Cover


Die Tür knartschte, als ich ihre Klinke hinunter-
drückte.
Es war ein vertrautes Geräusch.
Das Geräusch, das ich in meiner Kindheit mit Freude verbunden hatte, nicht nur das diese Tür immer für mich offen stand, sondernd auch die feste Einprägung, zu wem sie gehörte.
Tausend Gedanken schossen mir in diesem Moment durch den Kopf, Erinnerungen. Doch als ich mich darin umblickte, holte mich die Realität wieder ein. Es war leer.
Das gesamte Zimmer, der Einbauschrank von welchem die Türen ein interessantes Werk der Holzwürmer preisgaben und der verstaubte Boden, den einmal viele kleine persische Läufer schmückten.
Die Fenster waren verhangen von Spinnenweben und die Fußleisten moderten unbefestigt an den alten Wänden mit der Blumentapete herum.
Es roch nach Nässe und Leere, der bloßen Leere eines Raumes, der seit gut einem Jahr nicht mehr betreten wurde.
Aus Angst man würde wieder in die Tiefe und unaufhaltsame Trauer verfallen, der man gerade erst mit einem gespielten Lächeln entflohen war. Doch auch nach einem Jahr, an dem kein Tag vergangen war
ohne an die einem liebste Person zu denken, spürte ich das bekannte stechende Gefühl in der Nähe meines Atemzugs, das mir jedes Mal die Luft nahm. Irritiert tastete ich meine Wange ab und schaute fast verblüfft auf das Wasser, das aus meinen bald vertrockneten Augen rann um sanft aber doch in einer klaren Linie meinen Finger zu verfolgen und dann in noch kleineren
Tränen auf den Boden zu fallen. Die Stille war bedrückend, als presse sie mich an die Wand um
darauf zu warten das ich meine Beherrschung verliere auf beiden Beinen fest auf den morschen
Holzdielen zu stehen.
Der stechende Gesang einer Drossel spülte meine Gedanken fort und holte mich aus ihnen in das
Schlafzimmer zurück. Gedankenstumm strich ich über die raue Tapete, die jedes einzelne Geranienblatt hervorhob. Die Tapete käme nicht ab, dafür würde ich schon sorgen, zumindest ein kleines Stück, nur ein Streifen und er Rest des Zimmers in einem zitronigen Gelbton. An diesen Wänden hingen so viele Erinnerungen, dass ich sie nicht einfach übermalen konnte, oder gar vertuschen. Jede einzelne davon war es diese Tapete Wert. Ich wollte das Gefühl zurück erlangen und den Geruch, womit ich immer meine Sommerferien verbunden hatte, mit denen ich meine
Vorfreude steigerte und ein Gefühl der Freiheit entwickelte. Umkehren in eine andere Zeit, dasselbe Leben aber auch wohlbemerkt in ein schöneres Leben. Nur für eine Sekunde der Vergangenheit verfallen, der Gegenwart entfliehen, es schien unmöglich, aber gleichzeitig so unglaublich greifbar. Ich schmunzelte, was wäre wenn, für kurze Zeit in einer verjüngerten Haut stecken, den Moment provozieren ihn herausfordern meine Gesellschaft zu sein. Mein Lächeln erstarb, es war bloß eine lose Vorstellung, ab -streifbar,verwüstbar und unreal. Ich riss das Fenster auf, so dass die verrosteten Riemen schnalzten, und streckte meinen Kopf hinaus. Die sanfte Briese von Sommerwind strich mein Haar ins Gesicht und betäubte mich beinahe. Der Rasen gut vier Meter unter mir war hochgewachsen und ungepflegt, hatte aber eine herrlich grüne, erfrischende Farbe. Die Grillen zirpten unaufhörlich um mich herum und Pollen schwirrten wild in der Luft. Sie waren deutlich erkennbar in dem schillernden Sonnenuntergang, der den ganzen Himmel in ein blutiges Rot tauchte. Als ich meinen Kopf in den Raum zurückzog nahm ich den Geruch von Nikotin wahr.
"Das ist kein Zug Layla.", hörte ich die Stimme sagen, die durch den zarten Rauch gelang. "Und das ist keine Raucherbar.", antwortete ich schnippisch." Ich mein ja nur, du holst dir noch eine Mittelohr-entzündung.", seit wann wollte ich ihre Meinung
hören? "Und du kriegst mit deinen schwarzen Bleiorganen Lungenkrebs, na und. Wen interessiert
es?" " Dich wohl am Wenigsten.", gab sie beim ausqualmen wieder. "Hey hey Mädels, ich bin froh das ich die Fahrt überlebt habe, ich würde jetzt auch noch gerne den Abend schaffen. Ihr seid ja kaum auszuhalten!" Mit erhobenen Händen erschien Raiko hinter meiner Mutter, und schloss dann seine Arme um ihre Taille. Ich wandte mich wieder dem Fenster zu. "Wir gehen noch spazieren, willst du " "-Nein", unterbrach ich sie."Okay, schon gut, ich frag ja nur."
Sie nahm Raiko an der Hand und zog ihn die Treppe runter. Als ich die Haustür einharken hörte, zog es
mich selbst nach unten. Bevor ich das Fenster schloss, versicherte ich mich noch einmal, dass die
beiden schon am Maisfeld waren. Es war zwar nicht geheim, ich glaube Mama wusste sogar von
der kleinen Truhe unter einem der losen Holzbretter des Küchenbodens, aber es war trotzdem irgendwie nur Omas und mein Platz der Wünsche und Träume. Ein Ort wo wir die Zukunftspläne für mich aufbewahrteten, seit elf Jahren, wo ich mit vier anfing darüber zu reden Tierärztin zu werden, und lauter tote Käfer sezierte. Die Küche war noch stickiger als ihr altes Schlafzimmer, aber auch geräumiger. Laut dem Erbe wurden die Möbel der Wohlfahrt gewidmet, aber die alte Küchenzeile, in die ich mit dem rebellischem Alter von sechs Jahren mühevoll meinen Namen ein- geritzt hatte, war wohl ungebräuchlich gewesen, denn sie nahm immer noch die Hälfte des kleinen Raumes ein. Als ich die Schritte, wie auf einer Schatzkarte zwei geradeaus und einen nach links, genaustens abgezählt hatte, hörte ich auch schon die Diele knartschen. Mit gespannter Vorfreude zog ich das Brett aus seiner Lücke und erblickte was darunter lag.
Nichts.
Halbwegs entsetzt und auch erschüttert sah ich wie sich dort an den eigentlich reservierten Platz
Kellerasseln in der Erde verkrochen. Wie verrückt fing ich an die Erde bei Seite zu heben, in der
Hoffnung ich könnte die Truhe irgendwann darunter erblicken. Doch es blieb wie es war. Die
Truhe war weg und meine Erinnerungen auch. Ich deutete es als schlechtes Omen, das meine
Zukunftspläne verschollen und wahrscheinlich unauffindbar waren. Betrübt schaufelte ich die
Erde von den umliegenden Brettern wieder in das Loch, schob das Brett wieder darauf und lehnte mich an den Küchenschrank hinter mir. Mit meinem Gesicht in den schmutzigen Händen vergraben, fing ich schon nach wenigen Minuten an zu bezweifeln ob es die Truhe jemals gab, vielleicht hatte ich alles nur geträumt. Ich haute meinen Kopf gegen die Knie, ich wollte das alles nicht vergessen. Weder das Gute noch das Schlechte, denn ohne die Zeit zu Hause wo der
Ehestress zwischen meinen Eltern ausbrach und ich so immer über die Sommerferien zu Oma flüchten konnte, hätte letzteres wahrscheinlich wie abgeschoben auf mich gewirkt. Natürlich war ich jetzt froh dass es irgendwann ein Ende gab, aber damals schien mein Vater mir unentbehrlich. Im Nachhinein ist mir klar das er das nicht ist, da er sich seit fast zwei Jahren nicht mehr gemeldet hatte und Mama Raiko fand, der viel mehr Zeit und Verständnis für sie hatte, als Papa jemals hätte haben können. Nein, rosig war gewiss nicht immer alles gewesen, aber das drüber
hinwegkommen war noch viel schwerer. Zu wissen das man seine Kindheit damit verbracht hatte
Streite zu schlichten, abends sich im Bett die Ohren zu zuzuhalten, weil hinter der Tür eine andere
Art von Krieg geführt wurde, von Menschen die nicht im Traum daran dachten das ich schon etwas davon verstand. Zwar kam mir in diesem Moment alles wieder hoch an Erinnerungen, was ich verdrängt und aus meinen Gedanken ausgesperrt hatte, jedoch konnte und wollte ich in diesem Moment nicht weinen. Als ob ich mich selbst bemitleiden würde. Es war in Ordnung, ich
konnte zwar nicht genau sagen was, aber zumindest war es dieser Augenblick der Schwäche, der für mich genauso zählte. Er war wichtig um loszulassen, wieder Leben zu schöpfen. Als ich Mama und Raiko draußen auf der Treppe hörte, sprang ich auf. Ohne auch nur einmal an Verluste zu denken, konnte ich meine Mutter umarmen, so wie ich es seit Jahren nicht mehr getan hatte.
Sie und Raiko lächelten sich an. Es war in Ordnung. -Alles, war in Ordnung.

Impressum

Texte: Die Rechte sowohl an Text als auch an Cover-Bild liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 31.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /