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Cupido war zufrieden mit sich. Er hatte seine tägliche Quote übertroffen und heute viele Menschen glücklich vereint. Sanft ließ er sich von einer Brise wahllos im blauen Himmel dahin treiben. Er mochte seinen Job. Natürlich fand er täglich ein Ärgernis in seiner völlig verkannten Person. Wer konnte denn damals schon ahnen, dass die geistigen Ergüsse einiger Menschen dermaßen ausarten würden. Er fand keine Erwähnung in der Bibel, na und? Millionen von Engeln fanden keine Erwähnung in der Bibel. Andererseits war er nun mal, wenn auch nicht der stärkste, wichtigste oder schnellste Engel, immerhin der Einzige in seinem Metier. Kein anderer konnte von sich behaupten, das er die Menschen in Liebe vereinte. Außer Gott natürlich.
Menschen hatten einfach zuviel Fantasie. Vor vielleicht tausend Jahren schmeichelte es ihm noch, als mythologischer Gott betitelt zu werden. Auch wenn er es den anderen Engeln gegenüber nie zugegeben hätte. Man hatte ja schließlich seinen Stolz. Als er dann jedoch begehrtes Objekt der schönen Künste wurde, hatte er wirklich einige harte Jahrhunderte hinter sich bringen müssen. Diese Schmach! Und das Gelächter der Anderen! Als nackten, blonden Bengel von vielleicht 4 Jahren, mit Flügeln nicht größer als die einer Taube, hatten sie ihn gemalt, gegossen und gemeißelt ! Hinzu kam dieser lächerliche Bogen, ein Kinderspielzeug! Er hob von den Winden, die ihn bisher getragen hatten ab und flog in Richtung des großen Sees, den er auf dem Hinflug schon gesehen hatte. Langsam glitt er tiefer um sein Spiegelbild in den trägen Wellen zu betrachten. Nun ja, er war nicht besonders groß, wozu auch, bei den Engelskriegern sah das schon anders aus. Die haben schon immer auf ihn herab gesehen, so oder so! Man konnte ihn auch nicht als schön bezeichnen, noch nicht mal als hübsch. Erzengel waren einfach nur tragisch schön, warum wusste keiner so genau. Die Botenengel hatten alle raubvogelähnliche Züge. Die Späher sah man so gut wie nie und der Rest war einfach nur penetrant gutaussehend. Cupido hatte sich nie Gedanken darüber gemacht warum er aussah, wie er eben aussah. Ein wenig Extravaganz konnte nicht Schaden. Sein Spiegelbild zeigte ihm eine männliche Gestalt von unbekanntem Alter, graumeliertem Haar und einem wirklich minimalistischem Bauchansatz. Seine Kleidung bestand nur aus einem Lendenschurz aus Leder, den er furchtbar bequem fand. Jedenfalls hatte er ganz sicher keine Ähnlichkeit mit diesen...diesen Obszönitäten! Am meisten ärgerte ihn jedoch die totale Verunglimpfung seiner Waffe. Jeder Engel hatte eine, ob Krieger oder nicht. Man musste sich schließlich gegen das Höllenpack zur wehr setzen. Schon vor Jahrhunderten hatte er sich eine wunderschöne Armbrust zugelegt, deren Pfeile Liebe in die Herzen der Menschen pflanzte und Vernichtung in die der Dämonen. Sie konnte es vielleicht nicht mit den Schwertern der Erzengel aufnehmen, meine Güte, die waren größer als manch ein Engel. Aber er traf immer sein Ziel und sie war handlich. Sanft tätschelte er seine geliebte Waffe, während er den Weg zu der vor ihm liegenden Stadt einschlug. Es wurde Zeit diese ganze Bibelbroschüre zu überarbeiten. Die Bibel 2.0, das konnte doch wirklich nicht schaden. Eine winzige Erwähnung oder besser gesagt ein kleiner Tatsachenbericht wäre genau nach seinem Geschmack.
Irritiert registrierte er einige unangenehme Schwingungen. Es war auch viel zu dunkel für diese Tageszeit, wie er feststellen musste. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er warf einen Blick über seine Schulter, was er sonst nie tat. Seine Augen weiteten sich in grauenvollem Entsetzen. Sekunden später brach, im wahrsten Sinne des Wortes, die Hölle über ihn herein. Ein Schwarm Dämonen der untersten Stufe, von unglaublichen Ausmaßen verdunkelte den Horizont. Der Lärm, ein wildes, wütendes Gekreische und Gejammer und ein Gestank, wie er wirklich nur aus den tiefsten Tiefen der Qual und des Todes kommen konnte, raubten ihm fast die Besinnung und ließen ihn trudeln. Er hatte nicht den Hauch einer Chance gegen dieses Heer der Dunkelheit, er musste weg! Doch bevor er auch nur einen Flügelschlag ausführen konnte, wurde er mitgerissen. Taumelnd, immer wieder gegen etwas Unaussprechliches prallend, wurde er immer tiefer in diesen Horror gezogen. Er würgte und hustete, aber der Gestank fraß sich weiter in seine Gedärme. Es brannte wie Feuer. Wieso töteten sie ihn nicht einfach? Sie schienen ihn völlig zu ignorieren, wie eine Fliege, die versehentlich in einen Vogelschwarm geraten war. Einen Aufprall später, wurde ihm mit solcher Wucht seine Armbrust entrissen, das er glaubte sein Arm wäre nicht mehr Teil seines Körpers. Seine Flügel hingen leblos und zerfetzt an ihm herunter, es war ein Wunder, das sie noch nicht gebrochen wahren. Er wusste, selbst wenn er dieses Inferno überleben sollte, würde es ihm übel ergehen. Er konnte nicht mehr fliegen, seine Energie verblasste zusehends, dieses Pack schien sie ihm abzusaugen, er hatte seine Waffe verloren und war dadurch schwer für andere Engel zu orten und er war ganz sicher nicht mehr dazu in der Lage sich zu tarnen. Ein weiterer Aufprall brachte ihn in die Position, einem wirklich enorm hässlich grinsenden Dämon direkt auf sich zukommen zu sehen. Das letzte was er wahr nahm, war der riesige Schwanz des Tieres der in seine Richtung peitschte.

Cupido erwachte durch munteres Vogelgezwitscher. Oh welch ein Alptraum! Etwas mühsam öffnete er die Augen und kniff sie sofort wieder, von der Sonne geblendet, zusammen. Er schlief ja meist unter freiem Himmel, aber die Sonne stand nie derart hoch. Er war ein Frühaufsteher, wenn auch ein muffliger. Etwas piekte ihn in die Seite, bei genauerer Betrachtung piekte ihn auch etwas in die Schulter und ganz entschieden piekte ihn etwas in seinen Allerwertesten. In der Lendengegend war es ihm auch ein wenig kühl. Er raffte sich auf und öffnete nochmals die Augen um diesem ganzen Gepieke auf den Grund zu gehen. Hübsche Rosen, dachte er noch, kurz bevor ihm die ganze Tragweite seiner momentanen Situation bewusst wurde. Dämonen, ein ganzer Schwarm, Gestank, er stöhnte auf. Er war gefallen, ohne seine Waffe, ohne seinen Lendenschurz und vor allem ohne Bewusstsein. Was bedeute, dass er momentan sozusagen vogelfrei war, bis man ihn fand. Eine leichte Zuckung seiner Schultern machte ihm schnell klar das auch seine Flügel weg waren, was allerdings nicht mehr ins Gewicht fiel, da sie sowieso hinüber waren. Er konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung. Überall Rosen, wo war er denn nur gelandet? Links von ihm erhob sich eine große, weiße Mauer und er konnte keinen Ausgang erkennen. Unter einigen Ächzern und wütendem Gebrummel brachte er sich in eine stehende Position. Völlig perplex sah er in die warmen, leuchtenden Augen einer Frau.
„Hallo.“ Sagte sie freundlich.
Er fuhr erschrocken zusammen. „Jaaa, H...Hallo“, war alles was ihm einfiel.
Seine schlimmste Befürchtung war eingetreten. Man konnte ihn sehen! Er sah an sich herunter und verzog das Gesicht. Er sah wirklich übel aus, vor Dreck starrend, mit einigen Blessuren, aber zum Glück nichts Ernstes. Natürlich war er auch noch nackt, wie Gott ihn schuf und es haftete immer noch dieser Höllengestank an ihm. Ein böser Zug spielte um seinen Mund. Sollte er doch zum Himmel stinken, vielleicht fand man ihn so schneller! Er richtete seinen Blick wieder auf die Frau. Es irritierte ihn, das sie so völlig gelassen blieb. Sie saß auf einem kleinen Schemel, direkt vor einem zierlichen, gelben Rosenstrauch. In der Hand hielt sie eine Gartenschere und neben ihr stand ein Korb mit einigen abgeschnittenen Rosen. Sie trug ein hellblaues Kleid, das sie wirklich sehr adrett aussehen ließ und sehr schön mit ihren blauen Augen harmonierte. Beim großen Propheten, was ging ihm da nur durch den Kopf! Er schätze sie auf vielleicht 45 – 50 Jahre, vielleicht war sie einfach eine, vom Leben gezeichnete Frau, die nichts mehr aus der Bahn warf.
„Sie duften herrlich, nicht wahr?“ An ihrem Gesicht konnte er deutlich ablesen, das sie keine Antwort erwartete. Es war mehr eine verträumte Feststellung.
„Willst du nicht langsam mal da heraus kommen?“, fragte sie forsch.
„Nein!“ Er brüllte es fasst.
Sie hob eine perfekt geschwungene Augenbraue. „Weil du nackt bist?“
„Nein!...Ja!...weiß nicht.“ Sein Blick verfinsterte sich bei jedem Wort das er vor sich hinstotterte mehr. Er sah hilfesuchend in den Himmel und betete im Akkord.
„Du musst dich nicht schämen. Ich wusste ja, das du nicht in Anzug und Krawatte vom Himmel fallen würdest, weißt du.“ Sie sagte es in einem Tonfall, der selbst ein verschrecktes Kaninchen hätte beruhigen können und er war schon drauf und dran entschuldigend zu lächeln und ihr für ihr Verständnis zu danken. Als ihm klar wurde das...
„WAS?“ Jetzt schrie er wirklich. Er verstand überhaupt nichts mehr. Wusste sie etwa wer er war? Sie ließ sich von seinem Geschrei nicht beeindrucken, erhob sich geschmeidig von ihrem Schemel und kam geschickt durch die Büsche auf ihn zu ohne auch nur an einem einzigen Dorn hängen zu bleiben. Sie streckte ihm eine Hand entgegen und sagte „Bitte komm, ich helfe dir da heraus.“
Ihre Stimme war so hypnotisierend, das er einfach ihre Hand nahm und sich heraus führen ließ, wie ein treudoofes Schaf. Auf warmen Steinfliesen kamen sie zum Stehen, sie ließ seine Hand los, drehte sich zu ihm um und umarmte ihn. Er wusste das hier etwas ganz entschieden falsch lief, aber das Gefühl war einfach zu schön. Sie war so warm und weich, sie duftete nach Rosen und Seife, er musste einfach seine Arme um sie schließen.
„Ich liebe dich“, hauchte sie ihm so leise ins Ohr, dass er nicht sicher war es gehört zu haben. „Schon immer.“ Er schmolz dahin. Er hatte nicht die geringste Ahnung wer sie war, wieso sie von ihm wusste oder wieso sein Herz raste als hätte er einen Marathonflug hinter sich. Aber er mochte die Gefühle, die sie in ihm auslöste, er wollte nur noch bei ihr sein.
„Ich liebe dich auch“, flüsterte er. Sie gab ihm einen kurzen aber zarten Kuss auf den Mund und lächelte ihn strahlend an.
„Was zum...Gary!“ Sie zuckten beide zusammen und sprangen auseinander, als eine krächzende Stimme plötzlich die knisternde Luft zeriss. „Gary! Komm sofort hier her!“ Cupido blickte in die Richtung aus der das störende Gezeter kam und wurde sich zum ersten mal des großen Gebäudes direkt neben sich bewusst. Eine Frau in seltsamer Tracht stand davor, breitbeinig, mit in die Hüften gestemmten Fäusten und sah grimmig zu ihnen herüber.
„Vergiss mich nicht“, flüsterte es jetzt neben ihm und er antwortete ebenso flüsternd „Niemals!“
„Sieh dir das an“, kam es in diesem Moment wieder von der schrecklichen Frau. Mittlerweile war ein großer, stämmiger Mann in der gleichen Tracht hinzu gekommen und starrte mit offenem Mund zu ihnen hinüber. „Eine Schande ist das“, plärrte die Frau jetzt weiter. „Ist euch denn nicht aufgefallen, dass einer fehlt? Ihr habt doch sowieso nichts zu tun! Sieh zu dass er wieder dahin kommt, wo er hingehört! Aber gib ihm erst irgendwas um sich zu bedecken, um Himmels Willen!“
Der stämmige Mann verschwand kurz im Inneren des Gebäudes, um sogleich wieder mit einer Decke heraus zu kommen. Düster vor sich hinbrummend marschierte er auf Cupido zu, der ihn nur fasziniert anstarren konnte. Der Mann legte ihm die Decke um und hielt sie vorne zusammen. Während er daran zog sagte er „Na komm Bürschchen, Ende des Ausflugs!“ Cupido hatte keine große Wahl und rumpelte langsam hinter dem Mann her. Er blickte sich noch einmal zu der traurig blickenden Frau um und fragte „Wie ist dein Name?“
„Roseline“ antwortete sie und lächelte ihm nach.
Cupido wurde herzlos durch kahle, endlose Gänge geschleift und gerade als er sich zu einer Beschwerde aufraffen wollte, kamen sie in einem Raum zum stehen. Kaum hatte man ihm die Decke abgenommen, wurde er mit Wasser bombardiert und mit einer Bürste misshandelt. Sein immer noch leicht vernebelter Verstand begann nun zu ahnen wo er sich befand. Bevor er sich darüber empören konnte, wurde er in ein Kleid gesteckt und in einen Raum ohne Fenster geschoben, mit dem Hinweis, er müsse hier warten bis man seine Identität geklärt habe, wisse in welche Abteilung er gehöre und welcher Arzt ihm zugeteilt sei. Damit schloss sich die Tür und für Cupido klang es wie ein Donnerschlag. Eine Nervenheilanstalt! Er ließ sich in der Mitte des Raums auf den Boden nieder und versuchte all diese verwirrenden Eindrücke zu verarbeiten, als er den Ruf hörte. Endlose Erleichterung und Panik zeigten sich gleichzeitig in seinem Gesicht. Na das konnte ja was werden. Schon sah er das Licht durch die Decke dringen. Es war so wunderschön wie immer. Heimweh erfasste ihn, aber auch ein Gefühl des Verlustes. Als die funkelnden Strahlen bis auf den Boden reichten, kratzte er all seine Selbstachtung zusammen und trat hoch erhobenen Hauptes in den Lichtkegel. Gelächter war nun deutlich zu hören und Stimmen, die von einem verirrten Pfeil erzählten...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Schwester Eva, weil sie nie die Hoffnung aufgibt und für mich stets ein funkelnder Stern am Himmel ist.

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