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Erinnerungen und Begegnungen



Isabella sah aus dem verdreckten Fenster des miefenden Linienbusses. Das Schaukeln machte sie nach einem langen Arbeitstag schläfrig, doch sie wollte nicht wegdämmern und womöglich ihre Haltestelle verpassen. Krampfhaft zwang sie sich auf die verregnete Landschaft zu starren. In einem Anfall von Wut und Trauer, verglich sie ihr Leben mit dem Bild das sich ihr bot. Ein leicht grimmiger Ausdruck zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Verwaschen, trostlos und grau, war es schon jemals anders?
Bilder von geliebten Menschen drängten sich in ihr Bewusstsein. Gespräche, Gelächter und innige Umarmungen. Mit einunddreißig Jahren war sie an einem Punkt ihres Lebens angekommen, den sie sich noch vor zehn Jahren, nicht in ihren schlimmsten Alpträumen hätte ausmalen können.
Sie hatte keine Begabung oder ein besonders einnehmendes Wesen und doch hob sie sich von dem Rest der Menschen ab, auch wenn es nur ein undefinierbares Gefühl war. Schon früh erkannte sie, das sie mit den meisten Menschen überhaupt nichts anfangen konnte. Ihre Wünsche, ihre Träume, ihre Art das Leben zu sehen und zu leben, war einfach nichts das sie auch nur annähernd für sich selbst sah. Aber sie hatte ihre Familie, ihre Mutter, ihren Vater und ihre über alles geliebte Schwester Sara. Sie alle hatten stets ein gutes Verhältnis zueinander, auch wenn Isabella sich der stets sorgenvollen Blicke ihrer Familie bewusst war. Selbst für ihre Familie war sie speziell.
Ein ironischer Zug spielte um ihren Mund. Heute war sie nicht einmal mehr für ihre perfekten, gutbürgerlichen, in die Kirche trabenden Nachbarn speziell. Sie hatte sich selbst verloren. So wie ihre Familie und ihre Hoffnung.
Tief einatmend, sah sie wieder aus dem Fenster und bemerkte erst jetzt, das der Regen nachgelassen hatte. Risse bildeten sich in der dicken Wolkendecke und ein oder zwei abendliche Sonnenstrahlen kämpften sich hindurch. Sie war noch drei Haltestellen von ihrem Haus und der Einsamkeit entfernt. Jetzt musste sie wirklich schmunzeln. Zum einen wegen ihrer dramatischen Gedankengänge, zum anderen weil sie die zwei anderen Fahrgäste, sowie den Busfahrer als Gesellschaft betrachtete. Natürlich hatte sie noch soziale Kontakte an ihrem Arbeitsplatz, aber über einen kurzen Plausch und hin und wieder ein Essen in der Mittagspause, ging es nicht hinaus. Weitere Bekanntschaften pflegte sie nicht, nicht mehr, es führte nur zu Verwicklungen, Missverständnissen und am Ende war sie bisher immer die Leidtragende. Wieder einmal runzelte sie die Stirn über ihre eigenen Bedürfnisse. Sie wollte nicht allein sein, sie sehnte sich nach einer gewissen Gesellschaft, Vertrautheit, trotzdem bevorzugte sie hier und jetzt die Einsamkeit. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Vor noch wenigen Jahren konnte sie nicht genug Freunde haben. Sie ging oft abends aus, meist in einer kleinen Herde von Freundinnen. Das einzige Ziel bestand darin, Spaß zu haben und unter die Leute zu kommen. Im nachhinein fiel ihr auf, das sie schon kein Partyfreak mehr war, bevor es in ihrem Leben bergab ging.
Sie war damals am Wochenende immer zuhause und schob es auf ihre Ausbildung zur Industriekauffrau, die sie einfach so sehr beanspruchte. In Wirklichkeit interessierte sie die ganze Ausbildung nicht im Geringsten und sie wurde davon schon gar nicht beansprucht. Es langweilte sie zu Tode. Aber es war damals das einzig Vernünftige was sie tun konnte. Die Ausbildung zur Tierpflegerin konnte sie nicht durchsetzen, da es unglaublich schwierig war überhaupt einen Ausbildungsplatz in diesem Beruf zu finden. Hinzu kam, das sie so weit vom Schuss wohnten, das sie hätte umziehen müssen. Ihre Eltern waren zu dem Zeitpunkt schon tief verletzt von dem knallharten Umzug ihrer älteren Tochter Sara, die beschlossen hatte in Kanada ein neues Leben zu starten. Einfach so. Konnte sie da auch einfach so weggehen? Sie brachte es nicht übers Herz. Zu guter Letzt musste man noch sagen, das sie einfach schlecht in der Schule war. Sie hatte nie gute Noten und war froh als sie die Realschule mit Ach und Krach überstanden hatte. Wie konnte man da in seinem Berufswunsch wählerisch sein? Ihre Mutter hatte sie einmal, vertieft in ein Buch über Tiermedizin, erwischt und ihr liebevoll über den Kopf gestrichen, während sie sagte >>Man kann in vielen Dingen Erfüllung finden, es muss nicht der Beruf sein. <<
Nur wenige Tage nach diesen Worten, zeigten sich bei ihr die ersten Symptome. Doch es sollte noch ein Jahr dauern, bis endlich klar war, das sie Brustkrebs hat. Es folgten zwei qualvolle Jahre des Kämpfens und der Hoffnung. Die Tage zogen sich dahin, während Isabella fest davon überzeugt war, das ihre Mutter diesen Kampf gewann. Sie teilte sich die Pflege mit ihrem Vater und kümmerte sich hingebungsvoll um die Genesung, doch letztlich wurden sie besiegt und blieben fassungslos zurück.
Erstmals hatte sie ernste Zweifel an ihrem Dasein. Sie fühlte sich fehl am Platz, verwirrt und unverstanden. Aber es blieb keine Zeit zu trauern. Kaum eine Woche nach der Beerdigung ihrer Mutter, erhielt sie einen Anruf aus Kanada. Man teilte ihr kurz und knapp, in einem kaum verständlichen Englisch mit, das Sara Maria Pamer gestern bei einem Autounfall tödlich verunglückt sei. Sie spürte damals wie die Dunkelheit über sie herein brach. Ihre vor Leben sprühende Schwester, mit der sie sich verbunden fühlte, wie mit niemand Anderem, hatte sie ebenfalls verlassen. Die darauf folgenden Wochen sind ihr noch heute völlig schleierhaft. Die einzig intensive Erinnerung ist Schmerz. Der Tod ihres Vaters war für sie damals keine Überraschung mehr. Man sagte ihr es wäre Herzversagen gewesen und für sie war klar, das er an der Trauer zerbrochen ist. Sie nahm es ihm nicht übel, sie wäre ihnen allen am liebsten gefolgt.
Der Busfahrer schreckte sie auf, als er ein völlig verzerrtes >>Rosenholz<< durch den Lautsprecher plärrte. Eilig raffte sie ihren Mantel und ihre Tasche zusammen und stolperte mehr als unelegant aus dem Bus. Das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung und Isabella stand einfach nur da und atmete tief die frische Luft ein. Es ging doch nichts über die Landluft nach einem Sommerregen. Noch einmal atmete sie herzhaft ein und schimpfte sich in Gedanken. Was war heute nur mit ihr los? Die Trauer ließ sie zwar nie ganz los, doch hatte sie schon vor Jahren nicht mehr so intensiv über die Vergangenheit und die damaligen Ereignisse nachgedacht. Sie wollte es auch nicht. Langsam wurde sie böse auf sich selbst. Sie versuchte an etwas Positives zu denken. Das einzige was ihr einfiel, war die Tatsache das sie nun drei Wochen Urlaub hatte und sich nicht auf die Arbeit schleppen musste. Wieder blitzte ein rebellischer Gedanke durch ihr Hirn, doch sie rang ihn nieder, bevor sie noch etwas wirklich Dummes tat. Sie fröstelte, zog ihren Mantel über, hängte sich ihre Tasche um und stapfte durch die zahlreichen Pfützen auf ihr Haus zu, das nur einige hundert Meter weiter lag. Als sie um die letzte Ecke bog und ihr Haus in Sicht kam, überfluteten sie wieder zahlreiche Gefühle. Sie konnte nur noch mit dem Kopf schütteln. Sie liebte dieses Haus. Ihre Eltern hatten es nach ihren Wunschvorstellungen gebaut als Isabella erst zwei Jahre alt war. In weiser Voraussicht ackerten sie sich dafür ab, es ihren zwei Töchtern später einmal schuldenfrei überlassen zu können. Jetzt gehörte es ihr allein. Es war natürlich viel zu groß und kostete sie ihren kompletten Verdienst im Unterhalt, aber das war ihr egal. Was sollte sie sonst mit dem Geld tun? Der Himmel war heute der perfekte Hintergrund für ihr Haus. Nach dem starken Regen hatten sich die Wolken dazu entschlossen weiterzuziehen und ein grandioser Sonnenuntergang ließ ihn in Lila- und Orangetönen erstrahlen. Sie warf noch einen stolzen Blick in ihren Garten, ihr persönlicher kleiner Garten Eden. In letzter Zeit war es viel zu trocken gewesen, aber die Regengüsse der letzten Tag gaben ihrem Garten nun ein sattes Grün. Ihre Mutter hatte einst von einem Rosengarten geträumt und wo es nur ging alle Arten davon gepflanzt. Isabella hatte sich Jahre lang nicht darum gekümmert und so wucherten sie ungestört und wunderschön vor sich hin. Rosa Kletterrosen rankten an allen Hauswänden hinauf und bedeckten den kompletten Wintergarten. Abends war der Duft so betörend, das man es kaum ertrug. In den letzten beiden Jahren hatte sie sich dazu aufgerafft das Unkraut zu entfernen und den Rasen zu mähen. Es sah noch lange nicht wie einer dieser gepflegten Vorstadtgärten aus, wie es ihre Nachbarn gerne hätten. Aber für Isabella war es perfekt, verträumt und manchmal wie aus einem Märchen. Der komplette Garten war umrahmt von hohen Hecken und Büschen und schenkte ihr die so dringend benötigte Abgeschiedenheit. Langsam stieg sie die Treppen empor, schielte unbeholfen in den Briefkasten, da der passende Schlüssel in der Küche lag und beschloss das nichts darin wichtig sein konnte. Im Flur feuerte sie ihre Schuhe von sich, ließ die Tasche fallen wie sie fiel und schleifte den halb ausgezogenen Mantel noch ein Stück ins Wohnzimmer, bis er an einem Sessel hängen blieb. Wieder stürmten Erinnerungen auf sie ein. Langsam fragte sie sich, ob sie nicht ernsthaft durchknallte. In Gedanken sah sie Pinky, ihren Mischlingsrüden durchs Haus jagen. Auch er hatte sich schon vor Jahren in die ewigen Jagdgründe verabschiedet und sie hatte einfach nicht mehr den Mumm, sich noch ein geliebtes Wesen zuzulegen, das sie auch nur verlieren würde. Erschrocken fuhr sie zusammen, als ihr klar wurde, das sie tatsächlich wildes Gebell hörte. Sie lief durch den Wintergarten, öffnete die Glastür und lauschte. Abgesehen von einigen verliebten Vögeln war nichts mehr zu hören. Sie seufzte, sie musste heute wirklich sehr durcheinander sein. Ein heißes Bad, ein Glas Wein und eines ihrer geschätzten Bücher, würde das hoffentlich wieder einrenken, was auch immer in ihrem Hirn gerade nicht am rechten Platz war. Sie gab sich innerlich einen Schubs und ging hinauf ins Schlafzimmer. Hier fühlte sie sich immer wohl. Es war bis auf das letzte Detail genau so eingerichtet, wie sie es sich vorgestellt hatte. Es war in weiß, lila und sanftem orange gehalten und wurde von einem riesigen weißen Himmelbett dominiert. Es war bei weitem das größte Zimmer im ganzen Haus und trotzdem nur spärlich eingerichtet. Eine weiße Couch, mit flauschigen lila Kissen darauf, ein Kleiderschrank sowie eine Regalwand, waren abgesehen vom Bett die einzigen Einrichtungsgegenstände. Sie liebte das Offene, Weite und wäre es ihr finanziell möglich, würde sie auch noch die Decke einreißen und durch ein Glasdach ersetzen. Erschöpft warf sie einen sehnsuchtsvollen Blick Richtung Bett, aber sie konnte sich jetzt keinesfalls darauf niederlassen. Sie würde einschlafen und mitten in der Nacht aufwachen um dann was zu tun? Sie raufte sich zusammen und begann ihre Jeans auszuziehen. Ein Blick in ihren Spiegel bestätigte ihre Vermutung, das sie genauso zerrupft und schmuddelig aussah wie sie sich fühlte. Ihre dunkelbraunen, langen Haare hatten sich durch die Feuchtigkeit munter gekringelt und waren in der trockenen Luft dann aufgepufft. Es gab ihr zwar einen jugendlichen und wilden Anstrich, wirkte aber alles andere als gepflegt. Ihre dunkelblauen Augen starrten sie ratlos und ein wenig resigniert aus dem Spiegel an. Das war definitiv kein gutes Zeichen. Schon immer haben ihre Augen ein wenig verrückt gespielt, was die Festlegung einer bestimmten Farbe betraf. In der Regel waren sie graublau, konnten bei besonders wagemutiger oder aggressiver Stimmung jedoch Türkis leuchten und moosgrün schimmern, wenn sie traurig war. Sie nahm an das Dunkelblau ihre Erschöpfung und Verwirrung wiederspiegelte. Sie pfefferte die Jeans in den Wäschekorb und streifte sich die Bluse über den Kopf. Wieder betrachtete sie sich deprimiert im Spiegel. Sie war keine Schönheit und sie legte auch keinen Wert darauf, aber ein bisschen weniger Figur hätte ihr wirklich nicht geschadet. Sie war nur 1,65 Meter groß und musste sich mit der Oberweite eines Pornostars herumschlagen. Hinzu kam noch eine leicht mollige Figur, was sie sehr sanft und weiblich aussehen ließ. Das herzförmige Gesicht mit den riesigen Augen rundete das Bild ab, das nach außen hin jeder als besonders harmlos und liebenswert einzustufen schien. Ihre Augen blitzen sie im Spiegel schmal an. Wieso zum Teufel interessierte es sie überhaupt noch was irgendjemand von ihr dachte? Sollte man sie als wilde Amazone sehen? Letztlich war sie nämlich harmlos und langweilig noch dazu. Mit einer schwungvollen Geste landete die Bluse im Gesicht ihres Spiegelbildes. Hüpfend und an ihren Socken zerrend bewegte sie sich Richtung Badezimmer, bis ihr einfiel das sie weder ein Buch noch den Wein mit nach oben genommen hatte. Vorsichtig tapste sie wieder die Treppe hinunter, es wurde bereits dunkel und sie wollte den Tag nicht mit verrenktem Hals am Ende der Treppe besiegeln. Unten angekommen, bemerkte sie den kühlen Luftzug und erinnerte sich daran vorhin die Glastür geöffnet zu haben. Flüchtig ging ihr durch den Kopf, das ein Einbrecher wohl seine reine Freude an ihr hätte. Einsame, dumme Frau, rennt kopflos und ohne Kleidung im offenstehenden Haus herum. Glücklicherweise würde sich wohl nie ein Einbrecher hierher verirren. Rosenholz war eine gute Stunde Autofahrt von jeglicher Zivilisation entfernt und die vereinzelten Nachbarn blieben auch lieber für sich. Als sie sich der offenen Tür näherte, fing ihre Haut an zu prickeln. Eigentlich war es nicht kalt, eher eine angenehme Abendluft, sie musste wirklich müde sein. Sie warf einen Blick in den dunklen Garten und bekam eine Gänsehaut. Sie lauschte den Abendklängen, stutzte und trat einen Schritt hinaus. Welche Abendklänge? Es war totenstill! Nicht mal das nervige zirpen einer Grille war zu hören. Ihre Nackenhärchen richteten sich auf. Sie musste grinsen. Schon immer verhielt sie sich in gefährlichen oder bedrohlichen Situationen grundsätzlich nicht so wie man es erwartete. Natürlich gruselte sie sich ein wenig, sie spürte auch ein Flattern in der Magengegend, aber sie konnte in solchen Momenten einfach nicht vor Angst schlottern, hirnlos Kreischen oder die Flucht ergreifen. Abgesehen davon war sie sich auch bewusst, was sie gerade für ein Bild abgab. Sie trat noch einen Schritt weiter in den Garten hinein, hoffte das sie unter ihren nackten Füssen nichts ekliges zermanschte und hob die Arme in den Himmel. Da sie heute sowieso ein wenig verrückt war, konnte sie dem Ganzen auch noch die Krone aufsetzen. Sie streckte sich so weit sie konnte und rief >>Komm und hol mich, wenn du dich traust!<< Sie hatte wirklich nicht die geringste Ahnung an wen sich das richten sollte. Noch immer war kein Mucks zu hören. Vermutlich hatte sie auch noch die letzten verbliebenen Tierchen in die Flucht geschlagen. Sie seufzte und drehte sich Richtung Tür als das Chaos in ihren Garten einbrach. Ohrenbetäubender Lärm jenseits ihres Gartens ließ sie mitten in ihrer Bewegung erstarren. Augenblicke später schoss ein riesiges Knäuel aus Fell, Zähnen und Krallen durch die Büsche in ihren Garten und landete direkt vor ihr. Hirnloses Kreischen kam ihr jetzt gerade Recht, aber sie brachte nur einen kurzen entsetzten Schrei heraus, stolperte rückwärts und landete nun doch mit ihrem Hintern in irgendwas eklig matschigem. Vor ihr war ganz offensichtlich ein Kampf im Gange. Zwei riesige - ja was? Hunde vermutlich lieferten sich hier etwas Tödliches. Die Geräusche waren noch schlimmer als der Anblick selbst. Knurren, Kläffen und Fletschen waren nur einige davon. Zwischendurch hörte man auch ein schmerzhaftes Aufjaulen, was ihr den Eindruck vermittelte, das eines der Tiere bald unterliegen würde. Zitternd und von eisiger Kälte durchrieselt kam ihr in den Sinn, das sie völlig Missachtet wurde. Endlich wieder bei Besinnung warf sie noch einen Blick auf das Spektakel und rannte Richtung Gartenschlauch. Als sie an dem Wasserhahn zerrte kam ihr noch einmal der Gedanke, das es unmöglich Hunde sein konnten. Diese Tiere waren gewaltig und was zum Geier trieb sie hier eigentlich? Aber sie musste dazwischen gehen, es war wie unter Zwang. Beschützerinstinkt flammte in ihr auf, völlig lachhaft wie sie wusste. Wilde Entschlossenheit kam hinzu, als sie wieder auf die kämpfenden Tiere zulief. Noch einige Meter weit entfernt, konnte sie erkennen das eines der Tiere am Boden lag und sich kaum noch wehrte, der Lärm war abgeflaut und ein schmerzhafter Ring schloss sich um ihr Herz. Sie drehte den Gartenschlauch auf und schrie das noch stehende Tier an während es einen kalten Wasserschwall abbekam. Es machte einen Satz zur Seite um sich seinen nächsten Gegner genauer anzusehen. Isabella hätte schwören können, das diese großen hellblauen Augen verdutzt, ja gar irritiert aufleuchteten. Der Blick wich purer Mordlust, spitze Zähne wurden freigelegt und das Tier drückte sich auf den Boden. Es folgte ein Knurren, das Isabella die Zehennägel aufgerollt hätte, wäre sie nicht schon jenseits von Gut und Böse gewesen. Ein Blick auf das am Boden liegende Tier zeigte ihr, das sie vermutlich zu spät gehandelt hatte. Es war blutüberströmt, atmete rasselnd und hatte die Augen geschlossen. Trauer floss durch ihren Körper wie heißes Öl. Sie sah wieder zu dem angriffsbereiten Tier hinüber, es schien unsicher zu sein. Sie musste das ausnutzen. Sie sah ihm direkt in die Augen, unvermittelt fühlte sie sich stärker, eine Energie schien sie zu beflügeln, auch wenn sie diese nicht benennen konnte. Ihr Gegenüber legte die Ohren an, doch seine Augen schienen nicht mehr so eisig. Ohne es wirklich zu wollen fauchte sie in seine Richtung.
>>Genug!<<
Augenblicklich verstummte das Knurren. Sie warf ihm einen weiteren flammenden Blick zu und staunte als sie die immer größer werdenden Augen des Tieres sah. Es machte drei unsichere Schritte rückwärts. Es sah jetzt in keiner Weise mehr bedrohlich aus, was sie selbst wieder überraschte.
>>Was ist? Hast du noch nie eine halbnackte Frau mit einem Gartenschlauch gesehen?<< Sie war sich jetzt ziemlich sicher das sie den Verstand verloren hatte. Sie hätte schwören können, das Tier zog hochmütig eine Augenbraue in die Höhe. Seufzend kniete sie sich zu dem verletzten Tier. Sie sah auf und glaubte einen nachdenklichen Blick bei dem Gewinner des Kampfes zu sehen.
>>Ich werde ihn dir nicht überlassen. Geh!<< Woher wollte sie jetzt schon wieder wissen das es ein Er ist? Ein durchdringender blauer Blick traf sie. Auf einmal hatte sie das Gefühl es würde überhaupt nichts geschehen, solange es diese blauen Augen nicht wollten. Eine Mischung aus Seufzen und Niesen erschien ihr wie eine abfällige Antwort auf ihre dreiste Aufforderung. Sie fragte sich wieso es dreist sein sollte, immerhin war dies ihr Garten verdammt! Sehr langsam und reichlich unbeeindruckt stand das Tier auf, warf noch einen Blick auf sie zurück und verschwand zwischen den Büschen.
Sogleich brach bei Isabella sämtliche Courage zusammen und sie schluchzte laut auf. Sie fror erbärmlich, zitterte so stark das sie kaum noch gerade aus sehen konnte und vor ihr lag ein blutendes Etwas. Das Etwas nahm dies zum Anlass um sie anzusehen. Es schlug die Augen auf und Isabella verschlug es die Sprache. Sie konnte nicht einmal mehr Schluchzen. Augen wie flüssiges Gold sahen zu ihr auf, sie hatte noch nie etwas so Schönes gesehen. Sie sah auch Furcht, Überraschung, Unglauben und Verzweiflung. Noch während sie überlegte, wie sie all das, in diesen goldenen Augen sehen wollte, fand sie ihre Stimme wieder.
>>Keine Angst, ich kriege das schon irgendwie hin.<<
Jetzt meinte sie darin auch noch Spott zu lesen. Es reichte langsam wirklich. Schon immer hatte man ihr vorgeworfen sie würde Tiere vermenschlichen, aber das? Leicht entnervt stand sie auf, knabberte an ihrer Unterlippe und überlegte krampfhaft was jetzt zu tun war. Vor ihr lag definitiv kein Hund und wenn es doch ein Hund war, dann das außergewöhnlichste Exemplar das sie je gesehen hatte. Es hatte starke Ähnlichkeit mit einem Wolf, aber sie war schon so oft in den Tierparks stundenlang an Wolfsgehegen gestanden, das sie sich recht sicher war keinen Wolf vor sich zu haben. Die Schnauze war zu kurz, der ganze Körperbau war viel kräftiger und geschätzt an dem anderen Tier, waren diese beiden auch höher gewachsen. Irgendjemand musste diese wunderschönen Tiere doch vermissen. Zum Tierarzt konnte sie es jedenfalls nicht schleppen, sie war sich nicht sicher ob ihr Auto überhaupt noch anspringen würde, so selten wie sie damit fuhr. Die Fahrt würde gut eine Stunde, wenn nicht länger dauern und noch immer lief Blut aus einigen Bisswunden. Ihr Schützling hatte offensichtlich wieder das Bewusstsein verloren und endlich kam sie in Bewegung. Sie konnte das Tier unmöglich alleine hochheben, daher rannte sie nun zum Gartenschuppen. Dort gammelte seit Jahren eine alte Plastikplane vor sich hin, die sie jetzt direkt neben dem Tier entrollte. Sie hatte noch immer Hemmungen das Tier zu berühren, aber letztlich schalt sie sich selbst für ihre Ängstlichkeit, schließlich musste sie es später ohnehin anfassen. Nach einem tiefen Atemzug fing sie an zu ziehen und zu zerren, bis ein Ende der Plane unter dem Tier lag. Dann lief sie auf die andere Seite und schob mit allem was ihr zur Verfügung stand um das Tier auf die Plane zu rollen. Sehr zufrieden mit dem Ergebnis, sah sie nun zweifelnd zu den zwei Treppenstufen die in den Wintergarten führten, sowie die nicht zu unterschätzende Türschwelle.
>>Na dann, auf in den Kampf!<<
Zehn Minuten später war die Kälte, die sie erfasst hatte vergessen. Schweißgebadet aber zufrieden sah sie auf das Tier hinunter, das nun mitten in ihrem Wintergarten lag und dadurch völlig neue Dimensionen annahm. Selbst vor Dreck und Blut starrend war es einfach wunderschön und riesig. Es hatte tief schwarzes Fell, das ganz zart rötlich schimmerte. Die Pfoten konnten es ohne weiteres mit ihren kleinen Patschehändchen aufnehmen, über die sie sich schon immer geärgert hatte. Sie spürte fast die geballte Kraft und Energie, die durch dieses Tier strömen musste, wenn es nicht gerade schwerverletzt in ihrem Haus lag. Obwohl am nächsten Tag sommerliche Temperaturen erwartet wurden, drehte sie die Heizung auf. Als nächstes durchkramte sie ihr Badezimmer und schleifte ihre medizinischen Funde in den Wintergarten. Sie hatte wirklich keine Ahnung wie sie das Tier richtig versorgen sollte. Durch das dichte, lange Fell konnte sie nur an den Blutspuren erahnen wo überall Verletzungen waren und wie sollte sie einen anständigen Verband anbringen, sie konnte das Tier ja nicht jedes Mal hochheben. Mit einem nassen Handtuch begann sie erst einmal den gröbsten Dreck zu entfernen. An einem Ohr sowie an der Nase machte sie kleine Risswunden aus und beschloss diese nur zu desinfizieren und eine Wundsalbe darauf zu verteilen. Langsam tastend und sehr vorsichtig fuhr sie mit ihren Fingern durch das Fell. Am Nacken entdeckte sie gleich mehrere tiefe Löcher, auch diese desinfizierte sie. Drückte eine Kompresse darauf und wickelte eine Binde mehrmals um den Hals. Wenigstens hier klappte das noch, da der Kopf nicht gar so schwer war. Glücklicherweise fand sie keine Verletzungen im Bereich der Kehle oder der Brust. Weiter hinten auf dem Rücken des Tieres waren einige üble Kratzer, aber nichts bedrohliches wie sie meinte. Jedenfalls wenn sich nichts von alldem entzündete. Sie fuhr unbeirrt fort und fand einen großen Riss am hinteren Oberschenkel. Er klaffte weit auseinander und ihr blieb nur die Wahl zwischen einer Naht, die sie sich nicht wirklich zutraute oder einigen Wundklammern. Schließlich setzte sie die Wundklammern, hoffte auf das Beste und verband das Ganze ziemlich stramm. Mit einiger Mühe drehte sie ihren Patienten jetzt auf die andere Seite, um auch diese mit ihren Fingern tastend abzusuchen und zu versorgen. Ihr Patient hatte dies alles ohne die kleinste Rührung hinter sich gebracht.
>>Wir haben es bald geschafft mein Großer<< Sie hatte es mehr zu sich selbst gesagt, die ganze Situation war so unwirklich, das sie wenigstens die Normalität ihrer Stimme beibehalten wollte. Sie hörte jedoch zu ihrer Überraschung ein herzhaftes Aufseufzen. Seine Augen waren immer noch fest verschlossen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit. Ein so großes, verletztes Tier konnte gefährlich werden, tödlich gefährlich. Wenn es erst wieder genug Kraft hatte um sich zu bewegen, könnte schon eine Unachtsamkeit ihrerseits sehr unschön für sie werden. Innerlich schnitt sie sich selbst das Wort ab. Erst mit Gartenschläuchen auf wilde Tiere losgehen und dann plötzlich Schiss kriegen? So nicht mein Fräulein, reiß dich gefälligst zusammen! Sie begutachtete die Pfoten, konnte aber bis auf einige kleinere Verletzungen direkt bei den Krallen nichts finden. Innere Verletzungen oder Brüche könnte sie sowieso nicht versorgen, das blieb also erst mal abzuwarten. Der Gedanke eines Tierarztes flammte wieder in ihr auf, gleichzeitig mit starkem Unwillen. Was hast du vor Mädchen? Willst du dieses erstaunliche Tier behalten? Irre? Aber es war so, die Befürchtung, der Tierarzt könnte noch viel mehr auf den Plan rufen als nur eine schnelle Genesung, war nicht unbegründet. Er würde Fragen stellen, damit wollte sie sich jetzt auf keinen Fall befassen. Sie tastete den Bauch ab und meinte leichte Zuckungen zu verspüren. Sie musste lächeln. War er etwa kitzlig? Sie seufzte schwer, schon wieder diese Vermenschlichung, sie musste damit aufhören. Sie fuhr mit ihren Händen tiefer und überlegte gerade noch ob sich ein solches Tier eventuell die Hoden verletzen könnte und wenn ja, wie zum Teufel sie das verbinden sollte, als sie in tief goldene Augen blickte. Sein ganzer Körper war augenblicklich angespannt. Sie hielt den Atem an.
>>Ich wollte dir ganz sicher nicht an deine edlen Teile, ich sehe nur nach ob noch alles dran ist, also beiss mir nicht den Kopf ab!<<
Sie redete heute wirklich nur noch wirres Zeug. Er sah sie weiter drohend an, seine Augen ließen sie nicht eine Sekunde los. Sie nahm vorsichtig die Hände von ihm und versuchte wieder zu atmen. Sein Blick hielt an und es wurde ihr langsam unheimlich. Er sah nicht aus als wollte er sich auf sie stürzen, aber glücklich sah er auch nicht aus. Endlich ließ er seinen Blick abschweifen, sie spürte ihn förmlich auf ihrer Haut. An ihrem Hals verharrte er kurz und sie sah sich schon mit herausgerissener Kehle am Boden liegen. Dann wanderte sein Blick weiter zu ihren Brüsten, sie folgte ihm und lief plötzlich dunkelrot an. Ihre Brustwarzen richteten sich unverschämterweise auf und waren durch den völlig verdreckten, durchsichtigen BH klar zu erkennen. Sie hätte schwören können, das sein bohrender Blick der Bewunderung gewichen ist und sprang auf. Das brachte sie nicht unbedingt in eine bessere Position, wie sie schnell feststellte. Der Rest ihrer kläglichen Dessous war in dem gleichen desolaten Zustand. Sie stürmte aus dem Wintergarten, verschloss die Tür hinter sich und jagte ins Bad hinauf. Sie konnte sich diese Blicke unmöglich nur einbilden. Vielleicht bildete sie sich aber auch den ganzen verrückten Abend ein? Sie kam so nicht weiter, sie brauchte dringend Schlaf. Morgen würde alles ganz anders aussehen, so oder so! Mit letzter Kraft duschte sie sich schnell, rubbelte sich trocken so gut es ging und fiel, schon halb schlafend in ihr Bett.


Chivan sah der kleinen Amazone verwirrt hinterher, als sie wie ein geölter Blitz aus dem Raum stürmte. Wer war sie und was hatte sie mit ihm angestellt? Er versuchte sich zu erinnern, was an diesem verhängnisvollen Tag schief gelaufen war. Er stöhnte auf. Sein Bruder Leander würde ihn erwürgen, wenn er davon erfuhr. Der Rat hatte eine Versammlung zur Wahl der Grenzgänger einberufen. Er war wild entschlossen und fest überzeugt, das sie ihn diesmal wählen würden. Aber dem war nicht so. Sie hatten Leander gewählt, seinen vier Jahre älteren Bruder. Es war lachhaft Grenzgänger erst ab dem fünfunddreißigsten Lebensjahr zuzulassen. Er war schon seit Jahren bereit, genau wie seine Freunde.
Seine Augen verdunkelten sich. Vielleicht war er ja doch nicht bereit. Nie wäre er auf die Idee gekommen hier draußen auf einen Vertriebenen zu stoßen. Nicht nur das er es nicht vorausgesehen hatte, er war auch so überrascht, das er ihm schon nach kurzem Kampf unterlegen war. Er zitterte vor Wut. Selbst das jahrelange Kampftraining konnte einem nicht helfen, wenn man vergaß sein Hirn einzusetzen. Die kleine Amazone hatte ihm das Leben gerettet. Er knurrte unwillig. Er konnte sich nicht erklären wieso der Vertriebene sie nicht einfach in Stücke gerissen hat. Als Chivan kurz erwachte, war er weg und er sah nur diese türkisfarbenen Augen, die ihn besorgt anblickten. Seine Schmerzen hatten nachgelassen und er war wieder in die Dunkelheit gesunken. Irgendetwas hatte seinen Gegner verscheucht, aber Chivan war sich sicher das er wieder kommen würde um sein Werk zu beenden und er glaubte nicht daran das die kleine Amazone lebend davon kommen würde. Seine Verletzungen schienen ihm lange nicht mehr so schlimm, wie anfangs befürchtet. Er würde sich hier etwas erholen, seine Kräfte sammeln und abwarten was der nächste Zug seines Gegners sein würde. Er hoffte nur das er seine Verwandlung solange zurückhalten konnte, die kleine Amazone würde das sicher nicht gerne miterleben. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, bei diesem Gedanken. Es sollte sein letzter Gedanke sein, bevor wieder in einen tiefen Schlaf fiel.

Beschnuppern



Isabella erwachte am späten Morgen. Schnurrend drehte sie sich auf den Bauch und drückte sich tief in ihr Kopfkissen um noch eine Runde zu schlafen. Zwei Sekunden später schnellte ihr Kopf wieder hoch. In hübschen Bildern schoss ihr jede einzelne Ungeheuerlichkeit des gestrigen Abends durch den Kopf. Wenn sie nicht unter grauenhaften Wahnvorstellungen litt, wartete in ihrem Wintergarten ein verletztes Tier mit goldenen Augen auf sie. Wahllos griff sie nach einem Schlüpfer, zog ihren Morgenmantel über und eilte nach unten. Auf dem Weg zum Wintergarten überlegte sie kurz, wann sie sich das letzte Mal so voller Elan und vor allem mit derartiger Geschwindigkeit bewegt hatte. Ihr Leben fühlte sich immer so zäh an, das sie sich auch so darin fortbewegt hatte.
Leise trat sie an die Tür und zögerte. Sie wusste nicht recht was sie hinter der Tür erwarten würde. Sie musste sich eingestehen, das ihr eine blutrünstige Bestie immer noch lieber wäre als gar nichts. Sie zog eine Grimasse. Soweit ist es schon mit dir was? Vorsichtig schob sie die Tür ein Stück auf und lugte in den Raum. Sie war ja schon auf alles vorbereitet, trotzdem durchfuhren sie heiße Blitze als sie in goldene Augen starrte. Er saß aufrecht da und starrte zurück.
>>Ich werde dich Goldauge nennen.<<
Sie hatte es einer Eingebung folgend ausgesprochen und konnte nun sehen zu wie vielen Gesichtszügen ein Hund, oder was immer er sein mochte, fähig war. Sie entglitten ihm alle samt. Sie stieß die Tür ganz auf und trat einen Schritt vor. Sie musste ihn einfach anlächeln, er war zu schön und schaute auch noch völlig verdattert.
>>Ja ich weiß, nicht sehr einfallsreich, aber zumindest passend!<<
Er sah gut aus, ganz anders als das geschundene Tier gestern im Garten. Konnte er sich so schnell erholen? Vielleicht hatte er wirklich keine ernsten Verletzungen davon getragen, aber sie wusste noch sehr genau wie viel Blut er verloren hatte, eine Menge.
>>Du hast sicher Hunger, aber ich muss dich enttäuschen, ich habe kein Hundefutter im Haus.<<
Sie seufzte und wollte sich Richtung Kaffeemaschine bewegen, als sie das knurren vernahm. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie ihn an. Er sah schwer nach verletzter Eitelkeit aus. Sie schüttelte resigniert den Kopf.
>>Schau nicht so beleidigt, ich verspreche dir mein Frühstück wird dir schmecken, aber Kaffee gibt es für dich nicht!<<
Sie gab es auf. Wenn sie einem Tier unbedingt menschliche Züge geben musste, na bitte, dann war das eben so. Kaffee war jetzt das einzig Richtige und sie machte sich auf in die Küche. Die Tür zum Wintergarten ließ sie offen, um zu sehen ob er sich vor wagte. Während der Kaffee schon sein wundervolles Aroma in der Küche verbreitete, kramte sie eine große Schüssel hervor und füllte sie mit Wasser. Sie überlegte noch, wo sie die Schüssel strategisch günstig platzieren konnte ohne ständig darüber zu stolpern, als sie seine Anwesenheit bemerkte. Sie musste weder hinsehen noch hinhören, sie wusste das er da war und sie ansah. Die Schüssel vorsichtig auf den Boden stellend, musterte sie ihn eingehend. Er stand etwas unschlüssig da, leicht wacklig wie sie meinte und ging dann auf das Wasser zu. Die Hälfte seiner Verbände hingen ihm lose bis auf den Boden. Er sah aus wie eine entflohene Hundemumie.
>>Ich schätze, ich werde noch einmal Hand an dich legen müssen, mein Hübscher.<< Sie sagte es leicht hin, mit einem Grinsen im Gesicht und bekam auch prompt eine Reaktion. Sie bildete sich das nicht ein. Punkt! Sein Kopf schnellte in die Höhe und fixierte sie misstrauisch. Ihr grinsen wurde breiter. Sie kam zu dem Schluss das er einfach ein sehr intelligenter Hund war. Pinky hatte zu seinen Lebzeiten auch erstaunlich viel verstanden und wusste grundsätzlich wann er sich aus dem Staub zu machen hatte. Vielleicht war es nicht immer das gesprochene Wort, aber ein Tonfall konnte ebenso viel sagen. Goldauge ignorierend, verausgabte sie sich regelrecht beim Herrichten des Frühstücks. Normalerweise trank sie nur Kaffee und wenn sie besonders gut aufgelegt war aß sie eine Scheibe Toast dazu. Heute war ihr nach etwas gehaltvollerem, abgesehen davon hatte sie einen Gast. Da konnte man schlecht mit trocknem Toast kommen. Sie fand eine Packung Bacon, den sie gewöhnlich für die Zubereitung von Lende verwendete. Eier waren auch vorhanden, sowie ein paar frische Champignons. Daraus ließe sich was machen. Als sie schließlich ihr Werk betrachtete war sie selbst erstaunt. Sie hatte noch irgendwo eine Packung Pancakes gefunden und in die Pfanne gehauen. Aus den Eiern, den Champignons und frischen Tomaten entstanden zwei Omelettes die köstlich dufteten und den Bacon brutzelte sie einfach knusprig und legte ihn dazu. Sie runzelte nun doch die Stirn. Konnte sie ihm so was wirklich zu essen geben? Vielleicht hätten es ein paar Scheiben Wurst auch getan. Sie zuckte innerlich mit den Schultern, nun war es angerichtet also konnte sie es ihm auch anbieten. Sie stellte einen Teller auf den Boden neben ihren Stuhl und wartete ob er so nah an sie heran kommen würde.
>>Vertrau mir es wird dir schmecken, ich werde für dich vorkosten ok?<<
Sie schob sich eine Gabel voll Omelett in den Mund und übertrieb maßlos mit ihrem >>Mhmhmhm<<
Als er sich dann tatsächlich in Bewegung setzte blieb ihr jedoch fast das Omelett im Hals stecken. Er bewegte sich einfach nicht wie ein normaler Hund. Man dachte sofort an ein Raubtier und wenn man sich dann noch seiner Größe und seiner Augen bewusst war, verfiel man schneller als gedacht in die Opferrolle. Nervös schob sie sich ein Stück Bacon in den Mund. Zum ersten Mal fiel ihr nun auf, das er gar nicht roch wie ein Tier. Sie konnte überhaupt kaum einen Geruch von ihm aus machen. Nur etwas Leichtes, Undefinierbares und vor allem Beunruhigendes. Schneller als erwartet war sein Teller komplett leer. Isabella hatte jedoch Schwierigkeiten überhaupt noch etwas herunter zu bringen. Er sah ihr erwartungsvoll zu, was sie nur noch mehr auf die Palme brachte.
>>Pancakes, der Herr?<<
Sie hielt ihm einen ganzen, in Honig getauchten Pancake vor die Nase. Sofort wusste sie, das es ein Fehler war, ihm diesen mit der bloßen Hand anzubieten. Er sah sie mit diesen unglaublichen Augen an, während er ihr vorsichtig das Angebotene aus den Fingern zog. Keinen Moment ließ er ihre Augen los und als er ihr einen Klecks Honig von den Fingern schleckte, schnellte sie wie vom Blitz getroffen hoch und stürmte - mal wieder - in ihr Schlafzimmer. In ihrem Zimmer angekommen, zitterte sie wie Espenlaub. Es mussten ihre überreizten Nerven sein, anders konnte sie es sich nicht erklären. Nach einigen sinnlosen Runden auf ihrem Teppich, hatte sie sich wieder im Griff. Sie kramte ihren Lieblingsjogginganzug aus lila Niki im Kleiderschrank hervor, darin fühlte sie sich am wohlsten und sie hatte nicht vor heute das Haus zu verlassen. Dazu war sie irgendwie nicht in der Verfassung und sie wollte ihren Gast auch nicht alleine lassen. Ein Blick in den Spiegel sagte ihr, das sie sich dringend mit ihrer Morgentoilette beschäftigen sollte. Ihre Haare standen wirr in alle Richtungen ab und sie hatte sich noch nicht einmal den Schlaf aus den Augen gewaschen. Wenigstens musste sie sich bei Goldauge keine Gedanken um ihr Aussehen machen, es war ihr schon immer ein Dorn im Auge, sich für andere aufzuhübschen. Sie band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz nach oben, wusch sich und versuchte auf dem Weg nach unten wieder einen gelasseneren Gemütszustand zu erreichen. Ihr Gast hatte sich im Wohnzimmer einquartiert und sie betrachtete einen Moment seine scheinbar schlafende Gestalt. Irgendwie hatte er sich auf das große Sofa gequetscht und sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie ging in die Küche um das Chaos, das sie angerichtet hatte, zu beseitigen, füllte die Wasserschüssel von Goldauge neu auf und ging dann wieder ins Wohnzimmer. Sie setzte sich ihm gegenüber auf das kleinere Sofa und betrachtete ihn verträumt. Plötzlich fiel ihr jedoch ein, das auch er sicherlich etwas Morgentoilette vertragen könnte. Wie sollte sie das anstellen? Sie konnte ja schlecht mit ihm Gassi gehen. Versonnen kaute sie auf ihrer Unterlippe und ihr wurde mit einem Mal klar, das sie ihn selbst immer wieder in Gedanken als Gast betitelt hatte. Tief im Innersten wusste sie, das Goldauge niemals bei ihr bleiben konnte und auch nicht würde. Sie hatte keine Vorstellung davon, woher er kam, aber irgendwann würde er wieder dorthin verschwinden. Daher sollte sie sich jetzt auch keine Gedanken machen, wenn sie ihn einfach in den Garten entließ. Als hätte er ihre Gedankengänge verfolgt, öffnete Goldauge seine Augen und sah sie nachdenklich an.
>>Bereit für einen kurzen Ausflug in den Garten oder soll ich mich zuerst um deine Verbände kümmern?<<
Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt so mit ihm zu reden und kam sich nicht einmal mehr albern vor. Vorsichtig erhob er sich von dem Sofa und bewegte sich auf den Wintergarten zu. Isabella hob lächelnd eine Augenbraue.
>> Du scheinst nicht sehr beeindruckt von meinen Fähigkeiten als Krankenschwester.<<
Er würdigte sie keines Blickes und sah durch die Glastür in den Garten. Sie folgte seinem Blick und spürte plötzlich Wachsamkeit. Befürchtete er einen weiteren Angriff? Besorgnis zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Keinesfalls wollte sie das er ein weiteres Mal verletzt wurde. Die Sonne stand bereits hoch am strahlend blauen Himmel. Nur vereinzelt fand sich ein flauschiges, weiße Wölkchen. Selbst bei verschlossener Tür hörte man das Vogelkonzert, der Garten lag absolut friedlich in seiner verträumten und vertrauten Art da. Sie gab sich einen Ruck und öffnete die Tür. Ungeduldig zwängte er sich hindurch, noch bevor sie ganz offen war. Mitten im Garten blieb er stehen und lauschte. Ein paar Herzschläge später entspannte er sich und streifte langsam durch den Garten. Isabella hatte nicht gemerkt, das sie die Luft angehalten hatte und entließ diese jetzt geräuschvoll. Einen Moment lang war sie sich nicht sicher, wer hier eigentlich wen beschützt. Sie schüttelte den Kopf und sah Goldauge nach, der sich immer weiter entfernte. Jetzt konnte sie auch ein leichtes Humpeln ausmachen. Die Wunde am Oberschenkel schien ihm noch zuzusetzen. Sie überlegte gerade wie sie es anstellen konnte, das er sich von ihr noch einmal behandeln ließ, als er entgültig aus ihrem Blickfeld verschwand. Erschrocken lief sie ein paar Schritte in den Garten. Enttäuschung und ein Gefühl des Verlustes machten sich sofort in ihr breit. Würde er sie jetzt schon verlassen? Sie versuchte sich mit diesem Gedanken anzufreunden aber es gelang ihr nicht. Ein rascheln ließ ihr Herz schneller schlagen und einen Moment später tauchte der Kopf von Goldauge zwischen den Büschen auf. Isabella hätte fast losgeheult vor Erleichterung. Ohne zögern kam er auf sie zu und ihr wurde warm ums Herz, als er sie mit seinen goldenen Augen musterte. Als wäre es das normalste von der Welt, schlüpfte er durch die Tür und marschierte wieder ins Wohnzimmer. Sie kam nicht umhin seine Geschmeidigkeit zu bewundern. Sie hatte schon mit kleinen bis mittleren Katastrophen bei ihrer Einrichtung gerechnet. Immerhin war ihr Haus nicht unbedingt für so ein großes Tier ausgelegt, doch bisher war noch nichts zu Bruch gegangen. Neidvoll musste sie feststellen, das er sich um einiges eleganter und zielsicherer bewegte als sie selbst. Aufseufzend folgte sie ihm ins Wohnzimmer. Er stand mitten im Raum und sah sie herausfordernd an.

***



Chivan war kurz nach Sonnenaufgang erwacht, wie er es gewohnt war. Seit dem wartete er ungeduldig in diesem Raum. Sie hatte ihn eingesperrt, wie ein Haustier! Natürlich hätte er sich in seine menschliche Gestalt zurück verwandeln können, um sich im Haus etwas umzusehen. Er sah an sich herunter. Die Verbände hatten sich in der Nacht gelockert und er fürchtete sie würden ihm allesamt sofort abfallen, sollte er sich verwandeln. Er wollte es nicht riskieren, sie noch mehr zu verunsichern. Sie war wirklich eine verwirrende, völlig widersprüchliche Frau. Mut und Selbstsicherheit schienen mit Angst und Verwirrung ständig in ihr den Platz zu wechseln. Da er keine anderen Personen in diesem Haus riechen konnte, nahm er an sie lebte alleine. Doch sie blieb ein Mensch, geboren und aufgewachsen in der Welt der verlorenen Seelen. Er durfte ihr nicht vertrauen. Schon im Kindesalter lernte er, nie, unter keinen Umständen, durfte man diesen Menschen sein wahres Wesen und seine Natur zeigen. Sie hatten die alte Zeit des Friedens und der Freundschaft lange vergessen. Sie reagierten mit Angst und Unglauben und ihre Reaktion war fast immer tödlich für sein Volk, die Akamee. Wenn sie nicht sofort versuchten zu töten, drohte Gefangenschaft, Folter oder Schlimmeres. Es gab keine Aufzeichnungen darüber, ob je ein Grenzgänger, der in ihre Hände gefallen war, zurückkehrte. Es war ihm ein Rätsel, wie die Vertriebenen hier unbemerkt überleben konnten. Er bereute sein ungestümes, kopfloses Verhalten mittlerweile zutiefst. Er war schließlich kein junger Welpe mehr und doch hatte er sich genau so verhalten. Statt den Entschluss des Rates anzunehmen, hatte er getobt und seinen ganzen Clan in Aufregung versetzt. Er schüttelte innerlich den Kopf. Er konnte es sich jetzt selbst nicht mehr erklären. Er hatte ein brennendes Bedürfnis verspürt, er hatte sogar davon geträumt in der Gestalt des Keenan, seines zweiten Wesens, die Grenze zu passieren. Es war als hätten die Raubtierinstinkte seines Keenan ihn übermannt. Äußerst peinlich, wenn man bedenkt, das dies nur jungen Welpen hin und wieder passierte, solange sie noch in der Pubertät waren. Er war seinem Bruder Leander nachgeschlichen, der mit den anderen Anwärtern an einem geheimen Grenzübergang in die Welt der verlorenen Seelen zusammentraf, um sich in einem letzten dreimonatigem Training auf seine neue Aufgabe vorzubereiteten. Chivan hatte nicht ahnen können, das der Übergang ein völlig unspektakulärer Durchgang zwischen einigen sehr alten Bäumen war. Man hatte sich stets geheimnisvoll gegeben, um genau diese Art von Unsinn, wie sie ihm vorschwebte, zu vermeiden. Er war einfach hindurch gelaufen und so überrascht von den vielen neuen Gerüchen, er konnte nicht umkehren. Ein tiefes Seufzen entrang sich seiner Kehle. Kaum zwei Stunden später lag er im Garten der kleinen Amazone. Er hätte zu gerne ihren Namen gewusst, aber er konnte sie ja schlecht fragen. Sie reizte ihn über die Maßen. Zum einen hatte sie seine beschämende Niederlage mitangesehen, zum anderen hatte sie auch noch mutig versucht den Kampf zu beenden. Er erinnerte sich nur wage an weiße Oberschenkel, viel nackte Haut und einen Wasserschlauch? Er schüttelte grinsend den Kopf, vermutlich war das eher seiner Fantasie entsprungen. Er war sich ihrer Anziehungskraft jedoch bewusst. Selbst in dem aufgelösten Zustand, in dem er sie zum ersten Mal gestern Abend mustern konnte, war sie wunderschön. Zu gerne hätte er sich noch weiter von ihr berühren lassen, aber er hatte schnell feststellen müssen, das er viel zu stark auf sie reagierte. In einem Zustand starker Erregung hatte er seinen Keenan vielleicht nicht unter Kontrolle und ebenso könnte auch eine plötzliche Verwandlung einsetzen. Er konnte das einfach nicht riskieren. Er musste sich auf seine Genesung konzentrieren die, wie er mittlerweile wusste, ungewöhnlich schnell verlief. Er nahm an dies stand im Zusammenhang mit der Welt der verlorenen Seelen, eine andere Erklärung hatte er nicht. Unruhe machte sich in ihm breit, als seine Gedanken zu dem Vertriebenen streiften. Ihm war klar, das die Vertriebenen einen Groll auf ihr Volk hegten. Schließlich wurden sie durch den Rat verbannt. Nur wenige Geschichten waren bekannt, aber es hieß, das sie sich gegen die obersten Regeln ausgesprochen hätten, nur das führte zu einer Verbannung. Es erklärte jedoch nicht, wieso dieser ihn so heftig attackierte und scheinbar auch töten wollte. Revierverhalten war in dieser Welt vielleicht nicht ungewöhnlich, mussten sie sich hier doch besonders auf ihre Instinkte verlassen um zu überleben. Chivan beschloss das Thema ruhen zu lassen, sollte sich sein Gegner nicht mehr blicken lassen. Er musste dringend den Grenzübergang wieder finden. Sicherlich war bereits der ganze Clan auf der Suche nach ihm. Er schüttelte den Kopf, um sich von seinen sorgenvollen Gedanken zu befreien. Seine selbsternannte Heilerin würde sicherlich bald nach ihm sehen und er war noch immer nicht sicher wie er sich verhalten sollte. Er konnte unmöglich das Haustier für sie spielen, sein Fell stellte sich bei dem Gedanken auf. Andererseits würde sie sein exzentrisches Verhalten völlig aus der Bahn werfen. Er musste sie erst ein wenig näher kennen lernen, bevor er sein Verhalten anpassen konnte. Sie schien jedenfalls keine ernsthafte Gefahr in ihm zu sehen, denn sie hatte ihm weder gedroht, noch hatte sie um Hilfe gerufen. Er musste zugeben, das es ihm einerseits schmeichelte und er sie dafür andererseits auch noch bewunderte. Er schalt sich selbst einen Welpen für seine Gedanken. Er konnte sich in keiner Weise auf diese Frau einlassen, sie war eine Verlorene. Er musste zurück zu seinem Volk. Er gab sich noch einen weiteren Tag Zeit und dann würde er von hier für immer verschwinden. Seine Ohren stellten sich auf, als er die ersten Geräusche aus der oberen Etage vernahm. Er sammelte sich innerlich, platzierte sich in der Mitte des Raumes und versuchte möglichst unschuldig auszusehen. Was konnte es schon schaden mal einen Tag lang Haustier zu spielen. Seine Augen flammten kurz auf. Sie sollte es nicht wagen ihn als Hund zu bezeichnen, er würde ihr in ihren süßen, kleinen Hintern beißen.

Eine viertel Stunde später, hatte Chivan seine Meinung zu der kleinen Amazone noch einmal gründlich überdacht. Er kochte. Am liebsten hätte sie ihm Hundefutter angeboten! Der Tonfall den sie angeschlagen hatte, fühlte sich auf seinem gereiztem Gemüt an wie Glasscherben. Er war doch kein Pudel und dann hatte sie ihm auch noch einen mehr als albernen Namen gegeben. Seine Freunde hätten sich tot gelacht! Er war schon drauf und dran sie doch ein wenig zu erschrecken, als sie ihm auch noch fröhlich verkündete, noch mal Hand an ihn zu legen. Bei diesen Worten hatte es ihn heiß durchrieselt und er hatte keine Hemmungen mehr, es ihr ein klein wenig heimzuzahlen. Befriedigt sah er ihr hinterher, als sie die Treppe hinauf stürmte. Die Berührung hatte ihn ebenso getroffen wie sie, nur war er wenigstens darauf vorbereitet gewesen. Gemächlich ließ er sich auf einer Sitzgelegenheit nieder und besah sich ihr Heim. Wieso hatte sie weder Mann noch Kinder? Er konnte keinen Anhaltspunkt finden, was sie wohl beruflich tat oder ob sie überhaupt ihren Lebensunterhalt verdienen musste. Er glaubte sich an einen Vortrag seines alten Lehrers zu erinnern, in dem es um die Arbeitswut der Menschen in dieser Welt ging. Sein Blick viel auf ein Regal mit Bildern. Es zeigte immer wieder die gleichen Gesichter, eine freundlich blickende Frau, meist zärtlich gehalten von einem großen, schlanken Mann. Er nahm an das es sich um ihre Familie handelte. Weitere Bilder zeigten zwei Mädchen, wovon er eines als seine Amazone erkannte. Sie schienen grundsätzlich irgendwelchen Unsinn anzustellen und grinsten frech. Unbewusst lächelte Chivan, er wusste wie wichtig die Familie sein konnte und freute sich für seine Gastgeberin. Halb dösend hörte er ihre Schritte auf der Treppe und bemerkte bei ihrem eintreten, das sie ihre Fassung wieder erlangt hatte. Bei ihren Worten öffnete er die Augen und ärgerte sich auch schon wieder. Insgeheim war er ihr sogar dankbar, das sie bereit war ihn in den Garten zu entlassen ohne einen Aufstand zu machen. Nur der kecke Ton den sie anschlug, wollte ihm nicht gefallen. Sie hatte sich offensichtlich angekleidet, wie er mit leichtem Bedauern feststellen musste. Er war schon der Meinung, es wäre üblich derart leicht bekleidet herum zu laufen. Der Schlafzimmerblick war aus ihren Augen verschwunden und ihre wilde Mähne hatte sie auch gebändigt. Ein trauriger Zug lag um ihre Lippen und er wusste nicht recht wieso. Nichts an ihr wirkte momentan aufreizend und doch hätte er sie am liebsten berührt. Ein primitiver Beschützerinstinkt brach sich seine Bahn. Er schüttelte sich innerlich und nahm ihr Angebot, den Garten aufzusuchen, wahr. So konnte er auch gleich feststellen, ob sein Gegner noch in der Nähe war. Deutlich spürte er ihre Nervosität und fragte sich ob sie Angst hatte. Nach seiner kurzen Exkursion, ohne Anhaltspunkt auf den Vertriebenen im Garten, meinte er deutlich Erleichterung in ihren Augen zu sehen. Sie war offensichtlich besorgt um ihn! Ungewollt beschwingt, sprang er zurück ins Haus. Ein wenig Fürsorge konnte ihm doch wirklich nicht schaden oder?

Überraschungen



Isabella überlegte angestrengt, wie sie sich Goldauge nähern sollte. Er hatte sich zwar gestern Abend von ihr berühren lassen, aber ihr war klar, dass es an der Bewusstlosigkeit oder an der Schwäche lag. Schließlich war er kein Schoßhündchen und die Vorstellung mit ihm zu schmusen und ihn zu kraulen war ihr irgendwie suspekt. Sie trat langsam zu ihm hin und kniete sich nur wenige Zentimeter vor ihn. Abgesehen davon, das er ihrer Bewegung gefolgt war, hatte er sich nicht bewegt. Ein guter Anfang. Sie holte tief Luft. Jetzt bekam sie doch seinen Geruch in die Nase. Es war eine Mischung aus Blut, Erde und – Mann. Irritiert schaute sie in seine goldenen Augen. Was dachte sie bloß wieder für einen Unsinn? Seine Verbände hingen nach seinem Ausflug im Garten völlig nutzlos an ihm herunter. Die große Wunde am Oberschenkel sah nicht mal halb so schlimm aus wie erwartet. Nachdenkend knabberte sie wieder an ihrer Unterlippe, wie es ihr langsam zur Gewohnheit wurde. Sie musste die Klammern bald schon wieder abnehmen, das würde garantiert kein Spaß werden. Die kleineren Verletzungen waren alle verschlossen und ein Schorf hatte sich gebildet. Sie fasste sich ein Herz und griff nach dem erstbesten, flatternden Verband. Vor Nervosität leise vor sich hin brummelnd, entwickelte sie Goldauge langsam aber sicher. Er stand weiterhin völlig still da und beobachtete ihr Tun, während sie zu dem Schluss kam, das er dringend ein Bad nötig hatte. Sie grinste ihn entschuldigend an.
>> Mir ist da gerade eine ganz schlimme Idee gekommen, Goldauge.<<
Sie spürte wie ein leichtes Zittern durch seinen Körper ging und konnte wieder einmal nur staunend in seine Augen sehen, die Bände sprachen. Misstrauen und Zweifel, wie auch Neugier blitzten darin auf. Isabella hatte ihren Entschluss gefasst. Es gab nur eine Möglichkeit ihn anständig sauber zu bekommen. Der Whirlpool im Erdgeschoss. Weder die Dusche noch die Badewanne waren groß genug und im Garten hätte sie ihn womöglich festbinden müssen. Der Whirlpool war nicht nur sehr groß, er war auch in den Boden eingelassen, so dass sie Goldauge nur über die kleinen Stufen hineinlocken musste. Sie sah sich schon mit einem Würstchen, wild wedelnd. Bei diesem Gedanken musste sie laut kichern und Goldauge legte ganz untypisch seinen Kopf schief. Nein, locken konnte sie ihn wohl nicht, aber bisher hatte er getan was sie von ihm erwartet hatte, wieso sollte er ihr nicht dort hinein folgen? Sie stand auf, flitzte ins untere Badezimmer, entkleidete sich schnell und schlüpfte in ihren Bikini, den sie schon oft im Whirlpool benutzt hatte. Als sie die Tür öffnete um ihn zu holen, fuhr sie erschrocken zurück. Er war ihr gefolgt und saß direkt vor der Tür. Er betrachtete sie eingehend, bis ihr fast unwohl wurde. Wieder legte er den Kopf schief und schielte um sie herum in das Badezimmer. Sie hatte sich nicht getäuscht, er war tatsächlich neugierig. Sie trat zur Seite und machte eine einladende Armbewegung während sie sagte
>> Nur keine Angst, es wird dir gefallen. <<
Ein beleidigter, wie hochmütiger Blick traf sie. Isabella schloss die Tür hinter sich und schritt entschlossen in den Whirlpool. Wasser wollte sie erst hinein lassen, wenn er bereits drin war, sie befürchtete er könnte sonst zurück scheuen. Sie kniete sich hin und bedeutete ihm mit der Hand näher zu kommen. Er beäugte argwöhnisch die Stufen und sah sehr ratlos aus. Letztlich schien er sich ein Herz zu fassen und landete überraschenderweise mit einem Satz direkt vor Isabella.
>> Jetzt musst du noch einmal ganz tapfer sein. << Sie musste selbst schlucken und war sich ihrer Sache lange nicht mehr so sicher, aber immer noch fest entschlossen. Mit einer langsamen Bewegung, die er genauestens verfolgte, griff sie mit beiden Händen nach den Wasserhähnen. Da der Whirlpool mehr als 500 Liter Fassungsvermögen hatte, konnte er durch mehrere Zuläufe gleichzeitig befüllt werden. Sie drehte sie beide auf, während sie Goldauge dabei nicht aus den Augen lies. Seine Augen weiteten sich, sie konnte nicht sagen ob es Überraschung oder Entsetzen war. Er stand nicht einfach nur da, er war wie erstarrt. Sie runzelte die Stirn und hoffte nur, er würde nicht gleich mit einem Satz wieder heraus springen. Denn er sah wirklich so aus als würde er am liebsten flüchten. Beruhigend legte sie nun doch eine Hand in seinen Nacken.
>> Es wird dir gefallen<<, raunte sie ihm ins Ohr. Wieder ging ein Zittern durch seinen Körper. Die Wanne war mittlerweile zur Hälfte gefüllt und Isabella beschloss, sich ans Werk zu machen, bevor er es sich doch noch anders überlegte. Vorsichtig strich sie sein Brustfell nach unten, das sich irgendwie aufgestellt hatte und versuchte zwischen seinen Vorderbeinen zu seinem Bauch zu gelangen, wo sie besonders viel Schmutz gesehen hatte. Ein tiefes Grollen entrang sich seiner Kehle, das ihr sofort die Nackenhaare aufstellte. Noch bevor sie richtig zurückweichen konnte, spürte sie eine intensive Bewegung im Wasser, obwohl es keine Ursache dafür zu geben schien. Goldene Augen fixierten sie zornig und gierig zu gleich. Sie fing unweigerlich an zu zittern und unter ihrem völlig ungläubigen, entsetzten Blick veränderte sich Goldauge direkt vor ihr. Fell verschwand haufenweise und machte nackter, brauner Haut platz. Sein Kopf veränderte sich dramatisch, während seine ganze Gestalt ein wenig kleiner zu werden schien. Das Wasser um sie herum schien zu kochen. Nur ein schwarzer Haarschopf mit der vertrauten Farbe blieb erhalten, sowie die goldenen Augen, die nur ein paar Nuancen dunkler schienen. Isabella glaubte sie müsse ersticken. Langsam sank sie zurück. Kurz bevor sie in eine gnädige Ohnmacht fallen konnte, wurde sie von Armen umfangen und eine tiefe, männliche Stimme sprach direkt an ihrem Ohr.
>> Oh nein mein Mädchen, so leicht kommst du mir nicht davon. <<

Isabella hatte sich nicht verhört, die männliche Stimme an ihrem Ohr hatte einen drohenden Tonfall, verhinderte jedoch die willkommene Dunkelheit. Verdammt! Panisch kniff sie die Augen zusammen und versuchte sich vollkommen ruhig zu verhalten, was ihr kläglich misslang. Sie zitterte so sehr, dass sie kleine Wellen verursachte, die in krassem Gegensatz zu ihrer Verfassung, fröhlich vor sich hinplätscherten. Sie spürte seinen Atem an ihrem Hals, der eine sofortige Gänsehaut bei ihr auslöste. In ihrem Kopf wütete eine Herde wildgewordener Elefanten, die jede vernünftige Erklärung, die sie sich zurecht legte, sofort wieder niedertrampelte. Ihr tierischer Patient hatte sich also verwandelt...in einen Menschen, wie es schien. Mit Menschen konnte sie zwar auch nicht besonders gut umgehen, aber zumindest konnte man mit ihnen reden. Sie versuchte diesen Gedanken in Sicherheit zu bringen.

>> Mach die Augen auf, kleine Amazone. << hörte sie ihn in diesem Moment mit melodiöser Stimme sagen. Eine Stimme, die sich unter ihrer Haut festzusetzen schien und in ihrem Inneren vibrierte. Amazone? Isabella schlug die Augen auf. Sie ließ sich Zeit, das Bild das sich ihr bot, in sich aufzunehmen. Stirnrunzelnd blickte ein Mann auf sie herunter. Aber was für ein Mann! Kurze schwarze Locken fielen ihm feucht in die Stirn. Sein kantiges, gebräuntes Gesicht war einfach makellos. Erste Bartstoppeln zierten seinen sinnlichen Mund, was ihm einen regelrecht verruchten Anstrich gab. Seine goldenen Augen schienen belustigt und besorgt zu gleich zu funkeln und gaben seinem wunderschönen Gesicht etwas von seinen Raubtierzügen wieder. Isabella konnte aus ihrer Position nur einen Teil seines Oberkörpers sehen, aber es reichte aus um ihr Herz in einem neuen Dschungelrhythmus schlagen zu lassen. Flüchtig bemerkte sie einige Verletzungen, Alte wie Neue. Während sie noch fieberhaft überlegte, ob sie vielleicht einen hysterischen Anfall bekommen sollte, registrierte sie seine Bewegungen im Wasser. Sie lag ganz offensichtlich wie eine Wassernymphe in seinem linken Arm, mit dem er sie gerade langsam auf seine Brust zuzog. Seine rechte Hand lag direkt unterhalb ihrer linken Brust. Im gleichen Moment fing diese Stelle auch schon an zu brennen und zu prickeln und schickte kleine, wilde Schauer ihren Körper hinauf und hinunter.

>> Wie lautet dein Name? <<, fragte er sie plötzlich und riss sie damit aus ihrer Erstarrung. Sie war sich nicht sicher ob sie ihre Muttersprache noch beherrschte, aber sie wagte einen vorsichtigen Versuch mit einem geflüsterten >> Isabella .<< Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht, lenkte ihren Blick wieder auf seinen Mund und nahm damit ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

>> Isabella, wo ich her komme, bedeutet dieser Name „ewig Schöne“. Ich hätte es mir denken können. << Sein Blick verdüsterte sich leicht.

>> Du hast meine Verwandlung erzwungen, mal sehen ob ich dich im Gegenzug in eine schnurrende Katze verwandeln kann. << Mit diesen Worten senkte er seinen Mund auf Isabellas, als sie noch völlig durchgeschüttelt von seinen Worten, versuchte den Sinn zu begreifen. Wenige Augenblicke dachte sie noch, dass sie ihm dieses Verhalten keinesfalls erlauben sollte, auch wenn ihr beim besten Willen kein vernünftiger Grund mehr dafür einfallen wollte. Doch als seine Lippen auf ihre trafen, war es nicht einfach nur ein Kuss. Welten taten sich auf, Grenzen verschwammen, Kontinente verschoben sich und das nicht im übertragenen Sinne. Isabella durchzuckten Bilder, wage Ereignisse, Stimmen, Gefühle und eine alles umfassende Sehnsucht. Sie konnte nicht anders und schluchzte überwältigt auf. Er nutze diese Gelegenheit gnadenlos aus und drang mit seiner Zunge ungestüm in ihren Mund ein. Sein überaus männlicher Duft stieg ihr in die Nase und benebelte ihre Sinne. Sie spürte harte Muskeln unter ihrer Hand, die sich wie selbstverständlich auf seine Brust gelegt hatte. Tränen liefen ihr über die Wangen, vor Freude, vor Verwirrung und Verlangen. Etwas Samtiges und zugleich beunruhigend Hartes in der Nähe ihres Oberschenkels brachte sie wieder zur Besinnung, wie es ein Blondinenschrei aus der Horrorabteilung nicht besser gekonnt hätte. Ihre bisherigen Reaktionen hatten ihn scheinbar ermutigt, denn sein Daumen hatte sich irgendwie zwischen ihre Brüste gestohlen. Sie konnte deutlich fühlen wie er sanft ihren linken Busen hinauf fuhr, eine Lavaspur hinterlassend, um dann zärtlich über ihre aufgerichtete Brustwarze zu streichen. Sie stöhnte auf und schnappte schon fast asthmatisch nach Luft. Ein schmerzhaftes Sehnen und Ziehen Richtung Unterleib ließ sie zusammen zucken. Mit aller, ihr zur Verfügung stehenden Kraft, stieß sie sich wild strampelnd  von seinem Oberkörper ab. Sie sah die Überraschung in seinen verhangenen Augen. Offensichtlich war er es nicht gewohnt, bei den Opfern seiner erotischen Avancen auf Widerstand zu stoßen. Es war ja nicht so, dass sie gänzlich unerfahren wäre und ihre Jungfräulichkeit schützen müsste. Sie hatte diesen Teil ihres Lebens nur schon vor Jahren at acta gelegt, da es für sie eine eher unerfreuliche und vor allem unbefriedigende Erfahrung gewesen war. Aber es passte nun mal nicht in ihre Sicht der Dinge, mit Männern zu schlafen, die sich in fantastischer Gestalt einen Kampf in ihrem Garten lieferten, zeitweise ein Fell trugen und sich am Ende in ihrem Whirlpool in einen Adonis verwandelten. Alles hatte schließlich seine Grenzen!

 

Sie trafen sich erst weit nach Mitternacht, als selbst das bisschen Licht des am Himmel hängenden, sichelförmigen Mondes von dichten Wolken verdeckt wurde. Die Dunkelheit und der dichte Nadelwald gab ihnen die nötige Sicherheit, keinesfalls durfte man sie in dieser Welt entdecken, es wäre ihr Untergang. Aggressionen, Neugierde und Besorgnis spiegelte sich in vielen Augen, der zusammengetroffenen Raubtiere. Der größte unter ihnen, Gideon war sein Name,  wartete bewegungslos, bis sich alle um ihn versammelt hatten und erklärte ihnen dann in leisen, schnellen Worten, warum er sie herbeigerufen hatte. Ein Grenzgänger war in sein Gebiet eingedrungen, er hatte ihn nahe einer kleinen Siedlung gestellt und zum Kampf gefordert. Es war schon ungewöhnlich genug einen Grenzgänger so nahe der Zivilisation anzutreffen, dass er jedoch so unvorsichtig war und in das Territorium eines Vertriebenen rein spazierte als würde er durch einen Park laufen, war alarmierend. Grenzgänger achteten peinlich darauf, nicht in die Nähe der Vertriebenen zu kommen. Sie hatten diesbezüglich genaue Order und sollten auch einen Kampf, wenn möglich meiden. Dieser jedoch hatte die Herausforderung angenommen, was sich kurz darauf als Glücksfall erwiesen hatte.

Unheimliches Heulen, ähnlich dem der Wölfe und aufgeregtes Gebell ertönte kurz darauf aus dem kleinen Wäldchen. Viele konnten ihre Nervosität nicht mehr bändigen, als sie von Gideon erfuhren, was ihrer aller Leben verändert sollte. Eine der vier Wächterinnen war gefunden worden!

Lange Zeit hatten sie Angst vor diesem Augenblick gehabt, doch irgendwann war die Angst in Ungeduld umgeschlagen. Jetzt wollten sie es nur noch beenden, auf die eine oder die andere Art und Weise. Man wusste nicht wann die Prophezeiung in Erfüllung gehen würde und diese Ungewissheit hatte im laufe der Jahre an ihnen gezehrt. Zuviel stand auf dem Spiel.

Ein gefährlicher Plan entstand. Die Wächterin war sich ihrer Fähigkeiten offensichtlich noch nicht bewusst, obwohl sie bereits stark entwickelt waren. Gideon berichtete den anderen, wie die Wächterin den verletzten Akamee instinktiv beschützt hatte. Überrascht und geschwächt von dem Kampf, konnte er sich ihrem Willen nicht wiedersetzen. Nur gemeinsam würden sie es schaffen sie zu überwältigen, da Wächterinnen immer nur einen Keenan zur gleichen Zeit beeinflussen können. Bis kurz vor dem Morgengrauen besprachen sie ihren Einsatz um dann lautlos, in alle Richtungen zwischen den Bäumen zu verschwinden. Gideon blieb, bis auch der Letzte außer Sichtweite war. In der kommenden Nacht mussten sie ausgeruht und bereit sein. Sie konnten es sich nicht leisten länger zu warten, zu groß war die Gefahr, dass sie zu spät kamen und die Wächterin bereits den Weg eingeschlagen hatte, ihr Schicksal zu erfüllen. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen und weiße, gefährliche Zähne blitzen in der Nacht auf. Sollte sein Unterfangen scheitern, musste die Wächterin sterben.

 

 

In Isabellas Gedanken wanden sich Realität und Wahrnehmung in einem aussichtslosen Kampf. Letztlich musste sie die Rangelei beenden, bevor sie noch ernsthaft zu Schaden kam. Ein kleines Stimmchen aus der hintersten Reihe ihres Herzens schien sie darauf hinzuweisen, dass sie doch schon längst die Wahrheit kannte. Am äußersten Rand des Whirlpools geklammert, runzelte sie schließlich die Stirn und sprach ihre Gedanken laut aus, während sie ihren neuen Badefreund keine Sekunde aus den Augen ließ.

>> Also gut, wer bist du und was sollte das...? << Sie wedelte hilflos mit der Hand in seine Richtung. Er kniete immer noch an der gleichen Stelle, abgesehen von seiner schnellen Atmung schien er völlig gelassen. Er könnte auch eine zu schön geratene Statue sein, dachte sie noch.

>> Meine Name ist Chivan, ich bin vom Volke der Akamee und das...<<, er wedelte ebenfalls mit der Hand >> war meine Wandlung, sowie eine Lektion, die du besser nicht vergessen solltest. << In Wahrheit war es eher eine Lektion für Chivan, aber das würde er ihr ganz sicher nicht auf die Nase binden. Mit ihrem frechen Tonfall und einer seltsamen Andeutung hatte sie ihn doch tatsächlich in diese Höllenwanne gelockt. Aus Aufzeichnungen und Erzählungen wusste er ja bereits von solchen Einrichtungen, aber wer konnte denn schon ahnen, das sie wie ein Loch im Boden aussehen würden! Isabellas Duft, eine Mischung aus Rosen, Pfirsichen und ihrem ganz eigenen Geruch, hatten ihn unter seinem Fell ins schwitzen gebracht. Hinzu kam eine Totalansicht auf ihren überaus ansehnlichen Körper, nur verdeckt von ein paar Fetzen Stoff, der keinerlei Funktion zu haben schien, außer ihn bis aufs Blut zu reizen. Das warme Wasser hatte ihn eingelullt, unzüchtige Bilder schossen ihm in beträchtlicher Anzahl durch den Kopf und als sie ihn dann berührte, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Seit Tausenden von Jahren, seit der Schöpfer die Akamee vor der Blutrünstigkeit der Menschen gerettet hatte, hat kein Mensch mehr die Verwandlung miterlebt oder gewusst wer die Akamee waren, wenn sie heimlich unter ihnen wandelten. Dann kommt plötzlich diese kleine Amazone daher, rettet ihn und verpasst seiner Selbstbeherrschung im wahrsten Sinne ein Bad das sich gewaschen hat. Plötzlich wurde er blass vor Schreck und eine alles durchdringende Kälte erfasste ihn. Er hatte gegen die oberste Regel verstoßen! Er hat es nicht freiwillig getan, aber er zweifelte daran, dass es für den Rat eine Rolle spielen würde. Er sah Isabella, die ihn noch immer mit offenem Mund anstarrte, nachdenklich an und ein Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an.  Wenn er sie einfach mitnahm, konnte sie es niemandem berichten.

 

Isabella versuchte das gehörte zu verarbeiten. Er schien wütend zu sein und zwar auf sie. Seine goldenen Augen strahlten heller denn je und seine ganze Haltung zeigte jetzt Anspannung. Deutlich konnte sie in schneller Abfolge die unterschiedlichsten Gefühle von seinem Gesicht ablesen. Wut, Unglauben, Schrecken und abschließend Entschlossenheit, die ihr gar nicht gefiel. Endlich klappte sie ihren Mund zu und startete einen neuen Versuch der Kommunikation.

>> Vom Volke der Akamee? Ich habe noch nie von euch gehört. <<

>> Und das sollte auch so bleiben <<, schnappte er jetzt zurück. Er seufzte schwer und antwortete dann etwas ruhiger >> Es tut mir leid, meine Verwandlung war nicht beabsichtigt. Du hättest das nie mit ansehen dürfen, ich kann dir für all das keine Erklärung geben, noch nicht. <<

Isabella wollte gerade protestieren, als der überlaufende Whirlpool sie aus ihrer Empörung riss. An die Wand gedrückt, rutschte sie bis zu den Wasserhähnen und drehte sie zu.

>> Euer Verschwendungswahn und eure Sorglosigkeit kennt wirklich keine Grenzen <<, sagte er grimmig auf das Wasser starrend.

Also das war doch wohl die Höhe!  Isabella geriet langsam aber sicher in Rage. Zuerst erschreckt er sie zu Tode, indem er aussieht als wolle er in ihrem Garten sterben, nur um dann am nächsten Morgen gesund und munter in Form eines Mannes über sie herzufallen. Als wäre das nicht genug, gab er ihr ganz offensichtlich die Schuld an seiner Verwandlung und stellte sie jetzt auch noch hin als sei sie eine absolut gedankenlose Umweltsünderin!

>> Es geschieht mir nun wirklich nicht jeden Tag, dass ich von einem nackten Wandel...Wesen...Mann von meinem Umweltbewusstsein abgelenkt werde <<, giftete sie ihn jetzt an und wurde prompt rot.

Zum ersten Mal grinste er sie nun frech an und sie ignorierte standhaft das Kribbeln in ihrer Bauchgegend. Mit einer schnellen Bewegung, die sie kaum registrierte, baute er sich direkt vor ihr auf und stütze seine Hände rechts und links von ihr am Beckenrand ab. So eingeklemmt blieb ihr keine andere Wahl, als ihn direkt anzusehen, wenn sie nicht auf seine glatte Brust, nach unten, wo es noch gefährlicher war oder kindisch zur Seite starren wollte.

>> Dich scheint meine Nacktheit zu stören, obwohl du mich gestern Abend praktisch nackt verarztet hast, heute Morgen in einem seidigen Nichts vor mir herumgetänzelt bist und jetzt in diesem...was immer es sein mag, wolltest du mich baden! <<, raunte er ihr ins Gesicht.

>> B...B...Bikini <<, half sie ihm mit kirschrotem Gesicht aus. In aller Peinlichkeit rasselte ihr Verstand sämtliche Bilder zu diesem Thema vor ihrem inneren Auge herunter.

>> Das war ja wohl eine völlig andere Situation, ich konnte ja nicht ahnen das er...das du..., ich wusste ja nicht wer du bist! <<, schaffte sie es endlich den Satz zu beenden. Sein Grinsen wurde breiter und war an Unverschämtheit nicht mehr zu überbieten.

>> Also gut, ich glaube dir, dass du mich nicht absichtlich provozieren wolltest, ich wollte dich jedoch genauso wenig erschrecken, wenn ich mich verwandle muss ich nun einmal nackt sein. <<

>> Könntest du BITTE aufhören, ständig dieses Wort zu sagen <<, stieß sie jetzt erregt hervor. Er lachte laut auf und Isabella war derart in seinen Bann geschlagen, das sie ihm beinahe um den Hals gefallen wäre. Dieses Lachen konnte sie nicht allzu oft verkraften ohne...

>> In Ordnung <<, unterbrach er ihre unsittlichen Gedanken >> vielleicht könntest du mir dann ein Kleidungsstück oder etwas Anderes bringen, damit ich deine keuschen Augen nicht länger belästige. <<

Sie hätte beinahe laut aufgelacht.

>> Nein! <<

>> Nein? << Seine Augenbrauen schossen fragend in die Höhe. 

>> Nein...ich meine <<, nervös strich sie mit ihrer Zunge über die trocknen Lippen

>> du brauchst immer noch dringend ein Bad und ich muss mir deine Wunde ansehen. <<

>> Du meinst die am Oberschenkel? << fragte er offensichtlich amüsiert.

>> Ohh << , war alles was sie heraus brachte.

>> Also gut, du nimmst ein anständiges Bad <<, sagte sie und hoffte dass sie das Wort “anständig“ nicht allzu inbrünstig betonte >> und ich besorge dir inzwischen etwas zum anziehen. <<

>> Mit meiner Hygiene muss es ja wirklich schlimm bestellt sein, stinke ich denn schon? << Er sagte es in einem so unschuldigen Ton, dass sie wusste, er meint es nicht ernst.

>> Tierisch << warf sie ihm trocken hin.

Wieder lachte er dieses unwiderstehliche Lachen und gab sie endlich frei. Bevor sie ihre neu gewonnene Freiheit bereuen konnte, krabbelte sie fluchtartig aus dem Becken, grabschte im vorbeihasten nach einen Badetuch aus dem Regal und warf es an den Beckenrand. In der Normalität ihres Schlafzimmers versuchte sie den Klang dieses Lachens abzuschütteln, mahnte sich selbst bloß nicht über diese ganze Situation nachzudenken und durchwühlte nach einem tiefen Atemzug ihren Kleiderschrank.

Zehn Minuten später starrte sie auf das Ergebnis ihrer Suche, das sie auf dem Bett ausgebreitet hatte. Sie konnte sich Chivan in einer Toga vorstellen, in einem Lendenschurz und zu ihrem Leidwesen auch nackt. Aber das? Die einzigen Kleidungsstücke, die ihm ansatzweise passen konnten, bestanden aus einem T-Shirt und Shorts. Das T-Shirt hatte sie vor über fünfzehn Jahren bei einer Familienreise nach Ägypten erstanden. Nach einem kurzen Kamelritt mit Führer, war sie so dankbar gewesen wieder von diesem unheimlichen Tier herunter zu kommen, dass sie dem Kamelführer eines seiner Souvenirs abgekauft hatte, ohne es sich überhaupt anzusehen. Erst später bemerkte sie die zeltartigen Dimension, behielt es jedoch als Andenken. Es war weiß und hatte in Brusthöhe ein gelbes Kamel aufgedruckt, darunter stand in schwarzer Schrift „I’m a camel“. Die Shorts waren eine Hinterlassenschaft von einer längst verflossenen, extrem üppig gebauten Freundin. Die Hose war glücklicherweise schwarz, auf der Rückseite hatte sie jedoch den Schriftzug „Sexy“ in pinkfarbenen Glitzerlettern quer über den Podex gedruckt. Isabella zog sich schnell etwas über und raffte frustriert die Kleidungsstücke zusammen.  Sie war eben nicht vorbereitet auf männlichen Besuch, der ohne Kleidung erschien.

Mit der Kleidung und dem Verbandskasten im Arm, lauschte sie wenig später angestrengt an der Badezimmertür. Es war kein Plätschern mehr zu hören, sie raffte sich zusammen und klopfte rabiat gegen die Tür, damit er es auch sicher nicht überhören konnte. Ein >> Herein! << ließ sie schließlich vorsichtig die Tür öffnen. Er saß mit dem Handtuch um die Hüften gewickelt, auf einem kleinen, weißen Plüschhocker und begutachtete gerade stirnrunzelnd seine Fingernägel. Mit den vielen, teilweise schon verblassenden Kratzern, dem feuchten, lockigen Haar und nur mit dem lila Badetuch bekleidet, fühlte sie das dringende Bedürfnis in sich aufsteigen, sich an ihn zu schmiegen und ihn für immer fest zu halten. Sie seufzte schwer und schüttelte resigniert den Kopf.

>> Hast du noch irgendwo Schmerzen?<<, wollte sie von ihm wissen.

Er verzog das Gesicht. >> Eigentlich nicht.<<

Sie ging auf ihn zu und legte ihre Mitbringsel um ihn herum auf dem Boden ab. >> Schön, dann kümmere ich mich jetzt um die Wundklammern. Heilen eure Wunden immer so schnell oder habe ich mir deine Todesnähe und das ganze Blut nur eingebildet? <<

Sein Stirnrunzeln vertiefte sich noch als er antworte. >> Ehrlich gesagt, ging ich davon aus, die schnelle Heilung liege an der Umgebung und nein, du hast dir das nicht eingebildet. Ich habe durch die Bisswunden im Nacken viel Blut verloren und dachte ebenfalls ich würde sterben. Als ich das nächste mal das Bewusstsein erlangte ging es mir schon wesentlich besser...<<

Isabella kniete sich neben seinen verletzten Oberschenkel. So beiläufig wie möglich schob sie das Badetuch beiseite, peinlich darauf achtend keinesfalls zuviel Haut freizulegen. Er sah ihr neugierig dabei zu, wie sie vorsichtig die Klammern entfernte und ihre Augen sich vor Überraschung weiteten.

>> Was ist? <<

>> Nichts, es ist nur...gestern hatte ich die Befürchtung es würde nicht gut verheilen können, weil der Riss so groß und tief war und heute sieht es aus wie eine Verletzung die Monate her ist, ich verstehe das nicht. Wie kommst du überhaupt auf die Idee, diese rasante Heilung könnte etwas mit der Umgebung zu tun haben? << Sie fragte es erstmals ohne zittrige und nervöse Stimme. Langsam gewöhnte sie sich wohl auch an sein neues Ich.

>> Mir ist so etwas nie zuvor passiert und da ich hier fremd bin, war es für mich die einzig logische Erklärung. <<  Er zog die Schultern hoch und sah aus dem Fenster.

Isabella hatte das Gefühl er würde ihr etwas verschweigen, andererseits was wusste sie schon von ihm? Nichts! Er konnte es ihr ja angeblich nicht erklären. Noch nicht.

>> Ein Verband ist nicht mehr nötig und deine anderen Verletzungen sind praktisch verschwunden <<, sagte sie und besah sich seinen Rücken, während sich schon wieder eine zarte Röte in ihr Gesicht schlich. Sein Körper machte sie mehr als nur kribbelig und es wurde Zeit, dass er endlich etwas zum anziehen bekam.

Sie reichte ihm die Kleidungsstücke mit einem entschuldigenden Lächeln.

>> Etwas Besseres konnte ich leider nicht finden, aber das wichtigste ist doch, das es passt. Ich bin in der Küche wenn du mich brauchst, ich benötige dringend eine Tasse Kaffee.<<

Mit diesen Worten schloss sie die Badezimmertür hinter sich und ging mit einem breiten Grinsen im Gesicht Richtung Küche. Sie brauchte dringend eine Tasse an der sie sich festklammern konnte, auch wenn Kaffee nicht unbedingt dafür geeignet war, ihr aufgebrachtes Gemüt zu besänftigen. Kaum hatte sie sich die ersten Tropfen der dunklen Köstlichkeit genehmigt, als ihr totaler Schockzustand zusammenbrach und tausend Fragen gleichzeitig in ihrem Kopf aufleuchteten.

Chivan hatte sich inzwischen in die Kleidungsstücke gezwängt und sie für bequem befunden. Das Kamel erschien ihm etwas seltsam, aber was war hier eigentlich nicht seltsam. In dem Moment als er die Küche betrat, wusste er das Schwierigkeiten anstanden. Isabella hatte von ängstlich bis schüchtern wieder zu entschlossen gewechselt und er ahnte, dass sie ihn ohne ein paar Antworten nicht davon kommen lassen würde. Er würde ihr die nötigsten Erklärungen liefern und im Gegenzug hoffentlich erfahren, was er wissen musste um sie durch den Übergang zu locken.

>> Bekomme ich auch einen Kaffee? <<

Um Isabellas Mundwinkel zuckte es verdächtig.

>> Natürlich <<, sagte sie mit einem unterdrückten Lachen in der Stimme.

>> Was ist? Hab ich etwas falsch herum angezogen? <<, fragte Chivan und sah dabei stirnrunzelnd an sich herunter.

>> Nein...Nein, es ist nur...<< sie brach prustend am Tisch zusammen und Chivan setzte sich ärgerlich zu ihr an den Tisch. Bei dieser Frau konnte man einfach nie wissen, in welcher Stimmung sie als nächstes sein würde.

Isabella schniefte noch ein paar mal hingebungsvoll und wischte sich die Tränen aus den Augen, während sie ihm einen Kaffee eingoss. Der Anblick seines kriegerischen Äußeren in Kombination mit ihren Kleidungsstücken, hatte sie kurz aber heftig von ihrem Vorhaben abgelenkt. Sie riss sich zusammen, konzentrierte sich wieder auf die dringend nötigen Fragen und kam gleich zur Sache.

>> Also, was bist du? <<

>> Wie ich dir bereits sagte, bin ich ein Akamee <<, seufzte er ergeben. >> Du hast mich in der Erscheinung meines zweiten Wesens kennen gelernt. Meinen Keenan. Ich kann mich jederzeit verwandeln, wenn mir danach ist. Die Verwandlung ist rein körperlich, mein Aussehen verändert sich, meine Instinkte verschärfen sich und meine Sinne verbessern sich. <<

Isabellas Gehirn arbeitete auf Hochtouren.

>> Du sagst es, als wäre es das normalste auf der Welt. << , sagte sie.

>> Für mich ist es das auch. Ich wurde so geboren. <<

>> Du wurdest so geboren? Aber wo denn? Woher kommst du und derjenige mit dem du gestern in meinem Garten gekämpft hast, war das auch ein Akamee? << Isabellas Augen weiteten sich immer mehr. Sie begriff einfach immer noch nichts.

>> Ich komme von einem anderen...Ort, dort wurde ich geboren und dort lebe ich auch. Mein gestriger Gegner war ebenfalls ein Akamee, allerdings wurde er auf Grund eines schweren Regelverstoßes von meinem Volk verbannt, das könnte auch der Grund für seinen Angriff gewesen sein <<, schloss Chivan.

>> Was für einem Ort? << In Isabellas Kopf türmten sich mehr und mehr Fragen auf.

>> Darüber möchte ich nicht reden. Ich hoffe du verstehst, dass wir uns schützen müssen, wir leben sehr...zurückgezogen um unentdeckt zu bleiben. Stell dir vor, jemand würde von unserer Existenz erfahren, unser Leben, wie wir es kennen wäre vorbei. <<

Natürlich verstand sie das. Es wäre die Sensation schlecht hin, der Medienrummel wäre monströs, ganz zu schweigen von den wissenschaftlichen Geiern. Der Hype der daraus entstehen konnte, wäre vermutlich für jedes Volk der Untergang. Sie musste sich schütteln, als ihr weitere Szenarien durch den Kopf schossen.

>> Ja, ich verstehe es. << Sie lächelte.

Chivan hatte nicht mit einer solch schnellen Einsicht gerechnet.

>> Wirklich? <<

>>Ja, wäre ich ein Akamee, würde ich auch nicht wollen das die Menschheit von mir erfährt. Die Gefahren liegen doch auf der Hand. Ich werde vielleicht vor Neugierde vergehen, aber ich würde mir auch nie verzeihen, sollte ich etwas Verraten was deinem Volk schaden könnte <<, sagte sie schulterzuckend.

>> Ich muss gestehen, dass du mich überrascht. Ich hatte wirklich nicht mit soviel Vernunft gerechnet. << Chivan war tatsächlich beeindruckt und beschämt zugleich. Hatte er sich schließlich vor Neugierde nicht mehr zurückhalten können und war in sein Unglück gerannt, nur um einen Blick auf diese Welt werfen zu können.

Sie lachte auf und Chivan musste sich beherrschen, dieses süße Lachen nicht mit seinen Lippen zu ersticken.

>> Das hört sich nicht so an, als hättest du eine allzu hohe Meinung von der Menschheit <<, noch immer lächelte sie versonnen.

>> Wir haben einige schlechte Erfahrungen in dem Bereich gesammelt <<, sagte er ernst. >> Menschen können sehr grausam sein, wenn es um ihre Bedürfnisse und Wünsche geht. <<

Isabella nickte dazu nur betrübt. Heiße Neugierde loderte in ihr, aber sie wusste instinktiv, dass die unglaubliche und fantastische Geschichte, die diesen Mann umgab, sie für immer verändern würde. Wie sollte sie mit diesem Wissen überhaupt in ihren Alltag zurückkehren?

>> Hast du auch eine Familie, die ebenso ist wie du? << fragte sie, um sich auf andere Gedanken zu bringen.

>> Alle Leute meines Volkes sind so wie ich und ja, ich habe eine Familie. Meine Eltern, zwei ältere Brüder und eine kleine Schwester. Das Mädchen auf dem Bild das ich im Nebenraum gesehen habe, ist das deine Schwester? << Chivan bemerkte augenblicklich die Veränderung in Isabellas Haltung und sah sie besorgt an.

>> Meine ältere Schwester Sara, sie starb vor einigen Jahren bei einem Autounfall. << Isabellas Augen bekamen einen traurigen Glanz und Chivan zog es das Herz zusammen. Er wollte sie in die Arme nehmen, diese Traurigkeit passte einfach nicht zu ihr.

>> Und deine Eltern? <<

Isabella versteifte sich deutlich

>> Ebenfalls tot <<, war alles was sie hervorbrachte.

Chivan wusste nicht was er dazu sagen sollte. Eben hatte er sich noch mit Schuldgefühlen geplagt, da er befürchtete, sie ihrer Familie entreißen zu müssen. Nun stellt sich heraus das es keine Familie mehr gab, die sich um sie sorgen würde und es quälte ihn ebenso.

>> Einen Freund...<<, setzte er an.

>> Du brauchst nicht weiter zu fragen, jeder Mensch der mir etwas bedeutet hat, ist gestorben oder hat mich verlassen. <<, stieß sie jetzt mühsam beherrscht hervor >> und du wirst mich auch wieder verlassen <<, setzte sie in Gedanken hinzu.

>> Es tut mir leid <<, sagte er betroffen.

Sie stand auf und ging zu dem großen Küchenfenster um in ihren geliebten Garten zu sehen. Er hatte ihr schon immer Trost gespendet, wenn sie die Verzweiflung überkam. Starke Arme schlossen sich von hinten um sie und drückten sie sanft an seinen warmen Körper. Es war zuviel für sie, ganz gegen ihre Natur brach Isabella in Tränen aus und schluchzte am Ende so laut, das sie befürchtete, die ganze Nachbarschaft in Aufruhr zu versetzen. Vorsichtig wurde sie hochgehoben und ins Wohnzimmer getragen, wo Chivan sich mit ihr auf das Sofa setzte und sie auf seinem Schoß sanft wiegte, bis sie vor Erschöpfung eingeschlafen war.

Chivan betrachtete die kleine Amazone, die friedlich in seinen Armen schlummerte. Es fühlte sich richtig an. Sie war so klein und verletzlich, es war ihm unbegreiflich das sie niemanden hatte, der sie beschützen und halten wollte. Er kannte sie erst wenige Stunden und würde am liebsten nie wieder von ihrer Seite weichen. Er würde sie mitnehmen, ob sie nun wollte oder nicht. Es ging ihm nicht mehr länger nur um den Schutz seiner Leute, er wollte sie bei sich haben. Es hielt sie hier offensichtlich nichts und vielleicht konnte sie ja bei seinem Volk glücklich werden.

 

Eine neue Welt

 

 

Isabella erwachte eine Stunde später und wurde als erstes von strahlenden Augen geblendet. Ein Gefühl der Verbundenheit überkam sie. Nie zuvor hatte sie so ein starkes Band gespürt, sie hätte sich nicht einmal vorstellen können, das es so etwas zwischen zwei Menschen geben konnte. Sie runzelte die Stirn, als ihr wieder einfiel, was sie heute erfahren hatte. Er war kein Mensch.

>> Ausgeschlafen? << Er lächelte zu ihr herunter.

>> Ja, ich denke schon. << Sie war sich nicht einmal sicher, wie sie überhaupt ins Wohnzimmer gelangt ist und ganz sicher wusste sie nicht wieso sie in seinen Armen lag.

>> Lust auf einen Spaziergang? <<

Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe. Er wollte mit ihr spazieren gehen?

>> Mit Leine oder ohne? <<, fragte sie schließlich frech.

>> Sehr witzig. Wir brauchen beide etwas Bewegung und frische Luft. Außerdem möchte ich wissen, ob ich den Weg erkenne, den ich gekommen bin <<, antwortete er.

>> Du weißt nicht genau, wie du hier hergekommen bist? << Isabella war erstaunt darüber.

>> Nein, nicht genau, in Form meines Keenan könnte ich den Weg sicher leicht wieder finden, in meinem jetzigen Zustand sind meine Sinne jedoch weit weniger ausgeprägt und ich möchte mich nur ungern wieder verwandeln. <<

>> Du musst bald zurück, nicht wahr? << In ihrer Stimme schwang ein seltsamer Unterton mit, den Chivan nicht deuten konnte.

>> Ja, ich bin sicher das einer meiner Freunde oder meine Familie bereits bemerkt haben das ich verschwunden bin. Sie werden nach mir suchen. <<

>> Dann sollten wir aufbrechen. << Sie schwang sich von seinem Schoß hoch.

>> Ich werde uns etwas zu Essen einpacken, ein kleines Picknick unterwegs kann uns nicht schaden, es ist schon weit nach Mittag. << Mit diesen Worten ging sie in die Küche und Chivan hörte sie in der Küche geräuschvoll werkeln. Noch immer war ihm nicht klar, wie er sie letztlich durch das Tor bekommen sollte, er würde improvisieren müssen. Er hoffte nur das es die richtige Entscheidung war und der Rat Verständnis für die ganze Situation aufbringen würde. Wenn er mit einer Menschenfrau im Schlepptau ankam, verbesserte das seine Lage nicht unbedingt.

 

Eine Stunde später waren sie bereits, mit einem Rucksack voller Leckereien bepackt, unterwegs in die Richtung, in der er den großen Wald vermutete. Isabella hatte Chivan ein paar alte Turnschuhe ihres Vaters gegeben, die sie für die Gartenarbeit benutzt hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie mit ihren winzigen Füßen überhaupt darin hatte gehen könne, denn sie passten ihm hervorragend.

Die Sonne stand immer noch hoch am Himmel und sie liefen quer Feld ein über einige endlose Getreidefelder. Die Strommasten, an denen sie hin und wieder vorbei kamen, waren abgesehen von akkurat gehaltenen Feldern, das einzige Anzeichen einer Zivilisation. Sie unterhielten sich angeregt über Ackerbau, Gemüse- und Kräutergärten, sowie über Obstplantagen und waren beide überrascht über das Interesse des jeweils Anderen. Ein stilles Abkommen, schwebte zwischen ihnen, nicht über die extreme Situation zu reden. Auf einem kleinen, grünen Hügel der mit Wildblumen übersäht war und von den Landwirten wohl als untauglicher Störenfried angesehen wurde, machten sie rast. Isabella hatte ein kleines Tuch mit eingepackt auf dem sie nun ihren Proviant ausbreiteten und sich wie verhungernde Wölfe darüber hermachten. Es war ein Moment des Friedens und sie genossen es, so lange wie möglich. 

>> Haben wir uns verlaufen? <<, fragte Isabella verschmitzt in die harmonische Stille.

>> Nein, es ist der richtige Weg. Mit zwei Füßen ist der Weg nur doppelt so lang <<, grinste er sie an.

>> Du willst heute schon zurück. << Es war eine Feststellung, aber Chivan antwortete trotzdem.

>> Ja, es muss sein, aber nicht vor Sonnenuntergang, ich will kein Risiko eingehen. <<

>> Dann sollten wir die Zeit nutzen <<, sagte Isabella versonnen, bewegte sich katzenartig  auf ihn zu und schmiegte sich in seine Arme, als wäre es für sie der einzig richtige Platz auf Erden. Chivan war so erstaunt das er kein Wort heraus brachte. Es war das erste mal, das sie sich, seit seiner Verwandlung, so ungehemmt verhalten hatte und sich ihm zärtlich näherte. Er hielt sie fest umschlungen und atmete tief ihren süßen Duft ein.

 

Isabella erwachte leicht verwirrt und musste feststellen, dass sie wohl eingeschlafen waren. Die Nacht war unterdessen hereingebrochen und hatte sich wie ein düsterer Schleier über die Felder gelegt. Einzelne Sterne funkelten am Himmel. Sie lächelte versonnen, wann hatte sie zum letzten Mal unter freiem Himmel geschlafen? Vermutlich in ihrer Kindheit. Hier lag sie nun, in den Armen eines geheimnisvollen Mannes, von dem sie so erschreckend wenig wusste und was sie wusste, sollte sie eigentlich auf die Couch eines Psychotherapeuten scheuchen. Stattdessen glaubte sie ihm jedes Wort, vertraute ihm ohne Vorbehalte und fühlte sich so wohl wie seit vielen Jahren nicht mehr. Selbst wenn sie sich alles nur eingebildet hätte, so war es immer noch das Fantastischste das sie je erlebt hatte. Sanft tastete sie sich an den Gedanken heran, ab Morgen wieder in ihrem bisherigen Leben gefangen zu sein. Es war nicht nur Angst oder Resignation, die sie spürte, jede Faser ihres Körpers schien gegen diesen Gedanken zu rebellieren. Sie wollte mit ihm gehen, aber sie konnte es nicht aussprechen. Zu verwegen, zu dreist war auch nur der Gedanke daran. Ihr geliebtes Haus schien sie mit vorwurfsvollen Blicken zu treffen, nie wollte sie sich davon trennen, um wenigstens auf diese Weise mit den Erinnerungen verwachsen zu bleiben. Aber das Gefühl, das sie seit dieser schicksalhaften Begegnung hatte, bedeutete ihr mehr. Chivans Brustkorb bewegte sich in gleichmäßigen, beruhigenden Atemzügen und seine Arme hielten sie immer noch, wärmend und schützend. Trotzdem fröstelte sie jetzt, als ein kühler Wind ihre Wange streifte. Sie spürte, wie sich Chivan unter ihr versteifte und seine Arme schlossen sich enger um sie, bevor er flüsterte >> Wir sind nicht länger allein. Steh jetzt ganz ruhig auf und tu genau was ich dir sage. >>

Ein eisiger Schauer rann Isabellas Rücken herunter. Was sollte das heißen, sie sind nicht allein? Chivan hatte es in einem derart alarmierendem Ton geflüstert, dass sie kurz vor einer Panik stand. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in die Finsternis, während sie versuchte, sich an seine Anweisung zu halten und langsam aufzustehen. Eine erwartungsvolle Stille hatte die Gesänge der Zikaden ersetzt und Isabella glaubte die Reflektion zweier grüner Augen gesehen zu haben. Die Augen eines Raubtieres. Sie hörte das hektisch pulsierende Blut in ihren Ohren rauschen. Sie spürte wie Chivan sich ebenfalls erhob und sich hinter sie stellte.

>> Sie sind zu acht. << Kaum hatte er es ausgesprochen, sah Isabella weitere unheimliche Augenpaare aufleuchten. Panisch drehte sie sich im Kreis und bemerkte dunkle Schatten, die sie umzingelten. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wer waren sie und was wollten sie von ihnen?

Sie atmete stoßweise. Das war keine alltägliche Bedrohung, kein Gruseln, wie es einen oft überkam. Die tödliche Gefahr zerrte an ihren Nerven. Ein unheimliches Heulen wurde aus einiger Entfernung über die Felder herangetragen und wie in Zeitraffer sah Isabella die Ereignisse auf sich zurollen.

Chivan packte sie bei den Schultern und drehte sie ruckartig nach rechts.

>> Hilfe ist schon auf dem Weg. Lauf in diese Richtung, halte nicht an, dreh dich nicht um. Lauf! << Sie bekam einen Stoß in den Rücken, der sie in Bewegung setzte. Deutlich hörte sie ein kämpferisches Knurren hinter sich, Geräusche wie von zerfetzender Kleidung, sie stolperte den Hügel hinunter. Direkt neben ihr fletschte etwas tödliche Zähne und schnappte nach ihrem Bein. Vor ihr glühten gelbe Augen auf, die sie fixierten, wie der Jäger seine Beute. Als sie ausweichen wollte, spürte sie einen Schlag in die Seite. Taumelnd versuchte sie die Richtung zu halten, als sie einen scharfen Schmerz in ihrem rechten Bein spürte und fiel. Kurz blitzte in ihrem Bewusstsein ein Bild von Chivan auf. Sie konnte die Kampfgeräusche hören, wie lange konnte er standhalten bei so vielen Gegnern? Eine schwere Last bohrte sich in ihren Rücken, das Atmen viel ihr schwer und sie glaubte schon einen tödlichen Biss in den Nacken zu spüren. Sie dachte nur >> Runter von mir, runter vom mir, du Monster!<< Augenblicklich war sie wieder frei, sie sah sich nicht um, halb auf allen Vieren, halb fallend stolperte sie weiter. Sie hatte die Orientierung völlig verloren, wusste nicht mehr ob sie noch in die angezeigte Richtung lief. Wieder meinte sie das Heulen zu hören, nur näher. Sekunden lang glaubte sie schon entkommen zu können, aber ein tiefes Grollen direkt hinter ihr, machte ihre Hoffnungen zu Nichte. Verzweifelt schrie sie auf, als sie spürte wie sie etwas ansprang und zu Boden riss. Scharfe Zähne und dolchähnliche Krallen gruben sich in ihren Rücken und schienen ihn zerfetzen zu wollen. Wage registrierte sie, wie ihr heißes Blut an den Seiten hinunter rann. Zu kraftlos um sich noch zu wehren, wurde sie hochgeschleudert und durchgeschüttelt. Chivan...war ihr letzter Gedanke, bevor die  fratzenhafte Dunkelheit sie verschlang.

 

Eng umschlungen, noch nassgeschwitzt und befriedigt vom Liebesspiel, lächelten sie einander an. Worte waren schon lange nicht mehr nötig, um sich einander mitzuteilen. Die letzten Reste eines Feuers glühten noch in der Mitte des Zeltes und tauchten die nackten Körper in einen bronzefarbenen Schein. Bald schon würden sie schlafen müssen, wenn sie für die morgige Jagd ausgeruht sein wollten. Im Nebenzelt schliefen die Kinder längst, erschöpft von der ganzen Aufregung um die kommende Jagd, an der sie erstmals würden teilnehmen dürfen. Stolz erfüllte sie beide, bei dem Gedanken. Sie waren noch jung, aber sie würden ihren Weg im Clan finden, wie ihre Eltern es zuvor getan hatten. Ein Geräusch ließ sie beide aufhorchen. Ein dumpfer Schlag auf dem Dach des Zeltes schreckte sie beide gleichzeitig hoch. Der Zelteingang wurde aufgerissen und mit Speeren bewaffnete Männer stürmten herein. Sie schrie laut auf vor Angst. Aber es war schon zu spät. Verzweifelte, von Schmerzen verzerrte Schreie erklangen aus allen Richtungen. Das Zeltdach hatte Feuer gefangen, schon fielen brennende Fetzen auf sie herab und versenkten ihr das Haar. Ihr Mann konnte seine Waffe nicht mehr rechtzeitig erreichen. Zu zweit rissen ihn die Männer nieder, während zwei weitere sie umzingelten. Ein letztes Mal blickten sie sich in die Augen, Abschied nehmend, bedauernd, aber auch liebend. Hässliches Gelächter begleitete die Eindringlinge, sie hörte die verängstigten Schreie ihrer Kinder, als sie mit ansah, wie ihrem Mann die Kehle durch geschnitten wurde. Ein letztes verzweifeltes Aufbäumen, um ihren Kindern zur Hilfe zu eilen, wurde durch einen Schlag ins Gesicht beendet. Ein weiterer Schlag traf sie in den Magen und sie ging in die Knie. Ihre Arme wurden nach hinten gebogen und ihre Augen weiteten sich in der grauenhaften Erkenntnis, das sie nicht sterben würde. Mit gefesselten Händen und einem Seil um den Hals wurde sie nach draußen geschleift. Der Gestank nach verbranntem Fleisch, Haar und Fell stach ihr in die Nase. Das Dorf brannte lichterloh, nur vereinzelt waren noch gequälte Aufschreie zu hören. Tränen nahmen ihr die Sicht, als sie über die geschundenen, toten Körper ihrer Familie und Freunde stolperte. Der Wahnsinn schien seine Fühler nach ihr auszustrecken und sie hieß ihn willkommen, stetig murmelnd >> tot...tot...tot. <<

 

>>TOT!<< Isabella schrak kurz aus ihrem von Schmerzen und Alpträumen geplagten Dämmerzustand. Weiche Hände streichelten ihr über das Haar und eine sanfte, weibliche Stimme redete mit leiser Stimme eindringlich auf sie ein.

>> Es war nur ein Traum <<, sagte die Stimme >>trink das, es wird dir helfen.<< Ihr Kopf wurde angehoben und etwas wurde ihr an den Mund gehalten. Zu Schwach um auch nur den Kopf abzuwenden, trank sie unwillig, was man ihr einflösste.

>> Schlaf jetzt mein Kind und träume vom Leben, nicht vom Tod. << Isabella lauschte angestrengt, bevor sie wieder in einen unruhigen Schlaf viel.

Das nächste mal wurde Isabella von einer männlichen Stimme geweckt. Sie klang erbost und dennoch leise, so als wolle sie Rücksicht nehmen auf ihren Schlaf.

>> Wieso wacht sie nicht auf? <<

>> Sie wird aufwachen, wenn sie soweit ist. << antwortete eine geduldige, weibliche Stimme, dir ihr mittlerweile vertraut erschien.

>> Vielleicht könnten wir sie jetzt zurückbringen, die Menschen werden sie finden und... <<

>> Sei vernünftig Eson, sie sieht aus als wäre sie in ein Rudel Wölfe geraten, was glaubst du werden die Menschen davon halten? Außerdem hat Chivan sie sicher nicht grundlos so nahe an den Übergang geführt. Er wollte das sie hier herkommt. <<

Ein abfälliges Schnaufen war zu hören, bevor die männliche Stimme antwortete.

>> Chivan! Wie konnte er das nur tun! Er hat uns alle in Gefahr gebracht, einen Kampf mit den Vertriebenen provoziert und jetzt...wird er sterben und ich verliere meinen Sohn, ohne zu erfahren wieso. << Isabella hörte die Trauer und den Schmerz in der Stimme des Mannes. Die Worte hallten in ihrem Kopf wieder, bis sie den Sinn zu verstehen begann.

>> Nein, bitte nicht...<< Isabella hatte es nur geflüstert, aber sogleich verstummten die Stimmen und jemand nahm ihre Hand.

>> Schhschh, alles wird gut, du bist in Sicherheit und bald wird es dir besser gehen. <<

Isabella öffnete mühevoll die Augen. Eine Frau lächelte auf sie hinab. Sie hatte schwarzes, glattes Haar und braune, mandelförmige Augen, die sie sorgenvoll und überrascht zu gleich anblickten. 

>> Wo ist Chivan, ich will zu ihm, bitte. << Isabellas Stimme überschlug sich fast. Sie erinnerte sich nur noch schemenhaft an die grausigen Details dieser verhängnisvollen Nacht. Aber alles in ihr verlangte nach Chivan. Sie musste zu ihm.

>> Eson, bitte geh und hol Leander, schnell! <<

>> Marilla also wirklich! Du wirst doch nicht dem Gefasel einer schwerverletzten Frau nachgeben. << Isabella hob den Kopf unter Schmerzen an und sah die ärgerlich auf sie gerichteten, goldenen Augen. >> Sie ist ja noch gar nicht richtig bei Sinnen und du...<< seine Augen strahlten sie jetzt durchdringend an >> beim Schöpfer allen Lebens...ich...ich hol ihn.<<

Isabella ließ sich erschöpft wieder in die Kissen zurück sinken. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch plötzlich spürte sie starke Arme, die sie, in eine Decke gewickelt, sanft hochhoben. Sie musste ein schmerzvolles Aufstöhnen unterdrücken, weil sie nicht wollte das ihr Helfer es sich wieder anders überlegte.

>> Sind denn jetzt alle des Wahnsinns...<<, hörte sie eine leise Stimme über sich murmeln, sie versuchte wieder die Augen zu öffnen, aber grelles Sonnenlicht blendete sie nun und sie konzentrierte sich darauf, nicht Ohnmächtig zu werden. Dann umgab sie wieder Dämmerlicht und sie wurde vorsichtig auf etwas weiches gebettet. Sie zwang sich dazu, die Augen zu öffnen und sah Chivan neben sich liegen. Sein Gesicht war fast vollständig von Verbänden verhüllt, wie auch sein restlicher Körper. Die wenigen Stellen, die gesunde nackte Haut zeigten, glänzten feucht vom Fieber. Mit letzter Kraft legte sie eine Hand auf seine Brust, spürte kaum den Herzschlag und das schwache Atmen, bevor ihr die Sinne schwanden.

 

Leander sah böse in die blassen Gesichter seiner Frau und seines Vaters.

>> Könnte mir mal jemand erklären, was das zu bedeuten hat? <<

>> Abwarten <<, grummelte sein Vater Eson.

Leanders Augenbrauen wanderten nach oben. Ein weiterer Blick auf seine Frau brachte auch keine neue Erkenntnis. Sie rang nur mit den Händen und starrte nervös auf das verletzte, seltsame Paar in dem Bett. Seit er erfahren hatte, das sein Bruder Chivan vermisst wird, wusste er das ihnen anstrengende Zeiten bevorstehen, aber die letzten Stunden übertrafen seine schlimmsten Befürchtungen bei weitem. Nach kurzer Suche hatten sie die Witterung aufgenommen und man musste dem Rat mitteilen, dass ein Akamee ohne Ausbildung und Grundkenntnisse, den Übergang passiert hatte. Sämtliche Grenzgänger wurden zusammen getrommelt und man bildete Suchteams aus den Erfahrensten unter ihnen. Leander durfte sich ihnen nur anschließen, weil man hoffte, er könne ihnen vielleicht einen Hinweis darauf liefern, was sein Bruder vor hatte. Den ganzen Tag hatten sie sich nur in der Deckung des Waldes bewegen dürfen und die Suche gestaltete sich schwierig, da alles darauf hindeutete, dass Chivan in das Gebiet eines Vertriebenen gelaufen war. Die neuen Gerüche und Eindrücke machten Leander schwer zu schaffen, obwohl er gewusst hatte was ihn erwartet. Er konnte sich vorstellen wie irritiert und aufgeregt sein Bruder gewesen sein muss. Endlich senkte sich die Dunkelheit über das Land und noch bevor er irgendetwas registrieren konnte, sammelten sich die Suchtrupps und nervöse Anspannung machte sich breit. Vertriebene. Nicht nur einer, ein ganzes Rudel! Selbst die erfahrenen Grenzgänger waren überrascht und man hatte kaum Zeit eine Strategie auszuarbeiten. Leander wusste plötzlich mit absoluter Sicherheit das sein Bruder Chivan in tödlicher Gefahr schwebte. Sein lautes Heulen brach ganz instinktiv aus ihm heraus um seinem Bruder zu signalisieren, das Hilfe nahte. Die Grenzgänger hatten verstanden und verteilten sich großräumig, während sie sich in rasendem Tempo auf die Stelle zu bewegten, an der sie die Vertriebenen vermuteten. Leander lief es kalt den Rücken herunter, als er sich daran erinnerte, wie sie Chivan fanden. Er kämpfte einen aussichtslosen Kampf gegen fünf Gegner. Drei weitere schienen einen blutüberströmten, menschlichen Körper zu bewachen. Leander hatte sich sofort auf einen der Vertriebenen gestürzt, der sich tief in die Flanke seines Bruders verbissen hatte. Nur Sekunden wehrten sich die Vertriebenen noch, bis ihnen klar wurde, das sie in diesem Kampf nicht länger in der Überzahl waren. In einer letzten, dreisten Attacke versuchten sie den menschlichen Körper wegzuschleifen, aber auch das scheiterte und sie stoben in alle Richtungen auseinander. Einige Grenzgänger verfolgten sie noch, aber es war klar das sie entkommen würden, denn sie waren in dieser Welt zu hause.

Leander und Chivan verwandelten sich gleichzeitig, Leander musste beim Anblick seines Bruders den Blick abwenden. Doch Chivan kümmerte sich gar nicht um das geschockte Gesicht Leanders.

>> Kümmere dich um die Frau...<<, war alles was er sagte, bevor seine Augen sich schlossen.

Seitdem hatte er sie nicht mehr geöffnet.

Die meisten der Grenzgänger hätten die Frau am liebsten ignoriert, aber schließlich siegte die Vernunft. Halb nackt und schwer verletzt, konnte man sie hier unmöglich zum Sterben zurücklassen. Außerdem wusste man nicht, woran sie sich erinnern würde. Vielleicht konnte sie auch erklären, wie all das zustande gekommen war. Denn Chivan, so befürchteten die meisten, würde sein Bewusstsein nicht wieder erlangen. Leander hob die Frau schließlich auf und trug sie zum Tor. Ihre Kleidung bestand nur noch aus ein paar zerfetzten Stoffresten, die er endgültig entfernte. Weder den Akamee, noch den Menschen war es möglich den Übergang in Kleidung zu durchwandern. Die Anderen nahmen sich Chivans an und so verschwand die traurige Prozession aus Mensch, Akamee und Keenans in den schützenden Wald.

Schuldgefühle plagten Leander, er hatte das eigenartige Verhalten seines Bruders nicht ernst genommen. Nur auf das bevorstehende Training konzentriert und angetrieben von glühendem Eifer, hatte er alles andere ignoriert. Seinem älteren Bruder Noel wäre so ein Fehler nie unterlaufen. Doch Noel war schon vor Jahren zum westlichen Übergang gerufen worden, um dort das heikle Kommando über die Grenzgänger anzutreten. Resigniert verließ er nun das Haus seines Bruders Chivan, um sich wieder den anderen Anwärtern anzuschließen. Es war wichtiger den je, den Übergang zu bewachen und hier konnte er sowieso nichts tun. Der Rat war außer sich gewesen, als er von den Ereignissen erfuhr und die Heiler des Dorfes hatten nur traurig die Köpfe geschüttelt, als sie Chivan wieder verließen. Er war sich sicher, das er diesmal spüren würde, wenn bei seinem Bruder eine Verschlechterung eintreten würde, wie er auch gespürt hatte, dass er in großer Gefahr war.

 

 

Chivan hörte ein leises Schimpfen, wie aus weiter Entfernung. Die Stimme kam ihm bekannt vor, aber er konnte sie nicht direkt zu ordnen. Seine Stirn legte sich angestrengt in Falten, bei dem Versuch sich zu erinnern, was passiert war.

>> Wirst du jetzt endlich raus gehen du...du Spanner! <<

Mit einem Mal wusste er es wieder und riss die Augen auf. Isabella lag neben ihm mit abgewendetem Gesicht auf dem Bauch, fuchtelte drohend mit ihrer kleinen Faust und beschimpfte jemanden, der sich seiner Sicht entzog. Bestürzt entdeckte er die Verbände an ihrem Rücken und roch eine Vielzahl von Heilkräutern, die er noch aus seiner Kindheit kannte. Seine Mutter hatte den Brei zur Wundheilung oft genug für ihn anrühren müssen, weil er sich ständig in kleine Abenteuer gestürzt hatte und dabei Kratzer und Schürfwunden gern in Kauf nahm.

>> Perversling! <<, brummelte sie jetzt gedämpft.

Ein Lächeln huschte über Chivans Gesicht. Sie war einfach erstaunlich und brachte ihn immer wieder zum schmunzeln mit ihren komischen Faxen. Sie lagen offensichtlich in seinem Haus und in seinem Bett! Er fragte sich nun besorgt, wen sie da so blumig beschimpfte.

>> In meinem Haus gibt es sicher keine Spanner, Mädchen. <<

Isabellas Kopf fuhr herum, mit offenem Mund sah sie ihn erschrocken an, bevor sich echte Freude auf ihrem Gesicht zeigte.

>> Chivan! Du bist wach! <<

>> Offensichtlich <<, grinste er sie an. Etwas behinderte seine Sicht und er bemerkte Verbände, die er nun einfach von seinem Gesicht streifte.

>> Und dein Gesicht ist so schön wie immer! <<, rutschte es ihr raus, während sie gleichzeitig knallrot anlief.

>> Deins auch <<, sagte er jedoch ernst >> nur dein Rücken scheint mir etwas ramponiert. <<

>> Ja, aber es ist schon viel besser, ich glaube wir sind schon eine ganze Weile hier. << Ihr Lippen verwandelten sich in einen unwiderstehlichen Schmollmund.

Er zog ihren Kopf zu sich herunter und küsste sie sanft auf den Mund. Verblüfft schnappte sie nach Luft.

>> Wir haben Publikum! <<

>> Mir egal <<, nuschelte er an ihren Lippen und vertiefte seinen Kuss noch.

Isabella war es auch egal. Sie war so glücklich ihn scherzend und wohl auf zu sehen, sie hätte die ganze Welt umarmen können. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als ihn bis in alle Ewigkeit so weiter küssen zu dürfen.

Ein lautes Kläffen brachte sie schließlich beide wieder zurück in die Realität. Sie sahen jetzt beide in die Richtung aus der das Kläffen kam. Ein schneeweißer Hund, ähnlich einem Schäferhund saß jetzt am Fußende ihres Bettes, legte den Kopf schief als sie ihn beide anblickten und fing dann fröhlich an zu hecheln.

>> Das meinte ich mit Publikum! Eine halbe Stunde hab ich ihn angefleht, er möge bitte vor der Tür warten, aber er hat nur blöd gehechelt und gegafft! Ich muss dringend ein gewisses Örtchen aufsuchen und ich hab nichts um mich zu bedecken, weil du auf meiner Decke liegst<<, sagte Isabella jetzt vorwurfsvoll.

Chivan hatte nur registriert das sie offensichtlich nackt nebeneinander lagen, der Rest ihrer Beschwerde ging in seinem Aufruhr der Gefühle unter.

>> Was? <<

>> Sag deinem Freund er soll gehen! <<

Chivan sah zuerst ziemlich ratlos aus und brach dann in schallendes Gelächter aus, während Isabella ihn nur fassungslos anstarren konnte.

>> Darf ich vorstellen, mein Schäferhund Keylon <<, brachte er zwischen zwei Lachsalven heraus.

>> Du meinst er ist ein ganz normaler Hund? <<, fragte sie jetzt völlig verdutzt.

Bei genauerer Überlegung musste sie eingestehen, dass er auch genau so aussah. Sie hatte angenommen, es wäre einfach ein jüngerer Keenan, aber er hatte auch einen anderen Körperbau und rein gar nichts Bedrohliches. Beschämt sah sie wieder zu Chivan, der mittlerweile rot angelaufen war.

>> Also wirklich! Das konnte ich doch nicht wissen! <<

Chivan grölte nur noch lauter und Isabella griff zu einem Kissen um ihn damit zu schlagen.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und zwei schockiert aussehende Frauen betraten den Raum. Eine davon erkannte Isabella als die gute Seele, die sich um sie gekümmert hatte, als sie noch zu schwach war um sich zu bewegen. Die Andere war um einiges älter und brach gerade in Tränen aus, was Chivan und Isabella sofort verstummen ließ.

>> Es ist also wahr! Oh Chivan, ich dachte wir hätten dich verloren >>, schluchzte sie herzerweichend, dann sah sie Isabella an >> Beim Schöpfer, ich danke dir. << Sie drehte sich um und lief weinend aus dem Raum. Chivan fluchte leise und zerrte an einem Stück Decke bis er frei war und sie um sich wickelnd, aus dem Bett sprang um ihr hinterher zu laufen.

>> Mein Name ist Marilla <<, wendete sich nun die gute Seele an Isabella, die nur staunend bei der Szene zugesehen hatte.

>> Und das gerade eben war Erin, Chivans Mutter. <<

>> Verstehe, mein Name ist Isabella. <<

>> Freut mich deine Bekanntschaft zu machen, Isabella. Du hast uns reichlich in Atem gehalten, seitdem du hier bist <<, lächelte sie jetzt.

>> Das tut mir leid, ich wollte euch keine Schwierigkeiten bereiten. Danke, das ihr euch um mich gekümmert habt.<<

>> Ganz im Gegenteil. Wir sind überglücklich dich hier zu haben und wir müssen dir danken. Aber jetzt werde ich dir erst einmal was zu Essen bringen, hast du Hunger? <<

>> Ich bin völlig ausgehungert. << Isabella lächelte Marilla dankbar an.

>> Schön, ich bin gleich wieder da und dann sehen wir weiter. << Damit verließ sie anmutig den Raum und Isabella blieb mit ihren Gedanken allein.

Sie verstand nicht wieso man ihr dankbar war und vor allem wo „hier“ war. Vorsichtig setzte sie sich aufrecht hin und stellte fest, dass ihr Rücken beim Anlehnen kaum schmerzte. Chivan hatte gesagt dies wäre sein Haus. Neugierig sah sie sich nun erstmals um. Der Raum war ziemlich groß und überwiegend weiß. Was daher rührte, dass sowohl die Wände, wie auch der Boden aus weißen Steinen war. Grün-weiße Webteppiche lagen auf dem Boden, verdeckten ihn aber nur teilweise. Drei große Fenster waren durch ebenfalls grüne Vorhänge verdeckt. Sämtliche Einrichtungsgegenstände im Raum waren Korbmöbel aus dunklem Flechtwerk. Sogar eine Kommode gab es, auf der nur eine riesige, jadefarbene Schale stand. An der Wand zu ihrer Linken hing eine große Landkarte, die für Isabella völlig unverständlich war. Rechts über einem großzügig angelegten Kamin hing ein Kunstwerk, anders konnte man es nicht beschreiben. Es schien tatsächlich aus Jade gearbeitet zu sein und sah auf den ersten Blick aus wie verschlungene Ornamente, erst bei genauerer Ansicht erkannte sie, das es zwei spielerisch raufende Keenan darstellte.

Die schlichte Eleganz und Harmonie des Raumes beeindruckte Isabella zu tiefst. Es gab keine klobigen Radiowecker oder TV Geräte und jetzt bemerkte sie auch das es keine Lichtschalter gab. Automatisch blickte sie zur Decke und fand nur, eine in Grüntönen gehaltene Malerei ähnlich einem Blätterdach. Marilla erschien in der Tür mit einem Tablett in den Händen und Isabellas Magen knurrte zur Begrüßung laut.

Lächelnd stellte Marialla das Essen neben dem Bett ab und setzte sich zu Isabella.

>> Es ist nur Gemüsesuppe und frisches Brot, du hast seit Tagen nichts gegessen, daher dachte ich etwas Leichtes bekäme dir besser. <<

>> Ja vielen Dank, es duftet köstlich. << Isabella griff gierig zu. Es schmeckte wunderbar, wenn auch etwas anders als sie es gewohnt war.

>> Seit wie vielen Tag bin ich denn schon hier? <<

>> Heute ist der vierte Tag. <<

>> So lange schon? << Isabella musste schlucken. Es war ja nicht so als würde sie irgendjemand vermissen, aber ihre Pflanzen waren sicher nicht begeistert von ihrer langen Abwesenheit und der Kühlschrank züchtete wahrscheinlich demnächst neue Zivilisationen heran.

Marilla sah sie ernst an. >> Du hattest einige schmerzhafte Verletzungen und ich gab dir etwas von meinem Spezialtee gegen die Schmerzen. Deswegen hast du die meiste Zeit geschlafen. <<

>> Ja, es tut wirklich nicht so weh, wie schlimm ist es? <<

>> Du hast tiefe Kratzer auf dem Rücken, eine Bisswunde im Nacken und eine starke Prellung an der rechten Seite, vielleicht sogar angeknackste Rippen. Aber nichts davon ist wirklich gefährlich, du hattest viel Glück. <<

>> Hmm, ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass sie mich töten wollten. <<

Marilla horchte bei diesen Worten neugierig auf.

>> Du weißt was passiert ist? <<

>> Naja, wir wurden angegriffen von Wesen, die wie Chivan sind, richtig? <<

>> Vertriebene, sie leben nicht mehr in unserer Welt und folgen ihren eigenen Regeln. <<

>> In eurer...Welt? <<  Isabella unterbrach ihre Mahlzeit und sah Marilla fragend an.

>> Das kann dir Chivan später sicher besser erklären. Wieso denkst du das sie dich nicht töten wollten? <<

>> Ich kann es nicht genau erklären, sie waren überall und hätten mir mit Leichtigkeit an die Kehle springen können. Einer von ihnen stellte sich mir in den Weg, während ein anderer mich zu Fall brachte, es war... als würden sie nur mit mir spielen. << Isabella war plötzlich der Appetit vergangen. Die Erinnerungen waren nicht besonders angenehm und Marilla war ihrer Frage ausgewichen, sie fühlte sich ein wenig verloren.

>> Ich habe euch einmal reden hören...über Chivan, ihr dachtet er würde sterben. Ich konnte keine neue Verletzung an ihm ausmachen und er sprang gerade aus dem Bett wie ein junger Gott. War das wieder eine Spontanheilung? << Sie hoffte, das sie wenigstens auf diese Frage eine Antwort kriegen würde.

>> Das war es wohl, denn er war sehr schwer verletzt und hatte hohes Fieber. Wir hatten nichts mehr für ihn tun können. Das konntest nur du <<, antwortete Marilla nun.

>> Ich? <<, piepste Isabella völlig verwirrt.

>> DU! Du... <<, brüllte Chivan jetzt von der Tür her.

Isabella machte fast einen Sprung aus dem Bett vor Schreck. Chivan stand in der Tür, immer noch nur mit einem Laken bekleidet, seine Haare standen ihm wild zu Berge und er starrte sie wütend und mit funkelnden Augen an.

>> Bist du für all das verantwortlich? <<, schrie er sie jetzt an.

>> Was? <<, fragte Isabella nur schwach und leicht verängstigt. Sie konnte der ganzen Unterhaltung langsam überhaupt nicht mehr folgen.

>> Chivan! <<, sagte Marilla ruhig dazwischen >> bevor du noch etwas sagst, das dir später leid tun wird, solltest du dich lieber vernünftig kleiden und den Rat aufsuchen. Er wartet sicher schon auf dich. <<

Chivan warf Isabella noch einen bösen Blick zu und verschwand dann, nicht ohne vorher die Tür hinter sich zuzuschlagen. Er gab ihr schon wieder für irgendwas die Schuld und Isabella war nicht sicher wie oft sie das noch ertragen würde. In einem Moment küsst er sie, scherzt mit ihr und im nächsten schrie er sie an. Erschöpft legte sie sich wieder hin und warf einen vorsichtigen Blick zu Marilla. Sie sah jedoch nur wohlmeinend auf sie hinunter und lächelte.

>> Er wird sich wieder beruhigen, es ist gerade alles ein bisschen viel für ihn. Nichts von alle dem was passiert ist, ist deine Schuld. <<

Isabella wollte ihre Meinung dazu lieber nicht äußern und konzentrierte sich auf ein dringenderes Anliegen.

>> Ich müsste dringend mal auf die Toilette und ich würde mich auch gern waschen, wäre das möglich? <<

>> Natürlich, komm ich helfe dir auf und zeig dir alles. << Marilla reichte ihr eine Hand, während sie mit der anderen Keylon, den fälschlich verdächtigten Schäferhund, verscheuchte. >> Du warst schon ein paar mal im Bad, aber du erinnerst dich wohl nicht daran << Sie grinste jetzt entschuldigend >> ich sollte die Dosis meines Spezialtees noch einmal überdenken. <<

Isabella stand unter einigen Ächzern auf und wurde von Marilla zu der Tür geführt, neben der auch die große Landkarte hing. Als sie die Tür aufschwang, kam Isabella ins schwanken.

>> Ihr habt einen Fluss im Haus? <<, quiekte sie leicht überfordert.

>> Ja, wir haben alle einen im Haus <<, antwortete Marilla lachend. >> Wir leiten einen Teil des Flusses, an dem unser Dorf gebaut ist, durch das Dorf. Ein kleines, ausgeklügeltes Filtersystem im Haus, reinigt es sowohl beim herein fließen als auch beim heraus fließen. Keine Sorge, die Fische leiten wir ebenfalls um das Dorf herum. <<

Isabella konnte nur mit offnem Mund in den Raum starren, den sie wohl Badezimmer nannten. Es war ebenfalls ganz aus weißem Stein, auch hier lagen einige Webteppiche, diesmal jedoch in Terrakotta Tönen gehalten. An der rechten Seite befand sich eine große, braune Felswand, die fast bis zur Decke reichte und aus der sich ein kleiner Wasserfall in ein riesiges Becken ergoss, das bis zum anderen Ende des Badezimmers reichte. Genau in der Mitte des Raumes stand ein Baum, Isabella nahm jedenfalls an das es einer war. Sie konnte nur den Baumstamm sehen, der einfach durch die Decke wuchs und mindestens zwei Meter breit war. Auch hier hing an der Wand ein Kunstwerk und sie hätte schwören können, das es aus Bernstein gearbeitet war. Nach einem verstörenden Besuch der Toilette, die so versteckt in einer Nische war, das Isabella sie erst gar nicht bemerkt hatte, führte Marilla sie zu einem kleinen Korbhocker und ließ sie darauf Platz nehmen.

>> Ich werde dir jetzt die Verbände abnehmen und nach deinem Bad noch einmal Salbe auftragen. <<

Isabella sagte auch dazu nichts, es hatte ihr einfach die Sprache verschlagen.

Die Verbände waren bald ab und Isabella brachte das Bad so schnell als irgend möglich hinter sich. Sie war es nicht gewohnt in fließenden Gewässern zu baden, das Wasser war unangenehm kühl und die Wunden an ihrem Rücken pochten schmerzhaft. Die Salbe wirkte jedoch Wunder und der Schmerz und das Jucken ließen bald wieder nach. Marilla gab ihr ein wunderschönes, blass rosa Nachthemd aus einem seidigen Material, das Isabella nicht kannte und half ihr beim anziehen. Reichlich erschöpft ließ sie sich kurze Zeit später wieder in die Kissen sinken und schlief nach einem gemurmelten >> Danke << sofort ein.

 

Besorgt eilte Chivan auf die kleine Lichtung zu, die der Rat sich für seine Sitzungen auserkoren hatte. Das kurze, durch Umarmungen unterbrochene Gespräch mit seiner Mutter war für ihn wenig aufschlussreich. Sie hatte ihm erzählt, er wäre dem Tode nur deshalb entronnen, weil die Wächterin des Lebens ihn geheilt hätte. Im ersten Moment hatte er befürchtet, seine Mutter hätte den Verstand verloren. Für ihn hatten die Erzählungen zwar immer einen schönen Unterhaltungswert, er war sich jedoch lange nicht so sicher, das sich die damit verbundenen Prophezeiungen auch wirklich eines Tages erfüllen würden. Ganz sicher hätte er jedenfalls nie geglaubt, das sie sich zu seinen Lebzeiten erfüllen würden. Als er seine Mutter fragte, woher denn die Wächterin gekommen sei, brachte sie ihn endgültig aus dem Konzept, in dem sie ihm an den Kopf warf, das er doch derjenige sei, der sie hergebracht hatte und es am besten wissen müsste. Isabella! Mit einem Schlag war ihm klar wieso der Vertriebene von ihm abgelassen hatte und auch wieso er so schnell genesen war! Wieso ein ganzes Rudel von Vertriebenen, die normalerweise Einzelgänger waren, über sie hergefallen war. Seine erste Reaktion war Wut. Er war wütend auf sich, weil er so blind gewesen war und die Anzeichen nicht bemerkt hatte. Er war wütend auf Isabella, weil sie ihm nichts gesagt hatte und auch weil er sie nun nie für sich allein haben würde, wie er sich erschrocken eingestehen musste.

Er passierte die ersten Keenan, die als Ratswachen abgestellt waren. Dies war keine öffentliche Sitzung, wie sonst üblich. Er würde hier zur Verantwortung gezogen werden, für das was vorgefallen war. Die Ratsmitglieder bestanden aus den Führungspersönlichkeiten der umliegenden Clans, was seinen Vater mit einschloss. Er kannte sie alle persönlich und wusste das sie immer weise und ohne falsche Absichten entschlossen hatten, trotzdem hatte er kein gutes Gefühl, denn eine Übertretung wie er sie begangen hatte, hatte es schon seit vielen Jahren nicht mehr gegeben.

Gemessenen Schrittes betrat er nun die Lichtung. Die Ratsmitglieder saßen in einem großen Kreis, auf umgefallenen, alten Bäumen und zwei saßen sogar auf Felsen. Bedrohlich wirkte das ganze nicht auf ihn, eher wie ein gemütliches Beisammensein, aber er wusste wie schnell die Stimmung umschlagen konnte. Marilla stand in der Mitte. Als sein Vater Eson ihn kommen sah, entließ er sie jedoch und sie verließ schweigend die Lichtung. Chivan raufte sich zusammen, trat in die Mitte und grüßte die Ratsmitglieder durch ein einfaches Nicken, das sie erwiderten.

>> Es freut mich dich wohl auf zu sehen, mein Sohn <<, begann nun sein Vater. Er konnte das verräterische Glitzern in seinen Augen sehen, aber ihm war klar, das sein Vater vor dieser Versammlung nicht mehr dazu sagen würde.

>> Wir haben diese Versammlung heute einberufen um über dein Verhalten und die Zukunft unserer Welt zu reden. Da du nun wieder auf den Beinen bist, kannst du deinen Teil dazu beitragen und uns aufklären, wie es zu diesen ganzen Verwicklungen gekommen ist. <<

Chivan trug seinen Teil dazu bei. Er erzählte ihnen von dem plötzlichen und unerträglichen Drang in die Welt der Verlorenen überzutreten. Er erzählte ihnen von der zufälligen Entdeckung des Übergangs, von dem Kampf mit dem Vertriebenen, der Rettung durch Isabella und endete erst mit den letzten Worten vor seiner Bewusstlosigkeit auf dem kleinen Hügel. Lediglich die intimsten Momente ließ er außen vor, da er sich nicht vorstellen konnte, das sie relevant waren.

>> Ich verstehe, wieso durch den Kampf dein Urteilsvermögen geschwächt war, doch die schnelle Heilung hätte dir doch ein Hinweis sein müssen. Hinzu kommt das sie dich offenbar durch ihren Willen zu einer Verwandlung gezwungen hat, wie konnte das deiner Aufmerksamkeit entgehen? <<, fragte nun eines der anderen Ratsmitglieder. Chivans Blick verfinsterte sich.

>> Ich schob die Heilung auf die Umstände sowie auf die Welt der Verlorenen, da ich die Vorbereitung zum Grenzgänger nie erhalten habe, dachte ich, dies wäre eins der Geheimnisse, auf die ihr so viel Wert legt. Was die Verwandlung betrifft so war sie...nun...nicht auf diese Art...erzwungen. >> Chivan räusperte sich und konnte sein Unbehagen nicht länger verbergen. Mehrere Augenbrauen hoben sich amüsiert und überlegend, da sich ganz neue Perspektiven auftaten.

>> Marilla erzählte uns soeben, das die Wächterin...Isabella, noch immer völlig Ahnungslos ist. Sie weiß nicht wer sie ist, sie denkt sie ist ein Mensch und sie weiß auch nichts von ihrer Bestimmung oder ihren Fähigkeiten. Dies würde mit deinen Erzählungen zusammen passen. Stimmst du dem zu? <<, fragte nun wieder sein Vater. Chivan musste sich eingestehen, das er Isabella keinerlei Schuld geben konnte. Sie hatte sich zu keinem Zeitpunkt verhalten, als wisse sie, das sie einem Keenan ihren Willen aufzwingen konnte. Sie hatte sich voller Eifer in die Behandlung seiner Wunden gestürzt, die in ihrer Anwesenheit sowieso von ganz alleine geheilt wären und sie hätte nicht diese traurige Einsamkeit ausgestrahlt, die er so anziehend fand, wenn sie wissen würde, dass ein ganzes Volk, ihr Volk auf sie wartet.

>> Ja, dem stimme ich zu <<, sagte er schließlich.

>> Nun gut, ich denke wir sind uns einig, das dein Verhalten sowie die daraus gefolgten Konsequenzen Teil der Prophezeiung waren, denn die Wächterin des Lebens ist jetzt hier und das sind nun wirklich erfreuliche Nachrichten <<, sagte sein Vater und sah dabei jedes einzelne Ratmitglied an, die zustimmend nickten.

>> Trotzdem hast du gegen die oberste Regel verstoßen, die besagt das nur Grenzgänger zwischen den Welten wandeln dürfen und du hast durch deine Unwissenheit einen Vertriebenen direkt zu der Wächterin geführt. Es hätte euch beide beinahe das Leben gekostet und weitere Schäden sind noch nicht abzusehen. Denn die Vertriebenen attackieren seitdem immer wieder den Übergang und die Grenzgänger sind mit der Verteidigung voll ausgelastet. << Wieder nickten alle Anwesenden zustimmend, bis auf Chivan.

>> Daher wirst du nun auch die Verantwortung für deine Taten tragen, indem du die Wächterin angemessen über ihr Schicksal informierst. Du wirst sie die alten Erzählungen lehren, ihr die Lebensweise in unserem Dorf nahe bringen und sie mit deinem Leben beschützen, bis sie ihre Reise antritt. Wir werden unverzüglich Boten zu den anderen Übergängen aussenden um die frohe Botschaft zu verkünden und so die Ankunft der drei anderen Wächterinnen einzuleiten<<, endete sein Vater. Chivan hatte die ganze Zeit die Luft angehalten und atmete nun erleichtert auf. Er würde der kleinen Amazone einfach alles erzählen und sie beschützen, so schwer konnte das doch nicht sein oder?

 

 

Entnervt zupfte Isabella an ihrer Bettdecke. Sie war bereits seit über zwei Stunden wach, aber abgesehen von Keylon schien sich keiner mehr für sie zu interessieren. Auf dem Tischchen neben dem Bett, hatte sie Tee und kleine Brote gefunden, die nun längst verputzt waren. Auch ein weiterer abenteuerlicher Besuch im Badezimmer war schnell erledigt und selbst Keylon wollte sich mittlerweile nicht mehr streicheln lassen und hatte sich am anderen Ende des Zimmers Schlafen gelegt. Ihre Verletzungen taten kaum mehr weh, sie juckten nur noch höllisch und steigerten dadurch noch Isabellas Reizbarkeit. Sie hatte ein paar mal den Vorhang des Fensters gelüftet und hinaus gesehen, aber alles kam ihr derart fremdartig vor das sie den Vorhang beunruhigt wieder zugezogen hatte. Eine genaue Inspektion Chivans Kleiderschrankes, brachte nichts zu Tage, das ihr auch nur ansatzweise gepasst hätte und so war sie immer noch im rosa Neglige unterwegs, in dem sie sich nicht aus dem Haus traute. Alles war hier einfach so seltsam, die Räume, die Kleider und sogar mit dem Essen war irgendetwas nicht in Ordnung. Hinzu kamen die merkwürdigen Andeutungen, der letzte Auftritt von Chivan und Isabella war es Leid nicht zu wissen was vor sich ging. Sie wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser und als es schließlich an der Tür klopfte, bekam Isabella Schluckauf, so sehr hatte sie sich erschreckt.

>> Herein! <<, brachte sie gerade noch so heraus und hielt die Luft an.

Chivan öffnete darauf hin schwungvoll die Tür und Isabella stöhnte innerlich auf. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.

>> Guten Morgen. Es freut mich, dich schon wach vorzufinden <<, er räusperte sich, weil sie nichts erwiderte und sprach einfach weiter >> Ich wollte mich für mein gestriges Verhalten entschuldigen und dich auf einen Versöhnungsausflug einladen wenn...du dich schon gesund genug dafür fühlst. <<

Isabella versuchte zu atmen und brachte nur ein lautstarkes Hicksen zu Stande.

Chivan fuhr zusammen, fasste sich aber gleich wieder und sah sie mit hochgezogener Augenbraue an.

>> Ist das deine Art mir zu sagen, das du mir böse bist? <<

Isabella gab es auf, sie fing schon an Sternchen zu sehen und kam sich völlig lächerlich vor.

>> Nein...ich hab...Schluckauf! <<

Sie erntete einen verständnislosen Blick.

>> Was ist denn Schluckauf? <<

Das war neu. Isabella war so überrascht, dass es ihr glatt den Schluckauf verschlug.

>> Du...du weißt nicht was Schluckauf ist? <<

>> Nein, hört sich schmerzhaft an. <<

Sollte sie lachen oder weinen? Sie wusste es nicht mehr.

>> Wo lebst du denn bloß? <<, fragte Isabella ärgerlich.

>> In einer anderen Welt <<, kam prompt die Antwort von Chivan.

>> Was? <<

>> Vielleicht fangen wir noch mal von vorne an, kann ich dir etwas zum anziehen bringen? <<

>> Das wäre mir sehr recht! <<

Chivan verschwand durch die Tür und Isabella zählte langsam von Hundert herunter um sich wieder abzuregen. Dieser Mann trieb sie wirklich noch zum Äußersten. Ob nun mit seinem Schweigen, mit seinen Andeutungen oder mit seinen zärtlichen Annäherungen. Minuten später kam er wieder und legte ihr einige Kleidungsstücke auf das Bett und betrachtete sie eingehend.

>> Brauchst du Hilfe? <<

>> Raus! <<

Chivan schloss unbeeindruckt die Tür hinter sich. Sie war offensichtlich in kämpferischer Laune, was die ganze Angelegenheit nur noch interessanter machen würde. Er lächelte in sich hinein und wartete geduldig.

 

Keine Unterwäsche? Isabella besah sich stirnrunzelnd die Kleidungsstücke. Sie hatte die Wahl zwischen einem kurzen und einem langen Rock. Beides schien aus einem lederähnlichen Material zu sein, dazu passend gab es eine Art Bluse aus Wolle, sowie ein eine Weste, die ihr extrem klein vor kam und ein gehäkelter, bunter Überwurf.  Sie entschied sich für den langen bräunlichen Rock, da ihr der Kurze ohne Unterwäsche unheimlich erschien. Dazu wählte sie die Weste aus dem gleichen Material, sie gefiel ihr eigentlich ganz gut, nur endete sie schon oberhalb ihres Bauchnabels und war reichlich eng, dafür aber mit schönen Stickereien. Die Bluse konnte sie unmöglich anziehen, da sie vorne offen war und nur durch drei kleine Schleifchen zusammen gehalten wurde. Abgerundet wurde das ganze von Schuhen, die Mokassins nicht unähnlich waren. Sie hatte zwar keinen Spiegel um sich das Ergebnis anzusehen, aber sie hätte schwören können, dass sie aussieht wie ein ausgeflippter Indianerhippie. Sie zuckte mit den Schultern und schmiss sich den Überwurf über die Schulter. Seltsame Kleidung konnte sie nach den letzten Erlebnissen auch nicht mehr aus der Bahn schmeißen.

Wenig später führte Chivan sie durch das Haus und Isabella verkniff sich irgendwelche Fragen, man gab ihr sowieso immer nur kryptische Antworten. Er öffnete eine weitere Tür und plötzlich waren sie an der frischen Luft.

Es war ein warmer Sommertag und die Vögel zwitscherten in fast schon beängstigender Vielzahl. Es roch nach Blumen, gemähtem Gras und frisch gebackenem Brot. Damit endeten für Isabella die bekannten Eindrücke. Auf den ersten Blick wirkte es, als stünde sie in einem hübschen, verschlafenen Dorf. In großen Abständen, konnte sie reetgedeckte, weiße Häuser unterschiedlicher Größe ausmachen. Jedes davon hatte eine einzigartige Form mit exzentrisch geschwungenen, teilweise bis zum Boden reichenden Dächern, die fast schon futuristisch anmuteten. Unterschiedliche Pflanzen und Blumen rankten bis hinauf zu den Schornsteinen und blühten in fröhlichen Farben. Vereinzelt ragten riesige Bäume zwischen den Häusern auf, wie Isabella sie nie zuvor gesehen hatte. Sie sah an dem Haus hoch, das sie soeben verlassen hatten und tatsächlich fand sich dort der Baumstamm wieder, der einfach durch das Dach wuchs und weit oben in einem Blätterdach endet. Eine Gruppe von Hunden und winzigen Keenan stürmte an ihnen vorbei. Einer von ihnen bemerkte Isabella, fiel der Nase lang hin und verwandelte sich in einen kleinen, blonden Jungen von vielleicht zwei Jahren, der sie erschrocken ansah. Kaum aufgerichtet, verwandelte er sich im Sprung zurück und wackelte so schnell er konnte weiter, nicht ohne sich immer wieder neugierig umzudrehen. Isabella war fasziniert. Er sah mehr aus, wie eine Mischung aus Wolf und Bär, sein Fell war so hell wie sein blondes Haar und erinnerte an etwas Plüschiges. Etwas tiefer gelegen in einiger Entfernung machte sie ein Glitzern und Funkeln aus, das auf einen See hindeutete.

Davor lag ein Getreidefeld, das goldgelb schimmerte und sich in einer leichten Brise bewegte, als wäre es lebendig. Isabella ließ sich auf einer steinernen Bank nahe eines kleinen Teiches nieder, auf dem sich einige Enten tummelten und starrte eine gigantische Trauerweide an. Auf sie wirkte das alles wie ein verzauberter Ort, auch hier störte kein Strommast oder so etwas unfeines wie eine Antenne, das allgemeine Bild. Es war wirklich wie eine andere Welt. Chivan setzte sich zu ihr und sah sie mit einem undurchschaubaren Blick an.

>> Es ist wirklich wunderschön hier <<, sagte sie schließlich.

>> Es freut mich, das es dir gefällt <<, antwortete Chivan lächelnd.

>> Wie ist das alles möglich Chivan? Bitte erkläre es mir, denn ich fange an, ernstlich an meinem Verstand zu zweifeln. << Isabella war viel zu aufgewühlt und verwirrt um noch böse zu sein.

>> Es ist eine lange Geschichte. <<

>> Ich habe Zeit <<, sagte Isabella lakonisch.

Chivan lehnte sich zurück und sah einer aufgeregt schnatternden Ente nach, bevor er mit seiner Geschichte begann.

>> Einst schuf der Schöpfer des Lebens in Einklang mit der Mutter Erde ein Volk und er nannte sie Akamee. Die Akamee waren sehr verbunden mit der Mutter Erde und schätzten und verehrten alles Leben das es gab. Sie lebten in Harmonie mit der Natur und konnten sich ein anderes Leben nicht vorstellen. Doch sie entwickelten sich auch weiter, schufen Hilfsmittel, Behausungen, legten Felder an und züchteten Tiere. Mit der Zeit mussten sie feststellen, das sie ihre Bedürfnisse immer mehr über die, allen anderen Lebens gestellt hatten und waren zu tiefst beschämt. Unglücklich und verängstigt wandten sie sich an den Schöpfer, mit der Bitte ihnen seine Weisheit und Güte zu schenken. Sie wollten mit der Natur tief verwurzelt bleiben und sich nicht weiter und weiter davon entfernen. Der Schöpfer erhörte ihr flehen und gab ihnen das zweite Wesen. Den Akamee war es von nun an möglich, sich in einen Keenan zu verwandeln. Ein Tier, dessen Sinne auf die ganze Vielfalt und das Verständnis für die Welt in der sie lebten ausgerichtet war. Doch der Keenan war auch ein Tier mit Instinkten und Trieben, die es zu beherrschen galt. Nach und nach wuchsen in den einzelnen Clans der Akamee Frauen heran, die sich nicht in einen Keenan zu verwandeln vermochten. Zum Schutze aller, hatten sie jedoch die Fähigkeit, einem Keenan ihren Willen aufzuzwingen, sollte dieser seinen niederen Veranlagungen unterliegen und ihre Nähe genügte um jeden Akamee zu heilen. Daher nannten die Akamee sie Wächterinnen des Lebens. Viele Jahre des Glücks zogen ins Land, bis die Akamee eines Tages den Menschen begegneten. Die Menschen waren kriegerisch und wild, doch sie erkannten auch den Vorteil in einer Freundschaft mit den Akamee. Sie machten sich ihr Wissen über die Natur zu nutze und baten die Akamee  um Hilfe bei der Jagd. Auch Liebe erwuchs vereinzelt zwischen Akamee und Mensch, doch es wurde schnell klar, dass aus einer solchen Bindung keine Kinder geboren wurden. Aus diesem Grund bestanden die Menschen auf das Verbot einer solchen Verbindung. Eines Tages jedoch, verliebte sich ein junger Akamee in die Tochter eines großen Kriegers der Menschen. Als auch sie ihm ihre Liebe gestand, gab es für die beiden nur noch den Weg der Flucht. Als der Vater des Mädchens davon erfuhr, war er außer sich vor Zorn. Er ließ das liebende Paar von seinen Söhnen verfolgen, um sie zu töten. Doch als sie das Paar schließlich fanden, verwandelte sich der junge Akamee in seinen Keenan und verteidigte das Leben seiner Geliebten mit der ganzen Macht eines wilden Raubtieres. Vier seiner Söhne starben bei diesem Blutvergießen, bevor sie den Keenan und das Mädchen überwältigen konnten. Rasend vor Wut und Trauer stürmte der Krieger mit seinen Männern darauf hin jedes umliegende Lager der Akamee. In einer einzigen Nacht quälte und tötete er Hunderte von Akamee, ohne auch nur ein einziges Kind zu verschonen. Nur vier der schönsten und anmutigsten Frauen ließ er am leben, um sie bis an ihr Lebensende zu versklaven. Die Akamee kannten keinen Krieg, keinen Hass und keine Rache. Für sie war diese Nacht der Tränen nicht zu begreifen. Tiefe Trauer legte sich über das ganze Volk. Ihre Qualen wurden unerträglich, als ihnen klar wurde, das vier ihrer Wächterinnen auch weiterhin unter den Grausamkeiten der Menschen würden leiden müssen. Nach diesem Massaker endete die Zeit der Wächterinnen, denn es wurden keine mehr geboren. Der Schöpfer sah ihr Leid und litt mit seinen Kindern. Mit seiner Fantasie spann er einen Schleier und legte ihn auf die Welt der Akamee. Seitdem Leben die Akamee in einer anderen Sphäre der Erde, unbehelligt von den Menschen. Der Schöpfer zeigte den Akamee vier Durchgänge in die Sphäre der Menschen, in jede Himmelsrichtung einer. Eines Tages, so sagte er, würden vier Wächterinnen aus der Welt der Menschen zurückkehren, zu ihrem Volk und sie würden entscheiden ob die Menschheit bereit wäre, für eine gemeinsame Existenz. Sie würden den Schleier gemeinsam lüften oder für immer schließen. Die Menschen vergaßen schon bald, das die Akamee je existiert hatten und die Akamee bewachen seit Tausenden von Jahren die Tore zur der Menschenwelt, darauf wartend das sich die Prophezeiung des Schöpfers erfüllt. <<

Isabella starrte nun ebenfalls den schnatternden Enten nach, es war das Beste was ihr einfiel. Sie konnte sich nicht dazu überwinden Chivan anzusehen, denn sie wusste, dass sie in seinen Augen nur Ernsthaftigkeit und Wahrheit lesen würde. Bis zu dieser leise vorgetragenen Erzählung hatte sie sich vormachen können, dass sie vielleicht einem kleinen Nervenzusammenbruch erlag, halluzinierte oder einfach irre wurde. Nun ließ sie alle Ereignisse der letzten Tage, seit sie Chivan im Garten begegnete Revue passieren. Seine Verwandlung, der Kuss, der so schmerzhaft schön war und ihr zugeflüstert hat, der Angriff und die Albträume, sie konnte das nicht länger ignorieren. Ihr Blick schweifte auf die Umgebung dieses märchenhaften Ortes ab. Hin und wieder lief jemand in respektvollem Abstand vorbei, sah ihr neugierig, aber nicht unfreundlich in die Augen und verschwand wieder ohne ein Wort des Grußes. Das ganze Dorf schien sie zu beobachten und geduldig zu warten. Alles um sie herum fing an sich zu drehen und als sie dachte sie würde gleich von der Bank fallen, nahm Chivan sie in die Arme und hielt sie fest.

>> Lass dir Zeit es zu verstehen. <<

>> Das ist es nicht, irgendwie weiß ich, das alles wahr ist was du mir gerade erzählt hast, aber...du glaubst ich bin eine von diesen Wächterinnen oder? <<

>> Ja. <<

>> Wie kannst du da so sicher sein? <<

>> Du hast die Fähigkeiten einer Wächterin und ihre Augen. <<

>> Ihre Augen? <<

>> Die Augen der Wächterinnen spiegelten, laut den Erzählungen immer ihre Gefühle wieder und leuchteten türkis, wenn sie ihre Fähigkeiten einsetzten. Mein Vater und Marilla erzählten mir, das deine Augen türkis geleuchtet hätten, als du verlangt hast, zu mir gebracht zu werden. <<

>> Aber ich weiß nichts von irgendwelchen Fähigkeiten und ich weiß auch nicht was ich tun muss. Ich will keine Entscheidung über irgendwelche anderen Welten treffen und ich kann ganz sicher keine Dimensionstore, oder was auch immer, schließen! <<, brachte Isabella jetzt leicht panisch hervor. 

>> Deine Fähigkeiten sind da, du musst nichts dafür tun <<, sagte Chivan ruhig. Er beugte sich vor, hob einen scharfkantigen Stein auf und schnitt sich blitzschnell in den Daumen. Isabella verfolgte wie gebannt das dünne Rinnsal Blut. Noch bevor ein Tropfen das Gras unter ihren Füßen erreichte, schloss sich die Wunde vor ihren Augen, ohne auch nur die kleinste Narbe zu hinterlassen.

>> Wenn ich das gerade war, wieso dauerte deine Heilung dann die letzten beiden Male viel länger? <<, fragte Isabella immer noch misstrauisch.

>> Desto schwerer die Verletzungen, desto länger der Heilungsprozess. <<

>> Und die andere Sache? <<

>> Wenn Gefahr von einem Keenan droht, wirst du versuchen ihn zu stoppen, das liegt in deiner Natur. Was den Schleier betrifft, so wirst du wissen was zu tun ist, sobald du die anderen Wächterinnen triffst. <<

>> Wer sind sie und wann werde ich sie kennen lernen? << Isabella konnte ihre Aufregung nicht mehr unterdrücken. Ein Leben lang hatte sie sich fehl am Platze gefühlt, allein und ohne Ziel. Hier fühlte sich alles neu an, aber auch real und richtig. Sie fand keinen vernünftigen Grund mehr, sich gegen diese Entwicklung zu wehren. Kampfgeist war noch nie ihre Stärke gewesen, doch jetzt regte sich dieser sehr ausgeprägt. Eine solche Verantwortung lehnte man nicht einfach ab oder lief davor davon, man trug sie.

>> Die anderen Wächterinnen, werden wie du aus der Welt der Menschen kommen. Auch sie werden wahrscheinlich nicht wissen wer sie sind oder sie erfahren es gerade. Wir wissen nicht wie lange es dauern wird, aber wir haben Botschaften an alle Übergänge versendet und sie werden kommen wenn es soweit ist. <<

>> Wieso kommen sie hierher? <<

>> Wir wissen nicht genau was passieren wird, wenn ihr euch vereint. Daher ist der Ort egal und da du die erste bist, noch dazu verletzt, baten wir die Wächterinnen zu dir <<, antwortete Chivan nun stirnrunzelnd. Er hätte nur zu gerne erfahren, was genau sich abspielen würde. Wider besseren Wissens machte er sich Sorgen um Isabellas Wohlergehen und noch immer kämpfte er mit dem Drang sie einfach an sich zu reißen.

>> Was ist? << Isabella hatte die Veränderung an Chivan sofort bemerkt. Er sah ihr nicht in die Augen und wirkte plötzlich angespannt.

>> Es gibt noch eine andere Erzählung aus der alten Zeit. Eine Wächterin, so sagt man, konnte sich mit einem Akamee auf einer höheren Ebene für immer verbinden. Wenn sie das jedoch tat, waren ihre Fähigkeiten nur auf diesen Akamee beschränkt. <<

>> Wie eine Art Ehe? <<, fragte Isabella irritiert.

>> So ähnlich, nur auf mentale Weise. Manche Wächterinnen haben wohl ein Ritual dafür gewählt, doch wenn beide es wollen, ist es auch ohne möglich. Du darfst diese Verbindung auf keinen Fall mit einem Akamee schließen Isabella <<, sagte Chivan eindringlich und sah sie mit seinem durchdringenden Blick an.

>> Wieso nicht? << Sie musste plötzlich mit aufkeimenden Tränen kämpfen und ihr Herz schlug so schnell, das es schmerzte.

>> Du kannst vielen Akamee helfen, wenn du es nicht tust. Aber nur einem, wenn du es tust.<<

>> Heißt das...darf ich...muss ich allein sein? <<, stotterte Isabella.

>> Nein! Natürlich kannst du einen ...Partner wählen <<, sagte Chivan etwas zu schnell und etwas zu schrill.

Für Isabella hörte es sich an, als dürfe sie sich nicht verlieben, was ihr völlig unmöglich erschien. Wie sollte man so etwas verhindern? Aber wahrscheinlich steckte noch mehr dahinter und sie würde das ganze Ausmaß einer solchen Verbindung wohl nie erfahren dürfen. In dem Moment als Chivan sie so eindringlich ansah und ihr sagte, sie dürfe sich mental nicht verbinden, fuhr ein scharfer Schmerz durch ihren Körper und sie versuchte sich immer noch davon zu erholen. Bis dahin hatte sie nicht gewusst, wie viel ihr Chivan schon bedeutet. Seit Jahren hütete sie ihr Herz, verschlossen hinter dicken Mauern der Gleichgültigkeit und Chivan schien ihre ganze Bastion einfach niedergerissen zu haben. Etwas benommen von dieser Erkenntnis, sah sie in Chivans Augen. Sein Blick schien etwas unsicher und verbissen. Ihr Verstand sagte ihr, das er vielleicht nur mit ihr spielte, das sie keine Ahnung hatte wie die Beziehung zwischen zwei Akamee ablief, aber der Rest von ihr sprach über Vertrauen, Geborgenheit und Liebe. Sie wusste nicht was es zu bedeuten hatte, aber im Moment hatte sie so viele Dinge zu verarbeiten, dass sie darüber einfach nicht länger nachdenken wollte. Entschlossen zwang sie sich zu einem anderen Thema.

>> Was ist mit den Vertriebenen? <<

Chivan hatte so einige Szenarien vor Augen, die sie ihm bieten würde, dass sie jedoch mit völliger Gleichgültigkeit das Thema wechselte, gehörte nicht dazu. Leicht verärgert über seine eigenen hoffnungsvollen Gefühle, wandte er sich von Isabella ab, bevor sie es in seinen Augen erkennen konnte.

>> Die Vertriebenen sind ehemalige Grenzgänger. Akamee die von der Welt der Menschen geblendet sind und nicht auf deren technologischen Fortschritt verzichten wollen. Über viele, viele Jahre verfolgen wir den rasenden Fortschritt der Menschen und haben uns sogar die ein oder andere Errungenschaft angeeignet. Medikamente, Baupläne und noch einiges mehr. Da wir nichts durch den Übergang mitbringen können, waren Grenzgänger dazu gezwungen, eine zeitlang unter den Menschen zu leben und zu lernen. Einige von ihnen wollten gefährliche Erkenntnisse mitbringen, auch ohne das Wissen des Rates. Wieder andere wollten einen permanenten Aufenthalt in beiden Welten. Wir sind ein Volk der Natur, wir beschützen sie und nehmen nur das nötigste zum Leben. Die Menschen jedoch sind größtenteils rücksichtslos und zerstörerisch. Daher mussten wir diesen Akamee die Rückkehr schweren Herzens verweigern. Sie leben nun in der Welt der Menschen, haben dort eine Identität und einen Beruf, aber sie wollen oder können auch nicht ihr Herkunft vergessen. Sie haben große Angst davor, das sich der Schleier für immer senkt und eine Rückkehr für immer unmöglich wird. Sie wissen, das sie nie eine Familie in der Welt der Menschen haben werden und es wird vermutet, dass sie ihr zweites Wesen verlieren werden. Wir wissen nicht was aus der Menschheit wird, aber ihre bisherigen Handlungsweisen deuten darauf hin, dass sie ihren eigenen Untergang besiegeln. Deswegen nennen wir ihre Welt, die Welt der verlorenen Seelen. <<

>> Also haben sie uns nicht aus Bösartigkeit angegriffen sondern aus Angst und Verzweiflung? <<

>> Ja, sie versuchen die Rückkehr der Wächterinnen zu verhindern. <<

In Isabella keimte Mitgefühl für die Vertriebenen auf. Abgeschnitten von dieser fantastischen Welt, mussten sie in der Welt der Menschen ständig mit der Angst leben entdeckt zu werden und doch riskierten sie es, weil sie von der scheinbar so glitzernden, fortgeschrittenen Menschheit verlockt wurden. Sie dachte daran, dass sie in einer ähnlichen Situation war, nur umgekehrt. Würde sie ihr Haus je wieder sehen? Wenn sie darüber nachdachte, was die Prophezeiung sagte, eher nicht. Sie forschte und wartete auf die innere Bestürzung, aber sie kam nicht. Sie spürte nur Freude darüber, eine Akamee zu sein. Glück darüber, dass sie die Chance bekam eine völlig neue Welt zu entdecken. Aber vielleicht würde der Schleier auch gelüftet werden, was dann? Es war ihr nicht möglich dieses Szenario nachzuempfinden.

>> Wie groß ist diese Welt? <<

>> Stell dir einfach die Erde in einer anderen Dimension vor, ohne Menschen und deren Einflüsse. <<

>> Oh, das bedeutet eine Reise nach Afrika könnte eine Weile dauern <<, schmunzelte Isabella.

>> Wir haben zwar ein paar Clans, die zur See fahren, aber ja...es dauert seine Zeit <<, grinste jetzt auch Chivan.

 

Isabella beschloss es dabei erst einmal zu belassen. Sie hatte genug Stoff zum nachdenken und sie fühlte sich ein bisschen mulmig. Chivan begleitete sie zu seinem Haus zurück, wo sie bereits von Marilla erwartet wurde.

Am liebsten hätte sie Chivan gebeten noch zu bleiben, doch er verabschiedete sich knapp und ließ Isabella in der Obhut von Marilla. In Chivans Schlafzimmer wirbelte Marilla fröhlich herum und Isabella vergaß für einige Augenblicke, was sie gerade alles gehört hatte. Marilla erzählte ihr von dem Fest, das zu Isabellas ehren geplant ist, sobald sie vollständig genesen ist. Von der freudigen Erregung die alle Akamee erfasst hatte, seit sie von ihrer Ankunft gehört hatten und wie stolz Marilla war, dass Isabella alles so besonnen aufnahm.

>> Wie meinst du das? << fragte Isabella verwirrt.

>> Nun, nicht jeder reagiert so ruhig und vernünftig wie du, aber du bist eben eine Akamee und Wächterin! <<

>> Jeder? Gibt es noch andere? Ich dachte ich wäre die erste Wächterin? <<

>> Bist du auch. Aber du glaubst doch nicht, dass in all den Jahren nie jemand aus der Welt der verlorenen Seelen den Übergang gefunden hat! <<

Isabella starrte Marilla mit großen Augen an.

>> Soll das heißen, hier waren Menschen? <<

>> Waren und sind! Aber ich kann dir sagen, es war jedes Mal ein Spektakel <<, schmunzelte Marilla.

>> Aber ist das nicht gefährlich, ich meine wollen sie nicht zurück? <<

>> Nein, meine Großmutter erzählte mir, einmal sei ein kleines Kind herüber gekommen. Sie haben es einfach zurück geschickt, es hätte ihm sowieso niemand geglaubt. Aber Menschen die einmal hier sind, wollen nicht zurück. Sie sind immer ganz fürchterlich aufgeregt, glauben einem kein Wort und rennen nackt durch die Gegend. Aber letztlich begreifen sie und sind begeistert. Der letzte der an unserem Übergang hindurch kam, nannte sich Anwalt und benahm sich sehr eigenartig. Einige Tage versuchte er uns zu erklären, wieso dies alles nur SEIN Traum sei und faselte was von bunten Pillen. Dann bat er um etwas zum Anziehen, sagte er müsse Jagen lernen und Kliiiänten, oder so ähnlich, finden. Er lebt nicht weit von hier, bei einem befreundeten Clan und züchtet die besten Tomaten in der ganzen Umgebung. <<

>> Wieso war er denn nackt? <<

>> Er kam schon so hier an, anders geht es ja nicht. <<

>> Was geht nicht? <<

>> Nun man kommt nur nackt durch den Übergang. Du schreitest hindurch wie der Schöpfer dich formte, oder du gehst einfach nur zwischen zwei Bäumen hindurch und kommst nicht auf die andere Seite. <<

Isabella wollte lieber nicht wissen, wie genau sie hindurch gekommen war. Zumindest verstand sie nun, wieso menschliche Besucher eher selten waren und die dann auch recht merkwürdig.

Liebe Leserinnen, Liebe Leser!

Da Goldauge mein erstes Buch ist und ich demenstprechend mit Unsicherheit und Fehlern kämpfe, würde ich mich über eine konstruktive Kritik sehr freuen.
Ich habe nun den zweiten Teil des Buches hinzugeschummelt und bin nach so langer Abwesenheit nicht mehr vertraut mit der Formatierung auf Bookrix. Daher könnten sich auch hier einige Fehler eingeschlichen haben, die ich zu verzeihen bitte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Familie

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