„Jana, glaub mir doch, das wird dir gut tun! Es sind doch ohnehin Sommerferien, und du musst dringend mal hier raus. Außerdem habe ich den Flug schon gezahlt.“
„Bitte was ?! Das ist nicht dein Ernst! Wie kannst du mir das antun?“, schrie ich meiner Mutter aufgebracht entgegen.
„Ich bleibe.“ Stur verschränkte ich meine Arme vor der Brust und funkelte sie wütend an.
„Ich sage, du fliegst!“
„Und ICH sage dir, dass ich bleibe!“
Mit diesen Worten wirbelte ich herum und verschwand in meinem Zimmer, nicht ohne die Tür mit aller Kraft zuzuschlagen. Wütend schnappte ich mir meinen iPod, drehte die Musik voll auf und stellte die Welt um mich herum mal wieder ab.
Fast eine Woche später saß ich nun schlecht gelaunt im Flieger nach Rapid City. Zwar saß ich an einem der heiß begehrten Fensterplätze, doch die Aussicht interessierte mich herzlich wenig. Genau wie diese aufdringlichen Stewardessen, also verschwand ich wie so oft hinter einem Vorhang rot-brauner Haare und hörte „Green Day“.
Viele Stunden später ertönte endlich die Durchsage, dass wir in Kürze landen werden. Kurz danach stand ich auch schon im Ankunftsbereich am Gepäckausgabeband und wartete ungeduldig auf mein Gepäck.
Wie lange konnte das schon dauern? In dieses Kaff wollte doch sowieso kaum jemand. Kein Wunder, schon als ich aus dem Flugzeug stieg, empfing mich die erbarmungslose Hitze. Auf den ersten Blick schien hier weit und breit nichts los zu sein.
Mittlerweile war ich eine der Letzten die wartete und als ich meine Koffer schon fast verloren glaubte, tauchten sie endlich auf. Ganz am Schluss. Was sonst.
Ächzend hob ich den ersten Koffer an, als mir plötzlich jemand zu Hilfe kam. Verdutzt blickte ich auf und sah direkt in ein von Sommersprossen übersätes Gesicht. Das Gesicht meiner Schwester. Nur war sie inzwischen wesentlich gebräunter. An ihrem breiten Lächeln und den strahlend grünen Augen hatte sich allerdings nichts verändert.
„Jana! Schön, dass du da bist.“
Naja, Ansichtssache.
„Hey Julia. Na, wo hast du denn deinen Ehemann gelassen?“
Suchend sah ich mich um. Julias Blick verfinsterte sich etwas, ganz kurz nur.
„Marc arbeitet. Wie eigentlich immer. Aber jetzt lass uns fahren, wir haben noch einen langen Weg vor uns.“
Seufzend setzte ich mich in Bewegung, doch als ich sah, auf was meine große Schwester so zielstrebig zusteuerte, blieb ich abrupt stehen.
„Das ist ein Scherz, oder?!“, fragte ich entrüstet. Der rostige rote Pick-up sah aus, als würde er jeden Moment in sich zusammenfallen.
Doch es war kein Scherz. Und so fuhren wir in dem klapprigen Schrotthaufen holprige Wege entlang. Straßen konnte man das kaum nennen.
Ich spürte, dass meine Schwester von mir erwartete, dass ich zu reden begann, schließlich hatten wir uns ein Jahr lang nicht gesehen. Irgendwann wurde das angespannte Schweigen so erdrückend, dass ich mich nach vorn beugte um das Radio anzuschalten.
„Oh, das kannst du vergessen. Das Ding hat glaube ich noch nie wirklich funktioniert. Chase wollte es eigentlich reparieren“, bemerkte Julia.
Mit einem tiefen Seufzer lehnte ich mich wieder zurück, holte meinen iPod hervor und schloss die Augen.
„Wir sind da, Schwesterherz“, hörte ich Julia irgendwann sagen.
Verwirrt öffnete ich meine Augen und sah mich um. Entgegen all meiner Hoffnung war ich immer noch hier, nun im Pine Ridge Reservat. Also war das alles doch kein Traum gewesen. Verdammt.
Widerwillig stieß ich die schwere Autotür auf und betrat den sandigen Boden vor einem großen Haus aus Holz. Ich drehte mich ein Mal um mich selbst, doch überall war gähnende Leere. Verdorrtes Gras.
„Na super…“, stöhnte ich genervt. Ich befand mich hier am Arsch der Welt. Und der Arsch der Welt war ziemlich heiß!
Gerade als ich nach einem meiner Koffer greifen wollte, ertönte ein mir wohlbekanntes Geräusch, das mich in der Bewegung innehalten ließ. Ich schluckte.
Doch da kam Marc, Julias Mann, aus dem Haus und begrüßte uns. Das befreite mich aus meiner Starre und ich merkte den besorgten, mitleidigen Blick meiner Schwester.
„Schau nicht so, ich bin okay!“, giftete ich sie gereizt an und rauschte an den beiden vorbei, hinein ins Haus.
Doch auch hier erwartete mich nichts Gutes. Überall hingen sie, Bilder von großen und kleinen Pferden, in allen erdenklichen Farben. Das geräumige Wohnzimmer und auch der Gang waren voll davon.
„Das ist doch wirklich nicht wahr…“, murmelte ich, fast schon verzweifelt. Wehe wenn in meinem Zimmer auch nur eine dieser Fotografien zu finden war!
Hinter mir hörte ich Schritte, Julia schob sich an mir vorbei.
„Auf, ich zeige dir dein Zimmer“, sagte sie lächelnd. Meine Mundwinkel jedoch blieben stur nach unten gezogen. So folgte ich ihr die Treppe hinauf (auch auf diesem Weg wurden wir verfolgt von den Bildern der Vierbeiner).
„Also Jana, links ist Marcs und mein Zimmer, hier in der Mitte ist das Bad, und dein Zimmer ist auf der rechten Seite.“
„Was, nur ein Bad?“, fragte ich entgeistert.
„Natürlich. Du bist nicht mehr in Deutschland, Schwesterherz“, antwortete sie.
Na, das wurde ja immer besser…
Zu meinem (und auch Julias) Glück war mein Zimmer frei von Pferden. Es war nicht sonderlich groß, ein Bett mit Nachttisch, ein Schrank und ein Bücherregal und das Zimmer war voll. Für Tageslicht sorgte ein kleines Fenster am anderen Ende des Raumes, direkt neben dem Bett.
Und auf dieses ließ ich mich nun völlig erschöpft fallen.
„Oh, entschuldige, du bist ja völlig erschöpft. Ich lasse dich jetzt besser schlafen. Deinen Wecker habe ich vorsichtshalber schon mal für dich gestellt“, zwinkerte meine Schwester mir zu und verschwand dann aus dem Zimmer.
Ich richtete mich wieder auf und schaute auf den Wecker. Weckzeit: 6.30 Uhr!
Ich stöhnte auf. Es waren doch Sommerferien!
Von draußen hörte ich plötzlich Stimmen. Neugierig wie ich war, ging ich ans Fenster, was ich jedoch sofort bereute. Dort, direkt vor meinen Augen, erstreckten sich riesige Koppeln, auf denen eine große Herde bunter Pferde graste. Eigentlich wollte ich mich schnell wieder abwenden, doch ich wurde von dem forschenden Blick eines großen Dunkelfuchses gefesselt. Ein junger Wallach, so weit ich das von meinem Standort aus feststellen konnte.
Mit nach vorn gestellten Ohren stand er angespannt da und schien direkt durch meine Fassade hindurch in mein Innerstes zu blicken.
Plötzlich lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken und ich schreckte zurück.
Noch lange wurde ich vom Schnauben und dem Hufgetrappel der Herde wachgehalten. In dieser Nacht schlief ich so schlecht wie schon seit Monaten nicht mehr.
Texte: Nati R.
Bildmaterialien: Nati R.
Tag der Veröffentlichung: 29.06.2012
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