Einleitung
Ich möchte euch von meiner Geschichte erzählen. Wie der Wettbewerb euch vielleicht bereits vermittelt hat, handelt dieses Buch über ein unbeschreibliches, ein einzigartiges Gefühl. Fast jeder kennt ihn, fast jeder liebt ihn – den Kuss. Meist wird ein Kuss als schön und unvergesslich beschrieben, jeder macht es, um seine intensive Liebe gegenüber seines Partners auszudrücken. Doch auch Küsse zwischen guten Bekannten sind eines der besten Gefühle, dass die Natur dem Menschen geschenkt hat. Dennoch, falls ihr nun denkt, dieses Buch handelt von einer Geschichte die zeigt, wie begehrenswert ein Kuss doch sein kann, seid ihr hier am falschen Ort. Ich werde euch nicht von glückseligen Protagonisten erzählen, die ihre Küsse mit ihren Liebsten teilen und dabei denken, sie wären im siebten Himmel. Nein, es ist eine von Trauer erfüllt Geschichte, die keiner von euch in geringster Weise auch nur nachvollziehen kann. Dazu ist nur jemand im Stande, der es selber durchmachen musste. Nun denn, noch könnt ihr euch entscheiden, ob ihr einem trostlosen Mädchen zuhören wollt, dass euch mit einer melancholischen Geschichte vollheult oder ihr selbst in die weite Welt hinaus geht und eure Küsse verteilt – mit freudigen Gewissen.
Ihr habt es so gewollt.
Es war Samstag, Wochenende. Was wünscht sich ein gestresster Teenager mehr, als nach der langen Schulwoche eine Auszeit zu nehmen? Und dennoch, ich war nie jemand, der spät ausschlafen konnte. Auch nur das kleinste Geräusch ließ mich am Morgen aufwecken und nicht mehr einschlafen. Wie dem auch sei. An dem besagten Tag hatte ich vor, mich mit meinem festen Freund Matthew Siedler, man beachte seinen amüsanten Nachnamen, im Wald vor unserem Dorf zu treffen. Es war sozusagen unsere Tradition, uns an jedem Samstag dort im Wald an einem Teich zu verabreden. Ich denke, das wünscht sich jedes Mädchen – einen gutaussehenden Jungen als seinen Freund zu kennzeichnen und diesen dann jedes Wochenende alleine im Wald zu tsehen. Sei es ein einfacher Gesprächsabend mit seinem verständnisvollen jungen Mann oder ein romantischer Kuss während des Sonnenuntergangs. Mädels, ich kann euch sagen, hört auf zu träumen, dass gibt es nur in Romanen und Hollywood-Klassikern.
An dem Morgen blickte ich sofort in den Spiegel. Ihr müsst wissen, ich war ziemlich fanatisch was Spiegel angingen. Ohne sie konnte ich nur wenige Minuten aushalten, bis ich vollkommen hyperventilierte.
Meine langen, cremé-blonden Haare waren von der letzten Nacht völlig zerzaust. Ich sah an diesem Morgen so schrecklich aus, ein Glück war mein Gesicht nicht von Massen von Pickeln übersät. Als ich näher an den Spiegel herankam, stachen meine hellblauen Augen sofort hervor. Sie waren das einzige, was mir richtig gut an mir gefiel. Normalerweise konnte ich mich nicht beklagen bezüglich meines Äußeren. Ich war ein schlichtes Mädchen, nicht zu dünn, nicht zu korpulent. Im Gegensatz zu meinen ehemaligen hochgeschminkten Mitschülerinnen besaß ich keine Vollbusigkeit und damit war ich auch völlig zufrieden. Apropos hochgeschminkt: Meine Wenigkeit war kein Fan von Eyeliner oder Lidschatten. Ehrlich gesagt wusste ich nicht einmal, wie man dieses Zeug richtig auftrug, was der eine Grund dafür war, dass ich mir so etwas nicht raufschmierte.
Nach einigen verzweifelten Versuchen, mein Haar glatt zu bürsten, wusch ich mich und zog mich an. Meine Outfits waren im Gegensatz zu meinem Charakter eher knallig. Ich versteckte mich hinter diesen auffälligen Kleidungsstücken, sie ließen mich extrovertiert erscheinen. Diesen einen unvergesslichen Tag trug ich ein gelb-grünes T-Shirt mit Rautemuster und eine lange, dunkelblaue Jeans. Ein Fan von Shorts war ich nie. So stiefelte ich mit meinen knallblauen Chucks die Tür hinaus. Doch wer kam mir da zuvor? Meine liebe Mutter.
>>Wo willst du denn hin?<<, fragte sie damals neugierig, worauf ich erklärte, dass ich mich wie jeden Samstag mit meinem Freund treffen wollte. Sie vergaß es immerzu und langsam habe ich es aufgegeben, mich darüber aufzuregen und erkläre es ihr jedes Mal, wenn sie mich fragte. Sie näherte sich mit ihrem Kopf meiner Wange und küsste mir auf diese liebevoll, bis ich mich dann verabschiedete.
Der Wald war nicht weit entfernt vom Dorf, schließlich war er mit ihm schon fast verbunden. Unser kleines Haus lag an diesem Übergang, so brauchte ich nur einige Meter zu laufen, bis ich im Wald und letzten Endes am Teich war. Es war ein sonnig-warmer Tag, die Vögel zwitscherten und die anderen Tiere streiften fröhlich im Wald umher, wie in einem törichten Kinderbilderbuch. Der Teich lag mir immer noch gut in Erinnerung. Er war tiefblau, da der Grund ziemlich sauber war. Nur einige winzige Fische hausten in diesem um Farn umringten Teich. Unser Stammplatz lag auf einer grünen Lichtung, dort konnten wir solange reden, wie wir wollten. Es war so, als ob außerhalb dieser Lichtung die Zeit stehen bleiben würde, während Matthew und ich uns immer noch vergnügten. Seine Stimme war tief. Immer, wenn ich meinen Kopf auf seinen Bauch legte, hörte ich, wie die Stimmbänder in ihm nur so brummten. War es heiß, standen wir auch manchmal im klaren Teich und kühlten uns ab, es war eine unvorstellbar schöne Zeit.
Allmählich erreichte ich den Eingang zur Lichtung und vernahm Stimmen. Eine der beiden Stimmen war mir vertraut, es war mein Freund. Doch mir war in keinster Weise bewusst, mit wem sich Matthew an diesem Platz aufhalten würde. Schließlich hatten WIR dort unseren geheimen Ort und WIR hatten uns geschworen, diesen nur für UNS beide zu behalten. Voller Spannung und dennoch Angst schritt ich voran und entdeckte dann versteckt hinter Farn meinen Freund, zusammen mit einem Mädchen. Es war Melissa, sie war in meiner Klasse und eine der geheimnisvollsten Menschen die ich zu meinem Leibwesen kennenlernte. Sie verhielt sich immer komisch, redete mit niemanden und las immer nur merkwürdige esoterische Bücher. Ein seltsames Mädchen, allerdings wusste ich immer noch nicht, was die beiden dort machten. Ich lauschte nur, leicht angespannt.
>>Vergiss' sie doch einfach.<<, sprach Melissa und näherte sich ihm immer mehr. Ich wusste, wen sie mit 'sie' meinte. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass es ihm scheinbar nicht gefiel, dass sie dort anwesend war, aber trotzdem habe ich immer verspürt, dass sich Matthew Melissa hingezogen fühlte. Ich machte mir daraus jedoch nichts. Dann fuhr sie fort: >>Komm her, ich will dich küssen...<< Dann geriet ihr Kopf an den meines Freundes und ihre Lippen berührten sich. Langsam und intensiv, wie einen aufflammende Liebe. Matthew schien es dann letztlich zu gefallen, er schloss schließlich seine Augen und strich über mehrmals über die Wange. Melissa, sie küsste ihn nur mit gefühlloser Mimik. Ich ballte meine Fäuste, kurz davor, auf sie zu stürmen und sie im Teich zu ertränken. Mir schien der Gedanke absurd, dennoch hätte ich mit Matthew genau das selbe getan, wäre ich nicht so in ihn verliebt gewesen. Das er so ungewollt geküsst wurde und es ihm danach auch noch gefiel, ich wollte nicht wissen, wie weit sie noch gegangen wären.
Mit lautem Ton marschierte ich aus dem Farn, direkt auf die beiden Turteltäubchen.
>>Was wird das hier, wenn es fertig ist?<<, fragte ich mit zornigem Blick und starrte dabei auf sie ein. Melissa schaute mich mit ihren großen, dunklen Augen an. Damals konnte ich behaupten, ihre Augen wären rabenschwarz gefärbt. Ich empfand ein mulmiges Gefühl, als ich ihr blasses Gesicht anstarrte.
>>Siehst du das nicht?<<, erwiderte sie mit kalter Stimme. >>Wir küssen uns. Ein Kuss – mit Liebe erfüllt...<< Sie verlor sich in Matthew's Augen und presste erneuert ihre Lippen auf seine, bis ich mich verlor und sie mit meiner gesamter Kraft wegstieß. Das Mädchen landete auf dem harten Erdboden. Auf ihrer schwarzen Kleidung konnte sich kein Dreck bemerkbar machen. Sie beäugte mich mit zugekniffenen Augenlidern. Dann widmete ich mich meinem Freund.
>>Was war das gerade für eine Aktion?<<, stotterte ich schon wahrlich aufgrund von Erschrockenheit und Verblüffung und zeigte dabei auf diese Verrückte. Dieser leugnete jedoch alles, von wegen, dass er keinerlei Gefühle zu ihr offenbaren konnte. Das hatte ich schließlich gesehen, seinen leidenschaftlichen Blick beim Kuss. Dann flüsterte ich aus lauter Verzweiflung:
>>Ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben.<< Bevor ich überhaupt wieder klar denken konnte, was dieser schon wieder verschwunden. Es war scheinbar auch besser so. Ich blickte auf den Punkt, an dem ich Melissa geschubst hatte, doch auch diese war ohne jegliche Spur verschollen, bis ich eine trockene Stimme hinter mir vernehmen konnte:
>>Das war unklug, meine Liebe.<< Als ich ich umdrehte, stand Melissa vor mir. Ihre Aufmachungen war, das musste ich zugeben, schon etwas angsteinflößend. Sie sprach weiter: >>Gar nicht klug.<< Ich verdrehte nur genervt die Augen.
>>Und was willst du jetzt machen? Mich verhexen oder was?<<, lachte ich spöttisch und hob meine beiden Arme wie eine zaubernde Hexe. Ihr Lachen flößte mir Bangen ein, so schritt ich unbemerkbar zurück.
>>Du hast den Kuss zwischen mir und Matthew gebrochen. Ein Kuss ist eine Art Ritual, welches nicht gestört werden darf.<<, predigte sie mit immer ernster werdenden Ton. Ihr Esoteriker-Kram kümmerte mich nur herzlich wenig, so begutachtete ich die Umgebung um mich von meinem ehemaligen Freund abzuregen.
>>Dafür musst du bestraft werden. Wenn du andere nicht küssen lässt, darfst du es auch nicht mehr!<< Langsam wurde sie lauter. >>Hiermit verfluchte ich dich meines Amtes, oh großen Hexen im Himmel, bestrafe diesen törichten Menschen für das, was getan er hat!<< Sie blickte in den Himmel, nur das Vogelzwitschern war zu hören. Ich fragte mich, ob sie sich nicht etwas dumm vorkam, doch scheinbar waren diese Esoteriker so davon überzeugt, dass sie selbst den peinlichsten Kram vollbrachten.
>>Wow, jetzt bin ich verflucht, und nun?<<, kicherte ich mit Spott und verdrehte mal wieder die Augen. Melissa forderte mich nur leicht zornig auf, zu verschwinden. Ich gehorchte jedoch nicht IHREM Befehl, sondern meinem Willen und entfernte mich freiwillig von ihr, zurück nach Hause.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich diese Nacht geweint hatte. Ich war zu sehr von Trauer erfüllt, als das ich jemals ein Auge zu machen könnte. Scheinbar hatte ich so laut gewimmert, dass ich das ganze Haus wach hielt. Mein Vater, meine Mutter, sie konnten scheinbar alle nicht schlafen. Irgendwann betrat dann meine Mutter mein Zimmer und versuchte mich zu beruhigen. Sie sagte immer:
>>Es wird alles wieder gut, meine Kleine.<< Dabei strich sie mir ständig durch die Haare, während ich jämmerlich weinte. Dann verabschiedete sie sich wieder, ich gab ihr einen Gute-Nacht-Kuss und schlief dann ein. Manche Menschen waren der Meinung, dass so ein Gute-Nacht-Kuss nur etwas für kleine Kinder ist, allerdings dachte ich da anders. Wieso sollte ich als junge Frau darauf verzichten, meine Liebe denen zu zeigen, zu denen ich mich hingezogen fühle?
Wenigste Tage später vergingen. Meine Stimmung wurde immer schlechter, gar schon depressiv. Nicht nur, dass ich mich von diesem Schock zwischen Melissa und Matthew nicht erholt hatte, sondern auch, dass meine Mutter auf der Intensivstation positioniert war – Ursache: Unbekannt. Ich konnte mir nicht ausmalen, aus welchem verdammten Grund auch immer meine sonst so kerngesunde Mutter im Krankenhaus liegen sollte. In meinen Augen war es völliger Quatsch, dennoch wagte ich es manchmal daran zu denken, ob Melissa etwas mit diesem Geschehnis zu tun haben sollte. Immer wieder versuchte ich diese Gedanken einfach zu verdrängen, denn ich glaubte nicht an diesen Hokus-Pokus. Das einzige, was mir jetzt nur noch Sorgen erteilte, war meine Mutter. Die Sommerferien nahten, doch wie sollte ich sie genießen, wenn die Frau, die mich zur Welt gebracht hat, angeblich in Lebensgefahr schwebte.
An jedem einzelnen Tag nach der Schule wollte ich meine Mutter besuchen, allerdings gewährten mir die Ärzte dies aufgrund schlimmer Zustände gegenüber ihr nicht. Nächtelang quälten mich die Gedanken, dass meiner Mum sterben könnte, jeden Moment. Gefolgt von dem Einfall, dass ich doch verflucht wurde. Aber wenn ich verflucht wurde, wieso sollte meine Mutter etwas damit zu tun haben? So konnte ich erleichtert aufatmen und diesen Gedanken für immer vergessen, hoffte ich.
Eine Woche war inzwischen vergangen, es war Samstag. Der erste Samstag seitdem ich mich von Matthew getrennt hatte. Das erste Wochenende ohne ein Treffen in der Lichtung im Wald. Es war ein komisches Gefühl, schließlich machten wir dies doch schon seit Jahren, und nun? Wie ein Luftballon geplatzt. Ich musste zugeben, wieso sollte ich ihm hinterhertrauern, wenn er mich doch betrogen und ich ihn abserviert hatte. Ich empfand also doch noch etwas für ihn. Aber ich konnte mir in keinster Weise vorstellen, Lippen zu küssen, die schon die einer Psychopathin, so nannte ich sie damals, berührt hatten – einfach widerlich er Gedanke. So bekam ich unerwartet am langweiligen Samstag einen Anruf. Ich dachte erst, es würde sich um Matthew handeln, der sich wieder mal entschuldigen wollte, doch da hatte ich falsch gedacht. Als ich abnahm, erkannte ich sofort die kalte Stimme von Melissa, wie sie zu mir sprach:
>>Na, wie geht’s deiner Mutter?<< Gefolgt von einem gehässigen Lachen, bis sie dann wieder auflegte. Woher wusste sie, dass meine Mutter im Krankenhaus stationär war? Schließlich hatte ich es keiner Menschenseele verraten. Und wieder schoben sich die genannten Gedankengänge in meinen Kopf, ich wollte es jedoch nicht wahrhaben.
Da mein Vater nun alleine im Haus zurückgelassen wurde, musste ich ihm Wohl oder Übel bei den Hausarbeiten helfen. Er arbeitete als Mechaniker in einem Autohaus, beinahe von morgens bis abends, weshalb ich als Einzelkind den ganzen Tag alleine war. Ich konnte machen, was ich wollte, allerdings war ich dazu nie in Stimmung, mich plagten einfach zu viele Dinge.
Dieser Tag sollte auch wieder stimmungslos werden, als ich mich von meinem Vater mit 'Küsschen links – Küsschen rechts' verabschiedet hatte und er zur Arbeit lossauste. Während ich das Haus machte, konnte ich einfach nicht aufhören an meine Mutter zu denken. Immerzu starrte ich auf das Telefon, in der Hoffnung, sie würde anrufen und mir schildern, es sei alles in bester Ordnung. Scheinbar sollte dies jedoch nicht passieren, denn bis in den späten Abend klingelte das Telefon nicht mehr, so machte ich mich auf, mich schlafen zu legen, verwundert, warum mein Vater immer noch nicht Zuhause war.
Dann, tief in der Nacht, rang etwas im Wohnzimmer, es war das Telefon. Sofort bin auf aufgesprungen und freute mich so sehr, dass man mir endlich mitteilen würde, Mum ging es gut. Diese Vorfreude verflog schnell, als ich erfahren musste, dass mein Vater auf dem Heimweg mit einem Laster kollidierte und in hohem Bogen in einen Graben geschleudert wurde. Dort erlag er dann sofort. Ich weiß es noch gut, ich bin in Tränen ausgebrochen. Wenn meine Mutter noch weiter auf der Intensivstation lag und mein Vater nun tot war, wo sollte ich nun verbleiben? Ich würde höchstens ins Heim kommen und meine Mutter alleine lassen, schließlich hatte sie doch keine weitere Bezugsperson mehr.
Am nächsten Tag, Montag, sollte ich nach der Schule direkt zur Polizei gehen, um dort weiteres zu erfahren, wie es mit mir weiterging. Ich hoffte inständig, nicht in irgendein Heim gesteckt zu werden, dennoch hatte ich keine Wahl. Davor jedoch hatte ich mir vorgenommen, in einer der großen Pausen Melissa aufzusuchen, und sie voller Verzweiflung und Not darum zu bitten, den Fluch aufzuheben. Ich wusste nicht mehr, wie mir geschah, mein ganzes Leben war ein Stück Asche und diese Stimmung brachte mich auch dazu, an diesen Fluch zu glauben. Nicht lange brauchte ich suchen, als ich sie in einer Ecke traf, an welcher sie sich ständig aufhielt. Wie demütigend es doch war, zurückgekrochen zu kommen und das ein Häufchen Elend um Hilfe schreit – bei einer Verrückten. Sie erkannte mich schon von weitem, würdigte mich jedoch keines Blickes. Ich in voller Heul-Montur wimmerte vor mich hin:
>>Melissa, du musst mir helfen. Bei mir läuft alles drunter und drüber und ich weiß, dass du etwas damit zu tun hast.<< Sie wendete sich von ihrem Buch, welches sie nebenbei las ab, und erwiderte nur spöttisch:
>>Ich dachte, das wäre alles nur bescheuerter Hokus-Pokus von einer Geisteskranken.<< Nun wurde mir auch vor Augen geführt, wie gemein ich zu ihr war. Wieso sollte sie mir helfen, einer, die sowieso immer nur fies zu ihr war? Dazu hatte sie keinen Grund, musste ich zugeben, aber ich versuchte es weiter:
>>Meine Mutter liegt im Krankenhaus, mein Vater starb vor wenigen Tagen und das Haus fällt beinahe in sich zusammen.<< Tränen über Tränen durchflossen mein rotes Gesicht. Schämte ich mich nur oder war es die unendliche Trauer?
>>Tut mir Leid.<<, sagte sie nur trocken und lachte. >>Flüche können nicht mehr zurückgenommen werden. Wenn er dich so fertig macht, vergiss' ihn doch einfach, gib' weiter diene Küsse an deine Liebsten und sieh zu, wie schlechter dein Leben dadurch wird.<< Sie brach in hexen-ähnlichen Gelächter aus und entfernte sich von mir, während ich immer noch da lag und weinte.
Ich musste einsehen, dass es nichts mehr brachte, weiter darüber nachzudenken. Es sind bereits Monate vergangen und ich machte Fortschritte, dass mein Leben wieder bergauf ging. Zu meinem Bedauern musste ich nun hinnehmen, dass meine leiblichen Eltern verstorben waren und ich als einzige ihrerseits übrig geblieben war. Das Jugendamt hatte mich in ein Heim in der Nähe unseres Dorfes gesteckt, womit ich recht zufrieden war. Alles, was ich wollte war, meine schreckliche Vergangenheit aufzugeben, um dort noch einmal neu zu starten. Auch wenn es mich immer wieder schwächt, daran zu denken, was mir alles ergangen ist und ich es in meinem ganzen Leben nie GANZ vergessen könnte, bin ich eine starke junge Frau und kämpfe mich so durch das Leben in der Hoffnung, diese Geschichte beendet zu haben.
Ihr denkt, die Geschichte sei vorbei? Dann schließt das Buch nun, um mit dem inoffiziellen Ende die Story zu beenden. Andernfalls werdet ihr dieses Buch nicht mit einem glückseligem Ende abschließen.
Nachdem ich mich einige Woche in dem Heim eingelebt hatte, neue Bekanntschaften schloss und meine Zimmergenossen besser kennenlernte, war es auch wieder Zeit, an die Schule zu denken. Anfangs dachte ich, ich würde auf eine neue Schule kommen, da ich ja nicht mehr in meinem alten Dorf lebte, doch dann wurde mir geschildert, dass ich mithilfe eines Busses zurück in mein Dorf fahren musste, um dort dann meine alte Schule wieder zu besuchen. Auch die verzweifelsten Versuche, mich davor zu drücken, brachten nichts. Die Betreuer blieben strickt dafür und so musste ich mich wieder der alten Schule widmen. Seltsamerweise waren die ersten Tage stinknormal. Lag es daran, dass ich Melissa kein einziges Mal mehr gesehen habe, seitdem ich weggezogen bin? Relevant für mich, einzig was zählte war, dass ich jetzt erfolgreich durch das Leben stapfte.
Doch dann traf mich kaltes Entsetzen, als mich Matthew wieder ansprach. Er entschuldigte sich, fragte mich, wie es mir ging und wo ich jetzt lebte. Ohne weiter nachzudenken beantwortete ich seine Fragen und so lief es wieder auf ein Gespräch hinaus. Es war wie eines dieser Treffen in der Lichtung, alles um uns herum blieb stehen, nur wir beide zählten. Ehe ich mich versah, waren wir auch wieder zu einem Versöhnungstreffen verabredet, und zwar an dem Ort, wo alles zu Bruch gegangen war – im Wald.
Kaum war die Schule aus und ich mit meinen Arbeiten im Heim war ich auch schon am Walde angekommen. Immer wieder hörte ich in meinen Kopf diese zwei Stimmen, die ich den einen Tag im Wald gehört hatte. Ständig dachte ich, dass er wieder mit einem fremden Mädchen oder gar mit Melissa dort sein würde, doch scheinbar war dieser Schock noch einfach zu frisch, auch, wenn schon Monate vergangen war.
Als ich durch den Wald streifte und letztlich an dem Teich ankam, sah ich Matthew schon auf mich warten. Sein großer Oberkörper, seine kurzen, braunen Haare und die Größe waren unverkennbar. Sofort verliebte ich mich wieder in ihn, ich naives Mädel. Wir legten uns beide auf den trockenen Boden, lauschten der Natur und sprachen hin und wieder miteinander. Nun war es wieder so, wie es am Anfang war. Ich vergaß alles um mich herum. Dieses Mädchen, diesen Fluch, diese Trennung.
Die Sonne strahlte auf die Lichtung, ich schloss die Augen und verlor mich dann beinahe schon wieder im Schlaf, denn diese Aufregung in letzter Zeit machte mich einfach nur noch müde. Seine tiefe Stimme beruhigte mich immer und immer mehr, bis ich dann noch einen letzten Kuss von ihm auf meinen Lippen spürte und ich einschlief.
Texte: Phil M. S. (Autor)
Cover (http://letsfaceitbeauty.ca/2010/02/24/creating-glamourous-red-lips/)
Tag der Veröffentlichung: 08.07.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für den 'Kiss Me'- Wettbewerb