiespalt bist. Es fällt dir nicht leicht, dich an unsere Regeln zu gewöhnen. Du triffst dich nachts heimlich mit Schülern aus dem Nordhaus. Wir wissen nicht, was ihr vorhabt, ob ihr was plant. Doch ich muss dich eindringlich bitten das „beamen“ zu unterlassen. Tust du es trotzdem, müssen wir Konsequenzen ziehen. Um dir deine Zeit hier jedoch nicht noch schwieriger zu machen, möchten wir gerne deine Mutter einladen, damit du dich hier wohler fühlst und wieder auf andere Gedanken kommst. Lola nickte. Sie brachte kein einziges Wort heraus.
Den ganzen Vormittag über saß sie in ihrem Zimmer und heulte. Zum Mittagessen stand sie auf und setzte sich mit verquollenen Augen zu Erine. Mit Aarin würde sie später reden. Ein paar Schüler stupsten sich an und wiesen in ihre Richtung. Es war ihr egal, ob sich wer den Mund über sie zerriss. Ihr Entschluss stand fest. Falls Aarin keine gute Erklärung für das lieferte, was sie heute Morgen gehört hatte, oder ihr sie davon überzeugte, dass er sie doch noch liebte, würde sie nicht mehr lange in dieser Welt bleiben. Es gab dann nicht mehr viel was sie hier hielt, wenn sie die Geiseln erst einmal gerettet hatten.
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Am Weg zum Unterricht passte Aarin sie ab. Er hatte Miracle und Magic im Schlepptau. Die Freundschaft zwischen den dreien fand sie bewundernswert. Sie hielten immer zusammen, waren immer gemeinsam unterwegs. In letzter Zeit war sie ein Teil dieser Gruppe gewesen, Doch jetzt fühlte sie sich ihrer nicht mehr zugehörig. Die drei hatten die Aufgabe bekommen, sich um sie zu kümmern. Sie war auf deren falsche Freundschaft reingefallen. Sie würden sich alle drei anstrengen müssen um ihr weis zu machen, dass sie sie tatsächlich mochten. Und zwar mit all ihren Ideen und Vorstellungen die sie hatte.
Aarin blickte sie an. Verdammt, diese lila Augen hatten ihr schon bei ihrer allerersten Begegnung den Verstand geraubt. Doch sie hielt dem Blick stand ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich liebe dich wirklich Lola. Das was ich heute zur Oberheilerin gesagt habe, war falsch. Es ist nur wichtig sie in dem Glauben zu lassen, dass sie bekommt was sie will. Unsere oberste Regel lautet hier, unserem Hausvorstand zu gehorchen. Denn nur dadurch kann ein Leben in Gemeinschaft funktionieren.“ Sie runzelte die Stirn. „Was hat das mit unserer Liebe zu tun?“
Er raufte sich die Haare. „Du musst lernen uns zu vertrauen. Mir. Der Oberheilerin. Du hättest mir sagen müssen, dass du dich mit den Nordhäuslern triffst. Ich weiß nicht warum. Schließlich haben sie dir wehgetan, als wir gemeinsam dort waren.“
„Nein Aarin. Es ist umgekehrt. Ihr müsst lernen mir zu vertrauen. Den Geißeln geht es schlecht. Man muss sie retten. Das versuche ich mithilfe von Enjen und seinen Freunden. Es würde mich freuen, wenn ich Unterstützung dabei von dir oder der Oberheilerin bekäme. Doch alles was sie sagt, ist, dass beamen eine Gefahr ist.“
Aarin wirkte ungehalten. „Du hast gerade gesagt, dass du Enjen mehr vertraust als mir?“
„Ich habe heute Morgen erfahren, dass du mich nie geliebt hast.“
„Doch das tu ich.“ Er presste seinen Mund auf ihren. Lola zuckte zurück und gab ihm eine Ohrfeige. Das saß. Er wurde rot. Sie wusste nicht ob aus Zorn oder aus Kränkung.
„Du kannst dich entscheiden. Zwischen mir oder der Oberheilerin. Sag mir, wenn du es weißt.“
Aarin ließ ein Zischen aus. „Es gibt Regeln an die ich mich halten muss, wenn ich ein Magier werden will. Entscheide du dich; ob du Magierin werden willst oder nicht.“ Er drehte sich um und ging den Gang hinunter. Miracle folgte ihm und klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter. „Es tut mir Leid, ich muss auch gehen, er braucht mich,“ sagte Magic und folgte ihrem Bruder und Freund.
„Es gibt Regeln an die ich mich halten muss, wenn ich glücklich sein möchte“ murmelte Lola und Erine schlang ihre Arme um sie.
„Er wird es schon einsehen,“ sagte sie. „Er liebt dich. Du hast alles über den Haufen geworfen, als du hergekommen bist. Die meisten Leute hier vertrauen der Oberheilerin blind und er hat in seinem Eifer etwas übertrieben. Aber er liebt dich, er wird eine Entscheidung treffen.“
Lola nickte und folgte Erine in den Heilkundeunterricht.
……………………………………………………………………………………………………………………………………………… „Habt ihr alle die Gartenhandschuhe mitgebracht?“ als der Lehrer die Klasse betrat wurde es schlagartig still. „Mona ich nehme an du hast keine? Seit deiner Ankunft hier sind wir nicht mehr draußen gewesen.“
„Damit sie uns nicht davonläuft, oder was?“ Irgendjemand hielt sich für besonders witzig.
Der Lehrer stieg auf seinen Scherz ein, „Halt, dass ist sie doch sowieso, oder wurde sie entführt, wie war das nochmal?“ Hätte Lola heute Morgen das Gespräch nicht gehört, wäre ihr das Verhalten des Lehrers noch komischer vorgekommen. Doch nun wusste sie, dass hinter ihrem Rücken geredet wurde, dass mit ihr gespielt wurde. Sie musste das Rätsel lösen, weshalb man ihrer Gabe mit einem solchen Misstrauen gegenüberstand.
Wenigstens hatte sie Erine, die sie tröste und auch Merwem klopfte ihr auf die Schulter. Er sagte, dass die Oberheilerin Aarin den Kopf gewaschen hatte. Weiters meinte er, dass vor Lolas Gabe nur böse Leute Angst haben mussten, weil sie deren Pläne durchkreuzen konnte. Die Oberheilerin verbot Lola zu beamen. War sie böse?
Am Abend beamte sie so kurz wie möglich die beteiligten Schüler des Nordhauses und auch die Geiseln in ihr Zimmer. Es war ihr egal, was die Oberheilerin ihr gesagt hatte, sie musste tun, was sie für richtig hielt. Übermorgen würden die Nordhausschüler aufbrechen und der Plan musste dringend noch einmal überarbeitet werden. An diesem Tag weinte sie sich in den Schlaf.
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Kapitel 6-Die Flucht
Lola rieb sich den Sand aus den Augen. Aua, was war das? Schnell schlug sie die Decke zurück und entdeckte sogleich die Ursache; eine schwarz glänzende Feder mit einem leicht bläulichen Schimmer. Schlagartig erinnerte sie sich an den nächtlichen Traum, sie war in Rabengestalt nachhause geflogen aber ihre Mutter hatte sie nicht erkannt. Daraufhin war sie zu den Häusern zurück geflogen aber auch da hatte sie niemand erkannt. Doch was hatte die Feder zu bedeuten? Eine Möglichkeit war, dass sie sich im Traum intuitiv Schwingen gezaubert hatte. Die andere, jemand war sie in der Nacht in Rabengestalt besuchen gekommen. Lola stand auf um das Fenster und die Tür zu überprüfen. Beides war verschlossen, was aber nicht viel bedeutete wenn man in einem Haus voller Magiern wohnte.
In Gedanken versunken zog sie sich an und ging zum Frühstück hinunter. Sie wünschte Erine einen „guten Morgen“ und öffnete ihre Tasche um ihr die Feder zu zeigen. Erines Augen weiteten sich und sie griff sich nervös an die Nase. „Ist sie neben dir im Bett gelegen als du aufgewacht bist?“ fragte sie mit einem leichten Schaudern in der Stimme. Lola nickte. „Wenn man Federn träumt, bedeutet das, dass man in größter Gefahr schwebt. Sagt meine Omi zumindest.“ Fügte sie nach einem kurzen Seitenblick auf Lolas alarmierten Gesichtsausdruck hinzu. „Komm wir fragen was Merwem dazu sagt, ich will noch mehr Meinungen hören.“ Wisperte Lola und sie standen auf um den Raum zu verlassen. Merwem begegnete ihnen auf der Treppe und sie erzählten ihm schnell, was vorgefallen war. Er überlegte einige Sekunden bevor er antwortete. „Ich habe gehört, dass man nur Federn träumt, wenn man sehr nervös wegen etwas ist, also praktisch flüchten will.“ Erine runzelte die Stirn. „Wenn man also von dieser Theorie ausgeht, können wir das auf einen rein psychologischen Ursprung zurückführen?“ Lolas konnte den Zweifel in der Stimme ihrer Freundin hören. Merwem zog eine Grimasse. „Wie immer du es nennen magst,“ sagte er, „ sicher ist, dass es nur sehr selten vorkommt. Meine Mutter meinte mal, dass…“
Er verstummte als sich die Tür hinter ihnen öffnete. Miracle, Magic und Aarin kamen auf sie zu und Lola schloss schnell ihre Tasche. „Was wollt ihr?“ sie blickte ihren drei ehemals besten Freunden reihum in die Augen. Wie gut sie schon darin geworden war, ihre Gefühle zu verstecken. Sie hasste sich dafür. „Was ist da drin? Was hast du Erine beim Frühstück gezeigt und worüber ist sie so erschrocken?“ fragte Aarin mit gepresster Stimme. Lola wusste nicht wirklich, was sie antworten sollte. „Nichts“, sagte sie schließlich. „Zumindest nichts, was dich interessieren könnte.“ Aarin zog seine Augenbrauen zusammen und auch seine Mundwinkel verhärteten sich. Erine versteckte sich ängstlich hinter Merwem. Der Einzige, der sich zu amüsieren schien, war Miracle, der doof grinste. „Es tut mir *hüstel* gar nicht *hüstel* Leid. Ich weiß, du hast sie unserm rebellischen Baby zum ersten Schultag geschenkt.“ Noch ehe jemand reagieren konnte, war ein kleiner Lichtblitz aus seinem Handballen hervorgeschnellt und die Tasche riss inmitten entzwei. Heraus kullerten zwei Hefte, ihr Tagebuch, ein paar Stifte und die Feder.
„Hast du die geträumt?“ fragte Aarin, nun mit einer etwas sanfteren Stimme, „Hattest du Angst in der Nacht?“ Er bückte sich um sie hochzuheben, doch Lola war schneller. „Das glaubst du doch selbst nicht, ich hab noch nie eine einzige Feder zustande gebracht. Es war jemand bei mir im Zimmer, ich weiß doch, dass ich von früh bis spät bespitzelt werde.“
Aarins Züge verhärteten sich wieder. „Gib sie mir, ich bringe sie ins Labor und lasse sie untersuchen.“ Sagte er und streckte die Hand danach aus. Doch auch diesmal war Lola schneller. Sie nahm die Feder zwischen die Fingerspitzen und sendete einen Energiestrahl aus, sodass die Feder zuerst glühte und dann zu Asche zerfiel.
Magic bückte sie um die am Boden liegenden Hefte und Stifte aufzuheben, sie lächelte Lola entschuldigend an. Die Situation drohte zu eskalieren und Lola verließ mit Erine und Merwem den Raum, sie meinte die glühenden Blicke Aarins in ihrem Rücken förmlich zu spüren. Sie hielt das alles nicht mehr aus. Wie lange würde es dauern bist der Friede wieder hergestellt war? Erst wenn einer von ihnen beiden nachgab. Sie würde sich nicht ändern wollen genauso wenig wie er. Sie musste ihm auf radikale Weise zeigen, dass sie Recht hatte. Dass man ihr Vertrauen konnte und dass es schlecht gewesen war sich auf die Seite der Oberen zu stellen. Erst wenn die Geiseln tatsächlich befreit waren, würde sie Frieden mit ihm und auch sich selbst schließen können. Denn auch wenn er dachte, dass sie ihn hasste, so mochte sie ihn noch immer so gerne wie an dem Tag, an dem sie aus Hanin zurückgekehrt waren. Alles hing vom morgigen Tag ab. Schon im Morgengrauen wollten Enjen und seine Kumpel aufbrechen. Sie drückte kein einziges Auge zu.
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Noch vor Sonnenaufgang klackerte etwas an ihr Fenster. Sie öffnete und fünf Raben flogen herein. Enjen verwandelte sich in ihre Menschengestalt und drückte ihr die Hand. „Ohne deine Hilfe wären wir nie soweit gekommen. Vielen Dank.“
„Ich wünsche euch viel Glück“ sagte Lola und winkte den Raben noch lange nach. Selbst wenn sie noch lange mit Aarin zerstritten war; sie hatte hier noch andere Freunde die ihr halfen. Doch sie machte sich ganz gewaltige Sorgen um sie. Ihr Frühstück blieb beinahe unberührt. Im Unterricht konnte sie sich kaum konzentrieren. Sie war geistig abwesend und musste immer daran denken, wo die Nordhausschüler gerade waren und ob sie schon gesucht wurden. Laut Plan mussten sie jetzt bald in der Stadt sein. Den ganzen Vormittag über hatte sie gemeinsam mit Aarin Unterricht. Zum Glück hatten er und Magic die Plätze getauscht, sodass sie sich nicht die ganze Zeit ansehen mussten. Magic spürte, dass irgendwas im Busch war und fragte sie, was los war. Doch Lola hatte beschlossen sich in dieser Sache niemandem anzuvertrauen und schwieg.
Es änderte sich alles, als die Oberheilerin ohne anzuklopfen in die Klasse trat. Mit ernster Miene verkündete sie, dass Obermagier Ern einen schweren Herzinfarkt erlitten hatte. Es ginge ihm jedoch schon wieder besser. Doch es gab auch Probleme mit den Nordhausschülern, man müsste sich heute Nachmittag um sie kümmern, der Unterricht falle aus.
Lola ging sofort aufs Klo und zauberte Enjens Bild in den Spiegel, sie musste ihm die Nachricht überbringen, dass es seinem Vater ganz und gar nicht gut ging. Enjens Vogelgesicht nickte und sie ließ ihn sofort verblassen. Sie hoffte, dass ein paar Hundert Kilometer weiter im Süden, gerade kein Rabe vom Himmel stürzte. Hoffentlich hatte der flackernde Enjen das Gleichgewicht nicht verloren. Sie wartete einen kurzen Moment, dann zauberte sie ihn ganz in den Raum. Enjen war inzwischen schon in Menschengestalt und sie erzählte ihm, was die Oberheilerin gerade eben gesagt hatte.
Mit vor Entsetzten geweiteten Augen wollte er sofort aus dem kleinen Raum stürzen, doch Lola stellte sich ihm in den Weg. Er wollte sie brutal zur Seite stoßen, aber kam dann auf einen anderen Gedanken. Er drehte sich um und flog als Rabe aus dem gekippten Fenster. Kaum war er hundert Meter geflogen, verblasste er. Lolas Zauber funktionierte nur solange sie seine Anwesenheit „erspüren“ konnte. Je weiter weg die betroffene Person war oder je mehr sich Lola auf eine andere Sache konzentrierte, desto schwerer war es die Person gedanklich hierzubehalten. Schnell wischte sie sich die Tränen aus den Augen und verließ die Toilette.
Erine kam nach dem Mittagessen zu ihr und schlug ihr einen Spaziergang vor. Lola hatte keine Lust, sie kannte die nähere Umgebung schon beinahe auswendig und hatte Angst, Aarin über den Weg zu laufen. Sie wollte lieber lesen. Sie zauberte eine von Enjens Gefährtinnen in das Zimmer. Sie berichtete ihr, dass sie so schnell wie möglich nach Hause flogen. Ohne Enjen hatte die Unternehmung keinen Sinn und dieser musste so schnell wie möglich zu seinem Vater. Lola nickte, wenigstens einer von Erns Söhnen sollte bei ihm sein, solange es ihm schlecht ging. Sein plötzliches Verschwinden war vielleicht sogar ein Auslöser für den Infarkt gewesen.
Sie fühlte sich wahnsinnig schlecht, als sie da so in ihrem Zimmer saß und wartete. Sie wusste eigentlich nicht worauf, doch es konnte nur noch besser werden. Sobald sie Gewissheit hätte, dass es Enjen endlich bei seinem Vater war und es Ern besser ging, würden sie einen neuen Plan schmieden. Vielleicht konnten sie ein paar Obere auf ihre Seite bringen, die ihnen dabei halfen die Oberheilerin zu überreden, dass sie Lola endlich erlaubte einen Blick auf die Abtrünnigen zu werfen. Nicht, dass sie das nicht ohnehin schon getan hatte. Doch dann würde man endlich offiziell Jagd auf die Abtrünnigen machen und nicht erst bis in den Winter hineinwarten. Wenn sogar ein paar Schüler wagten den Kampf mit den Abtrünnigen aufzunehmen, weshalb sollten die Oberen, die schon seit zwei Monaten an ihrem Kampfstil feilten, noch länger warten? Es war zum Haare zerraufen.
Sie zauberte Enjens kleinen Bruder herbei, sie musste ihm sagen, dass sich ihre Rettung noch einige Tage hinauszögern würde. Dass es mit seinem Vater zusammenhing, verschwieg sie.
Ein Blick in den Badezimmerspiegel vergewisserte sie, dass sie schrecklich aussah. Sie nahm ein Bad während ihr immer wieder dieselben Gedanken durch den Kopf liefen. Gedanken, die sie jetzt schon seit einigen Monaten verfolgten. Später übte sie sich ein bisschen in den Zaubern, die sie schon gelernt hatte und löste ein Rätsel in einem ihrer Schulbücher. Alles, nur um sich abzulenken. Sie war gerade dabei, sich die Briefe ihrer Mutter wieder und wieder durchzulesen, als es an der Tür klopfte. Es waren Aarin und ein paar seiner Kumpels, mit denen er schon länger nichts mehr unternommen hatte. Er war kreideweiß. „Was ist passiert?“ fragte sie erschrocken und stand auf. „Das weißt du genau,“ konterte er zurück, die Züge um seinen Mund hart. Sie war den Tränen nahe, was hatte sie nur schon wieder Falsch gemacht? „Was soll das? Warum erschreckst du mich so?“ ihre Stimme überschlug sich. Es machte sie böse, dass er seine Freunde nicht wegschickte und dass er in der Türschwelle stehen blieb. „Entweder du kommst rein oder du bleibst draußen,“ sagte sie zitternd. Aarin zog eine Grimasse. „Du hast Enjen bei seinem törichten Vorhaben unterstützt. Die Oberheilerin will dich sehen, sofort. Vielleicht will sie sich bei dir bedanken, dass du ihr viel Mühe gespart hast in dem sie zurückgerufen hast.“
Lola starrte ihn entgeistert an. „Du hast dich entschieden, stimmts? Ich sage dir, wir können nie und nimmer Freunde sein solange du dieser Schlange aufs Wort gehorchst.“ Als Antwort zog er sie unsanft aus dem Zimmer und brachte sie hinunter in den Speisesaal. Die meisten Oberen und auch viele Schüler waren darin versammelt. Sie hoben die Köpfe. Lola fühlte sich als würde sie zu ihrer Hinrichtung geführt. Sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, als die Oberheilerin in den Saal kam.
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Die letzten drei Tage hatte sie unter ständiger Aufsicht im Krankenzimmer verbracht. Meistens heulte sie oder starrte an die Wand. Sie war zornig und enttäuscht. Kein Wunder, sie war in jeder erdenklichen Weise gedemütigt worden.
Anstatt sie direkt zu fragen ob sie an dem Plan der Nordhausschüler beteiligt gewesen war, hatte man abgewartet ob sie Enjen zurückrufen würde. Als man sie zur Rede gestellt hatte, hatte sie sich so gut verteidigt wie nur möglich, schließlich hatte sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt gehabt. Sie hatte sich geweigert, sich bei der Oberheilerin zu entschuldigen und stattdessen eine Entschuldigung von ihr verlangt. Eine Entschuldigung dafür, dass man nichts unternahm um die Geiseln zu retten, und eine Entschuldigung dafür, dass man sie hinters Licht geführt hatte. Ein paar Schülern war der Mund offen stehen geblieben, als sie sie so mit ihrer absoluten Autoritätsperson geredet hatte. Daraufhin hatte sie sich erst recht in Wut geredet. Sie hatte alle Anwesenden „blinde Schoßhündchen“ der Oberheilerin genannt die selbst nicht für sich entscheiden konnten, was gut und was böse war. Damit hatte sie vor allem Aarin gemeint.
Es war endgültig vorbei mit ihrer Beziehung. Nie mehr wollt sie ihm in die Augen sehen. Er war nur mit seiner eisernen Miene da gestanden und hatte geschwiegen. Er hatte ganz klar gewählt, wem er helfen wollte; der Oberheilerin. Nicht ihr.
Heute war ein besonderer Besuch gekommen. Die Oberheilerin und ein paar übrige Obere waren gekommen um sie zu fragen, ob sie noch immer in dieser Welt bleiben wollte. Weil wenn sie nicht auf die Regeln hier hörte und dann so neurotisch drauf reagierte, sollte sie tatsächlich überlegen heim zu ihrer Mutter zu gehen. Man würde ihre magischen Kräfte dann binden. Lola war über den Vorschlag überrascht gewesen, sie hatte bisher geglaubt, man wollte sie für jeden Preis hier behalten und schließlich hatte sie sich im Unterricht nicht ungeschickt angestellt. Doch wenn sie es von einer anderen Seite her betrachtete, hatte die Oberheilerin schon länger Anstoß an ihrer Gabe des „beamens“ genommen.
Magic kam herein. Lola drehte ihr den Rücken zu. Magic erzählte ihr etwas von wegen, dass sie sowohl Aarin als auch sie, Lola, verstand. Das oberste Gesetz hier war eben den Oberen zu gehorchen und sie hatte sich ihre missliche Lage selbst zuzuschreiben. Lola konnte es nicht glauben. Nicht einmal Magic hielt wirklich zu ihr. Anscheinend war allen hier das Hirn gewaschen worden. Sie antwortete nicht und wartete, bis Magic die Leine zog.
Miracle kam herein um sie aufzumuntern. Er erzählte ihr, dass Aarin eifersüchtig auf Enjen war weil sie ihn immer in der Nacht zu sich gebeamt hatte. Sie lachte schwach und fragte sich, ob das wirklich wahr war. Aarin hatte sich immer ihrer Treue sicher sein können. Er war es nun, der sie enttäuscht hatte, nicht umgekehrt. Die einzigen Leute mit denen sie noch redete, waren Erine und Merwem. Die beiden hatten sie gemeinsam besucht und ihr gesagt, dass sie ihr gerne geholfen hätten und falls sie schon den nächsten Plan hätte, die Geiseln zu befreien, sollte sie es ihnen sagten.
Es gab ihr Mut, dass wenigstens die beiden Erstabschnittler an sie glaubten. Ohne die beiden hätte sie vielleicht wirklich den Entschluss gefasst, auf die Erde zurückzukehren. Doch so war ihr bewusst geworden, dass sie hier noch eine Mission zu erfüllen hatte. Sie musste die Geiseln retten. Heute war ihr letzter Tag im Krankenzimmer. Am Abend übersiedelte sie..
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Als sie im Zimmer angelangt war, zog sie die Vorhänge zu, es war an der Zeit ihre Helfer zu informieren. Der Reihe nach beamte sie ihre verbliebenen Verbündeten an die Decke und es wurde Mitternacht ehe sie alle zumindest teilweise von ihrem Plan überzeugt hatte. Vom mentalen an die Decke projizieren wurde ihr schwindlig. Die ganze Person herzubeamen war viel einfacher. Doch es war auch gefährlicher, es konnte sie leichter jemand entdecken. Noch lange nachdem sie die Augen schon geschlossen hatte, tanzten Lichtpunkte hinter ihren Lidern.
Vor etwa drei Monaten war sie unter ähnlich schwierigen Bedingungen aus der Burg Hanin geflohen. Nun stand ihr wieder eine Flucht bevor. Diese war zwar besser organisiert, doch sie hatte ein schlechteres Gefühl bei der Sache. Sie lief nicht von ihren Feinden davon, sondern vor Menschen, die sie früher einmal gern gehabt hatte.
Am nächsten Morgen schlich sie sich in aller Frühe aus dem Haus und es überraschte sie beinahe, dass kein Alarm schrillte. Sie rannte die Allee hinunter und bog dann in den Waldweg Richtung Nordhaus ein. Hinter sich hörte sie Schritte und es fiel ihr ein Stein vom Herzen als sie sah, dass es wirklich Magic war. Gerne wäre sie ihr um den Hals gefallen doch sie mussten schnell weitergehen. Beide waren sie sehr angespannt und trauten sich nicht zu sprechen. Magic wischte sich eine Träne von der Wange. „Es tut mir Leid, dass ich so gemein zu dir sein musste und dass ich dir nicht besser helfen kann.“ Flüsterte sie leise. „Schon okay,“ sagte Lola bekommen. „Ich danke dir, dass du mich nicht verraten hast, zumindest nicht bis jetzt.“
„Du blöde Kuh,“ schluchzte Magic und brach in Tränen aus. Lola tat es sofort leid, was sie gesagt hatte und fiel ihr um den Hals und entschuldigte sich ehe sie auch zu weinen anfing. Nach einer Weile sammelten sie sich und liefen weiter, sie waren schon etwa vier Kilometer vom Haus entfernt als ihnen das kleine Auto der Köchin, der Mutter des Gelbäugigen, entgegenkam und stehen blieb. „Egal wie es ausgeht, wir bleiben Freundinnen, okay?“ fragte Magic mit einem zaghaften Lächeln, drehte sich um und rannte weiter den Waldweg entlang. Lola indessen kauerte sich auf den Boden des kleinen Gefährts und zählte bis drei, ehe sie Tablette schluckte. Sofort fiel sie in einen wohligen sanften Schlaf und merkte nicht mehr, dass Frau Beans sie mit einem alten Sack zudeckte, der stark nach Karotten roch, zurück zum Südhaus steuerte, das Gemüse auslud und der Küchenhilfe eine Nachricht hinterließ. Die alte Köchin musste nämlich schnell noch in die Stadt um die bestellten Zuckersäcke abzuholen.
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Sie erwachte in einem Haus, das sie sie nicht kannte. Sie lag auf einem Sofa und die Tür zu diesem Zimmer war nur angelehnt. Eine junge Frau kam herein. Sie hatte dickes schwarzes Haar, das ihr wie eine Mähne über die Schultern fiel. Es war Enjens ältere Schwester Mariam. Sie sahen sich auch ähnlich. Mariam war genauso wie ihr Bruder sehr groß und kräftig. Nachdem sie sich begrüßt hatten, aßen sie stillschweigend einen Teller Spaghetti und fuhren zu einer Art Flughafen.
Mariam war Kindergärtnerin und in der nächsten Woche feierte Anxato das 100jährige Jubiläum als Bundeshauptstadt. Sie bot Lola an am übernächsten Tag nachzufliegen, da begann das Wochenende mit zwei anschließenden Feiertagen. Lola bedankte sich herzlich bei ihr, insgeheim wünschte sie sich, Mariam würde gleich mitkommen. Lola dachte bei sich, dass die Kinder sicher viel Respekt vor der großen Frau hatten.
Eine Stunde später saß sie bereits in einer Art Flugzeug und hatte viel Zeit zum Nachdenken. Als Ablenkung las sie das Buch fertig, das ihr ihre Tante geschickt hatte. Tante Michaela wusste nun also wo sie war und sie fragte sich, wie das Buch in deren Besitz gekommen war. Es war darin ganz eindeutig von buntäugigen Magiern die Rede, die Unheil auf der Erde anstifteten. Nach dem letzten Kapitel schlug sie das Buch zu, sah aus dem Fenster und dachte noch lange über die gelesene Geschichte nach.
Das Flugzeug glitt still dahin. Bis nach Grein, der Hauptstadt der Grauberge, war es nur noch eine Stunde. Sie befanden sich über dem Meer und in der Ferne war schon Land in Sicht. In ihrer Tasche befanden sich Erines Ausweis und eine Flugkarte. Das halbe Nordhaus hatte seine Ersparnisse zusammengelegt und Frau Beans mitgegeben. Ein Gutteil davon war noch übrig und sie würde es noch brauchen. Sophicas Höhlen befanden sich in den Ausläufern der Grauberge und bis dahin konnte man nicht per Auto oder Bus fahren. Da sie nicht fliegen konnte und auch nicht genug Geld hatte um sich einen Helikopter zu mieten, musste sie zu Fuß oder per Pferd reisen.
Lola betrachtete sich im spiegelnden Fenster. Die gelben Kontaktlinsen ließen ihre Augen grün leuchten und die Brille stand ihr sehr gut. Das war nicht die einzige Veränderung. Sie hatte sich ihre Haare um zehn Zentimeter schneiden lassen und geglättet. Von der Ferne konnte man sie jetzt tatsächlich für Erine halten. Trotzdem war sie froh, dass man ihren Ausweis nicht näher kontrolliert hatte.
Kapitel 7- In den Graubergen

Das Rollfeld befand sich in einem engen Tal in dem nicht sehr viel zu sehen war. Mit einem Shuttlebus wurden die Passagiere nach Grein gebracht. Es war keine große Stadt, sie hatte auch gar keine Möglichkeit dazu sich weiter auszubreiten. Ein kleiner See nahm circa die Hälfte des Tals ein. Die andere Hälfte war dicht bebaut, auch in den Berghänge hatte man gebaut und es wirkte sehr malerisch. Sie suchte nach der Pension die man ihr empfohlen hatte. Eine Weile wanderte sie am Seeufer entlang bis sie „Das Rauchhaus“ gefunden hatte. Im Anschluss hatte es einen großen Pferdestall und mit den Bergen im Hintergrund und dem See sah es sehr malerisch aus. Es dämmerte bereits stark und sie hoffe, dass noch ein Bett frei war. Aufgeregt klingelte sie an der Rezeption und ein Zimmermädchen erschien, die daraufhin die Hausdame holte. Lola verhaspelte sich als sie nach einem Zimmer fragte. Sie war noch nie in einem Hotel gewesen und vor allem nicht alleine. Doch die Hausdame ließ sich nichts anmerken sondern brachte sie in den ersten Stock. Das Zimmer war geradezu winzig, aber dafür sehr günstig. Sie musste bei jedem Schritt aufpassen nicht in die Bettnische zu fallen und musste darüber springen um ins Badezimmer zu gelangen.
In einem Prospekt fand sie Informationen über die Pension. Irgendjemand wichtiger war hier einmal ermordet worden und seitdem war sie über die Grauberge hinaus bekannt. Die Miete eines Fahrrads kostete 15 Stücke pro Tag. Nur Gäste mit einem Reitschein durften Pferde mieten. War man Anfänger musste man bei einer Tour zu 45 Stücken den Nachmittag mitmachen. Auf einer kleinen Mappe waren die Tourstrecken eingezeichnet. Eine davon führte auf einen kleinen Pass von wo aus man auf einen Vulkan hinaufwandern konnte.
Sie war von der Reise und auch noch von den Pillen, die sie unaufspürbar machten, total K.O. Doch bevor sie sich schlafen legte informierte sie Mariam darüber, dass sie gut angekommen war. Sie hatte Erine, Magic und Enjen versprochen sie jeden Abend um Zehn Uhr Abends darüber zu informieren, wie es ihr ging. Doch für heute war sie zu müde um noch eine halbe Stunde abzuwarten und schlief ein. Als sie aufwachte war die Frühstückszeit schon vorbei. Ein Bediensteter war dabei das Buffett abzuräumen aber für Lola holte er extra nocheinmal Saft aus der Küche. Alleine saß sie in dem großen Frühstücksraum und fühlte sich einsam. Ein Gefühl, das sie genießen konnte wenn sie zu Hause war. Doch hier hatte sie vor allem Angst, dass jemand erraten könnte, dass sie aus einer anderen Welt kam. Außerdem hatte sie keine guten Antworten parat, falls jemand fragte was sie hier machte. Nach dem Frühstück trug sie den Teller in die Küche und erkundigte sich an der Rezeption nach dem Ausritt und trug sich in einer Liste ein. Um zwei Uhr nachmittags würden sie starten und bis dahin hatte sie noch Zeit am See spazieren zu gehen. Sie überquerte eine Wiese die im Sommer als Strand diente und setzte sich auf einen Steg. Es war zu kalt um die Füße ins Wasser zu tauchen und sie zog ihre Jacke enger um sich. Hier in den Bergen war es sehr kühl und sobald die Sonne hinter den Wolken war, war es eiskalt. Zu Mittag kaufte sie sich einen Wecken Brot, einen Haufen Kekse und ein paar Äpfel. Wie lange sie wohl unterwegs sein würde? Voraussichtlich drei bis vier Tage. Falls sie das Pferd mitnehmen konnte, wesentlich kürzer.
Um halb zwei war sie zurück in der Pension und checkte aus. Doch sie bat darum ein paar Sachen hier lassen zu dürfen bis sie vom Ausflug zurückkam. Sie hatte in ihrer Tasche nur die Lebensmittel und ihren Ausweis sowie ihr Stirnband und einen Schal. Die Jacke hatte sie um die die Hüfte geknotet. Um Punkt zwei ging es los. Die anderen Teilnehmer der Tour gehörten alle zu einer Großfamilie aus Hanin, die hier Urlaub machten. Sie war dankbar über die Kontaktlinsen und ihren neuen Haarschnitt. Sonst hätte man sie womöglich wegen der Fahndungsplakate aus dem Sommer erkannt. Vielleicht hingen dort noch immer welche. Ihr gruselte. Die Kinder bekamen langsam aussehende Ponys und sie war froh über die Stute die ihr zugeteilt wurde. Als sie es nur mit Hilfe schaffte aufzusteigen wäre ihr doch eines der gutmütigen Ponys lieber gewesen. Mit dem Führer waren sie 9 Leute. Davon waren 4 Kinder, 4 Erwachsene und sie selbst. Weil sie alle Anfänger waren holte der Führer noch einen Stallarbeiter zur Hilfe, der mit den Kindern reiten würde.
Der Weg führte um den See herum von der Stadt weg. Er ging leicht bergauf und schlängelte sich in Serpentinen dahin. Doch die Richtung stimmte; Osten. Die Pferde und Ponys gingen artig hintereinander her und Lola fragte sich, ob ihr das Pferd auch noch gehorchen würde, wenn sie alleine unterwegs waren. Sie hatte nur zweimal in ihrem Leben an einem Reitkurs teilgenommen und war damals aber immer in der Halle geblieben. Das hier war nicht zu vergleichen. Nach einer halben Stunde wurde der Weg wurde schmaler und sie kamen zur Baumgrenze. Vor sich sah sie schon das Joch, das im Prospekt abgebildet war. Ab hier würden sie zu den Vulkan zu Fuß erklimmen. Die anderen zumindest.
Sie hielt sich mit einer Hand den Kopf und als sie ankamen rutschte sie gleich aus dem Sattel. Der Führer nahm ihr das Pferd ab und band es an einen Baum während sie einen Schluck Wasser aus ihrer Flasche nahm. Dabei verzog sie das Gesicht als täte ihr etwas weh. „Was ist los?“ fragte der Führer und sie erzählte ihm, dass sie schreckliche Kopfschmerzen hatte. Er gab ihr eine Tablette und sie tat so als würde sie sie nehmen.
„Kann ich hier bleiben während ihr den Vulkan besteigt?“
„Ja klar, wir werden in spätestens einer Stunde wieder zurück sein. Pass auf, dass du dich inzwischen nicht erkältest. Wenn du willst lass ich dir meine Jacke da, ich brauch sie nicht.“
Lola lehnte dankend ab und setzte sich ein paar Schritte abwärts auf einen großen Stein und beobachtete wie der Führer und sein ebenfalls bereits grauhaariger Helfer die Ponys und Pferde an ein paar Pflöcke band. Bäume gab es in dieser Höhe kaum noch und wenn, waren sie sehr klein. Die Kinder gaben den Ponys Gras zu fressen und die Erwachsenen passten auf, dass keins davon in die Nähe der größeren Pferde geriet. Den Ponys passte es gar nicht so eng zusammengepfercht zu werden. Wie es aussah, würde der Stallarbeiter bei ihr bleiben und auf die Pferde aufpassen. Er führte ein Pony am Halfter und nahm neben ihr Platz. „Das würden sonst nur streiten.“ Bemerkte er und Lola lächelte verkrampft. So ein Mist, jetzt musste sie sich überlegen wie sie ihn ablenken konnte.
Gemeinsam sahen sie der Großfamilie nach die um eine Wegbiegung verschwand. „Wie heißt mein Pferd?“ fragte Lola tapfer.
„Ich weiß es nicht, aber dieses Pony hier heißt Masche. Ich bin erst seit kurzem im „Rauchhaus“ beschäftigt. Früher war ich Reiseleiter in der Wüste. Erst jetzt auf meine alten Tage hat es mich hierher in die Berge verschlagen. An die Kälte muss ich mich erst gewöhnen. Lola lachte. Erst jetzt fiel ihr auf wie braungebrannt der Mann war.
„Geht’s deinem Kopf besser?“ fragte er und sie nickte. Wie konnte sie ihn bloß ablenken um mit der Stute zu verschwinden. Jede Minute war kostbar und sie saß einfach nur da und quatschte! Vielleicht sollte sie ihm einen Teil der Wahrheit erzählen? Doch das ging auch nicht.
„Meine Wasserflasche ist leer. Ich geh zu der Quelle da unten und füll sie nach. Hältst du inzwischen das Pony?“
Das war ihre Chance. Die Stute würde sie nie so schnell losbekommen. Das Pony hingegen hielt sie schon in der Hand. Schnell erklomm sie dessen Rücken und nahm die Zügel in die Hand. Es ging ein paar Schritte, aber nicht in die richtige Richtung. Sie zerrte fester am Zügel, aber das Pferd bewegte bloß den Kopf nach links und ging geradeaus weiter.
Der Stallgehilfe tauchte wieder auf, es war zu spät.
„Was machst du da?!“ Er war sichtlich empört darüber, dass sie ohne Erlaubnis aufs Pony geklettert war.
Sie murmelte ein „Entschuldigung“ und stieg ab.
„Was war das eben? Du sollst erst alleine Reiten wenn du es auch kannst. Lektion Nummer eins; ein Pferd lenkt man mit den Zügeln UND den Schenkeln.
„Ich weiß, ich bin schon oft geritten. Das vorhin war absichtlich.“
Der Stallarbeiter, von dem sie den Namen immer noch nicht wusste, schaute sie geringschätzig an. Es war ihr egal was er von ihr dachte, aber jetzt hatte sie wohl keine Chance mehr zu entkommen.
Die Zeit verging und sie wartete ungeduldig bis die anderen zurückkamen. Je früher sie die Pferde zurück zum Hotel gebracht hatten, desto früher konnte sie sich auch auf die Socken machen um zu Fuß hierher zurückzukommen und den Weg Richtung Osten weiterzugehen. Es war bestimmt schon vier Uhr und sie wusste nicht wieweit sie im Dunkeln den Weg sehen würde. Wenn möglich wollte sie die Nacht durchwandern, dann war es nicht so kalt.
Eine Reitergruppe kam vorbei und grüßte. Es waren Senioren undhielten nicht inne um auf den Vulkan zu steigen, sondern setzten den Weg fort. Könnte sie doch mit ihnen Reiten. So schnell wie sie gekommen waren waren sie auch schon wieder weg. Wieder hörte sie Hufgetrappel, es war eine ältere Dame die anscheinend zur vorigen Gruppe gehörte, aber nicht Schritt halten konnte. Sie trug eine offene Handtasche die hin und her schwang und sie sehr störte.
Der Stallassistent grüßte und musterte die Wolken als würde er jede Minute Regen erwarten. Einer Eingebung zufolge bündelte sie genug Energie um der Dame die Geldtasche aus der Tasche zu reißen. Es klappte und die Dame bemerkte es nicht, sie war viel zu sehr damit beschäftigt wieder Anschluss zu ihrer Gruppe zu finden.
„War da grad was? Ich hab grad sowas wie einen roten Blitz aus dem Augenwinkel gesehen.“ Der Mann hatte den Energiestrahl bemerkt.
„Nein, aber die Sonne steht genauso, dass sie einen ziemlich blendet.“
Dabei beließen sie es.
Nach weiteren fünf Minuten hörten sie Kinderlachen. Der Stallarbeiter wollte gerade etwas sagen, doch Lola war schneller.
„Schau doch mal, die alte Dame die vorbeigeritten ist hat ihre Geldtasche fallen gelassen.“ Sie ging ein paar Schritte um die Börse aufzuheben. Ein Ausweis mit einem Bild der Frau war herausgefallen. „Ich kann ihr schnell nachreiten um sie ihr zurückzugeben.“
„Bist du dir sicher? Das ist mir gar nicht recht. Besser ich mach das. Ich bin mir nicht sehr sicher, was deine Reitkünste angeht.“
„Doch ich kann das, ber die Gruppe braucht dich, mit nur einem Führer schaffen die es nie den Berg hinunter, soviele Kinder wie da dabei sind.“
Der Mann sah nicht sehr beeindruckt aus, aber Lola ging bereits zu der Stute und er half ihr sie loszubinden. „Okay, aber sei schnell wieder zurück. Den Weg kennst du ja. Einfach immer nur den Weg nach und dann das Seeufer entlang. Ich erwarte, dass du uns einholst bevor wir zurück sind.
Diesmal schaffte sie es alleine aufs Pferd aufzusteigen und es ging tatsächlich in die gewünschte Richtung als sie es mit den Schenkeln lenkte. Wenn sie rechts drückte, ging es nach links. Drückte sie links, ging es nach rechts. Das war gar nicht so schwierig. Ein kleiner Bach floß quer über den Weg und dann den Hang hinab. Zuerst wollte die Stute nicht drüber steigen, folgte dann aber doch. Lola atmete erleichtert aus und ließ die Zügel locker. An einer Wegbiegung holte sie die Dame ein und gab ihr die Geldbörse. Diese war zu entzückt, dass sie ihr ein paar Münzen als Dank gab. Lolas Pferd nahm wieder mehr Tempo auf und sie überholte auch die anderen Omis und Opis. Auf der Karte der Hotelbroschüre hatte sie am Ende dieses Weges eine Herberge eingezeichnet gesehen. Diese wollte sie noch vor der Dunkelheit erreichen. Es ging schneller als sie erwartete hatte und sie war schon um halb sechs dort. Sie band das Pferd an einen Baum und ging hinein um ein Telefon auszuborgen. Sie rief im Raucherhof an und als niemand abhob, sprach sie auch den Anrufbeantworter, dass sie das Pferd erst am nächsten Tag zurückbringen würde, sie hatte die alte Dame erst an dieser Hütte „Adlerhorst“ eingeholt und würde hier übernachten.
Auch der letzte Teil war gelogen. Sie setzte sich gleich wieder auf das Pferd und ritt eine Abzweigung nach Süden. Der Weg war schmal und das Pferd war schon nicht mehr so motiviert wie zu Beginn ihres Ausritts. Es wollte wohl in den Stall zurück. Um Sieben Uhr begann es zu dämmern. Um acht war es so dunkel, dass sie abstieg und mit dem Pferd am Halfter zu Fuß weiterging. Vom Herz ausgehende Lichtstrahlen machte sie nicht gerne. Ihr war die Flamme lieber und so musste sie aufpassen, dass die Karte nicht verbrannte während sie sie las. Sie musste noch bis zur Brücke weitergehen. Von da ausgehend würde sie den Weg verlassen sondern neben dem Bach einhergehen. Die Flamme irritierte das Pferd und so ließ sie sie verschwinden. Sie wartete bis sich die Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten und ging dann weiter. An der Brücke hielt sie inne und stieg ab. Es war neuen Uhr und an der Zeit Magic und Erine zu sehen.
Zuerst kannten sich die beiden nicht aus und drehten sich hilflos im Kreis. „Lola? Bist du das?“ sie streckten die Hände nach ihr aus und erschraken als sie sich gegenseitig berührten. „Ihr seid Zauberer,“ erinnerte sich Lola und sie lachten. Magic zauberte ein wenig Licht. Die beiden sahen beide sehr besorgt drein.
„Du hast ja keine Ahnung welcher Aufruhr hier bei uns ist. Sie verdächtigen uns beide, dass wir dir geholfen haben zu fliehen. Bis jetzt können sie uns nichts anhängen. Man ist meinen Spuren bis tief in den Wald hinein gefolgt und wir haben sie erfolgreich in die Irre geführt. Hoffentlich denken sie nicht nochmal darüber nach und kommen drauf, dass vielleicht eines ihrer eigenen Autos mit im Spiel war. O herrje.“ Magic sah wirklich ziemlich gestresst aus.
Erine starrte inzwischen ungläubig das Pferd an. „Sag nicht, du hast dir ein Pferd gestohlen? Brich dir nur ja kein Bein. Und wie kalt es hier ist… Du weißt doch noch, wie Wärmestrahlen gehen?“
Lola versprach gut auf sich aufzupassen und schickte die beiden wieder zurück. Jetzt war Enjen an der Reihe. Er grinste. „Ich stehe unter Beobachtung. Jetzt bekomme ich noch einen Tag länger Hausarrest weil sie sich nun sicher sind, dass ich dir Helfe. Meinem Vater geht’s besser.“ Er schwieg ein bisschen. „Vielen Dank Lola, dass du das hier für uns machst. Und viel Glück.“ Auch ihn ließ sie wieder in der Dunkelheit verschwinden. Danach beamte sie Mariam und diese sagte ihr, dass sie morgen zu Mittag, gleich nachdem sie ihre Kinder nach Hause schickte zum Flughafen fahren würde. Lola war sehr froh darüber weil sie sie als Späher gut gebrauchen konnte. Mit einem Flugkundigen und noch dazu voll ausgebildeten Zauberer würde sie viel schneller und sicherer ans Ziel kommen. Sie verabschiedete sich von Mariam mit einer Umarmung. Die Nacht war eiskalt und ihre Handschuhe waren dünn. Sie versuchte es doch mit einigen Wärmestrahlen und führte das Pferd den Bach entlang. Sie befanden sich nun auf der anderen Flanke des Berges und es wehte ein eiskalter und starker Wind. Sie erhöhte die Dosis der Wärmestrahlen für sich und das Pferd. Zusätzlich überlegte sie, ob sie ein Schild wegen des Windes legen sollte. Doch solange es nicht schlimmer wurde unterließ sie es. Es hätte ihr zuviel Konzentration genommen. Der war gefährlich und einige Male mussten sie über Steine klettern. Es war sehr gruselig. Sie war oft und gerne nachts in ihrem Wald spazieren gegangen. Doch dies hier war anders. Weit und breit war kein schützender Baum und auf einmal ging es steil bergab.
Sie hätte es ahnen können. Ein Bach floss immer bergab und nicht nur bequem den Bergrücken entlang. Weiter unten wurde der Bach fast zu einem Wasserfall wie sie dank der Lichtstrahlen bemerkte. Sie würde nun also den Bach verlassen müssen. Der Bergrücken senkte sich stark und wenn sie ihn weiterhin entlang ging würde sie sich in der selben Mulde befinden wie der Bach. Soweit sie sehen konnte, brauchte sie immer nur geradeaus zu gehen. Weiter unten waren dann wieder Bäume. Dort würde sie weiterdenken.
Das Adrenalin rauschte durch ihr Blut. Was machte sie da bloß. In Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung ob sie den Bach wiederfinden würde, doch sie musste es versuchen. Das Pferd ging schneller und sie hatte Mühe es zurückzuhalten. Schließlich schaffte sie es nicht mehr und ließ los. Schnell war das Pferd außer Sichtweite und sie musste es mithilfe von Strahlen orten. Sie schloss die Augen und wenn sie sie geöffnet hätte, hätte sie ein Netz aus vielen dünnen Strahlen gesehen die sich über einen weiten Teil des Berghanges hinunter tasteten. Es war wie eine Art eingebautes Radarsystem, das zudem die Stärke der Magie im Blut erfassen konnte. Das Pferd war an einer Baumgruppe stehen geblieben und Lola stolperte mehr schlecht als recht hinunter. Sie schlug sich an einem Stein blutig und hätte gerne einen Heil- oder Desinfektionszauber gewusst. Als sie das Pferd erreichte, blieb sie erstmal stehen um zu verschnaufen. Dann zog sie das Tier mit sich bis zum Waldrand. Hier waren sie geschützter und Lola begann sich wohler zu fühlen. Sie band das Pferd fest und machte sich nicht einmal die Arbeit etwas Moos zu suchen. Sie trocknete lediglich das nasse Moos und die Nadeln und schlief sofort ein.
Am Morgen erwachte sie zeitig weil sie heftig zitterte. Der Wärmezauber hatte sich während sie geschlafen hatte aufgelöst und sie war ganz starr vor Kälte. Sie brauchte eine ganze Weile bis sie sich und das Pferd aufgewärmt hatte. Erst als sie auch innen ganz warm war, fasste sie den Mut einen Weg zu suchen.
Sie führte das Pferd vorsichtig durch die Föhren. Aufsitzen traute sie nicht. Nach einer Weile fanden sie tatsächlich den Bach wieder und Lola atmete auf. Sie würde ihn fürs erste folgen. Obwohl sie sich zwischen den Bäumen und Büschen erst einen Weg suchen mussten, verlief die Wanderung eher unkompliziert, sie hatte viel Zeit zum nachdenken. Was wenn sie die Abtrünnigen erst gefunden hatte? Wenn sie selbst in Gefangenschaft geriet, was dann? Diesmal konnte sie wenigstens Hilfe holen, aber auch nur wenn sie bei Bewusstsein war. Sie musste alles daran setzen die Magier von sich abzulenken damit diese nicht merkten von wem der Zauber ausging.
Auf einmal kam ihr ein Satz aus dem Buch, welches Tante Michaela ihr geschickt hatte, in den Sinn. Es wurde ihr warm. Wieso war ihr das nicht früher aufgefallen? Lag die Antwort in ihren Händen. Sie zog das dünne Buch aus der Tasche und suchte die richtige Seite. Es dauerte Minuten bis sie sie gefunden hatte.
„Durch getauschtes Blut kam Klester wieder in den Vollbesitz seiner Kräfte.“ Klester war Sklave gewesen. Sklave mithilfe des Blutschwurs? Ihr Herz klopfte aufgeregt. Sie musste sofort Enjen rufen. Er hatte noch geschlafen und kannte sich im ersten Moment nicht aus, als er nicht in seinem Bett erwachte.
„Das nächste Mal warnst du mich vor, wenn du mich in aller Frühe beamen willst.“ Sagte er nüchtern und Lola sah wie er sich Wärmestrahlen um seinen Körper hochzog.
Sie zeigte ihm die Stelle im Buch und fragte ihn um Meinung. Zuerst verstand er nicht ganz, was sie meinte, aber dann ging auch ihm das Licht auf. „Und du glaubst wirklich, das funktioniert?“
„Wir haben fast keine andere Wahl als es auszuprobieren. Oder? Es besteht eine höhere Erfolgsquote als wenn wir einfach auf die Abtrünnigen losstürmen und sie bekämpfen. Die Geiseln könnten sich momentan noch nicht zur Wehr setzen weil sie durch den Blutschwur gebunden sind. Unserem Plan nach brauchen wir mindestens drei Personen, die sie beschützen damit sie nicht getötet werden.“
„Genau. Aber wenn wir sie von dem Schwur trennen dann… „
„Brauchen wir erstens niemanden töten und zweitens können Eli und die anderen mitkämpfen. Wenn es brenzlig wird, verschwinden wir einfach und lassen es. Hauptsache die Geiseln kommen frei.“
Enjen strahlte übers ganze Gesicht. „Wir müssen erstmal Eli fragen, was er davon hält.“
Lola beamte nun auch seinen kleinen Bruder herbei und der fiel ihnen beiden in den Arm. Als er von der Planänderung hörte war er allerdings sehr skeptisch. „Mir soll das Blut ausgetauscht werden? Wisst ihr was das für eine bescheuerte Idee ist?“
Doch nach einer Weile hatten sie ihn überredet. Er stimmte zu und wollte auch, dass es an ihm zuerst ausprobiert wurde sobald es an der Zeit war. Als Uhrzeit beschlossen sie den nächsten Abend. Sie projizierte schnell noch seine Kameraden damit Enjen ihnen alles erklären konnte. Jetzt war die Sonne schon zu weit aufgegangen und ihr Verschwinden konnte bemerkt werden. Lola ließ alle verblassen und war wieder alleine. Nur das Pferd stand unter dem Baum und sah sie aus großen Augen an, als frage es sie, was das für Leute waren die aus dem Nichts kamen und dann wieder verschwanden.
Kapitel Acht- Gewagte Sache

Während dem Gehen verschlang sie ein Keks nach dem anderen, sie war total hungrig und kurz davor zusammenzuklappen. Laut Karte würde der Bach bald nach rechts abbiegen und sie würde geradeaus weitergehen müssen. Als sie sich vom Wasserlauf entfernte wurden die Bäume dichter, sie konnte kaum einen Blick auf den vor ihr liegenden Berg werfen. An einem steilen Hang fragte sie sich, ob sie die Stute einfach stehen lassen sollte, doch sie konnte es nicht verantworten. Sie kletterte bergauf und das Pferd folgte ihr aus freien Stücken. Ein paarmal musste sie Rast einlegen und sie war froh die Wasserflasche im Bach aufgefüllt zu haben. Nach einer Stunde wurden die Bäume lichter und es ging auch nicht mehr sehr steil nach oben. Wenn sie wollte konnte sie bis zum Pass sogar reiten. Sie wollte aufsteigen und schaffte es nicht. Sollte sie jemand zu Hilfe beamen? Dafür war ihr stolz zu groß und sie versuchte es noch einmal. Sie musste sich gut am Sattel festhalten und es war noch anstrengender als zu Fuß zu gehen. Doch so kam sie schneller voran. Sie musste nur aufpassen nicht abzurutschen. Am Joch angekommen ging wieder ein eiskalter und schneidiger Wind. Ihre Wangen brannten und sie legte sich so flach wie möglich auf das Pferd um nicht so viel abzubekommen. Als das Pferd kurz scheute rutschte sie ab und fiel in ein stacheliges Gebüsch. Ihr tat alles weh. Weiter vorne auf dem Bergrücken sah sie die Wanderstation die auf der Karte eingezeichnet war; ihr vorläufiges Ziel, hier wollte sie auf Mariam warten. Es war Mittag und sie hoffte etwas zu Essen zu bekommen. Sie stellte das Pferd auf der windgeschützten Seite der Hütte ab und klopfte sich den Schmutz vom Leib. Die Tür ging auf und der Hüttenwirt bat sie in die Stube.
Zum Glück hatte sie von der alten Dame am Vortag einen Finderlohn bekommen und konnte sich eine Mahlzeit leisten. Sie war der erste Gast an diesem Tag und der Wirt setzte sich zu ihr nachdem er ihr das Essen gebracht hatte. Er hatte ein rundes, rotes Gesicht und eine Glatze. „Von welcher Seite kommst du denn?“ fragte er und sie antwortete ihm, dass sie von Grein her kam und in einer Herberge unterwegs geschlafen hatte.
„Bist du vom Pferd gefallen?“ sie nickte.
„Ich habe eine Abkürzung den Bach entlang genommen. Wäre ich auf dem normalen Weg geritten, wäre ich nicht so schnell gewesen.“
„Abkürzung? Durch die Mulde? Da nenn ich dich einmal tapfer und hoffe du weißt was du tust. Ich wünschte meine Tochter wäre auch so wie du. Aber die studiert lieber in der Stadt Modedesign als auf Abenteuer zu gehen. “
Ein paar andere Gäste kamen ebenfalls fix und fertig herein und der Wirt stand auf um sie zu bedienen. Sie überlegte ob sie das Pferd hier lassen sollte. Es war wohl die beste Idee. Es hatte ihr zwar gute Dienste geleistet, aber sie hatte großen Respekt vor dem Tier und wollte es nicht weiter dem gefährlichen Gelände aussetzen. Außerdem fühlte sie sich alleine wohler und unabhängiger. Sie wollte nicht mehr ständig Rücksicht auf das Tier nehmen müssen.
Der Wirt servierte am Nebentisch die Suppe und ein aufgeweckter zehnjähriger verwickelte ihn in ein Gespräch. „Sag mal, kommt in dieser manchmal was Gruseliges vor? Gibt es Gruselgeschichten?“
Der Wirt lachte. „Oh ja da gibt es zu genüge. Hast du die von der Hexe in der Grube schon gehört?“ Dann wurde er ernster. „Ich glaub ja nicht an diese Geschichten, aber in letzter Zeit geht hier schon Merkwürdiges vor sich. Erst gestern in der Nacht hat einer der hier übernachtenden Gäste ein Netzt aus blauem Licht auf dem Hang da drüben gesehen. Er zeigte mit dem Zeigefinger aus dem Fenster. Lolas Herz klopfte ein wenig stärker, in Zukunft musste sie mehr aufpassen wo und wann sie zauberte. Das Lichtnetz war sie gewesen um das Pferd wieder zu finden.
Sie schaltete sich ein. „Kommt das öfters vor? Ich meine gibt es eine logische Erklärung für diese Lichtblitze?“
Der Wirt überlegte. „Ein Kollege von mir will etwas Ähnliches gesehen haben. Aber weiter weg von hier, in den verwunschenen Höhlen, wenn du von ihnen schon gehört hast. Nicht viele Touristen trauen sich dort hin. Der Boden ist tückisch und man verirrt sich leicht. Schon manch einer ist von dort nicht mehr zurückgekommen.“
„Was ist denn der schnellste Weg dorthin?“ bohrte sie weiter und der Wirt lachte. „Du hast es ja echt faustdick hinter den Ohren. Aber mit dem Pferd fürchte ich kommst du nicht mal in die Nähe. Da musst du schon zu Fuß gehen, aber da brauchst du hin und zurück je einen ganzen Tag. Komm ein andermal wieder wenn Sommer ist und du besser ausgerüstet bist.“
Sie nickte. Der Junge vom Nebentisch schaute sie interessiert an. „Nimmst du mich mit? Und wieso ist dein linkes Aug so komisch verschwommen?“
„So was sagt man nicht, Schatz“, schaltete sich der Vater ein. Zuerst verstand sie nicht was der Junge gemeint hatte. Dann wurde ihr heiß. Hatte sie eine Kontaktlinse verloren? Verloren war immerhin noch besser als verrutscht.
„Es ist blind,“ sagte sie. „Ich kann auf diesem Aug nichts sehen. Schon seit Geburt.“
Der Junge musterte sie weiterhin interessiert und der Vater ermahnte ihn nochmal er sollte sie nicht anstarren. Gäste, die näher bei der Tür saßen winkten den Wirt zu sich und sagten ihm etwas, was sehr vertraulich wirkte. Dabei starrten sie in ihre Richtung. Shit, was war jetzt schon wieder los.
Der Wirt kam zurück und wirkte verlegen. „Also die Herrschaften da drüben haben im Radio gehört, dass ein Mädchen in deinem Alter namens Erine abgängig ist. Sie war bei einer Tour die vom Rauchhaus in Grein startete abhanden gekommen. Später hat sie angerufen, dass sie im Adlerhorst übernachten wollte aber sie hat es nicht getan. Entweder sie hat das Pferd gestohlen oder ist wo gestürzt und wartet auf Hilfe.
Lola versuchte einen besorgten Gesichtsausdruck aufzusetzen. „Oweh, das arme Mädchen. Hoffentlich ist nichts passiert. Weiß man welche Farbe sein Pferd gehabt hat? Vielleicht hab ich Pferd und Reiter unterwegs gesehen?“
„Weiß“
Oh nein, sie war ins Fettnäpfchen getreten.
„Und du bist es wirklich nicht? Hast du einen Ausweis dabei?“
„Nein, ich war es nicht. Sonst würde ich wohl nicht hier sitzen sondern das gestohlene Pferd irgendwo verstecken. Das da draußen gehört mir und heißt Larissa.“
„Schon okay,“ sagte der Wirt und sie war froh, dass er nicht weiter nach ihrem Ausweis fragte. Die Gäste an der Tür sahen zu ihnen rüber und der Wirt schüttelte den Kopf um ihnen mitzuteilen, dass er nicht glaubte, dass sie die Gesuchte war.
Die Gemüsesuppe war gut gewesen und sie verabschiedete sich von dem Wirt. Es war besser nicht länger hier zu bleiben. Inzwischen war Nebel hochgezogen. Vielleicht waren es auch Wolken. Die ungefähre Richtung wusste sie. Sie beschloss den ganzen Hang bis ins Tal hinunterzuklettern. Sie musste sowieso früher oder später hinab. Die Höhlen befanden sich in einer Seitenflanke der nächsten Gebirgskette. Unten würde sie auf Mariam warten und einen Platz für den Blutaustausch heute Nacht suchen. Vielleicht sollte sie doch eine Heilerin der Häuser um Hilfe bitten? Es war nicht nur Stolz, der sie davon abhielt nachzufragen ob man ihr helfen würde. Sie hatte Angst, dass man sie mit einem Zauber fesseln oder ähnliches würde, damit sie sich nicht mehr von der Stelle bewegen konnte und man sie finden würde. Sie war sich beinahe sicher, dass schon irgendwelche Schüler oder Obere der Häuser nach Grein geschickt worden waren um dort nach einer Spur von ihr zu suchen. Hatte man die Nachrichten gehört, könnte man auch vermuten, dass sie hinter dem verschwundenen Mädchen steckte.
Im Tal angekommen aß sie die restlichen Äpfel auf und rief ihren alten Freund zu sich.
„Oh mein Gott oh mein Gott oh mein Gott.“ Der Doktor starrte sie an als wäre sie ein Geist. Er blickte umher und zwickte sich in den Arm.
„Hast du Zeit?“ fragte Lola amüsiert und er starrte sie mit offenem Mund an. Er murmelte etwas, was sich wie „Kaffeepause“ anhört. „Kann ich dich um einen Gefallen bitten? Kannst du Blutaustauschen?“
„Blutaustauschen? Eine Blutabnahme oder eine Transfusion?“
„Wie wärs mit beidem auf einmal? Ist das möglich? Einem Freund von mir muss das gesamte Blut ausgetauscht werden. Er schwebt in Lebensgefahr.“
Lola war sich nicht sicher ob der Doktor sie verstanden hatte. Er war kreideweiß im Gesicht und suchte nervös die Bäume ab, ob er nicht doch wo Anzeichen dafür fand, dass er noch im Krankenhaus war.
„Ich will zurück! Sofort! Was hast du mit mir gemacht du Hexe!“
Der Doktor war nah vor einem Nervenzusammenbruch aber sie schonte ihn nicht. Sie hatte Ärzte noch nie leiden können und dieser Doktor bekam alles zurück was sie je an Ängsten vor den Impfungen durchgestanden hatte.
„Ich will wissen ob du es kannst. Antworte mir.“
„Ich kann es. Aber es ist eine umstrittene Methode. Ich hab sie einmal bei einem Malariakranken Kind angewendet und dafür schwere Kritik einstecken müssen.“
„Wie lange würde es dauern und was brauchst du dafür?“
Dem Doktor traten Schweißperlen auf die Stirn. „ Der Vorgang dauert circa eineinhalb Stunden. Ich brauche dafür eigentlich nur Blutkonserven. Und zwar Vollblut. Das ist schwer zu bekommen weil es nicht lange haltbar ist.“
„Hast du Vollblut im Krankenhaus? Blutgruppe A positiv?“
Der Doktor bejahte und sah sie ängstlich an.
„Hör mir gut zu“ Diese Aufforderung war überflüssig aber sie machte sich selbst damit Mut. „Heute Nacht um zehn Uhr werde ich dich wieder hierher zaubern. Du musst einen Koffer bei dir tragen, der alle für einen Blutaustausch nötigen Instrumente beinhaltet. Und erzähl niemanden etwas davon. Denk dran; alles für die Forschung.“ Unwillkürlich musste sie in Erinnerung an ihren Krankenhausaufenthalt vor einem Monat denken. Sie war in seinem Privatlabor in Hanin eingesperrt gewesen und hatte ihr gedroht sie auszuliefern falls sie ein paar Tests im Sinne der Forschung verweigerte.
„Auf Wiedersehen. Bis dann.“ Sie streckte ihm die Hand hin und er schrie auf als er sie berührte aber dann Durchsichtig wurde. Hoffentlich hatte der Kerl heute Abend keine wichtige Operation mehr die er nun aufgrund seines psychisch fragilen Zustandes vermasseln würde.
Es war schon 5 Uhr. Mariam musste nun schon in Grein angekommen sein. Sie projizierte ein Bild auf den Boden. Mariam war bereits in Rabengestalt und hielt in ihren Krallen ein Tasche. Ein tolles Bild. Ein paar Minuten später rief sie sie nochmal zu sich. Diesmal ganz und sie zeigte ihr auf der Karte wo sie war. „Okay ich brauche bestimmt nicht mehr länger als eine halbe Stunde. Wenn möglich such die eine Lichtung. Da find ich dich leichter. Bis dann!“
Lola spazierte einige Minuten bis sie eine Wiese fand. Sie war zu aufgeregt um still zu sitzen und ging immer im Kreis herum und wartete auf Enjen´s Schwester. Als sie einen großen Vogel am Himmel bemerkte winkte sie ihm zu. Einen Herzschlag lang glaubte sie, dass es vielleicht einer der Abtrünnigen in Vogelgestalt war, doch es war Mariam die sich vor ihren Augen in die große starke Frau zurückverwandelte, die sie ein paar Tage zuvor kennen gelernt hatte.
„Du schaust schrecklich aus,“ sagte Mariam und lächelte. „Ich bin froh, dass ich bei dir bin und auf dich aufpassen kann. Du weißt gar nicht welche Ängste ich die letzten Tage um dich durchgestanden habe. Enjen übrigens auch.“
„Achja?“
„Wir haben heute Morgen lange telefoniert als er sich auf dem Klo eingesperrt hatte. Er hat keine Erlaubnis das Haus zu verlassen und muss genauso wie die anderen im Aufenthaltsraum Hausarbeiten schreiben. Sogar in der Nacht muss er die Zimmertüre offenlassen damit man es bemerkt falls er verschwindet.“
„Die Oberen sind echt hart mit ihrer Bestrafung. Und alles nur, weil sie versucht haben ihren Freunden zu helfen. Das ist echt gemein.“
„Kann man wohl sagen. Jedenfalls darf er unseren Vater im Krankenflügel besuchen sooft er will. Paps fragt jedes Mal nach ob´s was Neues von dir gibt. Er steht auf unserer Seite. Er findet den Vorschlag vom Blutaustausch interessant. Er meint, es kann nicht viel schief gehen und wir sollen es probieren.“
Lola freute sich total dies zu hören. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Obermagier Ern war auf ihrer Seite. Nun konnte nicht mehr viel passieren und man würde für sie einstehen falls es zu einem weiteren Disput zwischen ihr und Oberheilerin Heran kommen sollte. „Danke, dass du mir das erzählt hast. Du bist total nett.“
Mariam lachte. „Komm, gehen wir noch ein Stück bevor es ganz dunkel ist. Wir müssen darüber.“ Mariam wies in eine Richtung die Lola nicht eingeschlagen hätte, aber sie vertraute ihr. Die Frau war ein Geschenk des Himmels in ihrer Lage und mit einem Raben als Späher würden sie schneller vorankommen.
Es wurde neun und sie informierte Magic, Erine und Enjen über das, was der Doktor gesagt hatte. Sie wünschten ihr viel Glück. Ihr entging der sorgenvolle Ausdruck auf dem Gesicht der dreien nicht. Sie selbst war auch total angespannt aber hatte jetzt die Hilfe von einer fertig ausgebildeten Zaubererin.
Sie suchten einen geschützten Platz unter den Bäumen und Mariam spann genug Wärme und Lichtfäden um ihn behaglich wirken zu lassen. Es war Punkt 10 und Lola konzentrierte sich auf das beamen des Doktors. Es war irgendwie schwierig. Als sie die Augen öffnete wusste sie warm. In der einen Hand hielt er einen großen Koffer und mit der anderen hatte er sich an einem Bett festgehalten. Er selbst blickte verdutzt auf das Bett. Er wunderte sich wohl, dass es mitgekommen war. Lola war stolz. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie so große Gegenstände beamen konnten. Nun war Eli an der Reihe. „Alles okay bei dir?“ Er sah zwar nicht so aus aber bejahte trotzdem.
Der Doktor legte ihm eine Binde um den Oberarm und desinfizierte seine Ellbeuge. Mariam reichte ihm eine Kanüle und Nadel. Sie schien sich bei sowas auszukennen. Zuerst nahm der Arzt ein bisschen Blut ab und vermischte es mit ein bisschen Spenderblut und hielt einen Teststreifen hinein. Dieser verfärbte sich lila und der Arzt nickte zufrieden. Nun steckte der Arzt die Konserve an ein Schlauchsystem und hängte dieses an einen nahen Ast. Die Transfusion fand ein bisschen weiter unterhalb derselben Vene statt. Zuerst sah es aus, als passierte nichts und der Arzt befahl Eli seine Finger abwechselnd auszustrecken und dann wieder zu einer Faust zu schließen. Der arme Kerl gehorchte und wurde ein bisschen grün aber es schien jetzt zu funktionieren.
„Kann ich jetzt gehen?“ Der Arzt fixierte sie mit seinen kleinen stechenden Augen.
„Oh nein. Sonst würden all diese Wunderinstrumente ebenfalls verschwinden. Du bleibst hübsch hier. Wie lange wird das ganze brauchen?“
„Hängt davon ab. So etwa 100 Minuten?“
Der Doktor wachte über Eli falls Komplikationen auftraten. Mariam behielt ihrerseits den Doktor im Auge damit er nichts Blödes anstellte während sie Lola darauf konzentrierte die beiden gebeamten Personen hierzubehalten. So verging eine Stunde in der nicht viel passierte, außer das Eli sich leise mit Mariam unterhielt. Er hatte Angst und seine Halbschwester konnte ihn besser beruhigen als sie es je geschafft hätte.
„Ich glaube es funktioniert,“ sagte er nach einer Weile. „Ich fühle mich leichter an, so als wäre der Schwur von mir genommen.“
„Ich glaube dir ist nur ein wenig Schwindlig und du bist ganz high geworden von all dem Neuen Blut in deinem Körper.“ Sagte Mariam und lachte während der Doktor eine neue Blutkonserve an die Schläuche hängte. „Das ist die letzte. In Fünfzehn Minuten ist alles vorbei.“
„Gott sei Dank,“ sagte Eli und lächelte schwach. Er war wirklich sehr tapfer so als Versuchskaninchen herzuhalten.
Als der Blutaustausch zu Ende war blieb er noch ein bisschen liegen weil ich schwindlig war. Mariam hielt seine Hand und der Doktor baute seine Anlage ab und gab Eli einen Wattebausch den er sich auf die kleine Wunde drücken sollte. Doch Mariam fuhr einfach mit dem Finger über die Stelle und ein paar grüne Strahlen versiegelten die Wunde. Der Doktor beobachtete das geschehen unbeeindruckt „Also zwei Hexen auf einmal. Auch außerirdisch?“ Mariam verneinte. Der Doktor verschloss den letzten Beutel mit abgenommenem Blut. Es war wirklich viel. „Kann ich das mitnehmen? Ich stell ja keine Fragen. Aber mich würde schon interessieren, was das für eine seltsame Krankheit war für die es einen Vollblutaustausch brauchte.“
Lola nahm an, dass die Beutel automatisch mit dem Doktor verschwinden würden. Trotzdem drückte sie sie ihm in die Hand um sicher zu gehen. „Du hast eine Viertelstunde Zeit. Dann kommst du nochmal mit Konserven A positiv und B positiv. Verstanden?“
„Was? Noch jemand? Werde ich in dieser Nacht überhaupt zum schlafen kommen?“ Der Doktor war entsetzt.
„Es sind noch insgesamt vier. Bis jetzt; Gute Arbeit Doc!“
Die drei winkten dem Doktor nach und sogar Eli hatte ein Grinsen aufgesetzt. Manchmal machte es Spaß sadistisch zu sein.
„Ich glaube es passt. Mein neues Blut ist nicht wieder mit dem Doktor verschwunden. Vor dem hatte ich Angst.“
Lola war froh, dass sie nicht vorhin daran gedacht hatte. „Ich schlag ich schick dich zurück und du probierst aus ob du die Barriere noch spürst wenn du mit den anderen Sprechen willst. Wenn nicht bist du frei und wen doch; dann halt lieber deinen Mund.“
„Weil sonst bin ich tot. Schon verstanden. Bis dann!“ Er hob grüßend die Hand und verschwand.
„Man das war anstrengend,“ sagte Lola. Sie würde das heute noch ein paarmal durchstehen müssen und ihr graute davor.
„Das hast du toll gemacht,“ sagte Mariam und streichelte ihr über die Hand. Sie riss sich zusammen und nahm den Zauber von vorhin wieder auf. Eli stand vor ihnen und strahlte sie an. „Es funktioniert! Jeeeeeeeh!“ er drehte sich vor lauter Glück im Kreis herum und umarmte seine Schwester. Lola bekam auch einen kurzen Drücker und freute sich darüber. Es war wirklich ihr Verdienst, dass der traurige und verhärmte Gelbäugige wieder glücklich war. Wäre ihr diese Idee doch viel früher gekommen. Oder hätte sie das Buch schon früher erhalten, dann hätte sie sich und den anderen viel Leid ersparen können. Trotzdem war sie zum ersten Mal richtig froh darüber, dass sie aus dem Südhaus abgehauen war. Selbst wenn jetzt noch alles schief ging hatte sie einen Erfolg zu vermerken.
„Und jetzt die anderen, okay?“ Eli sah sie strahlend an.
Sie blickte auf ihre Uhr. „In Fünf Minuten. Reiß dich inzwischen zusammen und mach die Abtrünnigen nicht auf euch aufmerksam. Falls sie bemerken, dass ihr fallweise verschwindet ist alles im Eimer. Du schwebst noch immer in Riesengefahr.“
Obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass Eli sich wieder ruhig hinlegen konnte, so aufgeregt wie er war, schickte sie ihn zurück. Sie musste sich jede Minute Pause gönnen, die sie hatte.
Fünf Minuten später war der Doktor wieder da und hatte auch das Bett wieder mit dabei, das diesmal gleich von zwei Patienten belegt wurde. Es verlief nicht so glatt wie bei Eli. Einer der beiden war eher schmächtig und hatte auch schon länger nichts mehr zu essen bekommen. Er war schwach und ständig einer Ohnmacht nahe. Sie trauten sich aber nicht die Prozedur abzubrechen und redeten ihm gut zu um ihn wach zu halten. Mariam hatte eine Schokolade dabei die sie ihm ganz zum Essen verabreichte und Lola opferte ihren letzten Apfel. Es war schon zwei Uhr in der Nacht als sie es geschafft hatten und sie beschlossen eine längere Pause einzulegen. Um drei Uhr würde man sich wieder treffen.
Mariam war so nett und blieb wach damit sie Lola in einer Stunde wecken würde. Sie konnte dann während der letzten beiden Bluttransfusionen schlafen. Um vier rief sie wieder den Doktor und die beiden verbleibenden Geiseln, die sie Angst erfüllt ansahen. Diesmal war sogar der Doktor selbst gefasst genug und redete ihnen gut zu. Er hatte sich mit seiner merkwürdigen Aufgabe abgefunden und allmählich wurde er Lola sympathisch. Sie weckte Mariam nicht auf, als sie mit allem fertig waren. Die beiden Patienten waren hocherfreut und konnten miteinander sprechen. Auch bei ihnen hatte es gewirkt. Sie beamte auch noch einmal die anderen herbei um zu überprüfen ob es ihnen gut ging und ob sich Nebenwirkungen gezeigt hatten. Doch außer, dass sie schwach und müde waren ging es Ihnen gut. „Können wir nicht gleich losfliegen und zu euch kommen?“
„Losfliegen?“ Der Doktor war wiedermal perplex.
Lola überlegte eine Sekunde. „Wenn ihr wollt, könnt ihr das natürlich. Ihr seid frei und könnt machen was ihr wollt. Doch wenn ihr wollt, könnt ihr beim Kampf meine Schutzengel spielen. Falls die Abtrünnigen draufkommen, dass ich für das plötzliche Erscheinen verantwortlich bin werden sie alles dafür geben mich ohnmächtig zu machen oder zu töten. Ich wäre über einen vielfach verstärkten Schild dankbar. Außerdem kann es sein, dass sie abhauen sobald sie sehen, dass ihr nicht mehr da seid. Ich würde sie dann nicht mehr finden. Aber lasst euch nicht beeinflussen, überlegt es euch selbst.“
Sie fühlte sich gemein, dass sie die Erstabschnittler dazu überredete zu bleiben. Schließlich hatten sie bereits Schlimmes durchstanden und der Kampf war auch nicht ungefährlich.
Die Burschen lachten. „Okay. Ist Ehrensache. Wir bleiben.“ Sie ließ sie verschwinden. Blieb nur noch der Doktor.
„Hab ich gerade einer geheimen Besprechung beigewohnt?“ Er zog die Augenbrauen hoch. Dieser Gesichtsausdruck war fast schon sein Markenzeichen.
„Jep. Ganz recht. Sie sind zur vollkommenen Verschwiegenheit verpflichtet.“
„Zu Befehl. Kann ich jetzt schlafen gehen?“ Lola nickte. Und wollte ihn verschwinden lassen als er noch einmal den Mund öffnete um etwas zu sagen, was ihm am Herzen lag. „Und du weißt schon. Wann du wieder Hilfe brauchst.. Ich würde mich freuen wenn ich dich heute nicht zum letzten Mal gesehen habe. Es war zwar verrückt, das alles, aber ich würde es wieder tun.“
„Dankesehr!“ Sie fiel ihm um den Hals. Es tat gut zu wissen, dass außerhalb der Häuser Menschen existierten die an sie glaubten und in ihrer Welt wissen wollten. „Es tut mir zwar Leid um das schöne Bett hier, das ich noch gut gebrauchen könnte, aber ich schick euch besser zurück. Bis bald mal!“
Diesmal blieb sie nicht alleine zurück. Mariam war noch da und schnarchte laut. Als sie eingeschlafen war, waren die Wärmestrahlen verschwunden und Lola hatte nur minimale Energie verwendet um neue zu zaubern. Doch sie war die ganze Zeit über stark gewesen und war kein einziges Mal in Versuchung gekommen das Vorhaben abzubrechen weil sie sich nicht mehr konzentrieren konnte. Sie fühlte sie perfekt vorbereitet für den nahenden Kampf und legte sich dicht neben Mariam. Zwar kannte sie sie noch nicht sehr lange, aber sie hatte vollstes Vertrauen in sie. Sofort schlief sie ein.
Kapitel 9-Kampf

Es war schon später Vormittag, als Lola erwachte. Es war ein kalter und nebliger Tag. Mariam hatte noch Gebäck vom Vortag mit, das sie aufaßen. Jetzt hatten sie nichts mehr außer Kaugummi. Es war wichtig, dass sie bald bei den Höhlen waren. Von Hunger geschwächt ließ sich nicht gut kämpfen. Lola hatte die letzten Tage nicht viel und auch nicht gut geschlafen. Ihre Augen tränten obwohl sie die Kontaktlinsen nicht mehr tragen musste. Mariam übernahm die Führung und es tat gut sich leiten zu lassen. Bisweilen ging sie alleine und ihre Freundin flog als Vogel über ihr. „Bald sind wir da. In der Ferne sehe ich schon die Felswand.“ Sagte sie ihr.
Lola war froh, dass sie wenigstens nicht mehr steil bergauf gehen musste. Noch einen Berghang hätte sie nicht mehr geschafft. Zu Mittag legten sie eine kurze Rast ein. Es war Zeit die anderen zu informieren, dass sie sich bereithalten sollten.
Magic erschien, aber etwas passte nicht. Jemand schien sie festzuhalten, sie sah eine Hand die dann jedoch los lies. Magic sah schrecklich aus. Ihre Augen waren rot umrandet und kaum fiel sie Lola in die Arme, da heulte sie.
„Was ist denn los?“
Magic putzte sich die Nase und hielt sich die Hände vors Gesicht als wäre etwas Schreckliches passiert, nur wollte sie es Lola nicht sagen. Nach einer Weile ließ sie sich aber doch erweichen.
„Ich bin von der Schule geflogen. Und Erine auch. Wir werden nie mehr zaubern dürfen. Morgen werden wir von unseren Eltern abgeholt.“
Lola war sprachlos. „Wie das?“
„Sie sind uns auf die Schliche gekommen. Die Sache mit den Stiefeln, Aarin hat sie in meinem Zimmer gesehen. Und Erine´s Ausweis wurde an der Kontrollstation registriert und die Oberen haben es herausgefunden. Und es war Aarin der uns verraten hat.“ Magic schluchzte wieder laut los. Auch Lola zog es alles im Magen zusammen.
„Es tut mir so Leid.“ Lola streichelte ihrer Freundin den Rücken. „Stell dir vor, die Geiseln sind frei. Das mit dem Blutaustausch hat geklappt.“
„Wirklich?“ Magic konnte sich zwar nicht richtig darüber freuen, doch nach einer Weile beruhigte sie sich.
„Und Obermagier Ern ist auf unserer Seite. Vielleicht wirst du im Nordhaus aufgenommen.“
Magic lächelte schwach. „Vielleicht. Die Oberheilerin hat den Kontakt zum Nordhaus komplett abgebrochen. Sie wollen von ihnen nichts mehr wissen. Und von dir auch nichts. Man wir sitzen ja sowas von in der Klemme. Und die kleine Erine auch.“
„Ich habe gar nicht gewusst, in was ich euch da hineinziehe. Es tut mir leid.“
„Das braucht es nicht. Wir sind auf deiner Seite. Auch wenn wir dafür für immer aus der Zaubeergemeindschaft ausgeschlossen werden. Ich hab ja noch Mum und Dad. Aber ich kann einfach nicht verstehen wieso Aarin… .“ Sie brach mitten im Satz ab. „Ich habe nie gedacht dass er zu einer solchen Stufe des Verrats fähig ist. Und auch nicht, dass ich ihn einmal so hassen könnte.“
„Mir geht’s da auch nicht besser,“ sagte Lola leise und hasste sich dafür. Eigentlich hatte sie keine Gedanken mehr an ihren Ex verschwenden wollen. Er hatte ihr weh getan und trotzdem wünschte sie sich, es würde alles wieder so werden wie früher. Ob es gespielt war oder nicht….
„Gehen wir weiter,“ sagte Mariam und sie erhoben sich aus dem Gras. „Schick mich nicht wieder zurück,“ bat sie Magic. „Es war so schrecklich vom eigenen Bruder gefangen. Er wollte mitkommen als du mich riefst. Er sagt, er hat dir was Wichtiges zu sagen. Von Angesicht zu Angesicht. Wahrscheinlich nur Mist, den du nicht hören willst.“
Magic ging noch härter mit ihrem Bruder ins Gericht als sie selbst. „Wenn ich Erine rufe, kommt er auch mit. Stimmts?“ Obwohl sie es vermieden hatte an Aarin zu denken hatte sie es doch oft tun müssen. Je größer der zeitliche Abstand zwischen ihrem Streitgespräch wurde, desto öfter hoffte sie, dass es eine Erklärung für alles gab. Sollte sie ihm eine Chance geben?
„Ich will hören, was er mir zu sagen hat,“ sagte sie und atmete tief durch. Aarin stand vor ihr. Er sah sie mit seinen lila Augen an und hörte auf zu denken. Erine registrierte sie kaum obwohl sie ihr dankend um den Hals fiel, nachdem Aarin ihr Handgelenk losgelassen hatte. Er dominierte alles, sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht lesen.
„Lola,“ begann er. „Ich habe viele Fehler gemacht. Der größte war dir nicht zu Vertrauen. Doch jetzt musst du mir vertrauen. Komm sofort zurück und es gibt eine Chance, dass du bei uns bleiben darfst. Das wünsche ich mir für dich und für mich auch. Ich möchte dich an meiner Seite wissen und werde dafür sorgen, dass es dir hier gut geht. Ich liebe dich, Lola.“
Sie zuckte nicht mit der Wimper obwohl sie ihn am liebsten geschlagen hätte, für die Weise wie er ihren Namen liebevoll betonte als hätte er sie nie schrecklich verletzt. So als wären sie noch ein Paar.
„Ich habe die Geiseln befreit. Der Doktor aus Hanin hat ihnen das Blut ausgetauscht. Sie sind an keinen Schwur mehr gebunden.“
Aarin wirkte einen Moment als würde er schwach werden. Als würde er zu heulen beginnen und sie um Gnade anflehen. So als wäre sie seine einzig wahre Liebe, seine Seelenverwandte und seine größte Heldin die er für immer bewundern würde. Doch er sagte nichts. Sie ließ ihn verschwinden.
Lola, Mariam, Magic und Erine blieben wie versteinert stehen. Die angespannten Schwingungen von dem Gespräch vorher schienen noch in der Luft zu liegen. „Gehen wir wieder.“ Sagte Mariam und durchbrach die Lähmende Stille. Sie gingen lange nebeneinander her und Lola war wie betäubt.
All die Geräusche um sie herum, die abfallenden Blätter und die Vögel in den Bäumen; sie nahm alles nur wie durch einen Schleier war. Erine durchbrach diesen Schleier. „Er hat es ernst gemeint. Ich bin mir sicher, dass er dich noch liebt. Lass ihn kämpfen, wenn es soweit ist. Zeig ihm, dass du ihm eine Gelegenheit gibst es wieder gut zu machen.“
„Er hat sie nicht verdient.“ Sagte Magic barsch und sie fielen wieder in tiefes Schweigen. Lola begann vor Aufregung zu zittern. Sie durfte nicht zusammenbrechen. Bald waren sie da. „Ich habe eine Bitte, könnt ihr uns beiden etwas zu Essen bringen?“
„Ich geh so schnell nicht wieder zurück.“ Sagte Magic. „Schick Erine.“
Ihre kleine Freundin nickte. „Ich würde gerne etwas holen.“ Lola ließ sie verschwinden.
Mariam verwandelte sich in einen Vogel. „Wir sind praktisch direkt vor den Höhlen. Wo genau haben sie gesagt, dass sie sind?“
„In der großen Höhle unter dem Felsvorsprung. Dort wo wirklich nur eine gewagter Kletterer hinkommt oder jemand der fliegen kann.“
„Kommt, wir müssen noch circa hundert Meter weiter nach rechts.“
Es war eine Art Schlucht die nur teilweise bewaldet war. An ihrer rechten Seite befand sie eine gut zehn Meter hohe Felswand. Links erhob sich ein großes Kliff, in dem es viele Höhlen gab. Die meisten waren in der Nähe des Erdbodens. Aber einige befanden sich auch in schwindelerregender Höhe. Lola vermutete, welche sich die Abtrünnigen ausgesucht hatten um ihr Versteck einzurichten. Die Höhle lag in circa dreißig Metern Höhe und man hatte von dort bestimmt einen guten Ausblick über das ganze Tal und die Berge ringsum.
Sie befanden sich zwischen Bäumen, geschützt von Blicken. Aber irgendetwas kribbelte eigenartig auf ihrer Haut. Magic erstarrte. „Sie wissen, dass wir hier sind. Das waren Suchstrahlen. Eindeutig.“ Einen Augenblick später legte sich eine Kugel um sie. Sie war wie die Alukugel mit deren Hilfe sie schon zweimal über die Grenze zwischen Hanin und dem Nordreich geflogen war, nur durchsichtig. Zuerst glaubte sie, sie saßen nun in der Falle. Doch der Zauber ging von ihren beiden Freundinnen aus. Beschämt legte sie ihren eigenen Schildzauber dazu. „Es kann jeden Moment losgehen. Am besten, wir klettern auf die Felswand. Von dort aus hat Lola einen guten Überblick über das Geschehen und kann eingreifen wann immer sie es für nötig hält. Los, hier rüber.“ Mariam ergriff wieder die Initiative.. Nun bugsierte sie sie um eine Ecke. Lola beamte Erine herbei, die ein paar Müsliriegel mitbrachte. „Iss den“, sagte sie und gab ihr einen mit Erdbeergeschmack. „Aarin lässt dir ausrichten, dass er kämpfen will. Er sagt, er stirbt wenn dir etwas passiert.“
„Soso“, sagte Lola und musste wider ihres Willens lächeln. Magic sah sie eiskalt an. „Er wird dir wieder wehtun. Lass ihn nicht.“
„Du hast Recht. Ihr beide habt Recht. Ich darf mich jetzt aber nicht beeinflussen lassen. Es wird sich alles ergeben. Vertraut drauf.“
Sie kletterten die kleine Felswand hinauf. Es befanden sich hier genug Bäume um beim Kampf nicht gesehen zu werden. Mariam wagte einen Blick Richtung Höhlen. „Wir sind jetzt genau über der Wiese und gegenüber der großen Höhle unter dem Felssvorsprung. Hol die anderen.“
Enjen kam mit seinen vier Kumpels als erster. „Die anderen auch. Sie positionieren sich in der Luft und passen auf, dass keiner der Abtrünnigen abhaut“ Sagte er und sie beamte auch die übrigen fünf Nordhausschüler zu sich. Dabei waren auch das große Mädchen und der kleine Junge der beim Spaziergang so frech zu ihre gewesen war. Enjen holte Fotos aus der Tasche. „Frau Beans und zwei Lehrer von uns. Die besten Freunde meines Vaters.“ Das machte insgesamt dreizehn aus dem Nordhaus, die Einsatzbereit waren. Dazu kamen Mariam und Magic die ebenfalls zum Kampf bereit waren. Erine würde bei ihr bleiben und die ehemaligen Geiseln würden zu ihnen stoßen um den Schild zu verstärken. Enjen hatte dicke gelbe Bänder mit und gab jedem eins davon. Sie banden sie sich um den Hals. So konnte Lola auch dann noch wissen wer zu ihnen gehörte, wenn sie alle Raben waren. „Wir brauchen jede einzelne Person die bereit ist zu kämpfen.“ Sagte Enjen. „Aber nicht streiten.“ Antwortete Lola. Sie holte Aarin und Miracle. Merwem beamte sie nach kurzem Zögern auch. Sie konnten ihn für den Schild gebrauchen. Sie sah die Neuankömmlinge nicht an, aber bemerkte wie Enjen auch ihnen eine gelbe Schleife gab. „Denkt dran, bleibt so nah wie möglich bei mir wann immer es geht. Dann muss ich mich nicht zu stark konzentrieren,“ flüsterte sie heiser. Ringsumher sah sie nickende Köpfe. „Danke, dass ihr gekommen seid.“
Merwem, Erine und sie selbst traten an den Rand der Felswand und warfen einen Blick auf die Höhlen gegenüber. In dem Eingang der großen Höhle saßen drei große schwarze Raben. Die beiden anderen Abtrünnigen, von denen Eli berichtet hatte, waren entweder ausgeflogen oder passten auf die Geiseln auf.. Fünf der Nordhausschüler positionierten sich in einem lockeren Kreis um die Felsformation. Sie waren bereit ein großes Netzt zwischen sich zu spannen falls jemand fliehen wollte. Enjen und Mariam würden zuerst versuchen zu Verhandeln und flogen hinunter ins Tal. Sie verwandelten sich in Menschen. Lola schickte die anderen inzwischen zurück. Sie würde sie dosiert einsetzen.
Zwei der Raben am Höhleneingang flogen hinunter zur Wiese. Es waren die beiden Anführer; der Bärtige mit seinen dunkelroten und der Glatzköpfige mit seinen silbern stechenden Augen. Erine schickte einen Hörzauber nach unten. Er war blau und die Abtrünnigen folgten dem Strahl irritiert mit ihren Augen. Na toll, sie hatten ihre Position freigegeben. Doch sie waren dankbar das Gespräch mitzuhören.
„Wie habt ihr uns gefunden? Ist Frau Minna auf die falsche Seite übergelaufen?“
Enjen und Mariam schwiegen.
„Ihr seid aus den Häusern. Jedoch Schüler und keine Oberen. Was wollt ihr. Wir werden euch mit Leichtigkeit gefangen nehmen. Wir können euch aber auch töten. Hängt davon ab, was ihr bevorzugt.“
„Wir sind hier um unseren kleinen Bruder und seine Freunde abzuholen. Gebt sie frei, damit sie mit uns nach Hause fliegen.“
Der Bärtige kratzte sich am Kopf. Er schien amüsiert. „Tja da gibt es ein Problem. Die Burschen haben einen Blutschwur abgeleistet und tun alles was wir ihnen befehlen.“ Der Glatzköpfige konnte sich vor Lachen nicht mehr helfen. „Dumm gelaufen. Und nach Hause fliegen könnt ihr jetzt auch nicht mehr.“ Er schickte einen roten Strahl aus, wie eine Schlange um die Beiden wickelte.. Doch die Geschwister hatten schon einen Schild hochgezogen. Der Strahl konnte sich an der glatten, durchsichtigen Kugel nicht halten und schlitterte ab. Gereizt ließ der Glatzköpfige einen starken schwarzen Energiestrahl aus seinem Handballen schießen. Die Schutzhülle vibrierte stark. Der Bärtige gebot ihm Einhalt. „Meinst du nicht, es wäre viel lustiger sie gegen ihren eigenen kleinen Bruder kämpfen zu lassen?“ Sie lachten beide.
Zehn Meter über lächelten Merwem und die beiden Mädchen. Bis jetzt lief es besser als geplant. Aus der Höhle flogen Fünf kleinere Raben, die sich in die Schüler verwandelten. Im Höhleneingang blieben drei große Raben zurück und spähten aufgeregt nach allen Seiten. Sie bereiteten sich auf einen Kampf vor.
Die Fünf Geiseln hatten ein Pokergesicht aufgesetzt. Als der Bärtige sie auf Enjen und Mariam hetzten wollten, brachen sie jedoch in Gelächter aus. Sie fügten ihre nun heraufbeschworenen Schutzschilder zu dem der Geschwister hinzu.
Der Bärtige und der Glatzköpfige waren sprachlos und zogen ebenfalls rasch einen Schutzschild herauf. „Wie ist das möglich?“
„Blutaustausch.“ Sagte Eli und verschränkte die Arme über seiner Brust. Neben seinen beiden großgebauten Geschwistern wirkte er noch schmächtiger als sonst. Er war bestimmt noch keine Sechzehn.
„WAS? Wie, wann, wo?“ Der Bärtige wurde tiefrot im Gesicht. Es nahm fast dieselbe Farbe an wie seine Augen. Der Glatzköpfige blieb kühl. „In einem Kampf können wir trotzdem gegen sie gewinnen. Wie viele seid ihr insgesamt.“
„Es werden nur wir beide Kämpfen. Die anderen werden erst dann eingreifen, wenn alles vorbei ist oder falls ihr flüchten wollt.“
Lola spürte ein unangenehmes Kitzeln. Wie schafften die es, dass sie unsichtbare Suchstrahlen aussandten?
Der Glatzköpfige informierte seinen Vorgesetzten. „Auf der Felswand sind drei Anfänger. Eine davon ist Monika, der Erdmensch. Sie konnte damals noch nicht zaubern, wenn ihr euch erinnert. Die Fünf Späher dort oben sind ebenfalls nicht fertig ausgebildet. Die einzigen beiden von denen ernsthafte Gefahr droht sind die vor uns.“ Er sah Enjen und Mariam bitterböse an.
„Fliegt zu Lola,“ sagte Mariam und die Fünf Schüler flogen als Raben, umgeben von einem neuen Schutzschild, zu Lola. Sie strahlten vor Freude. Nur Eli wirkte besorgt. Er machte sich Sorgen um seine Halbgeschwister.
Der Kampf begann. „Zwei gegen zwei. Das ist fair.“ Höhnte der Glatzkopf. „Nur leider sind wir euch überlegen!“
Tatsächlich wackelte der Schild rund um die beiden stark obwohl kein einziger Energiestrahl zu sehen war. Mariam schickte einen schwarzen Strahl aus ihrem Handballen und feuerte ihn gegen den Mann mit Glatze. Der lachte nur.
Erine stupste sie in die Seite. Lola zauberte Aarin und die drei Oberen aus dem Nordhaus herbei. Sofort flogen sie auf die Wiese und beblitzten die beiden Abtrünnigen von allen Seiten her mit Zaubern. Es sah aus wie ein riesengroßes Feuerwerk. Nun mischten sich auch die drei Raben von oben aus ein. Sie flogen in Kreisen über den Platz und feuerten hin und wieder Zauber gegen die unten kämpfenden Menschen. Doch als Raben hatten sie kaum genug Kraft um den Schildern ernsthafte Beschädigungen zu bescheren. „Dürfen wir?“ einer der eben geretteten Geiseln zeigte auf die Raben.
„Okay,“ sagte Lola, „aber nur eine Minute.“ Die Fünf stürzten sofort aus dem Schützenden Schild, erschufen sich eigene und griffen die drei stattlichen Raben an. Sie hackten sich gegenseitig mit den Schnäbeln und Klauen. Einer der Schüler stürzte und Lolas Atmung setzte für eine Sekunde aus. Doch der kleine Rabe erholte sich schnell wieder und flog an ihre Seite. Auch die anderen kamen wieder.
„Ab jetzt bleibt ihr hier. Erstens brauche ich euch und zweitens kann ich euch nicht wegbeamen falls ihr in Not seid.“ Sie hätte früher daran denken müssen. Unten war die Schlacht in vollem Gang. Mit Entsetzten bemerkt Lola, dass die beiden Hauptgefährlichen, der Bärtige und sein Glatzkopf, Aarin attackierten der nur im Schutz seines eigenen Schildes kämpfte. Blödian, wieso konnte er sich nicht wie die anderen unter einem Schild vereinen. Sie ließ in schnell verschwinden und die beiden Abtrünnigen blieben kurz geschockt stehen. Das war nicht das erste Mal, dass sie an diesem Tag komplett überrumpelt worden waren. Aber sie hatten einen Vorteil; sie kämpften nun mit unsichtbaren Strahlen. Lola hatte nicht gewusst, dass sowas möglich war. Die drei anderen Abtrünnigen verwandelten sich nun auch in Menschenform und beide Parteien auf der Wiese waren gleich stark. Sie brauchten wieder Aarin. Sie zauberte ihn herbei, aber er flog nicht sofort los, wie er erwartete hatte. „Magic will kämpfen. Sie ist böse weil du mich rufst und nicht sie.“
„Ich würde es mir nie verzeihen wenn ihr etwas passiert. Es ist mir lieber sie ist drei Wochen böse auf mich als dass ich sie in diesen Kampf schicke.“
Aarin stürzte sich wieder ins Kampfgetümmel und verwirrte die Abtrünnigen. Sie waren noch immer gleichstark und die Späher vom Nordhaus wurden ungeduldig. Sie näherten sich der Wiese und schossen leichte Lichtblitze ab. Elin und seine Freunde baten wenigstens von hier aus Kämpfen zu dürfen und sie erlaubte es ihnen. Sie bombardierten gemeinsam mir Frau Beans und einem weiteren Oberen den Bärtigen. Auch die Raben aus der Luft halfen mit und die schützende Blase um den Abtrünnigen verschwand. Einen Moment später wurde er von einem roten Schlag getroffen, der ihn Bewusstlos niedersinken ließ. Die Oberen drückten ihm eine Pille in den Mund. Er würde auch dann noch bewusstlos bleiben, falls sich die anderen aufs Heilen verstanden. Die Schüler jubelten. Alle warfen sich auf die ihnen am nächsten stehen Abtrünnigen, die unter einem Schild kämpften. Gemeinsam konnten sie sie zu Fall bringen. Nun waren nur noch zwei der Abtrünnigen übrig, Lola freute sich total.
Auf einmal wurde ihr Schild von einem heftigen Schlag erschüttert. Niemand hatte sich in den letzten Minuten darauf konzentriert, genügend Kraft hineinfließen zu lassen und fast wäre er zusammengebrochen. Sofort stärkten sie ihn. Eli und seine Kumpels stellten sich schützend vor sie. Das war keine gute Idee, weil sie die anderen nicht mehr sehen konnte.
Der Glatzköpfige war auf einmal nicht mehr zu sehen und auch einer der andern beiden verbliebenen Abtrünnigen machte sich in Rabengestalt davon. Schnell spannten die Späher zwischen sich ein Netz und fingen die beiden ein. Es gab einen Riesengroßen Knall. Die Felswand erzitterte und stürzte unter ihr ein. Einen Moment lang konnte sie sich an einem Baum festhalten, dann stürzte sie. Krallen bohrten sich durch ihre Kleidung und in ihre Haut. Es tat schrecklich weh. Doch dann bekam jemand sie besser zu fassen und sie spürte starke Krallen um ihre Handgelenke. Unsanft kam sie am Boden auf. Die Fünf Raben verwandelten sich in die ehemaligen Geiseln zurück. Erine und Merwem waren nicht mehr da. Lolas Konzentration auf ihren Zaubern war durch den Sturz verschwunden und keine der gebeamten Personen war mehr da.
Jemand grinste sie schäbig an. Sie hatten inzwischen wieder ein Schild doch es wurde heftig bombardiert. Nur noch die Geiseln und Mariam waren übrig. Mariam war in Bedrängnis, sie wurde von dem Glatzkopf mit den Silberaugen attackiert. „Schnell konzentrier dich“ sagte Eli und sie schloss verzweifelt die Augen. In der Panik ging es auf einmal so schwer sich zu konzentrieren. Von dem Sturz pochte ihr das Blut noch heftig in den Adern.
Also Lola die Augen aufmachte, waren Aarin, Miracle, die Oberen und Frau Beans wieder da. Doch gleichzeitig brach Mariams Schild zusammen. Unsichtbare Strahlen schienen ihr den Bauch aufzuschlitzen und im nächsten Moment brachen ihre Arme und Beine in einen komischen Winkel. „Die Oberheilerin. Schnell.“ Eli war entsetzt und Lola gehorchte. „Schau nicht hin,“ flüsterte sie den anderen zu und holte auch noch Erine, Merwem und die Schüler des Nordhauses zurück. Enjen stieß einen lauten Schrei aus als er seine große Schwester am Boden liegen sah und stürzte sich gemeinsam mit seinen Kumpels auf den Gelbäugigen. Die Oberheilerin war inzwischen über Mariam gebeugt und tat das Beste um sie zu retten. Der Abtrünnige, der zuvor ihren Schild bombardiert hatte, schraubte sich als Rabe weit in den Himmel hinauf. Sie schickten ihm ein paar Zauber nach, aber verfehlten ihn. Die dafür zuständigen Nordhausschüler spannten ihr Netzt zu spät und der Bösewicht entkam. Die Späher folgten ihm, doch Lola wusste, dass sie zurück ins Nordhaus gezogen wurden sobald sie sie nicht mehr spüren konnte.
Der Gelbäugige brach zusammen. Der Kampf war vorbei. Doch der Kampf um Mariams Leben ging weiter. Ihre Wunde am Bauch war zumindest äußerlich geschlossen. Die Oberheilerin hielt ihre Hand über sie und sandte goldene Strahlen in ihren Körper hinein. Enjen richtete die gebrochenen Arme und Beine mit blauen Strahlen. Er schluchzte. Lola wandte die Augen nicht von der am Boden liegenden Person. Eine einzige Sekunde hatte sie die Konzentration verloren und das war die Strafe dafür. Der Kreis um Mariam schloss sich und sie musste ihre verletzte Freundin nicht mehr ansehen. Nur Erine blieb bei ihr. Sie beschloss Magic zu beamen, sie brauchte ihren Trost.
„Du blöde Kuh hättest du mich vorher… .“Magic war wütend, dass sie nicht Kämpfen hatte dürfen. Als sie die geschockten Gesichter und die am Boden liegende junge Frau bemerkte, verstummte sie sofort und blieb stocksteif stehen. Aarin löste sich aus der Gruppe und legte einen Arm um sie. Magic schüttelte seinen Arm ab. Aarin startete einen zweiten Versuch und diesmal ließ Magic ihn gewähren. Sie vergrub ihr Gesicht in seinen Schultern und begann zu schluchzen. Ihr Bruder streichelte ihr den Rücken.
„Ihr Puls ist wieder stabil“, sagte die Oberheilerin, die bis jetzt nichts gesagt hatte. Lola seufzte erleichtert und erwachte aus ihrer Starre. Sie ließ sich ins Gras sinken und verbarg ihr Gesicht zwischen ihren Händen. Sie war unglaublich erschöpft.
„Sie hat ihre Augen aufgemacht“, flüsterte Erine ihr zu. Lola stand auf um sich selbst davon zu überzeugen. Mariam wand sich zur Seite und erbrach Blut. Ihre Mutter stützte sie und weitete die Heilstrahlen auf Mariams Brust- und Halsbereich aus. Es sah grausam aus. Mariam verzog den Mund und bat hustend nach Wasser. Lola suchte mit Magie nach ihrer Tasche. Sie war unter Geröll und Erde begraben worden, als die Felswand teilweise eingestürzt war. Mithilfe eines dicken blauen Energiestrahls aus ihrem Daumen flog die Flasche durch die Luft. Sie fing sie auf und reichte sie an Enjen weiter, der seiner Schwester die Flüssigkeit einflößte.
Mariam verzog den Mund. „Was steht ihr alle da und gafft mich an. Mir geht’s schon wieder gut, macht euch keine Sorgen.“ Niemand glaubte ihr, aber sie wandten alle ihre Blicke ab.
„Aarin, Miracle, Magic, Erine und Merwem. Sofort nach Hause. Geht zu Administratorin Heinz. Wir brauchen einen Helikopter aus Grein.“ Die Oberheilerin hatte das Wort übernommen.
„Ich bleibe hier bei L…“ Noch bevor Aarin den Satz aussprechen konnte, war er verschwunden.
„Das Nordhaus auch. Ab nach Hause.“ Die, die nicht dem Abtrünnigen gefolgt waren, verblassten nun ebenfalls.
Es waren nur noch die beiden Oberen des Nordhauses übrig, die die befreiten Geiseln um sich scharrten und sie fragten ob es ihnen gut ging. Frau Beans hielt ihren Sohn Eli in den Armen. Heran und Enjen halfen Mariam sich aufzusetzen.
Lola ging zu den bewusstlosen Abtrünnigen. Die Vier würden noch einige Stunden lang ohnmächtig sein. Sie waren mit dicken Strahlen gefesselt und Lola stupste den Glatzkopf mit dem Fuß an. Er rührte sich nicht.
„Beam den, der uns entkommen ist.“
Lola wandte sich mit fragendem Gesicht zur Oberheilerin um. „Jetzt auf einmal darf ich also?“
Für diese stichelnde Bemerkung erntete sie einen bösen Blick. Mit der Oberheilerin war noch immer nicht gut Kirschen essen. Sie schloss die Augen und sah einen roten Lichtblitz. Enjen hatte den Oberen in einer einzigen Sekunde niedergestreckt. Lola ließ den Abtrünnigen wieder verschwinden, er lag nun K.O. irgendwo im Wald. Da er in Menschengestalt gekommen war, stürzte er wenigstens nicht als halbtoter Rabe vom Himmel.
„Wir können ihn suchen,“ sagten Elis Freunde und machten sich sogleich auf den Weg. „Ich bleibe bei Mariam“ erklärte Eli und blieb. Seine Freunde nahmen es ihm nicht krumm.
Lola konnte nicht mehr. Ohne Vorwarnung ließ sie Enjen, Frau Beans und die beiden Oberen aus dem Nordhaus verschwinden. Keine Sekunde länger konnte sie sich konzentrieren. Oberheilerin Heran wurde nervös.
Mariam konnte inzwischen schon alleine sitzen. „Schick meine Mutter nach Hause.“ Sagte sie zu Lola. „Sie war nie für mich da, als ich sie gebraucht hätte. Sogar ihrem eigenen Stiefsohn hat sie jede Hilfe verwehrt als er Gefangener dieser Biester war. Wir brauchen sie auch jetzt nicht um alles zu Ende zu bringen. Heran´s Augen füllten sich mit Tränen. Sie streichelte ihre Tochter und auch Eli über den Kopf. „Es tut mir Leid, Kinder,“ sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
Lola wunderte sich wie viel Unzufriedenheit und Hass es in dieser, ihr früher so perfekt scheinenden Welt, geben konnte und ließ sie verschwinden. Eine Riesenlast fiel von ihr. Die gewaltigen Zauber aufrecht zu erhalten, hatte sie total verausgabt. Sie schloss Eli und Mariam in die Arme. „Alles ist gut,“ sagte sie. „Alles ist gut.“
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Kapitel 10-Wahre Größe

Eli und Lola halfen Mariam aufzustehen. Sie setzten sich an den Rand einer Höhle wo sie sich bequem anlehnen konnten. Die untergehende Sonne schien vom Westen herein. Die Wolken und der Nebel waren verschwunden. Sie lauschten den Vögeln und genossen ansonsten die Stille. Mariam war kräftig genug um selbst schmerzlindernde Zauber auszuführen. Eine tiefe Zufriedenheit erfüllte Lola. Als die Schlacht zu Ende gewesen war, hatte sich aufgrund Mariams Verletzung niemand danach gefühlt zu Jubeln oder zu Feiern. Sie war nicht stolz auf sich, weil sie es geschafft hatten. Sie war froh, dass die Geiseln befreit waren. Den Ärger, den sie gespürt hatte, weil sich die halbe Welt gegen sie verschworen gehabt hatte, spürte sie nicht mehr. Einzig und allein zählte die Unterstützung, die sie zu Schluss erhalten hatte. Sie streichelte Mariams dickes Haar. Das Mädchen war so tapfer und so schön. Mariam griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. Obwohl Mariam kein einziges Wort sagte, spürte sie die Dankbarkeit in dieser Geste, und das trotz der schweren Verletzung.
Der Himmel färbte sich rosarot, wie sie es schon so oft gesehen hatte. Doch diesmal kroch ihr eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Sie hatte ihre Mission in Ninina erfüllt. Sie würde zurückkehren. Dies war einer ihrer letzten Abende hier.
Ein Abtrünniger bewegte sich. Eli und sie selbst standen auf um nachzusehen. Es war der Bärtige. Von der Pille noch ganz benebelt, konnte er die Augen kaum öffnen. Sie gaben ihm Wasser zu trinken. Darin hatten sie eine andere Tablette aufgelöst und der Bärtige fiel wieder in einen tiefen Schlaf.
In der Ferne hörten sie ein lautes Motorenbrummen. Nach einer Weile kam der Helikopter in ihr Blickfeld. Lola hatte so ein Ungetüm noch nie aus der Nähe gesehen. Ihre Haare flatterten im Wind und sie musste sich zusammenreißen um stehen zu bleiben. Der Pilot sprang heraus. Er stellte sich als Bekannter von Heran vor und gemeinsam hievten sie die Abtrünnigen hinein. Lola wusste den Zauber nicht, doch sie stellte etwas von ihrer Energie zur Verfügung. Mariam bekam eine eigene Pritsche wo sie sich anschnallen konnte. Lola hatte keinen Platz mehr. Der Pilot würde für sie und den Fünften Abtrünnigen noch einmal extra zurückkommen.
Der Hubschrauber hob ab und Lola legte sich ein Stück weiter in die Höhle hinein um zu schlafen. Eli hatte noch immer Energie und wollte nach den Anderen Ausschau halten, doch er versprach in der Nähe zu bleiben. Zwei Stunden später war es bereits stockfinster. Der Helikopter landete nur mit Mühe und Not. Den übrigen Abtrünnigen und auch die Schüler hatte er schon an Bord. Eli und Lola kletterten hinein. Der Flug war sehr unangenehm weil es laut und ungewohnt war. Sie landeten direkt am Flughafen in Grein, wo auch schon ein Privatjet stand. Die Oberheilerin, Aarin und Magic und ein paar andere Obere waren eingetroffen und von Bord gegangen um Mariam im Krankenhaus zu besuchen bzw. die Abtrünnigen wo hinzubringen. Auch der letzte, bewusstlose Magier wurde abgeholt. Ein andermal wollte sie fragen, wohin er gebracht wurde. Inzwischen machte sie es sich in einem der Sitze bequem. Vor und hinter ihr saßen die Fünf geretteten Burschen. Sie waren heilfroh nach langer Zeit wieder nach Hause zu kommen. Lola schlief ein und wachte nur kurz beim Start auf. Aarin saß neben ihr und sie rollte sich ohne groß nachzudenken in seinem Schoß ein. Es tat so gut, sich geborgen zu fühlen.
In Anxato stiegen sie in einen Bus um. Sie setzte sich zu einem von Eli´s Freunden und döste weiter. Aarin und Magic nahmen hinter ihr Platz, die Oberheilerin vor ihr. Es war noch immer Nacht, als sie im Südhaus ankamen. Die Fahrt konnte nicht solange gedauert haben. Ein paar Gestalten kamen im Pyjama aus ihren Zimmern aber Lola ging schnurstracks auf ihr Zimmer. Sie wollte nicht angegafft werden. Hinter sich sperrte sie die Zimmertür zu, weil sie ihre Ruhe haben wollte. Die Dusche war herrlich und warm als sie in ihr Bett stieg stieß sie an etwas. Es lag schon jemand drin; Erine.
„Hey du, aufwachen. Das ist mein Bett.“
Erine öffnete die Augen. „Ich wollte auf dich warten und bin dann eingeschlafen. Es tut mir Leid.“
„Schon okay,“ sagte sie und schlüpfte unter die Decke obwohl sie sich ein bisschen ärgerte. Sie hatte heute für nichts mehr Nerven.
„Wenn ich wirklich aus dem Haus fliege, kann ich dann mit dir in deine Welt kommen?“ Die Kleine meinte es ernst.
„Schhh.. Ich bin mir sicher sie behalten dich hier. Sie können gar nicht anders nach dem was du für das Haus geleistet hat. Es war nur eine leere Drohung. Und ansonsten; deine Eltern brauchen dich. Aber ich werde dich besuchen. Bestimmt.“ Das Bett war eng und unangenehm zu zweit, aber in Ordnung. Es war zehnmal besser als im Spätherbst unter freiem Himmel zu schlafen.
Sie wachten zu Mittag auf und Erine verschwand in ihr Zimmer um sich ihre Anziehsachen zu holen. Sie tauchte mit einem knallroten, weißgepunkteten Rock wieder auf und hatte ihr Haar ordentlich hochgesteckt. Lola war noch nicht halb so weit und zog sich eine Jean an. Es machte keinen Unterschied mehr ob sie sich anpasste oder nicht. Für ein halbes Jahr war sie nun eine von hier gewesen. Nun war es an der Zeit, dass sie klar machte, wo sie hingehörte; nach Hause zu ihrer Mutter.
Draußen war es weiß. Obwohl es Mittag war, hing in den Bäumen und Hügeln ringsum Raureif. Der Essensgong schlug, doch sie hatte keine Lust hinunterzugehen. Erine drängte sie trotzdem dazu und sie gab widerwillig nach. Alle starrten sie an, aber sie ging einfach zu ihrem Platz zwischen Erine und Merwem, als wäre sie auch die letzten Tage hier gewesen und nicht von einem Reisenabenteuer zurückbekommen. Jemand begann zu klatschen und die anderen zogen mit. Es interessierte sie nicht die Bohne ob sie in den Augen der anderen noch die Ungehorsame, oder schon die Heldin war. Sie hatte gewaltigen Hunger und lange zu. Ein paar Schüler und auch Obere tippten ihr auf die Schulter und wollten ihr die Hand schütteln. „Entschuldigung“ und „Gut Gemacht“ sagten sie, als wüsste sie es nicht selbst, dass sie Tolles geleistet hatte. Ihre miese Stimmung schien die anderen anzustecken und es wurde leiser ringsum. Vielleicht lag es auch daran, dass die Oberheilerin die eine Rede über Freundschaft, Heldentum, Irrtümer und gegenseitiger Nachsicht hielt. Die Rede war an sie gerichtet und sie bekam nochmal einen zögerlichen Applaus. Zögerlich deshalb, weil alle merkten, dass es ihr gleichgültig war. Aarin, Miracle, Magic, Erine und Merwem bekamen auch einen Applaus weil sie beteiligt gewesen waren. Lola hätte kotzen können. Nie und nimmer hatte Aarin diesen Applaus verdient. Wäre er ihr nicht in die Quere gekommen, hätten die Geiseln viel früher gerettet werden können. Sie hatte ihm verziehen. Doch dass er jetzt einen Applaus bekam, machte es schwieriger ihm zu verzeihen.
Aarin schien immerhin in dem Bezug ähnlich wie sie selbst zu denken. Er stand auf um klarzustellen, dass er den Applaus nicht verdient hatte und das er Lola um Entschuldigung bat. Nicht das auch noch, dachte Lola bei sich und verspürte große Lust den Raum zu verlassen. Es war zwar von Aarins Seiten durchaus angebracht gewesen, aber sich öffentlich im Namen aller zu entschuldigen war peinlich.
Nach dem Essen kam er zu ihr an den Tisch um ihr auszurichten, dass die Oberheilerin sie in ihrem Büro sehen wollte. Sie überlegte, ob sie sich verweigern sollte, aber so kam sie ihrem Wunsch wohl am schnellsten nach, diesen Planeten zu verlassen.
Oberheilerin Heran blickte sie durch strenge Augen an, aber sagte nur nette Worte. „Ich will mich bei dir entschuldigen Lola, “etc. etc. Dann erzählte sie weiter:„ Einer der Abtrünnigen ist mein Bruder und ich wollte ihn schonen. Teilweise hatten die Abtrünnigen Recht mit dem was sie taten. Sie wollten die Medaille finden, die diese Welt tatsächlich braucht wenn sie weiterhin stabilen Frieden halten will. Sie befinden sich nun in einem magisch verstärkten Hochsicherheitstrakt in einem Gefängnis. Doch nicht alles, was sie taten war böse.“
„Sie haben sich Geiseln genommen und getötet. Kinder getötet. Ein Mensch der -aus welchem Motiv auch immer -getötet hat, ist nicht gut. All das Gute was er dadurch wirken wollte, wurde durchsetzt. Die Seele dieses Menschen ist kaputt. Er kann in dieser Welt keine Erfüllung mehr finden. Wer tötet ist sich im Klaren, dass er sich nicht mehr in einer unkenntlichen Grauzone zwischen Gut und Böse bewegt. Ihm ist klar, dass er auf der Schwarzen Seite ist.“
„Ich möchte wissen, ob du sonst noch etwas am Herzen hast?“ fragte die Oberheilerin. Anscheinend gefiel es ihr nicht, von einer Siebzehnjährigen eine Moralpredigt zu bekommen.
„Ich möchte in meine eigene Welt zurückkehren. Ich passe nicht mehr hier her und es ist zu viel vorgefallen. In einem halben Jahr habe ich meine Abschlussprüfung an der Schule. Danach bin ich durchaus dazu bereit zu verhandeln ob ich die Zauberausbildung fortsetze oder nicht.“
Die Oberheilerin nickte. „Dein Wunsch sei dir gewährt. Allerdings müssen wir deine Kräfte für diese Zeit bannen. Am besten wir machen das jetzt sofort. Du kannst dir jemanden als Zeugen suchen und ich werde meinerseits die Administratorin rufen. Es ist eine Gesetzesauflage, die wir damit erfüllen.“
Lola nickte und hatte nun doch noch eine Frage. „Warum kann ich beamen und andere nicht?“
Oberheilerin Heran überlegte einen Moment. „Es ist eine Inselbegabung. In einer Konferenz über deine besondere Fähigkeit, haben wir zu dem wahrscheinlichsten Schluss gefunden. Durch Intuition hast du einen Weg gefunden wie man viele Zaubergesetze umgehen kann. Mit der Zeit hast du dich verbessert, hast Gegenstände und viele Menschen auf einmal gebeamt. Vielleicht hat es mit deiner Phantasie und sehr starken Vorstellungskraft zu tun. Vielleicht wirst du in Zukunft zu noch mehr fähig sein.“ Die Frau vor ihr lächelte schwach. „Dafür ist dir eine andere, normalerweise selbstverständliche Form des Zauberns, geradezu unmöglich. Trotz intensiven Flugunterrichts hast du keinerlei Fortschritte gemacht, was deine Federn angeht. Vielleicht ist es ein fairer Tausch. Du kannst andere Menschen durch den Raum schicken, aber dir selbst ist es verwehrt dich auf Magierart fortzubewegen.“
„Ich geh jetzt. Wann treffen wir uns?“
„Du hast zehn Minuten.“
Draußen vor der Tür standen Aarin, Magic, Miracle und Erine. Miracle boxte ihr in die Schulter. „Ich hab dich vermisst, Baby,“ sagte er als Begrüßung, aber er sah irgendwie traurig aus. Erine wirkte wie am Boden zerstört. „Wir haben gelauscht, du gehst also wirklich zurück? Ich kann es nicht fassen.“ Lola wollte darüber nicht diskutieren, ihre Entscheidung war gefallen. „Kommst du mit rein? Ich brauche eine Zeugin dafür, dass meine Kräfte gebunden werden oder sowas.“ Sie sah Erine hoffnungsvoll an. Die anderen wollten auch mitkommen und Lola hatte nichtviel dagegen. Dies war einer ihrer letzten Schritte hier und sie konnte ihn ruhig mit den anderen teilen. Zu bald schon würde sie in ihrem Zimmer in Österreich sitzen und einsam sein. Ein Abschied war immer schwer. Egal wie lange man sich schon auf ihn gefreut hatte.
Die Administratorin kam und sie gingen gemeinsam hinein. Die Oberheilerin öffnete einen Safe und zog ein Buch heraus. „Formeln für Zauber, die zu kompliziert sind um sie aus dem Bauchgefühl heraus zu machen.“ Erklärte sie.
Dann legte sie ihre Hand auf Lolas Kopf. „Die Kraft deines Blutes sei die Gleiche, doch sei sie gefangen hinter eigenen Mauern. Das gilt für den Zauber des Schlags, des Suchens, des Änderns, des Fangens, des Heilens, des Bindens…. .“ sie las noch viele Zauber vor. Viel mehr Zauber als Lola je gehört hatte. Vielleicht waren es alle, die es gab. Ein Netz aus verschiedenfarbigen Strahlen, die aber nicht wie sonst aus Licht zu bestehen schienen, umgab ihren Körper. Sie spürte praktisch wie die Magie in ihrem Blut gefangen wurde. Der Zauber war vorbei und sie versuchte mit ihrem kleinen Finger die Flamme, doch es funktionierte nicht.
Die Oberheilerin blätterte auf die nächste Seite um. „Traditionell ist jetzt der Zauber an der Reihe, der dir die Federn nimmt. Da dir ohnehin keine Flügel gewachsen sind, lassen wir ihn aus. Stattdessen gibt es hier weiter hinten einen Zauber gegen Beschwörungen. Ich nehme an, das ist der Richtige, damit du nicht mehr beamen kannst.
Wieder legte sich ein Netz aus bunten, aber dennoch matt wirkenden, Fäden um sie. Nach einem kurzen Test wusste sie; es waren nun endgültig alle magischen Fähigkeiten von ihr genommen. Fast fühlte sie sich schwach. Vielleicht tat es ihrem Ego gut wieder zu lernen wie man sich fühlte, wenn man rein durchschnittlich war.
„Ich will so schnell weg wie möglich. Ein lange dahingezogener Abschied macht alles nur noch schlimmer.“ Erklärte sie der Oberheilerin, Magic neben ihr zuckte zusammen.
„Morgen früh bei Sonnenaufgang?“ schlug Heran vor und sperrte das Buch wieder in den Safe.
Lola nickte, sie brauchte nur halb so lange um ihre sieben Sachen zu packen. Ihre Freunde begleiteten sie bis zu ihrer Zimmertür. Es fühlte sie ungewohnt an, wieder Aarin, Magic und Miracle dabei zu haben. Sie bat darum alleine zu sein und packte ihre Sachen in ein paar große Taschen die sie sich aus der Küche holte. Die beiden Röcke, die Leggins und die Blusen würde sie Magic zurückgeben und sie bitten, sie für sie aufzubewahren. Falls sie in einem halben Jahr tatsächlich wieder zurückkam, würde sie sie wieder brauchen. Die Bücher legte sie auf einen Stapel den sie nachher in die Bibliothek tragen wollte. Sie packte nur die Sachen ein, die ihr Magic von der Erde mitgebracht hatte, sonst nichts. Es würde schrecklich sein, ohne richtige Erinnerungsstücke heimzukehren. Danach putzte sie das Bad und lüftete durch. Als sie die Bücher in die Bibliothek brachte verfolgten sie viele mit ihren Blicken. Hatte sich die Nachricht schon herumgesprochen, dass sie abreisen würde?
Das Abendessen verlief schweigsam. Eigentlich hätte sie schon den ganzen Tag lang nur am liebsten geheult. Doch es hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Die anderen baten sie dann doch noch diesen letzten Abend gemeinsam zu verbringen und sie lud sie in ihr Zimmer ein. Sie saßen auf ihrem Bett und hörten Musik. Lola fühlte sich durch Aarins Anwesenheit nicht gestört, aber sie fand, dass er nicht in die Runde passte. Er war so groß und so ernst. So unnahbar. Wie hatte es je sein können, dass er sich in sie verliebt hatte? Sie glaubte es ihm inzwischen wieder, dass er sie mochte. Doch erst die Zeit konnte Wunden heilen.
Magic heulte. „Es ist so schrecklich sagte sie.“ Lolas Zimmertür ging auf und auch andere kamen herein. Meli Pu, Milton, Hutun, der zottelige Kilin, Anja, Michen, Anria, Merwem und ein paar andere Erstabschnittler. Sie sagten kaum etwas und wollten nur für sie da sein. Sonst nichts. Es war eine schöne Geste, aber Lola kam sich vor als wäre sie auf einer Beerdigung und sie war heilfroh, als alle wieder verschwanden.
Sie war sich nicht sicher, ob sie in dieser Nacht ein einziges Auge zugedrückt hatte. Meistens war sie rastlos hin und her gegangen und hatte Musik aus dem CD Player gehört. Es dämmerte und sie brachte ihre Habe hinunter in die Eingangshalle und setzte sich auf die Stiege um zu warten, bis die anderen aufwachten. Noch bevor sie irgendjemand aus dem Haus zu sehen bekam, klingelte es an der Tür. Draußen stand das gesamte Nordhaus, alle mit Tränen in den Augen. Enjen sagte, dass er sie begleiten durfte. All die anderen drückte sie heftig an sich. Sie musste selber weinen. Die Oberen grüßte sie mit Respekt und dankte auch denjenigen für ihre Unterstützung, die mit ihr gekämpft hatten. Auch Obermagier Ern zollte ihr Respekt. Frau Beans hatte ihn mit ihrem Auto hergefahren und er saß in einem Rollstuhl.
Die Türen der Gänge öffneten sich und auch das Südhaus war nun auf den Beinen um sie zu Verabschieden. Bei ihrer Ankunft hatte man ein Plakat mit „Willkommen in unserer Welt“ gemalt. Jetzt wurde sie mit „Danke, dass du da warst“, verabschiedet. Sie schüttelte jedem einzeln die Hand oder umarmte sie. Auch die Oberen waren alle da. Es war das erste Mal, dass sie alle Magier der beiden Häuser versammelt sah. Es war nicht nur für sie ein wahnsinnig bewegender Moment, sondern für die anderen auch.
Aarin brachte ein Leintuch. Lola wusste schon wie es weitergehen würde. Enjen, Erine, Aarin, Magic, Miracle, Anja, die Oberheilerin und die Geschichtsprofessorin würden sie zurückbringen. Miracle öffnete ein kleines Säckchen mit Pulver. Lola atmete ein und im nächsten Moment versank sie in unendlicher Schwärze.

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Tag der Veröffentlichung: 27.03.2011

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