Cover

1. Buch
Ich fühle mich sehr zufrieden mit meinem Leben. Manchmal passiert alles genauso, wie man es sich vorstellt. Zum Beispiel, als ich letzte Woche Tennis gespielt habe. Ich war mir beinahe sicher, dass ich gegen Maria und Bernadette gewinnen würde. Danach würde ich gegen Benni verlieren, der inzwischen auch schon die beiden anderen geschlagen hätte. Daraufhin würde er uns allen einen Hot Dog kaufen und wir würden Witze über Kalorien machen. Zum Schluss würden Maria und ich die anderen zum Doppel herausfordern, die beiden würden gewinnen und dann wild herum knutschen.
Naja, es ist dann zwar nicht genauso gewesen, aber eben beinahe. Es kann aber auch sein, dass im Leben etwas Unerhörtes passiert; etwas, was man nie erraten hätte. Manchmal sind es sehr schreckliche Dinge, manchmal auch sehr schöne. Zum Beispiel wenn man sich so richtig verliebt. Manchmal fühlt man sich auch von etwas überrumpelt und weiß nicht mit der Situation umzugehen. All diese unerwarteten Dinge lassen einem aus dem Alltag hochschrecken, sie bringen einem bei, intensiver zu Leben. Sie formen den Menschen um, man fühlt direkt, wie man sich verändert. Kann schon mal vorkommen. Doch was ich mir nie träumen hätte lassen, ist, dass sich mein Leben sosehr verändert, dass ich mich manchmal noch frage ob das wirklich noch ich bin und mir schwindelt, wenn ich an die Zukunft denke.
Das Wichtigste in solchen Situationen ist, dass man Freunde an seiner Seite weiß. Vielleicht sogar.. naja, lest selbst.
Kapitel 1-Ferien
Maria lehnte mit einer Hand ihr Rad an die Hausmauer und balancierte mit der anderen zwei Tüteneis. „Schnell! Renn!“ schrie sie und Lola ließ die Gießkanne fallen, um ihr zu Hilfe zu eilen. Sie nahm ihrer Freundin die Eiscremes ab, die schon schmolzen und schleckte einmal rundum. „Du hast dein Versprechen eingehalten, jetzt bin ich an der Reihe“, sagte Lola, und winkte sie ins Haus. Drinnen war es kühler als draußen und auch die Luftfeuchtigkeit war nicht so hoch. Es war Anfang August und der lang ersehnte Regen war endlich in Anmarsch. Heute Nachmittag würde es bestimmt ein Unwetter geben, wie die dicken, schwarzen Wolken am Himmel verrieten. Lolas Zimmer war im Erdgeschoß, aber auf der anderen Seite des Hauses. Jetzt wo Sommer war, kletterte sie gerne durchs Fenster ein und aus. Mit Eiscreme in der Hand war das zu gefährlich und so nahm sie den Weg durch den Flur, neben dem Hobbyraum vorbei. Neben dem Computer lagen die frisch gebrannten CDs mit Balladen, die sie gerne hörten. „Hier“, sie steckte die Hüllen in einen kleinen Sack und überreichte ihn Maria. „Eis gegen CDs . Dealen ist eine schöne Sache. Vor allem wenn die Bezahlung stimmt.“ Sie lachten und ließen sich auf dem bunten Sofa nieder.
„Wo ist deine Mama?“ fragte Maria und eine ihrer kurzen krausen Locken löste sich aus dem Haarreifen und stand nun senkreckt vom Kopf ab. „Einkaufen. Und zwar Eiscreme, du warst nicht die einzige, die ich angebettelt habe.“ Lola fixierte die Locke ihrer Freundin. Sie beneidete sie um ihre Haarpracht. Ihr eigenes Haar war weder richtig glatt noch lockig, also irgendetwas dazwischen, was ihrer Meinung nach sehr unglamourös aussah. Heute war jedoch kein Tag, um sich über etwas zu ärgern. Sie steckten mitten in den Sommerferien, die vielleicht die letzten ihres Lebens waren. Ab Herbst würden sie schon die achte und letzte Klasse des Gymnasiums besuchen, die sie mit Matura beenden würden. Was danach kam, wusste Lola noch nicht. Vielleicht würde sie Krankenschwester werden, vielleicht aber auch nicht. Sie hatte ja noch Zeit um zu überlegen.
„Hast du das Anmeldeformular schon ausgefüllt?“ fragte Maria und zog ihr eigenes aus der Tasche. „Gewinnen Sie ein Auslandssemester an der East End High in San Francisco und machen Sie sich bereit für die Zeit Ihres Lebens. Lösen Sie das Kreuzworträtsel und tragen Sie das Losungswort im Formular links unten ein. Füllen Sie die Kästchen mit Stern davor aus, und geben Sie es mit der Kopie ihres letzten Zeugnisses im Rektorat der Schule ab. Beachten Sie, dass Sie die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten wie auch dreier Professoren brauchen, und vergessen Sie nicht, die Kopie ihres Passes beizulegen. Mit freundlichen Grüßen, ihre A.O. Organisation für Studien- und Schulbedingte Aufenthalte im Ausland.“
Lola schüttelte ihren Kopf und wischte sich die Finger ab; sie hatte ihr Eis fertig aufgegessen und nun waren ihre Hände klebrig. „Kein Verlangen. Selbst wenn ich die Vorbereitung für die Matura nicht bräuchte; was soll ich in Amerika?“
„Eine andere Kultur kennen lernen?“ fragte Maria und schielte auf ihr bereits ausgefülltes Formular. „Komm schon, mach mit. Wenn du es gewinnst, kannst du das Stipendium an mich weiterschenken, bitte!“ Sie zückte einen Kugelschreiber aus ihrer Tasche und Lola verdrehte die Augen. Na gut. Es konnte ja nicht schaden. Ihr Leben war (fast) perfekt und sie wollte es mit niemand tauschen und brauchte auch den Kick, ins Ausland zu gehen, nicht. Aber Maria würde sich freuen, wenn sie nicht alleine alle Lehrer abklappern musste, um sie um Unterschriften zu bitten…
Lola füllte das Formular aus und suchte nach ihrem Pass, weil sie dessen Nummer brauchte. Die Mappe, in denen sie ihre wichtigsten Dokumente aufbewahrte, lag in der untersten Schublade ihrer Kommode. Sie war dreckig, obwohl sie von Staub geschützt war; es klebte ein wenig Erde darauf. Lola wischte den Dreck mit einem Taschentuch weg und langte nach ihrem Reisepass. Das Foto war alt und zeigte ein rundes Gesichtchen mit einem schüchternen Lächeln. Das dicke lange Haar war mit einem Band nach hinten gebunden, wie auch heute. Sie trug es zwar nicht mehr so lange, wie sie es als Kind getragen hatte, aber auch nicht mehr so kurz wie vor einem Jahr, als sie die Idee mit den Stirnfransen und dem kurzen Pony gehabt hatte.
Staatsbürgerschaft: Österreich, Geburtsdatum: 27.Feburar 1994, Eltern: Susanne Mur und Jorge Torres, Besondere Merkmale: keine.
Ihr Reisepass wusste nicht viel über sie. Weshalb sollte er auch mehr wissen? Ihren Musikgeschmack, ihre Lieblingsfilme, ihre Hobbys… Die Bezirkshauptmannschaft hatte keinen Grund gehabt, nach ihren Eigenschaften und Vorlieben zu fragen; so etwas interessierte nur Freunde.
„Wir werden beobachtet“, sagte Maria. Ein Vogel spazierte das Fensterbrett entlang und hinterließ erdige Fußabdrücke. „Ist es eine Amsel?“
„Haben Amseln nicht orange Schnäbel? Es muss eine Krähe sein.“ Lola kannte sich mit Vögeln nicht sehr gut aus, aber zwischen den kleinen Rotkehlchen und Finken, den dicken Elstern, Krähen und Amseln konnte sie unterscheiden; sie hielten sich gerne in ihrem Garten auf, weil sie –anders als die Nachbarn-keine Katzen hatten. Ihr einziges Haustier war ein grauer Hase, der Schnuppi hieß, uralt war und überaus scharfe Krallen hatte. Mit anderen Hasen vertrug er sich schlecht und deswegen musste er sein Dasein alleine fristen. Damit er sich nicht so langweilte, fütterte und besuchte sie ihn jeden Tag mindestens dreimal. Er war das einzige männliche Wesen im Haus, weil Lolas Vater schon seit vielen Jahren wieder in seinem Heimatland in Südamerika lebte. Sie konnte sich kaum noch an sein Gesicht erinnern und hatte auch keinen Kontakt mehr zu ihm. Vielleicht würde sie ihn einmal besuchen fliegen, wenn sie mit der Schule fertig war.
Die beiden Mädchen hörten die Haustüre aufgehen und halfen Frau Mur ihre Einkäufe zu verstauen. Sie hatte Tomatensauce im Glas und Spargel mitgebracht. „Hast du auch ein neues Müsli gekauft?“ Lola hatte in der Früh Lust darauf gehabt und es hatte weder Cornflakes noch Jogurt gegeben.
„Nein, wieso? Wir haben doch noch genug Vorrat.“ Frau Mur öffnete den Vorratskasten und überprüfte mit strengem Blick die vorhandenen Mengen an Zucker, Mehl, Nudeln, Konservendosen und Marmeladengläsern. „Tatsächlich, kein Müsli mehr.“ Susanne machte sie eine Notiz auf den Einkaufszettel für den nächsten Tag und öffnete eine Dose mit dreierlei Eissorten und eine Packung Kekse.
Keine der drei Frauen bemerkte den dicken schwarzen Vogel, der durch den Gazevorhang des Küchenfensters spähte und eine Haselnuss hinunterschluckte. Im Garten unter ihm stritten sich zwei andere ebenso imposante Vögel um das, was in dem offenen Müslisack noch übrig war; Haferflocken, Cornflakes, Nüsse und Trockenfrüchte.
„Was habt ihr die nächsten Tage vor?“ fragte Susanne Mur und ihre Tochter zuckte mit den Schultern. „Kino, Freibad, Eis essen, in die Stadt fahren… Das Übliche.“ „Am Freitag holen wir Benni und Bernadette vom Flughafen ab. Und wenn mein Ferienjob zu Ende ist, werden wir gemeinsam ein Wochenende Rad fahren gehen“, ergänzte Maria. Sie hatte die letzten Tage damit verbracht, im Internet die besten Radrouten und Campingplätze in der Umgebung auszusuchen.
Lola und Maria machten noch einen langen Nachmittagsspaziergang und sahen sich einen Action Film an. Maria schlief bei ihr und sie gingen verhältnismäßig früh zu Bett, weil ihre Freundin für den Ferienjob als Büroassistentin früh aus den Federn musste. Sie tratschten noch eine Weile über Dieses und Jenes und schliefen dann ein. Draußen wehte ein kühler Nachtwind und brachte Entspannung nach dem so heißen Tag. In der Dorfdisco hörte man noch lange nach Mitternacht Musik, zu der die Jugendlichen tanzten und Spaß hatten. Es war ein perfekter Ferientag und so durfte es ruhig noch ein paar Wochen weitergehen, bis die Schule wieder begann. Lola träumte, wie sie mit ihren Freunden neben einem Fluss entlang radelten und so schnell fuhren, dass sie alle Autos und Schiffe überholten. Nichts wies darauf hin, dass der nächste Tag der Beginn eines unglaublichen Abenteuers werden sollte. Ein Abenteuer so groß, dass es keine Hollywood Geschichte gab, die auch nur annähernd so spannend und aufregend war…

Kapitel 2-Begegnung

Er sah sie, als sie die kleine Brücke überquerte.

Sie rannte, - oder besser- sie joggte den kleinen, nicht ganz ausgetretenen Pfad entlang und betrachtete die kleinen Wassertröpfchen, die auf den abgeknickten Grashalmen unter ihr hingen. Da die Sonne ihre Strahlen drauf warf, glitzerten sie und zauberten ein Lächeln auf ihre Lippen, zwischen denen in kurzen Abständen mit einem leisen Keuchen Luft hervor strömte. Eine halbe Stunde war sie schon unterwegs und fand, dass es Zeit zum Umkehren war, obwohl sie noch gerne weiter gerannt wäre. Sie konnte sich einfach nicht überreden, dem Wäldchen und den Nebelschwaden vor ihr den Rücken zu zuwenden, dafür war es viel zu kitschig und außerdem genoss sie es, bergab zu laufen. Hinein in den leichten Nebel, der sich hier in der Mulde auszuruhen schien und in kleinen Schlieren herumwanderte. Gleich würde sie über die provisorische Brücke laufen, zwei Bretter die beide nicht besonders vertrauenswürdig wirkten, und die nassen Blätter ins Gesicht bekommen. Links und rechts von dem kleinen Wasserlauf standen hohe Sträucher und Büsche wodurch der Bach wie eine Grenze zu dem kleinen Zauberland mit dem Wäldchen und den Nebelschwaden wirkte. Auf der Brücke war sie nun am tiefsten Punkt der Mulde und würde wieder leicht bergan laufen müssen, schade.
Da sah sie ihn. Oder eher; da sah sie etwas. Irgendwas am Waldrand passte nicht, da bewegte sich etwas, etwas Graues.
Sie musste ihn auch gesehen haben, da sie plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. Er bildete sich ein, sie hören zu können, wie sie nach Luft schnappte und leise schrie, als sie sich umdrehte um wieder über die Brücke zu laufen. Er seufzte. Sie blieb wieder stehen und blickte über die Schulter zurück um zu sehen ob sie sich ihn nur einbildete. „Nein, tust du nicht“ murmelte er leise und trat einen Schritt vorwärts um ihr zuzuwinken. Zum Glück hatte sie sich schon wieder umgedreht um schnell weiterzulaufen, seine Geste hätte sie sonst erschreckt.

Das Blut pochte in ihren Schläfen als sie hastig über die Brücke lief. Raus aus diesem blöden verwunschenen Zauberreich; es machte ihr Angst. Auf der anderen Seite des Baches fühlte sie sich sicherer, gleich würde sie auch aus dem Nebel draußen sein und in einer halben Stunde würde sie zuhause unter der Dusche stehen. Sie hatte sich dieses graue Etwas nur eingebildet, oder ihre Augen hatten ihr einen Streich gespielt. Vielleicht war es auch ein Schild oder ein Hochstand gewesen, obwohl, dergleichen hatte sie hier in den letzten 17 Jahren nie bemerkt und sie kam oft hierher.

Schnell hängte er seinen grauen Mantel auf den Ast neben sich, um im Gestrüpp beweglicher zu sein. Miracle würde ihn schon finden und für ihn mitnehmen. Er wusste, dass sie sich noch öfters umdrehen würde um sicher zu gehen, dass sie sich ihn nur eingebildet hatte und ihr niemand folgte, doch bis zum Bach konnte er ohne gesehen zu werden mit voller Geschwindigkeit laufen. Dann würde er sich links halten, durch das Maisfeld laufen und sie am anderen Ende abfangen.

Bald würde sie auf die asphaltierte Straße stoßen, links abbiegen und zwischen der Baumreihe und dem Maisfeld, das sie gerade umrundete, dahinlaufen. Sie war schneller als sie sich anfangs zugetraut hatte und lächelte der Sonne entgegen, die den Schrecken von vorhin vergessen ließ.

Es würde ein heißer Tag werden, die Augustsonne stand schon hoch genug um ihn trotz der vielen Pflanzen zu blenden. Leicht gebückt bahnte er sich einen Weg durch das Maisfeld und verlor zu viel Zeit, als ihm lieb war. Er kam zu spät, mit Magie wäre er schneller gewesen. Seufzend setzte er die Verfolgung fort.
Schnell bog sie in die Gasse ein, in der sie zuhause war. Das Haus leuchtete blendend weiß in der Morgensonne und die Blumen in den Kisten unter den Fenstern reckten ihre Kelche gierig aus um die Sonnenstrahlen zu trinken. Bald würden sie von ihrer Mutter, die man anhand ihrer Blumen charakterisieren konnte, so fröhlich bunt und lebenslustig war sie, gegossen und gepflegt werden. Sie umrundete das Haus um sich mit dem Gartenschlauch abzuduschen, ihr Top und die kurze Hose waren trotz der anfänglichen Morgenkälte durchgeschwitzt und konnten die Dusche genauso gut vertragen wie sie selbst. Doch zuerst würde sie trinken, ihre Kehle war schon ganz trocken.

Er wartete, bis sie sich von Kopf bis Fuß fertig abgespritzt hatte. „Hallo!“ Er lächelte, bemühte sich, sein Lächeln vertrauenswürdig wirken zu lassen und beschloss erst einmal ihre Reaktion abzuwarten. Ihre Familie würde heute lange nicht aufwachen, auch nicht wenn sie schrie, dafür war gesorgt. Es war Magics Aufgabe, die in genau diesem Moment damit beschäftigt sein sollte, Lolas wichtigste Sachen zu packen. Lola war der Name des Mädchens, das ihn gerade mit großen, blaugrauen, angsterfüllten Augen anstarrte und das Wasser aus dem Schlauch auf ihren linken Fuß laufen ließ. Die Schuhe hatte sie sich ausgezogen. In vollem Namen hieß sie Monika Mur. Wie sie auf den Spitznamen Lola gekommen war, wusste er nicht. Die E-Mails an ihre beste Freundin unterschrieb sie mit „Lila“. Dank dieser E-Mails wusste er über ihre Probleme, Sorgen, Gedankengänge und Wünsche, aus denen er viele Schlüsse über sie gezogen hatte um sich ein Bild von ihr zu schaffen. Ein Bild von einem sehr interessanten, starken Menschen, der viel mehr Talente und Fähigkeiten besitzt als er nach außen hin zeigt- und ein bisschen verwirrt ist. Ihr kurzer Pferdeschwanz hatte sich aufgelöst und einige braune Haarsträhnen klebten aufgrund des Wassers in ihrem roten, dunklen Gesicht. Sie wirkte so erfrischend normal.

Lolas Hände zitterten, ihre Beine auch. Alles an ihr zitterte und sie wusste, dass das nicht an der kalten Dusche oder am Unterzucker lag, den sie regelmäßig bekam, wen sie zu schnell und zu früh am Morgen lief. Das Wasser klebte ihre Augen zu und die Haare hingen ihr ins Gesicht, sie konnte nicht richtig sehen, konnte sich nicht bewegen und einen Hilferuf brachte sie auch nicht zustande. Hätte sie nicht so gezittert, hätte sie das Gefühl gehabt, als wäre sie zu Eis erstarrt. Das Einzige, was noch funktionierte, war ihre überaus ausgeprägte Fantasie was Horrorgeschichten und ähnliches betrifft. Es kamen ihr Bilder aus Zeitungen, Filmen oder ihren eigenen Tagträumen in den Sinn, die ihr nicht gerade aus ihrer Panik heraushalfen und es ihr schwer machten, logische Gedankengänge zu bilden.

Er beobachtete sie interessiert und konnte förmlich sehen, wie sie ihre Gedanken auseinanderklaubte und versuchte, ihre Lage einzuschätzen. In den letzten Wochen in denen er sie beobachtet hatte, hatte er sie lieb gewonnen und er freute sich schon auf den Augenblick, in dem er endlich vernünftig mit ihr reden konnte und sie ihr berechtigtes Misstrauen überwunden hatte. Doch das würde noch dauern… Sie wischte sich die Haare aus der Stirn und blinzelte um die Wassertröpfchen loszuwerden, die in ihren Wimpern hingen. Ihr Zittern hatte ihn erschreckt, weil er nicht damit gerechnet hatte. Sie wirkte so hilflos, eben menschlich und er hätte sie gerne in den Arm genommen, wenn er nicht genau gewusst hätte, dass dies sie nur noch mehr schrecken würde. Doch inzwischen hatte sie sich schon ein wenig gesammelt und drehte den Wasserhahn ab, legte den Schlauch weg und ging Richtung Gartenbank. Er folgte ihr. „Ich heiße Aarin“, sagte er und vertiefte sein Lächeln. Es war ein aufrichtiges Lächeln und er genoss es, hier zu sein. Schließlich hatte er sich schon lange darauf gefreut, sich ihr vorzustellen. Er fand es schade, dass sie nicht genau so glücklich war wie er und sich vor ihr fürchtete. Es gab ihm das Gefühl, dass er etwas Falsches tat und das tat er ja nicht. Es war notwendig und er war froh diese Aufgabe bekommen zu haben, weil sie ihm Spaß, Spannung, Ruhm und Erfahrungen brachte. Ein kurzer Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass er sich beeilen musste, so gerne er ihr noch etwas mehr Zeit gelassen hätte „Ich will dir nichts Böses! Ehrlich!!“ Er streckte seine Hand nach der Ihrigen aus.
„Lola..ähm…hi.“ Sie wusste genau, dass sie wie immer überreagiert hatte und dass dies die Bestrafung für die vielen Fantasiebücher und Filme waren, die sie sich immer vorm Schlafengehen reinzog. „…Sorry… Es wäre wohl klug gewesen, einfach zu fragen was Sie von mir wollen.“ Ein wenig beschämt blickte sie auf ihre verspannten Füße, lächelte nervös und fühlte ihr Gesicht noch röter werden als es schon war. „Ich bin etwas überängstlich und lese eindeutig zu viel Fantasy.“
„Ich weiß.“ Natürlich wusste er das, es war schließlich einer der Hauptgründe weshalb er sie ausgewählt hatte. „Ich weiß viel über dich, Lola. Zum Beispiel, dass du gerne ein Austauschjahr in San Francisco machen möchtest. Was würdest du sagen, wenn ich dich stattdessen in meine Heimat einlade? Sie heißt Ninina und liegt nicht weit von hier entfernt.“
Lola bemühte sich gesammelt zu wirken und all die verwirrenden, erschreckenden Gedanken in ein Hinterstübchen ihres Gehirns zu verdrängen, während sie versuchte logisch zu denken. Er war groß, war älter als sie selbst, und sicher zehnmal stärker, und schneller. Er war ein irrer Stalker und faselte unverständliches Zeug, was ihr Angst machte. Entsetzt starrte sie ihn an, einen Augenblick später schrie sie. Sein Gesicht war schön und freundlich. Und seine Augen waren lila.

Kapitel 2-Fragen

Als sie allmählich, ganz behutsam und langsam aus dieser unendlichen Schwärze erwachte wusste sie noch genau, was geschehen war. Sie wusste, dass das letzte, was sie gesehen hatte, diese mattvioletten Augen waren und dass der dazugehörige Mensch Aarin hieß und ihr ein Pulver ins Gesicht geworfen hatte. Sie ahnte, was danach gekommen war. Er hatte sie gekidnappt und wenn sie die Augen jetzt aufwachen würde, würde sie in genau jene Augen blicken.
Es wurde heller um sie herum. Ihre Gedanken waren klar und dennoch wie in Watte gebettet, ähnlich verschwommene Meldungen bekam ihr Gehirn auch von den Sinnesorganen. Es war, als hätte dieser Aarin sie in Watte eingewickelt und an einen geheimen Platz gelegt. Dieser vermeintliche Wattekokon drückte ihr die Augen zu und ließ auch die Geräusche nur gedämpft zu ihr hindurch. Wenn sie nicht alles täuschte, waren es sogar Stimmen. Aarin war also kein Einzeltäter. Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, konnte sie noch nicht sagen.
Jemand leuchtete ihr mit einer Taschenlampe ins Gesicht. Sie kniff die Augen so fest sie konnte zusammen und versuchte sich auf die Seite zu drehen, woraufhin sie mit dem Kopf gegen etwas Hartes, Kratziges stieß.
Sie spürte wie jemand ihren Kopf fest zwischen die Hände nahm und hätte gerne nach diesen Händen gebissen, wenn sie in der Lage gewesen wäre, ihren Kiefer auch nur einen Millimeter zu bewegen.
Während sie wartete, bis die schwarzen Sterne verschwanden, versuchte sie Aarins Stimme herauszuhören. Es war leicht sie herauszufiltern. Er zankte sich gerade mit der Person, die ihr in die Augen geleuchtet hatte.
„Du hättest daran denken müssen, dass sie aufwachen könnte!“ Seine Stimme klang trotz der Aufregung fest, stark und beruhigend. Er hatte ein graues Shirt und eine schwarze Sporthose getragen. Sein Gesicht war glatt rasiert gewesen und seine braunen Haare verwuschelt. Sie schätze ihn auf zwanzig Jahre. Genauso jemanden hätte sie immer schon als Gegenstück zu sich selbst gebrauchen können. Mit leichtem Bedauern erinnerte sie sich daran, dass er ein Krimineller war. Gerade die Gabe, mit seinem Blick und seiner Stimme beruhigen zu können, zeichnete ihn als besonders gefährlich aus.
„Es wäre gut gewesen ihr noch mehr Zeit zu geben, die anderen sind ohnehin noch nicht da. Hier im Wald wird sie sich doch nur umso mehr fürchten!“ Aha. Es gab also noch mehr von ihnen. Die Frage wozu man so viele Menschen braucht, um ein einziges überängstliches Mädchen zu entführen, konnte sie sich selbst nicht beantworten. Und sie war in einem Wald. Sie war ein Naturmensch und fühlte sie sich in Wäldern wohl, doch nun spürte sie wie die Panik wieder Besitz von ihr ergriff; Wälder waren gut um Leichen zu verstecken. Diesmal war es eine andere Stimme die ihre Aufmerksamkeit auf sie zog: „Vielleicht ist es sogar eine gute Idee, ihr etwas von der Wahrheit anzuvertrauen, solange die anderen noch nicht da sind. Außerdem kennt sie diesen Wald und dankt es uns später, dass sie Zeit hatte sich von dieser Umgebung zu verabschieden.“ Als ihr klar wurde, dass es ein „später“ gab und mit dem Wald vermutlich ihr Zauberwald gemeint war, ebbte die Panik wieder ein bisschen ab.
Ihr Kopf brummte noch ein klein wenig, doch geistig fühlte sie sich hellwach. Sie war sich nicht sicher, ob es besser war ihre Entführer im Glauben zu lassen, dass sie wieder ohnmächtig geworden war, oder ob sie sich ihrem Schicksal gleich stellen sollte. Da noch immer jemand ihren Kopf fixierte- und sie ahnte wer es war- zog sie den Schluss, dass von ihr erwartet wurde aufzuwachen. Sie würde nicht zulassen, dass man mit ihr spielen würde, schließlich waren dieser Aarin und seine Komplizen kriminelle Mistkerle.
Eins, zwei, drei- Sie öffnete die Augen. Über ihr waren die dunklen Äste eines Baumes, der so groß wie ein Urwaldriese war. Um sie herum knieten drei Menschen.
Die Stimmen der Entführer verstummten und Aarin streichelte ihr Haar. Sein Gesicht war scharf geschnitten und freundlich. Sein T-Shirt war feucht. Er musste sie in den Armen bis hier her getragen haben; ihre eigene Kleidung war noch ganz nass von der Dusche. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie in eine Decke gehüllt war und kam zu einem Entschluss, den Gefühl und Logik gleichermaßen zuließen: Die drei Personen wollten ihr zumindest im Moment nichts Böses.
Sie versuchte sich von Aarin´s Augen loszureißen. Wie konnte ein Mensch nur so ungewöhnliche Augen haben, die zugleich unendliche Ruhe als auch Freude ausstrahlten? Die beiden anderen Personen waren ein junger Mann, wie Aarin so um die zwanzig Jahre alt und ein Mädchen in ihrem eigenen Alter. Auch sie hatten ungewöhnliche Augen: Die des Mädchens waren rosafarben waren und die des Jungen grün. Sie trugen beide schwarze Sportkleidung, wobei das Mädchen einen breiten gepunkteten Gürtel trug.
„Hallo!“ grüßten die beiden gleichzeitig und grinsten ihr zu. Dann war wieder Schweigen und jeder wartete darauf, dass es von jemandem gebrochen wurde. „Das sind Magic und Miracle“, stellte Aarin sie vor. Miracle war der Junge, der nicht ganz so muskulös wie Aarin war und dessen blondes Haar wie Igelstacheln von seinem Kopf abstanden. Das Mädchen, Magic, hatte lange braune Haare und sie zu einem großen Dutt auf dem Hinterkopf zusammengebunden. Sie hatte einen fröhlichen Gesichtsausdruck und die rosa Augen machten ihr Gesicht weicher als es war.
Lola versuchte es nicht wie eine Beschwerde klingen zu lassen, sondern wie eine nüchterne Feststellung. „Mir ist kalt.“ Aarin gab Magic, einen bedeutungsvollen Blick. Das Mädchen streckte sich und zog hinter einem Busch einen Rucksack hervor
„Ähm…hier wären die Sachen“ klang ihre weiche Stimme.
„Ähm ja, denken. Umziehen. Vor ihnen.“ Lola blieb ein wenig ratlos stehen und überlegte- so gut überlegen ging- ob sie die ihr hingestreckten Sachen entgegennehmen sollte. Es waren Kleidungsstücke aus ihrem Gewandkasten, also war Aarin auch in ihrem Haus gewesen. Oder sie, das Mädchen, hatte die Sachen gestohlen, obwohl „gestohlen“ nicht der richtige Ausdruck dafür war, schließlich bekam sie die Sachen ja zurück. Vielleicht waren noch andere Menschen mit bunten Augen in ihrem Haus gewesen oder waren noch in ihrem Haus.
„Meine Mutti…“ begann sie, doch sie wurde sofort von Aarin unterbrochen.
„Es geht ihr gut, du brauchst dir um sie keine Sorgen zu machen. Eher um deine Gesundheit, also nimm deine Sachen und zieh dich da drüben hinter den Brombeersträuchern um. Und noch was; wegrennen bringt nichts.“ Er drückte ihr das Gewand in die Arme und schubste sie mit sanfter Gewalt in Richtung Brombeersträucher.
Ohne umzublicken, stolperte sie steif um die Sträucher herum, wobei ihr ein paar Dornen in die Quere kamen und ihre Beine ritzten. Sie streifte ihre nassen Sachen ab, wobei der lose Knopf einer Hosentasche abriss und in das hohe Gras zu ihren Füßen fiel. Lolas Puls beschleunigte sich wie schon so oft an diesem Tag; vielleicht würde der Knopf von Polizeihunden gerochen. Nein, das war zu unwahrscheinlich. Knöpfe riechen nicht. Sie musste noch etwas anderes hinterlassen; ihren Plüschschlüsselanhänger den sie am Gürtel befestigt hatte. Es war ein sehr kleiner, verfilzter Bär, der ein abgeknautschtes T-Shirt trug, auf dessen Vorderseite ein winziges Foto gedruckt war, welches sie und ihre beste Freundin Maria zeigte.
Sie drückte ihm einen Kuss auf den Kopf und einen auf den Bauch, der ihrer Freundin galt, und stakste nun trocken, aber trotzdem noch mit klammen Gliedern, um den Strauch herum.
Drei Paar komischer, freundlicher Augen ruhten auf ihr.
Mona ließ sich auf den weichen, ein wenig feuchten Moosboden sinken und winkelte die Knie an. Aarin, Magic und Miracle kamen ein paar Schritte näher und setzten sich in einen kleinen Halbkreis vor sie. Das Mädchen lehnte seinen Kopf auf die Schulter Aarin´s ohne die Augen von ihr zu wenden. Es war wie selbstverständlich, diese Geste gab Lola einen kleinen Stich ins Herz, den sie schnell wieder verdrängte, die beiden waren ein Paar.
Ein Geschwisterpaar, wie sich herausstellen sollte.
Lola war noch immer ein wenig nervös, aber gleichzeitig fing die Situation an sie zu nerven und sie ergriff das Wort.
„Okay, ich will Erklärungen. „Ihr dürft mir ruhig erzählen was ihr mit mir vorhabt. Schließlich wird es ja wahrscheinlich mein ganzes Leben beeinflussen und für immer verändern und, falls ich es noch nicht erwähnt hab, meine Persönlichkeit wird sich jetzt schlagartig verändern und ich werd in den nächsten zehn Minuten zum Mörder mutieren wenn ihr mich weiterhin mit eurem blöden Lächeln anstarrt und außerdem,“ sie schöpfte Luft „habt ihr kein Recht mich einfach hierher zu bringen und gefangen zu halten. Aber wehe jemand fängt mit dieser Ninina Scheiße an.“ Sie hatte sich an die seltsame Ortsbezeichnung erinnert, die Aarin als sein Zuhause angegeben hatte. Es war ein Codename und sie wollte wissen, was damit wirklich gemeint war.
Der, von dem sie glaubte, dass er Miracle hieß, lächelte belustigt und hatte gleichzeitig die Augenbrauen zusammengezogen. Magic wirkte verwirrt und Aarin blickte ihr ernst in die Augen.
Sie war knapp davor, durchzudrehen. Niemand machte sich die Mühe ihr etwas zu erklären, oder ihr wenigstens zu sagen, sie solle leise sein und nicht so viel Mist daherreden. Anscheinend waren sich die drei selbst nicht im Klaren darüber, was sie mit ihr vorhatten. Jeder hatte einen anderen dummen Gesichtsausdruck aufgesetzt und… Ihre Gedanken gingen wieder einmal kreuz und quer und überschlugen sich. Ihr wurde alles zu viel.
Sie schnitt Miracle, Aarins Blick wollte sie nicht mehr begegnen, eine Grimasse und zischte mit vor Wut leicht bebender Stimme: „Fein, dann geh ich jetzt.“ Kaum war sie aufgesprungen, saß sie auch schon wieder im Gras, die beiden Jungen hatten sie sofort wieder niedergedrückt.
„Wir sind schneller und stärker als du.“ erklärte ihr Aarin überflüssigerweise. Dass er sie schon die ganze Zeit über wie ein verständnisloses Kleinkind behandelte, brachte Lola zur Weißglut.
„Ach nein. Hätt ich jetzt wirklich nicht gedacht. Und ihr seid auch noch klüger und gemeiner und bescheuerter und….“ Es war ihr komplett gleich wie viel Blödsinn sie von sich gab und ob diese komischen Menschen mit den bunten Augen glaubten, dass sie verrückt war.
Sie stand auf, war kurz überrascht darüber, dass sie niemand niederdrückte, überlegte kurz in welche Richtung sie gehen sollte und entschied sich für links. Sie stolzierte auf unsicheren Beinen direkt neben den Jungen vorbei und ging schnurstracks weiter ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.
Ein, zwei Minuten war sie sich unsicher. Es war komisch, wieso folgten sie ihr nicht. Niemand rief ihr nach, oder lief ihr hinterher.
Doch eigentlich war es ganz einfach. Die Bunteaugenmenschen existierten nicht mehr, es hatte sie nie gegeben. Sie wollte nicht mehr denken. Das war zu anstrengend. Der Wald roch wunderbar; einfach nach Wald. Die ganze Welt erschien ihr so unglaublich simpel, man brauchte nur zu fühlen und zu riechen und aufzupassen, dass man nicht stolperte.
Lola hatte keine Ahnung, in welche Himmelsrichtung sie ging, doch sie würde schon nach Hause finden. Vor ihr wurde es lichter, sie war gleich beim Waldrand angelangt.
„Verdammt“. Sie war ausgerutscht und ihr Gewand war nun voller Nadeln und Erde. Nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte, putzte sie sich kurz ab und tat so, als hätte sie sich nicht wehgetan. Ihr Knie schmerzte, weil es auf einem spitzen Stein aufgeschlagen war. Der Schmerz gab ihr das Gefühl wieder ein bisschen mehr zu Sinnen zu kommen. Sie grinste noch einmal kurz und trat aus dem Wald hinaus in den Sonnenschein.
„Hey! Ähm, kommst du zurück?“ Miracle war ein paar Meter weiter rechts von ihr aus dem Dickicht herausgetreten.
„Ich genieße lieber den Sonnenschein, musst du wissen!“ antwortete sie, während sie mit einer Hand ihre Augen beschattete und einen Vogel interessiert beobachtete.
„Aber du magst doch den Wald! Außerdem ist es schon viel zu heiß!“
„Ich finde Sonne toll!“ Um ihre Aussage zu unterstreichen, streckte sie die Arme weit von sich und drehte sich einmal auf dem Absatz im Kreis.
„Pass auf, sonst fällst du gleich wieder hin“ war seine trockene Antwort. Er trat einen Schritt auf sie zu.
Oh toll, sollte sie sich jetzt schämen, dass er sie dabei beobachtet hatte, als sie hingefallen war? Nein. Sie grinste lieber, stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich den Sonnenstrahlen entgegen.
„Genug Sonne getankt?“ Miracle nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich in das kühle Reich des Waldes. „Du bist ja noch verwirrter, als ich dachte“, meinte er und blickte sie von der Seite her schief an.

Kapitel 3-Neues

Aarin schnippte eine Ameise zur Seite. Davon gab es in diesem Wald wirklich viel zu viele. Sie alle wurden jetzt von dem süßen Duft des Honigs und von dem Zucker in der Marmelade wie magisch angezogen. Die Butter hatte noch die genau richtige Konsistenz und das Frühstück sah alles in allem recht appetitlich aus. Magic kramte aus einer der Taschen noch Servietten heraus, sie dachte wirklich immer an alles.
Während er Miracle geschickt hatte, um Lola zurückzuholen, wenn sie sich halbwegs beruhigt hatte, hatte er Kontakt zu dem Abholkommando und den Auftraggebern hergestellt. Sie sollten sich keine Sorgen machen und noch circa 20 Minuten warten, um Lola noch mehr Zeit zu lassen. Zuviel auf einmal war nicht gut für sie.
Eigentlich kam er sich dem Mädchen gegenüber ziemlich fies vor. Für ihn war es eine Ehre, diesen Auftrag auszuführen. Es hatte ihm so richtig viel Spaß gemacht, Information über sie zu beschaffen und die Entführung vorzubereiten. Er hatte sich schon darauf gefreut, sie in seine Welt mitzunehmen.
Er hätte niemanden besseres ausfindig machen können, als Lola. Sie liebte die Natur, liebte Fantasygeschichten, hatte einen guten und starken Charakter, wünschte sich Abenteuer und hatte jede Menge Magie im Blut. Er war sich noch immer sicher, dass auch ihr die ganze Geschichte Spaß machen würde. Doch trotzdem wäre es fairer gewesen, sie selbst entscheiden zu lassen, ob sie mitkommen wollte, oder nicht.
Aha, sie kamen wieder zurück. Im Unterholz knackte es und die beiden tauchten mit Nadeln in den zerzausten Haaren wieder auf. Ihm entging nicht, dass Lolas Gewand voller Matsch war.
„Hast du dir wehgetan?“ Er versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen, während er ihr mit der Hand zu verstehen gab, sich auf den trockenen Boden zur kleinen Picknickdecke zu setzen. Magic reichte ihr ein Marmeladebrot und forderte sie auf, hineinzubeißen.
„Okay, Lola. Ich… erklär dir jetzt einiges.“ Sie verzog keine Miene und fuhr fort ihr Marmeladebrot zu essen. „Wir haben dich die die letzten Monate über beobachtet und sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir dich… brauchen. In unserer Welt. Wir leben in einer Welt die der Eurigen nicht sehr unähnlich ist. Schon lange wissen unsere beiden Welten von der Existenz der jeweils anderen. Die Menschen dieser Welt, der Erde, haben das Wissen jedoch vor einigen Jahren verloren. Du bist die perfekte Person es den Menschen dieser Welt wieder zurückzubringen.“
Er hatte sich öfters verhaspelt und er hoffte, dass all das „unsere Welt“, „eure Welt“ und „diese Welt“, sie nicht allzu sehr verwirrt hatte.
„Aha.“
„Und..wir möchten dich mitnehmen, dass du unsere Welt kennen lernst.“
„Wann. Und für wie lange.“ Sie klang sauer.
„Jetzt gleich. Wie lange ist eine schwierige Frage. Wir gehen von mindestens einem Jahr aus.“
Lola biss sich auf die Unterlippe. „Das kann nicht euer Ernst sein.“ Jetzt klang sie ehrlich geschockt.
Seine Schwester Magic zuckte bedauernd mit den Achseln. Dann legte sie Lola einen Arm um die Schulter. Er deutete Miracle, dass es an der Zeit war. Hinter ihnen hatte sich etwas bewegt. Die anderen waren da.
Lola räusperte sich. „Also nehmt ihr mich jetzt mit, in eure Welt?“
Sie kehrte einige Brösel von ihrem Ärmel und malte mit ihrem Zeigefinger das Wort „Ciao“ in den Boden ohne eine Antwort abzuwarten und atmete gehorsam das Betäubungspulver ein, welches Miracle ihr unter die Nase hielt.
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Sie träumte von einem sonnigen Tag in ihrer Kindheit. Ihr Traum handelte nicht von einem speziellen Ereignis, sondern von einer Szene, die ihre Mutter öfters zu sehen bekam, wenn sie aus ihrem Küchenfenster blickte. Lola saß mitten in dem naturbelassenen Garten und las ein Buch. Sie liebte Bücher und liebte besonders jene Bücher, in denen der Autor über die Bedeutung von Büchern schrieb. Bei sehr vielen Büchern konnte man die Liebe des Autors zu seinem Buch erkennen. Das war schön. Man sah, dass auch andere Menschen Bücher liebten um sich aus der realen Welt in die Unwirkliche zu flüchten, auch wenn sie sich dabei der Gefahr auslieferten, den Draht zur Realität zu verlieren. Nach so mancher Buchlektüre war man sich nach dem Lesen auch selbst näher. Oft war die künstlich erdachte Sciencefiction- oder Fantasywelt nur im Hintergrund. Im Vordergrund waren für sie die Charaktere einer Geschichte, ihr Schicksal, und deren sich verändernde Persönlichkeiten. Sie selbst wollte sich positiv entwickeln. Jetzt war sie eine Hauptfigur in einem Roman geworden und wollte diese Aufgabe so erfüllen, dass am Schluss die Leser mit ihr zufrieden waren.
Lola wusste nicht mehr, wann und wie sie aus ihrem Traum von der unbewegten Szene ins Halbwache hinübergeglitten war und wie sie zu philosophieren begonnen hatte. Sie kicherte leise. Ja, sie wollte eine gute Hauptperson sein und beschloss nun so zu tun als würde sie langsam aufwachen.
Sie wälzte sich von einer Seite zur anderen, murmelte irgendetwas, gähnte und streckte sich ein wenig.
„Aufgewacht?“ fragte eine leise Mädchenstimme. Es war also Magic.
Unwillkürlich musste sie kichern und öffnete daraufhin die Augen. „Du hast meine „Ich-wache- gerade- auf- Vorführung“ zerstört.“
Magic blickte sie mit einem leichten Stirnrunzeln an und auch ihre Mundwinkel bewegten sich nach oben. Sie trug eine weite weiße Bluse, schwarze Leggins und um die Taille einen breiten Ledergürtel. Ihre Haare waren diesmal offen und sie fielen ihr über die Schultern. Obwohl Magic bestimmt nicht viel älter als Lola war, wirkte sie ein wenig reifer und auch überlegter. Schön, dass du wach bist, “ sagte sie schlicht, „ich kann mich zwar nicht daran erinnern, dass du die letzten Monate über auch so viel gekichert hast, doch ich werde mich daran gewöhnen. Und du wirst dich auch bald an uns gewöhnt haben.“
Lola setzte sich auf, winkelte ihre Beine an und Magic setzte sich zu ihr.
Das Bett befand sich in einem kleinen, weißgestrichenen Zimmer, in dem es einen Kleiderschrank, einen Tisch und zwei Sesseln gab. Alles war aus Holz. Nur die Lampe, die von der Decke hing war aus Glas. Der Raum hatte Ähnlichkeit mit dem Gästezimmer ihrer Tante. Und doch befand er sich angeblich in einer anderen Welt.
Nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen hatten, ergriff Magic das Wort. Anstatt ihr etwas über ihre Welt zu erzählen, befragte sie Lola nach ihren Freundinnen und nach ihrer Kindheit.
Magic fragte immer weiter nach und hörte ihr interessiert zu. Von sich selbst wollte sie nichts erzählen. „Vielleicht später einmal wenn du mit Ninina vertraut bist.“ meinte sie und strich über die Bettdecke. „Ninina ist der Name des Kontinents, auf dem du dich befindest. Das Land wird „Nordreich“ genannt.“
Nach vielleicht einer halben Stunde erschien ein leicht gestresster Aarin in der Tür. „Na, wie geht’s uns heute?“ fragte er schwungvoll und öffnete die Vorhänge und das Fenster. Die beiden Mädchen lachten. Lola kam er schon langsam wie eine überfürsorgliche Krankenschwester vor, doch sie fand ihn trotzdem noch so geheimnisvoll und schön wie gestern, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.
Lola ging zum Fenster und ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen. Das große Gebäude, in dem sie sich befanden, lag scheinbar in einer weiten Hügellandschaft mit vielen Obstbäumen, in der es sonst keine Häuser gab. Zumindest konnte sie keines erkennen.
Während Aarin sich wie Magic auf die Bettkante setze, blieb Lola beim Fenster stehen und warf den beiden einen auffordernden Blick zu. „Erklärungen. Jetzt.“
Sie wartete darauf, Antworten zu bekommen. Antworten auf was? Das wusste sie selber auch nicht so genau. Antworten auf wo sie war, was ihre Aufgabe war, wieso man gerade sie entführt hatte und so weiter.
Anscheinend wussten auch die buntäugigen Geschwister nicht wirklich, wie sie ihr die Situation, in die sie hineingeraten war, erklären sollten.
Aarin räusperte sich, als wollte er zu erzählen beginnen. Doch dann schloss er wieder den Mund, schluckte und wandte sich mit seinem Gesicht zu Magic. „Du zuerst“ sagte er und starrte danach auf den Boden, um den amüsierten Blicken beider Frauen auszuweichen.
„Also gut“, sagte das eigenwillige Mädchen mit den langen glatten Haaren. „Alles begann, als unsere Welten erschaffen wurden. Eigentlich waren wir ein und dieselbe Welt. Sie bestand nur aus geschmolzenen Gesteinsmassen und einem Luftmantel rundum. Sonst nichts. Trotzdem lebte schon der Geist des Ältesten. Er schwebte, kaum mehr bemerkbar als ein Atemhauch, in der Atmosphäre. Er wartete darauf, dass die Erde endlich abkühlen würde. Du hast richtig gehört. Der runde Ball aus schwabliger, glühendheißer Gesteinsmasse hieß Erde und strahlte derartig viel Licht aus, dass er auch als eine kleine Sonne durchgehen hätte können.
Der Älteste hatte schon lang vor der Entstehung des Erdballs sich all die Wunder überlegt, die er in dieser Welt leben lassen würde. Manchmal rang er mit sich selbst, ob er zum Beispiel wirklich der Natur die Farbe Grün geben sollte, oder doch Blau. Sollte er zuerst die Dinosaurier oder zuerst die Menschen leben lassen. Würden die ersten Lebewesen im Wasser oder in der Luft entstehen. Sollten es Vampire sein, die den Menschen Angst einflössen wurden, oder doch Geister. Oder genügte es auch, wenn man nur ein Gerücht der Existenz dieser beiden Monster in die Welt setzte. Es waren banale Fragen, die ihn zögern ließen. Die Baupläne der Schöpfungen waren schon alle längst fertig.
Viele Millionen Jahre später, als die Erde schon fast fest war und es nicht mehr lange hin war, dass sich Erde und Wasser an der Oberfläche bildeten, schlich sich der größte Zweifel von allen in die Überlegungen des Ältesten. Was, wenn die Menschen den freien Willen so sehr missbrauchen würden, dass sie die Welt am Schluss zerstörten und er musste alles wieder von vorne einrichten? Würde es eine Ausweichmöglichkeit geben, wenn die Welt von Kriegen, Umweltkatstrophen und ähnlichem zerstört wurde? Konnte er alles dem Zufall überlassen?
Sollte er eine Parallelwelt als Zufluchtswelt schaffen? Gab es dort auch Menschen?
Ihm gefiel die Idee von einer Parallelwelt immer besser und fragte auch die Älteste um Rat. Er ließ schlussendlich die schon fast feste Erde in zwei gleich große Teile teilen und es formten sich zwei völlig neue, kleinere Kugeln. Eine gab er der Ältesten mit, um auf sie in ihrer Seite des Sonnensystems aufzupassen.
Aus einer Welt wurde so eine zweite erschaffen. Sie war der ersten sehr ähnlich. Jedoch unterschied sie sich in einigen Punkten. Zum Beispiel hatten die Menschen buntere Augen und es gab andere Tiere. Außerdem lief die Evolution anders ab. Die frühesten Lebewesen hatten sich aus der Luft, nicht aus dem Meer, gebildet.“
Magic und Aarin sahen sie abwartend an. Lola war froh, dass die Geschichte zu Ende war. Mehr hätte sie zurzeit nicht verdauen können. Ein rascher Blick aus dem Fenster vergewisserte sie. „Die Wiesen und Bäume sind grün. Ich hatte schon Angst, der Älteste hätte es hier mit blau probiert, “ sagte sie und setzte sich, noch immer vorm Fenster, auf den Boden, damit die Geschwister ihre zitternden Beine nicht bemerkten.
Die beiden lachten über ihre Antwort und sie luden sie auf einen Spaziergang ein. Aarin streckte ihr, wie schon öfters in den letzten 24 Stunden die Hand hin, um ihr aufzuhelfen und sie zog sich im Bad schnell um, und flocht sich wie gewöhnlich ihre Haare zu einem kurzen Zopf. Danach zog sie sich ihre hellen Jeans und ein oranges T-Shirt mit blauem Schriftzug an, das sie hoffentlich selbstbewusst wirken ließ. Als sie fertig war, ging sie mit ihren neuen Freunden die Treppe hinunter, öffnete das Haustor und spazierte auf der anderen Seite des Hauses eine schmale Asphaltstraße die von Bäumen geziert war, entlang.
Das Haus war riesengroß, wie sie bei seiner Umrundung bemerkt hatte, und sie dachte lieber gar nicht an etwaige Gesichter, die sie von den vielen Fenstern aus beobachten könnten. Schaudernd blickte sie auf das weiße Haus zurück, um sich zu fragen, wie viel Menschen wohl darin wohnten.
„Du fragst dich wohl, was das für ein Haus ist.“ Da hatte er Recht. Sie nickte. „Es ist eine Schule. Ein Internat genauergesagt. Wir lernen hier, wie man zaubert.“
Lola blieb abrupt stehen. „Das ist nicht wahr. Das meinst du nicht ernst.“ Sie hatte das Gefühl als wäre ihr das Herz stehen geblieben. Aarin und Magic öffneten beide den Mund, doch sie wollte eigentlich keine aufklärenden Worte mehr hören und hob abwehrend ihre Hände. „Verschont mich mal kurz, ich pack es sonst echt nicht.“
Sie gingen weiter und Mona versuchte, ihren Kopf leer zu bekommen, was aber nicht klappte. So war das also. Sie war in einer fremden Welt gelandet und in dieser Welt konnte man Zaubern.
Magic und Aarin starteten ein paar Aufmunterungsversuche und ihnen zuliebe ging sie darauf ein. Sie versuchte halbherzig den Tannenzapfen aus ihrer Kapuze zu entfernen wobei die beiden Geschwister ihr die Hände hinter den Rücken fesselten oder ihr die Augen zu hielten. Es war ein echt doofes Spiel, doch es half ihr wirklich, ihre Sorgen zu vergessen.
Dann bogen sie links auf einen Waldweg ab, wo im Schutz der Bäume ein kleiner Holztisch mit eisernen Gartensesseln rundum zu finden war. Das bemerkenswerte daran war nicht, dass sich auf dem Tisch ein riesiges Tablett mit Kuchenstücken darauf befand, sondern ein großes Spruchband, das von grün glitzernden Fäden gehalten über dem Tisch hing. Es sagte „Willkommen Monika in unserer Welt. Wir haben lange auf dich gewartet.“
Lola blickte schief zu Aarin auf und erschrak, als sie den zornigen Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkte. Als plötzlich hinter den Büschen ein Haufen junger Leute in Aarons und Magics Alter auftauchten und mit einer Art Indianergeheul auf sie zustürmten, erschrak sie noch mehr. Die Mädchen trugen wie Magic weiße Blusen und Leggins. Ein paar trugen darüber auch abstehende, bunte Röcke, die bis zu den Knien reichten.
Reflexartig drehte sie sich um, um sich hinter Aron zu verstecken. Sie schloss die Augen und vergrub ihr Gesicht in seinem Rücken und atmete tief ein und aus.
„Was fällt auch denn ein!“ rief Aaron sichtlich verärgert, „Sie ist gerade mal einen Tag hier, und noch lange nicht dazu bereit meinen achsolustigen Freunden vorgestellt zu werden! Sie hat ja noch nicht einmal die Obersten zu Gesicht bekommen! Sie hat ja überhaupt noch nichts zu Gesicht bekommen von hier! Sie versteht ja noch gar nicht weswegen sie eigentlich hier ist! Wer hat euch verraten, dass wir spazieren gehen wollten!?“
Aarin, ihr ehemaliger Entführer und jetzt Beschützer, griff mit seinem rechten Arm hinter sich um sie unter seiner Achsel hervorzuziehen. Alle starrten sie an. Langsam trat Miracle aus der Freundesschar heraus. Er würdigte den bitterbösen Aarin keines Blickes sondern sprach direkt mit ihr. „Entschuldigung, wir dachten es wäre vielleicht lustig. Naja, vielleicht willst du ins Haus zurück. Du bist echt käsebleich. Wir werden dann die Kuchen alleine aufessen.“ Den letzten Satz sagte er mit einem verlegenen Grinsen.
„Pha, bildet euch nur nicht ein, ihr werdet die Kuchen alleine aufessen, “ sagte Magic versöhnlich. Sie nahm sich ein paar Kuchenstücke vom Tablett und wandte sich wieder der Asphaltstraße zu.
Aaron schob Lola an seine Seite um schnell seiner Schwester zu folgen, seinen Arm noch immer um ihre Schultern gelegt. Schnell gelangten sie außer Sichtweite seiner Freunde. Sie hörte noch ein paar Mädchen „Tschüss, Lola!“ rufen und bildete sich ein, jemanden eine Bemerkung über „das Paar des Jahres“ machen zu hören. Sie überlegte und lockerte seinen Griff um ihre Schultern und tat einen Schritt zur Seite, um eigenständig weiterzugehen. Ihre Knie zitterten ein bisschen, doch sie legte einen Zahn zu, um schnell wieder in ihr Zimmer zu gelangen.
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Kapitel 4- Neues Zuhause

Aarin war unzufrieden mit sich. Es hätte nicht so ablaufen sollen. Seine Freunde hatten sie nur unnötigerweise erschreckt und wenn dies einer der Oberen herausfinden würde, würden sie ihm die Schuld geben. 3 Tage hatte er Zeit, um sie einzugewöhnen, ihr alles zu zeigen, ihr alles über seine Welt zu erzählen, ihr nach und nach seine Freunde vorzustellen. Es ging darum, ihr Vertrauen zu gewinnen. Er hatte bereits ihr Vertrauen gewonnen. Ihre Schwester auch, ihre Freunde..naja immerhin hatte sie nicht zu weinen begonnen. Erschöpft waren sie ins Zimmer zurückgekehrt, hatte die paar Kuchen gegessen die Magic mitgenommen hatte und der kleinen Ausländerin gute Nacht gewünscht. Dass er später in der Nacht zurückkommen würde, um sie beim Schlafen zu beobachten, hatte er ihr natürlich nicht verraten. Seiner Schwester auch nicht. Jetzt saß er auf der Bettkante neben ihrem Kopfpolster und spielte mit ihren Haarsträhnen. Immer hingen sie ihr lose um den Kopf, sie war ein kleiner Strubbelpeter. Das Mondlicht schien auf seine Finger, auch auf ihr Gesicht. Es sah sehr romantisch aus. Er seufzte, er war viel zu unprofessionell. Sich in sie zu verlieben, das hatte gerade noch gefehlt. Trotz Ansehen und vieler Freunde hatte er noch nie eine feste Freundin gehabt. Er hatte noch nie jemanden geliebt. Doch jetzt…er überlegte. Gab es für sie eine Zukunft? Würde ihre Liebe zugelassen werden? Was würden die anderen sagen?
Und sie? Er glaubte schon, dass sie ihn auch mögen konnte. Schließlich hatten sie sich, den Umständen entsprechend, die letzten zwei Tage super verstanden. Besser, als er geglaubt hatte. Sie hatte ihm verziehen, obwohl er sie von von ihrer Familie, ihrer Welt geraubt hatte. Heute hatte sie hinter seinem Rücken Schutz vor seinen Freunden gesucht. Wenn sie erst hier eingewöhnt war...vielleicht? Er wünschte es sich aus ganzem Herzen. Leise stand er auf um den Vorhang wieder zuzuziehen, sonst würde sie am Morgen misstrauisch werden und sich fragen, ob sie nächtlichen Besuch bekommen hatte. Würde sie erraten, dass er es gewesen war? Lächelnd öffnete er die Tür um in sein eigenes Zimmer zurückzukehren, ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er noch ein paar Stunden Zeit zum Schlafen hatte. Ob er wirklich würde Schlafen können?
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Lola saß in einer Bibliothek, umgeben von ihren drei Bodyguards und noch ein paar anderen Schülern der Zauberschule. Bis jetzt hatte sie schon viel vom Haus kennengelernt.
Sie war zwar erst um 9 Uhr am Vormittag aufgewacht, doch sie war sehr neugierig gewesen ihre neue Umgebung zu erforschen. Das Haus könnte auch aus ihrer Welt sein, es war sehr groß. Sie hatte die Küche bestaunt, in der zwei Köche das Mittagessen vorbereiteten. Dann hatte sie die Aufenthaltsräume kennengelernt, ebenso den Versammlungsraum der Oberen und die Garage, in der ein paar seltsame Autos, ein Bus und eine schöne Kutsche zu finden waren. Es gab auch einen kleinen Pferdestahl mit drei Pferden und einem Fohlen, die untertags auf der großen Koppel sein durften, eine kleine Kuhweide und einen Hühnerstall. Zu Mittag hatte sie im Speisesaal mit Aarins Freunden gegessen, die sie, genau wie am Vortag, im Mittelpunkt stehen ließen. Es war ihr ein bisschen peinlich, doch sie hatte das angenehme Gefühl, bei den Leuten gut anzukommen. Sie bemühte sich selbstsicher zu wirken und nicht nur Fragen zu beantworten sondern auch selbst welche zu stellen. Seit dem frühen Nachmittag saß sie nun schon in der Bibliothek und hatte interessant klingende Bücher von unbekannten Autoren aus den Regalen gezogen, und darin herumgeblättert. Man hatte ihr auch einige ihrer Geschichten erklärt. Geschichten aus dieser Welt. Sie waren spannend. Auch einige von Aarins Freunden hatten sich zu ihnen gesellt um den Geschichten zu lauschen.
Sie wusste nun, dass diese Welt nicht nur ein Parallelplanet war, sondern, dass es ein ganzes Parallelsonnensystem zu ihrem eigenem gab. Ein Tag hier dauerte gleich lang wie auf der Erde, obwohl er anders unterteilt war. Es gab nur 12 Stunden, sie waren also doppelt so lang. Insgesamt waren die Unterschiede zwischen ihrer Welt und dieser Welt nicht sehr groß. Sie wunderten sich gemeinsam wie sich die Sprache gleich entwickelt hatte. Aarin wusste, dass seine Welt viele Elemente der ihren absichtlich übernahm. Es gab praktisch immer „Späher“, die auf den Planeten Erde geschickt wurden, um die neuesten Informationen weiterzuleiten und gelegentlich neue Erfindungen nach Hause mitbrachten, damit die eigenen Techniker, Physiker und Chemiker sie untersuchen konnten um zu überprüfen, wie weit die Erdenbewohner in ihrer Technologischen Entwicklung waren.
Generell konnte man sagen, dass die Menschen hier wesentlich schneller in Sachen Technologie und Medizin waren. Die Erdenbewohner hatten sie jedoch in der Musik und den anderen schönen Künsten weit überholt. Aarins Freunde hatten sie bestaunt, als sie erzählte, was ein Klavier war und dass sie einmal im Malkurs den ersten Platz belegt hatte. Sie verschwieg, dass dies schon vor circa 10 Jahren und sie noch im Kindergarten gewesen war. Mit einer gewissen Traurigkeit dachte sie daran, dass es im Wettbewerb darum gegangen war, ihre eigene Familie zu zeichnen. Sie hatte sich mit ihrer Mutter auf dem Gipfel eines Berges mit einem Regebogen im Hintergrund gezeichnet. Ein Murmeltier hatte sie auch gezeichnet. Alle hatten es für einen Hasen gehalten.
Als Aarin ihre traurige Miene bemerkte, holte er ein paar ihrer CDs und den kleinen CD Spieler ihrer Mutter aus der Tasche. Es gab hier Steckdosen und Aarin hatte einen passenden Adapter. Er drückte auf die richtigen Knöpfchen und die Gesichter rundum bekamen große Augen, als John Lennon den ersten Ton anschlug. Lola konnte nicht anders als mit den Augen zu rollen und Aarin einen genervten Blick zuzuwerfen.
„Bist du mir böse?“ fragte Aarin und trat von einem Bein aufs andere. Lola fand es süß, dass er wegen ihr nervös wurde. Er war intelligent, stark und hier eindeutig beliebt. Aber jetzt bemühte er sich darum sie zufrieden zu stellen, als wäre er ein Volksschüler und sie seine Lehrerin. „Böse, weil du den CD Spieler gestohlen hast?“ Aarin nickte bloß.
Sie hatte heute schon viel geredet und gescherzt, es war ihr leicht gefallen, weil alle so nett zu ihr waren und sie sich besonders fühlte. Doch es war nie so schlagartig still geworden, nachdem sie etwas gefragt oder gesagt hatte. Hutun, Anon und Kilin, sie kannte ihre Namen schon, sahen Aarin fragend an, weil er nicht antwortete. Ein paar Mädchen die um Magic herum saßen hatten plötzlich ein Buch entdeckt, in dem ein schönes Bild war und gaben vor es eingehend zu studieren. Lola selbst lehnte an einem Buchregal gegenüber der Wand, an der Aarin die Steckdose für ihren CD Player gefunden hatte. Aarin hockte noch immer am Boden neben ein paar CDs.
„Jetzt Kluger, sag doch was.“ Hutun, der klein, dünn und braunhaarig war, hatte die Stille unterbrochen. Lola wickelte eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger. „Kluger“, verwendete man hier so, wie man bei Lola zuhause „Hey Alter“, oder ähnliches sagte um den Satz zu beginnen, beenden oder zu unterbrechen. In ihren Ohren hörte es sich lahm an, wenn sie erst länger hier war, würde sie ihre eigenen Sprüche einführen.
„Also bist du böse, weil ich den CD Spieler geklaut habe?“ fragte Aarin nochmal halbherzig und weil sie ihn vor seinen Kumpels nicht blamieren wollte, antwortete sie einigermaßen sanft. „Nein ich bin nicht böse, weil du den CD Spieler mitgenommen hast. Es ist sogar nett von dir, dass du daran gedacht hast. Auf was ich aber schon länger warte, ist eine Entschuldigung dafür, dass du mich einfach so mitgenommen hast. Wenn wir schon dabei sind; eine Erklärung weshalb ich hier bin wäre auch ganz nett. Oh ja; mit eurem Schulleiter möchte ich auch ein Wörtchen reden.“
Ihre Stimme hatte kaum gezittert und sie hatte auch nicht nach jedem dritten Wort Luft holen müssen. Das hier war ein gutes Nerventraining falls sie später Politikerin werden wollte. Die Leute rings um sie tauschten Blicke, aber wirkten beeindruckt. Oh mein Gott! Wegen ihr war jemand beeindruckt und sie hatte Persönlichkeit gezeigt. Die Röte schoss ihr ins Gesicht und sie kühlte ihre Backen mit ihren Handrücken, die vom langen Sitzen und Stehen kalt geworden waren.
„Es tut mir Leid, dass ich dich nicht gefragt habe.“ Aarin kam einen Schritt näher und hob entschuldigend die Hände, seine Augen ruhten nur kurz auf ihr und huschten über seine Freunde. Entweder er wollte seinen Freunden bedeuten, sie sollten ihm helfen, oder er wollte ihr damit sagen, dass er vor seinen Kumpels nicht mehr verraten konnten.
Magics angenehme Stimme meldete sich von der Seite. „Er hängt da nicht alleine drin, Lola. Es war vor allem ein Auftrag dich hierher zubringen, um die unsere Welt zu zeigen und unsere… nun ja… Bräuche beizubringen. Die Oberen sind die Chefs hier und sie wollen, dass du dieses Buch hier liest.“ Magic drückte ihr einen dicken Schmöker in die Hände, der so schwer war, dass sie ihn fast fallen gelassen hätte. Das Buch hatte seine besten Jahre bereits hinter sich, und war aufgrund der sehr schlichten Aufmachung nie schön gewesen. Auf dem grünen Einband prangte in faden Lettern der Titel „Der Pakt“ und darunter war ein verblichenes Bild von einer dicken Frau mit einem dicken Kind.
„Okay, ich lese es. Aber nicht jetzt gleich.“ Monika legte das Buch neben sich auf den Boden und hockte sich hin. Auch wenn sie die Wahrheit nur Zipferlweise bekam, irgendwann würde sie schon verstehen und im Moment war es einfacher, geduldig zu sein, alles auf einmal würde ihr eh zu viel sein. „Also gefällt euch die Musik?“ Die CD war eine Mischung aus alten Klassikern und Jon Bon Jovi brüllte gerade ins Mikro. Dir Burschen nickten und die Mädchen lächelten brav. Aarin wechselte trotzdem die CD und sie hörten Instrumentalmusik, mit der ihre Ohren anscheinend besser zurechtkamen. Es kam ihr merkwürdig vor, dass die Menschen hier sich nicht mit ihrer Musik auskannten. Doch umgekehrt; wie wirkte sie selbst auf die Jugendlichen rundum? Auch wenn sie nicht freiwillig hier hergekommen war, sie würde sich zuerst einmal so gut wie möglich anpassen, damit sie an Respekt gewann. Sie wurde hier auf die Probe gestellt und musste über ihren eigenen Schatten springen. Es kam nicht in Frage, dass sie sich in ihr Zimmer verkroch und schlief, bis alles vorbei war. Und was auch auf sie zukam; Aarin, Magic und Miracle waren, auch wenn sie nur einen Auftrag ausführten, die nettesten Freunde die sie neben Maria hatte. Sie würden ihr dabei helfen, dass sie so rasch wie möglich wieder nach Hause durfte.
„Kann ich dich was fragen?“ ein junges Mädchen neben ihr zeigte mit einem Finger auf ihr linkes Ohr. „Wieso hast du Metall durch die Ohren gesteckt?“
Lola lachte und die Anspannung viel von ihr, als wäre sie mit einer Klangschalentherapie behandelt worden. „Es ist Schmuck. Bei mir zu Hause tragen die meisten Frauen Schmuck in den Ohren. Eigentlich in allen Teilen der Erde, es gilt als schön!“ Sie zog einen Stecker heraus und tat ihn wieder hinein, als sie ein paar angewiderte Gesichter sah, die das Loch in ihrem Ohr nicht sehen wollte. Was für ein Glück, dass sie ihr Bauchnabelpiercing schon vor zwei Jahren entfernt hatte. Mit Vierzehn war sie ein schlimmer Racker gewesen, nur um später dafür umso braver zu werden, wie ihre Schulkolleginnen meinten.
Zum Essen schlug immer ein Gong. Nach Ninina Zeit war es Neun Uhr, das bedeutete so viel wie sechs Uhr am Abend. Sie gingen alle in das Esszimmer auf der anderen Seite des Erdgeschosses. Von oben kamen weitere, meist jüngere Schüler. Ein paar kamen auch von draußen, wo es noch hell war. Auch hier herrschte Sommer und die Hitze lag noch über den Feldern. Aarin war wieder an ihre Seite geeilt, wie sie es vom Spaziergang und der Besichtigungstour gewohnt war, und sie hängte sich bei ihm ein. Er war ein bisschen müde, vielleicht fand er sie anstrengend. In der Bibliothek hatte er sich aus den Gesprächen zuletzt herausgehalten. In den nächsten Tagen würde er ihr noch viele Antworten geben müssen. Sie lächelte ihn von der Seite an. Er bemerkte es und kaute auf seiner Unterlippe. War er überrascht, dass sie nicht mehr das ängstliche Häschen von Gestern und Vorgestern war?
Sie traten ein. Am dritten langen Tisch, der zu Mittag freigeblieben war, saßen nun Erwachsene. „Die Oberen“ flüsterte Aarin ihr ins Ohr. Alle hatten ihr die Gesichter zugewandt und sahen sie neugierig an. Rasch ließ sie Aarin´s Arm los, es war ihr peinlich. Einige Erwachsene hatten es lächelnd bemerkt. Aarin trat einen Schritt auf die Oberen zu. Augenblicklich wurde es im Saal sehr leise. „Ich habe die Ehre euch Monika Mur vorzustellen. Wir nennen sie alle Lola.“ Zu Lola gewandt sagte er mit lauter Stimme „Dies sind die Oberen. Sie sind die Chefs hier. Nicht nur hier in diesem Haus, sie sind für die meisten Nationen dieser Welt sehr wichtig und werden von allen geachtet. Ich erzähle dir später, warum“.
Lola nickte beeindruckt und schenkte den Oberen ein nervöses Lächeln. „Hallo..“ meinte sie und wusste darauf nicht was sie sonst noch sagen könnte. Zum Glück wurde sie von Miracle gerettet, der gerade zur Tür hereinkam und sie mit sich zum Esstisch der Jugendlichen zog. Mit dem Rücken zu den Erwachsenen fühlte sie sich wieder mutiger, und als man ihr eine Kürbiscremesuppe auftischte, hatte sie die einschüchternde Aura der Oberen wieder vergessen.
Hungrig fiel sie über das Abendessen her und wartete dann auf den als Nachspeise versprochenen Pudding. Man sollte es nicht glauben, aber es war ihren neuen Freunden tatsächlich der Gesprächsstoff ausgegangen. Miracle stützte seinen Kopf in die rechte Hand. Er war nicht der Einzige, der müde aussah. Sie selbst gähnte und lehnte sich dann an Magic´s Schulter. Die Haare fielen ihr ins Gesicht und sie pustete sie weg. Da war noch was, was ihr den Tag über keine Ruhe gelassen hatte. Sie versuchte entspannt zu wirken. „Also ihr seid Zauberer. Ja?“ Die Leute rundum nickten. „Willst du was sehn?“ Kilin, ein rundlicher Junge mit einem zotteligen Bärtchen und ebenso zotteligen Haaren ballte seine rechte Hand zu einer Faust. Nur den kleinen Finger streckte er aus. Doch bevor er irgendetwas tun konnte, zischten die anderen ihn wütend an und er ließ es sein. Einen Moment später kam ein Oberer, der ihnen ein Riesentablett voller Puddingschüsseln brachte, und warf Kilin einen bösen Blick zu. Magic stieß ihr den Ellbogen verschwörerisch in die Seite. „Bei Tisch wird nicht gezaubert. Aber nachher. In deinem Zimmer, okay?“ Ihre Stimme ging im Lärm des Kampfes um die letzten Puddingschüsseln unter. Lola nickte und Miracle und Aarin auch. Ein Mädchen, das auf Magics anderer Seite saß, hatte den Vorschlag ebenfalls mit angehört und fragte, ob sie auch kommen konnte.
Es war soweit; sie saßen auf Lolas Bett bzw. die Burschen auf dem Fußboden. Magics Freundin hieß Anja, hatte langes rotblondes Haar und braune Augen. Sie war sehr schön, aber auch sehr still. Jetzt ließ sie gerade eine kleine Leuchtkugel in der Hand schweben. Von ihren Handflächen ausgehend, stiegen dünne, leuchtend blaue Fäden auf, die sich nach ein paar Zentimetern zu einer Kugel aus Licht verbanden. Als nächster war Aarin dran. Er zeigte mit dem Daumen nach oben und entsandte zwei dicke, rote Lichtstrahlen. die die Fensterflügel aufrissen. Lola wollte aufstehen um das Fenster wieder zuzumachen, doch Aarin sandte zwei weitere rote Lichtblitze, die die Flügel wieder schlossen. Miracle legte sich, mit einem dicken Grinsen auf den Lippen, besonders ins Zeug und er breitete seine Arme weit aus, als hielte er einen großen Gymnastikball. Er schloss sie alle in ein Netz aus lila Strahlen ein, die mit einem sonderbaren, aber schönen Klang vibrierten. Magic fuchtelte mit den Armen und hielt sich dann die Ohren zu, als der Klang immer hässlicher wurde. „Das musst du noch üben. Das war echt nicht sehr angenehm.“ sagte sie spöttisch und streckte ihre Zunge aus, auf die von einer Sekunde auf die andere Schneeflocken fielen. Erst nach kurzer Zeit fiel Lola auf, dass die Schneeflocken nach oben fielen. So als kämen sie aus Magic´s Mund heraus. „Ist ja Wahnsinn“, sagte Lola und schüttelte den Kopf. Auch wenn sie jetzt gesehen hatte, dass ihre Freunde zaubern konnten, kam es ihr noch sehr unecht vor. So als wären das nur irgendwelche, rational zu erklärende Tricks.
„Was wollte Kilin beim Abendessen machen?“ Anja und auch die anderen ließen Flammen auf ihren kleinen Fingern züngeln. „Kann ich das auch?“ Lola streckte ihren kleinen Finger aus.
„Stell dir kleine rote Linien vor, die sich zu einer Flamme verbinden. Stell dir vor, die roten Linien kämen aus deinem kleinen Finger.“ Anja hatte es übernommen, sie zu unterrichten.
Lola schloss die Augen und versuchte es. „Probier es mit offenen Augen“, riet ihr Aarin, „stell dir die Flamme bildlich vor.“ Sie versuchte es nochmal und nichts geschah.
„Morgen bekommst du ein bisschen Magieunterricht von uns. Einverstanden? Das hier waren nur einfache Spielereien, die wirst du auch bald können.“ Aarin beendete seinen Satz indem er laut gähnte. Lola war jetzt auch schon hundemüde und wünschte sich allein zu sein. „Dann geh ich mal schlafen, dass ich morgen dafür fit bin?“ Die anderen verstanden die Aufforderung, in ihre Zimmer zu verschwinden, und wünschten ihr eine gute Nacht. Magic ging als letzte. „Falls du was brauchst, ich bin noch eine Weile in der Bibliothek.“ Lola nickte artig und verschwand rasch in das kleine Bad. Die paar Regalbretter hatte sie schon eingeräumt und sie angelte nach ihrer Zahnbürste. Nachdem sie sich den Pyjama angezogen hatte, setzte sie sich in eine Decke gewickelt aufs Fensterbrett und suchte den Himmel automatisch nach Sternbildern ab. Sie fand kein einziges. Die Gewissheit, dass sie sich tatsächlich in einer anderen Welt befand, machte ihr schwer zu schaffen. Alles war so aufregend, so anders und doch gleich. An die bunten Augen ihrer neuen Freunde und auch an die magischen Kräfte, die sie besaßen, konnte sie sich gewöhnen. Nicht aber daran, dass sie aus ihrer gewohnten Umgebung, aus ihrem Freundeskreis und ihrer kleinen Familie weggerissen worden war. Sie dachte an ihre Mutter und eine Träne lief ihr die Wange hinunter. Ein paar Tränen traten aus ihren Augenwinkeln und es tat gut. Danach legte sie sich ins Bett und schlief schnell ein.
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Der dritte Tag brach an. Sie wachte von selbst auf, und weil sie Zeit hatte, flocht sie sich einen französischen Zopf, ehe jemand an die Zimmertür klopfte. Es war Magic, die sie zum Frühstück abholte. Heute hatte sie die Haare wieder zu einem Dutt am Hinterkopf zusammengebunden, und trug einen grasgrünen Rock mit weißen Punkten. Es schien sie nicht zu stören, dass die Farbe gar nicht zu ihren rosa Augen passte. In der Halle hatte sie schon ihren Stammplatz am mittleren Tisch. Sie teilte ihn mit den „Zweitabschnittlern“. Das waren die älteren Schüler wie Aarin, Miracle, Magic, Anja und Kilin. Sonst kannte sie nur die Namen von Anon, Hutun und Milton, die ein wenig weiter oben saßen und mit denen sie noch nicht so viel geredet hatte. Die Burschen trugen meistens einfärbige T-Shirts mit schwarzen Hosen aus einem weichen Stoff. Jeans hatte sie noch nirgends gesehen. Es gab auch noch ein paar Mädchen an diesem Tisch, mit denen sie aber keinen Kontakt gepflegt hatte. Sie hegte den geheimen Verdacht, dass Magic sie nicht besonders gut leiden konnte, weil sie alle sehr stark geschminkt waren und viel kicherten. An dem linken Tisch saßen ebenfalls circa zehn Jugendliche. Sie waren aber jünger und erst im ersten Abschnitt der Zaubererausbildung. Hin und wieder starrten sie zu ihr hinüber und Lola fragte sich, ob sie später mit ihnen unterrichtet werden würde. Lola schätzte sie auf vierzehn bis sechzehn Jahre, aber sie war sich nicht sicher.
Auf dem rechten Tisch, der ein bisschen weiter entfernt war, saßen die Oberen. Es war mit Abstand der größte Tisch, doch die meisten Stühle blieben immer frei. Lola fragte sich, wie diese paar Erwachsenen es schafften, die ganze Jugendbande zu zähmen. Was ihr aber auch schon aufgefallen war, ist, dass die Schüler von sich aus sehr höflich und gut erzogen waren. Sie servierten sich gegenseitig das Essen und stellten nachher die Schüsseln und Teller zusammen um sie in der Küche zur Spüle zu bringen.
Nach dem Essen fragte Aarin eine der Oberen um Schlüssel für einen Klassenraum. Sie folgten ihr bis zu einem kleinen Zimmer, auf dessen Tür das Schild „Administration Fr. Heinz“ hing. Frau Heinz, eine knochige und verhärmte Frau mit netten lila Augen, gab ihnen einen kleinen Schlüssel und Aarin ging mit ihnen zu den Klassenräumen. Miracle entschuldigte sich; er hatte Küchendienst und Anja musste für den morgigen Schultag noch etwas erledigen.
Das Klassenzimmer hatte nur wenige Tische und eine kleine Tafel. Sie setzten sich um den Lehrertisch und Aarin holte einen Zettel aus seiner Hosentasche. Es war darauf der Blutkreislauf eines Menschen gezeichnet. Aarin räusperte sich und begann zu erklären. Seine Stimme klang wieder lebendiger und munterer als gestern. „Entweder man hat Magie im Blut, oder man hat keine. Es gibt kein „mehr“ oder „weniger“ Magie. Alle Magier haben dieselben Voraussetzungen gute Zauberer zu werden. Wie gut man wird, hängt allein von Geschicklichkeit, Intelligenz und Kontrolle ab.“ Lola unterbrach ihn. Vielleicht hatte sie keine Magie im Blut und würde das mit der Flamme nie schaffen. Sie wollte es gerne für Zuhause lernen, damit sie ihre Mutter und Mitschüler überraschen konnte. Vielleicht wurde sie für eine Fernsehshow oder sowas gebucht. „Was ist, wenn ich gar keine Magie im Blut habe?“ Abwartend sah sie Aarin an. Vielleicht gab es dann einen Zaubertrank den man trinken konnte.
„Keine Sorge, das haben wir abgecheckt. Du hast reichlich Magie im Blut, die auch noch für viele Generationen nach dir reichen wird.“ Okay. Das war eine gute Antwort. Aarin holte noch einmal tief Luft, er sprach, als hätte er diese Sätze auswendig gelernt, so schnell spulte er sie herunter. „Magie ist etwas Irrationales und prinzipiell gefährliches. Doch mit etwas Übung lässt sie sich gut steuern. Einen Zauber kann man sich als Energiebündel vorstellen. Gewöhnlich erzeugt man dieses Energiebündel, in dem man sie in Form von Strahlen aus dem Körper entsendet. Sie sind an uns gebunden. Jeder Zauber, den man ausführt, fühlt sich anders an. Oft liegen nur minimale Unterschiede zwischen zwei verschiedenen Energiestrahlen. Damit wir sie nicht verwechseln und intuitiv benützen können, ordnen wir sie daher verschiedenen Fingern bzw. Körperteilen zu. Mit den Fingern können wir die schnellsten Zauber ausführen, die gleichzeitig die kleinsten sind. Wir brauchen dafür nicht viel Energie. So wurde uns im Unterricht zum Beispiel eingeprägt, dass wir mit dem kleinen Finger eine Flamme werfen können. Die Energiemenge einer Flamme ist der eines „Stoßes“ sehr ähnlich. Deshalb verwenden wir für einen Stoß meist den Zeigerfinger.“ Er streckte seinen Zeigefinger aus und ein Stift die auf dem Tisch lag schlitterte über das Holz und fiel über die Kante zu Boden. Es war schnell gegangen und trotzdem hatte sie den roten Lichtfaden zwischen Aarin´s Finger und dem Stift bemerkt. Jetzt zauberte er eine winzige Flamme auf seinen kleinen Finger und wenn sie genau schaute, konnte sie sehen, dass die Flamme aus einem dünnen, roten Faden hervor wuchs. „Kannst du die Flamme auch mit einem anderen Finger zaubern?“ Aarin nickte. „Aber nicht so gut, weil ich es mir anders eintrainiert habe. Ich brauche dafür viel mehr Konzentration.“ Er zauberte auf seinem Mittelfinger eine Flamme, die jedoch ein wenig zitterte. „Was hat es mit dem Blutkreislauf auf sich?“ Sie betrachtete das Papier genauer.
Aarin zeigte auf das Herz. „Hier ist das Zentrum und wir verwenden das Herz für die Zauber, die am weitesten ausgedehnt sind. Man verwendet das Herz um Sachen zu erspüren, die weit weg sind oder als dauerhafte Licht- oder Wärmequelle für einen Raum.“ Im Klassenzimmer wurde es immer heller und heller. Lola blieb der Mund offen stehen. Sie starrte auf Aarins Brustkorb und tatsächlich konnte sie dünne goldene Energiestrahlen ausmachen. Die waren zwar nur ein paar Millimeter lang, doch sie gleißten doppelt so hell, wie das übrige Licht in dem Raum. Sie konnte ihre Augen nicht von Aarin wenden, der in dem ganzen Licht wie eine himmlische Erscheinung aussah. Sie vermied es ihm ins Gesicht zu sehen und war dankbar, als es im Raum wieder dunkler wurde.
Nun fuhr Magic fort zu erzählen. „Wie du siehst gibt es in unserem Körper einen kleinen und einen großen Kreislauf. Der Kleine wird auch Lungenkreislauf genannt. Er bereichert das Blut mit dem eingeatmeten Sauerstoff. Ihn benützen wir nicht für Zauber. Das sauerstoffreiche Blut hat zwar am meisten Energie, doch wenn man sich zu sehr auf diese Zone versteift, kann es sein, dass man den Sauerstoffaustausch verhindert. Der große Kreislauf ist für den Rest des Körpers zuständig. Die meisten Zauber erledigen wir mit dem Bereich der Schultern und der Arme. Vor allem die Hände eignen sich super für jede Art von Energie. Willst du die Flamme probieren?“ „Ähm ja, klar“, sagte sie und brachte ihren kleinen Finger in Startposition.
„Denk an Wärme und Hitze. Stell dir vor, die Energie strömt durch dein Handgelenk, durch deine ganze Handfläche und wird dann durch den Finger gebündelt. Stell dir die Farbe Rot vor, wenn es dir hilft.“ Lola versuchte es und schaffte es wieder nicht. Doch das Blut in ihrem Finger fing an zu pulsieren. Er schmerzte unangenehm, wurde warm und immer wärmer. „Autsch!“ schrie sie, umklammerte ihre Hand und stürzte zum Waschbecken in der Ecke, um ihren Finger unter den Wasserstrahl zu halten. Er leuchtete knallrot. „Autsch!“ schrie sie nochmal und Aarin stellte zwischen seinem und ihren Finger ein blaues Band her. Es berührte ihre Fingerspitze und fühlte sich eiskalt an. Das Band entzog ihr die Hitze, die sich in ihrem Finger eingeschlossen hatte. Die Tränen schossen ihr aus den Augen und sie konnte nichts dagegen tun. „Oh man das brennt immer noch total“, sagte sie und tatsächlich spürte sich ihr Finger an, als hätte er innen drinnen lauter Brandblasen. Die Kühle aus Aarins Zauber half nach und nach. Nach ein paar Sekunden konnte sie den Finger schon wieder bewegen, auch wenn es schmerzte. Magic fand im Tisch des Lehrers eine Pasta und strich sie auf die Stelle, wo es am meisten weh tat. Nach einer Minute war wieder alles okay, doch ihr war die Lust aufs Zaubern vergangen. Den beiden anderen auch; Aarin war mies gelaunt, obwohl es ihr schon wieder gut ging, wahrscheinlich machte er sich Vorwürfe.
Nach kurzem Überlegen einigten sie sich darauf das dicke Buch von gestern zu lesen und mit dem richtigen Zaubern auf professionelleren Unterricht von einem Lehrer warten. In Lolas Kopf klingelte etwas. Was sie die ganze Zeit über blind gewesen? Wie konnte sie nur gedacht haben, sie sei hier, weil die Ninianer einen Erdling als Unterhaltung brauchten? Ihre Erkenntnis sprudelte nur so aus ihr heraus. „Ich bin nicht hier, um eure Welt kennen zu lernen, oder euch etwas über meine zu erzählen. In Wahrheit soll ich das Zaubern lernen. Weshalb sonst sind wir hier, in diesem abgeschiedenen Haus, und haben nicht schon längst Städte und Sehenswürdigkeiten besucht, stimmt’s? Ich habe gedacht, ich werde etwas über die Geschichte und Eigenheiten dieses Planeten lernen, nicht… Magie.“
Magic lächelte ein wenig verzagt, Aarin sah sie ernst an. „Es stimmt“, sagte er. „Du bist vor Allem hier um Magie zu lernen. Ich weiß das erschreckt dich, aber wenn wir es dir gleich gesagt hätten, hättest du dich noch viel mehr erschreckt. Wir hatten gehofft, du findest es von alleine heraus.“
„Und das hast du auch.“ Sagte Magic mit einem diesmal viel herzlicheren Lächeln. „Hier in diesem Buch werden glaube ich einige deiner Fragen beantwortet, die dir gerade durch den Kopf gehen. Und noch was; Ninina wirst du trotzdem noch kennen lernen. Die Geschichte, Bräuche, alles Mögliche.“ Sie zog das dicke grüne Buch aus ihrer Plastiktasche. „Am besten, du fängst gleich damit an es zu lesen.“
Lola nahm sie beim Wort und schlug das Buch auf. Es war nicht allzu spannend, aber trotzdem interessant. Eine Zauberin, die sich in einen Vogel verwandeln konnte, bereiste das Land um andere Zauberer zu finden. Dadurch erfuhr sie viel Neues über Ninina, obwohl die Geschichte vor circa tausend Jahren spielte. Die Zauberin war auf der Suche nach Gleichgesinnten, die mit ihr eine Schule für Zauberei eröffnen wollten und bereit waren mit der Erde Kontakt aufzunehmen. Ihre Augen wurden müde und sie entschied sich ein Nickerchen zu machen.
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Als der Gong schlug, schreckte sie hoch. Ihr Nachmittagsschläfchen hatte sich laut Ninina Uhr eineinhalb Stunden hingezogen. Das waren drei Stunden nach Zeitberechnung der Erde. „Gut geschlafen?“ Aarin saß mit angewinkelten Beinen am Boden, er hatte ein anderes Buch gelesen und war dabei nicht eingeschlafen, wie sie selbst.
„Mhm.“ Antwortete Lola kurz angebunden und verschwand im Bad, sie musste sich erst die Augen auswaschen. Ihre blau weiß gestreifte Bluse war zerknittert und sie zog sie glatt. Eine Haarnadel hing lose in einer Strähne und sie machte sie wieder fest. Sie sah durch die Reflexion im Spiegel wie Aarin aufstand, näher kam und sie in die offene Badezimmertür stellte. „Gehen wir. Es sind bestimmt schon alle unten.“
„Okay“, sagte Lola. „Tut mir Leid, wenn ich gerade aufgewacht bin, bin ich nie sehr gesprächig.“ Aarin lächelte und legte kumpelhaft einen Arm um ihre Schultern. Die Türen in diesem Haus hatten alle kein Schlüsselloch und Aarin verschloss die Tür mit einer Art Zauber aus gelben Lichtstrahlen.
„Glaubst du, jemand aus diesem Haus würde mir was stehlen? Gibt es jemanden hier, dem ich misstrauen muss? Ich meine… sie sind ja alle nett, aber ich kenne euch alle erst seit ein paar Tagen.“
Sie gingen die Treppe hinunter und unten stand Magic, die nachsehen wollte, wo sie geblieben waren. So also ging es in einem Internat zu. Sie würde in der nächsten Zeit nie genau dann essen können wann sie wollte. Jeder würde bemerken, wenn es ihr einmal schlecht ging und wenn ihr etwas nicht schmeckte. Wie würde der Tagesablauf sein, wenn es erst Unterricht gab?
Aarin antwortete auf ihre Frage, dass sie prinzipiell jedem hier trauen konnte. „Aber vielleicht ist jemand neugierig, welches Shampoo man auf der Erde so benützt und ob du noch mehr Hosen aus diesem groben Stoff gibt.“ Er nickte Richtung Jeans und sie nahm ihre Hände aus den Hosentaschen; sie brauchte sie, um sich noch schnell die Haare glatt zu streifen, ehe sei den Speisesaal betrat.
Schüler sowie Obere begrüßten sie mit einem freundlichen Nicken und sie setzte sich neben Magic. Sie häufte Salat auf ihren Teller und kostete von einer kartoffelähnlichen Knolle, die nach Maroni schmeckte. Vielleicht war es Maniok? Dazu gab es eine Sauce aus Mayonnaise und Apfelsaft. Zur Abwechslung mal etwas, was sie gewohnt war. Lola war noch immer nicht richtig wach, und stocherte stumm in ihrem Essen herum. Wie lange würde sie hierbleiben müssen? Konnte sie Kontakt zu ihrer Mutter aufnehmen? Jemand Erwachsener kam zu ihrem Tisch und sagte etwas zu Aarin, was sie wegen dem Lärm rundum nicht verstand. Kilian und Hutun unterhielten sich immer quer über den Tisch mit voller Lautstärke und die Mädchen hatten wieder etwas zum kichern gefunden.
„Was hat er gesagt?“
Aarin wandte sich zu ihr um und musste zuerst den letzten Bissen hinunterschlucken, ehe er ihr antwortete. „Die Oberheilerin will uns nach dem Essen in ihrem Büro sprechen.“
„Oberheilerin?“
„Die Frau neben Administratorin Heinz, die Dicke mit den kurzen rot gefärbten Haaren.“
Lola riskierte einen Blick über ihre Schulter. Die Frau, die ihr Aarin beschrieben hatte war tatsächlich dick und ihre Haare lagen glatt an ihrem Kopf. Sie wirkte nicht so verhärmt wie Frau Heinz, aber auch ernst und ehrfurchterbietend. Sie war wie ihre frühere Volksschuldirektorin. Vielleicht waren viele Volksschuldirektorinnen korpulent und groß, damit sie den nötigen Respekt verbreiteten. „Ist sie die Chefin hier?“
Aarin nickte. „Sie ist die, die bei Entscheidungen das letzte Wort hat und auch gerne mal im Alleingang bestimmt. Die anderen Oberen sind ihr untergeordnet und sie hat sogar eine eigene Assistentin, die nicht nur Sekretariatsaufgaben übernimmt, sondern auch ihr Zimmer zusammenräumt.“
„Und ihr immer Sachen aus der Küche besorgt, wenn sie zwischendurch Hunger hat.“ meldete sich Magic und sie lachten.
„ Wie unsympathisch...“ sagte Lola und wandte sich wieder ihrem Essen zu.
„Unsympathisch? Frau Heran ist eigentlich ganz nett, “ sagte Miracle, der ihr gegenüber saß. „Und sie ist wichtig, wir haben ihr viel zu verdanken. Ohne sie würde hier nichts funktionieren.“
„Und wir holen uns auch immer zwischendurch was aus der Küche“, sagte Magic in einem Ton, der verriet, dass sie das vorhin über die Chefin lieber nicht gesagt hätte.„Du wirst sie schon noch kennen und schätzen lernen.“
Ihre Sitznachbarn sahen sie beleidigt an, sie war ins Fettnäpfchen getreten. Die dicke Frau, die ein bisschen unnahbar wirkte, war anscheinend beliebt.
Das Abendessen war vorbei, und Aarin brachte sie zum Büro von Frau Heran. Es war dieses neuer Schüler kommt zum Schulleiter Szenario, das sie noch nie hatte durchmachen müssen. Sie war noch nicht mal bei einem Vorstellungsgespräch gewesen. Ihre Hände wurden schwitzig. Das Zimmer war geräumig und man könnte hier auch ganze Konferenzen abhalten.. Nach hinten hin wurde das Zimmer breiter und der große Arbeitstisch stand vor einer großen Glasfront, durch die man einen Ausblick auf den Wald in der Ferne hatte. Zwischen dem Haus und dem Wald war eine große Wiese mit Tieren, sie konnte nicht erkennen, was für welche es waren. Sie setzte sich in die kleine Sofaecke neben dem Eingang und Aarin nahm auch Platz, sie unterhielten sich über Kleinigkeiten, während sie darauf warteten, dass Frau Heran auftauchte. Sie erschien durch eine Tür im hinteren Winkel des Raums, die sie zuerst nicht bemerkt hatte. Vielleicht lag dort das Zimmer der Chefin. Aarin stand auf und Lola tat es ihm gleich. Die Oberheilerin setzte sich nicht hinter den Schreibtisch, sondern ließ sich in einen Stuhl sinken, der dasselbe hell rosa Muster wie das Sofa hatte.
„Hallo ihr beiden! Ich verspreche, ich halte euch nicht lange auf.“ Die Oberheilerin hatte große schwarze Augen und trug auch einen schwarzen Rock zur weißen Bluse. Es stand ihr gut und sie hatte ein nettes Lächeln. „Monika“, sie sagte ihren Namen und fummelte mit den Fingern an einer Tasche rum. „Ich freue mich, dass du hier bist. Sei nicht sauer auf uns Zauberer, deiner Mutter haben wir alles erklärt. Und;“ sie holte eine Metallbox aus der Tasche, in der ein paar komische Zeichen eingraviert waren, und drückte sie Lola in die Hand. Lola öffnete sie. Die Box war leer.
„Aarin hat das Gegenstück in der Nähe deines Hauses montiert. Diese Box bleibt hier in meinem Büro. Wenn du einen Brief hineinlegst, gelangt er automatisch dorthin. Deine Mutter kann dir dann eine Antwort schicken, und du wirst sie hier drin finden.“ Frau Heran konnte reden wie ein Wasserfall und dabei auch noch lächeln.
„Echt? Ich kann ihr sofort einen Brief schreiben und sie antwortet dann?“
„Jep. Kannst du. Ich habe den Zauber heute endlich hinbekommen. War das erste Mal, dass ich einen interuniversellen Zauber ausgeführt habe.“ Die dicke Frau wippte zufrieden nach vor und zurück. Aarin holte Stifte und Papier von ihrem Schreibtisch. „Ich schreibe deiner Mutter auch einen Brief, in dem ich ihr erzähle, dass ich auf dich aufpasse“, sagte Frau Heran. „Aarin du sollst auch einen schreiben, damit Frau Mur weiß, wer ihre Tochter geklaut hat. Der Angesprochene schaute nicht sehr begeistert aus der Wäsche, aber schickte sich ebenfalls an, einen Brief zu schreiben.
„Du bist Oberheilerin? Kannst du Leute heilen?“ Sie hatte ihren Brief fertig geschrieben und steckte ihn in die Box. Er war verschwunden. Auf dem Boden lag er auch nicht, er war einfach weg; der Zauber funktionierte.
„Nein. Ist nur ein Titel.“
Aarin bekam nicht mit, dass es ein Scherz war und öffnete entrüstet den Mund. „Wir alle können heilen.“
Die dicke Frau lachte. „Heilen ist hier ein Unterrichtsfach. Es ist einfach, aber auch gefährlich. Ich bin tatsächlich Profi im Heilen, aber viele meiner Kollegen sind fast genauso gut darin. Oberheilerin ist der Titel, den ich bekommen habe, als ich zur Direktorin hier gewählt wurde. Nicht nur die Schule, sondern auch die Delegationen, die in den Regierungen Ninina´s. arbeiten, stehen größtenteils unter meiner Kontrolle“
„Wow.“ Lola war total beeindruckt. Es klopfte an der Tür und Magic trat ein, sie hatte den Abwasch beendet und brachte einen Kartoffelsnack mit. Der Abend wurde noch richtig gemütlich und Lola war guter Laune. Die Leute hier, inklusive der Oberheilerin, waren super und auch das Haus war cool. Die ganze Gemeinschaft gefiel ihr sehr. Die Schüler waren fröhlich und lustig, sie genossen es, hier zu sein. Es gab eine Möglichkeit mit ihrer Mutter Kontakt aufzunehmen und man nahm sie ernst. Trotzdem würde sie kein gutes Gefühl haben, bevor sie nicht Frau Heran und Aarin zur Rede gestellt hatte.
„Ich wollte nie weg von zuhause. Aarin hat mich bespitzelt und das mit dem Austauschsemester in San Francisco herausgefunden. Aber nicht alles; es war nie meine Absicht gewesen von zuhause fortzuziehen. Meine Freundin Maria hat mich dazu überredet. Ich gebe zu, dass mir die letzten Tage Spaß gemacht haben. Aber ich möchte euch daran erinnern, dass ich unfreiwillig hierhergekommen bin.“
Die Oberheilerin verschränkt ihre Hände über ihrem Bauch. „Es ist nicht Aarin´s Schuld. Er hätte dir gerne die Wahl gelassen. Ich war es, die von seinem Bericht über dich so begeistert war, dass ich dich um jeden Preis hier haben wollte. Und hätte er dich ernsthaft gefragt; selbst wenn du ihm die Geschichte mit Ninina geglaubt hättest, hättest du Nein gesagt. Mein Plan war es, dich ins kalte Wasser zu werfen um zu sehen, wie du damit umgehst.“
Lola blickte zu Boden und wich den Blicken aus. „Wenn ihr so hohe Erwartungen in mich setzt, werde ich euch enttäuschen müssen. Nur weil ich mich die letzten Tage zusammengerissen habe, heißt das nicht, dass ich die nächsten Monate durchhalte. Vielleicht will ich übermorgen schon so dringend heim, dass ich…“ Ihre Stimme zitterte und ihre Hände wurden schwitzig. Niemand sagte etwas und sie musste das Schweigen selbst brechen und von ihrer Schwäche ablenken. „Weil ihr mich praktisch entführt habt, müsste ich darauf schließen, dass ihr hundsgemein seid. Tu ich aber nicht. Ich mag euch sehr gerne.“ Den letzten Satz hatte sie geflüstert und nun versuchte sie ein zaghaftes Lächeln.
Aarin legte einen Arm um sie. „Ich dich auch.“ Magic kuschelte sich ebenfalls an die beiden. „Du bist so lieb, Lola“, sagte sie und fuhr ihr übers Haar. Die Oberheilerin öffnete eine Flasche Wein und lächelte. „Du bist sehr großzügig zu uns. Wir werden uns alle Mühe geben, damit du dich hier wohlfühlst. Willkommen in Ninina.“
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Kapitel 5- Aufbruch

Lola rannte, so schnell sie ihre Beine tragen konnten. Eine Ecke, noch eine Ecke, die Stiege hinunter. Wo waren bloß Aarin, und Magic? Und wo waren Miracle und all die Anderen? Aarin, von dem sie sich sicher war, dass er sie vor allem beschützen würde. Und wohin jetzt? Sie rannte auf den Ausgang zu, wo war er? Die rechte oder die linke Tür? Oder geradeaus? Sie hechtete zur linken Tür und schlug sie hinter sich zu. Die kalte Nachtluft brachte sie wieder zu Sinnen. Es war ja nur eine Spinne gewesen. Aber was für eine! Nie hatte sie zuvor so ein Wesen gesehen. Mit mindestens 10 Zentimeter langen Beinen und einem ebensogroßen Durchmesser, hatte das Tier sich von der Decke abgeseilt und sich auf das Buch gesetzt, welches sie nun fertig gelesen hatte. In „Der Pakt“ war es um die Aufgabe gegangen, die vor ihr lag. Dieses Buch war eigens für sie geschrieben worden.
Zuerst war es darum gegangen, dass die Hauptperson Gleichgesinnte suchte, um eine Zauberschule zu gründen. Nachdem dies geschafft war, hatte die Person begonnen Kontakte zu den Zauberern der Erde zu knüpfen. An dieser Stelle hatte Lola die Lektüre unterbrochen um das Nickerchen zu halten und anschließend zum Abendessen war sie bei der Oberheilerin eingeladen gewesen. Das Treffen hatte den merkwürdigen Ausgang gehabt, dass sie alle sehr emotional geworden waren. Sie waren zugleich fröhlich darüber gewesen, dass sie hier war, aber auch traurig, weil man sie von ihrer Mutter weggenommen hatte. Selbst einem Bauer tat es leid, wenn man das Kalb der Mutter wegnahm. Zugegeben, der Vergleich war übertrieben, aber sie hatte das schlechte Gewissen und ihren neuen Freunden deutlich gespürt. Danach war sie in ihr Zimmer zurück gekehrt und sie hatte das Buch zu Ende lesen wollen, obwohl es sehr spät war. Sie hatte fast den gesamten Nachmittag über geschlafen und wäre sowieso nicht zur Ruhe gekommen.
Nachdem die Geschichte über die Gründung der Schule zu Ende erzählt war, hatte es also von Zauberer beider Welten gehandelt, die sich untereinander Regeln ausmachten. Nach vielen Diskussionen hatte man den Pakt ausgehandelt, dem sie es zu verdanken hatte, dass sie nun hierwar. Die Zauberergemeinschaften Ninina´s und der Erde hatten sich auf Folgendes geeinigt: Nie sollten mehr als 10 nichtmagische Menschen der beiden Welten von der Existenz der anderen wissen. Dies sollten Menschen von wichtigem Range sein, um, im Falle einer unglaublichen Naturkatastrophe, die das Aussterben der Weltbevölkerung auslösen konnte, schnell eine Evakuierung anordnen zu können. Doch es ging eigentlich nicht um die nichtmagischen Menschen, sondern um die Zauberer.
Denn nur Zauberer wussten um die Benützung des Portals. Nur sie konnten Kontakt zu den Ältesten herstellen, um sich über die Notwenigkeit einer Evakuierung einer ganzen Weltbevölkerung zu unterhalten. Die beiden Ältesten waren so etwas wie Götter, wie sie schon an ihrem Ankunftstag erfahren hatte. Ob es auch den Gott gab, an den sie vor ihrer Ankunft hier geglaubt hatte? Aarin meinte, es sei gut möglich, schließlich musste es ja noch irgendwen geben, der die beiden Ältesten geschaffen hatte.
Nach diesen ersten Punkten des Abkommens waren die Kapitel gekommen, die sie selbst betrafen. Würde auf einer der beiden Welten das Wissen um Magie verloren gehen, dann sollte eine junge, kluge Frau jener Welt, in Magie unterwiesen werden, um daraufhin wieder in ihre Heimat gesandt zu werden.
Dies war jedoch noch nicht alles. Nach ihrer Rückkehr sollte sie in ein geheimes Haus ziehen und selbst Magier rekrutieren. Das geheime Haus würde sich in einer weiten Hügellandschaft wie dieser finden. Weitab vom Alltagsleben würde sie Menschen, mit einem hohen Anteil an Magie im Blut, Zaubertricks zeigen.
Das war alles sehr schwer zu verkraften. Eine derart große und schwierige Aufgabe hätte sich jemand anders verdient, jemand, dem es Spaß machte, viel Macht und Verantwortung zu tragen. Auch jetzt in der Dunkelheit, wo sie niemand sehen konnte, schüttelte sie noch bei dem Gedanken daran den Kopf. Es war töricht gewesen, sie auszuwählen. Ihrer Welt die Magie zurückzubringen..sie konnte es noch immer gar nicht fassen. Sie wollte sich weigern, selbst Magie zu lernen. Man würde einsehen, dass sie die falsche Wahl war und nach Hause zurückschicken. Würden sie das tun, sie nach Hause zurückschicken? Würden sie das tun? Oder musste sie so schnell wie möglich Magie lernen, damit sie wieder nach Hause zurück konnte? Ob zu ihrer Mutter, das war eine andere Frage, die sie sich noch gar nicht zu stellen traute.
Im dem Kapitel danach waren die Regeln der Magier beider Welten erklärt. Sie sollten sich politisch so wenig wie möglich einmischen, sollten nur in begrenzten Fällen Superhelden spielen um Menschenleben zu retten, und sollten sich im Wesentlichen nur um die Aufspürung und Ausbildung bzw. Kontrolle anderer Magier kümmern. Die Zahl der Magier sollte pro Welt nicht 150 überschreiten um deren Überwachung sicherzustellen.
Die Überwachung bestand aus dem Grund, damit die Magier nicht zu mächtig wurden. Die Zuaberer der einen Welt überwachten die Zauberer der anderen Welt. um sicherzugehen, dass diese nicht die Macht über die Menschheit des einen oder anderen Planeten ergreifen wollten. Aus genau diesem Grund war es so wichtig, dass es auf beiden Welten Magier gab.
Pro Welt gab es zwei Magierzentren mit jeweils ca 75 Magiern. Ein Nordhaus, und einige Kilometer südlich, ein Südhaus. Auch diese dienten zur gegenseitigen Überwachung. Alles spielte darauf hinaus, dass die Magier nie zu viel Macht an sich reißen konnten. Eine Welt, die von einem machthungrigen Zauberer beherrscht wurde, stellte sich Lola wirklich nicht allzu lustig vor.
Auf ihre Frage hin, worin die eigentliche Aufgabe der Magier bestand, warum man sie nicht einfach aussterben ließe, erinnerte man sie noch an die Weltevakuierung. „Und gerade jetzt, wo auch deine Welt die Atom- und Biowaffen entdeckt, würden wir uns glücklich schätzen, zumindest einen voll ausgebildeten Magier da drüben zu wissen.“ Ihr war bei den Worten Aarins schlecht geworden. „Und zwar möglich bald“.
Bevor Aarin schlafen gegangen war, hatte er ihr auch noch das zweite Buch empfohlen. „Es geht darin vor allem um die Aufzeichnungen der ersten weiblichen Magierin und das Verschwinden eines Talismans, der uns angeblich fast genau so viel Kraft wie den beiden Ältesten verliehen hätte“.
„Was für ein Glück, dass der Talisman verloren gegangen ist“, hatte sie gemeint und sich vorgenommen das erste Buch noch schneller auszulesen, um sich dem zweiten Buch zuwenden zu können.
Dann war Aarin zur Tür hinausgegangen und hatte ihr mit einem Finger die Wange gestreichelt, die Stelle prickelte noch immer ein bisschen. Als die Spinne sie überrascht hatte, war sie auf den letzten Seiten des Buches gewesen und es ging nicht mehr um viel.
Es war kalt hier draußen, sollte sie wieder hineingehen? Ihr fiel wieder die Riesenspinne ein und sie beschloss noch ein paar Mal ums Haus zu gehen, bevor sie sich diesem Problem stellen würde. Sie war schon im Pyjama, doch es war niemand zu sehen, sie brauchte sich nicht zu schämen. Der Mond war am Zunehmen und sie fragte sich, wie es ihrer Mutter wohl ging. Bestimmt hatten sie die Nachricht am Küchentisch vorgefunden, von der Aarin ihr vorhin erzählt hatte. Ihr ginge es gut, man solle nicht die Polizei verständigen, sie würde in spätestens einem Jahr wieder nach Hause kommen, jeden Sonntag könnte sie einen Brief an sie schreiben und in die Dose unter der Brücke stecken, er würde sie sicher erreichen und zwei Tage später bekäme sie eine Antwort. So konnte ihre Mutter sicher sein, dass sie noch am Leben war und es ihr gut ging.
Seufzend setzte sie sich auf einen großen Stein hinter dem Haus. Ihre Familie so unglaublich weit weg zu wissen, und sich nicht einmal verabschiedet zu haben, das tat weh. Während sie es hier genoss, von Aarin und seiner Schwester in diese Welt eingeführt zu werden, und mit deren Freunden rumzuhängen, ging es ihrer Mutter und Maria gewiss sehr schlecht. Gleich wenn die Oberheilerin zurück war, würde sie einen Brief an ihre Mutter schreiben, um ihre Gewissensbisse zu beruhigen.
Sie musste tapfer sein und wischte sich die Träne aus dem Auge, ehe sie die Wange runter rollen konnte. Je schneller sie all die Magie beherrschte, umso schneller würde sie wieder nach Hause zurückkehren. Doch ein ganzes Jahr, und das ohne Vorwarnung, es kam ihr so lang vor. Und sie hätten ihr früher erzählen müssen, dass bei all dem MAGIE im Spiel war. Die letzten zwei Tage hatte sie so aufregend gefunden und jetzt, in der Nacht, kam ihr alles wie ein Alptraum vor. Shit, sie brach in Tränen aus.
Als sie sich beruhigt hatte, beschloss sie ein wenig zu den Tieren hinüberzugehen, sie würden sie beruhigen. Die Pferde- und die Kuhweide konnte sie im Mondlicht klar ausmachen, sie würde nur wenige Minuten brauchen. Der Wind war noch warm, obwohl es bald Mitternacht war. Die Gräser zu ihren Füßen raschelten. Etwas huschte über den Weg; gab es hier Häuser. Sie sah kaum Sterne, weil Wolken am Himmel waren. Der Mond zeichnete gespenstische Muster hinein und es war wunderschön. Rechts und links des Weges waren die Bäume, die sie schon auf ihrem ersten Spaziergang hier bemerkt hatte. Etwas stimmte nicht, sie zuckte zusammen, als sie auf einmal merkwürdige Tiere gegen das Mondlicht ausnahm; in dem Baum vor ihr schienen zwei Riesenvögel zu schlafen. Oder schliefen sie gar nicht? Nein, sie schienen sie zu beobachten. Zwei Augenpaare reflektierten das Mondlicht auf gespenstige Art und Weise. Hatte sie heute in dem dicken Buch nicht gelesen, dass die Zauberin fliegen konnte? Es wurde ihr ganz mulmig zumute, und sie beschloss, dass es an der Zeit war ins Zimmer zurückzukehren.
Doch so weit kam sie gar nicht. Auch in den anderen Baumkronen entdeckte sie auf einmal diese Riesenvögel. Sie erhoben sich von ihren Ästen und kamen auf sie zu. Abergläubisch schlug Lola ein Kreuzzeichen. Was sollte sie tun? Schreien? Einer der riesigen Vögel setzte sich auf ihren Kopf, die Krallen fühlten sich furchtbar an und sie kreischte laut los. Warum passierte so etwas Grusliges immer ihr? Als sie ihn losschütteln wollte, krallte der Rabe sich nur noch fester und einer seiner Flügel bedeckte jetzt ihre Augen. Bildete sie sich das nur ein, oder wollte er ihr jetzt mit dem anderen Flügel den Mund zuhalten. Panisch vor Angst wollte sie um Hilfe rufen, doch der Vogelflügel hatte sich in eine menschliche Hand verwandelt und sie brachte keinen einzigen Ton hervor. Sie biss zu und wollte erneut um Hilfe schreien, als ein starker Schlag in den Rücken ihr die Luft nahm und sie nach vorne in ein großes weißes Tuch fiel. Es machte alles keinen Sinn mehr für sie. Was war das für ein Spiel? Würde sie sterben? Im nächsten Moment befand sie sich einige Meter weit in der Luft und traute ihren Augen nicht. Sie lag auf einer Art Stoff, dass die Raben zwischen sich gespannt hatten. Das Schlimmste war, dass sie flogen! Fast drohte sie aus dem Tuch zu kippen und ihre Haare hingen ihr ins Gesicht, sodass sie jedwede Orientierung verlor, sie wusste nicht einmal mehr, wo oben und wo unten war. Direkt vor ihr sah sie auf einmal einen dieser rieseigen Rabenschnäbel und sie drehte sich in dem Tuch hin und her um aus diesem furchtbaren Alptraum aufzuwachen. Jeder in ihrer Klasse wusste doch, wie sehr sie an Höhenangst litt. Hier jedoch war sie in einer anderen Welt, und diesen Raben würde es egal sein, dessen war sie sich sicher.
Noch immer vor Panik kreischend und die Haare wild umherflatternd, lag sie in dem Laken. Die Raben schraubten sich mit ihr in die Höhe, es ging immer im Kreis rum... Ein paar aufflammende Lichter –da also war „unten“- verrieten, dass gerade in mehreren Zimmern die Lichter angingen. Bald würde Aarin sie retten kommen, dessen war sie sich sicher. Das letzte Mal war er ihr Entführer gewesen. Dieses Mal würde er sie retten kommen. Bestimmt.
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Es konnte nicht wahr sein, nicht schon heute! Er ging fassungslos im Zimmer auf und ab. Gerade eben war die Spinne ins Labor gebracht worden, man wollte untersuchen, ob die abgegebene Giftmenge genügt hatte um das Opfer zu töten, oder ob das Opfer nur in ein sofortiges, von Fieber begleitetes Koma gefallen war. Das Opfer… ihren Namen hatte er aus seinem Gedächtnis verbannt. Seine Eingeweide krampften sich zusammen, wenn er sich ihr gepeinigtes Gesicht ausmalte.
Einige Suchkomitees waren schnell zusammengestellt. An Aarins Seite wurden -wie immer- Magic und Miracle ausgeschickt. Sie waren schon ein perfekt zusammengespieltes Team. Seine Freunde schauten ihn schräg an. Gaben sie ihm indirekt die Schuld an ihrem Verschwinden?
Die Hälfte der Jugendlichen wurde ausgeschickt um die umliegenden Wälder in Rabengestalt zu durchforsten. Zwei der Oberen würden zum Nordhaus fliegen, um Erkundung einzuziehen, ob die dortigen Magier jemanden des Verrats verdächtigten. Die Gruppe der Entführer hatte aus mindestens 6 Magiern bestanden, nur sie waren in der Lage einen ausgewachsenen Menschen durch die Luft zu transportieren. Zwei andere Magier würden das Portal untersuchen, um sicher zu gehen, dass es seit vorgestern nicht nochmal benutzt worden war.
Zwei Suchtrupps der Oberen und zwei Suchtrupps der Schüler, einer davon Aarins, würden in die Stadt fliegen. Dort bestand die größte Wahrscheinlichkeit, Spuren zu finden. Es waren einige Unterschlüpfe bekannt, die Magier gerne als Ferienhäuser benützten. Vielleicht legte der Entführungstrupp dort eine Pause ein, um sich zu Stärken und Schlaf zu finden, bevor sie weiter in den Süden fliegen würden. Würden sie Lola noch lebend vorfinden, oder war sie schon tot?
Die verschiedenen Suchtrupps warteten vor der Haustüre auf das Abflugkommando. Alle spähten argwöhnisch in der Gegend umher und suchten immer wieder den Himmel ab. Es waren erst zehn Minuten vergangen, seit einige der Oberen von Lola´s Schreien und der vielen, für die Nacht ungewöhnlichen, Magie erwacht waren und die Alarmglocken geschrillt hatten. Jetzt waren sie schon mehr als bereit für einen raschen Ausflug, es ging um sehr viel und jede Sekunde zählte.
Oberheilerin Heran kam die Treppe heruntergelaufen und jeder wartete gespannt, bis sie wieder genug Atem gefunden hatte, um ihnen die unglaubliche -aber gute- Nachricht mitzuteilen. „Die Spinne hatte gar keine Zeit um zuzubeißen, Monika hat sie rechtzeitig bemerkt und Reißaus genommen. Wenn ihr unsere Feinde noch keine andere Droge verabreicht haben, ist sie also noch in guter Verfassung und wir könne ihren Geist erspüren, sofern sie unter keinem Schutzzauber steht.
Aarin glaubte nicht, dass Lolas Entführer so dumm waren, doch er war froh, dass sie jetzt endlich losfliegen konnten.

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Lola fühlte sich grottenschlecht. Man hatte sie in ein Haus in einer Großstadt gebracht, soviel war sicher. Wenn sie zum Fenster hinaussah, sah sie Gefährte auf viel zu großen Straßen rumsausen, die an quadratische Autos erinnerten. Das Zimmer, in das man sie gebracht hatte, war eine Art Büro, hatte eine niedrige Decke und das Licht leuchtete überaus grell.
Das Schlimmste jedoch waren die Menschen, die sie in dieses Zimmer gebracht hatten. „Wir müssen sie töten. Jetzt sofort, bevor es zu spät ist.“ Eine andere Stimme widersprach; „Nein, das würde nichts bringen. Sie würden sofort ein anderes Mädchen suchen, um es auszubilden.“
Sie konnte nicht mehr hinhören. Mit beiden Händen hielt sie sich die Ohren zu und summte eine Melodie vor sich hin. Sie drehte sich mit dem Rücken zu der Gruppe, die sich noch immer nicht über ihren Tod oder ihr Weiterleben einigen konnte und starrte die Straße hinunter. Sie versuchte sich an schöne Sachen zu erinnern. An Freundinnen, ihr Dorf, ihr Wald.. Sie beschwor ein gedankliches Bild von Aarin herauf, auch ihn zählte sie zu ihren guten Erinnerungen. Fast konnte sie ihn wirklich sehen. Konnte es sein? Sofort verschwand das Gedankenbild.
Noch einmal versuchte sie es. Sie dachte so fest an Aarin, wie sie nur konnte, er erschien wieder vor ihr, in 3D sogar. Doch als sie ihn genauer betrachten wollte, löste er sich in viele kleine Pixel auf und verschwand. Wenn sie sich nicht so beobachtet gefühlt hätte, hätte sie es sofort noch einmal versucht. Doch fürs Erste reichte es ihr zu wissen, dass das nicht nur ein Scheinbild sondern...ja was eigentlich, Magie? …gewesen war.
Diese Erkenntnis gab ihr etwas zum nachgrübeln, sie war immer schon gut darin gewesen, sich von unangenehmen Sachen ablenken zu lassen. Lange dachte sie darüber nach, ob sie sich gerade selbst eine Form von Magie beigebracht hatte, ob es vielleicht gefährlich gewesen war und ob Aarin stolz auf sie gewesen wäre, wenn sie ihm davon erzählte.
Die Magier waren ruhiger geworden, sie diskutierten nicht mehr so aufgebracht wie noch eine Stunde zuvor. Jedoch warfen sie immer wieder unergründliche Blicke in ihre Richtung, manchmal wütend, manchmal berechnend. Das Fenster spiegelte und so spürte sie diese Blicke nicht nur. Jetzt kam jemand auf sie zu und tippte sie an der Schulter. „Komm mit rüber.“ Sagte er und deutete ihr, ihm zu folgen.
Er hieß sie auf seinem freien Sitz Platz zu nehmen und blieb hinter ihr Stehen. Man erklärte ihr, dass man es als keine gute Idee empfand, dass sie die Magie zurück in ihre Welt bringen sollte. Das würde den Mächtigen dieses Landes nicht gut gefallen, man müsste sie deswegen fern von Aarin und seinesgleichen halten. Sie zu töten, wäre einfacher gewesen, doch so konnte man sicher sein, dass man sie suchen würde und es ging wichtige Zeit verloren, die die andere Partei sonst in die Arbeit stecken würde, eine neue Auserwählte zu finden, die sie Magie unterrichten wollten. Vorerst würde man sie in diesem Haus versteckt halten. Sie befänden sich in der Stadt Anxato, das Herz und die Hauptstadt des Nordreiches.
Monika war sehr erleichtert darüber, dass man sie nicht töten würde, zumindest nicht jetzt. Man brachte sie in ein anderes Zimmer, in dem eine Art Nische in dem Boden eingelassen war, darin sollte sie schlafen. In einer zweiten Nische würde ihr Bewacher schlafen. Eines war klar; diese Leute mochten sie nicht und sie taten sich keine Mühe ihr vorzugaukeln, das diese Welt genauso war, wie die ihre. Wahrscheinlich wussten sie gar nicht, wie es in ihrer Welt aussah. Sie hoffte, dass diese Biester noch nie die Gelegenheit gehabt hatten, ihre Welt zu besuchen.
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Jedes einzelne bekannte Versteck der Stadt war nun schon durchsucht worden. Einige Stunden würden sie noch über der Stadt kreisen, um nach Lolas Geist zu suchen. Doch an Erfolg glaubte schon niemand mehr.
Erschöpft nahm Aaron auf einem Dachgiebel Platz. Von seinem Herz ausgehend zeichneten Energiestrahlen viele kleine Fäden, die Aarin über die Menge der sich im Blut befindenden Magie eines jeden Menschen informierten, den sie berührten. Diese Linien konnten weder von Mauern noch von verschlossenen Türen aufgehalten werden. Lola stand wahrscheinlich unter Drogen und sie würden sie gewiss nicht finden. Aber vielleicht einen der Magier, der an der Entführung beteiligt war.
Er tastete den nächsten Häuserblock ab. Alle Menschen schliefen und keine einzige Person war Magier. Verzweiflung kam in ihm auf, als er wusste, dass er sie auch hier nicht finden würde. Als er die Augen öffnete, sah er nur noch verschwommen. Er blinzelte und einige große Rabentränen tropften vor ihm die Schindeln. Sie bildeten ein kleines Rinnsal und liefen das Dach hinab.
Ein Schnabel strich über sein Gefieder. Er spiegelte sich in Magics großen Augen. Er bot wirklich einen jämmerlichen Anblick dar. Seinen Freunden war sein kleiner Gefühlsausbruch nicht gegangen. Sie schmiegten sich fest an ihn und schenkten ihm von ihrer eigenen Energie. Dankbar nahm er die Hilfe an und sie erhoben sich wieder in die Lüfte. Noch war nicht alles verloren.
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„Riiiiiiing.“ Lola konnte sich nicht erinnern einen Wecker gestellt zu haben, es waren doch noch Ferien. Sie tastete nach dem Abstellknopf und stieß mit den Fingern gegen eine glatte Holzfläche. Hatte sie ihren Schreibtisch verstellt? Die Erinnerung überkam sie wie ein plötzlicher, eiskalter Regenguss. Hastig setzte sie sich auf und kauerte sich in eine Ecke der Schlafnische und zog sich die Decke bis unter die Nase. Ein anderes Versteck hatte sie nicht vor den Blicken ihrer Entführer. Sie sah schwarze Schuhe und Hosen dicht neben ihr vorbeispazieren und vor ihr erhob sich ein gewaltiger Berg Mensch mit Bart. Der Boss der Bande sah, vom Boden aus gesehen, noch zehnmal furchteinflößender aus als am Tag zuvor und sie wimmerte, als er zu sprechen begann. „Sie ist noch nicht richtig munter!“ Der imaginäre Wecker fing wieder an zu schrillen und sie hielt sich die Ohren zu. Der böse Zauberer schickte aus jedem einzelnen seiner Finger einen dünnen, roten Zauber und sie begann am ganzen Körper zu vibrieren. Nach ein paar Sekunden konnte sie schon nichts mehr sehen und ihr war schwindlig. Vor allem aber hatte sie riesengroße Angst. „Aufhören!“ schrie sie und brach gleich darauf in Schluchzern aus. Die Tränen strömten ihr nur so das Gesicht hinunter und ihr Körper hatte zwar aufgehört zu vibrieren, aber er wurde nun vor Kummer durchgeschüttelt. Sie hätte die letzten Tage schon viele Gründe dafür gehabt loszuheulen, aber hatte auch vor sich selbst, die Starke gespielt. Alles was sie zurückgehalten hatte, brach nun aus ihr heraus und jemand gab ihr sogar ein Taschentuch, obwohl sie schon längst die Decke benutzt hatte, um sich die Nase zu putzen.
„Törichtes Kind.“ Monika wurde an den Oberarmen gepackt und zur Tür hinaus gezerrt. Alles in ihr wehrte sich dagegen, aber sie konnte nichts sehen, weil ihr Tränenstrom noch nicht versiegt war. Sie fühlte sich an wie ein Sack aus Gummi, mit dem gemacht wurde, was man wollte. Es war schrecklich.
Eine Stunde später hatte sie sich weitgehend beruhigt, obwohl sie nun wieder auf einem dicken Tuch durch die Lufte schwebte. Sie waren nicht aus der Stadt hinausgeflogen, das hätte wohl zu viel Aufmerksamkeit erregt. Sie waren hinausgefahren und Lola war bei der Geschwindigkeit schlecht geworden. Der Kleinbus hatte mit seinen Flügelartigen Ausstülpungen auf beiden Seiten, und seinen drei Rädern, eher wie ein Flugzeug gewirkt und war auch so schnell gefahren.
Einige Kilometer außerhalb Anxato´s war der Bus stehen geblieben und der Bärtige hatte mit einem großen Grinsen das Tuch ausgefaltet und die Zipfel seinen Kollegen zugeworfen.
Mit geschlossenen Augen segelte sie durch den Morgen. Die Angst hinunterzufallen, war größer als ihre Höhenangst. Sie zwang sich still liegen zu bleiben und an nichts zu denken. Die Magier hatten im Bus über eine Grenze geredet, die es zu überqueren galt. Deshalb konnten sie auch nicht mit dem Bus weiterfahren. Lola hoffte, dass die Grenzpolizei den Luftraum gut überwachte. Man würde die Magier einsperren und nachdem sie ihre eigene Situation erklärt hatte, würde man sie zu den guten Magiern zurückbringen.
Etwas in der Luft veränderte sich; eine Art Aluminiumkugel legte sich um sie alle. Das Sonnenlicht verschwand und an seine Stelle trat ein neonartiges Licht, das von der seltsamen Oberfläche der Kugel teilweise absorbiert wurde. Was die Kugel genau war wusste sie nicht, aber ihr kam der Verdacht, dass sie nun für Augen und Flugradare unsichtbar waren. Der Traum von der Grenzpolizei war zerbrochen und ihre ganze Hoffnung lag nun wieder bei Aarin. Jetzt wo sie nicht mehr in die Tiefe blicken konnte, hatte sie auch nicht mehr so viel Angst. Sie würde ihre Zeit damit verbringen, Aarins Bild ungestört auf die Aluminiumwand über sich zu projizieren.
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Alle Suchtrupps waren noch in derselben Nacht zum Haus zurückgekehrt. Eine große Versammlung war einberufen worden. Zuerst durften die Oberen sprechen. Sie hatten die Namen und Daten aller Entführer ausfindig machen können. Im Nordhaus war gerade Urlaubszeit und die Erstabschnittler waren allesamt zu ihren Familien gefahren. Man hatte ihre Namen an alle Hotels der Stadt geschickt und circa zehn davon hatten schon viele Nächte nicht mehr bei ihren Familien, sondern in einem Hotel verbracht. Das Hotelmanagement wusste, dass die Reisegruppe am Tag zuvor einen gemeinsamen Ausflug unternommen hatte. Man hatte sie in der Nacht zurückerwartet, sie waren jedoch nicht gekommen.
Alle waren geschockt, dass sich Schüler des Nordhauses gegen die Häuser auflehnten und ein Verbrechen begingen. Aarin konnte es selbst kaum glauben, sowas war noch nie vorgekommen und es gab kein Motiv. Ein Oberer und ein Schüler wurden nun ausgewählt, um auf dem Dach des Hotels Wache zu halten. Aarins Freunde rissen sich geradezu um die Aufgabe, er selbst war froh, dass er noch frei für andere, verantwortungsvollere Aufgaben sein würde.
Nun waren die Schüler an der Reihe, um Bericht zu erstatten. Kurz schilderten sie, wie sie in allen Stadtteilen gescheitert waren. Traurig ließ Aarin seinen Kopf hängen. Es ging nicht nur darum, dass er Ansehen verlor, sondern vor allem um Lola; sie war noch immer in höchster Gefahr. Er machte sich riesige Sorgen um sie.
Jetzt stand ein Vertreter des Nordhauses auf, er war schon kurz vor ihm selbst eingetroffen. Er sagte etwas über die Schande, die das Nordhaus durch den Verrat gerade erlitt und dass sie es wieder gut machen wollten. Man schicke die Hälfte aller Oberen und der verbliebenen Schüler aus, um die Verräter einzufangen und Lola zu befreien.
Ein Plan Nininas wurde auf eine große Tafel gehängt, und man diskutierte über das Vorgehen bei der Suche. Man vermutete, dass die Erstabschnittler bereits gewieft genug waren, um über die Grenze zu fliehen. Obwohl es sich um noch lange nicht fertig ausgebildete und zudem junge Magier handelte, traute man ihnen einiges zu.
Aarin wartete auf die Zusammenstellung der neuen Suchtrupps, doch man erklärte, dass dies allein das Nordhaus übernehmen würde. Sie hatten circa 30 Leute zur Verfügung, wenn es Freiwillige gäbe, sollten sie sich in einer Liste eintragen und am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang im Nordhaus einfinden.
Der nächste Tag war ein Unterrichtstag, alle Schüler mussten ihre Lehrer um Erlaubnis fragen, wenn sie fehlen wollten. Es herrschte Chaos im Saal weil sämtliche Jugendliche ihre Lehrer um Erlaubnis bitten wollten, sich in die Liste einzutragen. Die Oberheilerin musste ihr Stimmvolumen mittels Magie um das Zehnfache erhöhen um all den Lärm zu übertönen. „Na gut, dann findet in der nächsten Woche eben kein Unterricht statt. Es hat wohl keinen Sinn euch zwingen dazubleiben. Aber passt auf euch auf und bringt Monika wohlbehalten zurück. Eine Woche habt ihr, nicht mehr okay? Wenn ich Missbrauch der freigegebenen Tage feststelle, habt ihr dafür Kollektivhausarrest bis Ende des Jahres.“
Nach ihren Worten jubelten die Schüler und die Oberheilerin drehte sich mit einem leichten Schmunzeln um, und verließ den Raum mit beschwingten Schritten. Doch Aarin hatte den sorgenden Unterton in ihrer Stimme nicht überhört. Er brannte darauf auf Mission in eines der Nachbarländer zugehen. Zwar war er schon in der anderen Welt gewesen, jedoch noch nie in einem anderen Land.
Seine Kameraden hatten sich fast vollständig im Aufenthaltsraum versammelt, um über die Geschehnisse des Tages zu reden. Viele waren geschockt über Lolas Verschwinden. Sie hatten eine Entführung aus ihrer Mitte nie für möglich gehalten. Klar wusste man, dass das Haus Feinde hatte, doch noch nie war an ernsthafte Gefahr gedacht worden. Vor allem nicht, dass die Gefahr aus den eigenen Reihen kommen würde.
Aarin holte sich ein Getränk und setzte sich an einen kleinen Tisch, um den Spekulationen zu lauschen. Das war immer noch besser, als alleine in seinem Zimmer zu sitzen und sich Vorwürfe zu machen.
Zwischen dem Nord- und dem Südhaus gab es oft Kommunikationsprobleme oder kleinere Metzeleien. Oft wurde die Ausbildung in ihrem eigenen Haus als viel besser eingestuft und Schüler des Nordhauses, die oftmals Jugendliche aus unteren Gesellschaftsschichten waren, brachten ihren Ärger zum Ausdruck, wenn sie von Schülern des Südhauses besucht wurden.
Jetzt waren zehn Schüler des Nordhauses zu Verrätern geworden. Es würde in die Geschichte der Magiergesellschaft eingehen.
Die Gesichter der Schüler glänzten. Wenn sie jemanden der Verräter aufspüren und fangen würden, würde auch ihr Name in die Geschichte eingehen. Das war ihnen wohl genauso wichtig, wie Lola zu retten. Er schüttelte den Kopf, manchmal fehlte es den Leuten hier in diesem Haus an Reife.
„Die Arme…“ Aarins Mitschülerin Anik setzte sich an seine Seite. „Du musst sicher oft an sie denken, wir alle hoffen, dass es ihr gut geht.“ Anik drückte ihm mitleidsvoll die Hand und schenkte ihm einen Blick der ihn aufforderte sich die Seele auszuleeren.
Es tat gut, dass ihm jemand zuhören wollte. „Ich war für sie verantwortlich. Ich habe unser Haus für total sicher empfunden. Es ist allein meine Schuld, ich habe die Gefahr falsch eingesetzt.“
„Nein Aarin,“ antwortete Annick „du hast dein Bestes gegeben und niemand anders hätte je die Aufgabe so gut erfüllen können wie du.“
„Ich weiß nicht. Jedenfalls hoffe ich sehr, dass wir sie schnell wiederfinden.“
„Hoffentlich. Wenn sie will, dass wir sie wiederfinden.“
„Wie meinst du das, Anick?“ Aarin sah sie mit leicht zusammengekniffenen Augen an. Was sie damit sagen wollte, war ihm schleierhaft.
„Nachdem die Spinne sie gar nicht gebissen hat, ist sie wohl freiwillig mit ihnen gegangen. Vielleicht waren ihre Entführer netter als wir, vielleicht haben sie ihr versprochen sie nach Hause zurückzubringen. Vielleicht haben sie ihr versprochen, ihr unsere Welt zu zeigen und ihr Magie beizubringen. Vielleicht haben sie ihr etwas Falsches über uns erzählt. Was auch immer. Lola ist darauf reingefallen und hat es nicht als Wichtig empfunden, uns vorher über ihr Abreisen zu informieren.“
Aarin wurde wütend. „Nein, wenn sie die Wahl gehabt hätte, hätte sie mich um Hilfe gerufen, oder wenigstens um meinen Rat gefragt.“
Anick zuckte mit den Schultern. „Ich glaube du überschätzt Lola. Manchmal ist ein Mensch nicht der, der er zu sein scheint. Und du bist ihr nur halb so wichtig wie sie dir. Ich jedenfalls werde morgen nicht mitkommen zum Nordhaus, gute Nacht.“ Sie stand auf und verließ das Zimmer.
Aarin wollte es ihr gerade gleichtun, doch da setzte sich Miracle zu ihm. „ Was hat Anick dir denn erzählt, du hättest dein eigenes Gesicht sehen sollen!“
„Sie meint, Lola wäre aus freien Stücken gegangen, weil wir ihr nicht wichtig sind. Sie meint, die Verräter hätten ihr vielleicht versprochen, sie nach Hause zu bringen.“
Miracle runzelte die Stirn. „Nein, Lola mag uns. Dich besonders. Annick ist eifersüchtig auf sie, weil man ihr so viel Aufmerksamkeit schenkt, wie sie selbst nie bekommen hat. Doch das Letztere..wenn sie ihr wirklich versprochen haben, sie nach Hause zu bringen, hätten wir ein Problem. Sie würde sich gegen eine Rettung möglicherweise wehren.“
„Besteht denn eine Chance, dass man sie wirklich in ihre Welt zurückschickt?“ fragte Aarin seinen jungen Freund.
„Nein, es sind Schüler, die zwar um das Geheimnis des Portals wissen, es jedoch noch nie benutzt haben. Ohne die Hilfe eines Oberen würden sie es nie wagen. Außerdem würden sie Lola eher töten, als zurückschicken. Wir könnten sie sonst wieder hierherholen.“
Aarin nickte. Sie beschlossen, dass sie nun schlafen gehen würden, damit sie am nächsten Morgen fit waren. Die folgenden Tage würden sie viel dafür geben, wenn sie in ihren eigenen Betten schlafen könnten. Sie winkten noch Magic zu, die sich mit einer Gruppe an Freundinnen unterhielt und verließen den Aufenthaltsraum und machten sich auf den Weg zu ihren Zimmern.
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Kapitel 6- Lolas Gabe
Die Raben hatten eine kurze Pause eingelegt und sich in ihre Menschengestalt zurückverwandelt. Lola versuchte sich, ihre Gesichter einzuprägen. Da war der bärtige Alte mit den Pluderhosen; der Anführer. Er sah mit seinen dunkelroten Augen immer sehr böse drein und die anderen hatten viel Respekt vor ihm. Dann war da noch sein Stellvertreter, er legte mehr Wert aufs Rasieren als sein Vorgesetzter, er hatte sich nicht nur den Bart, sondern den ganzen Kopf kahl rasiert was seine silbernen Augen merkwürdig zur Geltung brachte. Drei Magier gehörten der selben Generation an wie der Glatzkopf, die anderen schienen weitaus jünger zu sein, ihre Gesichter hatten nichts von der brutalen Härte und sie wirkten, als würden sie wissen, dass sie gerade eben einen großen Fehler begingen. Vielleicht konnte sie mit ihnen ein Gespräch anfangen, um mehr über die Gruppe herauszufinden.
„Hey, also könnt ihr mir vielleicht sagen, wo man mich hinbringen wird? Ich mein, das Fliegen ist wirklich schrecklich und ich wäre dankbar wenn es bald ein Ende hat.“ Sie versuchte cool zu klingen, aber verhaspelte sich ein paar Mal.
Die jungen Magier erstarrten und drehten ihr dann die Rücken zu. Vielleicht hatte man es ihnen verboten, mit ihr zu sprechen.
Sie stellte dieselbe Frage dem Magier mit Glatze. Dieser grinste sie höhnisch an. „Schade, ich dachte dir gefällt es im Leintuch herumgeflogen zu werden. Vor allem beim ersten Mal schien es dir besonders viel Spaß zu machen. Da hatte ich richtig Angst, du würdest vor lauter Freude runterspringen.“
Verärgert drehte sich Lola um und setzte sich in das Gras. Sie befanden sich auf einer großen Wiese, einige Kühe weideten in der Ferne. Die Landschaft war zusehends flacher geworden. Die Hügellandschaft war einer ebenfalls sehr fruchtbaren Tiefebene gewichen. Abwechselnd sah man Äcker, Felder und Weideflächen für die Tiere. Dazwischen gestreut waren kleine Dörfer, Siedlungen und Städte.
Der Glatzköpfige hielt ihr die ausgestreckte Hand hin, sie sollte aufstehen um sich wieder auf das Tuch zu legen. Bald darauf flogen sie schon wieder über die Felder dahin, diesmal ohne schützende Alukugel. Jetzt musste sie Aarin´s Bilder in den Himmel projizieren. Sie konnte es nun schon recht gut, seine Gestalt schien schon fast feste Form anzunehmen, zumindest war sie nicht mehr durchsichtig. Nach einigen Sekunden verschwand seine Gestalt wieder, sosehr sie sich auch anstrengte und konzentrierte.
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„Aarin, was machst du, du flackerst!“
„Was! Wie? Das bildest du dir ein, Schhhh, sei leise.“
Sie saßen nun schon seit einer halben Stunde in der Versammlung im Nordhaus. Schon vor der Morgendämmerung waren sie losgeflogen, um rechtzeitig da zu sein. Wie erwartet nahmen fast alle der vorhandenen Magier daran teil. Alle Magier und Schüler – bis auf die Verräter- des Nordhauses waren anwesend. Genauso alle Schüler und fast die Hälfte der Oberen des Südhauses waren gekommen, und würden sich an der Suche beteiligen. Jeder stimmte zu, dass es sich um mehr als nur nationale und internationale Sicherheit handelte. Die Suchgruppen waren schon alle für ein bestimmtes Gebiet eingeteilt.
Man gab den Suchgruppen 5 Tage. Wenn die Verräter und Lola innerhalb dieser Frist nicht gefunden worden waren, würde man nur zwei Gruppen die Weitersuche erlauben. Alle anderen müssten dann zurückkehren, um den Unterricht wieder aufzunehmen. Außerdem wollte man nach einer neuen Erdenbewohnerin suchen, um den Pakt zu erfüllen. Genau das wollten die Entführer verhindern; dass die Erde wieder über Magier verfügen würde. Über die Gründe spekulierte man. Soweit man wusste, hatte noch nie jemand einen Wunsch geäußert, auf der Erde eine Invasion zu starten. Niemand hegte einen Groll gegen die Erde, man war zu sehr auf die Probleme in der eigenen Welt konzentriert als das man dort auch noch Unruhe stiften wollte. Wenn wären es Menschen aus Wirtschaft und Militär, die Interesse an der Erde hegen würden. Doch die hatten keine Ahnung von deren Existenz. Es gab ganz wenige Nichtmagier, die in das Wissen um die Erde eingeweiht waren. Was hatten sich diese Erstabschnittler also in den Kopf gesteckt?
„Aaaaaarin, du flackerst noch immer, wieso machst du das??!“ Miracle starrte ihn misstrauisch von der Seite her an. „Du bist schon ein sehr schräger Typ. Wenn deine kleine Schwester nicht so heiß wäre, hätte ich schon längst die Zusammenarbeit mit dir aufgegeben.“
Aarin runzelte nun ebenfalls die Stirn. Von wegen er flackerte. Wie denn? Zog Miracle ihn auf? Sie waren schon Freunde seit Sandkistenzeiten. Im Sommer nach ihrem vierzehnten Geburtstag waren sie von den Oberen abgeholt worden. Magic hatte darum gebettelt mitzudürfen, und die Magier hatten ihr versprochen, sie zwei Jahre später nachzuholen.
Als zwei Sommer später Magic ebenfalls im Südhaus aufgenommen wurde, war die Freude der beiden Freunde groß. Der eine hatte seine kleine, wenn auch manchmal nervende Schwester zurückgewonnen, und der andere hatte seine Kindheitsliebe zurück. Trotzdem Magic nun ebenfalls schon drei Jahre hier wohnte, war es noch immer nicht zu einem gegenseitigen Liebesgeständnis gekommen. Aarin beschloss, ein bisschen nachzuhelfen, sobald sich die Dinge hier wieder normalisiert hatten.
In den Jahren, die sie hier gemeinsam verbracht hatten, hatten sie viel Anerkennung gewonnen. Durch ihre unzertrennliche Freundschaft und ihren Ehrgeiz in den Studien und auch durch ihre Freundlichkeit und Offenheit anderen gegenüber, waren sie nicht nur zu den Lieblingen der Oberen geworden, sondern auch zu den Vorbildern der Jüngeren. Ihr Kleidungsstil und ihr selbstsicheres, lustiges Auftreten wurde kopiert und meistens befanden sie sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Viele Mädchen hatten Interesse an ihnen gezeigt, doch sie waren nie auf eine Affäre eingegangen. Miracle, weil er insgeheim in Magic verknallt war, und Aarin hatte auf SIE gewartet. Auf das Mädchen seiner Träume und es war in Gestalt von Lola zu ihm gekommen. Er musste alles daran setzen, sie wiederzufinden.
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Frau Mina hatte sich über die Anrufe sehr gefreut. Sie hatte die Zimmer geputzt und hergerichtet. Schon lange war sie mit Konn verheiratet. Damals war er noch nicht Staatschef gewesen, noch nicht einmal Bürgermeister! Sie hatten von ihrer Zukunft als Anwälte geträumt, hart gearbeitet und trotzdem ihre Jugend voll ausgekostet. Jetzt waren sie beide für ihr Land, Hanin, verantwortlich und besaßen Geld und Einfluss. Dennoch machte es ihr noch immer Spaß den Haushalt zu schupfen und diplomatische Gäste mit ihren Kochkünsten zu verwöhnen. Hanin war ein kleines Land, das kaum mehr als fünfhunderttausend Einwohner zählte. Es gab eine Universität, die international als eine der Besten galt, und 4 mittelgroße Städte. Hanin war ein reiches Land, die Bewohner lebten gut und der Handel blühte. Vor allem der Export der Rohstoffe nach Anxato, der Hauptstadt des Nordreiches, war gewinnbringend.
Noch heute Abend würde sie die Gäste aus dieser Stadt empfangen heißen. Eine Gruppe von Magiern wollte sie und ihren Ehemann in einer besonders heiklen Angelegenheit um Rat fragen. Frau Mina hoffte, dass es sich bei dieser Angelegenheit um das handelte, was sie glaubte.
Sie ging in ihr Schlafzimmer und setzte sich vor ihren großen Spiegel um das Makeup aufzufrischen, ging zum großen Ehebett, kitzelte ihrem Ehemann die Fußsohle und wartete bis er aufwachte. „Sie werden bald da sein, Schatz. Komm, mach dich fertig zum Empfang.“
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Erschreckt sah Lola auf, als sie jemand grob am Handgelenk packte und ins Ohr zischte „Du brauchst keine Angst haben, ich pass auf dich auf.“ Überrascht blickte sie einem ihrer jüngeren Entführer in die Augen. Sie waren von einem ziemlich durchdringenden Gelb und sie wich einen Schritt zurück. „Okay, das ist gut. Danke.“ Sie wusste nichts Besseres zu sagen. Sie hatte auch nicht mehr Zeit dazu, denn nun schritten auch schon die anderen auf sie zu. Die Reise würde nun also weitergehen.
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Die Raben begannen schon mit dem Landeanflug, sie waren kürzer als normal gereist. Einen letzten Versuch wollte sie noch starten, Aarin an die Wand zu projizieren. Sie hatte ihn nun schon 5 Sekunden lang auf der blauen Himmelsleinwand über ihr festgehalten und sie war stolz darauf. Sein Bild hatte sogar ein wenig die Augen bewegt um sie anzusehen. Sie wurde tatsächlich immer besser. Gleich würden sie landen, doch nur noch ein allerletztes Mal wollte sie sein Gesicht sehen. Der Aarin, den sie jetzt heraufbeschwor, war noch lebensechter als der vorherige und er lächelte sie ein bisschen verwirrt an. Dann auf einmal fixierte er den Blick auf die Landschaft unter ihr und einen Wimpernschlag später war er schon verschwunden.
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„Aarin! Wackle nicht! Konzentrier dich!“ Magic blickte ihn mit gefährlich funkelnden Augen an. Ihr Mahnruf klang sehr krächzend, sie hatte es noch nicht gelernt ihren Stimmapparat ein wenig zu verwandeln um menschlicher zu klingen wenn sie als Vogel unterwegs war. Er konnte sich nicht vorstellen, „gewackelt“ zu sein. Er war ein perfekter Flieger, vielleicht sollte er nicht so viel an Lola denken. Gerade eben hatte er sie direkt vor sich gesehen, sie hatte ihn angesehen. Er hatte sie unter sich fliegen sehen, in einem Tuch, das von Raben gehalten wurde. Er konnte sich geradezu bildlich vorstellen, wie sie vor Angst herumschrie. Jemand, der mit ihrer Höhenangst gesegnet war, dem gefiel das Fliegen gewiss nicht. Noch einmal kam in seinen Gedanken das Bild von Lola hoch, sie sah ihn entspannt an. Hinter ihr erblickte er die Burg Hanin, er kannte sie aus sämtlichen Geschichtsbüchern, die er gelesen hatte. Hanin füllte aufgrund seiner kleinen Streitereien, Versöhnungen und Handelsabkommen mit dem Nordreich viele Seiten der Lehrwerke über Nordländische Geschichte.
Er wünschte sich, dass es Lola so gut ging, wie ihr entspannter Gesichtsausdruck in seinem Traumbild anmerken ließ. Das Traumbild schien ihn seltsam zu berühren. Die Lola im Bild war zwar ganz unscharf gewesen, doch er hatte wirklich das Gefühl gehabt, in ihre Augen zu blicken.
Gleich würden er und seine Freunde wieder zuhause sein und von dort aus in den Süden weiterfliegen.
Er landete direkt vor der Haustüre. Miracle hatte es noch eiliger und flog gleich zur Tür hinein, bevor er sich zurückverwandelte. Magic flog gleich hinterher und setzte sich auf Miracle´s Schulter, während sie sich zurückverwandelte. Dieser kippte unter ihrem Gewicht prompt um und beide fielen zu Boden.
Aarin schüttelte den Kopf, für Blödeleien hatte er weder Zeit noch Nerven. Mit einem großen Schritt stieg er über seine am Boden kugelnde Freunde, er hatte keine Zeit zu verlieren und wollte schnell für die bevorstehende Reise packen.
Auf der Treppe wurde er aufgehalten. Ein Oberer sah ihn stumm an und deutete ihm, mit in den Speisesaal zu kommen. Magic und Miracle hieß er warten, um all die nach ihnen Eintreffenden in den Versammlungsraum zu bitten.
Die Vorhänge waren zugezogen, der Raum war dunkel und Aarin stellte mit Entsetzen fest, dass alle Anwesenden es vermieden, ihn anzusehen. Irgendwas war geschehen.
Die Oberheilerin rief ihn an seine Seite, er setzte sich neben sie auf einen der Stühle und fragte sich was der Anlass für diese erneute Versammlung sein könnte. ER vermutete das Schlimmste. War Lola tot aufgefunden worden? Er stellte diese Frage der Oberheilerin worauf diese entschieden mit dem Kopf schüttelte. „Nein“, flüsterte sie, „dennoch schwebt sie in noch größerer Gefahr als wir ohnehin dachten. Fünf der jungen Verräter wurden von der Polizei Anxatos tot aufgefunden. Wir werden euch verbieten, auf Suche zu fliegen. Es ist viel zu gefährlich. Nur zwei unserer Spezialgrupps werden sich auf die Suche nach Lola machen.“
Aarins Gedanken überschlugen sich, sie befanden sich in einer höchst komplizierten und gefährlichen Situation. Der Mord an fünf der Verräter warf viele neue Fragen in den Raum. Langsam füllte sich der Saal mit all den anderen Schülern und Oberen, die gerade vom Nordhaus zurückgekehrt waren.
Die Oberheilerin stand auf, räusperte sich und verkündete auch den anderen die fatalen Neuigkeiten. Ohne ein Grußwort kam sie gleich zur Sache. „Vor etwa einer halben Stunde bekam unser Kontaktmann in Anxato eine Nachricht der Polizei. Fünf der gesuchten Schüler des Nordhauses waren am Stadtrand tot aufgefunden worden. Man schickte bereits Familienangehörige um die Jugendlichen zu identifizieren. An ihren Körpern weisen sie seltsame Stichwunden auf. Wir schließen darauf, dass sie in einem magischen Kampf gestorben sind. Ein Heiler und eine Laborexpertin wurden bereits geschickt, um die Leichen zu untersuchen.“
Niemand rührte sich im Raum, auf allen Gesichtern stand blankes Entsetzen.
„Wir haben das Nordhaus informiert. Ein magisches Gemetzel zwischen den getöteten und den noch als vermisst geltenden Schülern hält man für ausgeschlossen. Man sagt Einigen zwar einen zweifelhaften Charakter nach, doch dass sie sich gegenseitig umbringen würden, das glauben wir keinesfalls. Zudem sind nicht einmal wir, die Oberen, zu magischem Töten ausgebildet.
Oberheilerin Herand holte tief Luft und sprach weiter. „Jemand anderes muss hinter Lolas Entführung stecken. Abtrünnige der Häuser, die Hass gegen uns hegen. Wir werden euch nicht erlauben auf die Suche nach ihnen zu gehen. Von jetzt an darf niemand mehr alleine aus dem Haus. Es wäre viel zu gefährlich.“
Aarin lief ein Schauer über den Rücken.
Magic hob die Hand und stellte zitternd eine Frage die auch Aarin zur selben Zeit durch den Kopf gelaufen war. „Und was ist mit den fünf anderen, den als noch vermisst geltenden Schülern? Die, die wir für Verräter hielten?“
„Wir gehen davon aus, dass sie den Mördern Gehorsam und Treue schwören mussten. Wenn wir sie in nächster Zeit nicht ebenfalls tot auffinden, dann können wir annehmen, dass sie mit Drohungen gezwungen wurden, an der Entführung teilzunehmen. Hoffen wir, dass einer der Schüler die Gelegenheit findet zu fliehen und uns zu kontaktieren.“
„Morgen werden wir Obere als Suchtrupps losstarten. Einige der Lehrer bleiben um die Liste mit den Namen der Abtrünnigen durchzugehen und versuchen sie zu kontaktieren. So können wir herausfinden, wie viele an der Entführung und an den Morden beteiligt sind. Wir werden in ihrer Geschichte nachforschen um uns ein emotionales Bild von ihnen zu machen. Es braucht euch nicht gesagt zu werden, dass wir uns mehr denn jäh in einer Notsituation befinden. Jedoch soll der Unterricht nicht gänzlich ausfallen. Die Schüler des zweiten Abschnittes unterrichten die Schüler des ersten Abschnittes. Damit ist alles gesagt.“
Niemand rührte sich im Saal, niemand wollte eine neue Frage stellen, alle mussten das eben gehörte erst verdauen. Jemand schluchzte. Aarin wollte sich nicht vorstellen, wie es den wenigen verblieben Schülern des Nordhauses jetzt ging. Wahrscheinlich doppelt so schlecht.
Er ging in Lolas ehemaliges Zimmer und setzte sich auf ihr Bett. Ihre Sachen hingen noch im Schrank, ihr Teddy saß auf dem Kopfpolster uns sah ihn traurig an. Er beschloss ihn später mit auf sein Zimmer zu nehmen. Zitternd strich er mit dem Zeigefinger über das Plüschfell.
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Kapitel 7-Burg Hanin
Die Crew war auf dem einzigen Turm der Burg gelandet und die älteren Männer zupften sich Federn aus ihren Hemden. Die Jüngeren gingen zu den Zinnen und Lola folgte ihnen mit zitternden Knien. Vielleicht war es klug in der Nähe des Gelbäugigen zu bleiben. Falls sie in dieser Entführergruppe einen Freund hatte, dann war er es. Und wenn es ein Spiel à la „Guter Cop – Böser Cop“ war, dann fiel sie gerne drauf rein. Die Burg war der Mittelpunkt einer modernen Stadt, die auf einem weit auslaufenden Hügel gebaut war. Der Turm hatte Zinnen wie auch die Wehrgänge, die sich gut zehn Meter unter ihr befanden. Auf den Wehrgängen waren, wie zur Zierde, ein paar Wachen in bunten Röcken aufgestellt, die sie aber nicht beachteten. Falls die Magier keinen Illusionszauber angewendet hatten, mussten diese Wachen gut im Einstecken sein. Vielleicht bekamen sie für ihr Pokerface eine extra Gehaltszulage.
Der Schlossturm zitterte leicht. Die Fläche auf der sie standen, war nicht größer als die Fläche eines durchschnittlichen Kinderzimmers und in die Mitte des Steinbodens war eine große Metallplatte eingelassen. Genau diese Metallplatte begann nun, sich mithilfe von vier hydraulischen Stützen in den Seiten aus dem Boden zu erheben, und prangte wie ein Dach über einem quadratischen Loch im Boden. Sekunden später erkannte sie, dass das Loch keinen Stiegenabgang, sondern einen Liftschacht freigab. Eine Art gläserner Aufzug kam senkrecht herausgefahren und darin standen eine dünne Frau und einer der bunt gekleideten Wachen. Auch ohne Spezialeffekten wie Rauch oder Kanonenschüsse hinterließ dieser Auftritt einen bleibenden Eindruck auf Lola. Die Wache drückte auf einen Knopf in der Kabine und eine der Seitenwände verschwand komplett. Wohin konnte Lola nicht sagen.
„Willkommen auf Burg Hanin, dem Herz unseres bescheidenen Landes.“
Die Burgherrin und Staatschefin kam mit kleinen Schritten, die sie an das Gehabe einer Geisha erinnerte, auf sie zugetrippelt. Ihr Aussehen war durchschnittlich, aber ihr strenges Outfit und Styling passten zu ihrer wichtigen politischen Rolle. „Du bist also die berühmte kleine Lola. Es freut mich, dich kennen zu Lernen.“
„Und sie sind...?“ Die Frau machte –nicht nur aufgrund der beiden Knopfreihen, die den einzigen Schmuck an ihrem blauen Satinkleid darstellten- einen verschlossenen, eben zugeknöpften Eindruck. Sie legte ihr zwar, wie einer Vertrauten, die Hände auf die Schultern und musterte sie von oben bis unten, ob sie auch genug aß und gesund war, aber Lola merkte, dass sie es nicht gewohnt war, diese mütterliche Rolle zu spielen.
„Ich bin Frau Minna. Und du bist bis mindestens morgen früh mein Gast. Ich möchte alles über dich erfahren.“ Die Männer rundum machten finstere Mienen und Frau Minna lächelte ein attraktives Lächeln. Sie war zwar ein kalter und strenger Mensch, aber hatte die attraktive Ausstrahlung einer mächtigen Frau, die in ihrem Leben schon viel gesehen hat.
Der Bärtige machte schnell klar, dass sie nicht bleiben wollten, weil sie in Eile waren. Das südliche Nachbarland war sicherer vor Verfolgern und sie waren lediglich hier, um einen Kleinbus zu erbitten; das Fliegen war auf die Dauer sehr anstrengend.
„Nein, so schnell lasse ich euch bestimmt nicht wieder gehen. In der Burg seid ihr sicher und ihr schuldet mir noch einen Bericht.“
Frau Minna und der Bärtige begannen eine Diskussion, in der letzterer eindeutig unterlegen war. Die Burgherrin spielte mit ihm wie eine Katze mit einer Maus und nach ein paar Minuten war geklärt, dass sie für eine Nacht bleiben würden.
Der Glatzkopf und zwei der anderen Männer stiegen mit ihr, den Jüngeren und der Wache in den Aufzug. Frau Minna wartete mit den anderen zwei Erwachsenen auf dem Turm. Die Kabine war für weniger Personen gedacht und sie wurden buchstäblich gegen die Glasscheiben gedrückt. Selbst wenn der Aufzug abgestürzt wäre, wäre keiner von ihnen umgefallen, so eng standen sie aneinander gedrückt. Die Wache führte sie durch einen breiten Gang mit Gewölbe in ein großes Empfangszimmer. Vielleicht war es auch ein Wohnzimmer oder ein Raum, der für Konferenzen genutzt wurde. Es gab keine Schränke, aber einen Kamin und eine große Tafel. Frau Minna und der Bärtige trafen einige Minuten nach ihnen ein und die Burgherrin setzte sich auf einen der Stühle am Kopfende des Tisches. An der Wand dahinter war ein altes Fresko, in dem es um wilde Tiere in einer Wüste ging. Anstatt, dass sie die Wache hinter ihr aufgestellt hätte, setzte sie sich auf einen noch kostbaren gepolsterten Stuhl neben sie. Der Mann mit Schnurrbart war also Frau Minnas Gatte und Staatschef von Hanin. Lola schluckte, sie hatte ihn für einen Bediensteten gehalten. Er schien ganz gewaltig unter dem Pantoffel seiner Frau zu stehen. „Wer sind die Neuen?“ Frau Minna war sehr neugierig. Ihre Blicke glitten über den Gelbäugigen und die vier anderen jungen Männer. „ Es sind Schüler aus dem Nordhaus, mit dem Blutschwur gebunden. Die, die nicht freiwillig mitkamen, haben wir getötet und gut versteckt. Solange man sie nicht findet, wird man glauben, dass die Schüler alleine für die Entführung des Erdenmädchens verantwortlich sind.“ Der Bärtige lachte.
Lola wurde übel. Wer waren diese gehässigen Männer und wie kam es, dass dieses Land eine derart gedankenlose Regentin hatte, die mit Menschen wie diesen verkehrten? Wenn sie gerade richtig gehört hatte, waren Zauberschüler getötet worden. Der Bärtige und der Glatzkopf waren Mörder. Und die drei Handlanger, die sich im Hintergrund hielten auch. Sie blinzelte Tränen weg, sie hasste diese Menschen und eine unbändige Wut kam in ihr auf. Jemand legte ihr eine Hand auf den Arm um sie zu beruhigen. Es war der Gelbäugige.
„Die Jungen und Lola nehmen wir mit als Geisel, falls sie uns in unserem Versteck ausfindig machen bevor wir….“
Der Bartmann wurde von der Frau spöttisch unterbrochen; „…bevor ihr endlich die Medaille ausfindig macht, was ja höchstens noch ein paar Jahre dauern wird.“
Der Spott wich aus ihrer Stimme und sie sprach weiter „Und du glaubst, die Neuen werden dir treu bleiben obwohl sie gesehen haben, wie ihr ihre Freunde getötet habt?“
„Sie haben es geschworen. Sie haben geschworen, dass sie niemanden zu Hilfe rufen. Sie dürfen untereinander kein Wort sprechen und müssen immer in unserer unmittelbaren Nähe bleiben und unseren Befehlen gehorchen. Wenn nicht, würden sie sofort sterben.“
Frau Minna sah die Männer ungläubig an.
„Magischer Blutschwur.“ Ergänzte der Glatzköpfige. „Wenn wir tatsächlich noch eine Nacht hierbleiben, können wir ihn Lola beibringen.“ Er grinste ihr zu. „Doch essen wir erst mal. Es ist Mittagszeit.“
Frau Minna nickte höflich. „Ganz wie ihr wünscht“, sagte sie und verließ den Raum. Kurz darauf mit einem Servierwagen voller Essen zurück und wies Monika an ihr zu helfen. Während dem Essen betrachtete Lola die Jugendlichen aus den Augenwinkeln. Jetzt wusste sie, dass es genauso wie sie Geiseln waren. Warum war ihr nicht zuvor aufgefallen, wie verzweifelt ihre Gesichter wirkten? Die Burschen waren noch viel ärmer dran, als sie selbst. Der Blutschwur…Lola schauderte, als sie über dessen mögliche Bedeutung nachdachte. Sie musste fliehen, bevor auch sie ihn leisten musste. Bis jetzt hatte sie es nicht gewagt, einen Fluchtversuch zu starten. Wegen der Verwandlungskünste der Magier musste sie sehr schnell und unauffällig sein. Hier, in der Burg und in der Stadt, waren die Verstecke zahlreicher als in einem Wald, oder auf einer Wiese. Sie musste es noch heute Nacht versuchen.
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Frustriert saß Lola in der, für diese Welt scheinbar übliche, Schlafnische. Sie befand sich in einem fensterlosen Zimmer und die Tür war zugesperrt. Nicht die geringste Chance hatte sie zu fliehen. Und morgen..morgen würde man sie irgendeinen unwiderrufbaren Schwur sprechen lassen. Alles war vorbei, sie würde womöglich den Rest ihres Lebens in Gefangenschaft verbringen.
Im Dunkeln tastend suchte sie einen Lichtschalter, um wenigstens ihre Angst vor dem Dunkeln zu vertreiben. Sie fand einen und setzte sich weinend in eine Ecke des Zimmers, sie konnte keine klaren Gedanken mehr fassen. Ihr ganzer Geist war von einem einzigen, großen Hass auf diese Welt gefüllt. Schluchzer schüttelten ihren Körper durch und ihr Tränenstrom schien kein Ende zu nehmen. Sie dachte an ihre Mutter und ihr Herz krampfte sich zusammen, sie hielt den Trennungsschmerz nicht mehr aus. Wenn sie sie doch nur umarmen könnte. Sie wünschte es sich aus ganzem Herzen. Ihr Verlangen nach ihrer Mutter war so groß, dass es weh tat. Noch immer schluchzend dachte sie an einen Kalenderspruch vom Vorjahr. „Die Liebe besiegt Raum und Zeit. Sie besiegt sogar den Tod.“
Langsam beruhigte sie sich. Ja, Liebe besiegte Raum und Zeit, sie konnte ihre Mutter ganz nah bei sich fühlen. Getröstet öffnete sie die Augen. Sie zwinkerte. Sie zwinkerte noch einmal.
Auch die Person vor ihr zwinkerte mit den Augen und kniff sich in den Arm. Es war ihre Mutter. „Mami!!“ schrie Monika leise und sprang auf. Sie konnte es nicht fassen. Ihr Herz zersprang vor Liebe und Glück. „Maaaami!!!!“ sie drückte ihre etwas beleibte Mutter ganz fest an sich. „So sehr so sehr hab ich dich vermisst, ich liebe dich so sehr!“
Ihre Mutter erwiderte nun ihre Umarmung und begann zu weinen. „Bist du es wirklich, Monika, mein Schatz?“
„Ja Mama! Ich bin´s, ganz sicher! Das muss dir wie eine Täuschung vorkommen, ich habe dich gerade hierhergezaubert, man hat mich gerade hier eingesperrt. Doch bald wird man mich retten kommen. Vertrau mir, Mama, alles wird gut.“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf und weinte noch immer. „Ich liebe dich Monika, was für ein verrückter Traum, du fehlst mir sehr, es tut gut, dich wenigstens im Traum in die Arme nehmen zu können.“
Jemand drehte den Schlüssel in der Tür um. Sie hatte höchstens noch eine Sekunde Zeit. „Mutti, ich liebe dich, bis bald.“ Sie gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und schob sie sanft von sich, während sie sich in Luft auflöste.
Der Bärtige glotzte in ihr Zimmer. „War da jemand bei dir? Oder machst du ganz alleine so viel Lärm.“ Lolas Augen waren noch immer Verschwollen und sie gab keine Antwort, sondern ließ einen falschen Schluchzer los. Sollte der Bösewicht doch wissen, wie sehr sie litt, obwohl sie gerade eben neue Hoffnung gefasst hatte. Er schloss die Tür wieder hinter sich und Lola atmete erleichtert auf.
Jetzt war es an der Zeit, Aarin herbeizuzaubern. Sie wusste nun, dass sie nicht nur in der Lage war die Bilder von jemand an die Wand zu projizieren, sondern sie wusste, dass sie ganze Menschen herbeizaubern konnte. Wie überaus praktisch. Sie war mächtig stolz auf sich.
Lola schloss die Augen und dachte wieder an den Kalenderspruch. „Raum und Zeit überwinden.“ Sie wusste, dass sie Raum und Zeit besiegen konnte, wenn sie wollte. Naja, zumindest Raum. Als sie die Augen öffnete, war Aarin nicht da.
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„Aarin! Jetzt im Ernst, hätten wir dich nicht festgehalten, wärst du verschwunden. Wir müssen sofort zu Oberheilerin. Du hast uns schon mit deinem Flackern so beunruhigt und nun wurdest du auch noch durchsichtig!“ Aarin hört die Stimmen von Magic und Miracle, die aufgeregt miteinander diskutierten, kaum. Auch andere Stimmen konnte er hören, sie befanden sich mitten im Aufenthaltsraum. Alle sahen sie an. Er konnte es nicht fassen, er hatte Lola klar und deutlich vor sich gesehen und er hatte sich mit ihr alleine in einem Zimmer befunden. Er konnte es nicht glauben. Irgendein Zauber schien sie zusammenzuführen. War es eine Falle?
„Aaaaaarin!!! Komm sofort mit!“ Magic hatte ihn fest am Arm gepackt und wollte ihn Richtung Tür zerren.
„Nein, wartet kurz, ich muss erst mal aufs Klo.“ Er riss sich los und sperrte sich in einem kleinen Badezimmer ein. Er setzte sich auf den geschlossenen Klodeckel und atmete tief ein und aus. Da bemerkte er, dass er erneut durchsichtig wurde. Die Welt um ihn löste sich auf und einen Moment hing er schwerelos im Nichts, während dem er nichts sehen konnte. Er zwinkerte und saß am Rand einer Bettnische in dem fensterlosen Raum, den er vorhin gesehen hatte. Zu seinen Füßen kniete Lola im Schneidersitz und hatte die Augen geschlossen. Es sah aus, als würde sie meditieren. Würde er verschwinden, wenn er versuchte sie zu berühren? Er stupste seinen Zeigefinger gegen ihre Wange und ein riesen Lächeln erschien in ihrem Gesicht. Sie schlug die Augen auf und strahlte ihn an. „Aaaarin!!! Ich kann zaubern, ich kann zaubern!!!“ Ihre Beine waren wie verknotet und hinderten sie beim aufstehen. Aarin zog sie hoch und sie warf sich in seine Arme. Perplex tätschelte er ihren Rücken. „Wie machst du das?“ Seine Stimme hörte sich rau an. Er war aufgeregt. „Das weiß ich doch selbst nicht.“ Antwortete Lola und kuschelte sich wie ein Hündchen in seinen Schoß. Ihre Augen waren verquollen. „Du hast geweint“, stellte er fest. Er hatte sich inzwischen gesammelt und hingenommen, dass ihn das Mädchen einfach so durch Meditation hergezaubert hatte. Von so einem Zauber hatte er noch nie gehört gehabt, vielleicht konnten das nur Erdlinge.
„Nein ich habe nicht geweint“, sagte Lola trotzig, aber sah ihn nicht an. Er musste sie so schnell wie möglich retten. Aarin schickte einen Zauberstrahl Richtung Tür, um zu testen, ob er die Tür aufbekam. Als er es tat, zitterte er und drohte zu verblassen. Der Zauber hatte nicht gewirkt und stattdessen wäre er beinahe verschwunden.
„Haben sie dir wehgetan?“ fragte Aarin vorsichtig und fuhr sanft durch Lola´s verrittetes Haar. Was hatte das Mädchen die letzten zwei Tage nur durchmachen müssen? „Wo bist du?“
Lola begann zu schluchzen. „Oh Aarin! Sie haben mich hier eingesperrt, die Männer! Und Frau Minna! Ich bin in einer Burg gefangen und morgen muss ich einen Blutschwur leisten und ich weiß nicht, wie ich fliehen soll.“. Er wiegte das Mädchen wie ein kleines Kind hin und her, damit sich ihre Nerven beruhigten. Sie tat ihm so unendlich Leid und er konnte ihr im Moment nicht helfen. „Und Schüler aus dem Nordhaus sind auch da. Die müssen alles tun was sie sagen und dürfen nicht einmal reden! Und die Männer haben andere Schüler getötet, haben sie gesagt.“
„Ich weiß, ich weiß“, murmelte Aarin. Er hatte während der letzten Jahre nie jemanden trösten müssen und wusste nicht wirklich, was er tun sollte. Lola beruhigte sich nach ein paar weiteren Schluchzern von selber und blinzelte ihn durch tränenverhangene Augen an. Er fragte sie nach den Namen der Männer und sie wusste sie nicht. Dafür beschrieb sie deren Aussehen, dass Frau Minna etwas von einer Medaille gesagt hatte, und dass sie morgen mit einem Bus Richtung Süden fahren würden.
Es verstrichen zehn Minuten und Aarin wurde abwechseln durchsichtig und war dann wieder da. Das also hatten seine Freunde mit „flackern“ gemeint. Lola saß neben ihm und würde es nicht mehr lange schaffen, sich zu konzentrieren. Der Zauber, mit dem sie ihn hier festhielt, strengte sie sehr an… Die Nachricht über Lolas bevorstehenden Blutschwur war schrecklich. Er konnte ihr nicht helfen, seine Zauberkräfte funktionierten nicht. Liebend gerne hätte er ein Loch in die Wand gesprengt und wäre mit ihr geflüchtet, doch es funktionierte nicht. Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Wenn wir schnell sind, können wir morgen Vormittag hier sein um dich zu Retten. Du musst alles daran setzen, den Blutschwur hinauszuzögern. Wenn es geht, flieh. Ruf mich dann durch deinen Zauber zu dir, dass ich weiß, wo ich dich abholen kann. Verrate den Magiern nicht von deiner Gabe. Bis bald, kleine Lola…“ Er gab ihr noch einmal einen Kuss auf die Stirn und sie schloss erschöpft die Augen.
Das Gefühl der Schwerelosigkeit hielt nur einen kurzen Augenblick an und dann saß er, wie eine Viertelstunde zuvor, auf dem Klodeckel im Badezimmer neben dem Aufenthaltsraum. „Gottseidank, du bist wieder bei uns.“ Die Badezimmertür war aufgebrochen und die Oberheilerin starrte ihm direkt ins Gesicht. Magic´s und Miracle´s aufgebrachte Gesichter konnte er direkt hinter ihr ausmachen. Seine Schwester hatte Tränen in den Augen. Er stand auf und schloss sie in die Arme. Wenn es so weiter ging, würde er bald richtig gut im Trösten werden. Frau Heran bat ihn in ihr Büro und nachdem er ihr alles erzählt hatte, musste er die Geschichte vor dem ganzen Haus noch einmal vortragen. Er sah in den Gesichtern ein großes Staunen. Wieso konnte Lola Menschen beamen? Konnten das andere Menschen auch? Änderte sich dadurch etwas in den MAgiergemeinschaft? Nicht nur Staunen konnte er in ihren Gesichtern ausmachen, sondern auch Entsetzten. Die Abtrünnigen hatten die Unterstützung der Regenten des Nachbarlandes. Frau Minna war eine mächtige Schutzherrin und wenn sie aufflog, würden sich die Beziehungen zwischen ihren Ländern verschlechtern. Es konnte auch zu Unruhen innerhalb der Bevölkerung Hanin´s kommen.
Aarin verdrängte all diese Gedanken. Im Moment war er froh, dass er wusste, wo Lola war. Wenn sie auch die anderen Schüler wegen des Blutschwurs vorerst nicht retten konnten, konnte er dafür sorgen, dass wenigstens Monika das schreckliche Schicksal als Leibeigene erspart blieb.
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Kapitel 8-Die Flucht
Lola saß noch immer an der Kante der Bettnische. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie Aarin noch neben sich spüren. Durch seinen Besuch hatte sie Ruhe gewonnen. Selbst wenn alles schief ging, hatte sie einen Weg gefunden, mit ihm zu kommunizieren. Ab jetzt brauchte sie sich nicht mehr zu fürchten.
Sie tat ihr bestes, um sich auf eine mögliche Flucht vorzubereiten. Nachdem sie ein paar Selbstverteidigungsgriffe mit einem imaginären Gegner geübt hatte, joggte sie ein wenig auf und ab. Ihre Gelenke waren steif, weil sie sich seit dem Beginn ihrer Entführung kaum bewegen hatte können. Lola untersuchte das Türschloss, das ganz normal aussah und wie sie es von der Erde her kannte. Als sie zu dem Schluss gekommen war, dass ihr nur noch eines überblieb, übte sie den Zauber mit der Flamme. „Stell dir kleine rote Linien vor, die sich zu einer Flamme verbinden. Stell dir vor, die roten Linien kämen aus deinem kleinen Finger.“ Monika erinnerte sich noch genau an Anjas Anweisungen und hielt sich daran. Doch aus Angst, dass sie sich wieder verbrennen könnte, versuchte sie es nur halbherzig und es funktionierte nicht.
Lola musste mehr als eine Stunde warten, bis Frau Minna die Tür öffnete und ihr auf einem Tablett die Abendmahlzeit brachte. Monika wurde flau im Magen. Wenn sie eine Chance hatte zu fliehen, dann jetzt. Sie musste fliehen. Für ihre Mutter, für Aarin.
Die Burgherrin hatte ein schleimiges Lächeln aufgesetzt, mit dem sie sie aber nicht täuschen konnte; diese Frau war böse. „Schätzchen, es tut mir so leid, dass ich kein besseres Zimmer für dich habe. Nachher zeige ich dir, wo du dich waschen kannst.“
Sollte sie warten, bis sie in einen Waschraum gebracht wurde? Nein, sie wollte keine Zeit verlieren. Sie stand auf um das Tablett entgegenzunehmen. Dann hielt sie kurz inne, als würde sie an der Suppe riechen, und drehte das Tablett um 90 Grad. Sie drückte es Frau Minna ins Gesicht und der Suppenteller fiel krachend zu Boden. Beide wurden sie mit einer dicken Creme bespritzt. Lola drückte Frau Minna zur Seite und rannte zur Tür hinaus, schlug sie zu und fingerte nach dem Türschloss, wo der Schlüssel stecken musste. Ihr Herz klopfte so heftig, dass Lola Angst hatte, es würde zerreißen. Ihre Situation konnte nicht verzwickter sein; Frau Minna hatte den Schlüssel nicht stecken lassen und versuchte nun von innen die Türe aufzuziehen. Lola hielt mit all ihrer Kraft dagegen. Die Frau schrie um Hilfe, aber sie konnte es nur gedämpft hören; die Türe war dick. Sie musste wieder hinein und den Schlüssel erkämpfen. Sie atmete noch ein paar Mal tief ein und aus, um sich zu beruhigen, was aber nicht gelang; je länger sie den Moment hinauszögerte, desto nervöser wurde sie. Frau Minna zog noch immer an der Türklinke und Lola ließ kurzentschlossen los. Wie erwartet taumelte Frau Minna nach hinten. Lola stürzte sich auf sie und stieß sie zu Boden. Als die Frau sich wehren wollte, kratzte sie sie ins Gesicht, etwas anderes viel ihr nicht ein. Wo hatte Frau Minna den Schlüssel? Ihr Kleid hatte weder Tasche noch Schürze, und sie konnte sich nicht vorstellen, wo sie ihn versteckt hielt. Frau Minna wollte ihr mit der Faust ins Gesicht schlagen und sie wich aus, indem sie sich auf die Seite rollte. Im selben Augenblick entdeckte sie einen dicken Schlüsselbund neben dem fallen gelassenen Tablett. Sie hastete darauf zu und rannte zur Tür hinaus. Frau Minna holte sie ein und zog sie am Schlafanzug, den sie schon seit zwei Tagen trug. Lola holte mit dem Schlüsselbund aus und zog ihn ihr über die Finger. Es sah schrecklich aus, weil die Schlüssel auf der weißen Hand rote Striemen hinterließen. So schnell sie konnte schloss die Türe und fand den richtigen Schlüssel; er war blau- genau wie das Schloss.
Lola rannte den Gang hinunter, gleich würden die Zauberer herbeieilen, weil sie so viel Krach gemacht hatten. Sie wusste den Weg aus dem Schloss nicht, doch sie wusste, dass sie erst einige Stockwerke bergab laufen musste. Als sie an der -einen spaltbreit offenen- Wohnzimmertür vorbeilief, wäre sie fast erschrocken stehen geblieben, da sich die Zauberer vollzählig darin versammelt hatten um gemeinsam zu speisen. Sie hatten den Lärm anscheinend nicht bemerkt, Lola hatte gute Chancen zu entkommen.
Sie kam zu dem gläsernen Liftschacht und sie suchte nach einer Taste, um ihn herbeizurufen. Statt einer Taste gab es nur ein Schlüsselloch und versuchsweise drehte sie den dazu passenden Schlüssel einmal im Kreis. Der Lift schien ewig lange zu brauchen. Innen gab es einen Knopf mit der Aufschrift „Ausgang“ und sie atmete erleichtert auf. Während sich der Lift auf den Weg nach unten machte, konnte sie ein bisschen verschnaufen.

Unten angekommen verließ sie das Schlosstor, als wäre sie ein normaler Besucher gewesen, die Wachen schenkten ihr wunderten sich vielleicht über ihren Pyjama, aber sie hielten sie nicht auf. Das Schloss befand sich mitten in der Stadt und sie konnte sich schnell unter den abendlichen Menschenstrom mischen. Die Leute kehrten von der Arbeit nach Hause zurück und Lola würde sich nicht mehr lange in der Masse verstecken können. Nach zwei Tagen war sie noch immer im Pyjama und die Leute warfen ihr schräge Blicke zu. Lola hatte angenommen, dass die Leggins, Röcke und Blusen eine Art Uniform der Häuser gewesen waren. Doch auch hier waren die Menschen so bekleidet. Wenn sie überlegte, war sie überhaupt nirgends sicher. Die Magier konnten sie bestimmt mit Magie suchen und würden sie mit ihren scharfen Rabenaugen bestimmt finden. Sie musste schnell handeln, vielleicht hatten die Magier Frau Minna schon eingeschlossen in ihrem Zimmer vorgefunden.

Eine Kirchentür stand offen, sie schlüpfte schnell hinein und setzte sich in eine dunkle Nische. Nach einigen Minuten war ihr jedoch schon so kalt, dass sie beschloss ein wärmeres Versteck für die Nacht zu suchen
Sie vermutete ein belebtes Einkaufszentrum in einem großen Gebäudekomplex und begab sich durch die Drehtür. Es war jedoch ein Krankenhaus. An der Rezeption war eine lange Schlange, Lola gesellte sich dazu, sie würde schreckliche Kopfschmerzen vortäuschen. Dann steckte man sie für die Nacht vielleicht in ein Zimmer und sie würde vor Kälte nicht erfrieren.
„Name?“ eine Krankenschwester hielt ihr ein Formular hin, dass sie ausfüllen sollte. Sie versuchte die Fragen so gut wie möglich zu beantworten. Lola, Haningasse 1, Hanin, Geburtsdatum 27 Februar 1994, Versicherungsnummer 06504145 083, Beschwerden: sehr starke Kopfschmerzen.
Das musste genügen, ihr Sitznachbar hatte es so ähnlich ausgefüllt, sie hatte nur die Nummern abgeändert und statt dem Monat April den Monat Februar hingeschrieben. Die Krankenschwester nahm das Blatt entgegen und hieß sie warten. Sie nahm ihren Kopf zwischen die Hände und nahm einen leidenden Gesichtsausdruck an, ein verrücktes Zittern brauchte sie nicht zu spielen, ihr war noch immer kalt.
„Wenn du Kopfweh hast, würden doch ein paar Tabletten genügen.“ Ihr Sitznachbar nahm sie in Augenschein. Er trug durchgehend schwarze Kleidung und eine Kopfbedeckung, von der sie nicht sagen konnte, ob es ein seltsam geformter Hut oder eine Kapuze war. „Wieso hast du bei mir abgeschrieben?“
„Ich habe schon seit Tagen Kopfschmerzen und sie werden immer stärker, gleich zerplatzt mein Kopf.“ Sie hoffte, dass ihr circa 40 jähriger, dickleibiger Sitznachbar nicht weiterfragte. Doch sie wurde enttäuscht.
„Man, hast du komische Augen.“
Sie senkte den Blick, wahrscheinlich waren ihre hellgraublauen Augen nicht so knallig wie die der Durchschnittsbürger dieser Welt. Sie zuckte mit den Schultern.
„Entschuldigung, das war nicht nett von mir.“ Er begann ihr von seinem schon jahrelangen Herzleiden zu erzählen und sie nickte immer wieder mit dem Kopf, als hätte sie daran wenigstens ein bisschen Interesse gezeigt.
„Und wenn alles nicht hilft, dann versuch ich´s illegal bei den Magics. Im Nordreich gibt es einen Haufen von denen. Zweimal hab ich schon einen Antrag auf Heilbehandlung gestellt. Von wegen die Magics nehmen sich nur für unheilbar Kranke Zeit. Als wären meine Herzprobleme nicht schwerwiegend genug, jeden Moment könnte ich tot umfallen und dann wär´s denen peinlich, dass sie mir die Visite verweigert haben. Eine Schande ist das.“
Lola war hellhörig geworden. Was wusste das normale Volk über die Zauberer? Inwiefern beeinflussten sie das Geschehen im Land? „Wie viele Magics gibt es in Hanin? Im Nordreich haben sie ihre Schule, nicht wahr?“ Sie hatte erst drei Tage bei den Zauberern verbracht und es lagen ihr noch viele Fragen auf der Zunge, die sie noch fragen wollte. Jetzt hatte sie die einmalige Gelegenheit jemanden von außerhalb zu fragen. Jemand, der vielleicht noch nie einem Zauberer begegnet war, aber der ihr aus erster Hand und unverstellt erklären konnte, was die Bevölkerung über die Zauberer dachte.
„Ein Magic ist Aufsichtsrat in der Regierung und ein zweiter ist für die Heilung zuständig. Ein einziger Zauberer für all die Kranken in diesem Land! Das nenn ich knausrig. In den Graubergen und der Wüste haben sie jeweils zwei und unser Hanin hat mal wieder das Nachsehen. Wenn du mich fragst, steckt die Regierung des Nordreichs dahinter. Nur weil sie das meiste Geld in die Magics stecken, brauchen sie sich nicht das Recht herausnehmen, über sie zu bestimmen. Willst du wissen, weshalb sie meine Beantragung beide Male abgelehnt haben? Sie glauben ich bluffe. Sollen Sie doch Nächtens mit Herzrasen wachliegen und Angst haben, dass sie den nächsten Morgen nicht mehr erleben.“ Der dicke Mann hatte sich in Rage geredet. Bevor sie ihm weitere Fragen stellen konnte wurde er aufgefordert sich in den Untersuchungsraum zu begeben und Lola rutschte nervös am Stuhl hin und her. Als nächstes würde sie aufgerufen.
Eine Frau, die ihnen beim Gespräch zugehört hatte, lächelte ihr schüchtern zu. Sie hatte eine graue Katze auf dem Schoß, deren rechte Vordertatze angeschwollen war. Bemerkenswert fand sie, dass ihre Augen tiefblau waren. Es sah edel aus und es war ihr noch nie aufgefallen, dass in Ninina sogar die Tiere deckend bunte Augen hatten. „Ein schönes Tier.“ Lola kraulte das Tier und es streckte sich. Die Frau lächelte noch immer. Sie sah so aus, als würde sie ebenfalls gerne ein Gespräch beginnen, aber traute sich nicht. Gerade als Lola aufstehen wollte, um rasch ein Klo aufzusuchen, überwand sie sich tatsächlich und sprach sie an. „Der Herr von vorhin, seine Herzleiden kauft ihm niemand mehr ab. Er ist ein Magicfreak und er möchte zu gerne einmal mit einem sprechen.“
„Ich auch“, sagte Lola. „Am liebsten wäre ich selbst eine Magic.“
Die Frau wiegte sachte den Kopf. Sie hatte eine blonde kurze Dauerwelle und Lola konnte sich gut vorstellen, dass sie regelmäßig Kaffeekränzchen und Wohltätigkeitsbasare veranstaltete. Gespannt wartete sie, was die Frau auf ihre Äußerung antworten würde.
„Früher, als wir noch geglaubt haben, dass es Magie nur im Märchen gibt, habe ich mir oft vorgestellt, dass ich Zaubern könnte. Mit einem Zauberstab und allem Drum und Dran. Nachdem das Geheimhaltungsgesetz aufgehoben wurde, stimmte ich dafür, dass Hanin seine eigene Zauberschule bekommt. Du bist zu jung, als dass du dich an die Demonstrationen von damals erinnern könntest, aber in der Schule hast du bestimmt davon gelernt. Kann ich dich was fragen?“
Lola nickte. Bitte, bitte würde sie sich nicht blamieren weil sie über die Geschichte Hanin´s nicht Bescheid wusste.
„Glaubst du an das Gerücht, dass Minna Zauberer der alten Generation auf ihre Seite gezogen hat?“
Lola nickte. Diese Frage hätte sie sogar ausgiebig antworten können. Aber sie musste so unauffällig wie möglich bleiben und ihr war nicht entgangen, dass auch diese Frau wegen ihrer Augenfarbe irritiert war. Für das nächste Mal, wenn sie unter nichtmagische Menschen ging, musste sie sich Kontaktlinsen besorgen.
„Glaubst du, dass das gut für Hanin wäre? Wenn wir in dieser Hinsicht unabhängig vom Nordreich werden? Mein erwachsener Sohn sagt, die Magics haben ihre eigenen Regeln und sie dürfen nicht einfach so eine neue Gemeinschaft aufmachen. Meine Tochter sagt, es wäre das Beste für Hanin weil das Nordreich dadurch an Kontrolle verliert. Sie sagt, das Nordreich ist neidisch auf unser Geld und will mit dem Magic im Kontrollausschuss verhindern, dass wir noch mehr Reichtum scheffeln.“ Frau Kaffeekränzchen sah sie mit großen grünen Augen an und erwartete bestimmt eine Antwort, mit der sie ihre Kinder beim nächsten Besuch beeindrucken konnte.
„Chrmchrm.“ Lola räusperte sich. Sie musste dringend aufs Klo und der Mann mit Herzleiden wurde bestimmt bald wieder weggeschickt. „Ob es gut für Hanin wäre, weiß ich nicht. Ich glaube, es ist Vertrauenssache. Ich schätze Minna als eine Frau ein, die weiß, was sie tut. Die Frage ist, ob Hanin ihr vertrauen kann. Wenn sie keine guten Absichten verfolgt, dann hoffe ich, dass die zusätzlichen Magics nur ein Gerücht sind.“
Ihr Name leuchtete auf der Anzeigetafel auf. Nachdem sie sich von der Frau und ihrer Katze verabschiedet hatte, brachte man sie in einen kleinen Raum, in dem eine Krankenschwester begann, Fragen über ihre Kopfschmerzen zu stellen. Ein junger Arzt mit hellbraunen Haaren setzte sich zu ihnen. „Also welche Pillen gegen das Kopfweh hast du schon genommen?“ fragte die Schwester.
„So ziemlich alles, was meine Mutter in ihrer Hausapotheke hat.“
„Kannst du dich an die Namen der Medikamente erinnern?“ fragte sie weiter.
„Aspirin war eines davon.“ Sie versuchte krank zu klingen und stöhnte auf.
„Aspirin? Was ist das? Naturheilkunde?“
„Ich glaube, ja, meine Mutter versteht sich ganz gut darauf.“
Die Krankenschwester nannte einige mögliche Medikamente, ob sie die Namen wiedererkannte. Ein paarmal antwortete sie mit „Ja“ und meistens mit „Nein“.
Der Arzt warf ebenfalls einen Namen ein, Ritix, und sie bejahte. „Ja das habe ich auch genommen.“
„Das ist ein Alzheimermedikament. Und vorhin hast du ein Mittel gegen Schwangerschaftsbeschwerden, eine Diätenpille und ein Antidepressiva bejaht. Du hast ganz bestimmt keine Kopfschmerzen, geh nach Hause.“
Ihre Handflächen schwitzten und ihre Stirn wurde auch schon feucht. Shit, sie hatte es gründlich vermasselt, doch sie wollte nicht aufgeben; denn draußen waren bestimmt schon die Raben unterwegs.
„Nein, ähm bitte bitte nehmt mich auf. Mein Kopf zerspringt gleich und…und ich bin wahnsinnig. Meine Mutter will nicht, dass ich nach Hause zurückkehre. Sie hasst mich.“
Der Arzt und die Krankenschwester starrten sie entgeistert an. „Sie setzt alles daran um hierbleiben zu können. Was für Gründe das auch hat, wir werden es herausfinden. Bringen wir sie in die Forschungsabteilung der Psychostation, vielleicht hat sie eine Krankheit, die mit ihrer Augenfarbe zusammen hängt. Dieser Fall interessiert mich.“
Der Arzt persönlich schleifte sie einige Gänge entlang, während sie wimmerte, als hätte sie irrsinnige Kopfschmerzen und steckte sie in ein Zimmer. „Jetzt schlaf erst mal.“
Sie wartete, bis sie keine Schritte mehr hören konnte und projizierte Aarins Bild an die Wand. Es musste auch so funktionieren. Aarins Bild bewegte sich, als wollte er aus der Projektion hinaussteigen, doch er konnte nicht und sah sie verwirrt an.
„Aarin? Kannst du mich hören?“ Er nickte mit dem Kopf. „Ich bin ausgebrochen und bin nun in einem Krankenhaus. Bitte kommt so schnell wie möglich, ja?“
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Als Aarins Körper zu zittern begonnen hatten, waren sie sofort auf einem Baum gelandet. In einigen Stunden würden sie die Grenze zu Hanin erreichen. Magic putzte sich zufrieden das Gefieder.
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„Hier, ich habe dir was mitgebracht.“ Aarin reichte ihr lächelnd ein Päckchen mit Tabletten. Als bloßes Bild hatte Aarin nicht sprechen können. Deshalb hatte sie ihn doch ganz herbei gehext und war froh darüber. Interessiert betrachtete sie das Päckchen.
„Die Tabletten sind ein Schlafmittel. Wenn du es nimmst, fällst du zwar in tiefen Schlaf, dafür ist dein Geist für die Magie unauffindbar. Es hält auch noch einige Stunden nach dem Aufwachen an. Eine Tablette muss genügen, bis wir hier sind. Falls wir uns verpassen und sie dich wieder gefangen nehmen, kannst du sie beim nächsten Fluchtversuch verwenden.“
„Danke Aarin…Was soll ich den Ärzten morgen sagen?“
„Sag ihnen, dein Kopfweh ist besser geworden und dass du zu einem verwandten Arzt ins Nordreich fahren wirst. Dorthin soll er auch die Rechnung schicken.“ Sie prägte sich eine Adresse in der Stadt Anxato ein und nickte.
„Dann verlässt du schnell das Krankenhaus, bevor sie weitere Fragen stellen. Geh in die Kirche nebenan und warte dort auf mich. Wenn ich bis Mittag nicht gekommen bin, dann wurden wir von deinen Entführern aufgehalten. In diesem Fall, zaubere mich auf keinem Fall zu dir, damit sie nicht von deiner Gabe wissen. Verständige dich dafür mit der Oberheilerin. Wenn du kannst, frag dich bis zum Busbahnhof durch und fahr Richtung Grenze.“
Lola nickte wieder und lächelte. Es erfüllte sie mit Glück, dass sie ihn sehen konnte. Alleine war sie so hilflos und den Ninianern ausgeliefert, die nicht wussten, wer sie war. Auch er lächelte, als er sie ansah. Er streckte seine Hand nach ihrem Gesicht aus, aber ließ sie dann sinken. Sie hätte eine Umarmung gerade gut gebrauchen können, aber sie traute sich nicht, einen Schritt auf ihn zuzumachen. Denn dann hätte ihre Konzentration womöglich nachgelassen und er wäre verschwunden. „Danke, Aarin“ sagte sie schließlich und wusste, dass sie ihn gehen lassen musste.
Auch ihm schien der Abschied nicht leicht zu fallen; er blickte zu Boden als er sie aufforderte ihn freizugeben. „Schick mich zurück. Ich bin ich gerade unterwegs zu dir und vertrödle gerade Zeit. Und du musst sofort eine der Tabletten nehmen.“
Sie wartete, ob sie wieder einen Kuss auf die Stirn bekam. Er blieb aus, stattdessen bekam sie einen auf die Wange. Und nächstes Mal…
Noch immer Lächelnd betrachtete sie ihn, als er langsam durchsichtig wurde. Er schenkte ihr das Lächeln zurück.
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„Wieso grinst du so blöde? Sag nicht, du hast Lola gek….“ Aarin fiel Magic ins Wort. „Nein, habe ich nicht.“ Er saß wieder in der Baumkrone, diesmal jedoch nicht als Vogel, sondern als Mensch. Der Ast unter ihm krachte und er hatte keine Zeit mehr, um sich rechtzeitig in einen Vogel zu verwandeln. Er kam nicht hart auf, doch es tat ihm trotzdem alles weh. Über ihm hörte er ein paar Vögel krächzen, es hörte sich an, als würden sie lachen. Sie flogen im Mondlicht davon, und er folgte ihnen schnell.
Währenddessen hatte Lola viele Kilometer weit entfernt schon eine Tablette geschluckt und bemerkte gar nicht mehr, wie die Krankenschwester ihr eine Infusion anlegte und ein nachdenklicher Arzt sie betrachtete. In seinen Fingern hielt er eine Tablettenschachtel deren Aufschrift ihm sehr merkwürdig vorkam.
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Frau Minna schrie vor Zorn auf sich selbst. Wie hatte sie das Mädchen so unterschätzen können. Sie stand auf ihrem Burgturm und wartete darauf, dass die magischen Vögel, deren Silhouetten sie immer wieder im Nachthimmel entdeckte, erfolgreich zurückkehrten.
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Lola wurde wachgerüttelt. Der Arzt von gestern Abend stand neben ihrer Bettnische und sah von unten sehr furchteinflößend aus. Er sah sie sauer an.
„Oh Guten Morgen Herr Arzt! Ich fühle mich schon wieder sehr viel besser. Jetzt werde ich nach Hause gehen. Danke sehr!“
Sie erhob sich und kletterte aus der Versenkung im Boden. Als sie aufrecht vor dem Arzt stand, fühlte sie sich plötzlich klitzeklein und nervös. So streng hatte sie noch nie jemand angesehen.
„Also ich kann alles erklären, ich habe gestern das erste Mal Drogen probiert und jetzt gehe ich nach Hause um meiner Mutter zu beichten.“
Sie wollte am Arzt vorbeischlüpfen, doch er hielt sie an einem Arm fest und sah sie merkwürdig an.
„Gestern meintest du, deine Mutter würde dich hassen. Überleg dir eine bessere Ausrede.“ Er sah sie herausfordernd an. „Und vielleicht kannst du auch dies hier erklären. Und deine Augenfarbe, jeder weiß, dass sich Augenfarben nicht mischen. Und in deiner Iris sind mindestens 3 verschiedene Töne mit bloßem Auge erkennbar.“
„Also genaugenommen wollte ich nicht heim zu meiner Mutter, sondern zu meinem Doktor. Er wohnt im Nordreich und betreut mich schon seit ich ein Kind bin. Da können Sie auch die Rechnung hinschicken. Die Adresse ist….“
„Ja?“
„Shit, ich habe sie vergessen“. Sie sah sich um, ob es noch einen anderen Fluchtweg gab, als die Tür. Ihre Knie zitterten wieder einmal, der Doktor würde ihr nie Glauben schenken, auch wenn sie ihm die ganze Wahrheit erzählte. Außerdem hatte sie sicher keine Befugnis jemandem zu erzählen, dass es eine Parallelwelt zu dieser hier gab.
Sie noch immer am Arm haltend, fummelte der Arzt mit seiner anderen Hand in einer Tasche herum und kramte etwas hervor. „Du kommst jetzt mit in mein Privatlabor, ich möchte nur ein paar Proben vornehmen und dann liefere ich dich aus. Sieh mal.“ Er war nun in seiner Tasche fündig geworden und zog ein kleines Poster hervor. „Gesucht. Lola aus dem Nordreich. Belohnung: 1000 Einheiten “ Unter der Überschrift war ein sehr gut gezeichnetes Bild von ihr. Darunter wurde sie beschrieben. „Seltsame Augenfarbe, 17 Jahre alt, wahnsinnig, gemeingefährlich.“
Lola blieb der Mund offen stehen, das war… . Sie konnte den Satz nicht zu Ende denken, sie wurde vom Arzt aus dem Raum gezerrt und sie gingen in das benachbarte Zimmer, indem sich viele Untersuchungsgeräte befanden. Der Doktor war irre, dessen war sie sich sicher. Er stach ihr eine Nadel in den Finger, gleich würde er ihr Blut abnehmen.
„Ähm, ich bin gemeingefährlich, schon vergessen?“ Sie fühlte sich nicht halb so cool wie sie sich benahm.
„Du doch nicht.“ Der junge Arzt warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Du bist…besonders. Die Forschung geht vor. Man bekommt nicht jeden Tag Außerirdische in die Finger.“
Lola gab ihm eine Ohrfeige. „Sie sind verrückt, gehen sie weg von mir. Sie sind verrückt. Ich bin doch nicht außerirdisch, Sie sind wirklich sehr gruselig.“
„Du bleibst hier sitzen.“ Er drückte sie auf den Tisch zurück, als sie aufstehen wollte. Auf dem Tisch gab es Lederriemen um das Stillliegen der Patienten zu versichern und er schnallte sie daran fest. Sie wehrte sich nicht. Sollte er sie doch untersuchen. Hoffentlich brauchte er möglichst lange dazu, hoffentlich brauchte er bis Mittag. Die Gefangene des Doktors zu sein, war ihr viel lieber, als wieder auf die Burg gebracht zu werden. Blutschwur..ihr ekelte es.
Ihr Blut floss bereits durch einen durchsichtigen Plastikschlauch aus ihrer Ellenbeuge. Schnell projizierte sie Aarin an die Decke über sich. Er starrte sie entsetzt an und sie streckte ihm die Zunge raus. „Es kommt noch schlimmer“, murmelte sie und deutete mit ihrer freien Hand auf das „Gesucht“-Poster auf dem Boden. Aarins Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, aus der Angst sprach. „Keine Panik, ich habe einen Plan.“ Aarin sah sie zweifelnd an und sie ließ ihn verschwinden.
„Du redest mit dir selbst und hast dabei einen irren Ausdruck in den Augen.“ Der Doktor beobachtete sie interessiert.
„Ja, hab ich doch gesagt, ich bin wahnsinnig.“
Der Doktor hielt ihr die Tablettenpackung vor die Augen. „Du bist außerirdisch, da steht drauf. „Hergestellt für Erdenbewohnerin Lola.““
Sie zog die die Augenbrauen hoch. „Wie? Sie glauben doch nicht, ich wohne unterhalb der Erde?“
Der Doktor beendete die Blutabnahme und zerrte sie zum Röntgenapparat. Sie riss sich los und sprang zur Tür, doch man konnte sie nur mit dem richtigen Fingerabdruck öffnen. Der Doktor grinste sie selbstgefällig an. „Wenn du ungehorsam wirst, rufe ich an. Im Moment bist du hier in meinem Labor am sichersten vor denen, die du fürchtest. Ich bin der einzige Mensch in der Stadt, der dich noch nicht an sie ausliefern will. Lieber sichere ich mir meine Forschungsergebnisse, als die auf dich ausgesetzte Prämie.
„Ich sag ja, sie sind verrückt.“ Lola schüttelte den Kopf. Sie, die noch vor einer Woche so schüchtern gewesen war und nie als Insiderin in der Klasse gegolten hatte, war auf einmal so schnippisch und cool, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Ihr Auftreten und Selbstbewusstsein hatten sich sprunghaft verbessert. Doch als sie Richtung Röntgengerät gezerrt wurde, schrumpfte ihre Selbstachtung wieder. Vor radioaktiven Strahlen hatte sie schon immer Angst gehabt, nachdem was sie im Chemieunterricht über Strahlen gelernt hatte. Sie würde sicher strahlenkrank werden. Da fiel ihr die perfekte Ausrede ein. „Halt! Ich bin schwanger! Im zweiten Monat!“
Der Arzt ließ sie loß. „Nein, das, das ist nicht wahr, oder?“ Er ließ sie los und drängte sie wieder auf den anderen Tisch zurück. Er hüpfte dabei vor Freude und sprang auf und ab. Sie fand es so lustig, dass sie es mit Aarin teilen wollte. Sie beschwor sein Bild an die Decke und sein Blick wanderte sofort von ihr zum aufundabhüpfenden Doktor. Sein ungläubiger Blick brachte sie noch mehr zu lachen. Schnell erklärte sie dem Doktor, dass es nur ein Scherz gewesen war, Aarin rollte mit seinen Augen und sie ließ ihn schnell wieder verschwinden, damit er die Röte auf ihrem Gesicht nicht bemerkte. Es war eine dumme Idee gewesen.
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Die Sonne war schon aufgegangen und die Grenze war längst überflogen. In der Ferne war schon die Stadt Hanin zu sehen, sie mussten jetzt tieferfliegen. In der Stadt selbst würden sie zu Fuß gehen müssen, damit sie nicht von Lolas Entführern, die gleichzeitig auch Mörder waren, entdeckt wurden. Ihre Mission galt alleine Lola zu befreien, die Magier zu besiegen und die durch Blutschwur festgehaltenen Schüler des Nordhauses zu befreien, daran würde man sich erst später wagen; man wollte kein unsinniges Blutvergießen. Zuerst musste man Lola retten. Ihre Gabe durfte auf keinen Fall in falsche Hände kommen, man könnte sie zu unglaublich Schrecklichem missbrauchen. Sie flogen jetzt knapp über dem Boden, zwischen Bäumen hindurch, hier würde man sie nicht erspähen. Er flog voran, Miracle an seiner Seite. Noch nie zuvor war er diese Route geflogen, er war das erste Mal im Ausland. Trotzdem musste er voranfliegen. Wann immer Lola ihn zu sich rief, mussten die anderen sofort stoppen und auf ihn warten. Ebenfalls wenn er zu flackern begann, wenn sie ihm nur etwas bildlich mitteilte, mussten sie landen, da er sich dann nicht mehr voll auf den Flug konzentrieren konnte.
Die sonstige Crew bestand nur aus Oberen, 10 an der Zahl. Wenn es doch zu einem Gemetzel kommen würde, würde man kämpfen müssen. Und wenn es ihnen gelingen würde, Lola unbemerkt aus der Stadt zu schleusen, bräuchten sie genug Raben, um sie über die Grenze zu fliegen. Von dort aus würden sie mit einem Privatbus weiterfahren. Magic war die einzige des Südhauses, die es für nötig empfunden hatte, einen Busführerschein zu machen und sie war stolz darauf, dass die Oberheilerin ihr einen Kleinbus mit 20 Sitzen geschenkt hatte. Er freute sich darauf, bald wieder bei seiner verrückten kleinen Schwester zu sein, doch noch vielmehr freute er sich erst mal auf Lola. Sie waren gerade am Stadtrand angekommen und verwandelten sich in ihre Menschengestalt. Von hier aus würde er mit zwei Oberen und Miracle Lola abholen fahren. Drei andere Obere würden in einem anderen Taxi folgen, um im Notfall zur Hilfe eilen zu können. Die restlichen 5 Oberen würden genau zwei Stunden hier warten. Wenn sie bis dahin nicht mit Lola zurückwaren, würden sie sich auf einen Angriff auf die Burg vorbereiten. Die Gesichter waren angespannt. Jemand rief zwei Taxis und schweigend warteten sie auf deren Eintreffen.
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Lola war schon sämtlichen oberflächlichen Untersuchungen unterzogen worden. Der Arzt hatte sie noch mit Fragen durchlöchert, die sie zynisch beantwortet hatte. Sie erzählte ihm, dass sie ein Waisenkind war, man hatte sie circa zweijährig in einer Vollmondnacht spielend auf der Schwelle einer Kirche gefunden und gleich geahnt, dass sie ein Alien war, da sie in einer anderen Sprache gesprochen hatte. Dem Arzt war sehr wohl bewusst, dass er gerade verarscht wurde, doch trotzdem hatte er die Geduld mit ihr nicht verloren.
Jetzt überlegte er laut, ob es an der Zeit war sie auszuliefern, oder ob er sie noch hierbehalten sollte und einen Lügendetektor besorgen sollte. Gleich würde seine Dienstzeit beginnen und er musste sie entweder den ganzen Nachmittag hier eingesperrt lassen oder sie gleich ausliefern. „Gib mir mal das Plakat, Lola.“ Er untersuchte es und fand darauf die Telefonnummer von Frau Minna. Er begann sie in sein Telefon zu tippen. Sie wollte es ihm aus der Hand reißen, doch mittlerweile hatte der Arzt sie gefesselt, dass sie ihm nicht lästig oder gefährlich werden konnte.
Es blieb nur noch eine Möglichkeit offen. Sie schloss die Augen und dachte an Raum und Zeit. Aarin stand nun vor ihr. „Dreh dich um und nimm ihm das Handy weg.“ Der Arzt stand mit dem Rücken zu Ihnen und wartete, bis sein Anruf angenommen wurde. Aarin legte ihm schnell eine Hand auf die Augen und riss ihm mit der anderen das Handy aus der Hand und stellte es ab. Dann warf er ihm eine Decke über den Kopf und fesselte ihn mit seinem eigenen Schal am Röntgengerät. „Ich habe keine Zeit mehr, ich bin gerade mit dem Taxi unterwegs zu dir, wenn ich erst wieder zurück bin, wenn der Taxifahrer die anderen schon beim Krankenhaus abgeliefert hat, sitzen wir alle in der Klemme.“
Sie schickte ihm schnell noch einen Kussmund als er verschwand und fragte sich, ob er ihn wohl noch gesehen hatte.
„Wie hast du das gerade gemacht?“ fragte der Arzt sie entgeistert.
„Bin eben gemeingefährlich. Ich bin gut, in dem was ich tu.“ Lola hätte gerne seinen Gesichtsausdruck gesehen, doch sein ganzer Körper befand sich unter einer Decke.
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Kapitel 9-Die Rettung
„Himmel was war das gerade?“ der Taxifahrer sah in den Rückspiegel. Aarin spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoss. „Ihm ist sein Handy unter den Sitz gefallen. Er ist schnell runter um es zu suchen.“ Aarin hatte nicht geglaubt, dass einer der immer griesgrämigen Oberen zu so einer kreativen Antwort fähig war. Miracle, der auf dem Beifahrersitz saß, lachte und deutete auf das Gebäude vor ihnen. Es handelte sich um das Krankenhaus, sie waren angekommen.
Schnell gingen sie in das Gebäude, im Besuchereingang wimmelte es nur so von Menschen, sie fielen nicht auf. Schilder wiesen sie zum Psychologischen Trakt und es befanden sich nicht mehr viele Menschen auf dem Gang. Sie hatten sich die Ausrede bereit gelegt, dass sie jemanden besuchen würden. Aarin wusste, dass sie nach einem Privatlabor Ausschau halten mussten. Sie gingen um eine Ecke und der Gang war menschenleer. Auf einer Seite befanden sich Fenster, auf der anderen waren einige offene, leere Krankenzimmer. Nur das Zimmer am Ende des Ganges war geschlossen. Das Wort „Privates Untersuchungszimmer mit Labor“ war an die Tür gemalt. Sie hatten Glück!
„Lola!“ er rief ihren Namen leise durch die Tür. Als Antwort wurde er durchsichtig.
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Lola legte ihren Finger auf den Mund und nickte Richtung Arzt und dann Richtung Tür. Aarin schien zu verstehen. Er packte den Arzt, entfesselte ihn und zwang ihn zur Tür zu gehen, die Decke noch immer über den Kopf. Der Arzt versuchte die Decke abzustreifen, doch Aarin hielt seine Arme fest und zwang ihn noch einen Schritt weiterzugehen.
„Ohja, ich bin stark“, sagte Lola und musste sich ein Lachen verkneifen. „Das hättest du nicht geglaubt, dass deine angeblich außerirdische Patientin über solche Kräfte verfügt, nicht wahr? Du musst mir versprechen, niemandem zu erzählen, dass ich hier gewesen bin.“ „Als wenn ich so blöd wäre jemandem zu erzählen, dass du mich alleine überrumpelt hast und mir entwischt bist.“ gab er als trockene Antwort.
Aarin drückte den Daumen des Arztes auf den kleinen Computer neben der Tür und diese öffnete sich automatisch. Zwei Obere und Miracle traten leise in das Zimmer. Sie nahmen Lola die Fesseln ab und sie nickte ihnen dankbar zu. Inzwischen hatte Aarin den Arzt wieder an sein eigenes Röntgengerät gefesselt.
Miracle schenkte ihr eine dicke Umarmung und er zog sie mit sich aus dem Zimmer, die Oberen folgten. Sie schlug leise die Tür zu, während sie Aarin einen gereckten Daumen hinhielt und ihn durchsichtig werden ließ. Sofort stand er wieder neben ihr, Lolas Herz schlug immer schneller, als sie bemerkte, dass Aarin ihr vor allen anderen einen Kuss auf den Mund drücken wollte. Sie schämte sich und wollte ausweichen, doch Miracle hielt sie noch immer fest. Die Situation hätte nicht komischer sein können. Trotzdem war der Kuss besser, als sie sich in ihren Träumen ausmalen hätte können.
Als sie ihre Augen öffnete, sah sie, dass die Augen Miracles und die der Oberen fest zusammengepresst waren. „Magie“, flüsterte Aarin ihr zu und sah ihr verliebt in die Augen. Lola begann zu kichern und rief dem Doktor durch die Tür ein nicht sehr schönes Abschiedswort zu. Sie gingen, fest umschlungen, den Gang hinunter. Aarin strich ihr die Haare ins Gesicht. „Niemand darf dich erkennen, wir müssen rasch hinunter zum Taxi. Es wartet noch auf uns.“
Lola freute sich schon auf das Taxi, da würde sie ihn dann zurückküssen.
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Diesesmal konnte sie das Fliegen genießen, sie schlief sogar ein bisschen. Magiestrahlen erwärmten die Luft um sie herum. Vor allem war sie sicher und bei Menschen, die sie mochte. Die bösen Magier suchten sie noch immer in der Stadt und die Raben versuchten krächzend mit ihr zu sprechen. Sie hatten in einem Restaurant eine reißfeste Tischdecke mitgehen lassen und darauf schwebte sie nun durch die Luft. Aarin und Miracle flogen je nach Lust und Laune über oder unter ihr. Sie mussten den Oberen nicht helfen, die stark genug waren, um sie zu transportieren. Sie lag nun am Rücken auf dem Tuch und genoss die Sonnenstrahlen, die auf ihre Haut strahlten. Es war der perfekte Moment, obwohl… sie pinnte das Bild ihrer Mutter in den Himmel. Ihre Mutter sah sie nachdenklich an. Lola lächelte sie an. Ihre Mutter zwinkerte mit den Augen, als wollte sie aus einem Traum aufwachen. Noch einen Moment schauten sie sich in die Augen, dann ließ sie das Bild verblassen. Gerne würde sie jetzt mit Aarin privat reden. Sie wollte auf die Erde zurückkehren. Von Abenteuern hatte sie genug. Und wenn sie jetzt hier blieb, war dies nur das erste Abenteuer in einer Reihe von vielen gewesen. Auch mussten sie einen Plan aushecken, um die Schüler des Nordhauses vom Blutschwur zu befreien. Ihre Gedanken widersprachen sich. Vielleicht könnte sie ja auch von zuhause aus etwa für die Befreiung des Gelbäugigen und seiner Kumpane tun.
Nun zauberte sie ihre Freundin Maria in den Himmel. Diese wischte sich mit der Hand eine gekrauste Haarsträhne aus den Augen, Lola winkte ihr zu. Dann beschwor sie ihr Haustier in den Himmel. Schnuppi sah sie mit großen Augen an und wollte aus dem Bild heraus auf sie zuspringen. „Wenigstens einer, der nicht glaubt, dass er schläft“, dachte sie bei sich. Gerade dachte sie daran, ob es lustig wäre, das Gesicht ihrer Mathelehrerin zu sehen. Da bemerkte sie, dass Aarin sie nachdenklich beobachtet. Sie fühlte sich ertappt und rutschte ein wenig auf dem Tischtuch nach vorne, um nach Unten zu sehen. Die Landschaft sah so saftig grün aus wie zu Hause, auch hier gab es dunkelgrüne Wälder und kristallklare Flüsse und Bäche. Was sie sah, gefiel ihr. Es war wunderschön. Als sie lächelte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass auch der neben ihr fliegende Vogel auf einmal ein glücklicheres Gesicht machte, sofern sie das beurteilen konnte. Er wollte, dass sie sich hier glücklich fühlte und im Moment war sie es auch und zupfte ihm ein bisschen Schmutz aus dem pechschwarzglänzenden Gefieder.
„Hey, ich bin Aarin! Und das was du mit Miracle machst, macht mich eifersüchtig!“ ertönte es krächzend über ihr.
Der Rabe neben ihr ließ sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. „Schlechter Witz, mein Freund. Glaub nur nicht, dass Lola mich nicht auch in Rabengestalt ganz genau erkennen würde. Wo ich doch so viel netter bin als du“ Die beiden Vögel schraubten sich in die Höhe und begannen sich gegenseitig zu jagen.
Lachend sah Monika ihnen bei ihren waghalsigen Flugmanövern zu, bei denen sie sich gegenseitig Federn ausrupfen wollten. Ja, sie war glücklich hier mit ihren neuen Freunden.
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Lola war nirgends in der Stadt auffindbar, sie hatten vierundzwanzig Stunden lang gesucht und ihren Geist nirgends orten können. Es gab nur eine einzige mögliche Lösung; die Magier der Häuser hatten auf irgendeinen Weg herausgefunden, dass Lola nach Hanin gebracht worden war und sie hatten sie gerettet. Man hatte jedoch keinerlei Versuch gestartet, die entführten Schüler zurückzuholen. Das bedeutete, dass ihre gefährliche Identität schon aufgeflogen war.
In den Häusern würde man gerade zum Kampf rüsten, sie mussten schnell weg hier aus Hanin, es war Zeit sich zu verabschieden. Irko, der Bärtige, verbeugte sich vor Frau Minna und gab ihr einen Handkuss. Einige Minuten später war sein schwarzer Vogelkörper schon nur noch schwer zu erkennen. Auch die anderen Vögel waren bald verschwunden. Seufzend stieg Frau Minna die Treppe hinunter. Die politische Beziehung zum Nordreich würde sich nun drastisch verändern. Sie hoffte einen Krieg so lange wie möglich aufschieben zu können. Mit aufrechter Haltung öffnete sie die Tür zum Schlafzimmer, sie würde optimistisch bleiben und hoffen, dass die Medaille schnell genug gefunden wurde.
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Eine Alukugel schützte sie; sie flogen über die Grenze. Bevor sie das Nordreich verlassen hatte, hatte sie gar nicht gewusst, dass es dieses Land gab. Niemand hatte ihr je Details über diese Welt erzählt, sie kannte keine berühmten Namen, keine Städte und Länder. Bis jetzt hatte sie kein Meer gesehen, sie fragte sich, ob es in dieser Welt eins gab. In den Häusern war sie viel zu abgeschirmt gewesen, um irgendetwas kennen zu lernen. Auch nach ihrer Rückkunft würde sie keine Zeit haben, um die Welt zu bereisen. Denn im Grunde wollte sie nur schnell alles Notwendige lernen, um in ihre Welt zurück zu gelangen. Dies dachte zumindest ein Teil von ihr. Der andere wollte für immer bei A… . Sie befahl sich den Gedankengang zu stoppen. Viel zu oft hatte sie diesen Namen schon vor sich her geflüstert, an ihn gedacht und sogar von ihm geträumt. Der Name hatte etwas Magisches an sich, genauso, wie die dazugehörende Person.
Die zwei Raben schien es nicht zu stören die Alukugel zu verlassen und in sie zurückzukehren, wann immer sie wollten. Die glatte Alufläche an der Seite wurde von einem dicken Schnabel durchbrochen, dem ein kleiner Kopf folgte. „Ich bin Aaaaarin, ich hab dich ganz doll...“ Der Vogel schaffte es nicht den Satz zu beenden und wurde von irgendetwas rückwärts aus der Alukugel und aus ihrem Gesichtsfeld gerissen. Daraus konnte sie schließen, dass es ganz gewiss nicht er gewesen war.
Kapitel 10-Schöne Momente
Lola war Miracles Späßen schon müde geworden und war froh, als der Sichtschutz verschwand und sie Magics neongelben Bus unter sich entdeckte. Sie waren da! Naja, noch nicht ganz. Wenigstens die Fliegerei würde ein Ende haben.
Magic winkte ihr freudestrahlend entgegen und drückte sie nach der Landung fest in ihre Arme. Monika musste ihr sogar eine Freudenträne aus dem Gesicht wegwischen.
Der Bus war etwas groß für die knapp 14-köpfige Gruppe und Lola zog Aarin mit sich in den hinteren Teil des Busses, wo sie ungestört miteinander reden konnten. Miracle schien diesmal ausreichend Respekt zu haben um ihnen nicht zu folgen.
„Ich bin so froh, dich wieder bei mir zu haben.“ Aus seinen Augen konnte sie lesen, dass er es ernst meinte. Noch nie war das lila leuchten seiner Augen so schön gewesen, wie in diesem Moment. „Du warst sehr, sehr tapfer Lola.“
Sie schüttelte den Kopf. „Tapfer? Wenn ich tapfer gewesen wäre, wäre es nie soweit gekommen. Dann wäre ich nicht halsüberkopf vor dieser ekligen Riesenspinne losgerannt, direkt in die Arme der Magier hinein.“
Aarin sah sie aufmerksam an. „Die Spinne hätte dich töten können, sie ist von einer sehr giftigen Art. Das hast du gut gemacht, dass du fortgelaufen bist.“
„Oh.. .“ Das hatte sie nicht gewusst.
„Doch eines frage ich mich schon, wieso bist du nicht direkt zu mir in mein Zimmer geflüchtet?“ Diesmal konnte sie seinen Blick nicht deuten.
„Du hast mir nie gezeigt, wo du schläfst, ich habe keine Ahnung wo sich in diesem riesigen Haus dein Zimmer befindet.“
„Oh.. .“
Diesmal war Aarin perplex.
„Wie können es ja nachholen. Ähm, also, dass ich dir mein Zimmer zeige.“
Sie waren eine Weile still. Es lag an ihr, das Schweigen zu brechen. „Du siehst sexy aus als Rabe, so richtig elegant und stark. Ich könnte dich in einem Riesenkäfig mit nach Hause nehmen und als Haustier halten.“
Er lachte leise. „Du hast uns alle sehr überrascht, Lola. Du hättest mein Gesicht sehen sollen, als du mich das erste Mal zu dir gezaubert hast.“
„Das hab ich auch.“ Sie lachten beide, die Stimmung war gerettet.
„Nicht nur, dass du Menschen beamen kannst. Auch deine Flucht aus der Burg..du warst großartig. Dein Mut vor lauter Kälte in einem Krankenhaus zu übernachten… All das wird noch lange für Geschichten in den Häusern sorgen, da kannst du dir sicher sein.“
Er hielt sie an beiden Händen fest und sein Gesicht war nah an ihrem. Der Moment war perfekt, sie würde ihn nun küssen.
„Hey und noch was. Das was du dem Arzt vorgegaukelt hast, dass du schwanger bist..dass war doch nur, das war doch nur ein.“
„Nur ein Witz.“ Sie beendete den Satz für ihn. „Nein, nein mach dir keine Sorgen. Vor dir hat mich noch nie jemand geküsst.“ Sie sah ihm aufrichtig in die Augen.
„Oh, gut, mich auch nicht. Also ich meine nicht, dass kein Mann mich je geküsst hat, sondern, dass mich noch nie eine Frau geküsst hat. Also weder Mann noch Frau.“ Er verhaspelte sich und war rot geworden.
Lola lächelt ihn an. „Dann werde ich dich jetzt küssen.“
Diese Situation war noch perfekter. Sie verknotete die Arme in seinem Nacken und sie begannen leidenschaftlich zu knutschen.
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Lola war rundum glücklich. Sie hatten sich erst nach langer Zeit voneinander gelöst und sie war vor Erschöpfung in seinen Armen eingeschlafen. Als der Weg kurviger wurde, war sie erwacht. die Hügellandschaft verriet, dass sie bald zuhause sein würden. Busfahren war zwar nicht so schlimm wie fliegen, doch normalerweise zog sie es vor, vorne zu sitzen; ihr wurde schnell schlecht. Sie befreite sich aus seiner Umklammerung. Er schlief weiter. Aarin musste wie die anderen sehr müde sein. Wahrscheinlich hatten all die Magier seit ihrem Aufbruch aus dem Südhaus keinen Schlaf mehr gefunden und waren ständig nur geflogen. Armer Aarin, sie strich ihm über das Haar und stand auf, um Magic einen Besuch abzustatten.
„Guten Morgen!!“ Magic freute sich über ihren Besuch und Lola setzte sich auf die kleine Treppe neben dem Fahrersitz. Ein Häschen hoppelte über die Straße und Magic wich gekonnt aus, ohne, dass irgendwer aufwachte.
„Du kannst richtig gut Busfahren!“
„Ich hab´s bemerkt, so gut wie sie alle schlafen.“ Magic warf einen Blick in den Rückspiegel. „Mir entgeht nichts!“
„Gar nichts?“
„Nein, wirklich nichts. Und glaub nicht, dass ich die einzige war, die euch durch den Rückspiegel beobachtet hat. Jetzt wird vieles um einiges komplizierter.“ Magics Stimme klang trocken.
„Es tut mir leid, ich meine, er ist dein Bruder, ich hätte dich zuerst fragen sollen ich....“
Magic verzog lachend ihren Mund und Lola seufzte erleichtert. „Nein schon okay, mich stört das nicht im Geringsten. Andere Mädchen werden da viel eher ein Problem damit haben. Und es wird deine Konzentration im Unterricht hoffentlich nicht negativ beeinflussen. In einigen Dingen wird er dich unterrichten.“
„Wirklich?“ Das waren gute Neuigkeiten. Sie würde also noch in Zukunft viel, viel Zeit mit ihm verbringen können.
„Du weißt ja gar nicht wie lieb ich dich und deinen Bruder habe.“ Sie knuddelte ihre neue beste Freundin dieser Welt und stellte überrascht fest, dass sie gleich da sein würden. Als sie um die letzte Kurve gebogen waren, war das Südhaus in der Ferne aufgetaucht. Magic drückte energisch auf die Hupe und die Magier hinter ihnen reckten sich stöhnend.
Die beiden lachten und gaben sich ein Hi5. „Frauenpower!“ sagte Magic und stieg aufs Gas, dass der Bus nur so nach vorne schoss.
Man hatte ihr Ankommen bemerkt, sie wurden von den daheimgebliebenen Schülern wie eine Fußballmannschaft empfangen, die einen Sieg im Weltcup davongetragen hatte. Jemand hatte sogar Luftballons aufgeblasen. Es war ihr so peinlich, dass sie den Bus nicht verlassen wollte und sich lieber unter den Sitzen versteckt hätte. Aarin nahm sie kurzerhand auf die Schultern und rannte mit ihr so schnell er konnte ins Haus. Sie stibitzen Früchte und Brot und rannten in sein Zimmer, wo sie lachend alles verschmausten. Beide waren noch immer müde und draußen wurde es schon dunkel. Er begleitete sie in ihr Zimmer und gab ihr einen langen Gutenachtkuss.
„Gute Nacht, kleine Lola.“
Noch lange, nachdem sie die Tür zuschlagen gehört hatte, lag sie noch mit einem Lächeln da. Ja, sie war rundum zufrieden und würde noch lange nicht einschlafen können.

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Tag der Veröffentlichung: 27.03.2011

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