Der Rummelplatz bekam in der untergehenden Sonne seinen ganz speziellen Charme. Die Düfte von Zuckerwatte, kandierten Äpfeln und Bratwürsten mischte sich mit dem ölig, metallischen Geruch der Fahrgeschäfte. Tausende von bunten Lichtern leuchteten hoffnungsvoll und versuchten puren Spaß zu suggerieren. Die Lautsprecher der kleinen Autoscooter- Bahn quäkten stur gegen die mächtige Krake und die erhabene Achterbahn an, während zahllose Menschen durch das Chaos schlenderten, als hätten sie einen Plan.
Über diesem Tumult aus Lärm und Konsum schwebte ein einsamer Ballon und beobachtete.
Killian und Patia bemerkten von alldem nichts. Patia roch nur den würzig, männlichen Duft von Killian, der ihr das Gefühl der absoluten Sicherheit gab und sie mit jedem Atemzug weiter in die sinnlichen Gefilde der Leidenschaft trieb. Die Liebe, die sie für Killian empfand hatte längst die sprachlichen Möglichkeiten überflügelt, doch Killian brauchte keine Worte. Ein Blick in Patias wunderschöne, leuchtende Augen reichte aus um ihn ins Paradies zu entführen. Fast fühlte er sich hilflos bei all der Liebe die er darin las, unfähig seine heftigen Gefühle für Patia angemessen auszudrücken. Mit seinen Augen liebkoste er ihre seidig zarte Haut und seine Hände prickelten erwartungsvoll, als sie die ihren berührten. Seit sie sich vor etwas über einem Jahr in einem Kino begegnet waren und sich erst spät am Abend nach einem romantischen Spaziergang im Park schwerfällig voneinander trennten, waren sie ein Paar. Killian war ein sehr zurückhaltender, schweigsamer Mensch, doch Patia schien es nicht zu bemerken. Sie erzählte, scherzte und mit jedem Wort das von ihren weichen Lippen kam verfiel ihr Killian mehr. Patia hingegen bewunderte Killians leise, würdevolle Art. Er schien ihr einsam aber auch stark und bedächtig. Seine ganze Gestalt strahlte Wissen und Güte aus, es war aber nicht nur eine subjektive Wahrnehmung, es floss durch ihre Adern. Sie verbrachten wundervolle Tage zusammen, nutzten jeden freien Moment um die Zweisamkeit zu genießen und egal was sie auch taten oder wohin sie gingen, es schien stets so als wären sie allein auf dieser Welt.
Es gab nur eine Sache, die das Glück der beiden trüben konnte. Killians Handy klingelte und durchstieß somit wie ein scharfer Pfeil die liebende Luftblase, die beide bis zu diesem Augenblick umgeben hatte. Patia schloss schmerzerfüllt die Augen und eine Träne stahl sich über ihre plötzlich blasse Wange. Nichts fürchtete sie mehr als diesen Anruf. Killian nahm Haltung an, sein Gesicht wurde eine ausdruckslose Maske, Befehlsgehorsam und Pflichterfüllung schienen aus jeder seiner Poren zu quellen. Er würde sie wieder verlassen. Lichter, Gerüche und Lärm hackten nun auf Patia ein als wären sie gerade erst tosend vom Himmel gefallen. Geliebte, warme Arme schlossen sich um Patia und führten sie zu einer einsam Bank abseits des Rummels.
Killian blickte ihr in die Augen. Schmerz, Verlust, Angst, alles wurde wortlos ausgesprochen und Patia konnte nur hilflos nicken.
Den Sog der Fahrgeschäfte sowie den warmen Aufwind demonstrativ missachtend, machte sich der Ballon an seinen Abstieg.
Killian hielt Patia fest umschlossen.
>> Drei bis fünf Tage Patia, höchstens eine Woche, dann bin ich wieder bei dir! << Killian flüsterte trotz des Lärms und drückte seine Lippen verzweifelt bei jedem Wort an Patias Schläfe.
Patia wusste das alle Fragen sinnlos waren, Killian durfte über seine Einsätze nicht reden. Als Soldat der Sondereinheit KSK, war er zur Verschwiegenheit verpflichtet.
>> Wann? <<, brachte sie letztlich leise seufzend heraus.
>> Noch heute Nacht. <<, antwortete Killian eisern.
Als sie sich von einander lösten, hielt der Ballon seinen Einsatz für gekommen.
Killian reagierte sofort und schnappte mit der Hand nach den rosa Bändern des frechen Ballons, der wagemutig über den Köpfen der Beiden tanzte.
Ein starker Soldat, ausgebildet um zu schützen, zu retten aber auch um zu töten, hielt mit stolzer Miene seinen rosa Fang. Patia konnte sich trotz der inneren Zerrissenheit ein Lächeln nicht verkneifen. Wie sehr sie ihn liebte!
>> Ich bin schneller zurück, als dem Ballon die Luft ausgeht. Ich verspreche es dir! << Killian drückte Patia die Bänder des Ballons in die Hand und einen heißen Kuss auf die kleine, geliebte Faust die sich darum schloss. >> Ich liebe dich. <<, hauchte er.
Zwei Monate, sechs Tage und elf Stunden waren vergangen, seit Killian zu seinem Auftrag nach Afghanistan aufgebrochen war. Seitdem gab es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Patia verabschiedete sich von ihren Kolleginnen in der Bücherei, nahm ihren Mantel vom Haken und ging nach Hause. Sie war sich der mitleidigen Blicke ihrer Kolleginnen durchaus bewusst, aber es interessierte sie nicht. Auch die neugierige Nachbarin im Treppenhaus, die ihre bohrenden Fragen stets in mitfühlende Worte packte, konnte Patia nicht aus der Fassung bringen. Gleichmütig hörte sie sich die Besorgnis ihrer Mutter auf dem Anrufbeantworter an und ging ins Schlafzimmer. Langsam streckte sie sich auf dem Himmelbett aus, das ihr viel zu groß erschien, wenn Killian nicht da war um es zu füllen.
>> Lange ertrage ich es nicht mehr, weißt du? <<, seufzte sie leise. Aufmerksam betrachtete sie den Ballon, der wie von Zauberhand an dem Baldachin entlang strich. Sanft wippte er in der bewegungslosen Luft auf und ab und Patia schlief lächelnd ein.
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2010
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